Читать книгу Unsere Umwelt als Spiegel - Ayya Khema - Страница 6
ОглавлениеZwei Möglichkeiten der Spiegelung
Im Allgemeinen betrachten wir die Welt, wie aus einem Fenster – ein inneres Wesen, das durch unsere Augen hinausschaut und die Welt beobachtet. Und für gewöhnlich empfinden wir mehr als die Hälfte dessen, was wir sehen, als unzufriedenstellend und verurteilen es. Dies ist eine Art und Weise zu leben, die nie wirklich Glück und Frieden bringen kann.
Wenn wir uns nicht einmal bemühen zu erkennen, dass das nicht der Weg zum Glück ist, werden wir immer wieder aus diesem Fenster hinausschauen und sagen, was alles nicht in Ordnung ist, welche Menschen nicht gut sind, was einem nicht passt und was man gern anders hätte. Dann versuchen wir äußerlich irgendetwas zu verändern: neue Partner, neue Lehrer, neue Hobbys, neue Meditation, neue Diät, neuer Wohnort – aber all dies nützt nichts. Es ist ja immer wieder dasselbe Fenster und dieselbe Aussicht. Auf diese Weise kann unser Leben nicht in Ordnung kommen.
Was sich im Außen abspielt, kann man nur wirkungsvoll verwenden, wenn wir die Welt als einen Spiegel benutzen. Schauen wir aus dem Fenster, so vergessen wir uns und sehen nur die Landschaft und beurteilen diese. Wenn wir in einen Spiegel schauen, dann sehen wir uns selbst.
Betrachten wir andere Menschen als unser eigenes Spiegelbild, dann wird uns ganz klar, dass wir in jedem anderen nur das erkennen können, was wir in uns selbst schon gefunden haben. Alles andere ist uns vollkommen verschlossen. Deswegen sagt man: „Nur ein Buddha kann einen Buddha erkennen.“ Wir wüssten ja gar nicht, wer ein Buddha ist, weil wir nicht wissen, wie sich das anfühlt. Daher können wir ganz gut erkennen, wenn wir mit Ärger konfrontiert sind, denn wir wissen genau, wie sich das anfühlt. Auch können wir ganz gut erkennen, wenn ein Mensch vor uns steht, der Emotionen und Reaktionen hat, die uns bekannt sind. Das heißt also, er zeigt uns nichts anderes als das, was wir in uns haben, spielt es uns sozusagen vor, damit wir einmal wirklich erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir dasselbe tun. Nur so ist es möglich, sich das Betrachten der Umwelt zunutze zu machen. Wir wissen dann, dass dieser ärgerliche, unzufriedene, ablehnende, dieser aufgeregte, stolze oder neidische Mensch ja nichts weiter tut, als uns ein kleines Theaterspiel vorzuspielen, in das auch wir ständig verwickelt sind. Nun dürfen wir einmal ein paar Minuten der Zuschauer sein und können eigentlich nur dankbar sein, dass dieser Mensch uns zur Selbsterkenntnis verhilft.
Wird man selbst ärgerlich, dann ist man wieder nur mit der „Fensterschau“ beschäftigt und nutzt das, was um einen herum geschieht nicht als eine Lernsituation. Benutzen wir dieses Leben von morgens bis abends nicht zum Lernen, dann verschwenden wir unsere Zeit. Dabei handelt es sich nicht darum, das zu lernen, was in Büchern steht oder was auf Hochschulen und Universitäten gelehrt wird, sondern darum, unsere eigenen Instinkte und Impulse beherrschen zu lernen, sodass Glück und Frieden in uns einziehen. Der Buddha hat Selbstkontrolle und Selbstdisziplin als die wichtigste Eigenschaft bezeichnet, die wir in uns entwickeln können, um alle anderen guten Eigenschaften in uns hochzubringen.
Wenn wir andere Menschen als Spiegelbild benutzen, dann wird uns sehr schnell klar, dass unsere Reaktionen nur von uns selbst abhängig sind, nicht von jemand anderem. Mit unseren Reaktionen machen wir Karma, dessen Eigentümer wir sind. Was wir als Ursache hervorrufen, werden wir als Wirkung erfahren.
