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2.

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Kitsao Tsugeno arbeitet nur gelegentlich in den weitläufigen, mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestatteten Büros des Gebäudes am Malakka Square, das den Sitz der „Planters und Settlers Bank“ darstellt. Dafür sind die Angestellten da, erfahrene, langjährige erprobte Bankbeamte und Kaufleute, denen man ruhig den laufenden Geschäftsgang überlassen kann. Mr. Tsugeno ist Japaner, aber unter den Angestellten der „Planters und Settlers Bank“ befinden sich nur wenige seiner Landsleute. Die meisten sind Europäer. Vor ein paar Jahren, als die politische Lage zwischen England und Japan gespannt war, hat sogar einer von Mr. Bonds Leuten eine Zeit lang unter der Maske eines Bankassistenten dort gearbeitet. Allerdings ohne Erfolg, denn in der „P. & S. Bank“ gibt es nichts Geheimnisvolles ausser dem Geheimbuch der Firma.

Mr. Tsugeno hält sich meist in seinem Privatheim auf und erledigt die geschäftlichen Anfragen und Anordnungen auf fernmündlichem Wege. Sein Haus in der Victoria Road, gegenüber dem Central Park, ist ein Wunderwerk des raffiniertesten Luxus. Mr. Tsugeno ist nicht der einzige Gelbe, der hier in Singapore einen derartigen Palast besitzt. Die reichgewordenen chinesischen und japanischen Teehändler, Seidenfabrikanten und Reeder setzen ihren Stolz darein, es den amerikanischen Dollarkönigen gleich zu tun. Aber Kitsao Tsugenos Palais und Park stellen alles andere in den Schatten.

Und der Mann, der jetzt eben in dem von Punkhas und Ventilatoren gekühlten, zauberhaften Wintergarten vor dem zierlichen kleinen Teetisch sitzt, passt in diese Umgebung von Reichtum und Luxus. Kitsao Tsugeno ist etwa dreiundfünfzig Jahre alt, ein Mann mit einem edelgeformten Samuraigesicht, ruhigwürdevollen Bewegungen und klugen Augen. Wer ihn sieht, denkt unwillkürlich an die geschweiften Dächer einer alten, japanischen Daimio-Burg, an krumme Schwerter und chrysanthemenbestickte Gewänder. Aber Mr. Tsugeno trägt auch hier in seinem Heim keinen Kimono und keine Seidenpantoffeln, sondern einen rohseidenen Tropenanzug nach bestem englischen Schnitt. Sogar das ewige Lächeln Dai Nippons hat er sich im Laufe der Jahrzehnte abgewöhnt. Mr. Tsugeno sieht ebenso kühl und ernst aus wie irgend ein respektabler britischer Gentleman, das Musterbild eines vollkommen europäisierten Japaners.

Die Dienerschaft allerdings besteht aus Söhnen Nippons, gutgedrillte, saubere Boys, die lautlos und flink durch die Räume gleiten. Auch sie tragen europäische Uniform. Nur die beiden Teebereiterinnen mit ihren schlanken, langen Händen und den niedlichen Puppengesichtern tragen lange, bunte Gewänder und grosse, kunstvoll gewundene Schleifen.

Dafür ist die junge Dame, die eben in einem hellen Strandanzug vom Park her durch die grosse Glastür kommt, wieder ausgesprochen europäisch. Ihr blondes, volles Haar, die grauen Augen und das schmale Gesicht lassen keinen Zweifel an ihrer Rassenzugehörigkeit aufkommen.

Es hat einiges Gerede gegeben in der europäischen Kolonie von Singapore, als Miss van Dersen vor einem Jahr ihre Arbeit in den Büros der „P. & S. Bank“ aufgab und zu Mr. Tsugeno ins Haus zog. Böse Zungen munkelten sogar von einem intimen Verhältnis zwischen ihr und dem gelben Gentleman. Aber sie wurden rasch zum Schweigen gebracht. Bei Mr. Tsugeno verkehrten angesehene weisse Gentlemen, Offiziere der Garnison, wohlhabende Kaufleute, Söhne bekannter englischer Familien. Sie alle erklärten ganz energisch die Gerüchte für niederträchtige Verleumdungen. Miss van Dersen sei die Privatsekretärin und Hausdame Mr. Tsugenos geworden, weiter nichts. Und es liess sich nicht lengnen: Lis van Dersen mit ihrem offenen, selbstbewussten Wesen sah nicht danach aus, dass sie sich von einem Gelben in einen goldenen Käfig sperren liesse. Sie blieb auch nach ihrer Übersiedlung zu Tsugeno, was sie vorher gewesen war: ein guter Sportkamerad, eine junge Lady, die selbstsicher durch die Welt ging und zu den Gerüchten, die ihr zu Ohren kamen, so verächtlich die Achseln zuckte, als wolle sie sagen: Gott, was müsst ihr dumm sein, wenn ihr so etwas glauben könnt! Ausserdem war es ja kein beliebiger Gelber, sondern eben Mr. Kitsao Tsugeno, der angesehenste und reichste Mann der Stadt, dessen vornehmes Denken und Fühlen allgemein bekannt war. Es gab einige Leute, die trotzdem noch Bedenken hatten. Eine weisse Lady als „Dienende“ im Hause eines Gelben, das ging doch gegen die Ehre der weissen Rasse. Aber auch die schwiegen bald. Es wurde schnell bekannt, dass Miss van Dersen im Hause Tsugenos viel weniger in „dienender Stellung“ war als in der Bank. Sie besass in einem Seitenflügel des Hauses ein wunderschönes eigenes Appartement. Sie schaltete souverän mit den Dienstboten und Angestellten. Sie war an keine „Dienstzeit“ gebunden, sondern erschien zum Tennis, auf der Rennbahn und dem Golfplatz, wann immer es ihr selbst beliebte, und bei den Gesellschaften im Hause Tsugenos repräsentierte sie frei und selbständig als einzige Dame des Hauses.

