Читать книгу Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Auerbach Berthold - Страница 5
Ein Blick ins Haus und in die Rathsstube.
ОглавлениеDas war ein traurig Ermachen am Montag. Die Sensen und Sicheln waren gedengelt, die Menschen fühlten ihre Sehnen gespannt und straff zu frischer Arbeit, jetzt liessen sie die Hände sinken und schauten still drein. Dennoch ruhte auf manchem Auge, das sich ausgeweint hatte, auf manchem Antlitze ein Abglanz stiller Verklärung, man möchte sagen wie auf der Natur rings umher, die sich auch ausgeweint zu haben schien.
Ein Ungemach, das hereingebrochen, sieht sich am andern Morgen ganz anders an; am Tage seiner Entstehung willst du es nicht dulden, kannst du es nicht fassen, es soll sich nicht einnisten in deiner Seele als Wahrheit; wie wäre es möglich? Du selbst lebst und deine Gedanken sind wach. Wie kann dir etwas entrissen werden, das dir angehört, das du mit deinen Gedanken festhältst? Sinkt die Nacht, versenkt dich in Schlummer und macht dich dein selbst vergessen, so fasst dich am Morgen das, was dich gestern betroffen, noch immer mit staunendem Schmerze, aber schon ist es zur Vergangenheit geworden, die mit unwandelbarer Gewissheit feststeht, du kannst nicht mehr daran rütteln und musst dich darein ergeben, mit stillem Schmerz dein zerstücktes oder überbürdetes Leben der heilenden Zukunft entgegenführen.
Auf Feld und Flur funkelte und flimmerte der Morgenthau, der trieft hernieder, ob die Halme sich auf ihren Stengeln neigen oder geknickt zur Erde geworfen sind. Die Sonne stand am Himmel in voller Pracht, sie bleibt nicht aus am Himmelsbogen, nur manchmal lagern sich Wolken, Wetter und Nebel zwischen sie und die Erde und das Erdenkind vermag nicht durchzuschauen, das Licht genügt ihm nicht, es will seinen Urquell erfassen. Das Licht aber haftet im Auge wie in der weiten Welt draussen, und das Auge vermag es nur zu schauen, weil das Licht in ihm ist. Du suchst den Urquell und er ist in dir wie in der Welt.
Das Korn am Halme, das zur Erde niedergeworfen ist, geht in Verwesung über und setzt nur zu seinem eigenen fruchtlosen Untergange neue Keime an. Der Mensch aber gleicht nicht dem Halme, er kann sich aufrichten durch die Kraft seines Willens.
Frisch auf! du musst dich durch die Welt schlagen, ja hindurchschlagen, das ist’s. Der Tag ist verloren, ausgebrochen aus der Kette deines Lebens, den du in Trübsinn und thatenloser Verzweiflung hinstarrtest.
Aus solcherlei Gedanken heraus, die er nach seiner Art hundertfältig herüber und hinüber und auf die besonderen Verhältnisse der Einzelnen anwendete, ging Luzian am andern Morgen von Haus zu Haus. Er nöthigte auf manches kummerstarre Antlitz das Zucken eines Lächelns durch seinen Haupttext: „Dem Weibervolk ist’s nicht zu verdenken, das muss klagen und jammern wenn ein Hafen (Topf) in Scherben zerbricht; das ist ja grad das brävst Häfele gewesen, nein, so wird keins mehr gemacht; der Mann aber sagt: hin ist hin und jetzt wirthschaften wir mit dem, was noch blieben ist. O! die leichtsinnigen Männer, denen ist an Allem nichts gelegen, klagen dann noch die Weiber, und am Ende müssen sie uns doch Recht geben.“ Luzian brachte es zu Wege, dass mancher Mann, der Alles stehen und liegen und in sich verfaulen lassen wollte, sich nun doch aufmachte, um wenigstens das Obst zur Schweinemastung einzuheimsen.
Es war schon viel gewonnen, dass man sich wieder zur Thätigkeit aufraffte. Freilich fing man zuerst mit dem Kleinsten an, aber das trifft sich meist, dass man nach erlittenen Ungemache zuvörderst das Nebensächliche, oft Unbedeutendste in Angriff nimmt, man getraut sich noch nicht an das Hauptstück; die Hand gewinnt jedoch hiemit wiederum Stärke und Festigkeit, das Blut strömt wieder lebendiger zum Herzen und erfrischt es mit neuem Muth.
Müde und lechzend kam Luzian zu Mittag nach Hause und sein erstes Wort war: „Weib, wir müssen doppelt sparen und hausen, wir bekommen den Winter wieder grosse Ueberlast.“
„Ich seh’ schon, wie du wieder überall sorgen und helfen willst,“ entgegnete die Frau, „und du kriegst doch nur Schimpf und Unbank.“
„Lass du meinen Luzian nur machen, was mein Luzian. macht das ist gut,“ sagte die Ahne, die im grossen Lehnstuhl sass.
