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§ 24

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Inhaltsverzeichnis

Wir haben von dem großen Kant gelernt, daß Zeit, Raum und Kausalität, ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit und der Möglichkeit aller ihrer Formen nach, in unserm Bewußtseyn vorhanden sind, ganz unabhängig von den Objekten, die in ihnen erscheinen, die ihren Inhalt ausmachen, oder mit andern Worten: daß sie eben so wohl, wenn man vom Subjekt, als wenn man vom Objekt ausgeht, gefunden werden können; daher man sie mit gleichem Recht Anschauungsweisen des Subjekts, oder auch Beschaffenheiten des Objekts, sofern es Objekt (bei Kant: Erscheinung) d.h. Vorstellung ist, nennen kann. Auch kann man jene Formen ansehn als die untheilbare Gränze zwischen Objekt und Subjekt: daher zwar alles Objekt in ihnen erscheinen muß, aber auch das Subjekt, unabhängig vom erscheinenden Objekt, sie vollständig besitzt und übersieht. – Sollten nun aber die in diesen Formen erscheinenden Objekte nicht leere Phantome seyn; sondern eine Bedeutung haben: so müßten sie auf etwas deuten, der Ausdruck von etwas seyn, das nicht wieder wie sie selbst Objekt, Vorstellung, ein nur relativ, nämlich für ein Subjekt, Vorhandenes wäre; sondern welches ohne solche Abhängigkeit von einem ihm als wesentliche Bedingung Gegenüberstehenden und dessen Formen existirte, d.h. eben keine Vorstellung, sondern ein Ding an sich wäre. Demnach ließe sich wenigstens fragen: Sind jene Vorstellungen, jene Objekte, noch etwas außerdem und abgesehn davon, daß sie Vorstellungen, Objekte des Subjekts sind? Und was alsdann wären sie in diesem Sinn? Was ist jene ihre andere von der Vorstellung toto genere verschiedene Seite? Was ist das Ding an sich? – Der Wille: ist unsere Antwort gewesen, die ich jedoch für jetzt bei Seite setze.

Was auch immer das Ding an sich sei, so hat Kant richtig geschlossen, daß Zeit, Raum und Kausalität (die wir späterhin als Gestaltungen des Satzes vom Grunde, und diesen als allgemeinen Ausdruck der Formen der Erscheinung erkannt haben) nicht Bestimmungen desselben seyn, sondern ihm erst zukommen konnten, nachdem und sofern es Vorstellung geworden, d.h. nur seiner Erscheinung angehörten, nicht ihm selbst. Denn da das Subjekt sie aus sich selbst, unabhängig von allem Objekt, vollständig erkennt und konstruirt; so müssen sie dem Vorstellungseyn als solchem anhängen, nicht Dem, was Vorstellung wird. Sie müssen die Form der Vorstellung als solcher, nicht aber Eigenschaften Dessen seyn, was diese Form angenommen hat. Sie müssen schon mit dem bloßen Gegensatz vom Subjekt und Objekt (nicht im Begriff, sondern in der That) gegeben seyn, folglich nur die nähere Bestimmung der Form der Erkenntniß überhaupt seyn, deren allgemeinste Bestimmung jener Gegensatz selbst ist. Was nun in der Erscheinung, im Objekt, wiederum durch Zeit, Raum und Kausalität bedingt ist, indem es nur mittelst derselben vorgestellt werden kann, nämlich Vielheit, durch das Neben- und Nacheinander, Wechsel und Dauer, durch das Gesetz der Kausalität, und die nur unter Voraussetzung der Kausalität vorstellbare Materie, endlich alles wieder nur mittelst dieser Vorstellbare, – dieses Alles insgesammt ist Dem, das da erscheint, das in die Form der Vorstellung eingegangen ist, wesentlich nicht eigen, sondern hängt nur dieser Form selbst an. Umgekehrt aber wird Dasjenige in der Erscheinung, was nicht durch Zelt, Raum und Kausalität bedingt, noch auf diese zurückzuführen, noch nach diesen zu erklären ist, gerade Das seyn, worin sich unmittelbar das Erscheinende, das Ding an sich kund giebt. Diesem zufolge wird nun die vollkommenste Erkennbarkeit, d.h. die größte Klarheit, Deutlichkeit und erschöpfende Ergründlichkeit, nothwendig Dem zukommen, was der Erkenntniß als solcher eigen ist, also der Form der Erkenntniß; nicht