So gab man sich mit der Tatsache zufrieden. Mr. Tsugeno war alt, unbeweibt und einsam, und wer die jugendfrische, heitere Lis van Dersen kannte, vermochte sich wohl vorzustellen, dass der reiche Japaner sich entschlossen hatte, sein Heim durch diese Jugendblüte zu verschönen.

„Um elf Uhr wollte Mr. Dirk wiederkommen“, mahnt Lis van Dersen mit einem Blick auf die Uhr, als Kitsao Tsugeno sich anschickt, vom Teetisch aufzustehen und einen Gang durch den Park zu machen. „Sie haben ihn für diese Zeit bestellt.“

„Richtig“, lächelt der Japaner mild und nimmt wieder seinen Platz ein. Lis van Dersen ist nicht nur schön und jung, sondern auch geschäftlich sehr tüchtig. Eine Sekretärin, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Sie erinnert sich immer genau an alle Kleinigkeiten, auch wenn Tsugeno selbst sie längst vergessen hat. „Nun ich werde den jungen Herrn erwarten, wenn auch die Antwort, die ich ihm heute geben muss, nur negativ ausfallen kann.“

Lis van Dersen sieht von ihrer Teetasse auf. „Sie wollen ihm nicht helfen, Mr. Tsugeno?“

„Helfen? Warum nicht?“ nickt der Bankier ruhig. „Aber Mr. Dirk kommt ja nicht, um meine Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern um ein Geschäft zu machen, und da . . . Die Erkundigungen, die ich gestern einzog, sind keine Grundlage für ein solches. Ich wäre ein schlechter Geschäftsmann, wenn ich mich darauf einliesse.“

Schade — denkt Lis van Dersen, denn der junge Mann, der gestern hier vorsprach, hat einen sehr guten Eindruck auf sie gemacht. Tsugeno ist ein kluger Geschäftsmann. Es kommt ihr nicht in den Sinn, seine Worte zu bezweifeln. Wenn er sagt, dass die Sache ungünstig ist, dann stimmt es schon. Nur ein leises Bedauern ist in ihr, dass der sympathische Mann nun mit einem ablehnenden Bescheid davongehen soll.

Dieses stille Bedauern bleibt auch in ihren Augen, als etwa zehn Minuten später der Boy Klaus Dirk in den Wintergarten führt. Mr. Tsugeno bittet ihn, Platz zu nehmen, und lässt durch den Boy sofort eine Schale Tee anbieten. Dann aber wird sein zuvorkommendes Gesicht geschäftsmässig ernst.

„Ich habe Ihr Gesuch geprüft, Mr. Dirk. Leider muss ich Ihnen einen negativen Bescheid geben.“

Klaus Dirks Gesicht verfinstert sich. „Ich verstehe etwas von Gummi, Herr Tsugeno. Ich würde die Pflanzung bestimmt hochbringen. Auch an Arbeitslust und Zähigkeit fehlt es mir nicht.“

„Davon bin ich überzeugt“, gibt der Japaner höflich zurück. „Aber die Sache wird sich nicht rentieren. Junge Gummipflanzen sind teuer. Der Bestand Ihrer Insel an Palmen gewährleistet nach Ihrer eigenen Aussage keine nennenswerte Ernte an Copra.“

„Millionen kann man dort nicht verdienen“, gibt Klaus zu. „Ist auch gar nicht meine Absicht. Ich denke überhaupt weniger an geschäftliche Erfolge, Herr Tsugeno. Ich möchte einen Flecken Erde haben, der mir gehört, ein kleines Inselparadies, wo Ruhe und Frieden herrscht, — weiter nichts.“

„Sehr schön, aber an das Geschäftliche müssen Sie auch denken. Sie brauchen nicht nur Geld für die Pflanzung, sondern Sie müssen sich auch ein Haus bauen. Wie wollen Sie das Kapital dazu amortisieren? Ihre Insel bietet keine Siedlungschancen. Dass weder die britische noch die holländische Regierung diese kleine neuaufgetauchte Insel in Besitz genommen hat, beweist klar genug ihre Wertlosigkeit. Es sind selbst für den geringen Ertrag keine Absatzmöglich keiten vorhanden. Die Insel liegt in flachen Wasser, hat weder Buchten noch Landungsmöglichkeiten für halbwegs grössere Schiffe . . .“

„Einen Augenblick, Herr Tsugeno“, unterbricht Klaus Dirk lebhaft. „Auch ich habe inzwischen die aufgenommenen Karten eingesehen. Sie sind falsch. Es gibt Tiefwasser dort. An der Südwestküste der Insel habe ich eine Fahrrinne festgestellt, die mindestens eine Tiefe, von hundert Faden hat.“

Tsugenos wohlwollendes Gesicht wird plötzlich starr und kalt. „Dennoch bedaure ich, der Sache nicht näher treten zu können, Mr. Dirk. Es ist zwecklos, dass wir weiter darüber verhandeln.“

Klaus Dirk steht noch einen Moment unschlüssig. Sein Blick fliegt wie fragend zu der jungen Dame hinüber, kehrt dann zu dem Antlitz Mr. Tsugenos zurück. Aber dieses Antlitz ist jetzt kalt wie grauer Stein. Klaus Dirk begreift, dass es wirklich sinnlos ist, diesen Mann noch weiter überreden zu wollen. Er macht eine kleine, stumme Verbeugung und lässt sich von dem an der Tür wartenden Boy wieder hinausführen.

