Читать книгу Marylin - Arthur Rundt - Страница 7
III.
ОглавлениеNewton verließ das Hotel wie gewöhnlich, nachmittags um fünf Uhr.
Es gab immer noch ein paar kleine Hindernisse, bevor er wirklich fort konnte. Irgendein Gast verlangte eine Auskunft, wenn er schon in Hut und Mantel durch die Halle ging, einer besonders anspruchsvollen Dame waren ein paar freundliche Worte zu sagen oder einem der Beamten ein Auftrag zu erteilen.
Als er endlich durch die große Drehtür auf die Straße gelangte und schon ein paar Schritte gegangen war, rief es hinter ihm her: »Hallo, Charlie! Wart’ einen Moment! Hab’ mit dir zu reden.« Es war Philip.
»Wieso bist du noch da? Ich denke, du warst um drei Uhr frei.«
»Hab’ auf dich gewartet. Es ist wichtig.«
Newton im Dienst war ein anderer als jener Charlie, den Philip auf dem Omnibusdach getroffen hatte. Das wußte Philip, deshalb hatte er gewartet. Newton hinter seinem Pult oder Newton, wenn er, die Hände auf dem Rücken gefaltet, inspizierend über den breiten Teppichläufer des Hotels ging, hatte immer ein paar würdige Falten auf der Stirn; draußen war er trotz seiner sechsunddreißig bei keinem Streich ein Spielverderber.«
»Was ist los, Philip?«
»Denk’ nicht, daß ich undankbar bin. Ich weiß, wie nett du dich gegen mich benommen hast, aber ich muß aus dem Prince Albert fort!«
Newton warf den Kopf zur Seite und sah ihn scharf an: »Was ist geschehen?«
»Nichts, wirklich nichts. Aber ich muß mir einen Posten suchen, auf dem ich mehr Geld verdiene.«
Newton zögerte keinen Augenblick: »Also ein Mädel?«
»Ja. Ich bin ihretwegen nach New York gekommen, hab’ ihretwegen meinen alten Platz verlassen.«
»Irgend so was hab’ ich mir gedacht. Aber warum – ?«
»Wir wollen heiraten.«
»Dafür ist es natürlich zu wenig.«
»Sie verdient zwar ebensoviel wie ich –«
»Na also. Dann muß es doch gehen.«
»Nein, es geht nicht. Ich hab’ in Chicago fünfzig gehabt, und jetzt habe ich genau die Hälfte.«
»Versteh’ ich nicht.«
»Ich will nicht so anfangen, daß wir beide das gleiche mitbringen. Vielleicht könnt’ ich es, wenn ich nie mehr gehabt hätte als jetzt. Aber ich muß wieder dorthin kommen, wo ich war; vorher heirate ich nicht. Und ich will sobald wie möglich heiraten.«
»Merkwürdig.« Dabei schob Newton seinen Arm unter den Philips. »Warum bist du eigentlich noch nie bei mir zu Hause gewesen? Komm’ heute mit, wir wollen zusammen essen, dabei können wir alles in Ruhe durchsprechen.«
Newton hatte eine Zweizimmerwohnung in einer der Seitenstraßen von Central Park West. Philip mußte die Wohnung besichtigen, dann ging, als sie kaum ein paar Minuten im Wohnzimmer saßen, draußen im Vorraum das Schloß.
Newton stellte vor: »Das ist Philip Garrett, von dem ich dir schon erzählt habe, und das ist Mademoiselle Odette Liottard. Gebt euch die Hände.«
Als Odette Philips Hand sehr kräftig schüttelte, geriet unter dem enganliegenden Crepe de Chine ihr etwas üppiger Oberkörper in eine mitschwingende Bewegung. Sie hatte pfiffige dunkle Augen, die immer zu lachen schienen, auch wenn es der Mund nicht tat, und sprach fließend englisch, aber mit dem unausrottbaren Akzent der Französin. Sie warf ihren Hut ab, schüttelte ihr braunes Haar und strich es dann mit einer raschen Bewegung der Hände glatt.
»Sicher hat er nie etwas von mir erzählt. Alle seine Freunde, die er heraufbringt, machen beim erstenmal ein erstauntes Gesicht wie Sie.«
»Wie lange dauert’s bis zum Essen? Und wird genug für uns drei da sein?«, fragte Newton.