Wir können zum Beispiel jeden Morgen beim Aufwachen versuchen, dankbar zu sein, dass wir wieder einen Tag mit Gesundheit und materiellem Wohlstand vor uns haben, der uns dazu dienen kann, Neues über uns selbst zu erfahren. Anstatt aufzuwachen und zu denken: „Muss ich denn jetzt schon aufstehen und die viele Arbeit verrichten und mich wieder mit diesen unangenehmen Leuten abgeben?“ Unsere Dankbarkeit färbt auf den ganzen Tagesablauf ab. Vor uns liegt ein Tag, der vieles bringen kann. Ob dies gut oder schlecht für uns ist, hängt nur von unseren eigenen Reaktionen, Urteilen und Vorurteilen ab. Diese können aber nicht auf einer fundamentalen Wahrheit beruhen, denn die muss ja erst einmal erkannt werden. In der relativen Wahrheit, in der wir leben, sind wir ständig damit beschäftigt das „Ich“ zu beschützen und dafür zu sorgen, dass es alles bekommt, was es haben will, damit es sich komfortabel und sicher anfühlt.
Auf dieser relativen Ebene bestehen „ich“ und „du“, „ihr“ und „wir“, „gut“ und „schlecht“, „morgen“ und „gestern“, „haben“ und „nichthaben“, „wollen“ und „ablehnen“. Wenn wir jetzt nicht einmal versuchen, etwas anderes zu verstehen und kennenzulernen, tiefer einzudringen in universelle Wahrheiten und Begebenheiten, so werden wir nie das Glück finden, das wir alle suchen. Wir glauben, das Glück sei von äußerlichen Dingen abhängig. Denkt man aber darüber eine Sekunde nach, so wird man sofort erkennen können, dass das absurd sein muss. Was gibt es denn da draußen, das uns tiefes Glück geben könnte? Irgendeinen Menschen? Ist er beständig? Hat er immer dieselben Gefühle, Gedanken und Reaktionen? Oder ändert er sich andauernd? Ist er nicht auch dem Tod unterworfen? Gibt es irgendeine Situation, eine Erfahrung oder etwas, was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder denken, das uns vollkommenes Glück geben könnte? Wo ist dies zu finden? Und doch läuft die ganze Welt dem hinterher, wie dem Goldschatz, der am Ende des Regenbogens existieren soll. Läuft man einem Regenbogen hinterher, wird man wohl eines Tages merken, dass man ihn nie erreicht.
Außerdem ist ein Regenbogen eine äußerliche Manifestation, und Glück und Frieden sind innere Gefühle, die nicht von außen hineinkommen können, die man in sich nur selbst entwickeln kann. Wenn man das nicht tut und nicht kann, dann wird man wohl unglücklich und unzufrieden bleiben. Ein anderer kann noch so nett und lieb sein und versuchen uns zu helfen, wenn wir uns nicht selbst bemühen, kommt das innere Glück nicht zustande. Ramana Maharshi, der ein erleuchteter Weiser im Süden Indiens war und vor ungefähr 35 Jahren starb, hat gesagt: „Glück und Frieden sind nicht unser Geburtsrecht. Diejenigen, die es erlangen, bekommen es durch ständige Anstrengung.“ Erlauben wir unserem Geist negative Richtungen einzuschlagen, so ernten wir nur unser eigenes negatives Karma. Statt diesen Zusammenhang zu erkennen, machen wir oft andere für unsere Reaktionen verantwortlich. Im Prinzip gibt es überhaupt keinen Schuldigen, weder uns selbst, noch andere.
Es handelt sich hier einzig und allein darum, den Geist zu trainieren und ihn nicht abrutschen zu lassen. Sobald man mit der Meditation anfängt, beginnt das Trainieren des Geistes. Will man körperlich etwas erreichen, vielleicht schnell laufen oder weit springen oder gut schwimmen oder Tennis spielen, so muss man dafür auch oft üben. Übt man die Meditation nicht ständig, wird es auch keinen trainierten Geist geben; er wird genauso diskursiv und reaktiv bleiben, wie er immer war.
