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Montag 05. September

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Der Wecker klingelte und er setzte sich in seinem Bett im Zeitlupentempo auf. Zuerst galt ein heftiger Schlag dem Radauwerkzeug, das daraufhin scheppernd zu Boden fiel und eine unschöne Macke in dem Billig- PVC-Boden hinterließ. Eigentlich sollte das Ding doch gar nicht losgehen. Er hatte frei und war wohl erst wenige Stunden zuvor ins Bett gekommen, oder waren es nur Minuten – egal „...viel zu früh...“ brummte er ärgerlich. Als er ins Bad schlurfte juckte es ihn und unwillkürlich begann er sich an seinem Allerwertesten zu kratzen. Dabei realisierte er zu seiner größten Verwunderung, dass er nackt war. Wo um alles in der Welt war nur seine Hose geblieben und wo sein Kopf. Das unförmige Ding, das er im Spiegel sah konnte es unmöglich sein. Er konnte sich deutlich erinnern einmal schwarze Haare gehabt zu haben, lange, lockige schwarze Haare, aber da war nichts mehr nur noch ein kahler Schädel, eine hohe Stirn und unter dieser blickten ein Paar blaue Augen aus eben diesen Schädel. Der Mangel an Haupthaar schockierte ihn mindestens ebenso wie der Umstand dass er plötzlich einen Dreitagebart trug und das obwohl er doch immer soviel Wert auf eine ordentliche Rasur gelegt hatte. Das eigentlich Einzige was bei ihm und in seinem Leben derzeit ordentlich war. Angestrengt begann er nun das Geschehene der letzten drei Tage zu rekapitulieren. Er wollte damit beginnen als er die Dienststelle am Donnerstagabend verlassen hatte um in sein verlängertes Wochenende zu starten. Schon von diesem Moment an begann es zäh zu werden, als er jäh aus seinen Gedanken gerissen wurde.

„Schatz weißt du wo mein BH ist?“ Flötete es aus dem Schlafzimmer. Messerscharf schloss er, dass da wohl jemand weiblichen Geschlechts sein musste – aber wer? Wie hieß die noch mal? Er war ratlos und planlos. Mit dieser eher weniger intelligent wirkenden Mimik im Gesicht trafen sich ihre Augen. Was er sah gefiel ihm schon. Zugegeben er hatte schon immer, was Frauen anbetraf einen ausgesprochen guten Geschmack befand er. Entfernt schien ihn ihr Anblick an irgend jemanden zu erinnern der ihm bekannt vorkam. Aber es half alles nichts der Name wollte ihm einfach nicht einfallen.

„Wo du ihn zuletzt ausgezogen hast. Ich hab ihn jedenfalls nicht an!“ brabbelte er vor sich hin – immer noch unzufrieden, dass er mit dem hübschen Ding da in seinem Schlafzimmer nichts Konkretes verbinden konnte.

„Na Du bist ja ´ne tolle Hilfe“ Kam in verärgertem Tonfall zurück.

Er erschrak, da er nach seinem Dafürhalten gar nicht so laut gesprochen hatte. Plötzlich klingelte das Telefon. Er zuckte zusammen nur zu schmerzhaft klang der Ton und schien von seinem Gehirn in tausendfacher Lautstärke reflektiert zu werden. Er eilte an den Apparat, nicht sosehr um zu erfahren wer wohl dran ist, sondern vielmehr um dieses vermaledeite Klingeln abzustellen. „Oliver Fuhr“ meldete er sich und das erste Mal dass er etwas freundliches hörte an diesem Tag – wohl Montag war die Stimme seiner Kollegin Kriminalkommissarin Jessica Baumann

„Hallo Schatzi, jetzt mal raus aus dem Bett wir haben eine Leiche am Rastplatz nördlich BAB 5 Ausfahrt Karlsruhe Nord, von Norden her kommend. Kaiser ist schon verständigt und trifft dich dort. Die SpuSi ist auch schon auf dem Weg. Sieh zu dass du nicht der Letzte am Tatort bist, auch wenn du eigentlich noch den einen Tag Urlaub hast.“

„Also mein Liebling jetzt mal der Reihe noch und ganz langsam“

Mit einem Lachen in der Stimme wiederholte die jungen Polizistin ihren schon einmal aufgesagten Text, aber diesmal mit einer Stimme aufgesetzter Entrüstung über soviel Pflichtvergessenheit.

„Alles klar ich springe eben unter die Dusche und bin in zwanzig Minuten da.“

„ Und länger brauchst du nicht um deine Mähne zu bändigen?“ Kam vom anderen Ende die ungläubige Frage.

Er war versucht zu fragen von welcher Mähne sie redete, aber er wusste dass dann das Gespräch endlos wird. Zumal sich für den ganzen Sachverhalt Fragen ergäben, auf welche er nach seinem derzeitigen Kenntnisstand auch keine Antworten hatte. Mit einem kurzen „Passt schon“ beendete er das Gespräch.

Kaum hatte er aufgelegt erschien die gut gebaute Blondine im Bad und begann ihr üppiges blondes Haar zu striegeln.

„Mit wem hast du denn da geredet? – wer ist denn außer mir dein Liebling?“ ohne sie weiter eines Blickes zu würdigen stieg er unter die Dusche und drehte kalt auf in der verzweifelten Hoffnung, dass nach dem Kälteschock die Erinnerungen wieder zurückkommen würden. Dabei beantwortete er ihre Frage

„Das ist meine Kollegin und da machen wir uns einen Spaß draus so miteinander zu reden, – kein Grund zur Panik!“

„ Ach so“ gab sie wohl nun beruhigt zurück und fügte wie beiläufig an: „Wenn du nachher Zeit hast müssen wir uns mal über die ganzen Formalitäten zu unserer Hochzeit unterhalten.“

Plötzlich hörte sie ein Poltern und einen lauten Fluch. „Is´was, Schatz?“

„Nein, nein, alles in Ordnung“ antwortete er gepresst. Nun war es aber wirklich an der Zeit dachte er, sich mindestens an ihren Namen zu erinnern – und sei es auch nur um ihr den Gedanken an eine Hochzeit auszutreiben. Schließlich wollte er sich noch einige Zeit der Damenwelt als lediger Mann erhalten. Als er der Dusche entstiegen war und seine 1,90 Meter abgetrocknet hatte sah er sich im Bad um. Aber weder am Fenster hinter der Duschtrennwand noch am, für einen erwachsenen Mann eher kleinen Waschbecken konnte er aber seine „Ehefrau in spe“ entdecken. Mangels der Kenntnis eines Namens rief er:

„Du, Schatz ich weiß aber nicht wann ich nach Hause komme. Uns ist gerade ein Leichenfund gemeldet worden, wenn sich das bewahrheitet was der Anrufer gesagt hat, dann war´s ein Mord und dann kann es erst mal spät werden – ich werde dich anrufen, wenn ich morgen wieder fit bin, damit wir einen Termin vereinbaren können.“

In leicht beleidigtem Tonfall entgegnete sie: „ Und ich dachte du hast Urlaub und Zeit für mich“

„Schon, aber bei so einem Fall ist das nicht so wichtig, ich werde die Urlaubstage schon noch nehmen.“

„Also gut“ lenkte sie ein „Aber wart nicht so lange“ sie steckte mit ihren nackten Füßen in Birkenstock Sandalen. Dieser Anblick erinnerte ihn an etwas, aber er konnte die Erinnerungsfetzen nach wie vor nicht so richtig fassen und so ging das Rätselraten weiter. Der praktische Aspekt seiner neuen „Frisur“ war, dass er in der Tat schneller fertig war. Im Schlafzimmer angekommen zog er sich einen Slip und Socken an. Er fand in seinem Schrank ein dunkelblaues Tommy Hilfiger Poloshirt, das aufgrund merkwürdiger Lagerungsbedingungen einige Knicke und Falten aufwies, wo eigentlich keine sein sollten. Aus dem Augenwinkel sah er den blonden Pferdeschwanz seiner Zukünftigen in der Küche umherwirbeln, was auch immer sie dort treiben mochte. Schnell noch die beige Jeans übergestreift und in die schwarzen Slipper geschlüpft – schon konnte es losgehen. Als er auf dem Weg zum Auto die Küche passieren wollte rief ihm die Stimme der hübschen Blondine nach:

„Halt mal, nicht so eilig, erst mal dageblieben, jetzt wird erst gefrühstückt.“ Aus den Augenwinkeln sah er dass sie in der Essecke, die nach Südwesten lag und großzügig verglast war den Frühstückstisch schön gerichtet hatte. Er spürte ganz exakt den Widerwillen den er immer empfand, wenn er auf diese Form des Kleinbürgeridyll stieß.

