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Einleitung

Wenn wir die unser Land betreffenden Nachrichten, die Tag für Tag auf uns einprasseln, auf einen gemeinsamen Nenner bringen wollen, bietet sich das Wort »Selbstzerstörung« an. Von einer bloßen Krise kann kaum noch die Rede sein, wenn wir – oder zumindest die noch zu politischem Urteil Befähigten unter uns – die Verheerungen betrachten, von denen Politik und Wirtschaft, Kultur und Bildungssystem, öffentliche Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt betroffen sind, darunter:

• die sogenannte Eurorettung und die »Corona-Hilfen« für angeblich besonders betroffene Länder, die Deutschlands Sparer Hunderte Milliarden Euro kosteten bzw. noch kosten werden;

• eine Energie- und Mobilitätswende, die unsere Schlüsselindustrien opfert und die Stromversorgung gefährdet;

• die »Flüchtlingskrise« als Teilaspekt einer umfassenden Migrationsagenda, die in wenigen Jahren Millionen bildungsferne Einwanderer aus fremden Kulturkreisen ins Land spülte und fortwährend weiter betrieben wird;

• die Verfestigung muslimischer Parallelgesellschaften und über diese hin­aus ein Vordringen islamischer Sitten, auf die auch Nichtmuslime – unter Verzicht auf eigene Traditionen – »Rücksicht« nehmen sollen;

• eine demographische Entwicklung, die Deutsche in absehbarer Zeit zu Fremden im einstmals eigenen Land machen wird und in vielen Städten bereits gemacht hat;

• wachsende Gewaltkriminalität junger Männer mit Migrationshintergrund gegen Einheimische und die ständige Gefahr von Terroranschlägen;

• die Enteignung des Bürgers durch immer höhere Steuern und Abgaben, für die er eine marode Infrastruktur und immer weniger staatliche Leistungen erhält;

• ein Bildungssystem, das Millionen Analphabeten produziert;

• ein jährlicher hunderttausendfacher Brain Drain bzw. die Abwanderung gutausgebildeter Leistungsträger in Länder, in denen ihre Fähigkeiten höher geschätzt werden;

• und eine Regulierung der öffentlichen Meinung durch Tabus, Sprechverbote, Formulierungsvorgaben, Gesinnungsschnüffelei, Überwachung, Bespitzelung, Versammlungsverbote, »Cancel Culture« und andere Formen der Repression – zuletzt besonders unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung –, die man früher nur von totalitären Staaten kannte.

Gegen all diese Tendenzen regt sich zwar Widerstand, aber noch immer werden die für diese Entwicklungen politisch verantwortlichen Parteien von breiten Mehrheiten gewählt. Der Vorwurf, die politische Klasse habe eine Art Diktatur etabliert, greift also zu kurz; stattdessen hat sich der Begriff »Postdemokratie« für das höchst beunruhigende Phänomen eingebürgert, dass zahlreiche Bürger offenbar freiwillig eine Politik unterstützen, die ihnen objektiv schadet. Diskussionen darüber sind nur schwer möglich, da oft bereits die Benennung der soeben aufgezählten Tatsachen empört zurückgewiesen und mit begrifflichen Tabus belegt wird. Während der Totalitarismus klassischer Diktaturen von nahezu der gesamten Bevölkerung als unerträglicher Zwang und Unterdrückung empfunden wurde, gilt dies für seine »sanfte«, spät- oder postdemokratische Variante nicht mehr. Im Gegenteil: Viele Bürger glauben sogar, sich mutig für die Demokratie zu engagieren, wenn sie an Demonstrationen teilnehmen, zu denen die Regierung selbst aufgerufen hat, und beteiligen sich an der Denunziation Andersdenkender, die sie als »Zivilcourage« bezeichnen.

Für diejenigen, die bereit sind, diese Entwicklung zu erkennen, stellt sich die Frage nach ihren Ursachen. Handelt es sich dabei um kontingente Faktoren wie Inkompetenz, Korruption, Macht- und Geldgier politischer Entscheidungsträger, die man abwählen könnte, oder um einen systemisch bedingten Missbrauch demokratischer Strukturen durch die politische Klasse, dem durch Reformen und mehr Bürgerpartizipation beizukommen wäre, oder gar um Verfallstendenzen, denen das demokratische System insgesamt unterliegt?

