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Teufel! Marietta!!
Eine verflixte Geschichte
Zweites Kapitel

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Günther hatte eine in jeder Beziehung unruhige Nacht. Als Helene sehr viel später als sonst das Licht löschte, fand Günther noch lange keinen Schlaf.

Wenn er gewiß auch ein Egoist war, so war er darum doch ein guter Mensch. Und da er in seiner höchsten Not das Unglück verschuldet hatte, das über seinen Freund Siewers hereingebrochen war, so fühlte er nun auch die Pflicht, ihn zu retten.

Wie schon an jenem denkwürdigen Nachmittag, an dem man ihm unvermittelt das Kind versetzte, so sah er auch jetzt die einzige Möglichkeit einer Rettung in Frau von Villiers. Von allen Frauen, die ihn je geliebt hatten, war sie die selbstloseste und zuverlässigste gewesen. Und wenn er sich auch, wie bei jeder, so auch bei ihr, nicht grade einen besonders glänzenden Abgang verschafft hatte, so wußte er doch, daß sie, die seine Eigenschaften besser als andre kannte, ihm darum nicht gram war. Es sei denn – und darin lag allein eine Gefahr – daß ihre Ehe mit diesem Herrn von Villiers, von dem er nichts als den Namen kannte, glücklich war.

Aber mit solchen Unwahrscheinlichkeiten zu rechnen, fiel ihm nicht ein. Welche Ehe ist denn glücklich? fragte er sich. Und nun gar bei einer Frau, die er drei Jahre lang fast ohne Unterbrechung angebetet hatte! Also, folgerte er, würde es nicht schwer fallen, das Fünkchen, das gewiß noch immer unter der Asche glomm, wieder zur Flamme zu entfachen.

In dieser Zuversicht schlief er ein. Und neben ihm träumte Helene von batistenen Hemdchen und Jäckchen und von hellem Kinderlachen. —

Früh morgens zog Günther seinen neuen Cutaway an, holte den Zylinder aus dem Schrank und riß ein Paar neuer Schweden an. Und als Helene ihn noch halb verträumt fragte:

»Wohin gehst du denn?« und er keine Ausrede fand, da legte er geheimnisvoll den Zeigefinger auf den Mund und ging auf den Zehen zur Tür hinaus.

Über Helenes Gesicht glitt ein glückliches Lächeln. Das steht wohl damit in Verbindung! dachte sie, schlief wieder ein und träumte weiter.

Günther aber beeilte sich beim Tee, trug dem Friseur besondre Sorgfalt auf, kaufte beim Gärtner eine Blume fürs Knopfloch, stieg in ein Auto und fuhr in die Hildebrandsche Privatstraße, in der Villiers ihre Wohnung hatten.

»Falls Madame noch bei der Toilette ist, so komme ich lieber in einer halben Stunde wieder,« sagte er zu dem Diener, der ihn von der Halle aus in den Salon führte.

»Durchaus nicht,« erwiderte der Diener, »Frau Baronin lassen bitten.«

Elsner übergab dem Diener mit einem kurzen Hinweis den Strauß und trat ins Zimmer.

Wie viele Jahre habe ich sie nicht gesehen, dachte er und sah sich im Zimmer um. Auf dem Schreibtisch stand eine Photographie, er nahm sie auf und betrachtete sie: Aha! dachte er – der Herr Gemahl! – verzog das Gesicht und entschied:

»Mäßig! sehr mäßig!« – Und er sagte sich sofort: das erhöht entschieden meine Chancen. – Er führte das Bild noch dichter vor die Nase und fand: so gar nicht ihr Typ! – so gar nicht das, was sie damals liebte! Und als er in dem Spiegel gegenüber jetzt sein eigenes Gesicht sah, verglich er sich mit dem Bilde. Der Vergleich fiel in allem zu seinen Gunsten aus. – Wenn das Bild auch nur sechs Monate alt ist, entschied er, dann hat er jetzt eine kahle Platte. Dabei fuhr er sich stolz und liebevoll durch sein volles Haar. – Und wie ihr solch ein starker voller Mund immer zuwider war! dachte er und führte unwillkürlich die Finger an die feinen, schmalen Lippen. – Bestimmt sind diese Augen schwarz! und er erinnerte sich, daß sie blaue, nur blaue Augen liebte. – Er stellte das Bild wieder auf seinen Platz, setzte sich und dachte an die Zeit zurück, als Frau Baronin von Villiers noch Anni Röder war. – Wäre ich damals Jurist geblieben, dachte er, statt Schriftsteller zu werden, dann steckte ich heute in diesem Rahmen und würde wohl eine andere Figur machen als dieser kahlköpfige Roué. – Na, mir kann’s recht sein! um so weniger wird sie mich vergessen haben. – Jetzt heißt es nur, gut Komödie spielen! glaubt sie noch an meine Liebe, dann, Siewers, bist du gerettet!

