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II.

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Inhaltsverzeichnis

Spät am selbigen Abend kam der Magister Lorenz Fries, des Bischofs Sekretarius, des Bischofs zweiter Kopf, wie ihn die Domherren spottend zu nennen beliebten, der kluge Staatsmann, der vielgewandte Historikus und Archivar, abermals die Stiege empor zu Tilmann Riemenschneider, dem Ratsherrn.

Er fand den Freund lesend und setzte sich schweigend ihm gegenüber.

Lange Zeit saßen sie also.

Endlich hob der Meister sein Haupt und blickte scheu hinüber. Und eine Träne quoll und rann herab in seinen grauen Bart.

»Erlaubet!« sagte Lorenz Fries, griff nach dem Folianten, blätterte zurück zum Titel und las: »Das Neue Testament. Deutsch. Wittenberg. 1522.« Wortlos legte er es zurück.

»Wer hat wohl dem Bischof mein Geheimnis verraten? Kein Mensch als die Tote und ich – so hatte ich gewähnt – –!« begann der Meister.

»So wenig als ich darum gewußt hatte, so wenig vermag ich Euch Auskunft zu geben,« sagte Lorenz Fries einfach. »Aber ich schätze, Ihr seid – erlaubt, daß ich Euch warne – ebenso unvorsichtig im Verkehr mit den Großen dieser Erde wie bei der Auswahl derer, die zu jeder Tagesstunde Zutritt in Eure Stube haben. – Bermeter – ?!«

Heftig schüttelte Tilmann das Haupt: »Ein Unglücklicher, der mir verpflichtet und treu ergeben ist.«

»Ein Mensch wie das böse Gewissen und die schleichende Sünde,« grollte Fries. »Ein Bube, der seine Tage mit Schlemmen und Temmen hinbringt, nichts kann als spielen und prassen –«

»Oh, er ist auch ein kunstvoller Bildschnitzer auf seine Art!« rief der Meister.

Lorenz Fries zuckte die Achseln: »Es wird ihm wenig Zeit übrig bleiben, seine Kunst zu üben. Und ist doch immer bei Geld. Höret, wir sehen ihm scharf auf die Finger; denn es liegt der Verdacht vor, daß er der heimliche Diener fremder Städte ist und anderes mehr.«

Der Meister rückte seinen Stuhl. »Er ergötzt mein Geblüt durch Saitenspiel wie David die Seele des Saul,« sagte er abweisend. »Und es könnte ja sein, daß ich seiner Armut zuweilen ein wenig aufhelfe.«

»David hat Saul betrogen, daß ihm die Augen tropften,« kam die Antwort zurück.

»Bermeter betrügt seinen Wohltäter niemals,« lächelte Tilmann unter Tränen.

Der Magister faltete die Hände auf der Tischplatte und sah bittend aus den alten Mann hinüber: »Arbeitet! Arbeit ist die beste Ergötzung der Seele.«

Wehmütig schüttelte der Meister das Haupt: »Vordem war mein Gemüt voll von Bildern, und ich wähnte, mir sei gegeben, alles zu gestalten. Jetzt aber weiß ich, mein Werk ist getan.«

Er rückte abermals seinen Stuhl, erhob sich und begann aus und ab zu schreiten. Stoßweise kam es heraus: »Siehe da einen, über den die Zeit hinübergegangen ist! Erbarmungslos hinübergegangen! Ich bin ein Mann der Vergangenheit, und mein Fluch ist, daß ich die Größe des Neuen erkenne von ganzem Gemüte und ebenso klar weiß, daß ich zu klein bin für das, was vor meinen Augen wiedererwachsen und auferstanden ist. Ich bin verstrickt und eingepreßt in die alten Formen, und nichts und niemand kann mir helfen. Wohl habe ich versucht, mich frei zu machen – Gott weiß, wie schmerzhaft das gewesen ist. Heute ist mir offenbar, daß ich mich nimmermehr befreien kann. Das Alte versinkt, und ich mit ihm.« Er hielt inne und warf einen feindseligen Blick auf den Gast: »Weiß zwar eigentlich nicht, warum ich Euch und gerade heute Euch das alles sage?«

»Geht in den Dom,« rief der Magister unbeirrt, »und stellt Euch vor das Epitaphium des Bischofs Lorenz! Da habt Ihr das Neue gemeistert«.

