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3. Kapitel
ОглавлениеGrößtenteils ein Idiot
Libby
In eine alte, abgewetzte Jogginghose, ein Tanktop und einem weiten Männerhemd aus Flanell gehüllt, liege ich auf der Couch. Meine Haare habe ich auf meinem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden. Vor mir auf dem Tisch stehen eine halbvolle Box Lo Mein, eine geöffnete Tüte Chips und die Weihnachtsnaschereien, die ich von meiner Mom bekommen habe. Ich starre den Fernseher an, in dem eine Frau versucht, von einem Geist loszukommen – dem Geist, der sie seit Beginn des Films mindestes dreimal versucht hat, zu töten.
»Geh da nicht rein«, flüstere ich in Richtung des Bildschirms, als die Frau den Türgriff des Raums umfasst, in dem sich das Gespenst gerade befindet.
Ich bin derart vom Filmgeschehen gefesselt, dass ich zusammenzucke, als jemand an die Wohnungstür klopft. Ruckartig setze ich mich auf, wodurch all die kleinen, silbernen Verpackungen der Schokolade, die ich bereits gegessen habe, in die Luft gewirbelt werden.
»Libby?«
Als ich Antonios vertraute Stimme höre, starre ich ungläubig zur Tür.
»Libby?«, ruft er ein zweites Mal, als ich mich von der Couch erhebe.
Ich sehe auf die Uhr und bemerke, dass es erst kurz nach zwanzig Uhr ist. Nachdem ich Weihnachten und noch ein paar Tage mehr bei meinen Eltern in Long Island verbracht habe, bin ich heute Morgen wieder nach Hause gefahren. Es war schön, mal rauszukommen, aber jetzt bin ich froh, wieder zu Hause zu sein.
Als ich die Tür erreiche, spähe ich durch den Spion. Und ob ich meinen Augen nun trauen will oder nicht, aber davor steht Antonio. Kopfschüttelnd löse ich die Verriegelung und öffne die Tür.
»Antonio, wa...«
»Ich habe versucht, dich anzurufen«, unterbricht er mich und drückt sich an mir vorbei in die Wohnung.
Ich wende mich zu ihm um. »Was?«
»Ich habe dich mindestens ein Dutzend Mal angerufen, wenn nicht mehr.«
Verwirrt sehe ich ihn an. »Was ...? Warum?«
»Du musst heute Abend arbeiten.«
»Wie bitte?«, fauche ich und verbeiße es mir, zu sagen, was ich mir eigentlich über die Lippen will. Nämlich, dass ich nicht wirklich im Tony’s angestellt bin und ich seiner Familie und ihm bloß einen Gefallen tue, wenn ich aushelfe. Ja, ich mag für meine Tätigkeit in der Pizzeria bezahlt werden, aber dennoch arbeite ich nicht wirklich dort.
»Ich muss zur Feuerwehrstation. Einer der Jungs hat sich krankgemeldet, also fehlt ihnen ein Mann. Normalerweise wäre das keine große Sache, aber Marco hat heute frei, Peggy ist gerade nach Hause, um sich um Valeria zu kümmern, und Hector kann den Laden nicht allein dichtmachen.
»Also brauchst du meine Hilfe?«
»Ja.«
»Du hättest mich einfach freundlich fragen können.«
So wie er die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans schiebt, ist ihm augenscheinlich etwas unbehaglich zumute. »Kannst du mir bitte aus der Patsche helfen?«, brummt er schließlich.
»In Ordnung.«
»Tatsächlich?«, fragt er überrascht.
»Ja.« Die Augen verdrehend, gehe ich zu meinem Schrank. »Ich muss mich nur kurz fertigmachen.«
»Okay, ich warte und begleite dich dann zur Pizzeria.«
»Danke, aber ich finde alleine hin. Musst du dich nicht auf den Weg zur Wache machen?«
»Ich warte.« Um mir seinen Entschluss deutlicher zu machen, setzt er sich auf die Couch.
Die Tatsache ignorierend, dass sich ein extrem attraktiver Mann in meiner Wohnung befindet – na ja, zumindest versuche ich, mich nicht darauf zu konzentrieren –, schnappe ich mir eine Jeans und das T-Shirt mit dem Logo der Pizzeria, das er mir neulich gegeben hat. Dann nehme ich alles mit ins Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir. Rasch ziehe ich mich um und laufe ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen und die Haare zu kämmen. Anschließend kehre ich zurück ins Wohnzimmer, hole noch ein Paar Socken aus meiner Schrankschublade, bevor ich nach meinen Stiefeletten greife und mich neben ihn auf die Couch setze, um hineinzuschlüpfen.
»Das ist verdammt viel Junkfood ...«, erklärt er und klingt leicht entsetzt.
Ich bemerke, dass er die Verpackungen von all den Süßigkeiten, die ich heute in mich hineingestopft habe, aufgehoben und in seiner Hand zu einer Kugel gerollt hat.
»Nein«, widerspreche ich, wohlwissend, dass es eine Lüge ist, und sehe ihn an.
Er runzelt etwas die Stirn. »Ich habe dich noch nie ohne Make-up gesehen«, sagt er plötzlich.
In der Erwartung, dass er noch etwas hinzufügen wird – etwas, wofür er höchstwahrscheinlich einen Tritt in den Hintern verdienen wird –, wappne ich mich innerlich.
»Du brauchst es definitiv nicht.«
Okay, das habe ich nun nicht erwartet.