„Ich weiss wohl, ihr Zwei haltet zusammen wie gezwirnt,“ schloss die Frau lächelnd, indem sie das Tischtuch von der Suppe zurückeschlug; denn es ist hier Sitte, besonders im Sommer, dass man geraume Weile vor der Essenszeit die Suppe auf das ausgebreitete Tischtuch stellt und dann das Tuch wieder über die Schüssel schlägt, um die Suppe in sich verdampfen und abkühlen zu lassen. Man liebt das heisse Essen und das langwierige Blasen nicht.
Wir sind gestern unter so seltsamen Umständen vor dem Wetter hier in das Haus geflüchtet, dass wir kaum Zeit hatten uns die Leute näher zu betrachten. Wir müssen uns damit sputen, bevor vielleicht eine unversehene Erschütterung Alles so von der Stelle rückt, dass wir den vormaligen stillen Wandel der Menschen und Verhältnisse kaum mehr herausfinden mögen.
Der ruhende Mittel- und Schwerpunkt des Hauses war die Ahne, die uns bereits gestern im hellen Sonnenschein an der Hand Victors begegnete. Die Gestalt ist gross und hager, mit runzlichem fast klein gewordenem Antlitze, das dunkelbraune Auge scheint kaum gealtert zu haben, das blühweisse Tuch, das sie fast immer um den Kopf gebunden trägt und dessen Eckzipfel hinten weit hinabfallen, rahmt das Gesicht auf eigenthümliche Weise ein und gibt ihm einen nonnenhaften Anblick; sie ist aller ihrer Sinne mächtig, im ganzen Behaben äusserst säuberlich, fast zierlich. Nur zum sonntäglichen Kirchgange entfernt sie sich vom Hause. Schon geraume Weile vor dem ersten Einläuten macht sie sich auf den Weg, erwartet sodann im Winter in der Stube des Schullehrers, im Sommer auf der Bank vor dem Rathbause den Beginn des Gottesdienstes. Mancher, der die alte Cordula so dahin wandeln sieht, eilt, um sich noch mit ihr auf der Rathhausbank zu besprechen; sie hat ein offenes Herz für Leid und Lust, und oft findet hier auf dem Vorhofe eine heiligere Erhebung statt als im Innern des Tempels. Manche suchten aber auch in neckischer Weise die Ahne auf ihren Hauptspruch zu bringen, sie wollte es aber nie glauben, dass man ihrer spotte. Dieser Hauptspruch der Ahne war nämlich: „Ja, wenn der Kaiser Joseph nicht vergiftet wäre, dann wäre das und das gewiss besser.“ Sie verehrte den Kaiser, von dem ihr Vater oft und oft gesprochen hatte, fast wie einen Heiligen; sein Andenken war mit dem an ihren Vater unauflöslich verknüpft, als wären sie Geschwister gewesen. Sie hegte den vielverbreiteten Glauben, dass der Kaiser, weil er’s so gut mit allen Menschen gemeint habe, von scheinheiligen Pfaffen um sein junges Leben gebracht worden sei. In solch gegenständlicher Weise fasst der Volksglaube die Untergrabung der edeln Plane des hochherzigen Kaisers. Einst las Luzian der Mutter eine Lebensgeschichte des Kaisers, vor und sie behauptete, das sei just so wie ihr Vater erzählt habe, nur anders gesetzt. Das Dorf hatte bis in die neueste Zeit zu Vorderösterreich gehört und ein Oheim der Mutter war kaiserlicher Rath in Wien gewesen, sie hatte ihn noch gekannt, da er einst im Dorfe zum Besuche war; sie bewahrte noch eine Granatschnur, die er ihr damals schenkte. Der einzige Streit, den sie bisweilen mit Luzian hatte, in war darüber, weil er nicht ihrem Verlangen willfahrte und nach Wien an die Nachkommen des kaiserlichen Rathes schrieb; sie behauptete immer, es sei unmenschlich, wenn Blutsverwandte so gar nichts von einander wissen. Eine besondere Vorliebe hatte die Mutter für den Victor, ihr Urenkelchen, sie sagte oft: „Der wird just wie der kaiserliche Rath. Wenn der Kaiser noch leben thät, der thät ihn nach Wien verschreiben, das sag’ Ich.“
Man hätte fast glauben sollen, Luzian sei der Leibliche Sohn der Ahne, die er auch fast immer Mutter nannte, während er in der That nur ihr Schwiegersohn war. Seine Frau neckte ihn oft und stellte sich eifersüchtig wegen der Liebschaft der Beiden zu einander; denn Luzian ging die Sorgfalt für die Mutter über Alles, und er hätte ihr gern, wie man sagt, das Blaue vom Himmel geholt, um sie zu erfreuen.