„Ein ungeschickter junger Mann“, bemerkt Tsugeno gleichgültig, als der Besucher verschwunden ist. Lis van Dersen kennt das Gesicht ihres väterlichen Wohltäters gut genug, um zu wissen, warum Tsugeno plötzlich so kalt und abweisend wurde.

„Sie halten seine Insel für Schwindel, Mr. Tsugeno?“

„Die Insel nicht. Sie existiert wirklich. Und die Besitzrechte des Mr. Dirk scheinen auch in Ordnung zu sein. Aber er hätte nicht das Märchen von dem Tiefwasser auftischen sollen. Nach den angestellten Vermessungen der Behörden befindet sich an der Küste dieser neuen Insel kein Tief.“

„Kann Mr. Dirk nicht trotzdem eine solche Stelle entdeckt haben?“

Der Japaner lächelt verzeihend. „Möglich ist alles. Aber wahrscheinlicher erscheint es mir, dass der junge Mann den Versuch machte, mich zu belügen, da er sah, dass ich ihm das Kapital nicht geben wollte.“

„Wie ein Lügner sah dieser Mr. Dirk gar nicht aus!“

Tsugeno nickt bestätigend. „Das tat er nicht. Aber was wil das sagen. Erinnern Sie sich an den jungen Turner, Lis? Ein sympathischer, braver Mensch, nicht wahr. Er sah aus, als könne man ihm ein Vermögen anvertrauen. Und doch . . .“

„Ach, das ist doch Unsinn!“ Lis bekommt rote Wangen. vor Erregung. „Das kann doch nur ein Missverständnis sein, dass man John Turner in Haft gesetzt hat! Oder irgend ein Halunke hat ihn verleumdet! John Turner ein Landesverräter? Das ist einfach lächerlich. Sie werden ihn sicher bald wieder freilassen und sich entschuldigen müssen!“

„Es tut mir leid, Lis.“ Tsugeno langt mit ernstem Gesicht nach der Zeitung auf dem kleinen Nebentisch und hält sie zögernd in der Hand. „Ich weiss, dass Sie mit dem jungen Turner befreundet waren und viel von ihm hielten.“

„Er ist der beste Tennispartner, den ich kenne.“

„Um so weher wird Ihnen tun, was ich Ihnen sagen muss, weil Sie es doch erfahren werden. Die ganze Stadt weiss es schon. Und was Ihnen weh tut, Lis, das tut auch mir weh.“

„Was ist denn? Etwas mit Turner?“

„Der Private Soldier John Turner ist heute morgen wegen Landesverrats in der Citadelle erschossen worden.“

„Das ist nicht wahr!“ Lis van Dersen reisst das Zeitungsblatt so heftig aus Tsugenos Hand, dass es in Fetzen geht. Ihre Hände fliegen, während sie die Nachricht liest. Kitsao Tsugeno sieht ehrlich bekümmert aus.

„Unsere Menschenkenntnis ist Stückwerk, liebe Lis. Auch ich hätte das nie von Mr. Turner erwartet.“

„Aber das kann doch nicht wahr sein!“ Völlig fassungslos lässt Lis van Dersen das Blatt sinken. „Es . . . es muss ein Irrtum sein, ein entsetzlicher Justizirrtum!“ Tsugeno wiegt bedächtig den Kopf. „Ich glaube kaum, Lis. Bedenken Sie, der junge Soldat ist in ordentlichem Gerichtsverfahren verurteilt worden. Und man hat ihn nicht einmal begnadigt. Die britischen Richter sind sowohl kluge wie gewissenhafte Herren. Wenn irgend ein Zweifel an der Schuld Turners geblieben wäre, so hätte man sicherlich nicht das Urteil vollstreckt. Er muss sich also doch wohl schuldig gemacht haben.“

Lis van Dersen schauert in den Schultern nud hat ein Gefühl, als ob die Farbenpracht der Blumen rings um sie auf einmal fahl und falsch geworden sei. Wie oft hat sie mit John Turner zusammen Tennis gespielt. Er war ein bisschen verliebt in sie, wie die meisten jungen Leute der englischen Kolonie, aber er hat nie ein Wort fallen lassen, das sie hätte zurückweisen müssen. Ein liebenswerter, guter Junge. Und nun . . .? Tsugeno hat ja recht: Die Richter würden ein so hartes Urteil nicht vollstrecken lassen, wenn er nicht vollkommen des Verbrechens überführt wäre. John Turner ein Landesverräter! Wie hässlich das ist! Man kann sich vergessen, kann in einem Augenblick der Verzweiflung einen falschen Namen unter einen Wechsel setzen, einen Betrug begehen. Man kann sogar in Wut und Leidenschaft einen Menschen über den Haufen schiessen. Aber — sein Vaterland verraten? Pfui Teufel!