Als aus dem Fernseher ein Schrei ertönt, sehen wir beide auf.
»Scary Movie?«
»Ja.« Ich nehme die Fernbedienung und schalte den Flimmerkasten aus, ehe ich die halbvolle Box mit Lo Mein nehme und sie in den Kühlschrank stelle, damit ich es später noch essen kann.
»Du wirkst nicht wie der Typ Frau, der allein zu Haus gruselige Filme guckt«, meint er, als er aufsteht und mir dabei zusieht, wie ich in meinen Mantel schlüpfe, meine Mütze aufsetze und meine Handschuhe anziehe.
»Und welche Filme guckt eine Frau wie ich deiner Meinung nach?«
»Welche mit einer ordentlichen Prise Romantik«, antwortet er.
Angeekelt ziehe ich die Nase kraus. »Ich hasse Liebesschnulzen. Die sind voll von Klischees. Frau trifft Mann, der Kerl ist ein Idiot, die Frau findet ihn toll, obwohl er ein Arsch ist. Dann verliebt sie sich in ihn und vergisst, was für ein Idiot er war und später stellt sich heraus, dass er sogar ein noch größerer Arsch ist, als gedacht. Sie vergießt genug Tränen, um einen Pol damit zu füllen, und in der Zwischenzeit wird ihm klar, was er verloren hat. Also fleht er sie um Vergebung an. Immer – aber auch wirklich immer – nimmt sie ihn zurück, auch wenn sie das nicht tun sollte.«
»Wow, du magst wirklich keine Liebesfilme.« Seine Mundwinkel beginnen zu zucken, und ich verdrehe die Augen. »Ich lerne heute Abend so einiges über dich, Prinzessin.« Er lacht, und ich funkele ihn böse an.
»Geh mir nicht auf die Nerven, Antonio.« Ich öffne die Wohnungstür und bedeute ihm, vorauszugehen.
»Selbst wenn du genervt bist, bist du immer noch hübsch«, sagt er und bleibt vor mir stehen, um von oben auf mich runterzuschauen.
Mir rutscht der Magen in die Kniekehlen, und ein Ziehen geht durch meinen Bauch, das ich noch nie zuvor verspürt habe.
»Definitiv hübsch«, murmelt Antonio und geht an mir vorbei aus der Wohnung.
Kopfschüttelnd folge ich ihm und schließe hinter uns ab. Auf dem Weg die Treppe runter, starre ich auf seinen Rücken. Weder mein Magen noch die Muskeln in meiner Bauchgegend haben sich wieder beruhigt. Ich frage mich, was zum Teufel los ist. Draußen angekommen, gehen wir nebeneinander den Bürgersteig entlang, so nah beieinander, dass sich unsere Arme berühren.
»Hier.« Er reicht mir einen Schlüssel. »Hector ist heute den ganzen Abend an deiner Seite, aber er hat seinen nicht dabei. Du musst also meinen nehmen. Morgen Früh hole ich ihn dann bei dir ab.«
»Ich arbeite morgen«, entgegne ich.
»Ab wann?«
»Ich muss um halb acht los.«
»Dann komme ich vorher vorbei.«
Da ich annehme, dass es keinen Sinn hat, darüber zu streiten, seufze ich ergeben. »Okay.«
»Ich habe mein Handy an, für den Fall, dass irgendwas sein sollte«, sagt er, als wir vorm Tony’s halten.
Ich sehe zu ihm auf, als er den Kopf senkt, sodass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind.
»Das wird schon alles klappen«, erwidere ich leise, als ich die Besorgnis in seinen Augen bemerke.
»Ich weiß.« Sein Blick wandert über mein Gesicht, was eine Unruhe in mir auslöst. »Ruf mich an, wenn du nachher wieder zu Hause bist.«
»Ich werde dich mit Sicherheit nicht anrufen«, murmle ich.
Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln, ehe er kopfschüttelnd davongeht.
»Kommst du rein, chiquita?«, fragt Hector plötzlich, und ich zucke erschrocken zusammen.
Rasch drehe ich mich zu ihm um und merke, wie ich rot werde, weil ich gerade wie die dämliche Protagonistin einer Liebesschnulze dem Mann hinterhergesehen habe, nach dem ich mich verzehre – obwohl ich es besser wissen müsste.
»Na komm schon.« Hector nimmt meine Hand und zieht mich nach drinnen.
Ich folge ihm, lege meine Sachen im Büro ab und mache mich an die Arbeit.
Als mein Handy klingelt, angle ich es mit noch gesenkten Lidern von meinem Nachttisch. Blinzelnd öffne ich ein Auge, entsperre das Display und halte mir das Mobiltelefon ans Ohr.
»Ja?«, sage ich, noch halb am Schlafen.
»Du hast nicht angerufen.« Antonios Stimme klingt rau, als wäre er gerade erst aufgewacht.
»Ich habe dir gesagt, dass ich nicht anrufen würde.«
»Bist du gut nach Hause gekommen?«, fragt er, meinen Einwand ignorierend.
Ich seufze. »Ja ...«
»Lief heute Abend alles gut?«
»Ja.«
»Alles klar, Babe. Dann schlaf weiter.« Er legt auf, und ich nehme mein Handy vom Ohr, um es irritiert anzustarren.
»Babe? Was zur Hölle hat es bitte damit auf sich?«, flüstere ich in die Dunkelheit, erhalte aber natürlich keine Antwort. Ich lege mein Telefon zurück auf den Nachttisch und brauche anschließend eine Ewigkeit, um wieder einzuschlafen. Antonios tiefe Stimme, die mich Babe nennt, spukt mir ununterbrochen im Kopf rum.