aber Dem, was, an sich nicht Vorstellung, nicht Objekt, erst durch das Eingehn in diese Formen erkennbar, d.h. Vorstellung, Objekt, geworden ist. Nur Das also, was allein abhängt vom Erkanntwerden, vom Vorstellungseyn überhaupt und als solchem (nicht von Dem, was erkannt wird, und erst zur Vorstellung geworden ist), was daher Allem, das erkannt wird, ohne Unterschied zukommt, was eben deswegen so gut wenn man vom Subjekt, als wenn man vom Objekt ausgeht, gefunden wird. – Dies allein wird ohne Rücksicht eine genügende, völlig erschöpfende, bis auf den letzten Grund klare Erkenntniß gewähren können. Dieses aber besteht in nichts Anderm, als in den uns a priori bewußten Formen aller Erscheinung, die sich gemeinschaftlich als Satz vom Grunde aussprechen lassen, dessen auf die anschauliche Erkenntniß (mit der wir hier es ausschließlich zu thun haben) sich beziehenden Gestalten Zeit, Raum und Kausalität sind. Auf sie allein gegründet ist die gesammte reine Mathematik und die reine Naturwissenschaft a priori. Nur in diesen Wissenschaften daher findet die Erkenntniß keine Dunkelheit, stößt nicht auf das Unergründliche (Grundlose d.i. Wille), auf das nicht weiter Abzuleitende; in welcher Hinsicht auch Kant, wie gesagt, jene Erkenntnisse vorzugsweise, ja ausschließlich, nebst der Logik, Wissenschaften nennen wollte. Andererseits aber zeigen uns diese Erkenntnisse weiter nichts, als bloße Verhältnisse, Relationen einer Vorstellung zur andern, Form, ohne allen Inhalt. Jeder Inhalt, den sie bekommen, jede Erscheinung, die jene Formen füllt, enthält schon etwas nicht mehr vollständig seinem ganzen Wesen nach Erkennbares, nicht mehr durch ein Anderes ganz und gar zu Erklärendes, also etwas Grundloses, wodurch sogleich die Erkenntniß an Evidenz verliert und die vollkommene Durchsichtigkeit einbüßt. Dieses der Ergründung sich Entziehende aber ist eben das Ding an sich, ist dasjenige, was wesentlich nicht Vorstellung, nicht Objekt der Erkenntniß ist; sondern erst indem es in jene Formen eingieng, erkennbar geworden ist. Die Form ist ihm ursprünglich fremd, und es kann nie ganz Eins mit ihr werden, kann nie auf die bloße Form zurückgeführt, und, da diese der Satz vom Grund ist, also nicht vollständig ergründet werden. Wenn daher auch alle Mathematik uns erschöpfende Erkenntniß giebt von Dem, was an den Erscheinungen Größe, Lage, Zahl, kurz, räumliches und zeitliches Verhältniß ist, wenn alle Aetiologie uns die gesetzmäßigen Bedingungen, unter denen die Erscheinungen, mit allen ihren Bestimmungen, in Zeit und Raum eintreten, vollständig angiebt, bei dem Allen aber doch nicht mehr lehrt, als jedesmal warum eine jede bestimmte Erscheinung gerade jetzt hier und gerade hier jetzt sich zeigen muß; so dringen wir mit deren Hülfe doch nimmermehr in das innere Wesen der Dinge, so bleibt dennoch immer Etwas, daran sich keine Erklärung wagen darf, sondern das sie immer voraussetzt, nämlich die Kräfte der Natur, die bestimmte Wirkungsart der Dinge, die Qualität, der Charakter jeder Erscheinung, das Grundlose, was nicht von der Form der Erscheinung, dem Satz vom Grunde, abhängt, dem diese Form an sich fremd ist, das aber in sie eingegangen ist, und nun nach ihrem Gesetz hervortritt, welches Gesetz aber eben auch nur das Hervortreten bestimmt, nicht Das, was hervortritt, nur das Wie, nicht das Was der Erscheinung, nur die Form, nicht den Inhalt. – Mechanik, Physik, Chemie lehren die Regeln und Gesetze, nach denen die Kräfte der Undurchdringlichkeit, Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Kohäsion, Elasticität, Wärme, Licht, Wahlverwandtschaften, Magnetismus, Elektricität u.s.w. wirken, d.h. das Gesetz, die Regel, welche diese Kräfte in Hinsicht auf ihren jedesmaligen Eintritt in Zeit und Raum beobachten: die Kräfte selbst aber bleiben dabei, wie man sich auch geberden mag, qualitates