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II.

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Ziemlich am Ende des Städtchens, in einer Art Villenviertel, stand das Haus, in welchem der Richter sich vor Jahren eingemietet hatte, weil im Amtsgebäude die Räume zu einer Dienstwohnung nicht ausreichten. Ehrenstraßers zweite Frau hatte sogleich nach der Trauung lebhaft protestiert gegen eine so kleine Wohnung, außerdem wollte sie nicht, wie sie sagte, mit Sträflingen und Inquisiten unter dem gleichen Dache wohnen und des weiteren könne man nicht wissen, wie groß die Familie noch werde. Diese letztere Bemerkung hatte den sonst so ernsten Richter lachen machen, sie gab den Ausschlag, die große Wohnung am Stadtende wurde gemietet und nach kurzen Jahren bevölkerten zwei Mädchen aus zweiter Ehe das Haus, welches die Umwohner aus guten Gründen mählich die „Judenschule“ zu nennen pflegten.

Frau Bianca Ehrenstraßer stammte aus einer Weinhändlersfamilie Südtirols und zeigte in der äußeren Erscheinung den Ampezzanertypus. Anfangs ein feines Figürchen mit südländischem Temperament, kohlschwarzen Augen und blauschwarzem Haar, entwickelte sich die Richterin mit den Jahren zur korpulenten Frau, die trotz des ständigen Aufenthaltes in reindeutschen Bezirken mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stand und wälsche Lebensart beibehielt. Eine Folge davon war ein steter Dienstbotenwechsel, der dem Gatten das Leben sauer machte und welcher die Bewohner des Amtsstädtchens jahraus, jahrein mit Gesprächsstoff versorgte. Heißt es doch, ein Dienstbotenvermittelungsbureau in Innsbruck sei allein gar nicht im stande, bei Bezirksrichters den Bedarf an Dienstboten zu decken, denn gewechselt wird in jedem Monat, entweder die Köchin oder das Kindermädel und eine Scheuerfrau ist im Städtchen nicht mehr aufzutreiben, weil alle diesbezüglich in Frage kommenden Personen bereits im Hause gewesen sind.

Frau Ehrenstraßer oblag am Nachmittag zur Stunde, da der Bezirksrichter die Kanzlei verließ, der Lektüre eines italienischen Romanes, und hatte sich so sehr darin vertieft, daß sie die Anrede der in das Wohnzimmer gekommenen Köchin Cenzi, einer drallen Unterinnthalerin, überhörte. Cenzi wiederholte die Frage: „Ich bitt', Frau, was soll zum Abend gekocht werden?“

Frau Bianca richtete sich auf mit den Anzeichen hoher Entrüstung und zeterte: „Come? Was sein das Manieren? I sono eine gnädige Frau, eine perfetta, wirkliche Gnädige! Du müssen sagen ‚gnä' Frau‘ zu mir, capisca?!“

Demütig senkte Cenzi den Kopf und sprach dann: „Gnä' Frau, ich bitt', was soll ich zum Abend richten?“

„Das sein Sachen der cuciniera, ich haben keine Zeit!“

Ratlos stand das Mädchen vor der Gebieterin; erst vierzehn Tage im Haus und nicht ganz sicher vertraut mit der Kochkunst, weiß Cenzi nicht, wie sie sich zurechtfinden soll, zumal sie von der Sprache der Gnädigen nichts versteht.

„Bring' burro fresco con pane bianco! Kinder wollen Jause!“

Kopfschüttelnd entfernte sich das Mädchen, entschlossen, am nächsten Ersten zu kündigen.

Wenige Augenblicke später stürmten die Töchterchen zweiter Ehe, Mädchen mit wälschem Typus im Alter von sechs und fünf Jahren, im tempo furioso lärmend in die Wohnstube und begannen den Speisetisch zu umkreisen, wobei die Kinder wie toll um burro fresco (frische Butter) und Weißbrot schrieen.

Vergebens gebot Frau Bianca solchem Heidenlärm, die Mädchen kümmerten sich nicht im geringsten um das tace und lärmten weiter. Mama riß am Glockenzug, doch als vom Gesinde niemand kam, befahl sie Lina, dem Kindermädel aufzutragen, die Jause zu bringen.