„Must du eigentlich nicht auch zur Arbeit?“ fragte er sie im Vorbeilaufen

„Ich hab Spätschicht und fange erst um zwei an, und Du wartest jetzt einen Moment“ dabei erreichte sie die Tür vor ihm und baute sich mit ihren ganzen 1,75 Metern vor ihm auf und schubste ihn mit sanfter Gewalt in Richtung Tisch.

„Du Schätzchen, ich habe wirklich keine Zeit, ich werde an einem Tatort erwartet.“ Doch bevor er das letzte Wort ausgesprochen hatte saß er bereits auf dem Stuhl und seine „Ehefrau in spe“ goss ihm frisch gebrühten Kaffee ein. Als er sie so musterte, wie sie ihn bediente schien sein Widerstandswille zu seinem eigenen Erstaunen einzubrechen und er fügte sich ihren Anweisungen. Den Kaffee nahm er schwarz mit einem Stück Zucker, aber als sie ihm noch ein Brötchen aufnötigen wollte – woher auch immer das kommen mochte, protestierte er

„Du das ist furchtbar lieb von dir aber ich esse morgens nichts und muss jetzt wirklich weg.“

„Komm, nimm das Brötchen mit und trink aber wenigstens deinen Kaffee in Ruhe!“

So tat er wie ihm geheißen. Während ihm seine „Angebetete“ ein Brötchen mit Butter schmierte und mit etwas rohen Schinken belegte, den sie irgendwo in den Untiefen des Kühlschranks gefunden hatte, wobei er sich wieder fragte, wie sich wohl überhaupt irgendetwas in seinen Kühlschrank verirren konnte, kaufte er doch eigentlich kaum etwas ein, dennoch genoss er seinen Kaffee. Solchermaßen versorgt und mit einem Abschiedskuss an der Türe von seiner unbekannten Freundin versehen, fuhr er mit dem Fahrstuhl nach unten, stieg in die Garagenebene hinunter, lief ans Auto und machte sich auf zum Tatort. Als er in seinem neuen Auto, einem schneeweißen VW Scirocco saß und den Motor startete schien er langsam wieder aus seinem bürgerlichen Idyll ins hier und jetzt zu finden. Was war da eigentlich gerade abgelaufen ? Unglaublich. Er hatte zu Hause gefrühstückt ? Unverständlich. Er sollte heiraten? Unmöglich. Er kannte nicht einmal die Frau die er da heiraten sollte? Unerträglich. Andererseits, hübsch war sie ja und ein bisschen Ordnung in seinem Leben könnte eigentlich nicht schaden – aber gleich heiraten? Nein, das hieße doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Vor allem sollte ich mal was über die Frau in Erfahrung bringen, z.B. wie sie heißt, wer sie eigentlich war und wie verdammt noch mal sie auf die Idee kommen konnte, dass er sie heiraten solle, überlegte er. Der Kriminalhauptkommissar in ihm erwachte langsam. Nachdem er genussvoll sein Brötchen gegessen hatte und diesen Gedanken nachgehangen hatte, beschloss er also methodischer an das Problem heranzugehen. Wieder versuchte er den Donnerstagabend zu rekonstruieren, kam aber nicht weiter. Plötzlich drängten sich Erinnerungen an einen Abend auf dem „Fest“, einer großen dreitägigen Konzertveranstaltung in Karlsruhe ins Gedächtnis, ohne dass er sagen konnte welcher Tag und welche Uhrzeit das war. Viele fremde Menschen, einige bekannte Menschen viele fremde Gesichter die gleichsam auf ihn einfluteten. Eine Ordnung, oder gar Chronologie in diesen Wust von Erinnerungen zu bringen schien unmöglich. Das Merkwürdige war, dass er selbst den bekannten Gesichtern keinen Namen zuordnen konnte. Da! Da war auch ihr Gesicht, das ihn anlächelte. Unwillkürlich lächelte auch er. Nach und nach kehrten mehr Erinnerungen an sie zurück, leider war ihr Name nicht dabei – also musste sie jetzt Schätzchen heißen bis er irgendwie sich ihres Namens erinnerte, oder ihn sonst wie in Erfahrung brachte. Sie sagte sie sei Krankenschwester am Städtischen Klinikum in Karlsruhe, das war ein Anfang.

Sein Lächeln stand als er am Tatort eintraf immer noch in seinem Gesicht. Als er seinen älteren Kollegen Reinhard Kaiser sah, der mit seinen 1,70 m und seinem drahtigen, aber schmächtigen Körperbau zu ihm trat konnte der sich auch ein, aber diesmal eher spöttisches Lächeln nicht verkneifen.

„Tut mir leid, dass ich dich an deinem freien Tag aus dem Bett habe rausscheuchen lassen. Aber ich habe gedacht, dass du dir das nicht entgehen lassen willst, um einen ersten Eindruck selbst zu gewinnen, aber wenn ich mir dich so ansehe glaube ich hätte ich dich doch noch in den Armen eines deiner Betthäschen lassen sollen. Insbesondere nachdem du ja wohl einen neune Style gewonnen hast.“

„Nein, nein...“ wehrte Fuhr fast erschrocken ab „...ich bin froh dass ich da raus gekommen bin. Irgend was läuft da ganz grandios an mir vorbei und ich durchblicke nichts. Bevor ich meiner neuen Flamme wieder gegenübertrete muss ich erst mal herauskriegen was die wohl in mein Bett und meine Wohnung geführt hat. Insbesondere was ich wohl wieder angestellt habe damit die auf das schmale Brett kommt ich könnte sie heiraten wollen – ich meine stell dir das mal vor ich und heiraten, das geht doch gar nicht.“

Der Ältere Nickte mit einem Schmunzeln nach dem Kurzbericht, seines jungen Kollegen den er so, oder ähnlich schon öfters gehört hatte und war sofort wieder zu dem Fall zurückgekehrt.

„Also ein 61- jähriger Mann, nach seiner Ident -Card zu urteilen ein Herr Dieter Vogtländer, Versicherungsvertreter, wie sich aus seinen Visitenkarten ergibt, die überall im Fahrzeug rumlagen. Dort drüben steht übrigens sein Auto, da der Jaguar XF. Keine sonstigen Auffälligkeiten. Da liegt er mit einer Kugel in der Brust. Was die SpuSi soweit sagen kann ist eigentlich offensichtlich. Dort, wo er die asphaltierte Fläche verlassen hat sieht man seine Fußspuren, die mit kurzem Schrittabstand bis zu seinem Fundort schnurstracks hinüber-führen.“

Fuhr betrachtete die Fußspuren, welche von der Spurensicherung bereits markiert und fotografiert wurden, aus den Augenwinkeln registrierte er, dass gerade ein Gipsabdruck davon ausgegossen wurde.

„Wie´s aussieht ist er dort langsamer gegangen, kurz bevor es ihn erwischt hat. Kann man schon sagen aus welcher Richtung der Schuss gekommen ist?“

Sein älterer Kollege trat zu ihm und meinte:

„Schwer zu sagen, da, das Opfer wie´s aussieht von einer ziemlich kleinkalibrigen Waffe erschossen worden ist, andererseits das Opfer doch ein Stück zurückgeschleudert hat, ist von einem Schuss aus nächster Nähe auszugehen. Leider haben wir im Umkreis von 500 m keine Patronenhülse gefunden. Fußspuren vom Täter – Fehlanzeige, aber es sieht dennoch so aus, als ob die Spuren bewusst verwischt worden wären. Die Erde um die Bäume herum ist zu gleichmäßig verteilt. Wir haben auch schon die anderen Rastplatzbesucher befragt, ins-besondere den, der uns den Fund des Opfers gemeldet hatte. Insgesamt ist kein Schuss gehört worden, aber auch niemand der aus dem Gebüsch kam beobachtet worden.“

Fuhr runzelte die Stirn und versuchte einmal das ganze Rastplatzgelände zu überblicken.

