Читать книгу Aphorismen zur Lebensweisheit - Артур Шопенгауэр, Артур Шопенгауэр - Страница 5
Kapitel IV
Von dem, was einer vorstellt
ОглавлениеDieses, also unser Dasein in der Meinung anderer, wird, infolge einer besonderen Schwäche unserer Natur, durchgängig viel zu hoch angeschlagen; obgleich schon die leichteste Besinnung lehren könnte, daß es, an sich selbst, für unser Glück, unwesentlich ist. Es ist demnach kaum erklärlich, wie sehr jeder Mensch sich innerlich freut, so oft er Zeichen der günstigen Meinung anderer merkt und seiner Eitelkeit irgendwie geschmeichelt wird. So unausbleiblich wie die Katze spinnt, wenn man sie streichelt, malt süße Wonne sich auf das Gesicht des Menschen, den man lobt und zwar in dem Felde seiner Prätension, sei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft trösten ihn über reales Unglück oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hieher abgehandelten Hauptquellen unseres Glückes fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, ist es zum Erstaunen, wie sehr jede Verletzung seines Ehrgeizes, in irgend einem Sinne, Grad oder Verhältnis, jede Geringschätzung, Zurücksetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief schmerzt. Sofern auf dieser Eigenschaft das Gefühl der Ehre beruht, mag sie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von ersprießlichen Folgen sein; aber auf das eigene Glück des Menschen, zunächst auf die diesem so wesentliche Gemütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt sie mehr störend und nachteilig als förderlich ein. Daher ist es, von unserm Gesichtspunkt aus, ratsam, ihr Schranken zu setzen und, mittels gehöriger Überlegung und richtiger Abschätzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichst zu mäßigen, sowohl da, wo ihr geschmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geschieht: denn beides hängt am selben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und fremden Bedünkens:
Sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum
Subruit ac reficit.
Demnach wird eine richtige Abschätzung des Wertes dessen, was man in und für sich selbst ist, gegen das, was man bloß in den Augen anderer ist, zu unserm Glücke viel beitragen. Zum ersteren gehört die ganze Ausfüllung der Zeit unsers eigenen Daseins, der innere Gehalt desselben, mithin alle die Güter, welche unter den Titeln »was einer ist« und »was einer hat« von uns in Betrachtung genommen worden sind. Denn der Ort, in welchem alles dieses seine Wirkungssphäre hat, ist das eigene Bewußtsein. Hingegen ist der Ort dessen, was wir für andere sind, das fremde Bewußtsein: es ist die Vorstellung, unter welcher wir darin erscheinen, nebst den Begriffen, die auf diese angewandt werden4. Dies nun ist etwas, das unmittelbar gar nicht für uns vorhanden ist, sondern bloß mittelbar, nämlich sofern das Betragen der andern gegen uns dadurch bestimmt wird. Und auch dieses selbst kommt eigentlich nur in Betracht, sofern es Einfluß hat auf irgend etwas, wodurch das, was wir in und für uns selbst sind, modifizirt werden kann. Außerdem ist ja, was in einem fremden Bewußtsein vorgeht, als solches, für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählig gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Oberflächlichkeit und Futilität der Gedanken, von der Beschränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Gesinnung, von der Verkehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der Irrtümer in den allermeisten Köpfen eine hinlängliche Kenntnis erlangen, und dazu aus eigener Erfahrung lernen, mit welcher Geringschätzung gelegentlich von jedem geredet wird, sobald man ihn nicht zu fürchten hat oder glaubt, es komme ihm nicht zu Ohren; insbesondere aber nachdem wir einmal angehört haben, wie vom größten Manne ein halbes Dutzend Schafsköpfe mit Wegwerfung spricht. Wir werden dann einsehen, daß, wer auf die Meinung der Menschen einen großen Wert legt, ihnen zu viel Ehre erzeigt.
