Читать книгу Das Liebesleben eines deutschen Jünglings - Arthur Zapp - Страница 6
Vorwort des Verfassers
ОглавлениеWenn ich heute als Mann von 65 Jahren die Geschichte meines wilden jugendlichen Liebeslebens niederschreibe, so tue ich es wahrlich nicht aus Freude an der Erinnerung, denn neben manchem Schönen habe ich noch mehr Unschönes, Beschämendes zu berichten. Noch weniger schreibe ich aus Sensationslust, denn ich bin heute ein müder Greis, dem nur noch eine kurze Spanne Lebenszeit zugemessen ist und der resigniert, wunschlos, mit überlegenem Lächeln auf die Eitelkeiten des Lebens blickt. Ich veröffentliche die Erlebnisse meiner Jugendzeit aus demselben Grunde, der mich veranlaßt hat, in früheren Romanen die unnatürlichen, kulturwidrigen, durch und durch verrotteten Zustände in unserem Liebes- und Eheleben zu schildern und an den Pranger zu stellen. Ich will an dem mir zunächst liegenden Beispiel zeigen, wie sich das Liebesleben des deutschen Jünglings abzuspielen pflegt. Es handelt sich ja nicht um die Darstellung der Sitten eines Einzelindividuums, die wenig Wert haben würde, sondern um die des typischen Treibens unserer männlichen Jugend. So wie ich und meine damaligen Altersgenossen vor vierzig Jahren unter der Herrschaft der zweierlei Moral das schönste, höchste und stärkste Gefühl des Menschen geschändet, in den Schmutz gezogen haben, ohne uns dessen bewußt zu sein, weil wir die anderen so leben sahen, weil wir wußten, daß unsere Väter es nicht anders getrieben hatten, ebenso verzetteln auch noch heute die jungen Leute ihre Kraft zu lieben. Wer hat schuld an dieser beschämenden Tatsache, die unser ganzes Leben vergiftet und die Ursache von schweren moralischen und physischen Gebrechen und Leiden ist? Der einzelne nicht, sondern die Gesellschaft hat schuld, d.h. die tonangebenden Kreise, die die staatlichen Gesetze, die gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche und Anschauungen geschaffen haben. Unsere sozialen Einrichtungen lassen nicht zu, daß die Männer der gebildeten, führenden Klassen vor dem 35. Lebensjahr heiraten. Das ist der Urquell alles Übels, der Prostitution und der illegitimen Verhältnisse, des wüsten Liebeslebens der unverheirateten Männer. Solange wir diese unsinnigen grellen Mißverhältnisse haben, solange wird und kann es nicht anders sein. Ich frage: Was sollen denn unsere jungen Männer tun, die noch ein halbes Dutzend Examina und lange Probe- und Diätarjahre vor sich haben, bevor sie eine Anstellung erlangen, die ihnen gestattet, eine Familie zu gründen? Will man den normalen, gesunden jungen Männern etwa zumuten, den stärksten natürlichen Trieb zu unterdrücken, sich körperlich selbst zu mißhandeln? Wenn sie es auch wollten, sie könnten es nicht, denn die gemißhandelte Natur würde sich doch elementar Bahn brechen. Ein gesunder, normaler junger Mann kann bis in die dreißiger Jahre hinein ohne geschlechtlichen Verkehr nicht leben. Er würde körperlich und seelisch ein Krüppel werden, wollte er es versuchen; Lebensfreude und Arbeitslust würden dahinsiechen, und er würde zur Liebe und Ehe und zur Erzeugung von Kindern nicht mehr tauglich sein. Die Natur läßt sich nicht spotten. Unsere unkulturellen sozialen Verhältnisse zwingen den normalen jungen Mann zur Prostitution mit allen ihren häßlichen, gefahrbringenden Begleiterscheinungen oder zur Verführung ehrbarer Mädchen oder zu widernatürlichen, ungesunden Manipulationen. Deshalb ist es Heuchelei oder Unverstand, will man die jungen Leute verdammen, die so leben, wie – ich gelebt habe. Die ganze geschlechtliche Frage ist nur ein Teil der großen sozialen Frage. Schafft Zustände, daß jeder junge Mann, gleichviel welchen Berufes, zwischen dem 20. und 22. Lebensjahr das Mädchen seiner Liebe heimführen kann, und daß er es nicht nötig hat, sich an ein reiches Mädchen, das ihm vielleicht Widerwillen einflößt, zu verkaufen und heimlich das Lasterleben seiner Jugend auch als Ehemann fortzuführen, um den in der Ehe unbefriedigten natürlichen Trieben zu genügen. In den meisten Kulturstaaten sind heute allein die Handarbeiter in der glücklichen Lage, mit zwanzig Jahren Liebesehen einzugehen und ihre natürlichen Begierden in legaler Weise zu befriedigen. In den unteren Ständen ist die Frühehe die Regel, in den oberen die Spätehe. Deshalb leben auch die jungen Leute der gesellschaftlich höheren Kreise geschlechtlich viel ungebundener, sittenloser und deshalb ist es auch Tatsache, daß Geschlechtskrankheiten in den oberen und mittleren Bevölkerungsschichten häufiger sind als in den Handarbeiterkreisen. Die jungen Arbeiter pflegen sehr häufig das von ihnen geschwängerte junge Mädchen zu heiraten, die »besseren« jungen Männer fast nie.
Schon in der Jugend müßte die Grundlage einer schöneren, reineren Auffassung von dem Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander und ihrer gegenseitigen Pflichten gelegt werden. An Stelle einiger für die bei weitem größere Mehrzahl der Schüler wirklich recht entbehrlichen Disziplinen (z.B. Griechisch, höhere Mathematik, das Auswendiglernen starrer, veralteter Dogmen usw., wobei weder Geist noch Gemüt profitieren) müßte das wichtigste aus der Biologie, von der Natur des Menschen und auch Moralunterricht gegeben werden. Hierbei müßte die Jugend auch über das Wesen der geschlechtlichen Dinge in der ihr angemessenen Weise aufgeklärt und die heranwachsenden Jünglinge zur Achtung des Weibes, zur richtigen Würdigung des Liebeslebens und zur geschlechtlichen Selbstachtung erzogen werden...
Wenn ich meine Scheu, meine Bedenken, das erotische Leben meiner Jugendjahre der Öffentlichkeit preiszugeben, überwunden habe, so tat ich es, um durch ein aus dem Leben gegriffenes, ohne irgendwelche erdichteten romanhaften Zutaten und ohne alle Beschönigungen dargestelltes drastisches, eindruckfähiges Beispiel die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese unhaltbaren Zustände zu lenken und zum Nachdenken darüber anzuregen. Ich tat es in dem Bewußtsein, daß ja alle, die von meinen Offenherzigkeiten Kenntnis nehmen, dieselben Jugendsünden hinter sich haben, die einen mehr, die anderen weniger, und von dem Wunsche beseelt, die Erkenntnis der Reformbedürftigkeit unserer sozialen und damit verbundenen und davon abhängigen übrigen kulturwidrigen Zustände auf allen Gebieten des Lebens immer weiteren Kreisen zu erschließen und die Bestrebungen einer bisher noch so kleinen Gruppe von vorurteilslosen Kulturfreunden fördern zu helfen, unser Liebesleben und unsere Eheinstitution sittlicher, menschenwürdiger zu gestalten.
Albert Zell