Als es am nächsten Morgen bei mir klopft, eile ich rasch zur Tür und knote auf dem Weg meinen Bademantel zu. Mich auf die Zehenspitzen stellend, spähe ich durch den Spion, und mein Herzschlag verfällt in einen eigenwilligen Rhythmus, als ich Antonio auf der anderen Seite entdecke. Den Kopf leicht nach links geneigt und sein Blick gesenkt, wirkt er, als würde er auf etwas hinabsehen. Ich linse zu dem Spiegel neben der Tür und zucke innerlich zusammen. Meine Haare sind ein wildes Durcheinander, da ich gestern ins Bett gegangen bin, als sie noch nass waren. Schwarze Schatten befinden sich unter meinen Augen, weil ich vergangene Nacht kaum geschlafen habe. Mein Blick schweift zum Schlafzimmer. Ob ich noch Zeit habe, die dunklen Ringe mit etwas Concealer abzudecken oder mir zumindest die Haare zu ...?
Erneutes Klopfen. »Libby?«, ruft Antonio zum zweiten Mal.
Ich zucke zusammen. Da ich keine andere Wahl habe, öffne ich die Tür einen Spaltbreit und schaue nach draußen. »Hey ...«, sage ich und könnte mich treten, weil ich so atemlos klinge.
»Libby Reed, was macht dieser Mann morgens um diese Uhrzeit vor deiner Tür?«
Oje.
Meinen Kopf aus der Tür steckend, sehe ich die Treppe hinunter und entdecke Miss Ina, eine ältere Dame, die in der ersten Etage wohnt und die sich offenbar in ihren Bademantel geworfen hat, nur um mich vom Treppenabsatz aus anzufunkeln. Ihre Haare sind auf einer Seite plattgedrückt, als wäre sie eben erst aufgewacht.
»Miss Ina, es ist alles in Ordnung. Das ist bloß Antonio. Gehen Sie wieder ins Bett.«
»Zurück ins Bett gehen?« Sie stemmt die Hände in die Seiten, und ich seufze.
Bis vor ein paar Tagen habe ich mit dieser Frau kaum ein Wort gewechselt – um ehrlich zu sein, hat sie mir eine Heidenangst eingejagt. Aber Mac hat Miss Ina aus einem mir zuvor unerfindlichen Grund liebgewonnen, sich mit ihr angefreundet und sie sogar zum Weihnachtsessen im Haus unserer Eltern eingeladen. Auf der Fahrt nach Long Island konnte ich die Beweggründe meiner Schwester schließlich nachvollziehen – Miss Ina ist eigentlich ganz nett, wenn auch etwas grummelig, was vielleicht ihrem Alter geschuldet ist. Vor allem aber ist sie neugierig. Zwar wusste ich das schon zuvor, aber nun, da wir richtige Unterhaltungen führen und nicht nur zwischen Tür und Angel Spitzfindigkeiten austauschen, ist mir erst aufgefallen, wie neugierig Ina tatsächlich ist.
»Wie könnte ich schlafen, wenn ich weiß, dass du mit einem Mann allein in deiner Wohnung bist, während du nichts als einen Morgenmantel trägst?«
»Miss Ina, er holt nur einen Schlüssel ab. Meine Tugendhaftigkeit ist also nicht in Gefahr.«
Ihr Blick wandert zu Antonio und sie verengt die Augen.
Als ich zu ihm hochsehe, merke ich, dass er sich ein Grinsen verbeißen muss. »Das hier ist nicht lustig«, weise ich ihn zurecht.
»Oh doch, Prinzessin, das ist es«, widerspricht er.
Die Augen verdrehend, wende ich mich wieder an Miss Ina. »Er kommt nicht mal mit rein. Sie können also wirklich wieder ins Bett gehen.«
»Also gut, aber ich werde später deine Mutter wegen dieser Sache anrufen«, erklärt sie.
Ich erwidere nichts, sondern sehe nur zu, wie sie mit ihrer Gehhilfe davonhumpelt. Sobald sie außer Sichtweite ist, richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Antonio. »Ich bin gleich zurück.« Die Wohnungstür einen Spaltbreit offenlassend, gehe ins Schlafzimmer. In der Jeans, die ich gestern Abend anhatte, finde ich seinen Schlüssel. Ich fische ihn aus der Tasche und kehre zurück ins Wohnzimmer, wo ich wie angewurzelt stehen bleibe. Antonio ist in meiner Küche und macht sich gerade am Kühlschrank zu schaffen.
»Was machst du da?«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit zum Frühstücken«, entgegnet er.
Wie vom Donner gerührt blinzle ich ihn an. »Du hattest noch kein Frühstück?«
»Es ist erst sechs. Die Läden sind noch alle geschlossen.« Er zuckt mit den Schultern, ehe er wieder den Inhalt des Kühlschranks in Augenschein nimmt.
»Okay ... Hol dir doch was, wenn du dich jetzt auf den Weg machst«, schlage ich vor.
Er sieht mich an. »Wieso? Ich bin doch hier.«
»Antonio ...«
»Hast du schon was gegessen?«, unterbricht er mich.
