Читать книгу Weltmeister! - Kann man davon leben??? - Axel Beyer - Страница 8
ОглавлениеDavid Copperfield ist schuld!
Als Kind war ich hauptsächlich blond und hatte mit Zauberei nichts am Hut. Gut, ich fand Zauberer cool, auch spannend, wenn ich mal einen in einer Fernsehshow, im Zirkus oder sonst irgendwo zufällig sah. Aber eigentlich wollte ich eher und viel lieber Pilot oder Raumfahrer werden, so etwa im wöchentlichen Wechsel. Rennfahrer war auch mal dabei, aber dann war Michael Schumacher aus der Formel 1 raus und damit schwand auch mein Interesse an Autorennen. Aber Zauberer? Warum um alles in der Welt das denn?
Dann – ich war wohl 11 Jahre alt - kam meine Mutter auf die Idee, Karten für die Arena Oberhausen zu kaufen. David Copperfield war auf großer Deutschlandtournee (leider ohne Claudia Schiffer) und sie lud mich ein, sie zu seiner großen Bühnenshow zu begleiten.
David Who? Wer war das denn? Ich hatte von dem Mann noch nie etwas gehört und der Name sagte mir so gut wie gar nichts, aber natürlich wollte ich unbedingt mit. Ein vielversprechender Ausflug „unter Erwachsenen“, länger aufbleiben, vielleicht sogar mit einem Mega - Eis in der Pause – nur das reizte mich total.
Und was war das überhaupt für ein Name, Copperfield? Nee Alter, so hieß jedenfalls keiner den ich kannte. Oder kennen sollte.
Dennoch – ich gestehe, war ich an dem Tag etwas nervös. Es war ein Freitag im November, wenngleich nicht ein 13., sondern der 23. Wir machten uns schon vergleichsweise früh auf den Weg nach Oberhausen, weil die Show ausverkauft sein sollte. Ausverkauft? Echt? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Aber ich staunte nicht schlecht, wie viele Menschen an dem Tag genau dorthin wollten. Riesige Schlangen auf dem Parkplatz. Jede Menge Besucher drängten sich an den Eingängen. Mann, der Typ musste es aber wirklich drauf haben, wenn so viele Menschen ihn sehen wollten. Langsam war ich doch neugierig, was mich da erwarten würde.
Es dauerte für mich endlos, bis wir endlich drin waren und es war verdammt voll. Die Karten waren sehr teuer damals und wir saßen ziemlich weit hinten. Mit einem superguten Blick auf die Bühne - also theoretisch. Ich jedenfalls konnte nichts sehen außer zwei sehr breiten Schultern und zwei unglaublich massigen Nacken direkt vor mir. Die gehörten zu zwei - in meinen Augen riesigen - Erwachsenen, die mir den Blick auf die Bühne größtenteils versperrten - egal ob ich versuchte links oder rechts an denen vorbeizusehen.
Meine Mutter erkannte meine optischen Nöte und ging daraufhin mit mir zum Einlassdienst. Sie erklärte nett und freundlich die Situation und bat um so ein Sitzkissen zur Erhöhung der Sitzposition, wie das in manchen Theatern und Freizeitparks üblich ist. Im Phantasialand hatte ich das auch schon mal bei einer Show bekommen und das half wirklich super.
Der Einlassdiensthabende, ein eigentlich imposanter Mann in einer dunklen Uniform, der meine Mutter „noch“ nicht kannte, schlug ihr diesen Wunsch vergleichsweise knapp und nicht gerade freundlich ab – man hätte hier keine solchen Kissen und überhaupt, warum sie denn mit einem Kind in diese Show käme. Das sei schließlich eher für Erwachsene gedacht. Das hätte sie doch wissen müssen. Dann wandte er sich ab.
Das war die falsche Antwort.
Ich hingegen wusste etwas, dass dieser arme Mann nicht wissen konnte. Ich ahnte was jetzt passieren würde - und zog schon mal meinen Kopf ein. Vielleicht war er auch der Meinung, dass seine Unform Menschen einschüchtern würde. Nun ja, bei manchen Menschen mochte das vielleicht sogar so sein, nicht hingegen bei meiner Mutter. Meine Mutter ist alleinerziehend, das heißt sie hat genug Kraft für beide Elternteile und nun lernte er diese Kraft kennen und erlebte damit diese eben noch sehr nette Dame von einer ganz anderen Seite. Also wie soll ich das beschreiben… hast Du mal erlebt, wie eine Löwenmutter um ihr Junges kämpft? - Ok, also das ist absolut harmlos gegen meine Mutter.