Ein Mensch, der sich nicht ernsthaft bemüht, den Geist zu trainieren, wird nicht in der Lage sein, klar zu denken, weil er von seinen Emotionen, die den Sinneskontakten folgen, überschüttet wird. Sehen wir etwas, das wir nicht leiden können, dann haben wir ein unangenehmes Gefühl, und schon ist die Emotion des Ärgers, der Ablehnung, des Widerwillens da. Genauso geht es mit den anderen Sinneskontakten. Wenn wir etwas hören, was wir nicht gern haben, so entsteht ein unangenehmes Gefühl, und es folgt beleidigt sein, Feindschaft oder nicht leiden können. Und dieses Spielchen können wir natürlich immer wiederholen, Tag für Tag. Wir machen damit nur unser eigenes Leben und das Leben anderer schwierig. Die Menschen, mit denen wir zusammen sind, werden davon in Mitleidenschaft gezogen, und da sie ihren Geist auch noch nicht trainiert haben, reagieren sie natürlich ebenfalls negativ.
Nehmen wir einmal unseren Tagesablauf und damit unseren Geistesablauf in die Hand, dann können wir unsere Reaktionen allmählich ändern. Der erste Schritt dazu ist, sich bewusst zu machen, dass der Buddha gesagt hat, es sei ein seltener Glücksfall, als Mensch mit einem gesunden Körper und intakten Sinnen geboren zu sein; und auch noch die Möglichkeit zu haben, die wahre Lehre zu hören und zu praktizieren. Wenn man sich dies mindestens einmal am Tag vergegenwärtigt, dann wird es wohl kaum möglich sein, mit der eigenen Situation unzufrieden zu sein, sondern man kann nur Dankbarkeit empfinden. Vielleicht wird man dann auch erkennen, dass man selbst seines eigenen Glückes Schmied ist, indem man alles, was einem begegnet, als Lernsituation betrachtet.
Nun gibt es natürlich, genau wie in der Schule, Lernsituationen, denen man nicht gewachsen ist. Man fällt durch. Dann muss man es eben noch einmal machen, genau wie in der Schule. Wir sind alle schon viele Male durchgefallen und bekommen immer wieder dieselbe Situation vorgesetzt, bis wir das Examen bestehen. Solange wir die Lektion noch nicht erkannt haben, ist es natürlich schwieriger. Untersuchen wir aber unsere Reaktionen, dann haben wir eine Chance, den Lernsituationen wirklich gewachsen zu sein. Weichen wir ihnen aus, kommen sie später wieder. Es kann sein, dass wir in diesem Moment ausweichen müssen, weil wir einfach nicht damit fertig werden. Das bedeutet aber nicht, die Lernsituation zu tadeln und andere dafür verantwortlich zu machen, sondern wir akzeptieren es einfach als unsere eigene Schwäche. Wir haben noch nicht genug Liebe und Mitgefühl in uns selbst entwickeln können, unser Herz noch nicht genügend kultiviert, dass wir mit so einer schwierigen Situation fertig werden können; das ist alles. Das ist die Wahrheit, alles andere ist Fantasie.
Es ist kein anderer oder die Umwelt daran schuld. Einzig unsere fehlende Liebe, unser fehlendes Mitgefühl und Verständnis bringen uns immer wieder in Schwierigkeiten. Diese haben wir alle, und jeder kennt seine eigenen. Für jeden gibt es dieselbe Lösung, unsere Schwierigkeiten sind nichts anderes als ein Hilfsmittel zum Wachstum. Dann haben wir eine ganz andere Beziehung dazu und können sagen: „Es ist wohl gerade das, was ich zu meinem Wachstum gebraucht habe, sonst wäre es ja wohl nicht bei mir erschienen.“ In dem Moment ist dann die Schwierigkeit nichts weiter als eine Aufforderung zum Wachsen. Wir können sie auch als eine Herausforderung ansehen, unsere stärksten Kräfte zu aktivieren. Was uns täglich passiert und zwar alles, ohne Ausnahme, ist genau das, was wir zum Wachstum brauchen. Nur dazu dient es, sonst wäre es nicht passiert. Sollten wir damit nicht fertig werden, so ist das auch in Ordnung.