Vor der Wiedervereinigung hätten nur wenige solche Fragen gestellt; trotz mancher Gründe zur Unzufriedenheit war die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik mit der Demokratie in Deutschland zufrieden, sah das Grundgesetz – zu Recht – als Ergebnis der Lehren, die aus den Katastrophen der deutschen Geschichte gezogen wurden, und hielt die westliche, freiheitliche Gesellschaftsform im Systemvergleich mit dem Kommunismus für prinzipiell überlegen. Auch in den neuen Bundesländern war die Zustimmungsrate nach dem Beitritt hoch und hielt sich in den folgenden Jahren in West- und Ostdeutschland auf hohem Niveau, auch wenn es, bedingt durch die Art der »Abwicklung« der DDR, während der neunziger Jahre im Osten zu einer Abnahme der Zufriedenheit kam. Nach der Jahrtausendwende stieg die Anzahl der Unzufriedenen vor allem aufgrund der Euro- sowie der weltweiten Finanzkrise jedoch deutlich an – im Osten mehr als im Westen –, und in jüngster Vergangenheit führte die Migrationspolitik der Bundesregierung nicht nur zu einer Abwendung beträchtlicher Teile der Bevölkerung, insbesondere in Ostdeutschland, von den schrumpfenden vormaligen »Volksparteien«, sondern auch vom »real existierenden« demokratischen System. Diese Entwicklung ist umso besorgniserregender, als sie breite bürgerliche Schichten erfasst hat.1

Betrachtet man die – natürlich oft unreflektiert vorgetragene – Kritik an Demokratie und Parteienstaat näher, lässt sich feststellen, dass Verschiedenes in Frage gestellt wird:

1. Das Funktionieren der Demokratie

Dabei wird vorausgesetzt, dass die grundgesetzliche Ordnung noch intakt sei, durch das Verhalten der Parteien aber nicht mehr hinreichend mit der »Verfassungswirklichkeit« zur Deckung gelange.

2. Die Demokratie des Grundgesetzes

In den Augen dieser Kritiker wird die Demokratie bereits auf Verfassungsebene nicht ausreichend verwirklicht: Das Grundgesetz sei nur ein Kon­strukt nach dem Willen der Siegermächte, ein Provisorium der Besatzungszeit, das nach der Wiedervereinigung durch eine wirkliche, vom Volk selbst verabschiedete Verfassung hätte ersetzt werden müssen. Da dies nicht der Fall gewesen sei, ermangele ihm die Legitimität. Oder, noch weitaus radikaler: Das GG sei im Zuge der Wiedervereinigung, von der Bevölkerung weithin unbemerkt, beseitigt worden, und eine illegitime Regierung gaukle dem Volk dessen weitere Geltung lediglich vor. Nach dieser vor allem von sogenannten »Reichsbürgern« vertretenen Auffassung ist die Bundesrepublik Deutschland mangels gültiger Verfassung überhaupt keine Demokratie, ja nicht einmal mehr ein Staat, sondern lediglich ein Wirtschaftsunternehmen, das Menschen, die sich noch immer irrtümlich für Bürger halten, als sein »Personal« beschäftigt und ausbeutet.

3. Die Demokratie als politische Ordnung allgemein

Eine generelle Ablehnung der Demokratie aus monarchistischer oder »führerstaatlich«-faschistischer Sicht ist nach 1945 nur noch in sehr kleinen isolierten Nischen vertreten worden; die marxistische Kritik an der »bürgerlichen (Klassen-)Demokratie«, die noch durch eine sozialistische »Volksdemokratie« vollendet werden müsse, die das Privateigentum der Produktionsmittel abschaffe und wirkliche Gleichheit herstelle, spielt seit 1990 ebenfalls keine Rolle mehr.

Abgesehen von diesen ideologischen Restbeständen gibt es heute eine – in Deutschland wenig bekannte, sondern eher in den USA vertretene – intellektuelle Demokratiekritik aus libertärer Perspektive, die monarchistische und »anarchokapitalistische« Positionen verbindet. Nach dieser Position wird die Demokratie nicht nur falsch umgesetzt, sondern ist bereits in der Theorie ein schädliches Gesellschaftsmodell, das durch eine »natürliche Ordnung« ersetzt werden sollte. Wir werden sehen, dass diese Kritik den Finger in manche Wunden legt, auch wenn man ihren radikalen Konsequenzen nicht folgen muss.

