Читать книгу Der Hund der Baskervilles - Arthur Conan Doyle, Исмаил Шихлы - Страница 4
2. Der Fluch der Baskervilles
Оглавление»Ich habe ein Manuskript in meiner Tasche«, sagte Dr. James Mortimer.
»Das habe ich gesehen, als Sie ins Zimmer kamen«, bemerkte Holmes.
»Es ist eine alte Handschrift.«
»Beginn des 18. Jahrhunderts – wenn es keine Fälschung ist.«
»Woher wissen Sie das?«
»Während Sie sprachen, haben Sie mir ein oder zwei Zoll davon gezeigt. Es müßte schon ein unfähiger Experte sein, wer nicht imstande wäre, das Alter eines Dokuments auf zehn Jahre genau zu bestimmen. Vielleicht haben Sie meine kleine Monographie zu diesem Thema gelesen. Ich schätze es auf ungefähr 1730.«
»Die genaue Jahreszahl ist 1742.« Dr. Mortimer zog das Papier aus seiner Brusttasche hervor. »Dieses Familiendokument wurde mir von Sir Charles Baskerville anvertraut, dessen plötzlicher und tragischer Tod vor etwa drei Monaten in ganz Devonshire so viel Aufregung verursacht hat. Ich darf wohl sagen, daß ich ebenso sein persönlicher Freund wie sein ärztlicher Berater war. Er war ein willensstarker Mann, Sir, scharfsinnig, praktisch und ebenso phantasielos wie ich selbst. Trotzdem hat er dieses Dokument sehr ernst genommen, und er war auf genau solch ein Ende vorbereitet, wie es ihm dann tatsächlich beschieden war.«
Holmes streckte die Hand nach dem Manuskript aus, nahm es und strich es auf seinem Knie glatt.
»Beachten Sie, Watson, daß abwechselnd das kurze und das lange s benutzt werden. Das ist eine von verschiedenen Indikationen, die es mir ermöglicht haben, die Jahreszahl zu bestimmen.«
Ich blickte über seine Schulter hinweg auf das vergilbte Papier und die verblaßte Schrift. Oben stand Baskerville Hall geschrieben und darunter in großen, ungelenken Ziffern: »1742«.
»Es scheint eine Art Bericht zu sein?«
»Ja, es ist die Aufzeichnung einer bestimmten Legende, die die Familie Baskerville betrifft.«
»Aber ich denke, es ist ein moderneres und praktischeres Problem, dessentwegen Sie mich konsultieren wollen?«
»Sehr modern. Ein sehr praktisches, dringendes Problem, das binnen vierundzwanzig Stunden gelöst werden muß. Aber das Manuskript ist kurz und mit dieser Angelegenheit eng verbunden. Mit Ihrer Erlaubnis will ich es Ihnen vorlesen.«
Holmes lehnte sich zurück, legte seine Fingerspitzen aneinander und schloß mit einem Ausdruck der Resignation die Augen. Dr. Mortimer hielt die Handschrift ins Licht und las mit hoher, brüchiger Stimme die folgende sonderbare alte Erzählung vor:
»Über den Ursprung des Hundes der Baskervilles gibt es viele Schilderungen; da ich jedoch in gerader Linie von Hugo Baskerville abstamme, und da ich die Geschichte von meinem Vater erfahren, der wiederum sie von seinem Vater übernommen, habe ich sie so niedergeschrieben, in dem festen Glauben, daß alles so geschah, wie hier dargelegt. Und möchte ich, daß Ihr, meine Söhne, daran glauben sollet, daß dieselbe Gerechtigkeit, welche Sünden bestraft, sie ebenso gnädiglich vergeben mag, und daß kein Bann so schwer ist, daß nicht Gebet und Reue ihn aufhöben. Lernet also aus dieser Geschichte, nicht die Früchte der Vergangenheit zu fürchten, sondern in der Zukunft Umsicht walten zu lassen, daß nicht diese verderbten Leidenschaften, ob welcher unsere Familie so bitterlich gelitten, abermals zu unserem Unheil losbrechen.