Tilmann zuckte zusammen: »Das Bild ist von meinen Händen – ganz richtig – und ist so beschaffen, wie alles andere von mir auch. Der Rahmen aber, das Neue, das Euch so gefällt, die Engel, die Früchte, die Säulen – ? sind Bermeters Kunst. Und also ist es gar nicht das Denkmal des Bischofs, sondern der Grabstein Tilmann Riemenschneiders. Was sagt Ihr dazu –?«

Der Magister schwieg.

Zornig wiederholte der Meister: »Der Totendeckel meiner Kunst!«

»Ist immerhin die Frage, ob das Neue allzeit besser ist als das Alte, und ob dieses Alte immer restlos im Neuen untergehen muß, das doch aus ihm hervorgewachsen ist!« warf Lorenz Fries bedächtig ein.

Tilmann achtete nicht mehr aus ihn und sprach weiter, als wäre er allein mit sich selbst: »Wenn einer stirbt, dann wird er begraben, und wieder nach einer Zeit setzt man ihm den Stein auf die Gruft. Meine Kunst war längst gestorben und begraben, da hab' ich ihr den Stein gesetzt.«

»Das war Eure Schuld, Meister Tilmann!« unterbrach ihn Lorenz Fries.

»Meine Schuld?«

»Eure Schuld und die Schuld der Frau da drinnen!« Er wies auf die Schmalwand.

»Lorenz, wollt Ihr mir ans Herz greifen?«

»Ich muß es tun. Sie hat Euch aus der Werkstatt in die öffentlichen Geschäfte getrieben, ihr Ehrgeiz ist's gewesen, der Euch von Amt zu Amt greifen ließ, ihre Eitelkeit hat Euch auf Wege gezerrt, die Euerm Wesen fremd waren und fremd sind, Euch – der Ihr begnadet seid vom Schöpfer, mit Kinderaugen durch diese böse Welt zu gehen und in Kinderaugen zu fassen, was schön ist an ihr und was gut ist und aus ewigen Gefilden hereinleuchtet in unsere Nächte. Fluch Eurem Reichtum, der Euch erlaubt hat, Eure Kunst zu versäumen – Wochen, Monate, Jahre langt«

»Sie hat es gut gemeint mit mir und hat mich sehr geliebt,« flüsterte der Meister.

»Sie hat in Euch sich selbst geliebt.«

»Es liegt tiefer, als Ihr glaubt,« stöhnte Tilmann nun ganz unter dem Bann seines Gastes, und ließ sich schwer in seinen Stuhl sinken. »Kunst – was Kunst? Ich bin niemals der Kunstfertige gewesen, den ihr in mir gesehen habt. Was wißt denn ihr, versteht denn ihr von Kunst? Der dort in Nürnberg, der Albrecht, den ich bewundern muß und doch heimlich hassen möchte – wenn ich nicht auch zum Hassen zu schwach wäre –, der ist der Kunstreiche, der Kunstfertige, wie ihn die Erde alle zwei-, dreihundert Jahre gebiert – reich wie ein Fugger, fertig in aller Kunst. Der ist immer der Albrecht Dürer, wenn ich einer von den armen Bildschnitzern bin, die zufällig Tilmann Riemenschneider oder anders heißen. Der ist wie ein Gott auf dem Delphin hinausgeritten in der schäumenden Flut. Und warum das? Er hat mir's einmal selber gesagt, ungefähr also: Schau dir die Natur an und nur die Natur, glaub' nicht, daß du Besseres in dir selber habest und könnest sie meistern; denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur – wer sie heraus kann reißen, der hat sie.«

Er hielt inne und verbarg das Antlitz in den Händen.

»Woher könnt Ihr wissen, wie er sich fühlt?« fragte der Magister mit kühlem Spott: »Steckt Ihr in ihm? Wer weiß, wie ihm zumute ist, gerade weil er so viel kann?«

»Wie ein Gott mag sich fühlen, wer keine Grenzen seines Könnens sieht!« sagte Tilmann.

»Jedem Können sind Grenzen gesteckt,« unterbrach ihn Lorenz Fries. »Auch die Natur hat ihre Grenzen.«

»Die so weit, so tief, so hoch gesteckt sind, daß auch die schärfsten Augen sie niemals erkennen. Und ebenso weit sind die Grenzen der Kunst gezogen, und der wahrhaft Kunstfertige ist König in diesen Grenzen und dazu allzeit Mehrer des Reichs. Ich habe meine Grenzen sehr frühe geahnt – zum ersten Male dort in Gent vor dem Altare; und dennoch vermaß ich mich, meine Grenzen zu durchbrechen, und schnitzte mehr als hundert Jahre nach den gottbegnadeten Maler-Brüdern zu meinem größten Altar – auch eine Verkündigung Mariä. Auch eine!« wiederholte er mit unsäglicher Bitterkeit.