Meine Kiefermuskulatur beginnt zu zucken. »Nein ...«
»Gut, dann richte ich uns Frühstück, während du dich für die Arbeit fertig machst.«
Ich starre ihn an. Was zum Teufel ...? Entweder Antonio wurde kürzlich von Aliens entführt und durch einen ebenso attraktiven, aber wesentlich netteren Klon ersetzt oder ... eigentlich fällt mir keine plausiblere Erklärung ein. Erst sagt er mir, dass ich hübsch sei, dann nennt er mich Babe und jetzt will er mir Frühstück machen?
»Babe, du solltest dich etwas sputen. Sonst schaffst du es nicht mehrpünktlich zur Arbeit.«
Ich sehe zur Uhr hinüber und reiße überrascht die Augen auf. Er hat recht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor ich mich auf den Weg machen muss. Allein meine Haare zu entwirren, wird eine halbe Ewigkeit in Anspruch nehmen. Da ich mir den Luxus, mir über sein seltsames Verhalten Gedanken zu machen, nicht leisten kann, lege ich seinen Schlüssel auf die Küchenanrichte und schnappe mir rasch ein Outfit aus meinem Kleiderschrank. Dann gehe ich ins Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir. Wie auf Autopilot dusche ich, mache meine Haare, lege mein Make-up auf und ziehe mich an. Ich habe mich für eine schwarze Hose und einen schwarzen Pulli mit U-Boot-Ausschnitt entschieden, der in meinem Nacken mit einer Schleife geschlossen wird, deren cremefarbener Ton zu meinen Stiefeletten passt.
Als ich anschließend die Schlafzimmertür öffne, ist Antonio nicht mehr in der Küche. Ich entdecke ihn auf der Couch sitzend, vor ihm auf dem Wohnzimmertisch stehen zwei Teller mit Rührei und Toast sowie zwei Becher voll Kaffee.
»Starrst du dein Frühstück nur an oder isst du es auch?«
Seine Worte veranlassen mich dazu, ihn anzusehen, ehe ich mich zu ihm auf die Couch geselle. »Danke«, murmle ich und nehme meinen Teller.
»Du hast nichts als Junkfood im Kühlschrank. Wie zur Hölle kann es sein, dass du dennoch diesen Hammerkörper hast?«, fragt er, als ich gerade in meinen Toast beiße.
Der Bissen bleibt mir im Hals stecken, ich befürchte, daran zu ersticken. »Ich war schon immer sehr schlank«, antworte ich hustend. »Außerdem habe ich auch gesundes Essen da ...«
»Wo?«, kontert er.
Ich betrachte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Im Schrank ist etwas Dosengemüse und die Eier hast du schließlich gefunden.«
»Stimmt ... Dosengemüse und Eier ...« Seine Mundwinkel beginnen zu zucken, und mein Magen zieht sich auf diese seltsame Art und Weise zusammen, wie so oft in letzter Zeit.
»Ich arbeite viel, da habe ich keine Zeit, ständig Drei-Gänge-Menüs zu kochen. Normalerweise esse ich unterwegs etwas«, verteidige ich mich, greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Nachdem ich ein wenig durch die Kanäle gezappt habe, entscheide ich mich schließlich für eine morgendliche Nachrichtensendung.
»Verdienst du gut als Stylistin?«
Auch wenn er die Frage ganz beiläufig stellt, verursacht sie dennoch ein seltsames Gefühl in meinem Inneren –als würde sich dahinter etwas Tiefergehendes verbergen.
»Darf ich wissen, warum dich das interessiert?«
»Du hast neulich erwähnt, dass eines deiner Oberteile zweihundert Dollar gekostet hätte. Ich bin einfach nur neugierig, ob du es dir selbst gekauft hast oder es dir von irgendjemandem geschenkt wurde.«
»Ob es mir von irgendjemandem geschenkt wurde?«, wiederhole ich.
Sein Blick wandert über meinen Körper, auf eine Art, die mir nicht gefällt – zumindest versuche ich, mir genau das einzureden.
»Ja, ist ein Mann mit dir Shoppen gegangen oder hast du es dir selbst gekauft?«
»Ein Mann hat es mir gekauft«, schieße ich zurück und freue mich, dass er die Augen zusammenkneift und die Zähne aufeinanderpresst, als würde ihm das nicht gefallen. »Und zwar mein Dad. Er hat sie mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt«, stelle ich, äußerst angepisst, klar.
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen, für welchen Typ Frau Antonio mich hält. Ich lasse meinen halb aufgegessenen Toast auf meinen Teller fallen, nehme meinen Kaffeebecher und trage beides zur Küche rüber. Geräuschvoll lasse ich das Geschirr in die Spüle knallen, ohne mir auch nur die Mühe zu machen, das Rührei abzukratzen und in den Müll zu werfen.
»Libby ...«, ruft er, aber ich drehe mich nicht zu ihm um.
»Wenn du dann fertig bist, ich muss zur Arbeit.« Ich nehme meinen Mantel von der Couchlehne und ziehe ihn an, ehe ich mir einen Schal um den Hals wickle. Dann greife ich nach meiner Handtasche.
»Ich wollte mit meiner Frage nichts implizieren.«
»Und ob du das wolltest«, widerspreche ich und richte meinen Blick nun doch auf ihn.
Er zuckt zusammen.
Mir doch egal.
»Ich muss los. Bist du fertig?«, will ich wissen, als er sich keinen Zentimeter vom Fleck rührt.