Wisset also, daß in der Zeit der Großen Rebellion4 (deren Geschichte, aufgezeichnet vom gelehrten Lord Clarendon, ich ernstlichst Eurer Aufmerksamkeit anempfehle) dieses Herrengut von Baskerville einem Hugo desselben Namens gehörte, welcher ein besonders wilder, lästerlicher und gottloser Mensch war. Dies wahrlich hätten seine Nachbarn verzeihen mögen, sintemalen in diesen Landen Heilige nimmer gediehen, doch waren ihm Wollust und Grausamkeit eigen, die seinen Namen im ganzen Westen zu einem Sprichwort machten. Nun begab es sich, daß besagter Hugo die Tochter eines Freisassen, welcher nahe den Liegenschaften der Baskervilles Land besaß, liebte (wenn man denn solch düstre Leidenschaft mit solch lichtem Worte nennen kann). Aber die junge Maid, die bescheiden und guten Rufes war, mied ihn, da sie seinen üblen Namen fürchtete. So trug es sich zu, daß an einem St.-Michaels-Tag dieser Hugo mit fünf oder sechs seiner nichtigen und verruchten Gefährten sich an den Bauernhof heranschlich und die Maid entführte, wohl wissend um die Abwesenheit ihres Vaters und ihrer Brüder. Nachdem sie die Maid ins Herrenhaus gebracht, sperrten sie sie in ein hochgelegenes Gemach und ließen sich, wie es ihre allnächtliche Gewohnheit war, zu einem langen, üppigen Gelage nieder. Die arme Maid oben in ihrem Gemach mag außer sich geraten sein über dem Singen und Brüllen und den schrecklichen Flüchen, die zu ihr empordrangen, denn man sagt, daß die Worte, die Hugo Baskerville, des Weines voll, ausstieß, der Art waren, daß sie jenen, der sie sprach, zerschmettern müßten. Endlich tat sie in ihrer großen Angst, wovor der tapferste und tatkräftigste Mann zurückgeschreckt wäre: Mit Hilfe der Efeuranken, welche die Südmauern bedeckten und noch bedecken, klomm sie von der Traufe hinab und machte sich auf den Heimweg über das Moor, und es waren neun Meilen zwischen dem Herrenhaus und ihres Vaters Hof.
Eine Weile später verließ Hugo seine Gäste, um der Gefangenen Essen und Trinken – und vielleicht Schlimmeres – zu bringen, da fand er den Käfig leer und den Vogel ausgeflogen. Da wollte es scheinen, als sei ein Teufel in ihn gefahren; denn er raste die Treppe hinunter, stürzte in die Halle, sprang auf den großen Tisch, wobei Teller und Krüge zu Boden fielen, und schrie laut vor allen Versammelten, daß er heute nacht noch Leib und Seele dem Bösen verschreiben wolle, wenn es ihm nur gelänge, das junge Weib zu haschen. Und während die Saufkumpane angesichts der Wut des Mannes bestürzt dort stunden, rief einer von ihnen, verworfener oder vielleicht noch betrunkener als die anderen, daß man die Meute auf sie hetze. Hugo eilte darauf in den Hof und befahl den Reitknechten, seine Mähre zu satteln und das Pack aus dem Zwinger zu lassen. Dann warf er den Hunden ein Taschentuch der Maid vor, setzte sie auf die Spur an, und los brauste die wilde Jagd im Mondlicht über das Moor. Eine Weile standen die Kumpane offenen Mundes, unfähig zu begreifen, was dort in solcher Hast geschehen war. Alsbald ging jedoch ihren benebelten Sinnen die Art der Tat auf, die sich nun dort auf dem Moor vollziehen würde. Alles geriet in Aufruhr. Manche riefen nach ihren Pistolen, manche nach ihren Pferden und manche nach mehr Wein. Schließlich kehrte jedoch ein wenig Vernunft in ihre wirren Hirne ein und alle, dreizehn an der Zahl, sprangen auf ihre Pferde und nahmen die Verfolgung auf. Der Mond schien hell über ihnen und sie galoppierten wild dahin, in die Richtung, die auch die Maid eingeschlagen haben mußte, wollte sie ihr Heim erreichen.