Lina sprang hinaus, kam aber bald zurück, um in welscher Sprache zu berichten, daß von den Dienstboten niemand zu finden sei.

„Welche Wirtschaft!“ zeterte Mama und stürmte hinaus. Die Mädchen benutzten die Abwesenheit der Mutter, um die Tischlade einer Revision zu unterziehen, sowie im Buffet Nachsuche zu halten. Jubelnd wurde die Honigflasche entdeckt und ihres Inhaltes beraubt, Schwarzbrot wurde mit Öl aus der Karaffe beträufelt und gierig verzehrt. Unter gegenseitigen Püffen konnte es nicht anders sein, daß es Scherben gab, in Trümmern liegt die Huiliere am Boden und ihr Rest breitet sich zu einem prächtigen Oval auf dem Teppich aus, Honigspritzer bedecken Tisch und Stühle. Die jüngere Tochter erklomm auf einem Stuhl die Höhe, um im oberen Schrank des Büffets zur Marmelade zu gelangen, die von den kleinen Händchen aber nicht erfaßt werden konnte. Klirrend fiel das Glas um und riß noch andere mit und patsch schlug die Marmelade unten am Boden auf.

„Subito!“ schrieen die Racker von Mädchen und begannen den süßen Inhalt aufzutunken, indem sie sich auf den Boden setzten und schlankweg mit den Fingern die Marmelade zu Munde führten. In dieser reizvollen Situation traf Frau Bianca ihre Sprößlinge, und die Überraschung war so groß, daß die Richterin im Schrecken die Butterdose fallen ließ.

Die Mädchen benutzten die momentane Verwirrung, um in rasenden Sprüngen sich nach außen in Sicherheit zu bringen; Bianca stand allein vor der Bescheerung, fassungslos für den Augenblick, doch fand sie sogleich die Sprache wieder, als Herr Ehrenstraßer eintrat und in seiner ruhigen Weise der Gattin einen „Guten Abend“ wünschte.

Ein Wortschwall ergoß sich über den Richter, welcher verwundert den Scherbenhaufen betrachtete und sich ein spöttisches Lächeln nicht versagen konnte. „Eine schöne Bescheerung das! Die Mädels treiben es bunt!“

Sofort nahm Frau Ehrenstraßer Ihre Kinder in Schutz; schuld an den skandalösen Verhältnissen im Hause seien die Dienstboten und Emmy, die sich so viel wie gar nicht nach Recht und Pflicht um das Hauswesen kümmere.

Ein ernster Blick traf die Gattin und ebenso ernst klang die Erwiderung. „Das Hauswesen und die Führung des Haushaltes ischt doch wohl deine Sache als Frau und Mutter! Und Emmy ischt wohl deine Stieftochter, keinesfalls aber dein Dienstmädchen! Ich hoffe, du wirst dir das merken! Im übrigen dürfte Emmy die längste Zeit im Hause gewesen sein!“

„Come?“ rief überrascht die Gattin.

„Emmy war heute zu ganz ungewöhnlicher Zeit bei mir in der Kanzlei und gestand, daß der Sohn des Cementfabrikanten Ratschiller sie um ihre Hand gebeten habe!“

„Welche Neuigkeit! Und was haben du gesagt, carissimo?“

„Die Sache muß denn doch erst geprüft und überlegt werden!“

„Ha! Emmy sein also sposa felice, ich gratulieren! Gleich ich wollen der Braut wünschen Glück!“ Mit dem Feuer ihres südländischen Temperaments wollte Frau Bianca forteilen, die Stieftochter, welche ein Zimmer im oberen Stockwerk bewohnt, aufzusuchen.

Doch der Richter hielt die Gattin zurück. „Keine Übereilung, Liebste! Wir sind noch nicht so weit und“ — Ehrenstraßer hielt inne, er wollte es nicht aussprechen, daß ihn die übergroße Freude der Gattin über den Weggang Emmys aus dem Hause wenig angenehm berühre.