Lis van Dersens Gesicht wird einen Augenblick ebenso hart und kalt wie vorher das des Japaners. Etwas wie Verachtung zieht ihre Mundwinkel nach unten. Nun ja, John Turner ist . . . oder war — ein Engländer! Und dieses Volk . . . Lis van Dersen hat nie besondere Sympathie für die Engländer gehabt. Wäre auch zuviel verlangt. Es schüttelt sie heute noch manchmal, wenn sie an ihre Kindheit denkt, an jene traurigen Jahre, da die Mutter ihr die Tragödie der van Dersens als ein mahnendes Vermächtnis erzählt hat. Um die Jahrhundertwende waren die van Dersens freie Burghers im Staate Transvaal gewesen, gehörten zu den wohlhabendsten Familien zwischen Pretoria und Bloemfontain. Dann waren die Engländer gekommen. Pit van Dersen hatte den verzweifelten Freiheitskampf mitgefochten, von den Siegestagen bei Colenso und am Tugela bis zum bitteren Ende am Paardeberg. Aus dem Konzentrationslager Kitcheners heraus hatte er sich seine Frau geholt, vierzehn Jahre lang verbissen und zäh ein neues Heim, einen neuen Wohlstand sich aufgebaut. Bis die Sturmglocken von 1914 durch die Welt dröhnten. Christian de Wet, der hartnäckige, unversöhnliche Alte, rief zum Kampf auf, glaubte die Zeit gekommen, das englische Joch abzuschütteln, die freie Republik Transvaal wieder aufzubauen. Und Pit van Dersen hatte Büchse und Patronengürtel umgehängt und war zu seinem alten General geeilt.

Der Aufruhr misslang. Louis Botha, der Verräter, stempelte die Freischar Christian de Wets als Rebellen. Die britischen Truppen, die „Afrikander“ aus Kapstadt und Kimberley, veranstalteten eine Treibjagd auf die Freiheitskämpfer. Zu gross war die Übermacht. De Wets Versuch, sich über die Grenze zu den Deutschen in Südwestafrika durchzuschlagen, wurde vereitelt. An einem Herbsttag des Jahres 1914 wurde Pit van Dersen mit einem Dutzend Kameraden nach heftigem Gefecht überwältigt und standrechtlich erschossen.

Das waren die Märchen, die Lis van Dersens Jugend umgaukelten. Die Mutter hatte den Schlag nicht verwunden. Zwei Jahre später war sie, gebrochen von Kummer und Leid, dem Vater nachgestorben. Entfernte Verwandte in der Hafenstadt Durban nahmen die Waise auf und erzogen sie. Bis Lis eines Tages ihr Leben selbst in die Hände nahm und es nach ihrem eigenen Willen zu formen suchte.

Sie lebte nun schon lange in britischen Ländern. Sie verkehrte viel mit Engländern, fand auch manchen sympathischen Menschen darunter, wie z. B. diesen John Turner. Aber ganz tief in ihrem Herzen ist doch eine Feindschaft geblieben, ein uneingestandener Hass gegen das Volk, das ihren Vater wie einen Verbrecher hingerichtet hat.

Kitsao Tsugeno ist höflich und zuvorkommend gegen die Engländer. Er hat sogar manchem Gentleman hier in Singapore mit Rat und Tat geholfen. Aber Lis weiss genau: Innerlich verachtet auch Tsugeno die Briten. Ohne Hass, mit der ruhigen Verachtung eines welterfahrenen Menschen, der gelernt hat, hinter die Fassade äusserer Wohlanständigkeit und stolzen Gepräges zu schauen. Vielleicht ist das mit ein Grund gewesen, warum sie sich von Anfang an so hingezogen gefühlt hat zu dem vornehm-ruhigen Wesen des Japaners.

Ja, Kitsao Tsugeno ist klug, sehr klug. Irgendwie wirkt es bedrückend auf Lis van Dersen, dass er immer recht behält. Auch da, wo sie selber ganz anderer Meinung ist. Wie war das doch mit John Turner? Tsugeno macht ihr keinerlei Vorschriften über ihren Verkehr. Er sieht es sogar gern, dass sie viel im Club und auf den Sportplätzen mit den jungen englischen Herren verkehrt und an den Gesellschaften der britischen Kolonie teilnimmt. Nur in Bezug auf John Turner hat er hin und wieder kleine Bemerkungen fallen lassen. Keine Vormürfe und auch keine Verbote. Bewahre! Nur gelegentliche, kleine warnende Bemerkungen. Ob sie sicher sei, dass der junge Mensch ihrer Freundschaft auch wert sei? Ob ihr der junge Turner wirklich so ausnehmend gefalle? Und dergleichen.

Lis hat diesen Bemerkungen nie eine Bedeutung beigelegt. Heute will es ihr scheinen, als ob Kitsao Tsugeno auch diesen John Turner längst durchschaut und richtig eingeschätzt habe.

Ihr Selbstbewusstsein bäumt sich unwillkürlich auf gegen diese unheimliche Menschenkenntnis. Tsugeno hat immer recht, trifft immer das richtige, ob es sich nun um ein Börsenmanöver handelt oder um die Beurteilung eines Menschen. Er hat John Turner, den Landesverräter, erkannt. Er hat auch diesen jungen Deutschen, diesen Mr. Dirk sofort durchschaut, der vorhin hier stand.