Sie mochten eine oder zwei Meilen zurückgelegt haben, als sie auf einen der Nachthirten im Moor trafen und ihn anriefen, um zu erfahren, ob er die wilde Jagd gesehen habe. Und der Mann, so erzählt die Sage, war vor Furcht so von Sinnen, daß er kaum sprechen konnte. Endlich aber sagte er, er habe wohl die unglückselige Maid gesehen, mit den Hunden hart auf ihrer Spur. ›Aber ich habe mehr als das gesehen‹, sagte er, ›denn Hugo Baskerville ritt auf seiner schwarzen Stute an mir vorüber, und hinter ihm lief lautlos ein Höllenhund, und Gott sei davor, daß solch einer je auf meinen Fersen sei.‹
Da fluchten die berauschten Edelleute des Hirten und ritten weiter. Alsbald jedoch lief es ihnen kalt über den Rücken, denn über das Moor erscholl ein Galopp und die schwarze Stute, benetzt von weißem Schaum, jagte mit schleifendem Zügel und leerem Sattel an ihnen vorbei. Da drängten die Kumpane sich eng aneinander, denn große Furcht war über sie gekommen, aber trotzdem ritten sie weiter über das Moor hin, obzwar jeder einzelne, wäre er allein gewesen, sehr gern sein Pferd gewendet hätte. Langsam ritten sie so weiter und trafen schließlich auf die Hunde. Diese, die doch wegen ihrer Tapferkeit und Rasse bekannt waren, winselten dichtgedrängt am Rande einer tiefen Senke oder goyal, wie wir es nennen, im Moor. Einige schlichen sich davon, und andere starrten mit gesträubten Haaren das enge Tal vor ihnen hinab.
Die Gesellschaft hatte angehalten, jählings viel nüchterner, wie Ihr Euch denken könnt, denn bei ihrem Aufbruch. Die meisten wollten auch nicht weiter, aber drei von ihnen, die tapfersten oder vielleicht die berauschtesten, ritten den goyal hinab. Der Graben mündete in eine breite Fläche, auf welcher zwei jener großen Steine standen, die man noch heute dort sehen kann, und die in den Tagen der Vorzeit von vergessenen Menschen dort errichtet worden waren. Der Mond schien hell über der Lichtung, und da, in der Mitte, lag die unglückliche Maid, wie sie vor Erschöpfung und Angst tot zusammengebrochen war. Doch war es nicht der Anblick ihrer Leiche, noch der Anblick der Leiche Hugo Baskervilles, die in ihrer Nähe lag, bei welchem sich die Haare auf den Häuptern der drei gottlosen Raufbolde sträubten, sondern, daß über Hugo, an seinem Halse reißend, ein gräßlich Ding stund, eine große schwarze Bestie von der Gestalt eines Hatzhundes, doch größer denn alle Hatzhunde so sterbliches Auge je erblickt. Und dieweil sie schauten, riß das Ding die Gurgel aus Hugo Baskerville; dann wandte es seine flammenden Augen und triefenden Fänge auf die Männer. Die drei kreischten vor Angst und ritten, alleweil schreiend, über das Moor um ihr Leben. Einer, sagt man, sei in nämlicher Nacht gestorben, und die beiden anderen blieben für den Rest ihrer Erdentage nurmehr gebrochene Männer.