Neben der philosophischen, bis in die Antike zurückreichenden Demokratiekritik gibt es die »theokratische« Kritik des radikalen Islam, der jede säkulare Gesellschaftsform bekämpft. Aufgrund der muslimischen Einwanderung spielt sie mittlerweile auch in Europa eine Rolle, auch wenn die meisten Muslime (und ihre nichtmuslimischen Lobbyisten) – sei es aus mangelnder Vertrautheit mit den eigenen religiösen Lehren oder deren halbherziger Umsetzung, sei es aus bewusster Täuschung der »Ungläubigen« (Taqiyya) – die Unvereinbarkeit des Islam mit der Demokratie bestreiten. Sowohl der Koran als auch die politische Realität in muslimischen Ländern sprechen indes eine andere Sprache (was selbstverständlich nicht bedeutet, dass auch die meisten Muslime die Demokratie ablehnen würden).

Insgesamt zeigt sich, dass die Demokratie in Deutschland und der gesamten westlichen Welt in großer Gefahr ist und ihre Transformation bis hin zur völligen Zerstörung all dessen, was wir unter Demokratie verstehen, droht. Allerdings wird ihre Abschaffung nicht von heute auf morgen durch eine Revolution oder einen Staatsstreich stattfinden, sondern sie vollzieht sich, wenn es so weit kommt, eher als allmähliche, schleichende Zersetzung des Systems von innen heraus. Kritische Bürger, die von der veröffentlichten Meinung als »rechtspopulistische« Demokratiefeinde geschmäht werden, tragen selbst am wenigsten zu diesem Prozess bei, sondern benennen ihn lediglich auf mehr oder weniger angemessene – und manchmal auch missverständliche – Weise. Sie sind gleichsam der Seismograf, der das aufkommende Erdbeben anzeigt und dafür zerschlagen wird. Allerdings ist die Entdemokratisierung kein Naturereignis, sondern wird von der politischen Klasse – unter formaler Beibehaltung demokratischer Wahlen – herbeigeführt. Dabei wirken bewusste und willentliche Maßnahmen wie die Ausschaltung oder Marginalisierung politischer Konkurrenten durch ständige Verunglimpfung, Verdrängung aus den Massenmedien, geheimdienstliche Beobachtung usw. mit allgemeinen Verfallstendenzen zusammen.

Der Verfall der Demokratie vollzieht sich auf also mehreren Ebenen. Immanente Tendenzen zur Selbstzerstörung werden von externen, historisch kontingenten Faktoren verstärkt.

Erstere wurden bereits in der Antike wahrgenommen und von den Kritikern der attischen Demokratie problematisiert. Diese Philosophen gingen davon aus, dass die verschiedenen politischen Verfassungen aufgrund jeweils charakteristischer Verfallstendenzen spezifische »Entartungsformen« hervorbringen, auf die dann andere Staatsformen folgen. Insgesamt solle es dadurch zu einer Art Kreislauf der Verfassungen kommen, der dem Zyklus des Werdens und Vergehens in der Natur entspreche. Ausgehend von der Zahl der jeweils Herrschenden wurden bereits die drei Grundtypen der Monarchie, Aristokratie und Demokratie unterschieden und aus ihnen die jeweiligen Verfallsformen abgeleitet, in denen nicht mehr das Interesse der Allgemeinheit, sondern das eines Einzelnen oder einer Gruppe vorherrsche.

Wenn dies zutrifft, ist also auch die Demokratie auf eine ihr immanente Weise aus sich selbst heraus bedroht und fragil. Um ihre problematischen Züge einzudämmen, hat Aristoteles eine Kombination demokratischer Elemente mit solchen anderer Staatsformen, also eine »gemischte Verfassung«, vorgeschlagen.