Unsere Umwelt können wir auf zwei Arten als Spiegel verwenden. Den ersten Weg habe ich bereits beschrieben. Es ist immer wieder zu erkennen, dass das, was wir in dem anderen sehen, nur das ist, was wir in uns schon kennen, und wir nichts weiter vorgespielt bekommen als ein kleines Theaterstück, in dem wir selbst der Hauptdarsteller sind. Wir glauben ja sowieso, dass alle anderen nur Nebenrollen haben.
Es gibt noch einen anderen Weg, die Umwelt als Spiegel zu benutzen. Und es ist sehr, sehr wichtig, auch diesen Weg zu gehen. Aber im Allgemeinen werden wir von unseren Emotionen derartig überschüttet, dass wir diesen Weg gar nicht gehen können, denn es ist der Weg der Einsicht. Die Emotionen, die uns überschütten, sind häufig so stark wie Wellen im Ozean, unter denen wir dann stehen und nur noch das Wasser sehen und nicht mehr den Meeresspiegel erkennen können. Erst wenn sich die Wellen wieder geglättet haben, und der Meeresspiegel wieder ruhig und sichtbar geworden ist, können wir versuchen, durch den Meeresspiegel in die Tiefe zu schauen. Dasselbe gilt für unsere Emotionen; wenn wir uns ärgern, oder etwas dringend begehren, so werden wir nichts als Ärger, Begehren, Unzufriedenheit oder Ablehnung erleben. Wir können nicht mehr das Ganze sehen, sondern nur noch einen Teil davon. Je mehr wir uns von unseren Reaktionen frei machen können, desto einfacher ist es, den Einsichtsweg zu beschreiten und die Umwelt als Spiegel der absoluten Wahrheit zu benutzen.
Das erste, was ich erklärt habe, ist relative Wahrheit. Der andere ist ärgerlich, also sehe ich meinen eigenen Ärger. Wir können aber auch die absolute Wahrheit in unserer Umwelt erkennen, ob das andere Menschen sind oder ein Baum, Strauch, Blatt oder Grashalm – alles spiegelt Unbeständigkeit, Verfall, Krankheit und Tod wider, wir müssen nur hinschauen. Gewöhnlich haben wir die Tendenz, uns derart von der absoluten Wahrheit abzuschirmen, dass wir nur das sehen, was wir sehen wollen. Wenn wir eine Blume sehen, sehen wir entweder „hübsch“ oder „hässlich“, bei einem Baum sehen wir entweder „nützlich“ oder „im Weg“. Wenn wir einen Menschen sehen, so entscheiden wir entweder „netter Kerl“ oder „unmöglich“. Aber die Wirklichkeit schauen wir uns überhaupt nicht an, denn sie ist ganz anders. Die Wirklichkeit besteht erst einmal aus der Tatsache, dass alles, was entstanden ist, auch wieder vergehen muss. Sehen wir eine Blume, die hübsch ist, so ist sie wohl gerade im Entstehen oder in ihrer vollen Blüte, und wenn sie hässlich ist, dann ist sie im Verfall. Diesem Prozess sind wir ebenso unterworfen, nur mit einer längeren Zeitspanne.