Im selben Augenblick rauschte Anni in elegantester Morgentoilette ins Zimmer. Sie hatte sich einen Tuff von Günthers Rosen angesteckt.

»Wahrhaftig! Sie sind’s!« sagte sie, errötete und sah zur Erde.

»Ja! – ich bin’s!« bestätigte Günther und nahm ihre Hand, »Ernst Günther, der kühne Referendar!«

»So nannten wir Sie damals,« sagte sie und wagte noch immer nicht zu ihm aufzusehen.

»Ja damals!« wiederholte Günther und tat, als wenn die Erinnerung ihn schwer bedrückte – »als ich noch jedem eine tiefe Quart in die Wange grub, der tiefer in diese blauen Augen sah, als meine Eifersucht es ertrug.«

»Und die ertrug so wenig damals,« sagte Anni, und Günther ergänzte:

»Und hat sich am Ende doch daran gewöhnen müssen, alles zu ertragen.«

»Wie lange ist das her? – All diese Wunden sind längst vernarbt.«

»Bis auf eine,« stöhnte Günther, »die niemals heilen wird.«

»Es waren schöne Tage,« seufzte Anni; und Günther ergänzte:

»Und könnten es heut noch sein!«

»Ja!« sagte Anni, – »wenn der kühne Referendar nicht eines Tages das Jus an den Nagel gehängt und unter die Dichter gegangen wäre.«

»An diesem Tage aber,« ergänzte Günther, »entdeckte das liebe Mädel, daß es ja gar nicht der Mensch war, den sie liebte, sondern der Herr Regierungsreferendar, der die große Carriere vor sich hatte.«

»Sie haben Unmögliches von mir verlangt damals!« widersprach Anni. »Ich sollte mit Ihnen auf und davon. Wohin, das wußten Sie selbst nicht – hinaus in die Welt! – Frag nicht, wenn du mich lieb hast, sagten Sie. Und ich wäre damals gegangen – trotz allem – ohne Rücksicht auf meine Eltern, auf meinen Ruf – so sehr hing ich an Ihnen.«

Günther tat gerührt:

»Teuerste!« sagte er – »Beste!« – und machte den Versuch, sie zu umarmen. Aber sie wehrte ab und fuhr fort:

»Rechtzeitig noch erfuhr ich . . .«

Und Günther machte ein langes Gesicht und fragte ängstlich:

»Was erfuhren Sie?«

»Daß Sie sich alle Abende mit Margot, der Tochter des Präsidenten von Rinner, auf der Hirschgasse trafen.«

»Ich schwöre Ihnen . . .« versicherte Günther und wollte den Arm erheben; aber Anni hielt ihn zurück.

»Schwören Sie nicht!« rief sie.

»Doch! doch!« erwiderte Günther. »Es geschah ausschließlich mit Rücksicht auf mein diplomatisches Examen.« – Und als Anni das nicht verstand, fuhr er fort: »Ihr Vater leitete die Prüfung; sie sollte ihn günstig für mich stimmen. Ich war zum Äußersten entschlossen damals: Ich hatte die feste Absicht, mich für die Dauer des Examens mit ihr zu verloben.«

»Günther, wenn das wahr ist!« rief Anni freudig.

Und Günther versicherte:

»Mein Wort darauf!«

»So war sie Ihnen also nur . . .?«

». . . Mittel zum Zweck,« ergänzte Günther – »Und ich liebe Sie – nur Sie! Wie ich Sie noch heute liebe!«

Damit war Annis Widerstand gebrochen. Mit zitternder Stimme sagte sie:

»Es ist noch dieselbe Stimme, derselbe sieghafte Blick, mit dem Sie mich damals immer wieder zurück gewannen.«

Und Günther, seines Sieges sicher, bekannte leidenschaftlich:

»Und es ist noch dasselbe Herz, Anni . . .«

». . . das so oft aussetzte und für andre schlug,« unterbrach sie ihn.

»Dabei aber nie vergaß,« sagte er zärtlich, »wohin es gehörte und reumütig immer wieder zu Ihnen zurückkehrte.«

»So haben Sie mich also wirklich nicht vergessen, Günther?«

Günther trat gekränkt.