Luzian war ein Mann im Anfang der fünfziger Jahre, stämmig, ein Sägklotz, wie er von seinen Freunden manchmal genannt wurde, weil er zum Spalten zu dick war und sich nicht splittern liess; sein Gesicht war voll und gespannt und verrieth entschiedenes Selbstbewusstsein, der starke Stiernacken bekundete Unbeugsamkeit. Noch gegen Ende des Befreiungskrieges war er zum Soldatendienste ausgehoben worden, kam aber zu keiner Schlacht. Die Sägmühle hatte er seinem Sohne Egidi übergeben und bauerte nun auf dem Gute im Dorfe. Victor, Egidi’s ältesten Sohn, hatte er sich und der „Guckahne“ (Urgrossmutter) zulieb ins Haus genommen, angeblich indess, damit der Knabe der Schule näher sei.
Margret, Luzians Frau, ähnelte der Mutter unverkennbar; war auch ihr ganzes Dichten und Trachten dem Haushalte zugewendet, so war doch Luzian nicht minder ihr Stolz, nur liess sie es nie merken wie die Mutter, wenigstens nie in Worten. Sie bildete sich mehr darauf ein als Luzian selber, dass dieser schon zweimal zum Abgeordneten vorgeschlagen war. Spöttelte sie auch manchmal über sein vieles Lesen, so war es ihr doch nicht unlieb, da et dadurch fast immer im Hause war und Alles in bester Ordnung hielt; auch glaubte sie, dass er eben viel gescheidter sei als alle in der ganzen Gegend. Klagte sie auch wiederholt über die Gemeindeämter und vielen Pflegschaften, die sich Luzian aufbürden liess, so dachte sie doch wieder im Stillen bei sich: „Ja, es versteht’s eben doch Keiner so gut wie er.“
Bäbi, das hochgewachsene Mädchen mit auffallend dunkeln Augen und starken Brauen, gehört eigentlich gar nicht mehr recht ins Haus. Sie hatte noch gestern zu Paule, ihrem Bräutigam, gesagt: „Seitdem der Pfarrer uns miteinander verkündet hat und über vierzehn Tage unsere Hochzeit sein soll, da ist mir’s jetzt allfort, wie wenn ich nur auf Besuch daheim wär’!“
Die Bekanntschaft Egidi’s mit seiner Frau und den Kindern müssen wir abwarten, bis sie sich uns selbst vorstellen.
So wären wir also hier im Hause mit Allen bekannt und können sie ungestört mit den beiden Knechten und der Magd zu Mittag essen lassen. Man kennt aber namentlich einen Bauern nicht recht, wenn man seinen Besitzstand nicht weiss; an ihm äussert sich nicht nur die ganze Sinnesweise und der Charakter, sondern dieser stützt sich auch meist darauf. In andern Stellungen bilden sich Lebenskreis Haltung und Geltung vornehmlich aus der Persönlichkeit heraus, hier aber wird das Messbare und im Werthe zu Schätzende vor Allem Stützpunkt des Charakters in sich und seiner Bedeutung nach Aussen. Du wirst daher oft finden, dass ein Bauer, der Vertrauen zu dir fasst, dir alsbald all’ seine Habe aufzählt, oft bis auf das Kälbchen, das er anbindet. Er will dir auch damit zu verstehen geben, was er daheim bedeutet. Da sitzen sechzig Morgen Ackers und so und so viel Wald und Matten, besagt oft die Art wie sich ein Bauer im fremden Wirthshaus niedersetzt. Gehörte Luzian auch keineswegs zu letzterem Schlage und stellte sich seine Ehre und Schätzung noch auf etwas anderes, so müssen wir doch noch schnell sagen, dass er vier Pferde, zwei Paar Ochsen, sechs Kühe und ein Rind im Stalle hatte; darnach messet. Die Pferde werden allerdings nicht blos zum Feldbau, sondern auch zu Holz- und Bretterfuhren gebraucht, da Luzian diesen Handel eifrig betreibt, der ihm manchen schönen Gewinnst abwirft.