„Dass sich das Opfer hier geradewegs auf die Baumgruppe zubewegt hatte ist wohl nur damit zu erklären, dass er dort die Person gesehen, oder gehört hatte, wegen der er überhaupt hierher gekommen war, hätte er etwas gesucht, wäre er nicht so direkt auf das Ziel zugegangen. Vielleicht wurde er auch schon bedroht, oder er war sich seiner Sache nicht ganz sicher. Auf jeden Fall handelte es sich nicht unbedingt um eine bekannte Person, auf die er unbefangen zugegangen ist. Zeugen für mindestens Teile des Geschehens zu finden dürfte schwer sein, da hier ein reges Kommen und Gehen herrscht.“

Kaiser beobachtete Fuhr mit unverhohlener Neugierde und warf nun ein

„Und warum vermutest Du das?“

Fuhr wusste dass sein älterer Kollege immer wieder ihn solche Mutmaßungen anstellen ließ um seine Qualitäten zu prüfen und das Geschehene auf sich wirken zu lassen und so fuhr dieser unbeirrt fort:

„Nun hier ist kein Toilettenhäuschen. Es ist keine Schallschutzwand da, keine klassische Rastanlage, wo z.B. auch Mahlzeiten eingenommen werden. Tagsüber wird da im Grünen eine Pinkelpause eingelegt, vielleicht noch einige Zeit verbracht wenn man zu früh an einen Termin ist, aber dann wird auch schon weitergefahren. Wer hier schlafen will muss schon einen sehr guten Schlaf haben.“

Den Blick in die Ferne gerichtet als wolle er alles vor seinem geistigen Auge vergegenwärtigen meinte Kaiser:

„Und was würdest du jetzt tun?“

„Nun, ich würde einen Zeugenaufruf über die Medien verbreiten. Vielleicht gibt es ja jemanden der etwas gesehen hatte mit dem er zunächst nichts anfangen konnte, jetzt aber, da er mitbekommt dass da was war, er sich bei uns meldet.“

Antwortete Fuhr wie aus der Pistole geschossen.

„Gute Idee...“ quittierte Kaiser „...scheinbar ist ja doch noch was das denken kann übriggeblieben nach deinem gestrigen Absturz.

„Kannst du das übernehmen, Reinhard?“

Der Ältere lächelte „Nur wenn du das der Witwe sagst, mit Frauen kannst du doch!“

Fuhr verzog schmerzhaft das Gesicht, obwohl ihm klar war, dass soweit Kaiser die Medieninformation übernahm, an ihm diese unangenehme Pflicht hängenblieb. Seufzend willigte er ein.

„Natürlich kann ich mit Frauen gut umgehen, aber so was doch nicht. Ich habe mir schon überlegt, dass ich vielleicht Jessy mitnehme, so von wegen von Frau zu Frau.“

Kaiser grinste schief, sah aber ein, dass es wohl wirklich besser war, mindestens war diese wirklich schwere Pflicht nicht an ihm hängengeblieben. Er hatte insgeheim damit gerechnet, da er wusste, dass Fuhr etwas medienscheu ist. Zwar ist es auch ihm nicht gerade angenehm vor die Mikrofone zu treten, aber nach dieser langen Zeit hatte er gelernt das als notwendiges Übel zu akzeptieren und ging mit einer gewissen Routine damit um. In einem Fall wie diesem, wo die Medien helfen konnten, fiel es ihm umso leichter.

Fuhr bestieg sein Auto und machte sich auf den Weg ins Polizeipräsidium Karlsruhe. Hatte er auf dem Hinweg sich seinem Privatleben zugewandt und mit der Frage befasst, ob er mit seinen nun 31 Jahren wirklich „unter die Haube“ zu begeben habe, war er nun voll auf den Fall fokussiert. Die sehr dünne Spurenlage irritierte ihn doch sehr. Wie viel Kaltblütigkeit musste der Mörder haben, um die Patrone einzusammeln und sämtliche Spuren zu verwischen? War es ein Profi? Aber welcher Profi bringt einen normalen Bürger um, der als Versicherungsvertreter arbeitete, der nie polizeilich auffällig wurde, sich nie in irgendeiner Weise hervorgetan hatte. Einfach unverständlich. Nun ja tröstete er sich, vielleicht ist der Bericht der SpuSi wenigstens etwas ergiebiger. Aber nun zu der Witwe, die noch gar nichts ahnte – oder doch, war es am Ende eine Eifersuchtssache? Er war froh dass er Jessy mitnehmen konnte. Sie hatte eine sehr angenehme Art, wenn Feingefühl gefragt war. Er wollte primär zuhören, die Frau beobachten und auf verräterische Zeichen achten, wenn es sich tatsächlich um eine Beziehungstat handelte war dies das Beste was er tun konnte. Obwohl es eigentlich von Norden kommend der kürzere Weg war, über die Durlacher Allee und die Kriegstrasse in Richtung Polizeipräsidium nach Karlsruhe einzufahren hatte er sich, wenn er allein unterwegs war, wie jetzt angewöhnt über die Südtangente und die Beiertheimer Allee einzufahren. Er liebte deren Anblick. Eine beidseits mit unterschiedlichsten Bäumen gesäumten Allee, wo zwischen Gründerzeitvillen und neueren, gleichwohl dazu stimmig passenden Gebäuden ein ca. 50m breiter Grünstreifen, das Beiertheimer Wäldchen mit Spielplatz und Spazierwegen angelegt verlief, wobei die Bäume im Sommer ein fast geschlossenes Dach über Grünstreifen und Straße bildeten. An der Ecke Mathystr., welche die Beiertheimer Allee im spitzen Winkel querte und den Straßenzug in der idyllischen Anlage beendete, stand dann das Polizeipräsidium. Ein imposanter, dreieckiger roter Sandsteinbau aus der Jahrhundertwende mit einer elegant anzusehenden Jugendstilornamentik und einem wirklich atemberaubenden Treppenhaus, das den spitzen Dreieckswinkel halbierte und die Obergeschosse erschloss. Einst für die Erzdiözese Freiburg gebaut, residierte nun die Polizei in diesem schönen Gebäude.

Inzwischen nahm Fuhr diese Schönheit nur noch am Rande wahr und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend ins erste OG. Dabei ignorierte er die Rufe seiner Kollegen, denen er im Treppenhaus begegnete, ob seiner abhanden gekommenen Haarpracht. Als er dann endlich im Arbeitszimmer seiner Kollegin Jessica Baumann angekommen war, sah er sich irritiert um, da weder von ihr noch deren Kollegen Valentin Bauer etwas zu sehen war. Er wollte schon wieder den Raum verlassen und im Besprechungsraum nachsehen, als er eine Quertür aufgehen hörte und von hinten angesprochen wurde:

„ Hallo, kann ich ihnen helfen?“

Sofort erkannte er Jessy´s hohe Stimme und er drehte sich zu ihr um. Da stand die zierliche, vielleicht 1,65 m brünette Kollegin vor ihm und ihre vielen Sommersprossen schienen zu tanzen, als sie ein Minenspiel zwischen Erstaunen und Bestürzung und dann doch Amüsement zeigte

„Um Gottes Willen, was ist denn mit dir passiert!“

Rief diese mit entsetzter Stimme aus. Angesichts des blanken Entsetzens das ihm entgegenschlug wurde Fuhr doch etwas verlegen.

„Na ja, ich muss da irgend einen Blödsinn gemacht haben, aber frag nicht welchen, ich hab keine Ahnung.“ Nun prustete Jessy mit von Lachen erstickter Stimme heraus.

„Irgendwann musste das ja schief gehen wenn du an deinen legendären verlängerten Wochenenden immer deine Abstürze gehabt hast.“

„Wenn meine Haare alles wären, dann hätte ich nicht halb so viele Probleme, aber das erzähle ich dir ein Andermal.“

Da hatte er jedoch Jessy´s Neugierde unterschätzt. Die brauste erregt auf:

„Nein das erzählst du sofort. Erst Andeutungen machen und dann den Mund halten geht wohl gar nicht.“

„Wir müssen uns jetzt auf wichtigeres konzentrieren. Mein Privatleben ist dabei absolut zweitrangig. Wir haben eine Leiche und jede Menge offene Fragen. Außerdem müssen wir jetzt hoch nach Spessart in den Linienring der Witwe mitteilen, dass ihr Mann ermordet wurde. Da ist mir nicht nach Privatkatastrophe.“

Jessy, die bis jetzt mit einem breiten Grinsen vor Fuhr gestanden war, wurde nun ernst und verdrehte die Augen himmelwärts, da sie schon wusste, dass es nun an ihr war diese schreckliche Nachricht der nichts ahnenden Frau mitzuteilen. Gleichzeitig war ihr klar dass diese Aufgabenteilung sinnvoll war, da Fuhr ein außerordentlich genauer Beobachter war und die Mimik und Gestik eines Menschen mit äußerster Präzision zu lesen vermochte. Ihr flaues Gefühl in der Magengegend wurde dabei zwar nicht besser, aber das war nun mal eine der schwierigen Seiten ihres Berufes.

„Weiß der Staatsanwalt schon von der Sache?“ Wollte nun Jessy wissen.

