Читать книгу Die tanzenden Männchen - Arthur Conan Doyle, Исмаил Шихлы - Страница 6
Оглавление»Haben Sie diese frischen Figuren auch kopiert?«
»Ja, es sind nur wenige; hier sind sie.«
Er zog abermals ein Papier aus der Tasche, das folgende Zeichen enthielt:
»Sagen Sie 'mal,« fragte Holmes, dem ich die starke Erregung an den Augen ansehen konnte, »war dies ein bloßer Zusatz zu der ersten Reihe, oder machte es den Eindruck, als ob es gar nicht dazu gehörte?«
»Es stand auf einem ganz anderen Teil des Tores.«
»Großartig! Das ist von der größten Bedeutung zur Erreichung unseres Zwecks. Es erfüllt mich mit neuen Hoffnungen. Nun, erzählen Sie weiter, Herr Cubitt.«
»Ich kann nur noch hinzufügen, Herr Holmes, daß ich auf meine Frau sehr böse war, weil sie mich in jener Nacht daran verhindert hatte, den heimtückischen Burschen womöglich in meine Gewalt zu bekommen. Sie sagte zwar, sie hätte sich gefürchtet, es möchte mir ein Leid geschehen, aber einen Augenblick kam mir der Gedanke, daß sie in Wirklichkeit gefürchtet haben möchte, daß er Schaden nehme, denn ich konnte nicht daran zweifeln, daß sie den Mann und auch die Bedeutung dieser Zeichen kannte. Doch in der Stimme meiner Frau liegt ein Klang und in ihren Augen ein Ausdruck, der alle Zweifel verscheucht, und ich bin jetzt wieder der festen Ueberzeugung, Herr Holmes, daß sie tatsächlich um mein eigenes Wohl besorgt war. – Ich habe Ihnen hiermit den ganzen Fall genau dargestellt und bitte Sie nun um Ihren Rat, was zu tun ist. Ich selbst möchte am liebsten ein halbes Dutzend meiner Leute aufstellen und dem Kerl, wenn er wieder kommt, eine so derbe Lektion erteilen lassen, daß er uns in Zukunft in Frieden läßt.«
»Ich fürchte, dieser Fall ist schon zu weit vorgeschritten und nicht mehr durch eine so einfache Kur zu heilen,« sagte Holmes. »Wie lange können Sie in London bleiben?«
»Ich muß heute wieder zurück, unbedingt. Ich möchte meine Frau um alles in der Welt nicht allein lassen während der Nacht. Sie ist sehr nervös und bat mich dringend, zurückzukehren.«
»Wenn's so steht, kann ich Ihnen nur recht geben. Aber wenn Sie einen oder zwei Tage Zeit gehabt hätten, würde ich dann vielleicht mit Ihnen nach Hause gefahren sein. Lassen Sie mir alle diese Zettel unterdessen hier. Ich denke, ich werde Ihnen höchstwahrscheinlich in kurzem einen Besuch machen und einiges Licht in diese dunkle Sache bringen können.«
Holmes bewahrte während der Anwesenheit unseres Besuchers seine geschäftsmäßige Ruhe, obgleich er stark erregt war, wie ich wohl merkte. Sobald aber Hilton Cubitts breiter Rücken in der Tür verschwunden war, schritt er schnell zum Schreibtisch, breitete die sämtlichen Papierzettel darauf vor sich aus und begann eine schwierige und mühsame Berechnung. Zwei Stunden lang beobachtete ich ihn, wie er ein Blatt nach dem anderen mit Figuren und Zeichen beschrieb und so sehr in die Arbeit vertieft war, daß er meine Gegenwart augenscheinlich ganz vergessen hatte. Manchmal, wenn es mit seiner Lösung vorwärts ging, fing er an zu pfeifen und zu singen, manchmal, wenn er in Verlegenheit kam, sah er längere Zeit mit gerunzelter Stirn starr vor sich hin. Endlich sprang er mit einem Ausruf der Befriedigung vom Stuhl auf und ging, sich die Hände reibend, im Zimmer auf und ab. Dann nahm er ein Depeschenformular und setzte ein langes Telegramm auf. »Wenn ich darauf die gewünschte Antwort erhalte, wirst du einen sehr hübschen Fall für deine Sammlung bekommen, Watson,« sagte er dann zu mir. »Ich hoffe, daß wir morgen nach Norfolk hinunter fahren können, um unserem Freund definitiven Bescheid bezüglich seiner Kümmernis zu bringen.«
Ich muß gestehen, daß ich neugierig war. Da ich aber wußte, daß Holmes seine Enthüllungen zu seiner Zeit und auf seine eigene Weise bekannt zu geben pflegte, so wartete ich geduldig, bis es ihm passen würde, mich ins Vertrauen zu ziehen.