Sie holte einmal tief Luft und faltete den Kartenkontrolletti dermaßen zusammen, dass dem armen Mann Hören und Sehen verging. Sie drohte mit der Presse, dem Hallenchef, der Menschenrechtskommission und der Polizei! Gleichzeitig! Puh - sie machte ein solches Drama, dass man das offensichtlich überall in der Arena mitbekam. Mir war das alles schon enorm peinlich, denn wir erregten einiges Aufsehen. Die Leute schauten alle neugierig zu uns herüber, eine Traube sammelte sich an der Tür und die Stimme meiner Mutter war nach wie vor deutlich vernehmbar. Meine Mutter gibt nicht so schnell auf!
Offensichtlich bekam man das nicht nur in der Halle mit, sondern auch Backstage. Denn kurze Zeit später kam ein junger Mann, der - wie sich dann herausstellte - ein Mitglied von Copperfields Managementcrew war. Wahrscheinlich fürchtete dieser David Copperfield inzwischen wohl um seinen Auftritt oder er hielt eine durch meine Mutter erzeugte Massenpanik für wahrscheinlich. Echt, ich konnte ihm das nicht verdenken.
Dieser Mann jedenfalls redete mit dem wachhabenden Schließdienst und sagte etwas zu meiner Mutter, das ich nicht verstand, weil ich mir gerade noch wegen des Krachs die Ohren zugehalten hatte. Und das Wunder geschah - sie holte Luft, lächelte dem jungen Mann augenblicklich zu und nickte. Dann sagte sie zu mir - sehr laut und für den zerknirschten Türsteher deutlich zu hören - dass dieser nette Freund von Herrn Copperfield uns sehr freundlich einen Platz in der ersten Reihe angeboten habe. Und als Entschädigung, dürfte ich nachher sogar auf die Bühne. Und dann stellte der Mann mir die entscheidende Frage: „Hast du Lust nachher mit Herrn Copperfield auf der Bühne zu zaubern?“ – „Ja, hat er!“, sagte meine Mutter wie aus der Pistole geschossen. Und zu mir gewandt:. „Freust du dich?“ – „Auf gar keinen Fall gehe ich auf die Bühne“, sagte ich zu meiner Mutter. Sie erwiderte nur: „Pech, ich habe schon für dich zugesagt“. Wo waren die Löcher im Erdboden, wenn man sie brauchte?
Darauf nickte der junge Mann aus dem Team und hängte mir ein rotes Fernglas um. Mir. Nur mir. Ein rotes Fernglas! Hey, das war nun wirklich ein mega hässliches, äh, ich meine enorm knallrotes Teil, das ich natürlich voller Stolz trug. Allein dafür hatte sich das ganze Theater eben gelohnt, denn niemand sonst hatte sowas - wie ich nach einem sofortigen Check der Umgebung mit Freuden bemerkt hatte. Ich wurde gleich ein paar Zentimeter größer. Was für unseren alten Platz auch noch nicht gereicht hätte, aber wir durften uns ja jetzt in die erste Reihe setzen. Ganz, ganz vorn! Triumphierend sah ich mich zu den Riesen um, die irgendwo dahinten saßen.
Und dann irgendwann wurde es langsam dunkel im Saal und die Show begann.
Wow!
Ehrlich, so etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ich war hin und weg. Da fanden sogar Tricks gleichzeitig auf der Bühne und auf einer riesigen Leinwand statt. Ich wusste manchmal gar nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Und ich wollte absolut nichts verpassen! Knallige Lichteffekte, laute Musik die in meinem Bauch rumorte, ein unglaubliches Tempo! Absolut irre! Ich war total fasziniert, saß da mit offenem Mund und kreisrunden Augen. Meine Mutter hat mir hinterher erzählt, dass sie ein paarmal versucht hatte mich anzusprechen, aber ich war wie hypnotisiert oder wie weggetreten und komplett auf das Bühnengeschehen konzentriert.