»Lib...«
»Na schön, schließ einfach ab, wenn du gehst«, unterbreche ich ihn, reiße die Wohnungstür auf und trete in den Flur hinaus. Ina zuliebe hüte ich mich, die Tür hinter mir ins Schloss zu knallen, auch wenn ich das am liebsten tun würde. Meine Absätze mit jedem Schritt in die Treppenstufen zu rammen, lasse ich mir aber nicht nehmen.
»Ich dachte, er käme nicht mit rein«, sagt Miss Ina plötzlich.
Erschrocken fahre ich zusammen und lege die Hand auf die Stelle über meinem wild pochenden Herzen. »Miss Ina, nicht jetzt. Bitte.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie wedelt mit der Hand herum. »Du hast keine Zeit zum Reden, weil du zur Arbeit musst. Daher erwarte ich dich nachher zum Tee. Wir sollten darüber reden, warum du aussiehst, als würdest du gleich jemanden ermorden.«
»Wie würde es ihnen gefallen, mir bei der Beseitigung einer Leiche zu helfen?«
»Ich bin alt, Mädchen, und den Rest meines Lebens verbringe ich bestimmt nicht in einem Gefängnis.«
»Ist vermutlich klüger.« Ich seufze ergeben, ehe ich die Augen aufreiße, als ich meine Wohnungstür auf- und wieder zugehen höre. »Mist«, flüstere ich.
Eilig gehe ich auf Miss Ina zu und dränge sie in ihre Wohnung. Ich folge ihr und schließe Tür hinter uns so leise ich kann, während sie fragt: »Was zum Teufel machst du da?«
In stummer Aufforderung lege ich meinen Finger an meinen Mund und stelle mich auf die Zehenspitzen, um durch den Spion zu gucken, bis ich Antonio an der Tür vorbeigehen sehe. Erleichtert stoße ich den Atem aus und lasse die Schultern sinken.
»Wie es scheint, hat es dich schlimm erwischt, was den Mann da draußen angeht«, murmelt Ina.
Ich sehe sie finster an. »Ich hasse ihn.«
»Na darauf wette ich.«
»Nein, wirklich. Ich hasse ihn.«
»Okay.« Ihre Mundwinkel heben sich, und ich kämpfe gegen den Drang, mit dem Fuß aufzustampfen, um meine Aussage zu untermauern. »Ist er weg?«, will sie nun wissen.
»Ja.«
»Tja, was machst du dann noch hier? Musst du nicht zur Arbeit?«
»Was ist, wenn er draußen auf mich wartet?«
»In diesem Fall wüsstest du, dass es ihn ebenso schlimm erwischt hat wie dich.«
»Er hasst mich noch mehr als ich ihn.«
»Na sicher ...«, sagt sie in sarkastischem Tonfall, schiebt mich beiseite und öffnet ihre Wohnungstür. »Na los, verschwinde schon.«
»Warum wollte sich Mac noch mal unbedingt mit Ihnen anfreunden?«
Sie zieht die Nase kraus. »Keine Ahnung, aber du musst jetzt gehen. Ich habe heute noch viel zu erledigen.«
»Also schön.« Ich spähe in den Korridor hinaus. Als ich diesen leer vorfinde, trete ich hinaus und drehe mich um, um mich bei Miss Ina dafür zu bedanken, dass ich mich für einen Moment in ihrer Wohnung verstecken durfte. Doch bevor ich den Mund öffnen kann, schlägt sie mir die Tür vor der Nase zu und schließt von innen ab. »Grummelige Alte.«
»Das habe ich gehört!«, nörgelt sie lautstark.
Sie nachäffend, mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe aus dem Haus. Als ich Antonio draußen stehen sehe, knirsche ich mit den Zähnen.
»Libby!«, höre ich ihn, trete jedoch ungerührt an die Kante des Bürgersteigs, um mir ein Taxi zur Arbeit zu rufen. »Es tut mir leid.«
»Gut.«
»Ich hätte dich das nicht fragen sollen.«
»Ja, das war eine wirklich dumme Idee«, stimme ich zu und spüre, wie er an mich herantritt.
»Kannst du mich bitte ansehen?«
»Musst du nicht längst unterwegs sein?«, fauche ich, auf ihn genauso wütend wie auf mich selbst. Ich bin sauer, weil ich ihn mag, obwohl ich das nicht tun sollte, und fuchsteufelswild, weil er ein Riesenarsch ist, der ab und zu richtig süß sein kann.
»Ja, aber zuerst muss ich wissen, dass du mir verzeihst, so ein Arschloch gewesen zu sein.«
»Ich verzeihe dir«, gebe ich sofort zurück, in der Hoffnung, dass er dann verschwindet.
Ruckartig hebe ich den Blick, als er mit einem Mal mein Kinn umfasst.
»Es tut mir wirklich leid«, bekräftigt er.
Den Kloß, der sich plötzlich in meiner Kehle geformt hat, hinunterschluckend, antworte ich: »Okay.«
»Verzeihst du mir wirklich?«
Als ich in seinen Augen ehrliches Bedauern erkenne, atme ich einmal tief ein und nicke, als ich die Luft wieder ausstoße.
»Kann ich es aus deinem Mund hören?«, bittet er mich leise.
»Ich verzeihe dir.«
Mein Kinn immer noch zwischen seinen Fingern, streicht er mit seinem Daumen über meine Unterlippe. So federleicht, dass ich mich frage, ob ich es mir nur einbilde. Dann macht er einen Schritt zurück. »Hab einen schönen Tag bei der Arbeit, Prinzessin«, sagt er, tritt auf die Straße und streckt seinen Arm in die Luft. Sofort hält ein Taxi am Straßenrand. Er öffnet mir die hintere Wagentür und, ohne ihn noch mal anzusehen, rutsche ich auf die Rückbank. Antonio schlägt die Tür zu.