Neben diesen Faktoren, die für die Demokratie überhaupt kennzeichnend sein sollen, gibt es solche, die aus den jeweiligen nationalen und historischen Eigentümlichkeiten folgen. So kann ein Land etwa aufgrund seiner heterogenen Bevölkerungsstruktur, konfessionellen Gegensätze, historischen Erblasten (Sklaverei, Totalitarismus, Massenmorde etc.), sozialen Spannungen, ökonomischen Probleme, aber auch wegen seiner exponierten Lage und feindlicher Aggressionen am Aufbau einer Demokratie scheitern oder überhaupt daran gehindert werden, eine eigene Staatlichkeit auszubilden. Bekanntlich galt Deutschland lange Zeit als »verspätete Nation«, bei der die Demokratisierung aufgrund einer besonderen Neigung zu Militarismus, autoritärem Untertanengeist und reaktionärem Romantizismus verzögert verlaufen und erst spät – und nicht zuletzt unter äußerem Zwang – erfolgt sei.

Im heutigen Deutschland, um das es hier vor allem geht, sind als problematische interne Faktoren paradoxerweise die geistigen Folgen der totalen Niederlage von 1945 zu nennen, obwohl diese zunächst einmal die Vor­aussetzung der (Re-)Demokratisierung nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus gewesen ist. Einerseits sollte durch die Reeducation die nationalsozialistische Gesinnung ausgemerzt und der Boden für eine demokratische Entwicklung bereitet werden; andererseits handelte es sich bei der Demokratisierung durch die amerikanische Siegermacht aber um einen passiv erduldeten Vorgang, der langfristig zu einem Identitätsverlust führte, der heute sowohl den ethnischen Fortbestand Deutschlands als auch seine demokratische Verfasstheit bedroht. Geistig verinnerlicht wurde die äußerlich betriebene »Umerziehung« erst durch die von der Frankfurter Schule intellektuell begründete »Kulturrevolution« von 1968. Diese pflegte zwar einen oberflächlichen Antiamerikanismus und richtete sich vordergründig gegen den US-Imperialismus, übernahm aber die intellektuellen Moden, die später zur Herrschaft der Political Correctness (PC) als einem der wichtigsten psychosozialen Aspekte der Entdemokratisierung führten.

Unter dem Diktat der Politischen Korrektheit verkam die Demokratie von einem Verfahren, Legitimität durch eine mehrheitsgebundene Fundierung der Regierungsgewalt sowie durch die Konstruktion einer Gleichheit von Herrschenden und Beherrschten zu erzeugen, zu einer Weltanschauung mit totalitären Zügen. Als demokratisch gilt seitdem nicht mehr in erster Linie die korrekte Durchführung von Wahlen, um den Willen der Bevölkerungsmehrheit zu ermitteln und durchzusetzen, sondern das ritualisierte Bekunden der »richtigen«, d.h. öffentlich akzeptierten Meinung bzw. die Einhaltung bestimmter Tabus. Abweichungen werden mit dem Ausschluss aus dem Diskurs der selbsternannten Demokraten sanktioniert. Die konkreten Inhalte der PC können dabei durchaus – und zuweilen überraschend schnell – wechseln, wenn sich die gesellschaftlichen Mehrheits- und Opportunitätsverhältnisse ändern; so konnte in den letzten Jahren eine deutliche Verlagerung der ideologischen Schwerpunkte der PC von der »Vergangenheitsbewältigung« in Bezug auf die Verbrechen des Dritten Reiches hin zu den Wünschen und Befindlichkeiten von Einwanderern beobachtet werden, wobei die Ignoranz gegenüber islamischem Antisemitismus, an der auch einige oberflächliche Distanzierungen wenig ändern, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte irritiert.

Trotzdem sind gewisse Grundideologeme der PC wie »Gleichheit« (z.B. als angebliche Gleichartigkeit von Mann und Frau oder als postulierte Gleichwertigkeit unterschiedlicher Kulturen), »Vielfalt« (als Zusammen- oder eher Nebeneinanderleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen), der soziale Primat (nach dem alle Konflikte lediglich soziale Ursachen haben sollen) und »Toleranz« (die stets Fremden, nicht aber dem Selbstbehauptungswillen des eigenen Volkes gilt) bislang erhalten geblieben. Veränderungen, wie etwa Abstriche bei den Frauenrechten zugunsten der »Toleranz« gegenüber dem Islam, sind in absehbarer Zeit aber möglich und zu erwarten. Die Politische Korrektheit ist, trotz des vollmundigen Pathos angeblicher »Demokraten«, die diesen totalitären Ungeist pflegen, ein Nährboden der Entdemokratisierung, die sich in ihrem Drang zu immer neuen repressiven Quoten, Verordnungen, Überwachungs- und Erziehungsmaßnahmen zeigt.