„Ja, Reinhard informiert ihn sobald er vom Tatort wieder zurück ist. Dann will er auch gleich an die Presse und einen Zeugenaufruf starten, ob jemand irgend etwas gesehen hatte. Na und dann wird doch sicherlich wieder der Eberstein die Nase drin haben, so Mediengeil wie der ist.“ Meinte Fuhr mit angewidertem Gesichtsausdruck.

„Glaubst du wirklich dass sich der Oberstaatsanwalt wirklich darum kümmert?“ Fragte Jessy zweifelnd.

„Aber klar wenn´s an die Medien geht immer, dann wird das zur Chefsache und vergiss bitte nicht es handelt sich um ein Kapitalverbrechen, das allein würde schon reichen!“

Antwortete ein schon loslaufender Fuhr. Sie betraten den Hof wo die Dienstwagen stehen, da Fuhr keine Lust hatte mit seinem nagelneuen Fahrzeug die Dienstfahrten zu machen, zumal es zuletzt immer wieder Ärger gab, da er zu viele Spesenabrechnungen nur für Fahrten eingereicht hatte, suchte er den schon etwas angejahrten Opel Vectra der es für diesen Zweck auch tat. Der Chef der Spesenabteilung, ein Herr Zeier tat immer so, als ob er das aus dem eigenen Geldbeutel bezahlen müsse. Mit seinem eigenen alten Opel Astra konnte Fuhr so noch einiges Geld gutmachen. Mit seinem neuen Wagen war das nicht mehr der Fall. Im Fahrzeug selbst meldete Jessy die Einsatzfahrt an und wandte sich Fuhr mit der Bitte um einen Bericht zum Sachstand in seinen persönlichen Angelegenheiten zu. Seufzend ergab sich dieser in sein Schicksal und berichtete seinen eigenen ungenügenden Wissensstand. Als er geendet hatte meinte sie:

„Na, viel ist das ja nun nicht gerade.“

„Das weiß ich auch, aber ich kann mir ja nun auch nichts aus den Rippen schwitzen.“

Jessy sah trotz der etwas patzig geäußerten Antwort die Hilflosigkeit in seinem Blick und wusste, dass diese dünne Informationsdecke ihn noch wütender machte als er zugab. Sie wechselte rasch das Thema, ohne seine Geschichte zu kommentieren.

„Naja vielleicht gibt das Gespräch mit der Frau etwas her.“

Denn, soweit kannte sie ihn, das Ganze irritierte ihn schon beträchtlich.

„Ich hoffe sie weint nicht nur. Immerhin ist heute Morgen ihr Mann aus dem Haus gegangen und ist nun tot.“

Gab Fuhr zu bedenken.

Die restliche Fahrt verlief schweigend. Jeder konzentrierte sich nun auf den Teil den er sogleich übernehmen würde und so hatten die beiden auch keinen Blick für die schöne Aussicht wenn man aus Ettlingen in Richtung der Höhenstadtteile Spessart und Schöllbronn herauskam. Fuhr, der in Ettlingen wohnte, wusste genau wohin er musste, lediglich die Hausnummer zu finden war noch etwas schwieriger, da oftmals diese schwer zu erkennen waren, oder gar keine montiert waren. Als er jedoch in den Linienring einfuhr, sah er dass die schönen Einfamilienhäuser einwandfrei nummeriert waren. So steuerte er zielsicher das Haus der Vogtländers an und hielt davor an.

„Mal sehen ob überhaupt jemand zu Hause ist.“

Meinte Jessy, der die vollkommene Ruhe im Haus merkwürdig vorkam. Als sie an der Tür standen und das erste Mal geklingelt hatten hörten Sie vom Haus gegenüber eine Stimme:

„Was wollen Sie denn, die Frau Vogtländer ist nicht zu Hause!“

Fuhr und Jessy drehten sich um und sahen eine ältere Frau mit weißen Haaren und in eine akkurat gespannte Kittelschürze gekleidet aus dem Parterrefenster lehnen, während die Bluse unter dieser Kittelschürze in sauberem Hellblau glänzte. Als Jessy, geblendet von der reflektierten Sonne, die Augen schürzte, fragte Fuhr „Und wo ist denn die Frau Vogtländer, wenn ich fragen darf?“

„Das geht Sie doch nichts an“ Antwortete die Frau pampig.

„Ich denke schon, dass es mich was angeht!“

Gab Fuhr mit wenig verhohlener Aggression in der Stimme zurück und er zückte seinen Dienstausweis. Die Frau konnte aus der Entfernung nicht sehen was Fuhr da hochhielt und meinte abschätzig

„Und was soll das sein? Machen sie da so ´ne Meinungsumfrage?“

Fuhr ging, begleitet von Jessy über die Straße, um etwas diskreter mit der Frau sprechen zu können, schließlich musste nicht die ganze Straße hören was gesagt wurde. Nachdem sie also die Straße gequert hatten hielten sie der Frau den Ausweis direkt unter die Nase. Voller Entsetzen starrte die Frau sie an. Mit betont zuckersüßer Stimme, aber in etwas reduzierter Lautstärke sprach Fuhr die Frau an

„Mein Name ist Oliver Fuhr und das ist meine Kollegin Jessica Baumann, könnten sie mir jetzt sagen wo sich Frau Vogtländer aufhält?“

Die Frau sah noch immer völlig erstaunt aus „Kriminalpolizei, ja was ist denn passiert?“

„Das können wir ihnen nicht sagen, aber jetzt bitte ich sie nochmals mir mitzuteilen, wo Frau Vogtländer sich aufhält und wie sie heißen?“

Kurz verfinsterte sich der Blick der Frau, dann aber schien ihr etwas einzufallen

„Ach so, geht’s um die Einbruchserie hier im Viertel?“ „Nein, das ist nicht der Grund unseres Hierseins, aber ich bitte sie nun letztmalig mir meine Frage zu beantworten!“ Sprach Fuhr die Frau in scharfem Ton an und ließ das Ende seiner Geduld sich deutlich anmerken. Mit nun doch etwas eingeschüchterter Stimme begann die Frau: „Ich bin Gertrud Krause, aber wenn Sie deswegen nicht gekommen sind …ah! Dort vorn kommt Frau Vogtländer!“ Unterbrach sie sich selbst.

Die beiden Polizisten drehten sich in die Richtung, wohin Frau Krause zeigte. Sie sahen eine Mittvierzigerin mit Jeans und rot- weiß geblümter Bluse ca. 1,70m groß, schlank mit kurzem blonden Haar. Wäre der Anlass nicht unpassend gewesen hätte Fuhr durch die Zähne gepfiffen, da Frau Vogtländer nach seinem Verständnis recht gut und mindestens zehn Jahre jünger aussah, als sie wussten dass sie war. Sie fuhr noch die letzten Meter in Absteigehaltung per Fahrrad auf ihr Haus zu. Noch bevor sie auf Höhe der Kripo Beamten war rief ihr schon Frau Krause, für die Straße gut hörbar zu:

„Du, Christine da ist Kriminalpolizei für Dich!“

Etwas irritiert musterte sie Fuhr und Jessy und wollte schon auf diese zurollen, als Fuhr rief:

„Lassen Sie uns ins Haus gehen, was wir zu besprechen haben geht sonst niemanden was an.“

Während Frau Krause sich etwas beleidigt von ihrer Fensterbrüstung zurückzog, drehte Frau Vogtländer wieder aufs Haus zu und die beiden Beamten folgten. Das Unbehagen das Frau Vogtländer ausstrahlte war für die beiden fast mit Händen zu greifen. War es nur die Ungewissheit, was wohl die Kripo bei ihr wollte, oder steckte da mehr dahinter? Nachdem sie das Fahrrad nur nachlässig an die Hauswand gelehnt hatte, was sonst nicht ihre Art war, schloss sie sich und den beiden Beamten das Haus auf. Dabei wiesen sich diese aus und stellten sich vor. Sie durchquerten den breiten Flur wo es wohl zur Rechten ins WC ging vermutete Fuhr, wohl der Standardgrundriss für diese Art von Fertighäuschen. Auf der gegenüberliegenden Seite die Küche, dann das Esszimmer, daran angeschlossen und auf der WC- Seite mit einer Tür abgetrennt die Treppe in Keller und Obergeschoß. Anschließend an das Esszimmer im anderen Winkel des Winkelbungalows das Wohnzimmer. Die Schlaf- und Kinderzimmer mochten im ausgebauten Dachgeschoß liegen. Fuhr überlegte wie viele gleich geschnittene Fertighäuschen dieser Art es wohl in Deutschland gab 10.000, oder gar 100.000 die Fantasie der zuständigen Architekten für diese Art von Immobilien schien jedenfalls eingeschränkt. Dennoch, so fand er, waren es die Details die es in diesem Fall zu etwas Besonderem machten. Die Bilder an den Wänden, ausnahmslos Fotografien. Aber eben nicht einfach nur Familienfotos, sondern auch sehr schöne Landschaften und Stimmungen. Zum Teil in Postergröße und elegant gerahmt, oder die zart orange getönte Wandfarbe, welche die Bilder hervorhob als sei jedes von ihnen ein kleines Meisterwerk. Die Übergardienen, welche diese Farbe aufnahmen und dem einfallenden Licht eine Färbung dieser Art gab, alles wirkte sehr stilsicher und geschmackvoll. Fuhr fühlte sich sofort behaglich und wohl. Es tat ihm fast physisch weh wenn er daran dachte, welchen Kummer die nächsten Worte von Jessy dieser Frau bereiten sollten, die fraglos für den schönen Stil in diesem Haus verantwortlich war.