Jedenfalls ist der auf eine kümmerliche Ressource hingewiesen, der sein Glück nicht in den beiden, bereits abgehandelten Klassen von Gütern findet, sondern es in dieser dritten suchen muß, also nicht in dem, was er wirklich, sondern in dem, was er in der fremden Vorstellung ist. Denn überhaupt ist die Basis unseres Wesens und folglich auch unseres Glücks unsere animalische Natur. Daher ist, für unsere Wohlfahrt, Gesundheit das wesentlichste, nächst dieser aber die Mittel zu unserer Erhaltung, also ein sorgenfreies Auskommen. Ehre, Glanz, Rang, Ruhm, so viel Wert auch mancher darauf legen mag, können mit jenen wesentlichen Gütern nicht kompetiren, noch sie ersetzen: vielmehr würden sie, erforderlichen Falle, unbedenklich für jene hingegeben werden. Dieserwegen wird es zu unserm Glücke beitragen, wenn wir beizeiten die simple Einsicht erlangen, daß jeder zunächst und wirklich in seiner eigenen Haut lebt, nicht aber in der Meinung anderer, und daß demnach unser realer und persönlicher Zustand, wie er durch Gesundheit, Temperament, Fähigkeiten, Einkommen, Weib, Kind, Freunde, Wohnort usw. bestimmt wird, für unser Glück hundertmal wichtiger ist, als was es andern beliebt aus uns zu machen. Der entgegengesetzte Wahn macht unglücklich. Wird mit Emphase ausgerufen »Über's Leben geht noch die Ehre,« so besagt dies eigentlich: »Dasein und Wohlsein sind nichts; sondern was die andern von uns denken, das ist die Sache.« Allenfalls kann der Ausspruch als eine Hyperbel gelten, der die prosaische Wahrheit zum Grunde liegt, daß zu unserm Fortkommen und Bestehn unter Menschen die Ehre, d. h. die Meinung derselben von uns, oft unumgänglich nötig ist; worauf ich weiterhin zurückkommen werde. Wenn man hingegen sieht, wie fast alles, wonach Menschen, ihr Leben lang, mit rastloser Anstrengung und unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten, unermüdlich streben, zum letzten Zweck, hat, sich dadurch in der Meinung anderer zu erhöhen, indem nämlich nicht nur Ämter, Titel und Orden, sondern auch Reichtum, und selbst Wissenschaft5 und Kunst, im Grunde und hauptsächlich deshalb angestrebt werden, und der größere Respekt anderer das letzte Ziel ist, darauf man hinarbeitet; so beweist dies leider nur die Größe der menschlichen Torheit. Viel zu viel Wert auf die Meinung anderer zu legen, ist ein allgemein herrschender Irrwahn: mag er nun in unserer Natur selbst wurzeln, oder in Folge der Gesellschaft und Zivilisation entstanden sein; jedenfalls übt er auf unser gesamtes Tun und Lassen einen ganz übermäßigen und unserem Glücke feindlichen Einfluß aus, den wir verfolgen können, von da an, wo er sich in der ängstlichen und sklavischen Rücksicht auf das qu'en dira-t-on zeigt, bis dahin, wo er den Dolch des Virginius in das Herz seiner Tochter stößt, oder den Menschen verleitet, für den Nachruhm, Ruhe, Reichtum und Gesundheit, ja, das Leben zu opfern. Dieser Wahn bietet allerdings dem, der die Menschen zu beherrschen oder sonst zu lenken hat, eine bequeme Handhabe dar; weshalb in jeder Art von Menschendressierungskunst die Weisung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu schärfen, eine Hauptstelle einnimmt: aber in Hinsicht auf das eigene Glück des Menschen, welches hier unsere Absicht ist, verhält die Sache sich ganz anders, und ist vielmehr davon abzumahnen, daß man nicht zu viel Wert auf die Meinung anderer lege. Wenn es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, dennoch geschieht, wenn die meisten Menschen gerade auf die Meinung anderer von ihnen den höchsten Wert legen und es ihnen darum mehr zu tun ist als um das, was, weil es in ihrem eigenen Bewußtsein vorgeht, unmittelbar für sie vorhanden ist; wenn demnach, mittels Umkehrung der natürlichen Ordnung, ihnen jenes der reale, dieses der bloß ideale Teil ihres Daseins zu sein scheint, wenn sie also das Abgeleitete und Sekundäre zur Hauptsache machen und ihnen mehr das Bild ihres Wesens im Kopfe anderer, als dieses Wesen selbst am Herzen liegt; so ist diese unmittelbare Wertschätzung dessen, was für uns unmittelbar gar nicht vorhanden ist, diejenige Torheit, welche man Eitelkeit, vanitas, genannt hat, um dadurch das Leere und Gehaltlose dieses Strebens zu bezeichnen. Auch ist aus dem Obigen leicht einzusehn, daß sie zum Vergessen des Zwecks über die Mittel gehört, so gut wie der Geiz.