occultae. Denn es ist eben das Ding an sich, welches, indem es erscheint, jene Phänomene darstellt, von ihnen selbst gänzlich verschieden, zwar in seiner Erscheinung dem Satz vom Grund, als der Form der Vorstellung, völlig unterworfen, selbst aber nie auf diese Form zurückzuführen, und daher nicht ätiologisch bis auf das Letzte zu erklären, nicht jemals vollständig zu ergründen; zwar völlig begreiflich, sofern es jene Form angenommen hat, d.h. sofern es Erscheinung ist; seinem innern Wesen nach aber durch jene Begreiflichkeit nicht im Mindesten erklärt. Daher, je mehr Notwendigkeit eine Erkenntniß mit sich führt, je mehr in ihr von Dem ist, was sich gar nicht anders denken und vorstellen läßt – wie z.B. die räumlichen Verhältnisse –, je klarer und genügender sie daher ist; desto weniger rein objektiven Gehalt hat sie, oder desto weniger eigentliche Realität ist in ihr gegeben: und umgekehrt, je Mehreres in ihr als rein zufällig aufgefaßt werden muß, je Mehreres sich uns als bloß empirisch gegeben aufdringt; desto mehr eigentlich Objektives und wahrhaft Reales ist in solcher Erkenntniß; aber auch zugleich desto mehr Unerklärliches, d.h. aus Anderm nicht weiter Ableitbares.

Freilich hat zu allen Zeiten eine ihr Ziel verkennende Aetiologie dahin gestrebt, alles organische Leben auf Chemismus oder Elektricität, allen Chemismus, d.i. Qualität, wieder auf Mechanismus (Wirkung durch die Gestalt der Atome), diesen aber wieder theils auf den Gegenstand der Phoronomie, d.i. Zeit und Raum zur Möglichkeit der Bewegung vereint, theils auf den der bloßen Geometrie, d.i. Lage im Raum, zurückzuführen (ungefähr so, wie man, mit Recht, die Abnahme einer Wirkung nach dem Quadrat der Entfernung und die Theorie des Hebels rein geometrisch konstruirt): die Geometrie läßt sich endlich in Arithmetik auflösen, welche die, wegen Einheit der Dimension, faßlichste, übersehbarste, bis aufs Letzte ergründliche Gestaltung des Satzes vom Grunde ist. Belege zu der hier allgemein bezeichneten Methode sind: des Demokritos Atome, des Cartesius Wirbel, die mechanische Physik des Lesage, welcher, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, sowohl die chemischen Affinitäten als auch die Gravitation mechanisch, durch Stoß und Druck zu erklären suchte, wie des Näheren zu ersehn aus dem ›Lucrèce Neutonien‹; auch Reil's Form und Mischung als Ursache des thierischen Lebens tendirt dahin: ganz dieser Art ist endlich der eben jetzt, in der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder aufgewärmte, aus Unwissenheit sich original dünkende, rohe Materialismus, welcher zunächst, unter stupider Ableugnung der Lebenskraft, die Erscheinungen des Lebens aus physikalischen und chemischen Kräften erklären, diese aber wieder aus dem mechanischen Wirken der Materie, Lage, Gestalt und Bewegung erträumter Atome entstehn lassen und so alle Kräfte der Natur auf Stoß und Gegenstoß zurückführen möchte, als welche sein »Ding an sich« sind. Demgemäß soll dann sogar das Licht das mechanische Vibriren, oder gar Unduliren, eines Imaginären und zu diesem Zweck postulirten Aethers seyn, welcher, wenn angelangt, auf der Retina trommelt, wo dann z.B. 483 Billionen Trommelschläge in der Sekunde Roch, und 727 Billionen Violett geben u.s.f.: die Farbeblinden wären dann wohl Solche, welche die Trommelschläge nicht zählen können: nicht wahr? Dergleichen krasse, mechanische, demokritische, plumpe und wahrhaft knollige Theorien sind ganz der Leute würdig, die, fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der Goetheschen Farbenlehre, noch an Neuton's homogene Lichter glauben und sich nicht schämen es zu sagen. Sie werden erfahren, daß was man dem Kinde (dem Demokrit) nachsieht, dem Manne nicht verziehn wird. Sie könnten sogar einst schmählich enden; aber dann schleicht Jeder davon, und thut als wäre er nicht dabei gewesen. Wir werden