In der Beantwortung des Telegramms trat jedoch eine Verzögerung ein. Es folgten zwei Tage, während deren Holmes sehr ungeduldig war und bei jedem Klingeln emporfuhr. Am Abend des zweiten Tages traf dagegen wieder eine Nachricht von Cubitt ein. Es sei alles ruhig geworden, nur heute morgen habe er an der Sonnenuhr eine lange Reihe tanzender Männchen gefunden. Er lege eine Abschrift derselben bei. Sie sah folgendermaßen aus:
Holmes beugte sich einige Minuten über diese seltsamen Zeichen, dann stieß er plötzlich einen Schrei der Ueberraschung und des Entsetzens aus. Sein Gesicht war ganz entstellt von Schrecken.
»Wir haben der Sache nun lange genug ihren Lauf gelassen,« sagte er, »es ist die höchste Zeit, daß wir einschreiten. Geht heute nacht noch ein Zug nach North Walsham?«
Ich sah sofort auf dem Fahrplan nach. Der letzte war gerade abgegangen.
»Dann müssen wir morgen bald frühstücken und gleich den ersten Zug benutzen,« war seine Antwort. »Unsere Anwesenheit ist dringend nötig. Aha, hier kommt auch die erwartete Depesche. Einen Augenblick, Frau Hudson, vielleicht muß ich darauf antworten. Nein, es ist gut so. Diese Nachricht zeigt noch deutlicher, daß wir keine Minute Zeit verlieren dürfen, um Cubitt vom Stand der Dinge in Kenntnis zu setzen. Der gute Mann ist in ein gefährliches Netz geraten.«
Tatsächlich erwies es sich so. Und auch jetzt, wo ich nun das Ende dieser tragischen Geschichte erzählen muß, die mir anfangs kindisch und töricht erschienen war, empfinde ich wieder von neuem jenen Schauder und Schrecken, der mir damals durch die Glieder ging. Ich wünschte, meinen Lesern einen glücklicheren Ausgang berichten zu können. Ich muß jedoch den Vorgang so schildern, wie er sich wirklich zugetragen hat, und darf auch das schreckliche Ende nicht verschweigen, das Riding eine Zeitlang zu einer traurigen Berühmtheit verholfen hat.
Wir waren kaum in North Walsham ausgestiegen und hatten einen Wagen zu unserer Weiterreise bestellt, als der Stationsvorstand auf uns zueilte und uns anredete:
»Ich vermute, daß Sie die Londoner Geheimpolizisten sind?«
Holmes war durch diese Frage unangenehm berührt.
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil Inspektor Martin aus Norwich auch eben durchgekommen ist. Vielleicht sind Sie auch die Aerzte. Sie ist nicht tot – wenigstens nach den letzten Nachrichten noch nicht. Möglicherweise treffen Sie noch rechtzeitig ein, um sie vom Tode zu retten – wenn's auch nur für den Galgen ist.«
Holmes' Antlitz verfinsterte sich.