„Also worum geht´s denn?“ Fragte nun Vogtländer mit einer, wie ihm schien, leicht zittrigen Stimme.

„Ja, also Frau Vogtländer wir haben leider eine schlechte Nachricht für Sie...“ begann Jessy „...Heute morgen zwischen 8.30 und 9.00 Uhr ist Ihr Mann erschossen aufgefunden worden.“

Vogtländers Reaktion schien sich nicht sehr von der anderer Opfer denen eine solch schreckliche Nachricht überbracht wurde zu unterscheiden. Der Schock, ein Schrei, oft unartikuliert, dieses nicht begreifen können was ihr soeben gesagt wurde. Dieses Zusammensinken auf dem Sofa, dieses Vornüberbeugen und ein unhörbares Schluchzen, dann in Weinen übergehen, doch dann straffte sich ihr Körper, sie kam mit dem Oberkörper in die Senkrechte, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah Jessy ins Gesicht

„Wie konnte das passieren- ich meine erschossen, sagen sie , ...ich meine wer soll denn so was meinem Mann antun?.... ich verstehe das nicht!“

Fragte sie mit zittriger, aber gefasster Stimme. Fuhr, wie auch Jessy ließen sie nicht aus den Augen und Jessy begann langsam zu reden:

„Wir wissen noch nicht exakt was passiert ist, aber Ihr Mann ist am Autobahnrastplatz nördlich von Karlsruhe, aus nördlicher Richtung kommend erschossen worden.“ „Erschossen“ widerholte Vogtländer und ließ das Wort noch etwas nachklingen, als ob es dadurch seinen Schrecken verlieren würde.

„Wer soll denn meinen Mann erschießen – der tut doch keiner Fliege was zuleide?“

Verlegen gab Jessy zurück: „Wenn wir das schon wüssten, wäre unsere Arbeit schon getan. Gab es vielleicht jemanden der Ihrem Mann nicht ganz wohlgesonnen war. Ich meine Ihr Mann war Versicherungsvertreter. Gab es vielleicht jemand der sich von ihm über den Tisch gezogen gefühlt hatte, oder der sich falsch versichert fühlte, weil ihm ein Schaden nicht bezahlt wurde und ihm dabei viel Geld verloren ging?“

Vogtländers Augen verengten sich zu schmalen Schlitz-en und sie bellte voller Hass Jessy an, die unwillkürlich zurückwich

„Sie glauben wohl auch, dass alle Versicherungsvertreter Betrüger sind - was? Wenn Sie wüssten was wir alles für unsere Kunden tun und wie viele Euro wir schon aus eigenem Geldbeutel dazugelegt haben, weil ein Kunde unzufrieden war und mit Kündigung aller Verträge gedroht hatte, nur weil unsere Hauptverwaltung nach den vertraglichen Vereinbarungen bezahlt hat, aber eben nicht mehr. Wenn aber der eine oder andere einfach den Hals nicht voll bekommen konnte und versucht hat rauszuholen was ging, auch wenn es mehr war als sein Schaden überhaupt ausgemacht hat, dann war es mein Mann der noch was draufgelegt hat. Aber nein, da wird mein Mann erschossen und natürlich, weil er Versicherungsvertreter war, muss er ja eigentlich quasi selbst Schuld gewesen sein, schließlich hat er ja täglich gutgläubige Menschen über´s Ohr gehauen und einer hat´s ihm heimgezahlt. So einfach und schlicht ist Ihre Welt? Wenn Sie unter den Kunden meines Mannes nach dem Mörder suchen, dann vergessen sie das Motiv veräppelter Kunden, das Klischee ist bei Vertretern vom Schlag meines Mannes nicht das Thema.“

Nun trat Fuhr, als ob er Jessy schützen wollte vor die Frau

„Entschuldigen Sie in aller Form, wenn das was meine Kollegin gesagt hat ihr Missfallen erregt haben sollte. Wir wollen niemanden vorverurteilen und am Wenigsten ihren Mann. Aber auch wenn alles was er tat in Ordnung war – und davon gehen wir aus, könnte sich doch trotzdem einer geärgert haben – und sei es auch nur weil er´s falsch verstanden hat und er ein bisschen geistig verwirrt ist und eine Dummheit gemacht hat.“ Vogtländer schien sich wieder beruhigt zu haben, mindestens antwortete sie in einem recht verbindlichen Tonfall:

„Seit ich in Erziehungsurlaub bin und mich jetzt mehr der Erziehung meiner Kinder widme, sodass ich nicht mehr bei meinem Mann mitarbeite ist Sandra Hutt, meine Cousine die Innendienstkraft meines Mannes. Sollte es wirklich so jemanden geben, weiß es Sandra ganz bestimmt.“

Fuhr sah Vogtländer eindringlich an und fragte mit leiser Stimme:

„So, jetzt müssen wir uns wieder auf den Weg machen, sind sie sicher, dass sie zurecht kommen, oder sollen wir jemanden verständigen der sich um sie kümmert?“ Vogtländer schüttelte den Kopf

„Nein, nein, es geht schon, in einigen Stunden kommen auch meine Zwillinge aus der Schule, da muss ich dann für die da sein.“

„Wenn sie mir eben noch die Adresse der Agentur Ihres Mannes geben könnten. Sind sie sicher, dass wir nichts mehr für Sie tun können?“

Fragte Fuhr mit ruhiger Stimme. Die Gefragte schüttelte nur stumm den Kopf und gab Fuhr eine Visitenkarte ihres Mannes aus der die Büroadresse hervorging. Fuhr und Jessy bedankten sich bei Vogtländer und verließen das Haus. Als sich die Haustür hinter ihnen schloss atmete Jessy hörbar durch. Doch kaum hatten sie sich dem Fahrzeug zugewandt rief die ihnen wohlbekannte Stimme von Frau Krause entgegen:

„Na was ist jetzt? Sollte ich mal zu Frau Vogtländer gehe und ihr helfen – braucht sie vielleicht was?“

„Nein, Frau Krause sie braucht sie sicher nicht.“

Am liebsten hätte Fuhr hinzugefügt - auf jeden Fall keine Hilfe von Ihnen- aber das ersparte er sich, nicht zuletzt, da es eine schlaue Taktik der Alten war ihn auszuhorchen, ob vielleicht Frau Vogtländer Opfer irgend einer Straftat war, oder gar als Täterin in Frage kam. Schnell stiegen die Beamten ins Auto bevor der Alten noch eine Frage in den Sinn kam. Während diesmal Jessy nach Ettlingen in Vogtländers Büro fuhr rief Fuhr Kaiser an, um Neuigkeiten zu erfahren, sofern etwas vorlag.

„Hallo Reinhard, hier ist Olli, na was gibt´s Neues?“

Die Verbindung war auf der Straße hinunter nach Ettlingen schlecht, sie mussten gerade in einem Funkschatten sein, sodass er Kaisers Antwort kaum verstand. Immerhin musste die Suchmeldung vor wenigen Minuten über die Radiostationen verbreitet worden sein. Als sie wieder in der Ettlingen Kernstadt waren verbesserte sich der Empfang massiv, sodass noch ein recht guter Informationsaustausch stattfinden konnte. Kaiser und Fuhr waren sich einig, dass es sich bei der Attacke Vogtländers um eine Kompensation der Schocknachricht handelte, wenn auch Fuhr insgeheim eingestehen musste, dass für ihn Versicherungsvertreter, vielleicht auch zu Unrecht einen schlechten Ruf genossen. Seinerseits erfuhr er von Kaiser, dass sich tatsächlich der Oberstaatsanwalt in die Sache eingeschaltet hatte. Fuhrs Einwand, ob der nicht wichtigeres zu tun hatte überging Kaiser, der wusste, dass er lieber mit Staatsanwältin Reichert zusammenarbeitete. Es gab sogar Gerüchte, dass sie schon mal etwas miteinander gehabt hätten, aber nur weil Fuhr als Don Juan galt und Reichert noch jung war und gut aussah, musste das nichts zu bedeuten haben. Nach dem Verhör von Sandra Hutt wollten sie sich im Präsidium in der Kantine treffen und ihre Ergebnisse besprechen. Doch zunächst war das Büro vordringlich. Nach wie vor vermuteten die beiden dort am ehesten das Motiv zu finden.