auf diese falsche Zurückführung ursprünglicher Naturkräfte auf einander bald nochmals zu reden kommen: hier nur soviel. Gesetzt dieses gienge so an, so wäre freilich Alles erklärt und ergründet, ja zuletzt auf ein Rechnungsexempel zurückgeführt, welches dann das Allerheiligste im Tempel der Weisheit wäre, zu welchem der Satz vom Grunde am Ende glücklich geleitet hätte. Aber aller Inhalt der Erscheinung wäre verschwunden, und bloße Form übrig geblieben: Das, was da erscheint, wäre zurückgeführt auf Das, wie es erscheint, und dieses wie wäre das auch a priori Erkennbare, daher ganz abhängig vom Subjekt, daher allein für dasselbe, daher endlich bloßes Phantom, Vorstellung und Form der Vorstellung durch und durch: nach keinem Ding an sich könnte gefragt werden. – Es wäre demnach, gesetzt dies gienge so an, dann wirklich die ganze Welt aus dem Subjekt abgeleitet und in der That Das geleistet, was Fichte durch seine Windbeuteleien zu leisten scheinen wollte. – Nun aber geht es nicht so an: Phantasien, Sophistikationen, Luftschlösser hat man in jener Art zu Stande gebracht, keine Wissenschaft. Es ist gelungen, und gab, so oft es gelang, einen wahren Fortschritt, die vielen und mannigfaltigen Erscheinungen in der Natur auf einzelne ursprüngliche Kräfte zurückzuführen: man hat mehrere, Anfangs für verschieden gehaltene Kräfte und Qualitäten eine aus der andern abgeleitet (z.B. den Magnetismus aus der Elektricität) und so ihre Zahl vermindert: die Aetiologie wird am Ziele seyn, wenn sie alle ursprünglichen Kräfte der Natur als solche erkannt und aufgestellt, und ihre Wirkungsarten, d.h. die Regel, nach der, am Leitfaden der Kausalität, ihre Erscheinungen in Zeit und Raum eintreten und sich unter einander ihre Stelle bestimmen, festgesetzt haben wird; aber stets werden Urkräfte übrig bleiben, stets wird, als unauflösliches Residuum, ein Inhalt der Erscheinung bleiben, der nicht auf ihre Form zurückzuführen, also nicht nach dem Satz vom Grunde aus etwas Anderm zu erklären ist. – Denn in jedem Ding in der Natur ist etwas, davon kein Grund je angegeben werden kann, keine Erklärung möglich, keine Ursache weiter zu suchen ist: es ist die specifische Art seines Wirkens, d.h. eben die Art seines Daseyns, sein Wesen. Zwar von jeder einzelnen Wirkung des Dinges ist eine Ursache nachzuweisen, aus welcher folgt, daß es gerade jetzt, gerade hier wirken mußte; aber davon daß es überhaupt und gerade so wirkt, nie. Hat es keine andern Eigenschaften, ist es ein Sonnenstäubchen, so zeigt es wenigstens als Schwere und Undurchdringlichkeit jenes unergründliche Etwas: dieses aber, sage ich, ist ihm, was dem Menschen sein Wille ist, und ist, so wie dieser, seinem innern Wesen nach, der Erklärung nicht unterworfen, ja, ist an sich mit diesem identisch, Wohl läßt sich für jede Aeußerung des Willens, für jeden einzelnen Akt desselben zu dieser Zeit, an diesem Ort, ein Motiv nachweisen, auf welches er, unter Voraussetzung des Charakters des Menschen, nothwendig erfolgen mußte. Aber daß er diesen Charakter hat, daß er überhaupt will, daß von mehreren Motiven gerade dieses und kein anderes, ja, daß irgend eines seinen Willen bewegt, davon ist kein Grund je anzugeben. Was dem Menschen sein unergründlicher, bei aller Erklärung seiner Thaten aus Motiven vorausgesetzter Charakter ist; eben das ist jedem unorganischen Körper seine wesentliche Qualität, die Art seines Wirkens, deren Aeußerungen hervorgerufen werden durch Einwirkung von außen, während hingegen sie selbst durch nichts außer ihr bestimmt, also auch nicht erklärlich ist: ihre einzelnen Erscheinungen, durch welche allein sie sichtbar wird, sind dem Satz vom Grund unterworfen: sie selbst ist grundlos. Schon die Scholastiker hatten Dies im Wesentlichen richtig erkannt und als forma substantialis bezeichnet. (Worüber Suarez, Disput, metaph., disp. XV, sect. I.)