So, meine Söhne, geht die Sage von dem Erscheinen des Hundes, der seither die Familie so schrecklich heimgesucht. Wenn ich sie hier niedergeschrieben habe, ist es, weil das klar Gewußte minderen Schrecken birgt denn das Angedeutete und Rätselhafte. Auch ist nicht zu leugnen, daß viele Mitglieder der Familie unseligen Todes starben: jäh, blutig und mysteriös. Doch mögen wir uns in der unendlichen Güte der Vorsehung geborgen fühlen, welche doch nicht Unschuldige über das in der Heiligen Schrift bedrohte dritte und vierte Geschlecht hinaus züchtigen wird. Dieser Vorsehung, meine Söhne, empfehle ich Euch hiermit und rate Euch noch, in jenen dunklen Stunden, da die Kräfte des Bösen die Oberhand haben, vom Durchqueren des Moores abzusehen.
(Dies von Hugo Baskerville seinen Söhnen Rodger und John mit der Mahnung, ihrer Schwester Elizabeth nichts davon zu sagen.)«
Als Dr. Mortimer die Verlesung dieses einzigartigen Berichts beendet hatte, schob er seine Brille auf die Stirn und starrte zu Sherlock Holmes hinüber. Dieser gähnte und warf den Stummel seiner Zigarette ins Feuer.
»Nun?« sagte er.
»Finden Sie das nicht interessant?«
»Für einen Märchensammler – ja.«
Dr. Mortimer zog eine zusammengefaltete Zeitung aus seiner Tasche.
»Nun, Mr. Holmes, werden wir Ihnen etwas Aktuelleres bieten. Dies ist der Devon County Chronicle vom 14. Juni dieses Jahres. Es ist eine kurze Darstellung der Tatsachen, die anläßlich des wenige Tage zuvor erfolgten Ablebens von Sir Charles Baskerville bekannt wurden.«
Mein Freund beugte sich ein wenig vor, und sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. Unser Besucher schob seine Brille zurecht und begann:
»Der kürzlich erfolgte plötzliche Tod von Sir Charles Baskerville, dessen Name als voraussichtlicher Kandidat der Liberalen Partei für Mid-Devon anläßlich der nächsten Wahlen im Gespräch war, hat einen Schatten über die Grafschaft geworfen. Obwohl Sir Charles erst seit kurzer Zeit in Baskerville Hall residierte, haben seine Liebenswürdigkeit und außerordentliche Großherzigkeit die Liebe und Wertschätzung all jener gewonnen, die seine Bekanntschaft machten. In dieser Welt der nouveaux riches ist es erquickend, einen Fall zu finden, in dem der Sproß einer alten Familie, die schlechte Zeiten durchgemacht hat, imstande ist, selbst ein Vermögen zu erwerben und es heimzubringen, um den verblaßten Glanz seiner Ahnen wieder aufleben zu lassen. Bekanntlich hat Sir Charles große Summen in südafrikanischen Spekulationen erworben. Weiser als jene, die nicht aufhören wollen, ehe sich das Glück von ihnen wendet, hat er seinen Gewinn zu Geld gemacht und ist damit nach England zurückgekehrt. Erst vor zwei Jahren nahm er seinen Wohnsitz auf Baskerville Hall, doch ist es allgemein bekannt, wie umfassend seine Pläne für Wiederaufbau und Verbesserungen waren, Pläne, die durch seinen plötzlichen Tod unterbrochen sind. Selbst kinderlos, war es sein ausdrücklicher Wunsch, alle umgebenden Lande sollten zu seinen Lebzeiten an seinem Reichtum teilhaben, und sicher gibt es viele, die sein vorzeitiges Ableben aus persönlichen Gründen beklagen. Seine großmütigen Spenden für wohltätige Werke, sowohl in der Grafschaft als auch in seinem nächsten Umkreis, sind oftmals in diesen Spalten erwähnt worden.