Lis van Dersen wirft den Kopf in den Nacken. Unerträglich ist das! Wie er nun wieder dort die steinerne Gartentreppe hinuntergeht! Ganz still und bescheiden hat er das Zimmer verlassen, um sie in ihren Gedanken, ihrem Schmerz über John Turner nicht zu stören. Immer taktvoll, immer vornehm denkend, und — immer im Recht! Nein! Er soll nicht immer recht haben, dieser kluge Japaner! Ist sein Gehirn denn alles? Ist ihr eigenes Gefühl für das Gute in der Welt wirklich nur ein lächerlicher Irrtum? Man kann sich irren, gewiss! In John Turner hat sich also ihr Gefühl verirrt. Aber muss es deshalb denn immer irren? Kann nicht auch der kühle Verstand Tsugenos einmal danebengreifen?

Da ist nun dieser Mr. Dirk! Sein Gesicht sah so ehrlich, so vertrauenserweckend aus. Lis van Dersen hätte ihn glatt sich selbst und ihr ganzes Vermögen anvertraut. Und der soll nun auch ein Betrüger, ein Heuchler und Schwindler sein?

Sie hat es deutlich an seinem Gesicht gesehen vorhin: Der junge Mann hatte ganz genau gefühlt, dass Mr. Tsugeno seinen Worten nicht glaubte. Ganz rot war er geworden vor Verlegenheit. Nun geht er vielleicht herum mit dem bitteren Gefühl, dass niemand ihm glaubt, wird unsicher, verbittert — wagt vielleicht überhaupt nicht mehr, zu jemand von seiner Insel, seinen Plänen zu sprechen. Tsugeno ist klug und verständig, — Lis aber fühlt in ihrem Innern eine Gewissheit: Dieser Mr. Dirk ist kein Geschäftemacher, der skrupellos zu einer Lüge greift, um seine Absichten durchzusetzen.

Vielleicht ist er noch zu erreichen. Lis beschliesst impulsiv, einen raschen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Wenn sie dabei Mr. Dirk trifft, will sie ihm sagen . . . Ja, was sie ihm eigentlich sagen will, weiss sie selber nicht so recht. Aber er soll wissen, dass nicht alle ihn für einen Abenteurer und Betrüger halten.

„Kommen Sie mit zu den Seerosen, Lis?“ klingt die ruhige Stimme Tsugenos vom Garten her. Er hat sich umgewendet und scheint zu warten.

Lis van Dersen tritt auf die Veranda und winkt leicht mit der Hand. „Nachher, Mr. Tsugenos. Ich möchte jetzt ein wenig spazieren gehen, wenn Sie gestatten.“

Bevor sie sich abwendet, sieht sie noch einen Augenblick Tsugenos freundlich und gütig lächelndes Gesicht. Aber als sie ihm den Rücken gedreht hat, geht eine jähe Verwandlung mit diesem Gesicht vor. Kitsao Tsugenos Augen brennen, während sie unverwandt der enteilenden schlanken Mädchengestalt nachschauen.

Sie geht. Natürlich, sie will jetzt allein sein, um fertig zu werden mit der traurigen Nachricht von John Turners Tod. Mag sie das. Sie wird ruhiger werden und sich sagen, dass Kitsao Tsugenos wieder mal recht hat. Dass der junge Mensch, dem sie so auffallend viel Freundschaft bezeigt, im Grund nichts anderes war als — ein Lump.

Kitsao Tsugeno wandelt langsam und würdevoll durch seinen Park, den Kopf gesenkt, als wolle er die Gedanken verbergen, die in seinem Gesicht stehen.

Ein erwünschter Zufall, diese Verurteilung John Turners! Lis van Dersen wird dadurch wieder einmal bestärkt in ihrer Abneigung gegen die Engländer. Sie wird wieder ein Stückchen weiter hinübergleiten zu ihm, dem vornehmen, untadeligen Japaner.

Langsam, langsam. Es ist weit bis zum Ende der Welt. Kitsao Tsugeno ist kein törichter Träumer, kein ungeduldiger Jüngling, der sich einbildet, im Sturm jeden Gipfel erringen zu können. Er wird warten, geduldig warten, bis die Frucht reif ist. Aber einmal wird der Tag kommen, an dem die schöne Lis van Dersen so weit ist, dass ihr ekelt vor den „weissen Gentlemen“ und ihren heuchlerisch versteckten Schwächen und Lastern. Der Tag, an dem sie vor ihnen fliehen wird zu ihm selbst, Kitsao Tsugeno. Und dann. . .

Kitsao Tsugenos Augen glühen und funkeln vor Gier. Sein würdevolles Gesicht wirft für einen Augenblick die Maske ab und wird zur begehrlich verzerrten Fratze. Einen Augenblick nur. Dann ebbt der Sturm ab. Mr. Tsugeno ist wieder der würdevolle, überlegene Geschäftsmann, der sich selber nachsichtig belächelt. Sie ist wirklich belächelnswert, diese heisse Leidenschaft für ein junges, unbedeutendes weisses Mädchen. Kitsao Tsugeno hat sich das oft genug gesagt. Aber sie ist nun einmal da und er fühlt genau: Dieses leidenschaftliche Begehren ist stärker in ihm als alles andere. Es nutzt nichts, dagegen anzukämpfen. Man kann sie nur durch eines ersticken: durch die Erfüllung.

Klaus Dirk ist noch nicht weit gekommen. Als er aus dem Hause Tsugenos trat, war er so vor den Kopf geschlagen, dass er versehentlich die falsche Richtung einschlug. Erst nach einiger Zeit ist ihm das zum Bewusstsein gekommen. Er hat ärgerlich kehrt gemacht und ist den Weg zurückgegangen.