Nach Tische wurde Luzian aufs Rathhaus gerufen. Er fand dort ausser dem Schultheiss und den Gemeinderäthen auch den Pfarrer. Luzian mass diesen mit scharfen Blicken, denn er sollte ihm zum Erstenmale so nahe sitzen. Der Pfarrer war ein junger i Mann, der die erste Hälfte der zwanziger Jahre noch nicht überschritten hatte, gross und breitschulterig, mit derben Händen, das Gesicht voll und rund, aber blutleer und ins Grünliche spielend, die zusammengepressten Lippen bekundeten Entschiedenheit und Trotz; ein eigenthümliches Werfen des Kopfes, das in bestimmten Absätzen von Zeit zu Zeit folgte, liess noch Anderes vermuthen. Ueber und über war der Pfarrer in schwarzen Lasting gekleidet, der lange, weit über die Kniee hinabreichende Rock, die Beinkleider und die geschlossene Weste waren vom selben Stoffe; er wollte die leichte Sommerkleidung nicht entbehren und doch keine profane Farbe sich auf den Leib kommen lassen. Der spiegelnde Firniss des rauhen Zeuges gab der Erscheinung Etwas, das ans Schmierige erinnerte, während der junge Mann sonst in Ton und Haltung eine gewisse vornehm stolze Zuversicht kund gab. Diess sprach sich sogar in der Art aus wie er jetzt, während die Blicke Luzians ihn musterten, mit einem kleinen Lineal in kurzen Sätzen in die Luft schlug.
„Ich habe dich rufen lassen, Luzian,“ sagte der Schultheiss, „wir wollen da wegen dem Hagelschlag eine Eingab’ an die Regierung machen und eine Bitt’ in die Zeitung schreiben, du sollst als Obmann auch mit unterschreiben.“
„Wie ist’s denn, Herr Pfarrer?“ fragte Luzian das Papier in Handen, „wie ist’s denn? Schenket Ihr der Gemeind’ den Pfarrzehnten, oder was lasset Ihr nach?“
„Von wem sind Sie beauftragt, mich darüber zu ermahnen?“ warf der Pfarrer entgegen, „was ich thun werde, ist mein eigener guter Wille; ich lasse mir meine Gutthat dadurch nicht verringern, dass mich Unberufene daran gemahnen.“
„Berufen hin oder her,“ sagte Luzian, „eine Ermahnung kann einer Gutthat nichts abzwacken; wenn das ja wär’, so wären die Gutthaten auch minderer, die auf Eure Ermahnungen in der Predigt von den Leuten geschehen.“
„Sie scheinen darum die Kirche zu meiden, um nicht zu etwas Gutem verführt zu werden,“ schloss der Pfarrer und warf das Lineal auf den Tisch.
„Ich will Ihnen was sagen,“ entgegnete Luzian mit grosser Ruhe, da er noch nicht enden wollte, „Sie haben Beicht- und Communion-Zettel auch für die grossen (erwachsenen) Leute eingeführt; wir lassen uns das nicht gefallen, das war beim alten Pfarrer niemals.“
„Was geht mich Ihr alter Pfarrer an? Das neue Kirchenregiment hält seine Befugnisse streng zum Heile“ —
„Schultheiss, hast kein’n Kalender da?“ unterbrach Luzian.
„Warum? heute ist der siebzehnte,“ berichtete der Gefragte.
„Nein,“ sagte Luzian, „ich hab’ nur dem Herrn Pfarrer zeigen wollen, dass wir 1847 schreiben.“
Der Pfarrer stand auf, presste die Lippen und sagte dann mit wegwerfendem Blick: „Ihre Weisheit scheint allerdings erst von heute. Ich hätte eigentlich Lust mich zu entfernen und wäre dazu verpflichtet nach solchen ungebührlichen Reden. Sie alle sind Zeugen, meine Herren, dass ich hier, ich will kein anderes Wort i gebrauchen, schnöde angefallen wurde. Ich will aber bleiben, ich will ein gutes Werk nicht stören und lasse mich gern schmähen.“
Solche geschickte Wendung konnte Luzian doch nicht auffangen, er stand betroffen, Alles schrie über ihn hinein und er sagte, endlich:
„Ich will’s gewiss auch nicht hindern, gebt her, ich unterschreib’, und nichts für ungut Herr Pfarrer, ich bin Keiner von denen Leuten, die sich an einem Polizeidiener vergreifen, weil sie mit der Regierung unzufrieden sind. B’hüt’s Gott bei einander.“
Niemand dankte.
Aergerlich über sich selbst verliess Luzian die Rathsstube, er hatte das Heu vor der unrechten Thür abgeladen. Der Anhang, den er selbst unter dem Gemeinderath hatte, schüttelte jetzt den Kopf über ihn.
Wir müssen um einige Monate zurückschreiten, um die Stimmung Luzians zu ergründen.