»Meister Tilmann, Ihr lästert!« rief der Magister.

»Kennt Ihr den Genter Altar?« fragte der Meister zornig.

»Nein. Aber den Kreglinger!«

»Nun also –!«

»Und so oft mich meine Pflicht ins Taubertal führt, eile ich, das Kirchlein zu besuchen, werfe mich auf die Knie vor dem größten Eurer Werke und insonderheit vor der Verkündigung Mariä.«

»Ich vermaß mich, meine Grenzen hinauszurücken, und schuf auch eine Verkündigung Mariä – eine hölzerne. Eine hölzerne,« wiederholte Tilmann störrisch. »Denn Euer Bischof hat ja recht, ich bin zuletzt doch nur ein kleiner Heiligenschnitzer geblieben.«

»Mein Bischof –? Ich dächte, er ist auch der Eurige! Und unser Bischof hat so etwas nie gesagt.«

»Laßt das!« rief Tilmann rauh. »Ich weiß es alles selbst am besten. Aber –« nun richtete er sich hoch auf und seine Augen begannen zu glühen – »ich allein und sonst niemand aus Erden hat ein Recht, mir das zu sagen. Und daß er – mir gegenüber ein armseliger Nichtskönner – es gewagt hat, mich in meiner Stube hinterhältig auf Lateinisch zu beschimpfen, das – das vergess' ich ihm niemals.«

»Meister Tilmann, er hat nichts dieser Art gesagt; des bin ich Zeuge. Und seit wann versteht Ihr Lateinisch?«

»Schweigt –!« rief der Meister mit verzerrtem Gesicht, preßte die Hände auf seine Ohren und begann aus und ab zu rennen. Und es war wieder, als hätte er den anderen vergessen und wüte im Selbstgespräch gegen sich: »Heilige vermag ich zu schnitzen. Aber Menschen aus unserem Gebein, mit unserem Fleisch, mit unserem Blut? Schaut die Männer an aus meinen Altären! Aus dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder heben sie die bedrückten Gesichter. Nachbar Klaus, Gevatter Kunz, wie sie leiben und leben, mehr nicht. Und auf allen diesen Gesichtern ist zu lesen mein Leid, mein Gram und meine Gebundenheit – ein endloser Zug, betend um ihre Erlösung. Und meine heiligen Frauen? – Aus dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder heben sich unirdische Häupter –«

»Überirdische!« unterbrach ihn Lorenz Fries grollend.

»Und weiß man denn, warum ich meine Köpfe auf Puppenleiber setze, die ich eben mit dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder verhülle? Weil ich all die übermäßige Schönheit in den sichtbaren Kreaturen um mich her zwar fasse in meinen Verstand, aber nur zum kleinsten Teil in mein Werk zu bringen vermag. Weil ich den ganzen gottgeschaffenen Menschen nachzubilden doch nicht die Kraft hätte!«

»Euer Adam, Eure Eva, Meister?« warf Lorenz Fries ein.

»Jawohl, mein Adam, meine Eva!« Es war, als besänne sich der Künstler, daß er nicht allein war. »Gerade sie predigen mir, wie hart ich gebunden bin. Meine Eva! Die verfluchten Schnürleiber der Weiber! Geht in den Dom zu Bamberg und erkennt staunend vor der Statua der Synagoge, was göttliche Nacktheit ist. Und zu dem allen frage ich mich, wenn ich an der Marienkirche vorübergehe und meine Gebilde betrachte: Tilmann, war's auch recht, daß du, gehorsam dem Auftrag, die Nacktheit auf die Gasse gestellt und preisgegeben hast den Augen der Unmündigen und Halbwüchsigen?«

»Könntet Ihr nicht,« fragte nun Lorenz Fries lauernd, »Euch dennoch frei machen durch den Anblick vollendeter Natur, schaffend wetteifern mit dem Schöpfer und also die Höhe der Kunst erklimmen? Es ist ja nicht anders: Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Ich dächte – die Holde mit den Angelhäkchen in den dunklen Augen, das Patenkind Eurer Seligen, schlank und wundervoll gewachsen wie die Stammutter der Menschheit – ? sie täte Eurer Kunst alles zu Gefallen. Ein Wort von Euch –!«