»Wir wollen allerdings nach Riding,« sagte er, »aber von dem, was sich nach Ihren Reden dort zugetragen hat, haben wir noch nichts gehört.«
»Ein furchtbares Blutbad,« fuhr der Bahnhofsvorsteher fort, »sie sind beide erschossen, Herr Cubitt und seine Frau. Sie hat ihn erschossen und dann sich selbst – wenigstens sagt das Personal so aus. Er ist bereits gestorben, und sie schwebt in Lebensgefahr. Heiliger Herr! eine der ältesten und geachtetsten Familien in der ganzen Grafschaft.«
Ohne ein Wort zu verlieren sprang Holmes in den Wagen. Er sprach während der ganzen Fahrt kein Wort. Ich habe ihn selten in einer so verzweifelten Stimmung gesehen. Er war schon von Anfang an unruhig gewesen, und hatte, wie mir nicht entgangen war, die Morgenzeitungen ängstlich durchgeblättert; aber diese plötzliche Verwirklichung seiner schlimmsten Befürchtungen hatte ihn vollends niedergedrückt. Er saß zurückgelehnt in seiner Ecke und war in düsteres Nachdenken versunken, trotzdem es vielerlei Interessantes zu sehen gab, denn wir fuhren durch eine der schönsten und eigenartigsten Gegenden in ganz England. Kleine, zerstreut liegende Häuschen repräsentierten die heutige Zeit, während die gewaltigen Kirchen mit den viereckigen Türmen, welche sich zu beiden Seiten des Weges aus der flachen, grünen Landschaft hervorhoben, von dem Reichtum und der Macht Alt-Englands Zeugnis ablegten. Endlich sah man hinter der grünen Küste von Norfolk die blauen Fluten der Nordsee auftauchen, und der Kutscher zeigte mit der Peitsche auf zwei alte Giebel aus Stein- und Holzfachwerk, die hinter einem Haine hervorlugten. »Das ist Riding,« sagte er.
Als wir durch das Parktor die Allee entlang fuhren, erblickte ich gerade vor uns die alte Remise und die Sonnenuhr, an die sich so merkwürdige Beziehungen knüpften. Aus einem Jagdwagen war eben ein flinker, kleiner Mann mit einem großen, gewichsten Schnurrbart ausgestiegen. Er stellte sich uns selbst als Inspektor Martin von der Norfolker Kriminalpolizei vor, und zeigte sich nicht wenig erstaunt, als er den Namen meines Gefährten hörte.
»Ei, Herr Holmes, das Verbrechen ist erst heute nacht um drei Uhr verübt worden, wie konnten Sie das schon in London wissen und so früh am Tatort eintreffen wie ich?«
»Ich ahnte es. Ich kam in der Absicht, es zu verhüten.«
»Dann müssen Sie Material haben, das wir nicht kennen; denn soviel uns gesagt worden ist, hat das Ehepaar sehr einig gelebt.«
»Ich kenne nur die Geschichte von den tanzenden Männchen,« erwiderte Holmes. »Ich werde Ihnen das später auseinandersetzen. Zunächst will ich, da ich das Unglück nicht habe verhüten können, diese meine Kenntnis benutzen, um den Täter zu ermitteln. Wollen Sie mich bei diesen Nachforschungen unterstützen, oder wollen Sie lieber unabhängig von mir vorgehen?«
»Es würde mich außerordentlich freuen, wenn ich mit Ihnen zusammen arbeiten dürfte, Herr Holmes,« antwortete der Inspektor ernst.