In der Tat überschreitet der Wert, den wir auf die Meinung anderer legen, und unsere beständige Sorge in betreff derselben, in der Regel, fast jede vernünftige Bezweckung, so daß sie als eine Art allgemein verbreiteter oder vielmehr angeborener Manie angesehn werden kann. Bei allem, was wir tun und lassen, wird, fast vor allem andern, die fremde Meinung berücksichtigt, und aus der Sorge um sie werden wir, bei genauer Untersuchung, fast die Hälfte aller Bekümmernisse und Ängste, die wir jemals empfunden haben, hervorgegangen sehn. Denn sie liegt allem unserm, so oft gekränkten, weil so krankhaft empfindlichen, Selbstgefühl, allen unsern Eitelkeiten und Prätensionen, wie auch unserm Prunken und Großtun, zum Grunde. Ohne diese Sorge und Sucht würde der Luxus kaum ein Zehntel dessen sein, was er ist. Aller und jeder Stolz, point d'honneur und puntiglio, so verschiedener Gattung und Sphäre er auch sein kann, beruht auf ihr – und welche Opfer heischt sie da nicht oft! Sie zeigt sich schon im Kinde, sodann in jedem Lebensalter, jedoch am stärksten im späten; weil dann, beim Versiegen der Fähigkeit zu sinnlichen Genüssen, Eitelkeit und Hochmut nur noch mit dem Geize die Herrschaft zu teilen haben. Am deutlichsten läßt sie sich an den Franzosen beobachten, als bei welchen sie ganz endemisch ist und sich oft in der abgeschmacktesten Ehrsucht, lächerlichsten National-Eitelkeit und unverschämtesten Prahlerei Luft macht; wodurch dann ihr Streben sich selbst vereitelt, indem es sie zum Spotte der andern Nationen gemacht hat und die grande nation ein Neckname geworden ist. Um nun aber die in Rede stehende Verkehrtheit der überschwänglichen Sorge um die Meinung anderer noch speziell zu erläutern, mag hier ein, durch den Lichteffekt des Zusammentreffens der Umstände mit dem angemessenen Charakter, in seltenem Grade begünstigtes, recht superlatives Beispiel jener in der Menschennatur wurzelnden Torheit Platz finden, da an demselben die Stärke dieser höchst wunderlichen Triebfeder sich ganz ermessen läßt. Es ist folgende, den Times vom 31. März 1846 entnommene Stelle aus dem ausführlichen Bericht von der soeben vollzogenen Hinrichtung des Thomas Wix, eines Handwerksgesellen, der aus Rache seinen Meister ermordet hatte: »An dem zur Hinrichtung festgesetzten Morgen fand sich der hochwürdige Gefängniskaplan zeitig bei ihm ein. Allein Wix, obwohl sich ruhig betragend, zeigte keinen Anteil an seinen Ermahnungen: vielmehr war das einzige, was ihm am Herzen lag, daß es ihm gelingen möchte, vor den Zuschauern seines schmachvollen Endes, sich mit recht großer Bravour zu benehmen. – Dies ist ihm denn auch gelungen. Auf dem Hofraum, den er zu dem, hart am Gefängnis errichteten Galgenschaffot zu durchschreiten hatte, sagte er: >Wohlan denn, wie Doktor Dodd gesagt hat, bald werde ich das große Geheimnis wissen!< Er ging, obwohl mit gebundenen Armen, die Leiter zum Schaffot ohne die geringste Beihilfe hinauf: daselbst angelangt machte er gegen die Zuschauer, rechts und links, Verbeugungen, welche denn auch mit dem donnernden Beifallsruf der versammelten Menge beantwortet und belohnt wurden, usw.« – Dies ist ein Prachtexemplar der Ehrsucht, den Tod, in schrecklichster Gestalt, nebst der Ewigkeit dahinter, vor Augen, keine andere Sorge zu haben, als die um den Eindruck auf den zusammengelaufenen Haufen der Gaffer und die Meinung, welche man in deren Köpfen zurücklassen wird! – Und doch war eben so der im selben Jahr in Frankreich, wegen versuchten Königsmordes, hingerichtete Lecomte, bei seinem Prozeß, hauptsächlich darüber verdrießlich, daß er nicht in anständiger Kleidung vor der Pairskammer erscheinen konnte, und selbst bei seiner Hinrichtung war es ihm ein Hauptverdruß, daß man ihm nicht erlaubt hatte, sich vorher zu rasiren. Daß es auch ehemals nicht anders gewesen, ersehen wir aus dem, was Mateo Aleman, in der, seinem berühmten Romane, Guzman de Alfarache, vorgesetzten Einleitung (declaracion) anführt, daß nämlich viele betörte Verbrecher die letzten Stunden, welche sie ausschließlich ihrem Seelenheile widmen sollten, diesem entziehn, um eine kleine Predigt, die sie auf der Galgenleiter halten wollen, auszuarbeiten und zu memoriren. – An solchen Zügen jedoch können wir selbst uns spiegeln: denn kolossale Fälle geben überall die deutlichste Erläuterung. Unser aller Sorgen, Kümmern, Wurmen, Ärgern, Ängstigen, Anstrengen usw. betrifft, in vielleicht den meisten Fällen, eigentlich die fremde Meinung und ist eben so absurd, wie das jener armen Sünder. Nicht weniger entspringt unser Neid und Haß größtenteils aus besagter Wurzel.