»Niemals!« fuhr Tilmann auf. Aufs neue begannen seine Augen zu glühen. »Weiche von mir –!«

»Seht Ihr!« Lorenz Fries lächelte befriedigt. »Nur in Eurem Willen liegen Eure Grenzen.« Er trat nahe heran und legte die Hand auf die Schulter des Gebeugten. »Meister Tilmann, grämt Euch nicht. Schweres Blut und enges Gewissen bestimmen Euer Leben und Eure Kunst. Schweres Blut und enges Gewissen sind Eure Natur. Wolltet Ihr Euch gewaltsam daraus erheben, wär's wider die Natur. Und letzten Endes – was ist Fleisch, was ist Blut? Raub des Todes, Verwesung und Asche. Grämt Euch nicht! Aus all dem Fleisch und Blut ahnungsvoll die Idee des Menschlichen – ich glaube, Plato sagt ähnlich – oder das Heilige der Idee herauszuschaffen und leuchten zu lassen auf dem Goldgrund der Verklärung vor den trüben Augen der Bedrückten – lieber Meister, alle anderen Werke entrichten den Zoll der Kreatur und verwehen wie Staub, diese aber wandern, auch wenn sie selber längst in Trümmer und Fetzen gingen, wandern in ihren Wirkungen von Geschlecht zu Geschlecht.«

»Heilige –! Hat es denn jemals Heilige gegeben –« Tilmann lächelte trübe – »jemals nach dem einen Heiligen, der so demütig war in seiner Knechtsgestalt, daß er zum reichen Jüngling sagte: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott. Und ist also nicht alles – ich will sagen fast alles, was auf zahllosen Altären weit und breit von meiner Hand zu sehen ist, Blendwerk des Bösen?«

»Hier habe ich Euch!« rief Lorenz Fries zornig, hob das Buch empor und warf es aus die Tischplatte zurück. »Der Wittenberger wird die Kunst totschlagen.«

»Wohl – aber das Wort auf den Thron setzen,« sagte der Künstler, zog das Buch zu sich her und streichelte es mit leisen Fingern, als wäre es in köstlichen Samt gebunden. »Hier fließt aus alten, wieder aufgedeckten Quellen der Strom der neuen Zeit. Die Heiligen versinken. Das Heilige, das Göttliche selbst steht in unnahbarer, nicht in Holz noch Stein noch Farben zu fassender Klarheit vor unseren geblendeten Augen, und aus überreichen Händen träufelt – die Gnade. Der andere aber, der Nürnberger Albrecht, hat das alles die wahre Wiedererwachsung genannt und reitet wie ein Halbgott aus dem Delphin hinaus in der schäumenden Flut.«

Nach langem Schweigen begann der Magister noch einmal: »Ihr seid verwirrt in Eurem Gemüt, lieber Freund, und es könnte nichts nützen, mit Euch darüber zu rechten. Aber von Seiner Gnaden dem Bischof muß ich noch sprechen. Er hat Eure Kunst aufs höchste gepriesen, des bin ich Zeuge.«

»Gepriesen und geschmäht in einem Atem!« schrie der Künstler, mit einem Male wieder völlig in die Wirklichkeit zurückversetzt. »Wie ein Stegreifritter ist er vor mir gestanden und hat mir mein Kleinod abgedrückt. Ihr aber – er wich nun scheu in den Hintergrund des Gemaches zurück, als graute ihm – Ihr seid dabei gestanden und habt höfisch geschwiegen.«

*

Herr Lorenz Fries war zum zweiten Male die knarrenden Stufen hinabgestiegen, und Bille schlüpfte in die Stube zum lesenden Meister.

Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, legte die Arme bis über die Ellbogen auf die Platte, faltete die kleinen, festen Hände und sah unverwandt aus das faltenreiche Antlitz. Der Meister achtete ihrer nicht, leise knisterten die Blätter unter seinen wendenden Fingern.

Ein holdes Bild kindlicher Demut sah sie lange Zeit, und ihre dunklen Augensterne waren regungslos auf ihn gerichtet – bis er gezwungen war, das Haupt zu heben.