Da ist wieder der Palast des mächtigen Besitzers der „P. & S. Bank“. Unzugänglich, in vornehmem Schweigen liegt er dort tief im tropisch üppigen Park versteckt. Klaus Dirk hat einen bitteren Geschmack im Munde. Abgewiesen! Hier wie bei Mr. Bond. Der schöne Traum von einem Inselparadies beginnt sich in ein Luftschloss zu verwandeln. Das Land ist da. Der Wille, es zu kultivieren, auch. Aber was hilft das alles, wenn das Geld fehlt. Die Ersparnisse, die Klaus Dirk während seiner Dienstzeit bei den Holländern gemacht hat, sind fast aufgebraucht. Was er noch besitzt, langt grade zur Rückreise nach Borneo oder Java. Und drüben bei den Mynheers ist keine Hoffnung. Die holländischen Kaufleute, die an reiche Pflanzungen und weite Landstrecken auf den Sundainseln gewohnt sind, haben ihn einfach ausgelacht, als er ihnen mit einer so entfernt liegenden, winzig kleinen Insel kam. Die Engländer hier in Singapore waren die einzige Möglichkeit. Nun wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als noch einmal den „Schein“ zu unterschreiben, weitere fünf Jahre Dienst zu tun in der holländischen Kolonialarmee.

So weit ist er in seinen trüben Gedanken gekommen, als den mit rotem Sand bedeckten Gartenweg entlang etwas Weisses, Wehendes auf ihn zugeflogen kommt.

„Hallo, Mr. Dirk! Wenn Sie in die Stadt gehen, dürfen Sie mich ein Stück begleiten.“

Klaus hat den Hut gezogen und setzt sich jetzt verwundert an der Seite des jungen Mädchens in Bewegung. Sein Herz klopft plötzlich ganz unvernünftig. Hat der Bankier sich besonnen? Will er ihm doch noch eine Chance geben?

„Es hat mir leid getan, dass Mr. Tsugeno Sie abgewiesen hat“, beginnt Lis, nachdem sie einige Schritte schweigend nebeneinander hergegangen sind. „Ihr Projekt ist sicherlich nicht so ganz aussichtslos. Wenn wirklich eine Fahrrinne bei der Insel vorhanden ist . . .?“

Klaus erwidert frei und offen den fragenden Blick der jungen Dame. „Es ist so, wie ich sagte, Fräulein. Aber Mr. Tsugeno scheint es nicht zu glauben.“

„Als Geschäftsmann muss er misstrauisch sein, nicht wahr? Singapore ist, genau wie Shanghai, ein Tummelplatz für allerlei Abenteurer und Glücksritter.“

Klaus nickt bitter. „Ja, für etwas Ähnliches hält man ja wohl auch mich.“

„Nicht alle.“ Lis’ Atem geht rascher, während sie ihm voll ins Gesicht sieht. „Sie sollen das nicht denken, Mr. Dirk.“

Nun horcht Klaus hoch auf. „Vielen Dank für die gute Meinung, Fräulein. Meinen Sie, dass es einen Zweck hat, wenn ich noch einmal mein Glück bei Mr. Tsugeno versuche?“

„Das nun wohl nicht. Wenn Mr. Tsugeno Nein sagt, dann meint er auch Nein, und ich selber habe keine. Macht, ihn umzustimmen. Aber Sie sollen wissen, dass ich Sie nicht für einen . . . einen Abenteurer halte. Ich glaube, dass Sie ein ehrlicher Mensch sind.“ Lis van Dersen bleibt plötzlich stehen. Ihre Wangen röten sich langsam unter dem erstaunten Blick des jungen Mannes. Fast verlegen reicht sie ihm hastig die Hand.“ Das wollte ich Ihnen nur sagen. Und Ihnen alles Gute für Ihr Projekt wünschen! Leben Sie wohl, Mr. Dirk.“

Sie läuft so hastig davon, dass Klaus ihr kaum einen Abschiedsgruss sagen kann.

„Prächtiges Mädel!“ denkt Klaus Dirk, während er fast betroffen der Davoneilenden nachschaut. Er bleibt stehen und sieht ihr so lange nach, als sie noch in Sicht ist. Sieht auch, dass ein Auto auf der Fahrbahn jäh stoppt und ein Herr aus dem Wagen springt und lebhaft grüssend zu der zögernd Halt Machenden hinübergeht.

„Mr. Belesnoi?“ Lis van Dersen ist stehen geblieben und neigt zum Gruss kühl den Kopf. „Ich denke, Sie sind beim Rennen?“

„War“, lacht der elegante Herr, anscheinend ohne ihre kühle Zurückhaltung zu bemerkern. „Hatte keinen Sinn. Die Pferde, auf die ich setzte, liefen alle „ferner“. Kein Wunder, wenn ich die ganze Zeit mehr an Sie als an die Gäule dachte. Aber was sagen Sie zu dem Lumpen, dem Turner? Tolle Sache, was?“

„Eine traurige Sache, wollen Sie sagen, Herr Belesnoi.“

„Erbarmen Sie sich“, lacht der Russe. „Traurig höchstens doch für ihn. Wir anderen können froh sein, dass solche Elemente aus unserer Gesellschaft ausgemerzt werden. Winowat! Machen Sie nicht ein so böses Gesicht, schöne Dame! Ich weiss schon, Sie hatten eine Schwäche für den jungen Burschen. Ich erinnere mich noch, dass Sie einmal im Tennisclub mich einfach sitzen liessen und mit ihm davonzogen.“