Es ist ein eben so großer, wie gewöhnlicher Irrthum, daß die häufigsten, allgemeinsten und einfachsten Erscheinungen es wären, die wir am besten verständen; da sie doch vielmehr nur diejenigen sind, an deren Anblick und unsere Unwissenheit darüber wir uns am meisten gewöhnt haben. Es ist uns eben so unerklärlich, daß ein Stein zur Erde fällt, als daß ein Thier sich bewegt. Man hat, wie oben erwähnt, vermeint, daß man, von den allgemeinsten Naturkräften (z.B. Gravitation, Kohäsion, Undurchdringlichkeit) ausgehend, aus ihnen die seltener und nur unter kombinirten Umständen wirkenden (z.B. chemische Qualität, Elektricität, Magnetismus) erklären, zuletzt aus diesen wieder den Organismus und das Leben der Thiere, ja des Menschen Erkennen und Wollen verstehn würde. Man fügte sich stillschweigend darin, von lauter qualitates occultae auszugehn, deren Aufhellung ganz aufgegeben wurde, da man über ihnen zu bauen, nicht sie zu unterwühlen vorhatte. Dergleichen kann, wie gesagt, nicht gelingen. Aber abgesehn davon, so stände solches Gebäude immer in der Luft. Was helfen Erklärungen, die zuletzt auf ein eben so Unbekanntes, als das erste Problem war, zurückführen? Versteht man aber am Ende vom innern Wesen jener allgemeinen Naturkräfte mehr, als vom innern Wesen eines Thieres? Ist nicht eines so unerforscht, wie das andere? Unergründlich, weil es grundlos, weil es der Inhalt, das Was der Erscheinung ist, das nie auf ihre Form, auf das Wie, auf den Satz vom Grunde, zurückgeführt werden kann. Wir aber, die wir hier nicht Aetiologie, sondern Philosophie, d.i. nicht relative, sondern unbedingte Erkenntniß vom Wesen der Welt beabsichtigen, schlagen den entgegengesetzten Weg ein und gehn von Dem, was uns unmittelbar, was uns am vollständigsten bekannt und ganz und gar vertraut ist, was uns am nächsten liegt, aus, um Das zu verstehn, was uns nur entfernt, einseitig und mittelbar bekannt ist: und aus der mächtigsten, bedeutendesten, deutlichsten Erscheinung wollen wir die unvollkommenere, schwächere verstehn lernen. Mir ist von allen Dingen, meinen eigenen Leib ausgenommen, nur eine Seite bekannt, die der Vorstellung: ihr inneres Wesen bleibt mir verschlossen und ein tiefes Geheimniß, auch wenn ich alle Ursachen kenne, auf die ihre Veränderungen erfolgen. Nur aus der Vergleichung mit Dem, was in mir vorgeht, wenn, indem ein Motiv mich bewegt, mein Leib eine Aktion ausübt, was das innere Wesen meiner eigenen durch äußere Gründe bestimmten Veränderungen ist, kann ich Einsicht erhalten in die Art und Weise, wie jene leblosen Körper sich auf Ursachen verändern, und so verstehn, was ihr inneres Wesen sei, von dessen Erscheinen mir die Kenntniß der Ursache die bloße Regel des Eintritts in Zeit und Raum angiebt und weiter nichts. Dies kann ich darum, weil mein Leib das einzige Objekt ist, von dem ich nicht bloß die eine Seite, die der Vorstellung, kenne, sondern auch die zweite, welche Wille heißt. Statt also zu glauben, ich würde meine eigene Organisation, dann mein Erkennen und Wollen und meine Bewegung auf Motive, besser verstehn, wenn ich sie nur zurückführen könnte auf Bewegung aus Ursachen, durch Elektricität, durch Chemismus, durch Mechanismus; muß ich, sofern ich Philosophie, nicht Aetiologie suche, umgekehrt auch die einfachsten und gemeinsten Bewegungen des unorganischen Körpers, die ich auf Ursachen erfolgen sehe, zuvörderst ihrem innern Wesen nach verstehn lernen aus meiner eigenen Bewegung auf Motive, und die unergründlichen Kräfte, welche sich in allen Körpern der Natur äußern, für der Art nach als identisch mit Dem erkennen, was in mir der Wille ist, und für nur dem Grade nach davon verschieden. Dies heißt: die in der Abhandlung über den Satz vom Grund aufgestellte vierte Klasse der Vorstellungen muß mir der Schlüssel werden zur Erkenntniß des innern Wesens der ersten Klasse, und aus dem Gesetz der Motivation muß ich das Gesetz der Kausalität, seiner innern Bedeutung nach, verstehn lernen.