Die Regungen des tiefgreifendsten Kampfes zuckten eben erst in der Gemeinde aus. Der alte Pfarrer, der eins war mit dem ganzen Dorfe, war plötzlich nach dem Bischofssitze berufen worden, er kehrte nicht mehr zurück, statt seiner verwalteten die Pfarrer aus der Nachbarschaft wechselsweise die Ortskirche. Kurz vor Ostern verkündete das Regierungsblatt die Ernennung und fürstliche Bestätigung eines neuen Pfarrers. Diess war das Signal für Luzian, der den ganzen innern Verlauf kannte, dass sich die ganze Gemeinde wie Ein Mann erhob. Der Gemeinderath mit sämmtlichen Ortsbürgern reichte einen Protest gegen die neue Bestallung ein, der zu gleicher Zeit an die Regierung und an den Bischof geschickt wurde. Sie verlangten ihren alten Pfarrer wieder oder falls diess nicht gewährt würde, das freie Wahlrecht; sie wollten keinen von den jungen Geistlichen, gegen deren Anmassungen sogar schon beim Landstand Klage erhoben worden war. Das war die lebendigste Zeit, in der Luzian seine ganze Kraft entwickelte und die Gemeinde stand ihm einhellig zur Seite. Noch ehe indess ein Bescheid auf den Protest einging, wenige Tage vor der Fastenzeit, bezog der neue Pfarrer seine Stelle. Sonst ist es bräuchlich, dass das ganze Dorf seinem neuen Geistlichen bis zur Grenze der Gemarkung entgegengeht, diessmal aber war er nur von dem Dekan und einigen Amtsbrüdern geleitet. In den meisten Häusern sah man nur durch die Scheiben dem Einziehenden entgegen, man öffnete das Fenster erst, wenn er vorüber war, da man nicht grüssen wollte. Der Gemeinderath und Ausschuss war auf dem Rathhause versammelt, die ganze Körperschaft ging in das Pfarrhaus und überreichte abermals den Protest. Der Dekan sprach beruhigende Worte, und händigte zuletzt dem Schultheiss die abschlägige Antwort des Bischofs ein. Still kehrte man in das Rathhaus zurück und dort wurde beschlossen, in fortgesetztem Widerstande zu beharren.
Am Sonntag, das Wetter war hell und frisch, versammelte sich das ganze Dorf zu einer Pilgerfahrt; in grossem Wallfahrtszuge ging’s nach Althengstfeld, dem Geburtsort Paule’s. Viele wollten sogleich aus dem Auszuge einen Scherz machen, und schon zog Lachen und Lärmen durch manche Gruppen. Der Brunnenbasche vor Allen ging von Einem zum Andern und hetzte und stiftete, dass das Ding auch ein Gesicht bekäme; den Mädchen erzählte er, dass seine Frau bald ausgepfiffen habe, und er fragte diese und jene, ob sie ihn, einen Wittwer ohne Kinder heirathen wolle, aber ohne Pfaff, so wie die: Zigeuner. Da und dort fuhr ein gellender Schrei und ein Gelächter auf; der so andächtig begonnene Auszug schien zum Fastnachtsscherze zu werden. Man war’s gewohnt, dass der Brunnenbasche, wie man sagt, über Gott und die Welt schimpfte und sich erlustigte, man liess ihn gewähren; nun aber ging’s doch böse aus. Luzian, der mit einigen Anderen Ordnung herzustellen suchte, kam und zog das Halstuch des Brunnenbasche so fest zu, dass er ganz „kelschblau“ wurde. Alles fluchte nun über den Störenfried, den Brunnenbasche, und dieser war kaum losgelassen, als er mit lustiger Miene rief: „Fluchet meine Säu auch, dann werden sie auch fett davon.“
Jener erste Fastensonntag war der kummervollste, den Luzian bis dahin noch erlebt hatte, ihm war’s so herrlich erschienen, wenn man feierlich in geschlossenem Zuge dahin wallte, und jetzt schien alles aus Rand und Band zu gehen, aller Zusammenhalt schien zerrissen. Hier zum Erstenmale erfuhr er, was es heisst, die gewohnte Ordnung aufzulösen, wenn nicht Jeder den Gleichschritt an seinem Herzschlage abzunehmen vermag. Müssen wir denn gefesselt sein durch äussere Amtsmacht? flog’s ihn einmal durch den Kopf. Er konnte den verzweiflungsvollen Gedanken nicht ausdenken, denn es galt den Augenblick zu fassen, koste es was es wolle; darum rannte er in allen Adern glühend, hin und her, schlichtete und ermahnte, und darum liess er sich von der Heftigkeit zu solcher Behandlung des Brunnenbasche fortreissen. Es gelang ihm endlich mit Hülfe des Steinmetzen Wendel und des Schmieds Urban, Ruhe und Ernst wiederum zu erwecken, und als der Zug sich nun von dem Rathhause aufmachte, begann der Schlosserkarle mit seiner schönen Stimme ein Lied, bald gesellten sich seine Kameraden zu ihm der Pfarrer schaute verwundert, zum Fenster heraus, als die Wallfahrer singend vorüberzogen.
