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§ 41

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Inhaltsverzeichnis

Der Gang unserer Betrachtung hat es nothwendig gemacht, die Erörterung des Erhabenen hier einzuschalten, wo die des Schönen erst zur Hälfte, bloß ihrer einen, der subjektiven, Seite nach vollendet war. Denn eben nur eine besondere Modifikation dieser subjektiven Seite war es, die das Erhabene vom Schönen unterschied. Ob nämlich der Zustand des reinen willenlosen Erkennens, den jede ästhetische Kontemplation voraussetzt und fordert, sich, indem das Objekt dazu einlud und hinzog, ohne Widerstand, durch bloßes Verschwinden des Willens aus dem Bewußtseyn, wie von selbst einfand; oder ob derselbe erst errungen ward durch freie bewußte Erhebung über den Willen, zu welchem der kontemplirte Gegenstand selbst ein ungünstiges, feindliches Verhältniß hat, welchem nachzuhängen die Kontemplation aufheben würde; – dies ist der Unterschied zwischen dem Schönen und dem Erhabenen. Im Objekte sind Beide nicht wesentlich unterschieden: denn in jedem Falle ist das Objekt der ästhetischen Betrachtung nicht das einzelne Ding, sondern die in demselben zur Offenbarung strebende Idee, d.h. adäquate Objektität des Willens auf einer bestimmten Stufe: ihr nothwendiges, wie sie selbst, dem Satz vom Grunde entzogenes Korrelat ist das reine Subjekt des Erkennens, wie das Korrelat des einzelnen Dinges das erkennende Individuum ist, welche Beide im Gebiete des Satzes vom Grunde liegen.

Indem wir einen Gegenstand schön nennen, sprechen wir dadurch aus, daß er Objekt unserer ästhetischen Betrachtung ist, welches zweierlei in sich schließt, einerseits nämlich, daß sein Anblick uns objektiv macht, d.h. daß wir in der Betrachtung desselben nicht mehr unserer als Individuen, sondern als reinen willenlosen Subjekts des Erkennens uns bewußt sind; und andererseits, daß wir im Gegenstande nicht das einzelne Ding, sondern eine Idee erkennen, welches nur geschehn kann, sofern unsere Betrachtung des Gegenstandes nicht dem Satz vom Grunde hingegeben ist, nicht seiner Beziehung zu irgend etwas außer ihm (welche zuletzt immer mit Beziehung auf unser Wollen zusammenhängt) nachgeht, sondern auf dem Objekte selbst ruhet. Denn die Idee und das reine Subjekt des Erkennens treten als nothwendige Korrelata immer zugleich ins Bewußtsein, bei welchem Eintritt auch aller Zeitunterschied sogleich verschwindet, da Beide dem Satz vom Grunde in allen seinen Gestaltungen völlig fremd sind und außerhalb der durch ihn gesetzten Relationen liegen, dem Regenbogen und der Sonne zu vergleichen, die an der steten Bewegung und Succession der fallenden Tropfen keinen Theil haben. Daher, wenn ich z.B. einen Baum ästhetisch, d.h. mit künstlerischen Augen betrachte, also nicht ihn, sondern seine Idee erkenne, es sofort ohne Bedeutung ist, ob es dieser Baum oder sein vor tausend Jahren blühender Vorfahr ist, und eben so ob der Betrachter dieses, oder irgend ein anderes, irgendwann und irgendwo lebendes Individuum ist; mit dem Satz vom Grunde ist das einzelne Ding und das erkennende Individuum aufgehoben und nichts bleibt übrig, als die Idee und das reine Subjekt des Erkennens, welche zusammen die adäquate Objektität des Willens auf dieser Stufe ausmachen. Und nicht allein der Zeit, sondern auch dem Raum ist die Idee enthoben: denn nicht die mir vorschwebende räumliche Gestalt, sondern der Ausdruck, die reine Bedeutung derselben, ihr innerstes Wesen, das sich mir aufschließt und mich anspricht, ist eigentlich die Idee und kann ganz das Selbe seyn, bei großem Unterschied der räumlichen Verhältnisse der Gestalt.