»Die erste Liebe, die ins Herz einzieht, ist die letzte, die aus dem Gedächtnisse schwindet! – und Sie konnten glauben, daß ich Sie vergesse? – ich dich?« sagte er zärtlich und schloß sie in seine Arme.

»Nein!« erwiderte Anni, »ich wußte ja, daß du eines Tages kommen würdest.«

Und Günther setzte einen Trumpf darauf und sagte:

»Und ich habe von dieser Hoffnung gelebt – die ganzen Jahre.«

»Und doch hast du dich verheiratet,« warf sie ihm vor.

»Erst als ich wußte, daß du für mich verloren warst.«

»Komm!« sagte sie, nahm seine Hand und ging mit ihm zum Sofa: »Setz dich zu mir!«

Erich setzte sich, sie lehnte sich an ihn und sagte:

»Ich kann dir ja gar nicht sagen, wie ich mich freue!« —

Eine Zeitlang saßen sie so dicht beieinander und feierten Wiedersehn, ohne daß sie viel sprachen.

Nach einer Weile fragte Günther, was unvermittelt schien, und doch in der Luft lag:

»Und dein Mann?«

»Er ist in der Reitbahn,« erwiderte Anni und sah nach der Uhr, »in einer halben Stunde etwa ist er zurück.«

»Du reitest nicht mehr?« fragte Günther.

»Nachmittags, wenn mein Mann zu Haus ist.«

Günther dachte an das Bild und nickte verständnisvoll.

»Wir sehen uns wenig,« bestätigte Anni.

»Ich möchte dich etwas fragen,« sagte Günther.

»Bitte!«

»Hast du Familie?«

»Danke, nein!« erwiderte sie – »ich sagte dir ja schon, wir sehen uns kaum.«

»Ihr scheint ja sehr glücklich miteinander zu leben.«

»Wir stören uns wenig – aber sage, hast du Kinder?«

»Nein! – das heißt . . .« – sagte er zögernd, »wie man’s nimmt – ich habe eins, aber meine Frau hat keins.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Das glaube ich gern.«

»Willst du es mir nicht erzählen?« bat Anni.

»Hm! – Offen gesagt – darum bin ich eigentlich hier – ich hätte sonst kaum gewagt – aber ich sagte mir, – du verstehst vielleicht . . .?«

»Keine Silbe!« erwiderte Anni.

»Also kurz heraus, Anni!« sagte Günther, stand auf und trat vor sie hin: »Da wir beide uns doch einmal nicht mehr angehören können – so traurig das an und für sich ist, da ich doch weiß, wie sehr wir noch mit dem Herzen aneinander hängen . . .«

»Leider! leider! tue ich das!« sagte Anni.

»Also, kurz heraus: Wie wäre es, wenn du mein Kind adoptiertest?«

Anni sprang auf.

»Günther, du hast ein Kind,« rief sie – »von dem deine Frau nichts weiß?«

Günther fuhr in aller Ruhe fort:

»Wenn das natürlich auch kein vollwertiger Ersatz für mich wäre, so ist es doch immerhin Blut von meinem Blut.«

»Wer ist die Mutter?« fragte Anni erregt.

»Zur Zeit das Schwesternheim Caritas.«

Anni verstand ihn nicht.

»Die haben das Kind elf Jahre lang groß gezogen und es mir gestern nachmittag, fünf Uhr zehn Minuten, durch ihre Oberin überreichen lassen.«

»Und deine Frau – was sagt die dazu?«

»Nichts! denn der habe ich eingeredet, daß es meinem Freunde Siewers gehört.«

»Wenn der das nun erfährt?«

»Dem habe ich es auch eingeredet.«

»Nicht möglich!« rief Anni verblüfft – »und er?«

»Er schwört bereits darauf, daß es sein Kind ist.«

»Du! das ist himmlisch!« rief Anni belustigt. »Du bist noch immer derselbe, der du damals warst.«

Aber Günther war in Gedanken an Siewers im Grunde doch recht ernst zu Mute.

»Der arme Kerl zittert nur,« fuhr er fort, »daß seine Frau etwas davon erfährt. Meine Frau brennt natürlich darauf, es seiner zu erzählen.«

»Das kann ich mir denken!« sagte Anni.

»Ich habe ihr alles Mögliche versprechen müssen, nur, damit sie bis morgen damit wartet. Aber du wirst selbst einsehen, daß bis dahin irgend etwas mit dem Kinde geschehen muß.«

»Ja und . . .?« fragte Anni.