Unter den externen Faktoren, die auf die Demokratie in Deutschland schädlichen Einfluss nehmen, kann der Druck verstanden werden, der von anderen Nationen, weltumspannenden Konzernen und supranationalen Organisationen ausgeübt wird. Hier sind vor allem der Verzicht auf demokratische Souveränitätsrechte im Rahmen der EU, die aus ökonomischen Interessen vorangetriebene Globalisierung, die imperiale Machtpolitik der USA – und zunehmend Chinas –, die Zerstörung der deutschen Gesellschaft durch ungeregelte Einwanderung sowie die von in- und ausländischen Institutionen geförderte und längst zum demographischen Selbstläufer gewordene Islamisierung zu nennen.

Aufgrund der generellen Unschärfe gesellschaftlicher und kultureller Begriffe und Relationen, die niemals in exakte mathematische Verhältnisse zu übersetzen sind, hat die Unterscheidung interner und externer Faktoren nur einen Orientierungswert, da sich diese wechselseitig beeinflussen und verstärken können. Alles ist in ständiger Bewegung, und jede Betrachtung beruht auf standpunktbezogener, interessegeleiteter Selektion und Fixierung des unendlich Komplexen und Veränderlichen.

Schließlich kann die Zerstörung der Demokratie auch vor dem Hintergrund einer geistigen Selbstauflösung des abendländisch-europäischen Bewusstseins gesehen werden. Der Philosoph Frank Lisson hat mehrere Ursachen des »kulturellen Selbsthasses« benannt, der für das späte Abendland – und nur für dieses – charakteristisch sei. Seinen Ursprung sieht er bereits in der Übernahme des Christentums und der Aneignung der antiken Kultur durch die germanischen Völker, die dadurch in einer doppelten Weise »überfremdet« und von ihren eigenen Wurzeln abgeschnitten worden seien.2 Aber auch das Christentum selbst sei bereits eine hybride Mischung aus Judentum und antikem Geist gewesen und an der Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen, bzw. dem Widerspruch zwischen der Unterordnung unter göttliche Gebote und kirchliche Dogmen und dem freiheitlichen Geist der klassischen Philosophie zugrunde gegangen. Insbesondere gelte dies für den Protestantismus, der die christliche Tendenz zu Weltschmerz, Unbehaustheit und »transzendentaler Obdachlosigkeit« auf die Spitze getrieben habe.3

Auch wenn die Zerrissenheit der abendländischen Kultur enorme Energien freigesetzt und den jahrhundertelangen Vorrang des neuzeitlichen Europa in Philosophie, Kunst, Wissenschaft, Technologie, Politik und Ökonomie begründet habe, sei sie letztlich die Triebfeder hinter der Selbstaufgabe der europäischen Völker und der Nivellierung ihrer vielfältigen Kulturen in der technokratischen Zivilisation des Globalismus gewesen.

Diese Gedankengänge weisen über das Thema dieses Buches hinaus und können nicht im Einzelnen weitergeführt werden. Sie sind allerdings im Hinterkopf zu behalten, wenn wir an vielen Beispielen feststellen müssen, dass die Verfallserscheinungen unserer Demokratie ebenso wie die Zerstörung unserer deutschen Identität ihre Parallelen in ganz Nord- und Westeuropa sowie in Nordamerika haben – also überall dort, wo die vorherrschende Kultur vor allem auf germanisch-protestantischen Fundamenten ruht. In den katholischen Ländern Südeuropas und Südamerikas sowie vor allem im orthodoxen Osteuropa sind diese Tendenzen weniger gravierend. Die deutsche Situation nach zwei Weltkriegen, Nationalsozialismus und amerikanischer Reeducation ist also als besonders dramatische Ausprägung dieses Prozesses innerhalb eines umfassenden westlichen oder »abendländischen« Kontextes zu sehen.