»Wohin soll’s gehen?«, wendet sich der Taxifahrer an mich.
Ich nenne ihm die Adresse des Beautysalons, ehe ich doch noch einen Blick über meine Schulter werfe. Antonio steht noch an Ort und Stelle. Die Hände in den Hosentaschen vergaben, sieht er meinem Taxi hinterher.
Palo:
Hast du schon Pläne für morgen Abend?
Ich stehe im Büro des Tony’s und überlege fieberhaft, wie ich auf Palos Nachricht antworte. Ab und an kommt eine Kundin in den Salon und fragt gezielt nach einem von uns, der ihr für ein Event die Haare oder das Make-up machen soll. Seine unverfänglich anmutende Frage könnte also einer solchen Situation entspringen, aber es könnte genauso gut etwas anderes dahinterstecken.
Ich:
Vielleicht ...
Palo:
Ich verstehe das als ein Nein, was bedeutet, dass du morgen Abend auf ein Date gehen wirst. Ich glaube, ich habe den perfekten Mann für dich gefunden.
Na toll.
Ich:
Palo, muss ich dich wirklich an die letzten fünf Dates erinnern, zu denen du mich geschickt hast?
Palo:
Nein, und dieser Typ ist anders.
Ich:
Inwiefern anders?
Palo:
Er ist jung, hat Manieren und ist REICH.
Während ich tippe, stoße ich einen lauten Seufzer aus.
Ich:
Mir ist Geld völlig unwichtig, Palo.
Palo:
Das ist jeder Frau wichtig, Libby.
Er hat unrecht. Geld ist mir einerlei. War es immer schon. Ja, wie die meisten Frauen mag ich schöne Dinge, aber ich brauche sie nicht. Meine Eltern waren nicht reich und wir als Kinder dennoch stets glücklich. Ich bin in einem Haus voller Lachen und Liebe aufgewachsen, was wesentlich wertvoller ist als alle Reichtümer dieser Welt.
Ich:
Palo ...
Ich lasse seinen Namen so stehen, denn er sagt mehr als genug.
Palo:
Bitte? Für mich? Nur noch dieses eine Mal. Wenn es nicht klappt, werde ich dich nie wieder verkuppeln.
Ja, klar, als würde ich das auch nur eine Sekunde lang glauben. Ich seufze.
Ich:
Also gut.
Nachdem ich mein Handy in meine Handtasche geworfen habe, drehe ich mich um und verlasse das Büro.
»Was ist los mit dir?«, fragt Peggy, sobald sie mich erblickt. Ist es wirklich so offensichtlich, dass ich genervt bin?
»Ich habe morgen Abend ein Date«, erzähle ich und klinge genauso ärgerlich, wie ich mich fühle.
Sie mustert mich einen Moment, ehe sie über ihre Schulter sieht. Stirnrunzelnd folge ich ihrem Blick. Mir stockt der Atem, als ich Antonio entdecke, nah genug, dass er meine Worte unmöglich nicht gehört hat.
»Ein Date! Das ist schön. Wer ist der Mann?«, hakt Peggy nun nach.
Ich sehe sie an und wünschte, der Boden unter mir würde sich auftun und mich verschlucken. »Ich ... Ich ... weiß nicht. Es ist ein Blinddate.«
»Oh, die machen immer Spaß. Das Geheimnisvolle, die Spannung ...«
Gott, ich wünschte wirklich, jetzt im Erdboden zu versinken.
»Wie dem auch sei«, sie klatscht so laut in die Hände, dass ich vor Schreck beinah in Ohnmacht falle, »Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.«
»Stimmt«, flüstere ich, ehe ich durch die halbhohe Tür in den hinteren Bereich und von da aus in die Küche husche.
Ich brauche gerade etwas Abstand von allen und beginne damit, die übergroßen Metallschüsseln, Kochutensilien und Töpfe abzuwaschen, die noch im Spülbecken liegen. Da einer der Letzteren ungefähr so groß ist wie ich, spare ich ihn mir bis zum Schluss auf. Als ich Antonios tiefes Lachen hinter mir höre, werfe ich einen Blick über meine Schulter.
Durch den schmalen Spalt der Tür kann ich ihn im vorderen Bereich des Ladens am Tresen stehen sehen. Eine süße, junge Frau mit blonden Haaren lehnt sich gerade über die Theke zu ihm rüber. Mein Magen zieht sich zusammen, insbesondere als ich beobachte, wie sie sich einen Stift aus der Halterung neben der Kasse schnappt, Antonios Hand nimmt und – so vermute ich zumindest – ihre Telefonnummer auf die Innenfläche schreibt.
Mit zusammengebissenen Zähnen wende ich mich ab. Es sollte mich nicht weiter kümmern, ob oder ob sie ihm nicht ihre Nummer gegeben hat. Um genau zu sein, sollte es mir piepegal sein – ist es aber nicht. Nachdem ich den Abwasch fast erledigt habe, stelle ich den riesigen Topf ins Spülbecken und schrubbe ihn, bis mir der Arm wehtut. Ein ums andere Mal tief durchatmend, versuche ich, meine verwirrenden Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Ich wünschte, ich wäre nicht in Antonio verknallt und ihn wirklich hassen zu können, anstelle das immer nur zu behaupten. Außerdem wäre es mir lieb, nicht ständig sein hübsches Gesicht sehen oder seine tiefe Stimme hören zu müssen. Und die Kirsche oben drauf wäre, wenn ich nicht dabei zusehen müsste, wie er mit anderen Frauen flirtet. Zugegeben, ich habe nicht wirklich gesehen, wie er mit anderen Frauen geflirtet hat, aber ich habe definitiv mitbekommen, wie andere Frauen mit ihm geflirtet haben, was genauso ätzend ist.