Lis wirft den Kopf zurück. „Weil er bedeutend besser spielte als Sie.“

„Unbedingt. Ich bin kein Held auf dem Lawn. Aber damals haben Sie gar nicht gespielt. Sie sassen mindestens eine Stunde mit dem edlen Mr. Turner auf der Terrasse und, plauderten, während ich armer, verlassener Mann vom Clubzimmer aus zusehen musste.“

„Daran erinnere ich mich nicht. Auf Wiedersehen, Herr Belesnoi. Ich muss jetzt . . .“

„Bitte, bitte, Sie müssen jetzt nur eines, Fräulein Lis! Sie müssen unbedingt mit mir kommen und meine Sammlung bewundern. Haben Sie vergessen, dass Sie mir das schon vor sechs Wochen versprachen?“

„Wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, sehe ich mir gern ihre chinesischen Kostbarkeiten an, Herr Belesnoi. Captain Genley, der sich auch dafür interessiert, wird mich gern zu Ihnen begleiten.“

Herr Belesnoi hat ein lustiges Zwinkern in den Augen. „Oh, der gute Genley hat meine China-Sammlung schon zweimal besichtigt. Seine Anwesenheit ist nicht erforderlich. Bitte, steigen Sie ein. Oder — fürchten Sie sich etwa vor dem Allein mit mir? Auf Kavaliersparole . . .“

„Ich fürchte mich durchaus nicht. Aber Mr. Tsugeno erwartet mich.“

Herr Belesnoi hat die Hand erfasst, die sie ihm zögernd zum Abschied überlassen hat und hält sie fest. „Wetten, dass Herr Tsugeno keine Schwierigkeiten macht, wenn ich ihn frage, ob Sie mitkommen dürfen?“

„Möglich, Herr Belesnoi.“ Lis denkt flüchtig daran, dass Tsugeno wirklich noch nie etwas Unvorteilhaftes über diesen Russen geäussert hat. Er sieht doch sonst alles. Hat sie sogar vor John Turner gewarnt. Warum sieht er denn nicht, dass dieser Herr Belesnoi, russischer Emigrant, entwurzelter Adelsspross oder was er nun eigentlich ist, doch wirklich ein aufdringlicher, unsympathischer Mensch ist! Sie jedenfalls ist sich nicht im Zweifel über ihre Gefühle gegenüber diesem Herrn. Etwas schärfer als es eigentlich ihre Absicht war, fügt sie darum hinzu: „Aber ich bin gewohnt, über mich selber zu bestimmen. Und ich habe durchaus keine Lust, mit Ihnen zu fahren.“

„Nun müssen Sie sogar mit mir fahren, schöne Lis“, Herr Belesnoi hat ohne weiteres ihren Arm gefasst und drängt sie langsam dem Wagen zu. „Bei uns in Russland gilt es als eine Beleidigung, wenn eine Dame einem Kavalier eine billige Bitte abschlägt.“

„Wir sind aber nicht in Russland.“

„Mütterchen Russland ist immer da, wo ihre Söhne sind. Kommen Sie. Es wird Sie nicht gereuen. Ich habe erst gestern ein paar altchinesische Vasen erhalten. Aus der Mingzeit. Die müssen Sie einfach sehen. Ausserdem gebe ich Ihnen mein Wort, dass ich mit keiner Andeutung von meiner leider immer noch hoffnungslosen Liebe sprechen werde.“

„Lassen Sie mich gefälligst los, Herr Belesnoi! Ich will nicht . . .“

„Aber bitte! Wir wollen doch kein Aufsehen erregen!“

Lis van Dersen sträubt sich energisch, aber Belesnoi hat sie fest gefasst. Vor Empörung zitternd fühlt sie, wie sein freier Arm um ihren Leib greift und sie zärtlich drückt, während er sie lachend zu seinem Wagen zieht.

„Etwas mehr Anstand, Freundchen!“

Ein Paar Hände greifen zu und lösen mit festem Griff den Arm Belesnois. Lis fühlt sich frei und sieht, hochrot vor Erregung, in Klaus Dirks Gesicht.

„Was erlauben Sie sich, Sir!“ faucht der Russe, einen halben Schritt zurückweichend. „Ich verbitte mir . . .“

„Nicht böse werden. Das hab ich nicht gern“, meint Klaus ruhig. „Das Beste ist, Sie verschwinden. Sonst . . .“ Die geballten, harten Fäuste Klaus Dirks reden ihre eigene, unmissverständliche Sprache. Lis, die inzwischen ihr Gleichgewicht wiedergefunden hat, tritt erfchrocken zwischen ihn und den Russen.

„Ich danke Ihnen, Mr. Dirk. Bitte, bemühen Sie sich nicht weiter. Ein Missverständnis nur. Ich . . .“ Impulsiv streckt sie ihm die Hand hin. „Auf Wiedersehen, Mr. Dirk. Ich muss nach Hause.“

Herr Belesnoi zieht formvollendet den Hut. Aber als Lis van Dersen, ohne seinen Gruss zu beachten, in der Richtung auf das Haus Tsugenos davoneilt, verzerrt sich sein Gesicht vor ingrimmiger Wut. Ein abschätzender Seitenblick trifft den jungen Deutschen, der ruhig abwartend vor ihm steht. Allzu gross ist der Bursche nicht. Auch Herr Belesnoi verfügt über beträchtliche Kräfte, ist ein guter Boxer und — ausserdem steckt ein geladener Browning in seiner Brusttasche. Man sollte eigentlich diesem unverschämten Burschen da einen Denkzettel geben!