Als sie in das Ladengeschäft eintraten wusste Fuhr, dass Sandra Hutt nicht das Problem war. Selten hatte er eine so unscheinbarere und unvorteilhaft gekleidete Frau gesehen. Die ca 1,60m große Person trug eine Lesebrille. Ihre Haare waren ein schlecht zusammengebundener Dutt, mit dem sie mindestens wie siebzig wirkte, obwohl sie gerade Anfang fünfzig war. Ihr, mit lila Blümchen gemustertes schwarzes Kleid hing an ihr wie ein Sack, sodass Fuhr nicht zu beurteilen vermochte, ob sie schlank, oder dick war. Das Gesicht gab hierzu auch keine Anhaltspunkte, da alles, inklusive ihrer Wangen und Stirn von einer Sonnenbrille bedeckt war die sie vor der Lesebrille balancierte, wobei Fuhr unmöglich sagen konnte wie es wohl gelang auf einer so kleinen und kurzen Nase zwei Brillen zu tragen. Warum überhaupt sie eine Sonnenbrille trug war ihm ohnehin schleierhaft. Zwar schien derzeit die Sonne, aber das Ladengeschäft hatte lediglich eine Fensterfront und das Licht reichte geradeso nach hinten zu den beiden Arbeitsplätzen von Hutt und dem dahinter liegenden Schreibtisch von Voigtländer. Im vorderen Teil des Ladens war ein großer schwarzer Besprechungstisch mit sechs schwarzen Klappstühlen, während das Innere des Ladens weiß gehalten war. Zwischen dem Besprechungstisch und Voigtländers sowie Hutt´s Schreibtisch waren noch zwei weitere Arbeitsplätze an beiden Wänden rechts und links vorhanden, die akkurat aufgeräumt schienen und mit dem obligatorischen Bildschirm, einem Laptop und einer Schreibunterlage der Berlinischen Internationalen bestückt waren, es schien jedoch als ob die Besitzer derzeit auch nicht anwesend waren und sich so ein schmaler Korridor zu Hutt´s Arbeitsplatz bildete. Auf halber Höhe der Wand fand sich ein umlaufender roter Streifen, was wohl das Logo der Versicherung stilisierte. Gleich nach Betreten des Ladengeschäfts empfing sie Hutt mit einer Stimme die man ihr angesichts ihrer Erscheinung nie zugetraut hätte. Für Fuhr gab es nur eine Beschreibung „sexy“. Gleichzeitig nahm er es als Warnung, nie ein Date mit einer Frau auszumachen die am Telefon sexy klang, denn einen Abend mit Hutt hätte er schwerlich überstanden.

„Wie kann ich Ihnen helfen, meine Dame, mein Herr?“ Als die beiden sie begrüßten und ihre Dienstausweise vorzeigten erschrak sie heftig

„Ist irgendwas mit Dieter?“

Stieß sie schwer atmend hervor. Nun begann Fuhr:

„ Ja, leider müssen wir ihnen mitteilen, dass der Herr Vogtländer heute morgen einem Mordanschlag zum Opfer fiel.“

Hutt schien noch mehr in sich zusammenzusinken und noch kleiner dabei zu werden. Sie strahlte dabei eine Erschütterung aus, welche die beiden Beamten fast mehr berührte, als die selbe Situation mit Vogtländer´s Frau. Vielleicht mochte es daran liegen, dass sie diese bei Vogtländer erwartet hatten, bei Hutt aber nicht. Die kleine Person saß verzweifelt schluchzend in ihrem viel zu groß geratenen Sessel und bot ein Bild des Jammers. Jessy reichte ihr ein Papiertaschentuch, nachdem Hutt die in ihrer Tasche alle verbraucht hatte. Endlich fasste sie sich wieder, sodass Fuhr noch eine Frage an sie richten konnte. „Können sie mir sagen, ob heute irgend-etwas besonderes vorgefallen ist?“

Hutt sah ihn verständnislos an, dann schien ihr etwas einzufallen:

„Heute morgen war Dieter als ich gegen 8.30 Uhr angekommen bin nicht im Büro, und das obwohl er kurz darauf einen Termin gehabt hätte. Wir haben telefoniert und er erzählte mir etwas von einem Interessenten der seinen Namen aber wohl nicht genannt hatte, sich aber als ein Bekannter eines Kunden von uns namens Schimmel berufen hatte, welcher uns empfohlen haben soll. Den sollte er auf einem Autobahnrastplatz treffen, da der dringend eine Auslandsreisekrankenversicherung brauchte, sich aber schon auf dem Weg in den Urlaub befand. Dieter, wie auch mir sagte der Name Schimmel überhaupt nichts, was aber nichts heißen musste. Als ich dann in der Folge nach diesem Kunden Schimmel in der Bestandsdatei suchte stellte sich in der Tat heraus, dass wir niemanden dieses Namens als Kunden hatten.“ Fuhr hörte aufmerksam zu und notierte sich alles. Das also war der Anlass weswegen Vogtländer überhaupt den späteren Tatort aufgesucht hatte. Inzwischen wandte sich Jessy an Hutt:

„Wie lange arbeiten sie schon für Herrn Vogtländer?“ Hutt dachte kurz nach und antwortete:

„Das müssen jetzt schon zwölf Jahre sein. Gleich nachdem Christine schwanger wurde hat Dieter schnell jemanden gebraucht. Man hatte ja schon gedacht, dass das bei den beiden mit Kindern nicht klappt. Und gleich als sie schwanger war, wurde ihr strengste Bettruhe verordnet worden, da die Gefahr einer Fehlgeburt bestand. Na ja nun ich bin ich ja Christine´s Cousine und habe schon mal im Bereich Versicherung bei einem Makler gearbeitet mit Sprechausbildung und Kaufmannsgehilfenbrief und alles, das war noch bevor die jungen Dinger grad so an´s Telefon gesetzt worden sind und drauflos geplappert haben. Ich bin noch richtig gut ausbildet worden. Naja und als mein Mann vor fünfzehn Jahren an einem Herzinfarkt völlig plötzlich verstorben ist und meine Witwenrente klein war, hat mich Dieter gefragt, ob ich ihm nicht helfe kann. Da hatte dann eins ins andere gepasst. Auch konnte er mir sehr viel mehr zahlen als der Makler. Zwar laufen die Geschäfte nicht so besonders, aber ihm reicht es gut. So habe ich eine Beschäftigung und habe helfen können, was gibt´s besseres. Und jetzt ist er tot, der arme, gute Kerl.“

Wieder brach sie in Schluchzen aus. Sie hatte sich gerade ins Taschentuch geschneutzt, als wieder das Telefon klingelte. Pflichtbewusst eilte sie an den Apparat und begann:

„Berlinische Internationale, Agentur Vogtländer, Sie sprechen mit Frau Hutt, wie kann ich Ihnen helfen?“ Fuhr und Jessy sahen sich mit bedeutungsvollem Blick an. Die Frau musste für Vogtländer Gold wert gewesen sein, so professionell wie sie ihren Beruf ausübte und dann noch mit der Stimme, dachte Fuhr. Das Gespräch war schnell beendet und Hutt wandte sich den beiden Kripo Beamten wieder zu.

„Ja, jetzt sagen sie mal, wie ist das alles denn geschehen?“ fragte sie, schon wieder den Tränen nahe. Jessy und Fuhr sahen sich an und Fuhr antwortete trocken

„Er wurde erschossen“.

Hutt fuhr wie vom Blitz getroffen zurück

„Jesus Maria so was, ja gibt´s denn sowas. Wer tut denn dem armen Dieter so was an? Der hat doch niemand irgend etwas böses getan. Manchmal habe ich ihm gesagt er soll auch mal härter den Leuten gegenübertreten, die nutzen ihn doch nur aus. Aber so war er halt. Wär´s denn möglich, dass man ihn mit irgend jemandem verwechselt hat?“ Wollte Hutt wissen.