»Ihr werdet nicht verhungern, aber eine kleine halbe Stunde müßt ihr warten.«
Als sie in die Küche hinausging und Philips Gesichtsmuskeln sich nicht mehr anstrengten, Verlegenheit und Erstaunen zu verbergen, stellte Newton sich breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, vor ihn hin und sagte einfach: »Ja.« Und dann noch einmal: »Ja, mein Junge.«
»Und – wann werdet ihr heiraten?«
»Wir denken gar nicht daran. Oder genauer: Wir sind uns darüber vollkommen einig, es für keinen Fall zu tun.«
Philip hatte von solchen Beziehungen natürlich schon oft gehört. Aber so oft wir auch die Abbildungen der Pyramiden von Gizeh oder des Woolworth-Hauses gesehen haben, es ist doch etwas ganz anderes, wenn wir das erstemal wirklich davorstehen.
»Ich hab’ dich nicht etwa hierher mitgenommen, um dich durch Anschauungsunterricht zu kurieren. Ich hab’ nur auf der Straße vor dem Hotel plötzlich gespürt, wie wenig wir voneinander wissen. Du mußt öfter zu uns kommen und mußt auch mal das Mädel mitbringen – wie heißt sie denn?«
Odette kam herein, sie hatte eine kleine weiße Schürze umgebunden und begann den Tisch zu decken. Zwischendurch verschwand sie im Schlafzimmer, man hörte das Geräusch einer Feder, die gespannt wurde, und als sie wieder ins Zimmer trat, einen Shimmy. Pünktlich nach einer halben Stunde stand das Dinner auf dem Tisch mit einer buntfarbigen Mosaiktorte für den Nachtisch.
Nach dem Essen fragte Odette, ob Philip tanze. »Charlie ist Nichttänzer, das ist beinahe sein einziger Fehler.« Philip hatte seit langem nicht getanzt, aber sie schoben doch den Tisch und die Stühle beiseite, rollten den Teppich zusammen und legten eine neue Platte aufs Grammophon.
Als das Stück zu Ende war und sie nur noch das Kratzen der Nadel hörten, lief Newton hinaus, um die Maschine abzustellen.
Philip zog sein Taschentuch, fuhr sich über die Stirn und sagte: »Sie tanzen ganz anders als die Mädels in Chicago, Miß –.«
»Natürlich haben Sie meinen Namen nicht verstanden. Odette Liottard. Aber Liottard könnt ihr euch weder merken noch könnt ihr’s aussprechen. Sagen Sie ruhig Odette zu mir, alle tun es.« Newton war wieder eingetreten. »Du Charlie, er sagt, ich tanze anders als die Mädels in Chicago.«
Newton lachte: »Aber in Paris tanzen alle wie Odette.«
Philip hörte noch, daß Charles während der Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten, drei Jahre hindurch in Paris war, und zwar als Direktor eines kleinen Hotels hinter der Madeleine, und daß Odette von drüben mit ihm hierher gekommen sei. Dann verabredeten sie, in der nächsten Woche zu dem Boxabend zu gehen, an dem Bill Patterson seine Sache mit Jan Aeken erledigen sollte. Dann ging Philip.
Erst als er gegen elf Uhr vor seinem Haus stand, fiel ihm ein, daß er während des ganzen Abends mit Newton kein Wort darüber gesprochen hatte, wie er sein Einkommen steigern könnte.
»Aber es interessiert mich wirklich nicht! Ich habe beinahe – Furcht.«
»Es ist doch nichts besonderes. Tausende finden es interessant, und du hast Furcht. Mach’ mir doch die Freude, mitzukommen.«
»Bitte, bitte, geh’ allein hin und lass’ mich zu Hause.«
»Es ist verabredet, Linnie, daß wir nachher alle essen gehen. Ich hab’ versprochen, dich mitzubringen.«
»Sagt mir, wohin ihr gehen wollt, ich kann ja nachkommen.«
»Das wäre ungezogen gegen die anderen. Charlie hat schon die Karten, vier ausgezeichnete Sitze. Patterson hat sie uns gegeben, für Charlie, für mich und für unsere Frauen, hat er gesagt.«
»Lass’ mich doch zu Hause bleiben, Phil! Sei doch nicht eigensinnig.«
Philip stampfte mit dem Fuß: »Du tust nichts, was mir Freude macht, redest nur dummes Zeug!«
Marylin in ihrem Schaukelstuhl schrak zusammen.
Philip bedauerte das Wort schon im nächsten Augenblick. Marylin war aufgestanden und sah ihn mit einem verwunderten Blick an, ihr Mund war halb offen, ihre Arme pendelten leise. Sie hatte ihr ärmelloses Hauskleid an. Philip dachte an Madison Street in Chicago und an die menschenleeren Straßen draußen im Nordwesten, durch die er ihr im Sommer täglich gefolgt war. Er dachte an den kleinen Laden, an die Fahrt nach Cleveland und daran, daß er ihretwegen nach New York gekommen war.