Nein, lieber nicht! Belesnois rasch umherflitzende Augen treffen einen Mann, der harmlos drüben auf der anderen Strassenseite dahinschlendert. Er kennt diesen Spaziergänger. Einer der Angestellten der Firma Bond & Co. Mit Mr. Bonds Leuten aber hat Herr Belesnoi nicht gerne etwas zu tun.

Einen russischen Fluch murmelnd, dreht er Klaus den Rücken und steigt in sein Auto.

„Warum nicht gleich so?“ brummt Klaus befriedigt, als der Wagen davonschiesst, betrachtet eine Sekunde lang nachdenklich seine Fäuste und setzt dann gemächlich seinen Weg fort.

„Klaus Dirk! D—i—r—k! Jawohl! Stellen Sie sofort fest, wo der Mann wohnt. Alles andere unwesentlich. Nachricht hierher. Dringend.“

Lis van Dersen, noch erregt von dem Vorfall auf der Strasse, bleibt erstaunt in der Tür stehen und kommt erst näher, als Kitsao Tsugeno das Hörrohr aufgelegt hat.

„Sie fragen nach Mr. Dirk? Hat er . . . Haben Sie sich anders besonnen, Mr. Tsugeno? Sie wollen ihm die Anleihe geben?“

Der Japaner schüttelt lächelnd den Kopf. „Ich denke noch genau wie vorhin, liebe Lis. Aber da ist etwas anderes . . . Ich werde Mr. Dirks Insel kaufen.“

„Die wertlose Insel?“ Lis macht verwunderte Augen. „Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, Mr. Tsugeno?“

„Setzen Sie sich doch, Lis.“ In Tsugenos Gesicht ist bei aller asiatischen Ruhe ein Zug von Erregtheit, aber Lis ist selber noch viel zu aufgeregt, um das zu bemerken. „Die Insel ist wertlos in den Händen Mr. Dirks. Ich glaube aber, man könnte etwas daraus machen, wenn man selbst . . . ich meine, wenn das richtige Kapital . . .“

„Und da wollen Sie ihm diese Chance abnehmen und selbst ausnutzen?“

„Sie meinen, das passt gar nicht zu mir?“ lächelt Tsugeno gütig. „Nun, Mr. Dirk wird nichts dabei verlieren. Ich werde ihm den Wert seines Inselchens voll bezahlen, mehr als er selber herauszuschlagen erwartet.“

Lis macht ein nachdenkliches Gesicht. „Ich glaube nicht, dass Mr. Dirk seine Insel verkaufen wird.“

„Er wird. Man kann alles kaufen, wenn man den richtigen Preis bezahlt. Ich denke, er wird im Gegenteil froh sein, wenn er doch noch aus seinem Projekt Kapital schlagen kann.“

Der Fernsprecher klingelt. Die Bank meldet sich. Tsugeno horcht, spricht ein paar knappe Worte in den Apparat und hängt wieder ab. „Das ging ja fix. Unser Auskunftsbüro hat schon die Adresse. Man hat sie gestern schon erfahren, als ich über die Insel Erkundigungen einziehen liess. Mr. Dirk wohnt in Seymours Hotel.“

„Wollen Sie ihn noch einmal hierherbestellen?“

Tsugeno überlegt einen Augenblick und schüttelt dann den Kopf. „Nein, ich möchte die Sache privatim mit dem Herrn abmachen. Ich werde ihn einfach heute abend im Hotel aufsuchen. Haben Sie Lust mitzukommen, Lis?“

„Sehr gern.“

„Das freut mich. Wir werden einen Tisch im Grill Room bestellen. Und — Wenn Mr. Dirk wirklich abgeneigt sein sollte, zu verkaufen, so tun Sie mir den Gefallen, Lis, im Interesse des Geschäfts recht liebenswürdig zu Mr. Dirk zu sein. Wenn Sie ihm zureden, verkauft er seine Insel bestimmt.“

Mr. Tsugeno nickt noch einmal freundlich und geht hinüber in sein Zimmer, um ein wenig zu ruhen. In einem Aufruhr unklarer Gefühle bleibt Lis zurück. Sie wollte eigentlich Mr. Tsugeno brühwarm von der frechen Aufdringlichkeit Belesnois und dem Eingreifen Klaus Dirks erzählen, aber nun kam diese neue Überraschung dazwischen. Eines jener plötzlichen, unerklärlichen Geschäftsmanöver Tsugenos, die man nicht übersehen kann, und die sich nachher doch immer als richtig erweisen. Was in aller Welt kann ihn veranlassen, diese Insel, die er selber für wertlos erklärt, auf einmal kaufen zu wollen? Vor einer Stunde noch ist er davon überzeugt gewesen, dass die Insel keinen Cent wert sei. Kitsao Tsugeno denkt viel zu anständig und grosszügig, um in so einer kleinen Angelegenheit einem Menschen bewusst die Unwahrheit zu sagen, weil er selber das Geschäft machen will. Es muss in der Zwischenzeit irgend etwas eingetreten sein, das seine Ansichten geändert hat.

Lis van Dersens Augen gleiten suchend über den Schreibtisch. Da liegt noch eine offene Depesche, die wohl eben gekommen sein muss.

„QRRIT Ayela fenduri peccana nac stop tenhijeni cond biwano sacasse kelsan hohuis stop ewan.“

Liest sie und legt enttäuscht das Blatt hin. Das ist wieder der Geheimcode der „Planters & Settlers Bank“, dessen Schlüssel auch Lis nicht kennt.

Mädchen im Ocean

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