Offensichtlich lag es völlig außerhalb ihrer Erfahrungs-welt, dass irgendwer Ihrem Dieter etwas zuleide hätte tun wollen. Für Fuhr wäre es ein Super GAU gewesen, hätte es sich tatsächlich um eine Verwechslung gehandelt, da wohl nie zu ermitteln gewesen wäre mit wem er verwechselt worden wäre. Aber der Anruf des Freundes dieses Herrn Schimmel lässt durchaus den Schluss zu, dass es keine Verwechslung war. Außerdem hatten schon die scheinbar spießigsten Bürger manche Leiche im Keller die ihnen nie jemand zugetraut hatte. Fuhr ging völlig fraglos von einem vorsätzlich begangenen Tötungsdelikt zum Nachteil des Dieter Vogtländer aus, wie es in der Juristensprache so schön hieß.

„Offen gestanden gehen wir schon davon aus, dass der Anschlag dem Herrn Vogtländer gegolten hatte. Warum, wieso und weshalb, das müssen wir jetzt herausrausbekommen. Wir werden die nächsten Tage dann Kollegen vorbeischicken, welche die gesamten Computer und Versicherungsunterlagen sowie alle Korrespondenz von Herrn Vogtländer abholen. Bitte halten sie sich zur Verfügung, sofern wir fragen haben, schließlich kennen wir uns mit der Buchführung in einer Versicherungsagentur nicht aus.“

Hutt baute sich in ihren vollen 1,6 m – oder war es doch weniger vor den Beamten auf und meinte in feierlichem Tonfall: „Sie haben meine 100%ige Unterstützung, wo ich helfen kann werde ich helfen. Und irgendwie müssen wir das Schwein fassen, das Dieter umgebracht hat. Aber zuerst fahre ich mal zu Christine hoch, um so gut ich kann zu helfen.“

„Prima, Frau Hutt...“ meinte Jessy „...wir müssen jetzt zur Besprechung ins Präsidium und werden morgen früh den Kollegen herschicken, der die Unterlagen abholt, wenn Sie diese bis gegen neun Uhr bereithalten könnten und das Geschäft offen halten könnten.“

„Wenn sie wollen können sie dann auch auf dem Präsidium mit uns alle die Unterlagen durchgehen.“

Hutt entgegnete, zum ersten Mal lächelnd: „Aber sie müssen Geduld mit mir haben, da ich kein Auto habe bin ich immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und das geht dann manchmal nicht so schnell.“

„Auf dem Präsidium ist für eine Mahlzeit gesorgt und natürlich werden wir Sie dann auch nach Hause bringen bzw. abholen.“ Stellte Fuhr klar.

„Sollten Sie keine Zeit haben würde es natürlich auch reichen wenn Sie uns einfach den Schlüssel überlassen.“

Hutt gestikuliert wild und abwehrend

„Nein, nein, natürlich helfe ich gerne und komme mit auf´s Präsidium schließlich weiß ich auch wie alles zu lesen ist und kann ihnen zu den ganzen Kunden noch was sagen. Ich habe zwar wenig Hoffnung, dass wir da was finden, aber einen Versuch ist´s wert. Vielleicht gibt´s da jemanden den ich gerade nicht auf dem Schirm habe der wirklich etwas merkwürdig ist. Das mit dem Zurückbringen ist nicht nötig, da ich in Rüppurr- Dammerstock wohne und insofern einen kürzeren Weg vom Präsidium nach Hause habe als hier von Ettlingen aus.“

Diese, von ihr, in fast missionarischem Eifer angegangene Aufgabe ließ Fuhr in sich hineingrinsen, andererseits war er froh solch eine kompetente Hilfe zu haben.

„Ach noch was, Frau Fuhr. Hat Herr Vogtländer noch weitere Mitarbeiter ?“ Dabei wies er auf die beiden Arbeitsplätze hinter dem Besprechungstisch.

„Ja da links sitzt Herr Mangold und dort rechts sitzt Herr Maier. Aber Herr Mangold hat gerade Urlaub und Herr Maier ist auf einer Schulung.“

„Wann kommen die denn wieder? Damit man sie einmal befragen kann?“ Wollte Fuhr wissen.

„Die komme beide übermorgen schon wider zurück.“ „Dann ist ja niemand in der Agentur. Können Sie uns dann wirklich trotzdem Helfen?“ Fragte Jessy unsicher „Die Aufklärung des Mordes an Dieter Vogtländer hat für mich oberste Priorität und den Rest erledigt der Anrufbeantworter...“ erklärte Hutt mit feierlicher Stimme „...ich werde Ihnen alles erklären!“

Diesen hässlichen Teil der Ermittlungsarbeit zu erledigen, wo nur hunderte, ja tausende Seiten von Akten zu wälzen sind auf denen sich vielleicht an irgend einer unauffälligen Stelle der entscheidende Vermerk fand war ermüdend und langweilig, aber doch eminent wichtig.

„Wo sie zur Tatzeit waren erübrigt sich zu fragen, natürlich hier und da sie kein Auto besitzen können sie unmöglich zum Tatort gekommen sein...“ Stellte Fuhr fest. „Also ihr Alibi ist wohl sicher.“

Hutt lächelte erneut, diesmal mit der größten Selbstverständlichkeit „Genauso ist es.“

Als die beiden Beamten das Büro verließen gewahrten sie noch wie Hutt hinter ihnen die Tür zuschloss und an die Telefonanlage eilte. Schon im Auto sah Fuhr wie sich wohl am Anrufbeantworter zu schaffen machte und etwas hineinsprach. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie mit ihrer Superstimme einen Text aufsprach, der Anrufer über die momentane, außerordentliche Schließung der Agentur informierte. Gerne hätte er angerufen, nur um die Bandansage und damit Hutt´s Stimme zu hören.

„Ich glaube, wenn du so eine Hilfe hast wie eine Frau Hutt, dann hast du das große Los gezogen. Die schmeißt allein den Laden. Ich bin ja mal gespannt was bei der Durchsicht der Akten herauskommt. Ich glaube da finden wir in jedem Fall irgendwas Handfestes – na ja ich hoffe mindestens mal“. Meinte Jessy.

„Du glaubst also auch, dass eine Beziehungstat auszuschließen ist, immerhin hat sich Vogtländer doch recht gut und schnell gefangen gehabt, nachdem sie die schockierende Nachricht gehört hatte. Also ich muss ehrlich sagen, dass mich irgend was gestört hat, ich komme nur noch nicht drauf was. Aber wenn das wirklich nichts ist und ich mich täusche, dann werden wir wohl den Täter in den Unterlagen finden.“

Jessy sah ihn von der Seite an, während er seinen Blick vollkommen auf die Straße zu fokussieren schien und das obwohl er nicht selbst das Fahrzeug lenkte. Jessy kannte diesen Blick. Sie wusste, dass er nun dieses Gefühl irgendwie zu fassen versuchte. Schweigend fuhren sie zum Präsidium, aber als sie ausstiegen war Fuhr immer noch in Gedanken. Er schrak aus diesen erst hoch als er Kaiser auf der Treppe sah.

„Hallo Reinhard, na wie ist der Stand bei deiner Medienansprache?“

Kaiser drehte sich zum Kollegen um und sah ihn an Jessy´s Seite die Treppe betreten. Er wartete bis die zwei Kollegen auf gleicher Höhe waren und meinte mit leiser Stimme und Verschwörerlächeln.

„Wir wissen zwar noch nicht mehr über den Täter, könnten aber ein gutes Motiv gefunden haben.“

„Na, jetzt mach´s nicht so spannend was ist passiert?“ Wollte Fuhr mit ungeduldiger Stimme wissen. Kaiser lächelte immer noch als er den staunenden Beamten eröffnete, dass gemäß einer Zeugenaussage Vogtländer wohl ein Verhältnis, vermutlich mit einer seiner Kund-innen gehabt haben musste.

„Und wie kommt der denn auf die Idee – war das im Zusammenhang mit unserm Aufruf?“ Wollte Fuhr erstaunt wissen.

„Du wirst´s nicht glauben der Zeuge hat Vogtländer ein paar Tage zuvor auf einem anderen Rastplatz gesehen und wollte ihn schon ansprechen, da er bei ihm auch seine Versicherungen hat, der aber schien ihn nicht gehört zu haben und ist weitergelaufen. Dann hatte das Handy des Zeugen geklingelt und er konnte ihm nicht weiter folgen. Anderntags hatte er Vogtländer auf dem gleichen Rastplatz wieder gesehen – er selbst richtet auf dem Rastplatz immer seine Garderobe, wenn er im Gewerbegebiet Ettlingen zu tun hatte und dabei ist ihm wieder Vogtländers Jaguar aufgefallen. Wie er wieder dort anhielt und eine junge hübsche Frau zu ihm in den Wagen stieg. Er meinte die Frau auch irgendwo her zu kennen, kam aber nicht drauf woher. Naja vielleicht fällt´s ihm noch ein bis er zu uns kommt und seine Aussage protokollieren lässt.“

„Na das nenne ich mal einen Volltreffer.“ Meinte Fuhr jubelnd.

