Читать книгу Misericordia. Die sieben Werke der Barmherzigkeit - B. Movie - Страница 5

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Prolog

»Hey, Arschloch!«, brüllte Samael erzürnt in sein Handy, als er aus der Tür des Devil’s Joint gestürmt kam. »Ruf mich verdammt nochmal zurück, wenn du das hier hörst! Dieser Mistkerl ist einfach nicht aufgetaucht!« Samael beendete die Ansage abrupt und ließ das Handy in die Innentasche seiner Motorradjacke gleiten. Sollte ihn dieser erbärmliche Hundesohn wirklich verarscht haben, würde er es bitter bereuen.

Es war Ende Dezember, genau genommen Heiligabend, und die Straßen waren noch leerer und kahler als an den übrigen 364 Tagen des Jahres. Während die reichen Leute mit ihren Familien vor dem Kamin saßen, kitschige Weihnachtslieder sangen und darauf warteten, am nächsten Morgen das glitzernde Gold- und Silberpapier von ihren iPhones und iPads reißen zu dürfen, hatte sich der Abschaum von Nether’s End in den zahlreichen Kneipen und billigen Nachtclubs der Stadt versammelt, um seinen Kummer in Alkohol zu ertränken und mit purer Lust zu betäuben. Lediglich drei mit Anabolika vollgepumpte Skinheads befanden sich in der dunklen Gasse vor dem Devil’s Joint und traten brutal auf einen im Schnee liegenden Schwarzen ein.

Samael klappte den Kragen seiner Motorradjacke nach oben, als der schneidende Wind den Schnee in seine Richtung zu peitschen begann. Er hasste dieses Wetter, aber im Moment hatte er keine andere Wahl, als hier draußen darauf zu warten, dass Midas ihn endlich zurückrief. Drinnen würde sich Samael jedenfalls nicht mehr blicken lassen können, zu sehr hatte er seinem Unmut über die gegenwärtige Situation Luft gemacht. Die Rushmore Gang würde ihn auf der Stelle zerfetzen, sollte er den Laden noch einmal betreten. Ungeduldig schirmte Samael den kalten Wind mit einer Hand ab und zündete sich eine Zigarette an. Seinen Blick ließ er wachsam über die Umgebung schweifen.

Das Devil’s Joint befand sich am äußersten Rand von Nether’s End und nur eine ganz spezielle Klientel wagte sich hierher. Die Mauern waren mit Graffiti beschmiert und an den Laternen hingen vereinzelt Wahlplakate mit rechtsradikalem Inhalt darauf. Nur weißes Blut ist reines Blut!, Nieder mit den Parasiten! und Raus aus unserem Land! prangten dort in riesigen Lettern. Ansichten, die die meisten der hier lebenden Menschen teilten. Samaels Hass konzentrierte sich hingegen nicht nur auf Ausländer. Er hasste jeden, der mit einem Lächeln auf den Lippen durchs Leben gehen konnte.

»Was glotzt du so?«, rief in diesem Moment einer der kahlgeschorenen Schläger, die von dem Schwarzen auf dem Boden abgelassen hatten. Seine beiden Lakaien bauten sich hinter ihm auf. Der eine hatte einen auffälligen Goldzahn, der andere hatte sich das Wort Shithead in unsauberen Buchstaben auf die Stirn tätowieren lassen. Samael hatte selten so etwas Dämliches gesehen.

»Kommt schon, Leute, das wollt ihr nicht wirklich«, seufzte er ärgerlich, warf seine Kippe zu Boden und trat sie aus. Für das, was gleich kommen würde, wollte er die Hände freihaben. Die zertretene Zigarette unter seinem Stiefel war die letzte in der Schachtel gewesen und das würden diese Dreckskerle auch gleich zu spüren bekommen.

