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Erstes Kapitel – Der Brief aus der Zone

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Ich hatte gerade mal drei Monate Ruhe und Abgeschiedenheit auf unserem bescheidenen Anwesen im Lauenburgischen Elbtal erfahren dürfen, meinen Job im Store in der kleinen Stadt hatte ich schon vor längerer Zeit aufgeben müssen, da mir als Bestsellerautor keine Zeit mehr für das Vergnügen des Verkaufs blieb. Wobei es eigentlich nicht wirklich ruhig in dieser Zeit herging, zum einen war da die weitere Renovierung der Zimmer unseres Hauses, so das jetzt alle vierundzwanzig fertig waren und der Ausbau der Südterrasse auf bescheidene 150 qm, zum anderen die unzähligen Fototermine, Interviews und die Einladungen in die neumodischen Talkshows auf allen Fernsehkanälen, besonders in den gerade neu gestarteten privaten Sendeanstalten, die es jetzt gab. Die Friedgarten`s Affäre war auch nach Monaten immer noch Dauerbrenner in allen Gazetten, beim Fernsehen, im Funk und beim Volk auf der Strasse. Natürlich nahm ich die Gagenangebote der Fernsehanstalten an, hätte ich doch für diese Summen die man mir anbot, mindestens siebzehn weitere Fortsetzungen der Friedgarten`s schreiben müssen. So ließen sich der bescheidene Umbau unseres Hauses und ein unabhängiges, dem gesellschaftlichen Stand entsprechendes Leben natürlich einfacher realisieren. Wir, Achim Janssen mein eingetragener Lebenspartner, gleichzeitig Lektor meiner Romane und ich, hätten uns, nachdem wochenlang die Handwerker durch unser Haus gezogen waren, etwas Ruhe verdient, als ein Brief, der schon früh morgens durch den jungen, durchtrainierten und überaus attraktiven Postboten, der immer zu uns kam, in den Briefkasten am großen Tor eingeworfen worden war, mich in große Aufregung versetzte. Um mich zu dieser frühen Uhrzeit wieder zu beruhigen, bedurfte es schon einiger Tassen guten Kaffees und diverser Zigaretten, die mir Achim in unserem neuen Pavillon direkt an der Elbe, welche an unser Grundstück grenzte, brachte. Der Brief kam zu meinem Erstaunen aus der Zone, trotz jahrelang erfolgreicher Verdrängung, fiel mir aber ein, dass ich wohl noch über eine große Menge an Verwandschaft jenseits der nahen Staatsgrenze verfügen musste. So nahm das nächste Abenteuer im Leben des Arne Wellbrook-Janssen seinen Lauf. Erst einmal zu der Person, die sich nach einer Unendlichkeit an Jahren, an mich erinnern konnte oder wollte. Die Dame hieß Johanna Emilia Wellbrook, die Tochter der Schwester meines Herrn Vaters, oder einfach gesagt, meine Cousine Hanni, wie ich sie in den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren unserer gemeinsamen Kinder- und Jugendzeit immer genannt hatte. So viele Stunden hatten wir mit der Erkundung unseres Viertels in dem wir wohnten verbracht, hatten uns vor den anderen Kindern, meist waren es Flüchtlingskinder, die ohne Vater aufwuchsen und fast nur auf der Strasse lebten, hinter den riesigen Sandbergen versteckt oder uns die mächtigen Betonplatten angeschaut, uns gefragt wozu die wohl gebraucht werden würden und täglich wurden immer neue dazu angeliefert, manchmal stand eine lange Kolonne von Lastkraftwagen in unserer Strasse und wartete darauf endlich abgeladen zu werden. Es dauerte einige Monate, als plötzlich über Nacht aus den Platten erste Wohnblöcke entstanden waren. So wuchs Tag für Tag ein weiterer Wohnblock heran und genauso schnell wie diese entstanden zogen ganze Familien in unsere Stadt und in unsere Strasse. Es vergingen einige Monate, als uns unsere Lehrkraft an der Schule, die wir auch gemeinsam besuchten, am Ende des Unterrichts in Staatsbürgerkunde, den wir täglich hatten, sagte, dass wir morgen nicht in die Schule müssten, uns dafür aber früh um 8.00 Uhr in unseren frisch gewaschenen Hemden und Blusen, blaue gab es noch nicht, an der gerade fertig gestellten Stalinallee einfinden sollten. Unsere Aufgabe war es, mit kleinen Fähnchen schwenkend die Kolonne von Automobilen mit wichtigen Persönlichkeiten aus der fernen Hauptstadt der Republik