Offenbar nun könnte zu unserem Glücke, als welches allergrößtenteils auf Gemütsruhe und Zufriedenheit beruht, kaum irgend etwas so viel beitragen, als die Einschränkung und Herabstimmung dieser Triebfeder auf ihr vernünftig zu rechtfertigendes Maß, welches vielleicht ein fünfzigstel des gegenwärtigen sein wird, also das Herausziehn dieses immerfort peinigenden Stachels aus unserm Fleisch. Dies ist jedoch sehr schwer: denn wir haben es mit einer natürlichen und angeborenen Verkehrtheit zu tun. Etiam sapientibus cupido gloriae novissima exuitur sagt Tacitus (hist. VI, 6). Um jene allgemeine Torheit los zu werden, wäre das alleinige Mittel, sie deutlich als eine solche zu erkennen und zu diesem Zwecke sich klar zu machen, wie ganz falsch, verkehrt, irrig und absurd die meisten Meinungen in den Köpfen der Menschen zu sein pflegen, daher sie, an sich selbst, keiner Beachtung wert sind; sodann, wie wenig realen Einfluß auf uns die Meinung anderer, in den meisten Dingen und Fällen, haben kann; ferner, wie ungünstig überhaupt sie meistenteils ist, so daß fast jeder sich krank ärgern würde, wenn er vernähme, was alles von ihm gesagt und in welchem Tone von ihm geredet wird; endlich, daß sogar die Ehre selbst doch eigentlich nur von mittelbarem und nicht von unmittelbarem Werte ist u. dgl. m. Wenn eine solche Bekehrung von der allgemeinen Torheit uns gelänge; so würde die Folge ein unglaublich großer Zuwachs an Gemütsruhe und Heiterkeit und ebenfalls ein festeres und sichereres Auftreten, ein durchweg unbefangeneres und natürlicheres Betragen sein. Der so überaus wohltätige Einfluß, den eine zurückgezogene Lebensweise auf unsere Gemütsruhe hat, beruht größtenteils darauf, daß eine solche uns dem fortwährenden Leben vor den Augen anderer, folglich der steten Berücksichtigung ihrer etwanigen Meinung entzieht und dadurch uns uns selber zurückgibt. Imgleichen würden wir sehr vielem realen Unglück entgehn, in welches nur jenes rein ideale Streben, richtiger jene heillose Torheit, uns zieht, würden auch viel mehr Sorgfalt für solide Güter übrig behalten und dann auch diese ungestörter genießen. Aber, wie gesagt, χαλεπα τα καλα.