Der Brunnenbasche war von Jedem, an den er sich anschliessen wollte, fortgestossen worden; jetzt lief er hinterdrein und murmelte vor sich hin: „Laufen die Schaf’ eine Stund weit, um sich mit ein paar Worten abspeisen zu lassen. Der Luzian ist der Leithammel. Könnt’ denn das Vieh nicht einmal einen Sonntag ohne Kirch’ sein? Ich will aber doch mit und sehen was es gibt.“
Als man in der Waldschlucht anlangte, war Luzian vorausgeeilt, von einem Felsen hoch am Wege rief er plötzlich: „Halt!“ Die ganze Schaar stand still und Luzian sprach weiter: „Liebe Brüder und Schwestern! Ich will euch nicht predigen, ich kann’s nicht und es ist hier der Ort nicht, und doch sind oft die besten Christen in den Wald gezogen und haben von dort sich ihre Religion wieder geholt. Ich hab’ jetzt nur Eins zu sagen, ein paar Worte. Wir sind von daheim fort, von der Kirch’, die unsere Voreltern gebaut haben; hier wollen wir schwören, dass wir zusammenhalten und nicht nachgeben, bis wir unsere Kirch’ wieder haben und einen Mann hineinstellen, wie wir ihn haben wollen, wir. Das schwören wir.“ Luzian hielt inne, er erwartete etwas, aber die Meisten wussten nicht, dass sie etwas zu sagen hatten, nur einige Stimmen riefen: „Wir schwören.“ Luzian aber fuhr fort: „Nein, nicht mit Worten, im Herzen muss ein Jeder den Schwur thun. Noch eins, wir kommen jetzt in ein fremdes Dorf, wir wollen zeigen, dass wir eine heilige Sache haben.“ Luzian schien nicht weiter reden zu können, er kniete auf dem Felsen nieder und sprach laut und mit herzerschütterndem Tone das Vaterunser.
Mit Gesang zogen die Wallfahrer in das Nachbardorf ein, als es eben dort einläutete. Nach der Kirche gab es manche harmlose Neckereien zwischen den Althengstfeldern und ihren neuen „Filialisten.“ Während dessen waren der Gemeinderath und Luzian beim Pfarrer, sie baten ihn, einstweilen Taufen, Begräbnisse u. s. w. in ihrem Orte zu übernehmen, da sie entschlossen seien mit ihrem neuen Pfarrer in gar keine Verbindung zu treten und auf ihrem Protest zu beharren. Ihrer Bitte wurde aber nicht willfahrt, da dies nicht anginge, Ermahnungen zum Frieden waren das Einzige, was ihnen geboten wurde.
Zu Hause erfuhr man, dass der Pfarrer nur mit wenigen Kindern und alten Frauen den Gottesdienst gehalten; dennoch aber geschah, was zu vermuthen war. Schon am nächsten Sonntage war der Auszug klein und vereinzelt, es traten dann Fälle ein, wo man den Ortspfarrer nicht umgehen konnte, und Keiner aus der Nachbarschaft wollte taufen und die letzte Oelung geben; der Gemeinderath selber gab endlich nach und trat mit dem Pfarrer in amtlichen Verkehr. So schlief die Geschichte ein, wie tausend andere. Nur in wenigen Männern war der Widerspruch noch wach, und zu diesen gehörte besonders Luzian; er ging dem Pfarrer nie in die Kirche, heute zum Erstenmale hatte er mit ihm am selben Tische gesessen und mit ihm geredet. Noch lag der Protest in letzter Instanz beim Fürsten, und Luzian wollte die Hoffnung nicht aufgeben; heute aber, er wusste nicht wie ihm war, war er sich untreu geworden, hatte sich zu persönlichem Hader hinreissen lassen; er grollte mit sich selber.
Ein alter Volksglaube sagt: wiegt man eine Wiege, in der kein Kind ist, so nimmt man dem Kinde, das man später hineinlegt, die gesunde Ruhe. Ja, unnützes Wiegen ist schädlich, und das gilt noch mehr von dem Schaukeln und Hin- und Herbewegen der Gedanken, in denen kein Leben ruht.
„Was da, Kreuz ist nimmer Trumpf, da gehen der Katz die Haar’ aus,“ mit diesen fast laut gesprochenen Worten riss sich jetzt Luzian aus dem qualvollen Zerren und Wirren seiner Gedanken. Er ging hinaus aufs Feld, um die Verheerung näher zu betrachten. Allerdings war Luzian mit dem Ertrage aller seiner Felder versichert; man würde indess, sehr irren, wenn man glaubte, dass ihm die Verwüstung nicht tief zu Herzen ginge, ja man kann wohl sagen, sein Schmerz war um so inniger, weil er ein uneigennütziger war; ihm war’s als wäre ihm ein lieber Angehöriger entrissen worden, da er diese niedergeworfenen Halme sah.