»Da dachte ich mir eben, wenn du vielleicht das Kind zu dir nähmst – damit wäre doch allen geholfen – dem Kind und mir und Dr. Siewers und schließlich auch dir.«

»Wieso mir?« fragte Anni erstaunt.

»Nun, du hättest doch eine bleibende Erinnerung an mich! Denke doch, ein Kind von mir! und ähnlich sieht es mir! sprechend!« – dabei holte er ein Bild aus der Tasche, das Agate ihm gestern gegeben hatte: »Bitte, überzeug’ dich selbst!«

»Wahrhaftig!« rief Anni und war ganz in den Anblick des Bildes vertieft – »das bist ja du in jedem Zuge! deine guten blauen Augen und der goldige Zug um den feinen schmalen Mund, den ich immer so lieb hatte! – und dein schönes volles Haar!« – Und leidenschaftlicher als zuvor ihn, drückte sie jetzt das Bild an sich.

»Du!« bat sie – »laß das mir!«

»Was?« fragte Günther.

»Das Bild.«

»Und das Kind?« erwiderte Günther – »das Bild wird nur mit dem Kinde zusammen abgegeben.«

»Also gut!« rief Anni freudig, »bring es mir! – auf der Stelle! Es soll nicht mehr von meiner Seite gehen!« – Dann wurde sie ernst, fiel ihm gerührt um den Hals und sagte unter Tränen:

»Dein Kind! Ach Günther, wenn du wüßtest, wie glücklich du mich mit diesem Kinde machst.«

Und Günther, der das Glück teilte, erwiderte feierlich:

»Ich kann dir gar nicht sagen, Anni, wie froh ich bin, daß du nun die Mutter meines Kindes wirst.«

»Sie soll es so gut bei mir haben,« versprach Anni, »daß sie keinen Tag und keine Stunde ihre Mutter entbehrt. – Ja, wer ist denn nun eigentlich ihre Mutter? – Ich meine natürlich, ihre leibliche Mutter?« fragte sie.

»Das ist es eben,« sagte Günther verlegen, der schon geglaubt hatte, über den Berg zu sein. »Die hat sich elf Jahre lang nicht um das Kind gekümmert. Sie war, glaube ich, die ganze Zeit über in einem fremden Weltteil. Jetzt plötzlich taucht sie auf – als Zirkusreiterin oder so was Ähnliches – in irgend einem Varieté.«

»Entsetzlich!« rief Anni und hielt sich das Spitzentuch vors Gesicht – »entsetzlich!«

»Nicht wahr? du kannst mir nachfühlen, was ich als Vater darunter leide.«

Aber Anni gab die richtige Antwort und sagte:

»Das arme Kind!«

»Nun,« beruhigte sie Günther, »es kann sich freuen, daß es mich zum Vater hat. Denn ich werde natürlich nicht dulden, daß es wieder in die Hände dieser Frau kommt – und wenn es zehnmal ihre Mutter ist.«

Günther!!« rief Anni plötzlich entsetzt.

»Was ist dir?« fragte er ängstlich.

»Elf Jahre, sagst du, ist das Kind? Ja! da liebten wir uns beide ja noch, ohne daß ein Dritter zwischen uns stand.«

Günther wurde blaß.

»Und grade damals,« fuhr Anni fort, »glaubten wir, daß wir uns bald für’s Leben angehören würden! – Und trotzdem hast du . . .!«

»Ich schwöre dir!« versicherte Günther, »nie habe ich dich mehr geliebt, als grade zu jener Zeit.«

»Aber wie erklärst du dann . . .?«

»Und wenn ich wirklich einmal entgleist bin – dem Geiste nach ist es dein Kind. Denn bei dir waren damals bei allem, was ich tat, meine Gedanken.«

»Ich will es glauben,« erwiderte Anni – »schon weil ich mich nicht um die große Freude bringen will.«

»Und ich bin froh,« sagte Günther, »daß ich dir nach so vielen Enttäuschungen endlich mal eine Freude machen kann.«

»Als wir vor acht Jahren die Villa hier bauten,« sagte sie: »haben wir nach dem Garten raus so etwas wie eine kleine Puppenwohnung eingerichtet. Es sind drei Zimmer und eine Art Wintergarten, du mußt es dir ansehen! – Ich hatte damals noch so meine eigenen Gedanken – aber du ließt dich ja nicht sehen.«

Und Günther erkannte, daß er acht Jahre lang ein großes Schaf gewesen war.

»Nun endlich wird Leben da hinein kommen,« sagte sie – »Leben von deinem Leben! So wie ich es mir immer wünschte!«

Aber bei Günther kamen schon wieder Bedenken.

Teufel  Marietta

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