Aber Frau Bianca war Feuer und Flamme für das Heiratsprojekt und riß sich los.

„Bleib'! Und sorge dafür, daß die Bescheerung da weggeschafft wird! Man müßte sich ja schämen, wenn ein Besuch diese Wirtschaft erblickte!“

„Sollen Domestiken ausputzen! Ich müssen zu Emmy!“ Und fort rauschte die Gattin.

Herr Ehrenstraßer begab sich seufzend in seine Stube, die sein Tuskulum im sonst so lärmerfüllten Hause ist, wo er sich einigermaßen ungestört den Studien seines Faches hingeben kann in den wenigen ihm verbleibenden freien Stunden. Diesmal sollte dem fleißigen Manne freilich nur ein Halbstündchen Ruhe beschieden sein, denn die Mädchen hatten es bald los, daß Mama im obern Stockwerk bei Emmy weilt, und sogleich ward ein Kriegsspiel insceniert, dessen Lärm häuserweit zu hören war.

Der seelensgute Vater legte seufzend das juristische Litteraturblatt aus der Hand und begab sich in den Flur zum Schauplatz des Damenkrieges, um Ruhe zu gebieten.

Im drolligsten Kauderwelsch erklärten die Mädchen, daß sie ja nur ein Indianerspiel vollführten und Papa möge sie nicht stören.

„Kinder, gebt Ruhe! Der Lärm ischt zu groß! Mädchen sollen überhaupt ruhig spielen. Nehmt euere Puppen! Indianerspiele treiben nur wilde Buben!“

„Wir sein anche Bubi! Juih!“ lärmten die Racker und balgten sich wie toll.

„Herr meines Lebens! So kann es nicht weiter gehen! Ruhig, Kinder! Oder es setzt Hiebe ab!“

„Papa uns nit slag!“ lachten die Mädchen und wirbelten die Treppe hinunter, um im Garten weiter zu spielen.

„Eine heillose Wirtschaft!“ seufzte Ehrenstraßer und zog sich in seine Stube zurück.

Ärgerlich kam Frau Bianca von Emmy herunter. Die stürmischen Glückwünsche zur Verlobung hat die Stieftochter höflich, doch kühl entgegengenommen und dafür gedankt mit der Einschränkung, daß Papa seine Genehmigung noch nicht gegeben habe, daher die Angelegenheit noch nicht spruchreif sei. Allem weiteren Drängen auf Mitteilung, wo sich das Paar kennen und lieben gelernt, setzte Emmy Schweigen gegenüber und bat schließlich, ihr die Antwort erlassen zu wollen. So sah denn die Stiefmama ihre Neugierde unbefriedigt und verletzt zog sie andere Saiten auf, indem sie scharfen Tones Emmy ersuchte, unten im Wohnzimmer gefälligst Ordnung zu schaffen.

„Ich komme gleich!“ hatte Emmy erwidert, als Frau Ehrenstraßer grollend ihre Stube verließ.

„Sangue della Madonna!“ rief die Richterin unten angelangt und ballte die Hände zu Fäusten, als sie von ihren dienstbaren Geistern nicht einen erblickte, und stürmte von Stube zu Stube, bis ein Glockenzeichen sie zur Korridorthüre rief.

„Sangue di Dio! Welche liebe Besuch! Complimenti! Prego, tretten Sie ein, casa mia stehen Sie zu Dienst!“ begrüßte die Dichterin die Besucherin, Frau Rosa von Bauerntanz, die Gattin des Bezirksarztes, eine hübsche, blonde Erscheinung, die freilich unter einer altmodischen Toilette wenig zur Geltung kommen konnte.

Der Besuch wurde unter lebhaften Beteuerungen der Freude ins Wohnzimmer geleitet; Frau Ehrenstraßer erschrak wohl beim Anblick der noch immer nicht beseitigten Bescheerung, wußte aber sogleich eine Entschuldigung, indem sie der Besucherin erzählte, die Bescheerung sei die Folge eines urplötzlich gekommenen Ereignisses.