Ja, und dann passierte es – David Copperfield sagte dem Publikum, dass er sich nun einen Kandidaten unter den Zuschauern aussuchen wolle. Ich schaute mit großen Augen rings um mich herum und fragte mich, wen er sich denn wohl aussuchen würde. Ein Spot kreiste unaufhörlich über die Köpfe der Zuschauer im Innenraum. Copperfield sagte, er suche einen Kandidaten, der ein rotes Fernglas umhängen habe. . „Anybody here in the audience who wants to come with on stage with me, wearing a pair of red binoculars …”
Na, da konnte er lange suchen, hier hatte ja keiner ein rotes Fernglas in der Arena, das hatte ich ja schon überprüft. Da findet er sicher kei…
Moment Mal, ich erstarrte. ICH hatte ja ein rotes Fernglas um! Himmel, ich wollte schon zwischen den Sitzen versinken, aber da stand auch schon wie aus dem Nichts dieser Mensch aus Copperfields Crew vor mir, ergriff meine Hand und zog mich hoch.
Meine Mutter schob mich auch noch mit sanfter Gewalt Richtung Gang, die Verräterin. Und dann nahm mich dieser Mann mit nach oben auf die Bühne und stellte mich neben diesen unglaublichen Giganten, der eben noch Tiere und Menschen verschwinden und wieder auftauchen ließ. Neben mir stand David Copperfield und lächelte mir zu - und ich stand da, hatte zehn Arme und Beine und war genau dort, wo ich eigentlich ü-ber-haupt nicht hinwollte - auf der Bühne.
Nun stand ich da. Extrem unsicher und mit eingezogenen Schultern. Aber David bat die Zuschauer, für mich zu applaudieren. Für mich! Ich hörte den Jubel und den Applaus und plötzlich fühlte ICH mich wie ein Riese. Diese enorme Menge an Zuschauern, die uns beide ansah, jubelte und applaudierte. Meine Mutter applaudierte auch, ich hatte das genau gesehen.
Aber jeder Applaus endet einmal. Und dann? Wie bitte? Ach so - David Copperfield fragte nach meinem Namen. Wie, Name? Hatte ich einen? Und wie heiße ich denn nochmal auf Englisch? Also in dem Moment hatte ich absolut keine Ahnung, wie ich eventuell heißen könnte.
Ich schaute nach unten zu meiner Mutter und sie soufflierte irgendwas, aber im Lippenlesen war ich noch nie gut. Blöd, das hätte mir in der Schule manchmal echt geholfen. „My name is Marc“, fiel mir dann glücklicherweise dabei wieder ein und ich nahm mir vor, künftig doch etwas mehr englische Vokabeln zu pauken.
David gab mir einen Filzstift, krempelte einen Ärmel seines Hemdes hoch und bedeutete mir, dass ich meinen Namen auf seinen Unterarm schreiben sollte. Glücklicherweise fiel mir im selben Moment auch wieder ein, wie man eigentlich „Marc“ schreibt. Und ich konnte tatsächlich ohne zu zittern meinen Namen auf seinen Arm setzen. Sah toll aus! Leider schob er den Hemdärmel wieder runter.
Im selben Moment gab es einen grellen Blitz, dass ich mir fast die Augen zuhalten wollte und dazu einen ohrenbetäubenden einen Knall - und ich stand allein auf der Bühne. Kein David Copperfield mehr da. Ich blickte völlig verwirrt um mich, sah meine Mutter ratlos an. Sie zuckte nur mit den Schultern, das Publikum war offensichtlich ebenso verwirrt wie ich. Copperfield war weg!
Wie aus dem Nichts tauchte auf der Leinwand ein Bild auf, man sah Bilder von einem Strand irgendwo auf der Welt. Meine Mutter sagte mir später, das sei Hawaii gewesen. Woher auch immer sie das wusste. Man sah ein paar Mädchen mit wenig an, hauptsächlich nur mit einem Blütenkranz bekleidet, die sich zu einer mir unbekannten, merkwürdigen Musik bewegten.
Hey, sagte ich mir, cooler Trick! Aber wo ist denn der Typ jetzt abgeblieben? Eben stand der doch noch neben mir - und nun war ich es, der irgendwie neben mir stand. Und dann - ohne Vorwarnung und durch einen Zauber - tauchte David Copperfield plötzlich auf der Leinwand unter den hübschen tanzenden Mädchen auf. Moment mal, wie war das möglich, er war doch eben noch…
Und während ich erneut verblüfft reagierte, sah er lächelnd in meine Richtung, winkte mir zu und schob den Ärmel seines Hemdes langsam hoch. Dabei rieselte etwas Sand heraus und auf dem Unterarm erschienen nach und nach ein paar Buchstaben. Ich glaubte es nicht! Da stand für jeden deutlich erkennbar in meiner Schrift mein Name. M – a – r –c !!