»Halt einfach die Klappe und schieb deine Kohle rüber«, meinte der Anführer der Gang feindselig, während er den Baseballschläger, den er in seiner Hand hielt, demonstrativ in die andere klatschen ließ. »… und deine gottverdammte Jacke!«

Provokant und ein bisschen gelangweilt streifte sich Samael seine Motorradjacke vom Rücken, wobei ein silberner Revolver in seinem Hosenbund zum Vorschein kam. Lässig steuerte er auf die Skinheads zu. Diese wichen beim Anblick des Revolvers erschrocken zurück, doch es war bereits zu spät. Wenn Samael schon auf den Rückruf von Midas warten musste, konnte er sich die Zeit ebenso auf diese Weise vertreiben. Ohne Vorwarnung krallte er seine linke Hand in das Gesicht des Nazis mit dem Goldzahn und drückte zu. Immer weiter zerquetschte er es, während die anderen beiden Skinheads machtlos daneben standen. Schockiert starrten sie auf die Szene und auf Samaels Revolver.

Panisch ließ der Anführer der Gang den Baseballschläger fallen und stolperte nach hinten. Samael packte seinen Kumpel, hob ihn hoch und schmetterte ihn gegen die Wand. Der Schädel knirschte. Knochensplitter, Blut und Gehirnmasse liefen die Wahlplakate hinab. Nur weißes Blut ist reines Blut.

»Will sonst noch jemand meine Jacke haben?«, forderte Samael die beiden übrigen Skinheads heraus, während er ihnen das Kleidungsstück streitsüchtig entgegenstreckte. Die dunklen Flecken im Schritt der Feldhosen der Nazis verrieten, dass sie das Interesse an der Jacke verloren hatten. Der Anführer rannte los und schubste seinen verbliebenen Bluthund unsanft zur Seite, um sich auf diese Weise einen unehrenhaften Vorsprung zu verschaffen. Samael wartete einen Moment, dann zog er seinen Revolver und drückte ab. Genickschuss. So erledigte man einen räudigen Köter. Vorneüber kippte der Anführer in den Schnee. Nieder mit den Parasiten.

Shithead stand zitternd vor Samael und Tränen rannen seine Wangen hinab. Leise wimmerte er. Er hatte ja schon Vieles erlebt, aber solch unmenschliches Verhalten hatte er noch nie gesehen. Samael musterte ihn schweigend und bedeutete ihm wohlwollend zu gehen. Eine weitere Patrone würde er für diese Bande von Weicheiern bestimmt nicht vergeuden. Darum sollte sich einer der ruhmreichen Polizisten dieser Stadt kümmern. Winselnd suchte Shithead das Weite. Raus aus unserem Land.

Samael wandte sich der Sauerei zu, die er soeben angerichtet hatte. Das Rot des Blutes bildete einen hübschen Kontrast zum Weiß des Schnees. Beinahe kunstvoll. Angewidert strich sich Samael einen Brocken Kleinhirn von der Schulter und betrachtete den bedauernswerten Schwarzen, der unter dem ehemals glatzköpfigen Körper des nun kopflosen Skinheads begraben war. Er lag mit dem Gesicht nach unten im kalten, kristallinen Nass und stöhnte leise. Die Schläger hatten ihn – rücksichtslos wie sie waren – am Leben gelassen.

Seufzend streifte sich Samael seine Jacke über und richtete seinen silbernen Revolver auf das erbärmliche Stück schwarze Scheiße, bevor es vollends zu Bewusstsein kommen konnte. Mitleidslos hatten es seine Eltern im Rausch ihrer Triebe in diese rassistische Welt gesetzt, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, was sie ihm damit antaten. Doch Samael würde es aus diesem schrecklichen Albtraum befreien. Danken konnte er es ihm dann in der Hölle. Der ohrenbetäubende Knall bahnte sich seinen Weg durch die dunklen Gassen der Vorstadt.

Samael wischte sich die Blutspritzer aus dem Gesicht und beugte sich zu den beiden vor ihm liegenden Toten hinab. Der Schwarze hatte ihm nichts getan, aber der Pisser von einem Nazi war schuld daran, dass Samael keine Kippen mehr hatte. Irgendwo musste der Skinhead doch welche bei sich haben. Ungeduldig durchsuchte Samael dessen Taschen, bis er schließlich fündig wurde. Genüsslich zündete er sich eine an. Im Kopf überschlug er, was wohl teurer gewesen war: die Zigaretten oder die Kugeln, die er für diesen Abschaum hatte verschwenden müssen.