Der Künstler liebt das Werk, das er geschaffen, es ist aus ihm; die Stimmung dazu, die urplötzliche und die stetig wiederkehrende, die hat er sich nicht gegeben, er verdankt sie demselben Weltgesetze, das Sonnenschein und Thau auf die Saaten schickt. Auch der denkende Landmann hat dasselbe Mitgefühl für das Werk seiner Arbeit, und wehe dem Menschengeschlechte, wenn man ihm diese oft geschmähte ,,Weichherzigkeit“ austreiben könnte, so dass man in der Arbeit nichts weiter sähe, als den Preis und den Lohn, der sich dafür bietet.
Wenn der Boden überall in weiten Rissen klafft und die Pflanzen schmachten, da wird euch schwül und eng, und wenn der Regen niederrauscht, ruft ihr befreit: wie erfrischt ist die Natur! Noch ganz anders der Bauer; er lebt mit seinen Halmen i draussen und kummert für sie, trieft der segnende Regen hernieder, so trinkt er so zu sagen mit jedem Halme und tausend Leben werden in ihm erquickt.
Wie zu einem niedergefallenen Menschen beugte sich jetzt Luzian und hob einige Aehren auf, sein Antlitz erheiterte sich, die Körner waren nothreif, sie waren fester und in ihrer Hülse lockerer als man glaubte; noch war nicht Alles verloren, wenn auch der Schaden gross war.
Durch alle Gewannen schweifte Luzian und fand seine Vermuthung bestätigt. Die Sonne arbeitete mit aller Macht und suchte wie mit Strahlenbanden die Halme aufzurichten, aber ihre Häupter waren zu schwer und in den Staub gedrückt; hier musste die Menschenhand aufhelfen.
As Luzian, eben aus dem Nesselfang kommend, in die Gärten einbog, wurde er mit den Worten begrüsst: „Ah, guten Tag, Herr Hillebrand.“
,,Guten Tag, Herr Oberamtmann,“ erwiderte Luzian, und nach einer kurzen Pause setzte er gegen den begleitenden Pfarrer und Schultheiss hinzu: „Guten Tag, ihr Herren.“
Det Pfarrer nickte dankend.
„Ich habe mir den Schaden angesehen,“ berichtete der Oberamtmann, „der Ihren Ort betroffen hat; das hätten wir auf der letzten landwirthschaftlichen Versammlung nicht gedacht, dass wir sobald die Probe davon haben sollen, was sich bei solchen Gelegenheiten retten lasse. Wie ich höre, sind Sie der Einzige, der in der Hagelversicherung ist.“
„Ja, ich und mein Egidi.“
Luzian hatte doch gewiss das tiefste Kümmerniss über die Fahrlässigkeit der anderen, aber er konnte in diesem Augenblicke nichts davon laut geben; so leutselig auch der Beamte war, so blieb er doch immer der Oberamtmann, dem man auf seine Fragen antworten musste und vor dem kein Gefühl auszukramen ist, wenn man auch das Herz dazu hätte. Ausserdem hatte Luzian, sobald er einem Beamten nahe kam, etwas von der militärisch knappen Weise aus seiner Jugendzeit her. In diesem Augenblicke war es Luzian, der unter sich sah, als fühlte er den stechenden Blick des Pfarrers; er schaute auf, die Blicke Beider begegneten sich und suchten bald wieder ein anderes Ziel.
Man war am Hause Luzians angelangt. Er wollte sich höflich verabschieden, aber der Oberamtmann nöthigte ihn mit in das Wirthshaus, da man dort noch allerlei zu besprechen habe. Luzian willfahrte und am Pfarrhause empfahl sich der Pfarrer. Der Abend neigte sich herein, die Dorfbewohner standen am Wege und grüssten den Amtmann ehrerbietig, es schien ihnen Allen leichter zu sein, da jetzt ihre Zustände bei Amt bekannt waren, als sei nun die Hülfe bereits da.
Es wird vielleicht schon manchem Leser aufgefallen sein, dass der Beamte einen einfachen Bauersmann mit Herr anredete. Schon um dieses einzigen Umstandes willen verdiente der Oberamtmann eine nähere Betrachtung, wenn wir auch nicht noch mehr mit ihm zu thun bekämen.