zu begrüßen, wenn diese auf dem Weg zum Rat der Stadt wäre. Am Abend erzählte uns die Mutter von Hanni, also meine Tante, dass unsere kleine Gemeinde heute auf den Namen Stalinstadt getauft wurde welche Anfang der sechziger Jahre in Eisenhüttenstadt umbenannt wurde, und nun der bedeutendste Ort in der Republik für die Stahlproduktion wäre. Hanni`s Mutter hatte übrigens nie den Vater ihrer Tochter geheiratet, somit war meine Cousine ein un- eheliches Kind, welches eigentlich nicht in die neue Grundordnung dieser jungen Republik passte, aber das ist eine andere Geschichte. Diese, meine Hanni, schrieb mir nach so vielen Jahrzehnten also diesen Brief. Gut, ich hätte mich, nachdem ich etwas später nach der großen Stadttaufe rüber gemacht hatte, auch bei ihr melden können, aber hätte sie meine Briefe überhaupt gelesen, schließlich war ich ein Republikflüchtling, hätte sie vielleicht meinetwegen unnötigen Ärger bekommen, immerhin war sie sehr bald eine erfolgreiche Aktivistin in der Republik geworden, mehrfach als Held der Arbeit ausgezeichnet und als verdientes Parteimitglied mit erheblichen Sonderprivilegien versehen worden. So hatte ich es vermieden, wieder in ihr Leben zurück zu kommen, sicher war sie auch enttäuscht von mir, dass ich einen anderen Lebensweg, als den ihrigen, gewählt hatte. Ich brauchte noch einige weitere Tassen Kaffee und eine neue Schachtel Zigaretten, um dann mit zitterigen Händen diesen Brief zu öffnen und zu lesen. Hanni schrieb sehr ausführlich, der Brief hatte 23 Seiten, von unserer Familie, was alles in den vergangenen Jahren passiert war, von ihrer Karriere in Partei und Beruf, war sie doch inzwischen zur Verkaufsstellenleiterin bei der HO, einer genossenschaftlichen Einzelhandelsorganisation, aufgestiegen und leitete eine Verkaufsstelle der HO welches sich Warenhaus Centrum nannte. Für ihre Partei saß sie seit einiger Zeit im Rat der Stadt und wurde, als Belohnung für den unermüdlichen Aufbau des Sozialismus, zur Abgeordneten in die Volkskammer gewählt. Einmal im Jahr tagte diese Kammer und Hanni durfte für einige Tage in die Hauptstadt reisen, um dort in den Sitzungen den neuen Fünfjahresplan abzusegnen, den vorher schon der Staatsrat genehmigt hatte. Auch stand sie auf der Warteliste für ein Automobil der gehobenen Klasse in der Republik, auf die verdiente Parteimitglieder Anspruch hatten, einen tschechischen Skoda. Bisher fuhr sie noch einen schon in die Jahre gekommenen Trabant 601 in der Trendfarbe gletscherblau, der aber noch etwas durchhalten musste, den nach der Warteliste für das neue Automobil würde es noch etwa sieben Jahre dauern, bis Hanni an der Reihe wäre. Jährlich gab es, für Bürger wie Hanni gewerkschaftlich organisierte Urlaubsreisen, je nach Rangordnung sogar mehrmals im Jahr. Für Hanni war es schon zur Routine geworden, im Frühjahr ging es nach Kühlungsborn, Heiligendamm oder Binz an die Ostsee und im späteren Sommer durfte sie, eben wegen der herausragenden Leistungen, nach Ungarn an die Schwarzmeerküste oder an den Plattensee. Doch dieses Jahr hatte sie die Verdienstmedaille der Republik verliehen bekommen, vom ersten Sekretär des Staatsrats persönlich, mit den besten Wünschen der Republik und der Erlaubnis, für einige Tage in das kapitalistische Ausland reisen zu dürfen, um dann nach der Rückkehr erkennen und berichten zu können, wie schön und geordnet alles zu Hause in der Republik wäre. Hanni hatte sich entschieden, ihren Cousin, also mich Arne Wellbrook-Janssen, im Lauenburgischen Elbtal nahe der Staatsgrenze zu besuchen. Sie benötigte für ihre vorübergehende Ausreise aus der Republik eine Bestätigung der Aufnahme bei uns zu Hause, der Einfachheit halber gab es auch dafür schon ein Formblatt in der Republik. Mit dem Ausfüllen des Formblatts, welches ich noch am gleichen Tag in einem Briefumschlag zum Postamt in die nächste Stadt brachte, die Geesthacht hieß, um es zurück zu schicken, nahm das aufregende Wochenende mit meiner Cousine Hanni seinen Anfang.

Hanni

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