„Ein Ereignis!? Ach, erzählen Sie doch, liebste Frau von Ehrenstraßer!“ rief in größter Neugier die Arztensgattin.

„Ja, große Ereignis! Momento grande! Emmy sein sposa felice!“

„Was ischt sie?“

„Sposa, Braut!“

„Nicht möglich! Mit wem ischt sie denn so geschwind verlobt worden! Nein, eine solche Neuigkeit! So reden Sie doch, liebste Freundin! Bitte aber möglichst deutsch, sonst entgeht mir das Wichtigste!“

Eigentlich weiß Bianca selbst so viel wie nichts, doch erzählte sie, mühsam nach deutschen Worten suchend, daß der Sohn des Cementfabrikanten Ratschiller die Emmy schon seit langer Zeit liebe, es aber bis vor wenigen Stunden nicht gewagt habe, sich zu erklären.

„Was, der Ratschiller Franz?“

„Si, si! Haben Sie etwas contra?“

Frau von Bauerntanz errötete und biß sich auf die Lippen. Nicht um ein Rittergut würde sie jetzt eingestehen, daß sie geglaubt, in jenem jungen Mann einen stillen Verehrer ihrer Person sehen zu dürfen. Gewandt lenkte sie das Thema wieder auf die Verlobungsangelegenheit.

Mit Behagen erzählte Bianca weiter. Besagter junger Mann hätte heute um Emmy angehalten und die Überraschung sei so groß gewesen, daß die Kinder die noch am Boden liegenden Gläser hätten fallen lassen.

„So? Ja, sind denn die kleinen Kinder in dieser Sache gefragt worden?“

„Come, ich nicht verstehen, was meinen!“

Die Doktorin dachte sich ihren Teil und fragte nach der Antwort, die der Herr Bezirksrichter als Vater gegeben habe.

„Si, si, haben meine Mann gesagt! Ist gute Partie, der Bräutigam sein molto ricco, sehr reich!“

„So, so! Ich gratuliere bestens! Nein, eine solche Neuigkeit! Aber nun muß ich trachten, weiterzukommen! Gott! Wird sich die Bezirkshauptmännin ärgern! Die hat geglaubt, den jungen Ratschiller für ihre Tochter bereits eingefangen zu haben und jetzt ist es nichts! Brühwarm soll die Hauptmännin diese Neuigkeit erfahren! 'pfehl mich sehr! Hab' die Ehre, liebste Frau Bezirksrichter, auf Wiedersehen, 'pfehl mich sehr!“

Schneller als sonst üblich vollzog sich die Verabschiedung, und Frau Bianca stand allein, ehe sie noch wußte, wie die Doktorin nur aus der Wohnung gekommen sei. Vom Erkerfenster aus konnte die Richterin sehen, daß Frau von Bauerntanz im Eilschritt der Bezirkshauptmannschaft zustapfte und mählich kam Bianca der Gedanke, daß die Doktorin nun wohl mit der Neuigkeit hausieren gehen werde. Ob das nicht verfrüht ist?

Eine Ablenkung von solchen nicht gerade angenehmen Gedanken brachte die Rückkehr Cenzis vom Fleischer und nun folgte eine dramatisch bewegte Scene, die schließlich mit der sofortigen Entlassung der Köchin endete. Das Kindermädel wäre zwar auch reif zum Davonjagen, doch ist es nicht angängig, das Personal zur Gänze an ein und demselben Tage zu entlassen.

Bis es Zeit zum Abendimbiß wurde, war die Unterinnthalerin mit Sack und Pack bereits aus dem Hause.

Ehrenstraßer erfuhr diese Neuigkeit während der Abendmahlzeit und nahm sie schweigend zur Kenntnis. Wäre Emmy nicht eingesprungen, hätte die Familie überhaupt nichts zu essen gehabt.

Der Richter nahm Emmy dann in seine Stube mit, um den Fall durchzusprechen. Bianca aber brachte die Kinder zu Bett, was natürlich nicht ohne Spektakel abging und haderte dann mit sich und ihrem Schicksal, bis es auch für sie Zeit zur Nachtruhe wurde.

Bergrichters Erdenwallen

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