„Das würde zu der Reaktion der Frau Vogtländer passen. Ich dachte gleich, dass da irgend etwas nicht ganz koscher ist. Sollte sie etwas von der Affäre ihres Mannes gewusst haben – oder auch nur geahnt haben, würde das die etwas zu beherrschte Reaktion auf die Todesnachricht erklären. Natürlich war sie geschockt, aber sie war so schnell beherrscht und hatte sich wieder gefangen, irgendwas passte nicht. Das könnte es gewesen sein!“ Fügte er erklärend hinzu nachdem Kaiser ihn fragend ansah.

Fuhr schien jedoch selbst nicht mit seiner Erklärung zufrieden und fügte gedankenvoll fort: „Aber... was ich nicht verstehe ist, was der mit so einem Mädchen hätte anfangen wollen, wo er so eine super Frau zu Hause hat.“

„Na ja, was Männer mit anderen Mädchen tun, auch wenn es weit weg von einleuchtend ist, auch wenn sie noch so ne super Frau oder Freundin haben dürfte dir ja nicht ganz fremd sein!“ Stellte Kaiser lachend fest. Fuhr kratzte sich verlegen den nun kahlen Schädel.

„Schon, aber das war kein Typ wie ich, wie wir inzwischen gehört haben. Das ist eher ein biederer Typ, der solche Eskapaden meidet wie der Teufel das Weihwasser....irgendwie passt das nicht zu ihm.“

Wieder spürte Fuhr in der Magengegend dieses Gefühl dass die Sache doch nicht so einfach lag wie es zu-nächst den Eindruck machte, als Kaiser die Neuigkeit überbrachte. Jessy hörte den beiden staunend zu, während die drei nach oben in Kaisers Zimmer liefen. Sie beneidete ihn um das schöne Büro, in dem er allein residierte und sich nicht das Zimmer mit einem Typen wie Bauer teilen musste. Tja Kriminalrat müsste man sein. Aber sie mochte Kaiser und seinen Lieblingsschüler Fuhr. Ersteren, da er ein eher väterlicher, sehr gutmütiger Typ war und Letzteren da er einfach ein Super Polizist und Kumpel war von dem sie in jeder Situation lernen konnte und wollte. Ärgerlich nur, dass er in jeder freien Minute, wenn man nicht an einem Fall dran war, sie anbaggerte. Jessy war sich einfach zu schade eine weitere seiner unzähligen Bettgeschichten zu werden, auch wenn er ihr gefiel, selbst jetzt mit Glatze, aber mit der kräftigen schwarzen Lockenmähne doch noch mehr. Sie hatte sich vorgenommen, dass sie wenn sie noch keinen Mann hatte und er sich seine Hörner abgestoßen hätte es mal mit ihm versuchen wollte. Aber die Hörner schienen bei ihm permanent nachzuwachsen, sodass sie eigentlich die Hoffnung aufgegeben hatte, dass aus ihnen ein Paar würde.

Mit den Worten:

„Wie wär´s, sollten wir jetzt Mittagessen gehen – ich habe mächtig Hunger ?“

Riss Fuhr Jessy aus ihren Gedanken. Die nickte kurz und hakte sich bei ihm ein um in Richtung Kantine aufzubrechen, dabei bemerkte sie wie beiläufig:

„So und nun versuchen wir mal ein bisschen Ordnung in dein Privatleben zu bringen.“

Fuhr sah sie unglücklich an und meinte etwas niedergeschlagen: „Na das ist ein noch weit hoffnungsloserer Fall als das was wir heute morgen erlebt haben.“

Jessy lachte und schob ihn durch die Tür zur Kantine. „Kannst du den Schreibkram für mich machen?...“ fragte Fuhr während er das Essenstablett in der Kantine ergriff „...Dann kann ich den Rest meines freien Tages noch ein bisschen schlafen – heute morgen ist es bei unserer Feier früh geworden. Vielleicht bekomme ich meine Gedanken noch in irgend eine Ordnung“

„Wenn du jetzt nach Hause kommst, wirst du dann nicht von einer gut gebauten Blondine erwartet?“ Fragte Jessy, die ihn argwöhnisch aus den Augenwinkeln beobachtete, ob sich da nicht doch eine weitere Information die Wichtig war ergäbe.

„Nein, sie sagte sie sei Krankenschwester und ihre Schicht begänne um 14.00 Uhr im Städtischen Klinikum. Das heißt wenn wir jetzt gegessen haben und ich dann ganz gemütlich zu meiner Wohnung gefahren bin, dann dürfte sie gerade das Haus verlassen haben. Dann werde ich noch ein paar anrufe bei Freunden machen, vielleicht können die das Puzzle meiner Erinnerungen ergänzen und ich blicke endlich durch was sich da die letzten Tage genau abgespielt hat und danach werde ich schlafen bis morgen früh. Wenn sie klingelt gehe ich nicht ran bis sie wieder nach Hause geht.“

Jessy sah den doch sichtlich irritierten Kollegen an und meinte halb spöttisch, halb mit gespielter Empörung „Na du hast ja mal wieder tolle Umgangsformen mit deiner zukünftigen Ehefrau – ist sie denn auch wirklich hübsch?“

„Fliegen Fliegen?- Filzt Filz?- Hab ich schon mal ein hässliches Mädchen gehabt?“ Gab Fuhr mit einem souveränen Lächeln zurück.

„Naja mit steigendem Alkoholspiegel sinken oft die Ansprüche, oder mit anderen Worten – man kann sich die Mädels auch schöntrinken!“

Mit einiger Empörung in der Stimme entgegnete Fuhr: „Aber ich doch nicht! Das habe ich doch gar nicht nötig.“ Dabei sah Fuhr seine Kollegin mit einem seiner charmantesten Lächeln an.

„Also ich erinnere mich an eine gewisse El....“

„Sag´s nicht. Erwähn´ den Namen nicht. Das war eine Jugendsünde von mir – einen Fehler macht jeder und das war eben einer ,das gebe ich zu, das war aber der einzige – hör bitte auf darauf rumzureiten. Außerdem, was bleibt mir auch übrig in meiner Verzweiflung, wenn, du, die Sonne meines Herzens mich nicht erhörst, dann bin ich halt gezwungen mich mit andern zu trösten.“ Jessy musste sich vor Lachen den Bauch halten und antwortete prustend: „Hätte ich noch fünf Minuten Zeit würde ich dich maßlos bemitleiden, aber so lasse ich´s einfach.“

„Du, das tut mir auch weh, wenn du so mit mir redest“ Gab Fuhr mit Leidensmine zurück.

Noch ehe Jessy darauf antworten konnte, fragte die Kantinenkraft was sie wolle und so ruhte Fuhr´s neuerliche, nicht ganz ernst gemeinter Versuch mit Jessy anzubandeln. Inzwischen war das Ganze derart ritualisiert, dass keiner von Beiden die Sache ernst nahm. Auch wenn Fuhr sich in seiner Eitelkeit angegriffen fühlte, dass er Jessy noch immer nicht haben konnte.

Zu Hause angekommen, rief er wie angekündigt einige seiner Freunde an, um irgendwie noch Licht in die Vorgänge des letzten Wochenendes zu bekommen. Leider hatten diese auch ähnliche „black outs“, wie Fuhr und waren schon froh wenn sie ein paar der Lücken in ihrem selbst Erlebten durch langsam zurückkehrende Erinnerungen schließen konnten. Insofern konnten sie lediglich Hinweise geben soweit es ihre eigene Interaktion mit Fuhr betraf. Die rätselhaften Vorgänge um sein angebliches Eheversprechen und diese junge Frau, wie auch immer sie heißen mochte blieben aber immer noch in weiten Teilen im Dunkeln. Und nun wollte er erst einmal schlafen. Wenn sie kommt und klingelt, würde er weiterhin den Schlafenden simulieren beschloss er, damit sie auf keinen Fall auf die Idee kommen konnte, sie habe hier ein Heim, das wäre fatal befand er. Kaum hatte er sich aufs Bett gelegt war er auch schon eingeschlafen.

Tod eines Versicherungsvertreters

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