Die hier geschilderte Torheit unsrer Natur treibt hauptsächlich drei Sprößlinge: Ehrgeiz, Eitelkeit und Stolz. Zwischen diesen zwei letzteren beruht der Unterschied darauf, daß der Stolz die bereits feststehende Überzeugung vom eigenen überwiegenden Werte, in irgendeiner Hinsicht, ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in andern eine solche Überzeugung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie, in Folge davon, auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hingegen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen. Dementsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam. Aber der Eitle sollte wissen, daß die hohe Meinung anderer, nach der er trachtet, sehr viel leichter und sicherer durch anhaltendes Schweigen zu erlangen ist, als durch Sprechen, auch wenn einer die schönsten Dinge zu sagen hätte. – Stolz ist nicht wer will, sondern höchstens kann wer will Stolz affektiren, wird aber aus dieser, wie aus jeder angenommenen Rolle bald herausfallen. Denn nur die feste, innere, unerschütterliche Überzeugung von überwiegenden Vorzügen und besonderem Werte macht wirklich stolz. Diese Überzeugung mag nun irrig sein, oder auch auf bloß äußerlichen und konventionellen Vorzügen beruhen, – das schadet dem Stolze nicht, wenn sie nur wirklich und ernstlich vorhanden ist. Weil also der Stolz seine Wurzel in der Überzeugung hat, steht er, wie alle Erkenntnis, nicht in unserer Willkür. Sein schlimmster Feind, ich meine sein größtes Hindernis, ist die Eitelkeit, als welche um den Beifall anderer buhlt, um die eigene hohe Meinung von sich erst darauf zu gründen, in welcher bereits ganz fest zu sein die Voraussetzung des Stolzes ist.
So sehr nun auch durchgängig der Stolz getadelt und verschrien wird; so vermute ich doch, daß dies hauptsächlich von solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz sein könnten. Der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit der meisten Menschen gegenüber, tut jeder, der irgend welche Vorzüge hat, ganz wohl, sie selbst im Auge zu behalten, um nicht sie gänzlich in Vergessenheit geraten zu lassen: denn wer, solche gutmütig ignorirend, mit jenen sich gerirt, als wäre er ganz ihresgleichen, den werden sie treuherzig sofort dafür halten. Am meisten aber möchte ich solches denen anempfehlen, deren Vorzüge von der höchsten Art, d. h. reale, und also rein persönliche sind, da diese nicht, wie Orden und Titel, jeden Augenblick durch sinnliche Einwirkung in Erinnerung gebracht werden: denn sonst werden sie oft genug das sus Minervam exemplifizirt sehn. »Scherze mit dem Sklaven; bald wird er dir den Hintern zeigen« – ist ein vortreffliches arabisches Sprichwort, und das Horazische sume superbiam, quaesitam meritis ist nicht zu verwerfen. Wohl aber ist die Tugend der Bescheidenheit eine erkleckliche Erfindung für die Lumpe; da ihr gemäß jeder von sich zu reden hat, als wäre auch er ein solcher, welches herrlich nivellirt, indem es dann so herauskommt, als gäbe es überhaupt nichts als Lumpe.
Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, πυξ και λαξ zu verteidigen. Daher wird man z. B. unter fünfzig Engländern kaum mehr als einen finden, welcher mit einstimmt, wenn man von der stupiden und degradirenden Bigotterie seiner Nation mit gebührender Verachtung spricht: der eine aber pflegt ein Mann von Kopf zu sein. – Die Deutschen sind frei von Nationalstolz und legen hierdurch einen Beweis der ihnen nachgerühmten Ehrlichkeit ab; vom Gegenteil aber die unter ihnen, welche einen solchen vorgeben und lächerlicher Weise affektiren; wie dies zumeist die »deutschen Brüder« und Demokraten tun, die dem Volke schmeicheln, um es zu verführen. Es heißt zwar, die Deutschen hätten das Pulver erfunden: ich kann jedoch dieser Meinung nicht beitreten. Und Lichtenberg frägt: »warum gibt sich nicht leicht jemand, der es nicht ist, für einen Deutschen aus, sondern gemeiniglich, wenn er sich für etwas ausgeben will, für einen Franzosen oder Engländer?« Übrigens überwiegt die Individualität bei weitem die Nationalität, und in einem gegebenen Menschen verdient jene tausendmal mehr Berücksichtigung als diese. Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer andern Form und diese nennt man den Nationalcharakter. Von einem derselben degoutirt loben wir den andern, bis es uns mit ihm eben so ergangen ist. – Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht.
4
Die höchsten Stände, in ihrem Glanz, in ihrer Pracht und Prunk und Herrlichkeit und Repräsentation jeder Art können sagen: unser Glück liegt ganz außerhalb unserer selbst: sein Ort sind die Köpfe anderer.
5
Scire tuum nihil est, nisi te scire hoc sciat alter.