»Was hast du an Weihnachten gemacht?«, erkundigt sich Peggy, mich damit aus meinen Gedanken reißend.
Ich sehe vom Topf hoch, den ich noch immer schrubbe, und konzentriere mich auf sie.
»Ich bin für ein paar Tage nach Long Island gefahren, um ein wenig Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Und du?«, frage ich und versuche, möglichst beiläufig zu klingen.
»Hector hat eine riesige Familie und sie sind alle am Weihnachtsabend zu uns zum Essen gekommen. Am ersten Weihnachtstag sind wir dann zu seinen Eltern gefahren, haben Geschenke ausgepackt, und die Kinder haben mit den Männern im Park Football gespielt, während wir Frauen gekocht haben.«
Ich lächle sie an. »Klingt spaßig.«
»Das war es auch.« Mein Lächeln erwidernd, wischt sie die blitzsauberen Anrichten ab. »Ich war ein Einzelkind. Hector hat drei Brüder und sechs Schwestern, also sind solche Familientreffen immer laut und verrückt, aber auch sehr schön.«
»Das glaube ich gern.«
Sie betrachtet mich eingehend – so lange, dass ich allmählich beginne, mich unwohl zu fühlen. »Lass dich davon nicht unterkriegen, Liebes«, sagt sie schließlich, ihr Ton sanft. Mein Herz schlägt mir mit einem Mal bis zum Hals. »Das war nur seine Reaktion darauf, dass er hören musste, dass du morgen ein Date hast.«
»Was?«, hauche ich.
Sie tritt näher an mich heran und senkt die Stimme. »Männer sind manchmal komplette Idioten. Sie sehen etwas, das sie wollen, unternehmen aber nichts, um es auch zu bekommen. Sie denken, dass diese Sache – oder besser gesagt, diese Person –, immer da sein wird. Oder zumindest so lange, bis sie bereit sind, die Dinge in die Hand zu nehmen. Du aber hast Antonio eben bewiesen, dass du nicht auf ihn warten wirst«, sagt sie, was mich ziemlich aus der Bahn wirft.
»Ich glaube ...«, beginne ich, um ihr zu sagen, dass sie völlig falschliegt, aber sie lässt mich nicht zum Ende kommen.
»Nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Du kannst dich selbst so viel belügen, wie du willst, aber ich sehe es. Ich sehe, wie er dich ansieht – und wie du ihn ansiehst. Eines Tages wird einer von euch einknicken und ich vermute, dass dieser Tag nicht allzu weit entfernt ist. Zu hören, dass du dich mit einem anderen Mann verabredet hast, hat ihm kein bisschen gefallen. Keine Ahnung, was ihn noch zurückhält. Ich vermute, dass es etwas mit der Frau zu tun hat, die ihm vor dir den Kopf verdreht hat.«
Okay, ich konnte ja schon eben meinen Ohren nicht trauen, aber jetzt bin ich völlig von der Rolle.
Hat sie recht? Mag Antonio mich? Bin ich so durchschaubar, wenn es um meine Gefühle für ihn geht?
»Geh zu deinem Date. Hab Spaß, flirte und bete zu Gott, dass dieser Mann endlich seinen Kopf aus seinem Hintern zieht, so wie seine Mama es ihm schon seit Jahren predigt.«
Oh mein Gott.
»Peggy, es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber so sehr ich Martina auch liebe und so furchtbar ich es auch finde, ihren Traum zu zerstören: Antonio kann meine Anwesenheit kaum ertragen. Ich glaube, die Chancen stehen gut, dass er mich sogar hasst.«
Peggy muss so heftig lachen, dass sie sich auf die Schenkel klopft.
Ich starre sie an. »Das ist nicht lustig.«
»Oh doch.« Sie wird wieder ernst und umschließt meinen Arm. »Liebes, dieser Mann hasst dich mit Sicherheit nicht.«
»Und ob er das tut.«
»Vielleicht wünscht er sich das, aber er hasst dich genauso wenig wie ich Eiscreme mit Schokosoße, regnerische Tage zu Hause mit meiner Familie, Sonnenuntergänge am Strand und meinen Mann, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest.«
Mein Herz hämmert wie wild in meiner Brust und ich bete, dass sich meine Lunge allmählich wieder mit Sauerstoff füllen möge. Die Vorstellung, dass Peggy recht haben könnte, ist beinah zu viel für mich.
»Alles wird gut werden. Du hast ihm gerade relativ unsanft die Scheuklappen heruntergerissen, und jetzt sieht er die Dinge endlich, wie sie sind. Manchmal braucht ein Mann einen Weckruf, und ich glaube, dem hast du ihm gerade verpasst.«
»Er ist ein Idiot, Peggy ...«, wende ich ein, um mich selbst an diese Tatsache zu erinnern.
Okay, gelegentlich kann Antonio ganz süß sein ... aber größtenteils hat er sich in meiner Gegenwart wie ein Idiot benommen.