Betrachten wir eine Blume, einen Baum oder irgendeine andere Naturerscheinung, dann sollten wir uns in diesen ewigen Wechsel miteinbeziehen. Der Tag weicht der Nacht, die Sonne dem Mond, die Sterne kommen und gehen, sind nicht mehr zu sehen, weil sich dieser Erdball die ganze Zeit dreht und bewegt, und sich das Universum ständig zusammenzieht und wieder ausdehnt. Wenn wir uns die Wahrheit anschauen, die in allem zu finden ist, und uns in diesen universellen Fluss der Dinge miteinbeziehen, dann bekommen wir eine andere Reaktion und ein anderes Gefühl für uns selbst und für die Welt um uns herum. Diese Welt spiegelt die ganze Zeit Unbeständigkeit, Verfall, Entstehen und Vergehen. Wir sind nicht nur ein Teil der Welt – jeder von uns ist die Welt. Ohne uns wäre überhaupt nichts erfassbar, denn es gäbe keinen, dem bewusst wäre, dass da eine Welt ist. Sehen wir die Bewegungen, das ständige Kommen und Gehen von allem, dann sind die momentanen Schwierigkeiten, denen jeder ausgesetzt ist, lange nicht mehr so belastend. Sie sind zwar noch genauso unangenehm, aber bestimmt nicht mehr so wichtig, denn sie fließen in demselben Fluss, in dem sich alles ständig verändert und wandelt.
Unsere Umwelt hat nur dann einen Sinn für uns, je weniger wir versuchen sie zu beherrschen, zu manipulieren oder als Zuschauer daneben zu stehen, sondern desto mehr wir uns mit einbeziehen, und sie als Spiegelbild unserer selbst betrachten. In der relativen Wirklichkeit sind andere Menschen unser Spiegel. In der absoluten Wirklichkeit beziehen wir die drei Daseinsmerkmale von allem Existierenden auf uns. Der Buddha lehrte als Erstes die Unbeständigkeit. Alles muss sich ändern und entschwinden durch Krankheit, Verfall und Tod. Natürlich, wenn diese Erkenntnis einem noch etwas fremd ist, muss man sie erst einmal untersuchen. Der Buddha hat nicht verlangt, dass man seinen Worten glaubt. Er hat verlangt, dass man genug Zutrauen hat, sie zu untersuchen, und selbst festzustellen, ob seine Erklärungen stimmen. Wir sollen nicht leichtfertig sagen: „Alles ist unbeständig.“ Das könnte jeder. Das hilft uns nicht weiter, denn dann kommt gleich der nächste Gedanke: „Alles ist wohl unbeständig, aber deswegen bin ich trotzdem unglücklich oder unzufrieden, ärgerlich oder wütend oder faul.“ Diese Unbeständigkeit muss uns etwas lehren, indem wir sie auf uns selbst beziehen. Tun wir das nicht, dann haben wir sie noch nicht erkannt.
Das zweite Daseinsmerkmal, die der Buddha lehrte, ist, dass in aller Existenz Dukkha enthalten ist. Dukkha ist jegliches Leid, jeder Schmerz, aber vor allem das Unerfülltsein, die Unzufriedenheit. Es ist die Unmöglichkeit, in der Welt die Erfüllung zu finden, die wir suchen. Warum? Weil alles sich ständig verändert und weil die Welt uns nicht geben kann, was sie nicht hat. Dukkha kennt jeder, nur nicht jeder gibt es zu. Die meisten Menschen glauben, dass jemand anderes es uns aus Unfreundlichkeit, aus Unverständnis, Faulheit oder Dummheit zugefügt hat. Manchmal glaubt man, es sei die Regierung, die Atombombe oder das Wetter, aber meistens sucht man sich einen persönlichen Sündenbock. Wir alle kennen Dukkha, aber wir lernen nichts daraus. Wir können alles, was um uns herum geschieht nach seinem Dukkha-Inhalt prüfen und als Lernsituation verstehen. Wir sollten nicht glauben, dass es irgendetwas gäbe, das uns speziell Dukkha machen will. Unsere eigenen Reaktionen entscheiden darüber, ob wir daran reifen, indem wir Dukkha als unseren Lehrmeister annehmen.
Der Buddha hat Dukkha sehr schön und ganz einfach formuliert, nur leider können sehr wenige Menschen etwas damit anfangen. Nach seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum im heutigen Bodhgaya im Norden Indiens hat der Buddha die vier Edlen Wahrheiten als die Essenz der menschlichen Existenz beschrieben. Die erste Edle Wahrheit ist, dass Existenz mit Dukkha angefüllt ist, und die zweite Edle Wahrheit erklärt, dass es nur einen einzigen Grund dafür gibt, nämlich das Begehren. Es ist so einfach, dass wir eigentlich innerhalb von ein paar Minuten sofort wissen müssten, wie wir unser ganzes Dukkha loswerden können. Dennoch erkennen es nur wenige. Begehren bedeutet etwas zu wollen, zu erreichen oder loszuwerden. In dem Moment, wo wir etwas wollen oder nicht wollen, ist Dukkha da. In dem Moment, wo wir loslassen, ist Dukkha weg. Wenn wir unsere Umwelt dazu benutzen, uns das zu zeigen, so haben wir es richtig angepackt.