Die Umstände des Todes von Sir Charles sind wohl durch die gerichtliche Untersuchung nicht ganz aufgeklärt worden, aber es ist wenigstens genug geschehen, um die aus örtlichem Aberglauben entstandenen Gerüchte verstummen zu lassen. Es gibt keinerlei Grund, ein Verbrechen zu vermuten oder den Tod einer anderen als einer natürlichen Ursache zuzuschreiben. Sir Charles war Witwer und ein Mann, den man in manchen Dingen als ein wenig exzentrisch veranlagt bezeichnen kann. Trotz seines beträchtlichen Wohlstands war er einfach in seinen persönlichen Ansprüchen, und seine häusliche Dienerschaft auf Baskerville Hall bestand nur aus einem Ehepaar namens Barrymore, wobei ihm der Mann als Butler und die Frau als Haushälterin diente. Nach ihren Angaben, die von mehreren Freunden bestätigt wurden, war Sir Charles' Gesundheit seit einiger Zeit geschwächt. Besonders erwähnt wurde ein Herzleiden, das sich in wechselnder Gesichtsfarbe, Atemnot und akuten Anfallen nervöser Depression geäußert hatte. Dr. James Mortimer, Freund und Arzt des Verstorbenen, hat im selben Sinne ausgesagt.
Die Umstände sind einfach. Sir Charles Baskerville pflegte abends vor dem Schlafengehen in der berühmten Eibenallee von Baskerville Hall auf und ab zu spazieren. Beide Barrymores bezeugen, daß dies seine Gewohnheit war. Am 4. Juni hatte Sir Charles die Absicht geäußert, am nächsten Tag nach London aufzubrechen, und Barrymore angewiesen, sein Gepäck vorzubereiten. Am selben Abend begab er sich auf seinen gewohnten Spaziergang, bei dem er eine Zigarre zu rauchen pflegte. Er kehrte nie zurück. Als Barrymore um Mitternacht die Haustür noch offen fand, wurde er unruhig, zündete eine Laterne an und begab sich auf die Suche nach seinem Herrn. Es hatte an diesem Tag geregnet, und Sir Charles' Fußspuren waren in der Allee leicht erkennbar. Auf halbem Weg befindet sich ein Tor, das auf das Moor hinausführt. Es war ersichtlich, daß Sir Charles kurze Zeit dort gestanden hatte. Dann war er weitergegangen, und seine Leiche wurde am Ende der Allee aufgefunden. Eine der unerklärten Tatsachen ist Barrymores Behauptung, die Fußabdrücke seines Herrn hätten sich von dem Augenblick, als er das Tor verlassen hatte, verändert, und er scheine von da an auf Zehenspitzen gegangen zu sein. Ein gewisser Murphy, Zigeuner und Pferdehändler, überquerte um jene Zeit in nächster Nähe das Moor, doch scheint er seinem eigenen Bekenntnis zufolge angetrunken gewesen zu sein. Er sagt, er habe Schreie gehört, die genaue Richtung, aus der sie kamen, jedoch nicht feststellen können. An Sir Charles' Leichnam waren keinerlei Zeichen von Gewalt zu sehen, und obwohl der Befund des Arztes von einer nahezu unglaublichen Verzerrung der Gesichtszüge spricht – die so stark war, daß Dr. Mortimer anfangs nicht glauben wollte, daß sein Freund und Patient vor ihm lag –, scheint es sich um ein Symptom zu handeln, das in einem Falle von Herzlähmung nicht selten ist. Diese Erklärung wurde durch den Obduktionsbefund bestätigt, der ein altes Herzleiden feststellte, und die Leichenschau-Kommission entschied in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Zeugnis. Es ist gut, daß dem so ist, denn es ist gewiß von großer Wichtigkeit, daß sich Sir Charles' Erbe in Baskerville Hall niederläßt und die guten Werke fortsetzt, die so jäh unterbrochen wurden. Wenn das nüchterne Urteil des Coroner5 nicht mit den abenteuerlichen Geschichten aufgeräumt hätte, die im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit gemunkelt wurden, wäre es sicher schwer gewesen, einen Bewohner für Baskerville Hall zu finden. Der nächste Verwandte ist dem Vernehmen nach, falls er noch lebt, Mr. Henry Baskerville, der Sohn von Sir Charles Baskervilles jüngerem Bruder. Als man zuletzt von ihm hörte, war der junge Mann in Amerika, und Nachforschungen wurden bereits eingeleitet, um ihn von dem ihm zufallenden Erbe zu verständigen.«
Dr. Mortimer faltete die Zeitung zusammen und steckte sie wieder in die Tasche.