Die schlanke feingegliederte Gestalt, dem Ansehen nach im Anfange der dreissiger Jahre stehend, bekundete in der ganzen Haltung etwas sorglich aber ohne Aengstlichkeit Geordnetes. Es lag darin jene schlichte Wohlanständigkeit, die uns bei einer Begegnung auf der Strasse oder im Felde darauf schwören liesse, dass der Mann in einem wohlgestalteten Heimwesen zu Hause sei. Die blauen Augen unseres Amtmannes waren leider durch eine Brille verdeckt, der braune Bart war unverschoren; nur gab es dem Gesichte etwas seltsam Getrenntes, dass die Bartzier auf der Oberlippe allein fehlte; denn es wird noch immer als eine Ungehörigkeit für einen Mann in Amt und Würden betrachtet, den vollen Bart zu haben. Diese neue Etikette rechtfertigte sich noch persönlich bei unserem Amtmann, der nebst der Gewohnheit des Rauchens auch die des Tabakschnupfens hatte. Die Dose diente ihm zugleich auch als Annäherung an viele Personen, denn es bildet eine gute Einleitung und versetzt in eigenthümliches Behagen, wenn man eine Prise anbietet und empfängt. Unser Amtmann bestrebte sich auf alle Weise, sein Wohlwollen gegen Jedermann zu bekunden.
Er stammte aus einer der ältesten Patrizierfamilien des Landes, in welcher, dem Sprüchworte nach, alle Söhne geborene Geheimeräthe waren. Nach vollendeten Studien hatte er mehrere Jahre in Frankreich, England und Italien zugebracht, und gegen alle Familiengewohnheit hatte er, nachdem er Assessor bei der Kreisregierung geworden war, diese gerade Carriere aufgegeben und sich um seine jetzige Stelle beworben. Er wollte mit den Menschen persönlich verkehren und ihnen nahe sein, nicht blos immer ihr Thun und Lassen aus den Akten herauslesen. In dem Städtchen gab es manches Gespötte darüber, dass er jeden Mann im Bauernkittel, mit Herr anredete, die Honoratioren fühlten sich dadurch beleidigt; er kehrte sich aber nicht daran, sondern war emsig darauf bedacht, Jedem seine Ehre zu geben und seine Liebe zu gewinnen. Seine Natur neigte zu einer gewissen Vornehmigkeit, dessen war er sich wohl bewusst, und trotz seines eifrigsten Bemühens war es ihm lange Zeit nicht möglich geworden, ungezwungen sein innerstes Wohlwollen zu bekunden. Es fehlten die Handhaben, er bewegte sich mehr in Abstractionen als in bildlicher Anschauung und Ausdrucksweise; er konnte sich aber hierin nicht zwingen, die Menschen mussten seine Art nehmen wie sie war. Oft beneidete er das Gebaren seines Universitäts-Bekannten, des Doktors Pfeffer, der so frischweg mit den Leuten umsprang; aber er konnte sich dieses nicht aneignen.
Durch den landwirthschaftlichen Verein, der vor ihm blos eine Spielerei oder ein Nebenbau der Bureaukratie gewesen war, gewann unser Amtmann ein natürliches, persönliches Verhältniss zu den Angesehensten seines Bezirkes. Auch mit unserm Luzian war er dort auf heitere Weise vertraut geworden.
Auf dem Wege nach dem Wirthshause begegnete den Beiden der Wendel, und der Oberamtmann fragte: „Soll ich nichts ausrichten an unser’ Amrei?“
„Dank schön, Herr Oberamtmann, nichts als einen schönen Gruss.“
Im Weitergehen erzählte der Beamte wie glücklich er und seine Frau seien, dass sie die wohlerzogene Tochter Wendels als Dienstmädchen im Hause hätten.
Im Wirthshause war Luzian viel gesprächsamer, indem er seine Ansicht entwickelte, dass man das beschädigte Korn rasch schneiden, jede Garbe in zwei Wieden binden und so aufrecht auf dem Felde dorren und zeitigen lassen müsse. Der Oberamtmann stimmte ihm vollkommen bei. Es bedurfte aber vieler Arbeit, um solches zu bewerkstelligen; die hellen Mondnächte mussten dazu genommen werden. Der Oberamtmann versprach ein schleuniges Ausschreiben an den ganzen Bezirk um Beihülfe, und Luzian sagte endlich: „Ich will heuť noch nach Althengstfeld reiten, die müssen uns helfen.“
„Ich mache den Umweg und reite mit,“ sagte der Amtmann.
Aus allen Häusern schauten sie auf, als man Luzian neben dem Oberamtmann durch das Dorf reiten sah.
In dieser Woche wurde fast übermenschlich gearbeitet, aber auch Hülfe von allen Seiten kam. Nacht und Tag wurde unablässig geschnitten und gebunden; nur am heissen Mittag gönnte man sich einige Stunden Schlaf. Am Samstag Abend lag Alles zu Bette, bevor die Betglocke läutete.