Mein Name! - In meiner Schrift! - Auf Davids Arm! - Unter Palmen am Strand von Wasweißich!. Alter, das WAR Zauberei. Und während alle Zuschauer in Oberhausen noch jubelten und applaudierten, gab es einen erneuten Blitz und Knall, das Bild auf der Leinwand verschwand und dieser unglaubliche Zauberer David Copperfield stand wieder neben mir auf der Bühne.
Er wedelte sich lässig ein letztes bisschen Sand vom Ärmel, schüttelte auch etwas Sand aus den Haaren, krempelte den Ärmel wieder runter und verbeugte sich kurz zum Publikum. Und danach verbeugte sich sogar zu mir, signalisierte mir „Gimme Five“, wir klatschten uns ab und er ließ das Publikum noch einmal für mich klatschen. Dann begleitete er mich unter dem Jubel der Zuschauer zu meinem Platz. Und da saß ich nun wieder in der ersten Reihe - neben meiner strahlenden Mutter.
Uff!
Es war um mich geschehen.
Für einen kurzen Moment war die Welt zum Stillstand gekommen.
Wenn das kein magischer Moment war, dann würde es nie einen geben.
Meine Zukunft lag klar und deutlich vor mir und sie hatte … etwas absolut Magisches. Vergessen waren Raumfahrt und Rennwagen. Mir war eines vollkommen klar - ich werde Zauberer!
Und als Krönung holte mich das uns nun schon bekannte Teammitglied nach der Show erneut ab - ich hatte ihm natürlich längst vergeben, dass er mich so knallhart auf die Bühne geschoben hatte. Denn nun kam das heute Zweitschönste: Meine Mutter und ich durften nach der Show ins Allerheiligste: Backstage! David begrüßte mich dort wie einen alten Bekannten und ich bekam ein Autogramm von ihm - persönlich in mein Programmheft. Eine Originalunterschrift! Von David Copperfield! Oh, ich konnte den nächsten Schultag kaum erwarten, denn ich freute mich schon auf den Anblick von Neid im Gesicht meiner Klassenkameraden. Ein Autogramm von David Copperfield, das hatte nämlich sonst keiner. Gut, sie wussten wahrscheinlich ebenso wenig wie ich bis heute was für ein unglaublicher Zauberer er ist. Aber nun kannte ich ihn sogar persönlich! Und ich würde mal sein Kollege sein! Auch wenn er das natürlich – im Gegensatz zu mir - noch nicht wissen konnte.
Ja - ich hatte jetzt ein Autogramm, aber dennoch gab es einen Wermutstropfen. Dummerweise hatte vorab niemand daran denken können, dass ein Fotoapparat eventuell sinnvoll werden könnte. Und von Facebook oder Instagram als Multiplikatoren hat damals noch niemand etwas geahnt. Es gab deshalb kein Bild von David Copperfield und mir, obwohl ich darüber damals nicht nachgedacht habe und mir das in dem Moment ehrlich gesagt wohl auch herzlich egal war. Erst sehr viel später habe ich das oft bedauert. Sogar sehr oft!
Auf dem Heimweg im Auto saß ich - natürlich angeschnallt - auf dem Beifahrersitz. Dann konnte ich nicht mehr an mich halten, es sprudelte fast wie von selbst aus mir heraus: „Mama, wenn ich erwachsen bin, dann werde ich Zauberer.“ Meine Mutter sagte nichts, das rechne ich ihr noch heute hoch an. Sie lächelte nur und dachte sich wahrscheinlich „Hm, beides geht nicht! Aber schau ‘n wir mal“. Diesmal blieb ich hartnäckig bei meinem Berufswunsch und so schenkte sie mir später zu Weihnachten meinen ersten Zauberkasten. 30 Tricks - mit Beschreibungen zu Arbeiten mit Seilen, Tüchern und Karten. Fast wie bei David Copperfield. Ja, ich weiß, nur fast, aber ich war selig.
Allerdings nur für sehr kurze Zeit, denn die Anleitungen um diese Tricks zu lernen, die hatten es in sich. Kennst Du diese Gebrauchsanweisungen aus dem Internet, bei denen man immer denkt, dass ein philippinischer Callcenter - Mitarbeiter wohl wörtlich aus einem Lexikon des vergangenen Jahrhunderts übersetzt hat? So ähnlich kam mir das auch vor, denn die Hinweise waren für einen inzwischen 12jährigen teilweise echt kompliziert formuliert. „Lösen Sie die Schlaufen und dann machen Sie einen Knoten“ - äh wie bitte? Muss man nicht erst einen Knoten machen, den man dann lösen kann? Ich war häufiger echt verzweifelt, aber ich gab nicht auf.