Cells, der Song aus dem Trailer von Sin City, ertönte, woraufhin Samael reaktionsschnell nach seinem Handy griff. »Wo ist der Wichser?«, war das Erste, was er seinem Gesprächspartner wütend entgegenspuckte.

»Reg dich ab, Samael, er wird schon noch kommen«, ertönte Midas’ ruhige Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Casinobesitzer war einer der wenigen, denen beim Umgang mit Samael nicht sofort der kalte Schweiß ausbrach.

»Ich warte schon verdammte zwei Stunden«, knurrte Samael aufgebracht und zog ein weiteres Mal an seinem Glimmstängel. Das Nikotin hatte schon vor langer Zeit aufgehört, bei ihm zu wirken, doch er war immer noch süchtig danach.

»Vielleicht hat ihn ja der Ku-Klux-Klan erwischt«, entgegnete Midas düster. Er selbst hatte sich schon häufig an ihren illegalen Aktionen bereichert. Und wenn es nur ein einfaches Sponsoring dafür gewesen war, ihm einen unliebsamen Konkurrenten vom Hals zu halten.

»Moment.« Samael hielt inne. »Ist dieser Kerl etwa schwarz?«

»Ja, hab ich dir das etwa nicht erzählt?«, antwortete Midas skeptisch. »Ich bin mir eigentlich sicher, es erzählt zu haben.«

»Kann sein …«, brummte Samael missmutig. Angespannt blies er den Rauch seiner Zigarette in die kühle Nachtluft hinaus. »Aber du hast nicht zufällig auch erzählt, dass er zirka einen Meter achtzig groß ist und schwarze Rastalocken trägt?«

»Wieso? Hast du ihn etwa doch schon gesehen?« Midas klang verärgert. Er hasste es, wenn jemand seine Zeit verschwendete. Er konnte sie genauso gut darauf verwenden, verzweifelten Familienvätern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

»Vielleicht.« Mit dem Fuß drehte Samael den zerschundenen Körper des toten Schwarzen auf den Rücken. Der Junge war nicht einmal 18 Jahre alt. »Könnte sein, dass ich ihm aus Versehen ’ne Kugel in den Hinterkopf gejagt habe.« Am anderen Ende der Leitung war lautes Gelächter zu hören.

»Was ist daran so witzig?«, fragte Samael gereizt, während er sich zu dem Leichnam seines vermeintlichen Informanten hinunterbeugte. In der Jackentasche fand er den Abholschein einer chinesischen Textilreinigung – Kunde: Uriel Owusu. Das war der vermaledeite Mistkerl, auf den er die ganze Zeit gewartet hatte!

»Nichts«, versuchte Midas sein Lachen zu unterdrücken. »Aber dank dir bin ich jetzt ’nen Tausender reicher. Gestas wird ganz schön sauer sein.«

Genervt drückte Samael Midas weg und betrachtete stattdessen den leblosen Körper von Uriel. Wut stieg in Samael auf. Verzweiflung. Von dem Toten hatte er die Informationen erhalten sollen, die er für das Auffinden des Scheusals benötigte, das er für all das hier verantwortlich machte. Es war nicht mehr als eine verschwommene Erinnerung: Der Fremde hatte Samaels Familie zerstört. Er hatte sie in den finanziellen Ruin getrieben, Samaels Mutter getötet und ihnen sämtliches Ansehen geraubt. Samael hatte alles verloren und lebte seitdem in Armut und Schande. Dieses Scheusal war der Grund, warum Samael ein Leben als Verbrecher fristete. Ein Leben unter Abschaum und Maden. Und trotzdem würde dieser Mistkerl ein weiteres Mal damit davonkommen.

Misericordia. Die sieben Werke der Barmherzigkeit

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