»Dies, Mr. Holmes, sind die allgemein bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, meinte Sherlock Holmes, »daß Sie mich auf einen Fall aufmerksam machen, der sicherlich viel Interessantes an sich hat. Ich habe zu jener Zeit einige Zeitungsberichte darüber gelesen, aber ich war damals mit dieser kleinen Angelegenheit der vatikanischen Kameen sehr beschäftigt, und in meinem Bestreben, dem Papst gefällig zu sein, habe ich den Überblick über einige interessante Fälle in England verloren. Dieser Artikel, sagen Sie, enthält alle allgemein bekannten Umstände?«
»So ist es.«
»Dann lassen Sie mich die unbekannten Umstände wissen.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und setzte seine gleichmütigste und kritischste Miene auf.
»Wenn ich das tue«, erklärte Dr. Mortimer, der Anzeichen starker Gemütsbewegung aufwies, »sage ich etwas, das ich noch niemandem anvertraut habe. Mein Beweggrund dafür, daß ich es dem Coroner vorenthalten habe, ist der, daß ein Mann der Wissenschaft davor zurückschreckt, in der Öffentlichkeit einem bestehenden Aberglauben das Wort zu reden. Weiter war es ein Motiv für mich, daß, wie die Zeitung sagt, Baskerville Hall nicht bewohnt werden würde, wenn sein ohnehin recht düsterer Ruf Bestätigung fände. Aus diesen beiden Gründen fühlte ich mich berechtigt, eher weniger zu sagen, als ich wußte, da etwas anderes auch keinen praktischen Sinn gehabt hätte. Aber Ihnen gegenüber kann ich vollkommen aufrichtig sein.
Das Moor ist sehr spärlich besiedelt, und die Menschen, die dort in der Nähe voneinander wohnen, halten natürlich zusammen. Daher habe ich Sir Charles Baskerville oft besucht. Mit Ausnahme von Mr. Frankland auf Lafter Hall und Mr. Stapleton, dem Naturforscher, gibt es im Umkreis von vielen Meilen keinen gebildeten Menschen. Sir Charles war von Natur aus zurückhaltend, aber der Zufall seiner Krankheit brachte uns zusammen, und ein gemeinsames Interesse für alles Wissenschaftliche vertiefte unsere Freundschaft. Er hatte aus Südafrika manch wissenschaftliche Kenntnis mitgebracht, und wir haben viele angenehme Abende mit Diskussionen über die vergleichende Anatomie des Buschmannes und des Hottentotten verbracht.
Im Laufe der letzten Monate wurde mir immer klarer, daß Sir Charles' Nervensystem aufs äußerste angespannt war. Er hatte sich diese Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen, so sehr, daß, obschon er auf seinem eigenen Grund und Boden spazieren ging, ihn nichts dazu bringen konnte, in der Nacht auf das Moor zu gehen. So unwahrscheinlich es für Sie klingen mag, Mr. Holmes, er war davon ehrlich überzeugt, daß ein schreckliches Unheil über seiner Familie hing; und die Geschichten, die er mir von seinen Vorfahren erzählte, waren ganz und gar nicht ermunternd. Die Vorstellung eines gespenstischen Wesens hat ihn unablässig heimgesucht, und mehr als einmal hat er mich gefragt, ob ich auf meinen nächtlichen Arztvisiten nie eine sonderbare Kreatur gesehen oder das Bellen eines Hundes gehört hätte. Letztere Frage hat er mir mehrfach gestellt, und immer mit einer vor Erregung bebenden Stimme.