Da nun einerseits jedes vorhandene Ding rein objektiv und außer aller Relation betrachtet werden kann; da ferner auch andererseits in jedem Dinge der Wille, auf irgend einer Stufe seiner Objektität, erscheint, und dasselbe sonach Ausdruck einer Idee ist; so ist auch jedes Ding schön. – Daß auch das Unbedeutendeste die rein objektive und willenlose Betrachtung zuläßt und dadurch sich als schön bewährt, bezeugt das schon oben (§ 38) in dieser Hinsicht erwähnte Stillleben der Niederländer. Schöner ist aber Eines als das Andere dadurch, daß es jene rein objektive Betrachtung erleichtert, ihr entgegenkommt, ja gleichsam dazu zwingt, wo wir es dann sehr schön nennen. Dies ist der Fall theils dadurch, daß es als einzelnes Ding, durch das sehr deutliche, rein bestimmte, durchaus bedeutsame Verhältniß seiner Theile die Idee seiner Gattung rein ausspricht und durch in ihm vereinigte Vollständigkeit aller seiner Gattung möglichen Aeußerungen die Idee derselben vollkommen offenbart, so daß es dem Betrachter den Uebergang vom einzelnen Ding zur Idee und eben damit auch den Zustand der reinen Beschaulichkeit sehr erleichtert; theils liegt jener Vorzug besonderer Schönheit eines Objekts darin, daß die Idee selbst, die uns aus ihm anspricht, eine hohe Stufe der Objektität des Willens und daher durchaus bedeutend und vielsagend sei. Darum ist der Mensch vor allem Ändern schön und die Offenbarung seines Wesens das höchste Ziel der Kunst. Menschliche Gestalt und menschlicher Ausdruck sind das bedeutendeste Objekt der bildenden Kunst, so wie menschliches Handeln das bedeutendeste Objekt der Poesie. – Es hat aber dennoch jedes Ding seine eigenthümliche Schönheit: nicht nur jedes Organische und in der Einheit einer Individualität sich darstellende; sondern auch jedes Unorganische, Formlose, ja jedes Artefakt. Denn alle diese offenbaren die Ideen, durch welche der Wille sich auf den untersten Stufen objektivirt, geben gleichsam die tiefsten, verhallenden Baßtöne der Natur an. Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Licht u.s.w. sind die Ideen, welche sich in Felsen, Gebäuden, Gewässern aussprechen. Die schöne Gartenkunst und Baukunst können nichts weiter, als ihnen helfen, jene ihre Eigenschaften deutlich, vielseitig und vollständig zu entfalten, ihnen Gelegenheit geben, sich rein auszusprechen, wodurch sie eben zur ästhetischen Beschauung auffordern und dieselbe erleichtern. Dies leisten dagegen schlechte Gebäude und Gegenden, welche die Natur vernachlässigte oder die Kunst verdarb, wenig oder gar nicht: dennoch können auch aus ihnen jene allgemeinen Grundideen der Natur nicht ganz verschwinden. Den sie suchenden Betrachter sprechen sie auch hier an, und selbst schlechte Gebäude u. dgl. sind noch einer ästhetischen Betrachtung fähig: die Ideen der allgemeinsten Eigenschaften ihres Stoffes sind noch in ihnen erkennbar, nur daß die ihnen künstlich gegebene Form kein Erleichterungsmittel, ja vielmehr ein Hinderniß ist, das die ästhetische Betrachtung erschwert. Auch Artefakta dienen folglich dem Ausdruck von Ideen: nur ist es nicht die Idee des Artefakts, die aus ihnen spricht, sondern die Idee des Materials, dem man diese künstliche Form gab. In der Sprache der Scholastiker läßt sich dieses sehr bequem mit zwei Worten ausdrücken, nämlich im Artefakt spricht sich die Idee seiner forma substantialis, nicht die seiner forma accidentalis aus, welche letztere auf keine Idee, sondern nur auf einen menschlichen Begriff, von dem sie ausgegangen, leitet. Es versteht sich, daß hier mit dem Artefakt ausdrücklich kein Werk der bildenden Kunst gemeint ist. Uebrigens verstanden die Scholastiker in der That unter forma substantialis Dasjenige, was ich den Grad der Objektivation des Willens in einem Dinge nenne. Wir werden sogleich, bei Betrachtung der schönen Baukunst, auf den Ausdruck der Idee des Materials zurückkommen. – Unserer Ansicht zufolge können wir nun aber nicht dem Plato beistimmen, wenn er (De Rep. X, p. 284-285, et Parmen., p. 79, ed. Bip.) behauptet. Tisch und Stuhl drückten die Ideen Tisch und Stuhl aus; sondern wir sagen, daß sie die Ideen ausdrücken, die schon in ihrem bloßen Material als solchem sich aussprechen. Nach dem Aristoteles (Metaph., XI, Kap. 3) hätte jedoch Plato selbst nur von den Naturwesen Ideen statuirt: ho Platôn ephê, hoti eidê estin hoposa physei. (Plato dixit, quod ideae eorum sunt, quae natura sunt), und Kap. 5 wird gesagt, daß es, nach den Platonikern, keine Ideen von Haus und Ring gebe. Jedenfalls haben schon Plato's nächste Schüler, wie uns Alkinoos (introductio in Platonicam philosophiam, Kap. 9) berichtet, geleugnet, daß es Ideen von Artefakten gäbe. Dieser sagt nämlich: Horizontai de tên idean, paradeigma tôn kata physin aiônion. Oute gar tois pleistois tôn apo Platônos areskei, tôn technikôn einai ideas, hoion aspidos ê lyras, oute mên tôn para physin, hoion pyretou kai choleras, oute tôn kata meros, hoion Sôkratous kai Platônos, all' oute tôn eutelôn tinos, hoion rypou kai karphous, oute tôn pros ti, hoion meizonos kai hyperechontos; einai gar tas ideas noêseis theou aiônious te kai autoteleis. – (Definiunt autem ideam exemplar aeternum eorum, quae secundum naturam existunt. Nam plurimis ex iis, qui Platonem secuti sunt, minime placuit, arte factorum ideas esse, ut clypei atque lyrae, neque rursus eorum, quae praeter naturam, ut febris et cholerae; neque particularium, ceu Socratis et Platonis, neque etiam rerum vilium, veluti sordium et festucae; neque relationum, ut majoris et excedentis: esse namque ideas intellectiones dei aeternas, ac seipsis perfectas.)– Bei dieser Gelegenheit mag noch ein anderer Punkt erwähnt werden, in welchem unsere Ideenlehre von der des Plato gar sehr abweicht. Er lehrt nämlich (De Rep., X, S. 288), daß der Gegenstand, den die schöne Kunst darzustellen beabsichtigt, das Vorbild der Malerei und Poesie, nicht die Idee wäre, sondern das einzelne Ding. Unsere bisherige Auseinandersetzung behauptet gerade das Gegentheil, und Plato's Meinung wird uns hierin um so weniger irre machen, als dieselbe die Quelle eines der größten und anerkannten Fehler jenes großen Mannes ist, nämlich seiner Geringschätzung und Verwerfung der Kunst, besonders der Poesie: sein falsches Urtheil über diese knüpft er unmittelbar an die angeführte Stelle.

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