Er wurde schnell wieder ruhig: »Wir streiten wegen eines Boxabends, Linnie. Muß das sein?«
»Großartige Plätze!«, konstatierte Odette, »ich bin schon jetzt furchtbar aufgeregt.«
Bill Patterson hatte ihnen eine Loge für vier Personen geschickt. Newton saß hinter Marylin, Philip hinter Odette.
Marylin gewöhnte sich nur allmählich an das Halbdunkel der riesigen Halle. Als spräche sie zu sich selbst, zeigte sie nach unten auf den grell beleuchteten Ring: »Und dort unten werden sie kämpfen?«
Philip lachte über ihre Naivität. »Wo sonst, Linnie, dachtest du, daß sie boxen werden?«
Die beiden ersten Kämpfe waren nur zu Ausfüllung des Programms angesetzt. Viele Logen waren noch leer, die Kenner kamen erst zum dritten Kampf, der die große Sache des Abends war.
Vor dem Pattersen-Aeken-Match gab’s eine längere Pause. Newton beugte sich zu Marylin vor: »Es hat Sie aber doch interessiert, Miß Palmer. Ich habe Sie genau beobachtet, Sie haben keinen Blick von den Kerls weggewendet.«
»Nein, Mr. Newton, Sie irren sich. Ich – ich finde es schrecklich. Ich habe schon zu Phil gesagt … aber er meinte, Sie werden es übelnehmen … am liebsten möchte ich noch jetzt …«
Odette hörte kein Wort von dem, was irgendwer neben ihr redete. Sie unterbrach Marylin mitten im Satz: »Patterson ist ungeheuer populär!«
Ein dicker Herr in der Nebenloge wischte sich den Schweiß von der Glatze: »Na, das glaub’ ich! Riesenkarriere! Und der Junge fängt doch erst an.«
Philip musterte den obersten Rang, in dem sein Arm das Scheinwerferlicht abblendete und über die Hand hinweg in die Höhe sah: »Dort oben wimmelt’s von Schwarzen.«
»Ich bin erstaunt,« lachte Newton, »daß bei uns im Hotel heute überhaupt ein Lift verkehrt und daß von den kleinen Bengels auch nur ein einziger Dienst tut. Sie waren alle vollkommen außer Rand und Band.«
»Großer Tag heute für die schwarze Bande«, bekräftigte die Nebenloge.
Odette kreischte plötzlich »Mon Dieu!«. Sie hatte bemerkt, daß das hohe Gestell eines Filmoperateurs sich langsam zur Seite neigte. Jetzt fiel der ganze Aufbau mit dem Mann klirrend in den Ring. Ein höhnisches Johlen ging durch die Halle. Komiteeherren stiegen wichtigtuend in den Ring, hinter ihnen ein paar Diener, der Boden wurde sorgfältig nach Glassplittern abgesucht.
Newton war ordentlich stolz: »Du hast es zuerst gesehen, Liebling.«
Hinter den Logen ging mit hochgeschlagenem Rockkragen, den grauen steifen Hut im Genick, ein Schwarzer entlang und bot Wetten auf den Holländer an. Er wurde ausgelacht und amüsierte sich schließlich selbst darüber, daß niemand etwas von seinem Propos wissen wollte.
»Bill ist todsicher«, strahlte Philip. »Wenn einer was kann, ist es ganz gleich, ob er weiß ist oder schokoladebraun.«
Die Nebenloge ergänzte: »Die Meisterschaft im Schnelllauf über zweihundert Yard hält schon seit fast zwei Jahren ein Indianer.«
Mademoiselle Liottard pflanzte das Banner der Menschenrechte auf: »Ach, ihr macht überhaupt zu viel mit dem bißchen Hautfarbe her. Und daß sie stinken, ist gar nicht wahr.«
»Woher weißt du das so genau, Liebling?«, warf Newton herüber und bekam einen Klaps mit dem Papierfächer, den er ihr am Eingang gekauft hatte.
Jan Aeken kämpfte zum erstenmal in Amerika. Er war für seine Klasse ungewöhnlich groß, der Trainer hatte seine Not, ihn auf dem Gewicht zu halten.
Die Hauptstädte Europas bestaunten die Länge seiner Arme, die er, wenn’s nicht anders ging, so schwang, daß kein Gegner ihm nahekommen konnte. Auf den Plakaten war er als »Die Mühle von Utrecht« angekündigt.