»Willst du etwas, mein Kind?«

Sie schüttelte das Köpflein, und die Wimpern legten sich wie schwere Schatten auf ihre Wangen. »Die wunderschöne Statua meiner Patin – ich sehe sie noch immer vor mir,« schmeichelte sie. Dann aber schlug sie die Augen auf, und zornig zuckten ihre Lippen: »Darf Euch der Bischof die Statua wirklich nehmen?«

»Laß das!« wehrte der Meister müde und beugte sich über sein Buch.

Wieder legten sich die Wimpern auf die runden, bräunlichen Wangen, die Brust hob und senkte sich, und Bille seufzte vernehmbar.

»Du willst etwas, liebes Kind?«

»Es ist mir oft so angst, so eng, so heiß, Herr Pate.«

»Bist du krank?«

»Ich bin nicht krank. Aber –«

»Du armes Kind, so sprich doch!«

»Wenn nur meine Frau Patin noch leben täte!« Sie erhob sich, kam heran und sank vor dem Meister in die Knie: »Ich möchte immer bei Euch sein und bleiben!«

»Liebe Bille, du bist doch von früh bis nacht bei uns, hilfst im Hause und niemand vertreibt dich.«

»Freilich,« flüsterte sie, »weil ich daheim der Stiefmutter im Wege stehe aus Schritt und Tritt.«

Der Meister strich zärtlich über ihren Scheitel. Ratlos und ahnungslos. »Du bist gewiß krank. Dir fehlt etwas?«

Sie umklammerte seine kühle Hand und bedeckte sie mit Küssen: »Mir fehlt die Mutter.«

Die Augen, die vorhin auf der Stiege so diebisch geflackert hatten, quollen über von ehrlichen Tränen. Aber daß Bermeter gelogen und betrogen hatte, sagte sie nicht.

*

Zur selben Zeit saß Jörg, der Bildschnitzer, Stiefsohn des Meisters von dessen erster Frau, mit seinem Weibe drunten in der warmen Stube. Ein wohlbeleibter Bürger, eine rundliche Frau mit freundlichen Zügen. Er schnitzte an einem Kochlöffel, sie warf die surrende Spindel.

»Hörste? Das kann man doch nimmer mitansehen. So e verrückt's Ding, so e mannstörichts!« sagte sie, und ihre Stimme klang in verhaltenem Zorn.

»Die Bille?« fragte er gutmütig und prüfte mit Daumen und Zeigefinger die Glätte seines Kunstwerkes. »Ja, was willste dagegen tun? Sie ist doch sonst tüchtig. Das kannste nit abstreiten. Und die wo sonst so tüchtig sind, die sind halt in anderer Art auch hell.«

»Jawohl, die Bille. Und tüchtig sind solche meistenteils. Da haste recht. Aber um den Vater schmeichelt sie rum wie e junge Katz. Er wird schon emal sorgen für sie. Er ist ja so viel gutmütig. Er gibt das Hemd vom Leib. Und wenn er kein Hemd mehr hätt', dann tät er die Haut geben und ließ sie gerben dazu.«

Jörg der Bildschnitzer lachte behaglich.

»Oder, «fuhr sie fort, »er hat noch andere Absichten mit ihr.«

»Red nit so dumm!«

»Wär' das erstemal nit, daß ein alter Mann ein junges Mädel heiratet,« behauptete sie störrisch.

»Kann sein – aber dann heißt er nit Tilmann Riemenschneider!« rief der Bildschnitzer.

»Und mit dem Bermeter hat sie's –!« ereiferte sich das Weib.

»Vielleicht heiratet der sie und lädt uns auf Bettelmanns Hochzeit!« spottete er.

»Und mit Nachbars Konrad hat sie's auch, wo sie ihn trifft.«

»Hat halt ein heißes Herz,« meinte er. »So red' doch mit ihr!«

»Jawohl, ich hab' ihr den Standpunkt schon klar gemacht. Und weißt, was sie gesagt hat? ›Frau Base‹, hat sie gesagt, ›was kann denn ich dafür, daß sie mich alle so gern haben?‹«

Er lachte: »Was geh'n dich anderer Leut' ihre Kinder an?«

»Jawohl, da lach' du nur! So was gefällt euch Mannsleuten. Ich weiß schon. Aber laß dir sagen, wir Weiberleut haben einen Abscheu davor. Und mich erbarmt's, das unerfahrene Ding, das.«

Der Bildschnitzer von Würzburg (Historischer Roman)

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