»Ich verstehe, warum du das glaubst.«
Das glaube ich nicht nur, ich weiß es, denke ich, doch spreche es nicht aus.
»Ich kann kaum erwarten, zu verfolgen, wie sich das mit euch entwickelt. Ich verschlinge jeden Liebesroman, aber noch nie hat sicher einer vor meinen Augen abgespielt. Das ist großartig.«
Fassungslos sehe ich sie an und frage mich, ob sie den Verstand verloren hat. Ehrlich gesagt, stimmt das nicht ganz. Ich weiß ganz genau, dass wir sie definitiv demnächst einweisen müssen, wenn sie weiterhin solche Märchen erzählt.
»So, und jetzt hör auf, dich hier hinten zu verstecken. Ich brauche dich vorn. In diesem Laden gibt es zu viel Testosteron, und ich bin ungern in der Unterzahl.«
»Ich wasche gerade ab«, erinnere ich sie, noch nicht bereit, mich der Situation vorne zu stellen.
Nicht jetzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie wieder.
»Versteck dich nicht.« Ihre eindinglich ausgesprochenen Worte sorgen dafür, dass ich erstarre. »Versteck dich nicht«, wiederholt sie. »Du hast absolut nichts falsch gemacht.«
»Ich ... Ich verstecke mich nicht, Peggy«, lüge ich. »Ich mache einfach nur den Abwasch.«
Sie tritt an mich heran – so nah, dass ich keine andere Möglichkeit habe, als ein wenig zurückzuweichen –, stellt den Wasserhahn an, reißt mir den Schwamm aus der Hand, spült ihn aus und stellt den Topf zum Trocknen hin. »So, jetzt bist du fertig.«
Kopfschüttelnd sehe ich erst sie, dann den Topf an, ehe ich das Wasser aufdrehe, um mir die Hände zu waschen. Da ich annehme, dass mir Peggy im Nacken sitzen wird, bis ich nachgebe, folge ich ihr in den vorderen Bereich der Pizzeria. Die süße Blondine ist mittlerweile verschwunden, Antonio leider nicht. Als mich sein finsterer Blick trifft, muss ich mich beherrschen, mir nicht auf die Lippe zu beißen.
»Ich muss in einer Stunde auf der Feuerwache sein. Macht es dir was aus, Hector heute Abend noch mal bis zum Ende zu unterstützen?«, fragt er.
»Kein Problem.«
»Morgen spreche ich mit Dad darüber, noch jemanden einzustellen, damit du nicht länger aushelfen musst.«
Übelkeit wallt in mir auf und Tränen beginnen, in meinen Augen zu brennen. »Ihr wollt mich loswerden?«
Das kann unmöglich sein Ernst sein. Ich bin hier glücklich. Dieser Job erfüllt mich auf eine Weise, wie nur harte Arbeit es kann. Dieses Gefühl hatte ich lange nicht, und Antonio will es mir wegnehmen. Wenn Peggy recht hat, tut er das nur, weil ich ein Date habe. Eines, zu dem ich nicht einmal gehen möchte.
»Du arbeitest hier nicht wirklich, Libby. Das weißt du.«
Mein Magen zieht sich schmerzlich zusammen und mir schnürt sich die Kehle zu. »Ich bin gern hier«, entgegne ich, und er presst die Zähne zusammen. »Mir ist klar, dass du das nicht verstehst, weil es dir«, ich zeige mit dem Finger auf ihn, »offensichtlich nicht gefällt, mich hierzuhaben. Aber ich«, ich deute auf mich, »bin wirklich gern hier. Also nein. Du wirst nicht mit deinem Vater darüber reden, jemand anderen einzustellen. Er sollte sich um so etwas gerade keine Gedanken machen müssen, genauso wenig wie deine Mom. Und wenn dir das nicht gefällt, dann ist das dein Pech. Komm darüber weg, denn ich gehe nirgendwohin, Antonio.«
»Libby ...«
»Hör einfach auf«, fauche ich und beuge mich vor. »Gott ... hör endlich auf, dich wie ein Idiot zu verhalten.«
Ich wende mich ab und bemerke, dass mich jeder im Raum anstarrt, doch die Blicke ignorierend, gehe ich zur Anrichte, an der wir die Pizzen machen. Einige der Zutaten sind nur noch in geringen Mengen vorrätig, also beginne ich, sie aufzufüllen; dann mache ich eine Liste mit jenen, die nachbestellt werden müssen. Etwas, worum sich Martina normalerweise kümmert. Anschließend kehre ich in den vorderen Bereich zurück und wische Tische und Stühle ab.
»Er ist weg, Liebes«, informiert mich Peggy.
Ich sehe hoch und mir fällt auf, dass sowohl sie als auch Marco und Hector mich mit besorgten Mienen mustern.
»Libby ...«, setzt Marco an. »Wir lieben es, dich hierzuhaben.«
Die dämlichen Tränen, gegen die ich schon die ganze Zeit ankämpfe, brennen erneut in meinen Augen.
»Chiquita, Marco hat recht«, bestätigt Hector, den ich durch meinen tränenverhangenen Blick nur noch verschwommen wahrnehme. »Wir haben dich unheimlich gern hier.«
»Danke, ihr drei«, sage ich zittrig und wische mir über die feuchten Wangen, ehe ich meinen Kopf senke und mich wieder an die Arbeit mache. Und die ganze Zeit versuche ich krampfhaft, nicht an Antonio zu denken.