»Dann wollen wir unverzüglich den Tatbestand aufnehmen und danach gleich mit den Vorarbeiten anfangen.«
Inspektor Martin war so vernünftig, meinen Freund allein gewähren zu lassen und sich damit zu begnügen, die Resultate sorgfältig zu notieren. Der Arzt des Ortes, ein älterer Herr mit weißem Haar und Bart, kam gerade aus dem Zimmer der Frau Cubitt. Er teilte uns mit, daß ihre Verletzungen zwar schwer, aber nicht unbedingt tödlich seien. Die Kugel sei durch das Stirnbein ins Gehirn gedrungen, und es würde voraussichtlich längere Zeit dauern, ehe sie das Bewußtsein wieder erlangen würde. Auf die Frage, ob sie erschossen worden sei, oder sich selbst erschossen habe, wagte er keine bindende Antwort zu geben. Es sei nur soviel sicher, daß die Kugel aus unmittelbarer Nähe gekommen sei. Im Zimmer sei nur ein Revolver gefunden worden, aus dem zwei Patronen abgefeuert worden seien. Herr Cubitt sei mitten ins Herz getroffen. Es wäre ebenso gut denkbar, daß er sie zuerst und dann sich selbst getötet habe, denn die Schußwaffe läge auf dem Boden in der Mitte zwischen beiden.
»Ist die Leiche schon von der Stelle geschafft worden?« fragte Holmes.
»Es wurde nur die schwerverwundete Frau weggetragen, denn man konnte sie unmöglich auf dem Boden liegen lassen.«
»Wie lange sind Sie schon hier, Herr Doktor?«
»Seit vier Uhr.«
»Ist sonst noch jemand hier?«
»Ja, der Polizeidiener hier.«
»Und Sie haben nichts angefaßt?«
»Gar nichts.«
»Dann sind Sie sehr vernünftig gewesen. Wer hat Sie holen lassen?«
»Das Hausmädchen Saunders.«
»Hat sie Lärm geschlagen?«
»Sie und die Köchin, Fräulein King.«
»Wo sind die Mädchen jetzt?«
»Ich glaube, in der Küche.«
»Dann wollen wir sie sofort verhören.«
Die alte Vorhalle mit Eichenholztäfelung und den hohen Fenstern wurde in einen Gerichtssaal verwandelt. Holmes nahm auf einem großen altmodischen Lehnstuhl Platz. Er war ernst und niedergeschlagen, aber in seinem Blick lag Trotz und Unerbittlichkeit. Ich konnte in seinen Augen den festen Vorsatz lesen, daß er seinen Klienten, den er leider nicht gerettet hatte, wenigstens unter allen Umständen rächen wollte. Der Inspektor, der alte grauhaarige Landdoktor, ein Ortspolizist und ich bildeten die Beisitzer dieses eigenartigen Gerichtshofes.
Die beiden Mädchen gaben eine ziemlich klare Darstellung des Vorfalls. Sie waren bei einem lauten Knall aus dem Schlaf aufgewacht; kurz darauf hatten sie einen zweiten gehört. Sie schliefen in zwei aneinander stoßenden Kammern. Fräulein King war zur Saunders gestürzt, und sie waren zusammen die Treppe hinuntergelaufen. Die Tür des Arbeitszimmers stand offen, und auf dem Tisch brannte eine Kerze. Ihr Herr lag mitten im Zimmer auf dem Fußboden, das Gesicht nach unten gekehrt. Er war vollständig tot. In der Nähe des Fensters lag seine Frau, mit dem Kopf an die Wand gelehnt. Sie hatte eine furchtbare Verwundung, und die eine Seite war ganz von Blut überströmt. Sie gab noch Lebenszeichen von sich, konnte aber nicht sprechen. Gang und Zimmer waren voll von Pulverdampf. Das Fenster war zu und von innen geschlossen. In diesem Punkt stimmten die Aussagen beider Mädchen vollständig überein. Sie hatten sofort zum Arzt und zur Polizei geschickt. Dann hatten sie mit Hilfe des Dieners und des Stallburschen ihre verwundete Herrin in ihr Zimmer gebracht. Beide Ehegatten hatten vorher das Bett benutzt. Die Frau war angekleidet, der Mann hatte über den Unterkleidern seinen Schlafrock an. Im Arbeitszimmer war nichts angerührt, es stand noch jedes Ding an seinem Platz. Soweit die Mädchen wußten, hatten die Eheleute im besten Einvernehmen gelebt und allgemein als ein sehr glückliches Paar gegolten.