Offensichtlich beeindruckte das meine Mutter durchaus, denn erneut bekam ich ihre Unterstützung und sie sorgte (meist) sehr geduldig dafür, dass ich die Anleitungen begriff und üben konnte. Und ich übte.
Und übte erneut. - Scheiterte.
Und übte weiter.
Ich weiß nicht ab welchem Zeitpunkt genau meine Mutter sich zum ersten Mal fragte, ob das mit dem Zauberkasten wirklich eine so gute Idee war, denn ich gestehe heute: Ich entwickelte mich zu einem Zauberterroristen. Keine Familienfeier war vor mir sicher. Jeder meiner Verwandten musste – da kannte ich kein Pardon - immer wieder Karten ziehen, gegen Seile pusten oder Zaubersalz auf Tücher streuen. Und natürlich pflichtschuldigt begeistert sein, wenn der Trick dann gelang. Was keineswegs immer der Fall war. Aber: meine Fehlschläge wurden weniger. Das mussten sogar meine genervten Verwandten zugeben.
Schließlich - etwas mehr als ein Jahr und sehr viele Familienfeiern später, mit 13 Jahren - stand ich das erste Mal wieder vor echtem und mit mir nicht verwandtem Publikum. Nicht zu vergleichen mit der Arena in Oberhausen, nein „nur“ auf den sogenannten „Offenen Bühnen“, wo jeder mitmachen konnte, der das Publikum unterhalten wollte. Ich wollte – unbedingt! Und tatsächlich - ich unterhielt. Die Auftritte im heimischen Wohnzimmer hatten sich ausgezahlt. Dazu kam Hilfe von unerwarteter Seite: bei uns in der Nähe wohnte Mario Schulte, auch ein Zauberer. Er hörte von mir, dem kleinen ehrgeizigen Jungen und half mir, übte mit mir und unterstützte mich bei meiner Vorführung.
Klar, könntest Du jetzt sagen, Kinder und junge Hunde, das zieht doch immer! Na und? Alter, ich war zwar erst 13, aber ich war Dank meiner unermüdlichen Tanten und Onkeln und vor allem dank Marios Hilfe definitiv auch nicht schlecht. So viel Zeit muss sein!
Alle um mich herum mussten nun langsam, ob sie wollten oder nicht, akzeptieren, dass es mir mit der Zauberei wirklich ernst war und ich bin froh und dankbar, dass ich echt auf die Unterstützung durch meine Familie zählen konnte. Wirklich, ich danke euch! Ich weiß nicht, ob meine Mutter vielleicht eher damit die Chance auf endlich zauberlose Familienfeiern sah – jedenfalls wies sie mich auf alle nur denkbaren Auftrittsmöglichkeiten hin, die sie in der Zeitung entdeckte. Und sie spielte sogar freiwillig die Chauffeurin, denn irgendwie musste ich ja dorthin und auch wieder zurückkommen. Aber so war ich jedenfalls beschäftigt und ließ die Verwandtschaft in Ruhe.
Auf diese Art kam ich auch zum Wettbewerb „Im Rampenlicht“ des Theaters in Hagen. Mega! Mein erster echter Wettbewerb! So richtig um einen Preis und nicht nur allein um Applaus. Klar, um den auch, aber ich wollte nicht nur gut sein und beklatscht werden, ich wollte gewinnen. - Gut, zugegeben, das wollten die anderen auch und immerhin tummelte sich an dem Tag die ganze Bandbreite des Varietés dort - Tänzer, Akrobaten, Sängerinnen. Und eben jetzt auch ich.
Was soll ich sagen - aus irgendwelchen Gründen mochte die Jury meinen Auftritt und sie sprach mir den „Förderpreis des Theaters Hagen“ zu. Mein erster, eigener Preis! Dem übrigens irgendwann schon weitere folgen sollten, aber das ist ein eigenes Kapitel, bzw. wird ein eigenes Kapitel hier werden. Aber mit dem Preis kam die öffentliche Aufmerksamkeit und das hatte Folgen - es gab erste Zeitungsartikel, der WDR berichtete (zwar nur lokal, aber immerhin), es folgten erste, richtige Angebote für Auftritte, und obwohl ich erst 14 Jahre alt war, galt ich schon bald als „alter Hase“, der aber Tricks ohne Hasen im Zylinder machte. Und dabei übrigens ist es bis heute geblieben - ich zaubere lieber mit Alltagsgegenständen. Und wenn Du willst, kannst Du nachher den einen oder anderen Trick selbst ausprobieren. Doch auch dazu später.