Die Gliederung dieses Buches ergibt sich aus den sachlichen und historischen Zusammenhängen: Wenn wir die Ursachen der Selbstzerstörung der Demokratie erfassen wollen, müssen wir zunächst klären, worin deren Prinzipien und spezifische Gefährdungen liegen. Unsere Überlegungen führen uns zu den Fragen nach der Aufgabe der Politik überhaupt sowie nach dem Wesen der Souveränität. Von Volkssouveränität kann allerdings nur gesprochen werden, wenn es überhaupt ein Volk gibt, so dass wir nach dessen Identität fragen müssen. Von diesen allgemeinen Betrachtungen gehen wir zur Identität des deutschen Volkes über und beschreiben diese insbesondere in politischer Hinsicht. Wenn wir uns sodann von den mentalitätsgeschichtlichen Konsequenzen der Weltkriege über die Schilderungen der Einflüsse von Reeducation, 68er-Bewegung, Politischer Korrektheit und der Funktionsweisen der modernen Medien bis in unsere Gegenwart vorarbeiten, bewegen wir uns zugleich auf einer abschüssigen Bahn der Konkretisierung unseres deutschen Schicksals. Unter den zahlreichen Aspekten, die den Verfall der Demokratie und, damit einhergehend und sich wechselseitig bedingend, die Zerstörung der deutschen Identität ausmachen, habe ich Merkels »Flüchtlingskrise« und die aus ihr folgenden tiefgreifenden Umwälzungen besonders behandelt. Die massenhafte Migration nach Europa wiegt schwerer als alle anderen Faktoren: Ein wirtschaftlich verarmtes und ruiniertes Land kann sich wieder aufrichten; sogar nach den Zerstörungen eines Weltkriegs ist ein Wiederaufstieg möglich, aber die Voraussetzung einer jeden Regeneration ist noch immer die Existenz des geschlagenen und gedemütigten Volkes selbst.

Heute ist nicht nur die Demokratie, sondern auch die Existenz des deutschen Volkes bedroht wie kaum jemals zuvor in seiner Geschichte. Es ist alles andere als wahrscheinlich, dass es, vielleicht über geistige Nischen und Rückzugsräume hinaus, noch eine deutsche Zukunft in Deutschland geben wird; ja, dass unsere Enkel überhaupt noch verstehen werden, was damit gemeint war. Und doch ist immer eine plötzliche Wendung der Geschichte möglich. Sollte diese nicht eintreten, werden sich künftige Historiker mit der schwierigen und komplexen Frage befassen, wie es dazu kommen konnte, dass ein Volk sich auf demokratische Weise Schritt für Schritt selbst abgeschafft hat. Auch für sie ist dieses Buch geschrieben – vor allem aber für diejenigen, die sich heute bereits diese Frage stellen und daran arbeiten, dass doch noch eine große Umkehr stattfindet.

1 Entsprechendes Zahlenmaterial liefert das Statistische Bundesamt unter https://www.destatis.de/DE/Service/Statistik-Campus/Datenreport/Downloads/datenreport-2018-kap-9.html oder das Online-Portal Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153854/umfrage/zufriedenheit-mit-der-demokratie-in-deutschland/

2 »Daher ist das Phänomen des kulturellen Selbsthasses in seiner ganzen Tiefe […] gar nicht zu begreifen oder auch nur hinreichend faßbar, ohne die Verstörungen zu berücksichtigen und in Erinnerung zu rufen, die das Christentum im Abendland ausgelöst hat. […] Der Gott der Christen zwingt zur Unterwerfung und droht permanent mit Bestrafung, der sich eigentlich niemand entziehen könne, weil der Mensch durch sein Menschsein bereits ›sündig‹ sei.« (Frank Lisson: Die Verachtung des Eigenen. Ursachen und Verlauf des kulturellen Selbsthasses in Europa, Schnellroda 2012, S. 61.) »Erst mit der Christianisierung, also mit der Übernahme jener ›Kultur aus zweiter Hand‹, verbreitete sich der Gedanke des Schuldigseins in Europa – und damit der eines ganz neuen Moralverständnisses.« (ebd.)

3 Ebd., S. 77ff.

Die Selbstzerstörung der Demokratie

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