Ich erinnere mich genau, wie ich, ungefähr drei Wochen vor dem Unglückstag, abends zu seinem Haus fuhr. Zufällig befand er sich im Portal der Hall. Ich war aus meinem Wagen ausgestiegen und stand ihm gegenüber, als ich plötzlich sah, wie seine Augen über meine Schulter hinwegstarrten, mit einem Ausdruck entsetzlichen Grauens. Ich habe mich rasch umgedreht und gerade noch etwas gesehen, das mir wie ein großes schwarzes Kalb vorkam und das am Ende der Zufahrt vorüberging. Er war so aufgeregt und verängstigt, daß ich zu der Stelle, wo das Tier gewesen war, zurückgehen mußte, um es zu suchen. Es war aber verschwunden, und der Zwischenfall schien einen entsetzlichen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Ich bin den ganzen Abend bei ihm geblieben, und bei dieser Gelegenheit war es, daß er, um seine Erregung zu erklären, mir zu treuen Händen das Dokument übergab, das ich Ihnen soeben vorgelesen habe. Ich erwähne diese Begebenheit, weil sie in Anbetracht der nachfolgenden Tragödie an Wichtigkeit gewinnt, aber damals war ich davon überzeugt, daß die Sache ganz harmlos sei und seine Aufregung darüber vollkommen unberechtigt.
Auf meinen Rat hin war Sir Charles im Begriff, nach London zu reisen. Ich wußte, daß sein Herz angegriffen war, und die stete Angst, in der er lebte, so chimärisch auch deren Ursache sein mochte, war offensichtlich ernsthaft schädlich für seine Gesundheit. Ich dachte, einige Monate in der Stadt mit ihren Zerstreuungen würden einen anderen Menschen aus ihm machen. Mr. Stapleton, ein gemeinsamer Freund, der sich große Sorgen um Sir Charles' Gesundheit machte, war derselben Meinung. Im letzten Augenblick kam es dann zu dieser entsetzlichen Katastrophe.
In der Nacht von Sir Charles' Tod schickte Barrymore den Reitknecht Perkins zu Pferde zu mir. Da ich noch wach war, konnte ich Baskerville Hall eine Stunde nach dem Unglück erreichen. Ich habe alle Einzelheiten, die später bei der Untersuchung erwähnt wurden, überprüft und bestätigt. Ich bin den Fußspuren durch die Eibenallee gefolgt, habe die Stelle neben dem Tor zum Moor gesehen, wo er anscheinend gewartet hat; ich habe die Veränderung der Fußabdrücke von dort an bemerkt, ich habe gesehen, daß es außer denen von Barrymore keine anderen Fußspuren auf dem weichen kiesbedeckten Boden gab, und schließlich habe ich sorgfältig die Leiche untersucht, die bis zu meiner Ankunft nicht berührt worden war. Sir Charles lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Gesicht, seine Finger waren in den Boden gekrallt und seine Züge von gewaltiger Erregung so verzerrt, daß ich seine Identität kaum hätte beschwören können. Ganz sicher gab es keinerlei körperlichen Schaden. Aber eine der Angaben, die Barrymore bei der Untersuchung gemacht hat, ist falsch. Er hat gesagt, um die Leiche herum seien keinerlei Spuren auf dem Boden gewesen. Er hatte keine gesehen. Aber ich. Sie waren wohl etwas weiter entfernt, aber frisch und deutlich sichtbar.«
»Fußspuren?«
»Fußspuren.«
»Von einem Mann oder von einer Frau?«
Dr. Mortimer blickte uns einen Augenblick lang sonderbar an, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, als er antwortete:
»Mr. Holmes, es waren die Fußspuren eines gigantischen Hundes!«