Wir können Dukkha an unseren Reaktionen erkennen. Wenn wir etwas haben oder festhalten wollen, so erleben wir immer Angst. Wir fürchten, es nicht zu bekommen oder sollten wir es doch bekommen, es wieder zu verlieren. Wir brauchen eigentlich gar nichts anderes zu wissen, als die erste und zweite Edle Wahrheit und uns danach zu richten. Leider gibt es wenige Menschen auf der Welt, die sich überhaupt daran erinnern, auch wenn sie es schon hundert Mal gehört oder gelesen haben. Die Menschen, die sich eventuell noch an diese Wahrheit erinnern, vergessen meistens, sie zu praktizieren. So kommen immer wieder neue Wünsche, neue Ablehnungen, neues Wollen und neues Dukkha, und wir glauben immer wieder, dass wir schlecht behandelt worden sind oder besonderes Pech haben, oder dass wir die äußere Situation verändern müssen. Äußere Situationen sind natürlich veränderlich, aber wenn wir innen nichts ändern, dann nutzt es wenig.
Der spirituelle Weg ist der Weg nach innen. Dort ist alles zu finden, was wir brauchen. In uns selbst lebt tiefes Glück, vollkommener Frieden, absolute Reinheit, totale Liebe und Mitgefühl. Wir müssen nur das, was alles überdeckt, loslassen.
Die Schwierigkeit in der Meditation ist auch das Loslassen von dem, was ich denke, möchte, beurteile, verurteile, erkenne oder ablehne. Sollte die Meditation einmal ohne Denken vonstattengehen, kann man diesen inneren Glücks- und Friedensgefühlen näherkommen, sie erleben und einmal aus eigener Erfahrung erkennen, dass sie wirklich in uns sind. Dies ist das Trainieren des Geistes und das Kultivieren des Herzens.
Wollen wir unserem Herzen zum Wachstum verhelfen und ihm immer wieder die Aufgabe geben, geläuterter und liebevoller zu werden, so sieht unsere Umwelt ganz anders aus. Die Leute mögen alle dieselben sein, sie mögen dieselben Dummheiten machen, die sie immer gemacht haben – wir haben ja sowieso keine Möglichkeit, das zu ändern – wenn wir aber uns ändern, verändert sich die Welt. Es ist interessant und nachvollziehbar, wenn in uns selbst Liebe und Mitgefühl mehr kultiviert sind, dass dies automatisch einen Widerhall findet, gleich einem Echo. So ist es sehr schwierig, einem liebenden Menschen hasserfüllt gegenüber zu stehen, noch dazu einem Menschen, der sich von dem Hass überhaupt nicht beirren lässt, sondern weiter liebevoll ist. Das fällt jedem schwer.
Das heißt also, was wir in uns selbst kultivieren, das finden wir dann auch um uns herum. Wenn wir unsere Gedanken und unser Erkennen immer wieder in die Richtung bringen, wo wir absolute Wahrheit um uns herum sehen, nicht immer nur diese relative „Ich-Bezogenheit“, dann ist es auch viel einfacher, geläuterte Reaktionen zu haben. Alles, was individuell und relativ ist, hat nicht mehr so viel Wichtigkeit, weil wir etwas Größeres, Universelles erkannt haben.
Die Meditation muss einem dazu verhelfen, die Lehre des Buddha tief zu durchdringen. Ohne Hilfe sind wenige Menschen in der Lage, solche tiefen Einsichten zu erlangen. Deshalb brauchen wir die Anweisungen eines spirituellen Pfades, in dem alles enthalten ist.