Ich legte mir einen Künstlernamen zu und nannte mich „Magic Kid“. Ja, es hatte mich echt erwischt und ich hatte enormen Spaß am Zaubern und am Umgang mit dem Publikum. Und zu meiner großen Überraschung hatte das Publikum auch seinen Spaß an meinen Tricks - und an mir. Und ich zauberte überall, wo man mich wollte – auf Stadtfesten, auf Jubiläen und auch beim Frühlingsfest vom Bund der Vertriebenen, wie man hier an diesem Zeitungsartikel sieht.
Quelle: Westfälische Rundschau, 2006
Aber natürlich holte mich immer wieder der Alltag ein. Auch wenn ich am liebsten täglich irgendwo gezaubert hätte, eines war zu Hause immer klar: Schule geht vor! Zumindest für meine Mutter, ich sah das naturgemäß etwas anders und fand das ganz und gar nicht zauberhaft. Meine Mutter blieb da eisern und Du erinnerst Dich an Oberhausen – sie konnte sehr eisern sein. Ich allerdings auch. Sicher manchmal auch zur Verwunderung meiner Familie übte ich ständig neben der Schule weiter und nahm die Zauberei ernst – also mindestens so ernst wie die Schule. Und manchmal ernster. Selbst als die Auftritte mehr wurden und ich dann irgendwann schon einen Führerschein hatte und nicht mehr chauffiert werden musste, da durfte ich nur nachmittags auf irgendwelche Veranstaltungen gehen. Und wenn ich dann abends (natürlich vor 22 Uhr!) von einem Auftritt nach Hause kam, dann hieß es zuerst „Schularbeiten machen“. Da wurde streng drauf geachtet.
Natürlich hatte ich mir oft gewünscht, Vokabeln und Formeln wie von Zauberhand in meinen Kopf zu bekommen und habe die Lernerei oft genug verwünscht, aber wenn ich heute meine Tricks entwickle, dann bin ich dankbar, dass ich auch Konzentration und schnelle Auffassung trainiert habe, naturwissenschaftliche Regeln kenne und genug Englisch spreche, um mich mit meinen internationalen Kollegen austauschen zu können. Oder eben wie bei der Weltmeisterschaft in Korea in einem echten internationalen Wettkampf zu stehen. Das gebe ich gerne zu. Gut, nicht gerne, aber ich gebe es zu.
Klar, meine Klassenkameraden und Kumpels bekamen auch mit, dass da einer von ihnen bekannter wurde, öfter mal in der Zeitung war und so. Aber meist war denen das egal. Ab und an mal eine blöde Bemerkung über ihren „Harry Potter“ oder so, das wars. Und wenn, dann wollten sie höchstens wissen, wie denn die Tricks eigentlich funktionieren und alles genau erklärt haben. Und wenn ich das ablehnte und da wirklich auch stur blieb, dann verloren sie das Interesse auch schnell und die Bundesliga war wieder wichtiger.
War ja auch ehrlich nicht das coolste Hobby für einen 16-17jährigen, mit Karten und Seilen rumzumachen. Da galten andere Interessen. Ich war eben der Exot. „Der mit den Seilen“. Die Borussia war deutlich weiter vorne. Gut, die Mädchen konnte ich damit schon beeindrucken, das mussten meine Freunde manchmal durchaus neidvoll zugeben. Aber das wird noch an anderer Stelle Thema sein.
Als ich dann neben den Abiturvorbereitungen weiter trainierte, übte, in vielen Büchern nicht nach Vokabeln, sondern nach neuen Tricks für mich suchte, da - denke ich - sah irgendwann auch meine Mutter ein, dass es mir wirklich ernst war mit dem schon in Oberhausen geäußerten Wunsch nach der Zauberei und dass das keine pubertäre Schwärmerei mehr war, der irgendwann dann doch ein neues Hobby folgen würde. Denn jeder konnte es sehen - ich nahm die Herausforderungen (gut, nicht immer freudig) an, die der Spagat zwischen Bühne, TV und Schule so mit sich brachte.
Und so startete ich dann nach der Schule tatsächlich das Projekt „Professioneller Zauberer“ - und das führte mich bis nach Korea! Und David Copperfield ist schuld.