Spinoza sagt (epist. 62), daß der durch einen Stoß in die Luft fliegende Stein, wenn er Bewußtsein hätte, meinen würde, aus seinem eigenen Willen zu fliegen. Ich setze nur noch hinzu, daß der Stein Recht hätte. Der Stoß ist für ihn, was für mich das Motiv, und was bei ihm als Kohäsion, Schwere, Beharrlichkeit im angenommenen Zustande erscheint, ist, dem innern Wesen nach, das Selbe, was ich in mir als Willen erkenne, und was, wenn auch bei ihm die Erkenntniß hinzuträte, auch er als Willen erkennen würde. Spinoza, an jener Stelle, hatte sein Augenmerk auf die Nothwendigkeit, mit welcher der Stein fliegt, gerichtet und will sie, mit Recht, übertragen auf die Nothwendigkeit des einzelnen Willensaktes einer Person. Ich hingegen betrachte das innere Wesen, welches aller realen Nothwendigkeit (d.i. Wirkung aus Ursache), als ihre Voraussetzung, erst Bedeutung und Gültigkeit ertheilt, beim Menschen Charakter, beim Stein Qualität heißt, in Beiden aber das Selbe ist, da wo es unmittelbar erkannt wird, Wille genannt, und welches im Stein den schwächsten, im Menschen den stärksten Grad der Sichtbarkeit, Objektität, hat. – Dieses im Streben aller Dinge mit unserm Wollen Identische hat sogar der heilige Augustinus, mit richtigem Gefühl, erkannt, und ich kann mich nicht entbrechen, seinen naiven Ausdruck der Sache herzusetzen: Si pecora essemus, carnalem vitam et quod secundum sensum ejusdem est amaremus, idque esset sufficiens bonum nostrum, et secundum hoc si esset nobis bene, nihil aliud quaereremus. Item, si arbores essemus, nihil quidem sentientes motu amare possemus: verumtamen id quasi appetere videremur, quo feracius essemus, uberiusque fructuosae. Si essemus lapides, aut fluctus, aut ventus, aut flamma, vel quid ejusmodi, sine ullo quidem sensu atque vita, non tamen nobis deesset quasi quidam nostrorum locorum atque ordinis appetitus. Nam velut amores corporum momenta sunt ponderum, sive deorsum gravitate, sive sursum levitate nitantur: ita enim corpus pondere, sicut animus amore fertur quocunque fertur. (de civ. Dei, XI, 28).

Noch verdient bemerkt zu werden, daß schon Euler einsah, das Wesen der Gravitation müsse zuletzt auf eine den Körpern eigenthümliche »Neigung und Begierde« (also Willen) zurückgeführt werden (im 68. Briefe an die Prinzessin). Sogar macht gerade Dies ihn dem Begriffe der Gravitation, wie er bei Neuton dasteht, abhold, und er ist geneigt, eine Modifikation desselben gemäß der frühem Cartesianischen Theorie zu versuchen, also die Gravitation aus dem Stoße eines Aethers auf die Körper abzuleiten, als welches »vernünftiger und den Leuten, die helle und begreifliche Grundsätze lieben«, angemessener wäre. Die Attraktion will er als qualitas occulta aus der Physikverbannt sehn. Dies ist eben nur der todten Naturansicht, welche, als Korrelat der immateriellen Seele, zu Eulers Zeit herrschte, gemäß: allein es ist beachtenswerth in Hinsicht auf die von mir aufgestellte Grundwahrheit, welche nämlich schon damals dieser feine Kopf aus der Ferne durchschimmern sehend, bei Zeiten umzukehren sich beeilte und nun, in seiner Angst, alle damaligen Grundansichten gefährdet zu sehn, sogar beim alten, bereits abgethanen Absurden Schutz suchte.

Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer

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