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3. Wer ist Tiberius? Sein Leben bis 14 n. Chr.

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Das Verhältnis des Tiberius zu seiner Mutter Livia gestaltete sich ab 14 n. Chr. schwierig und war bereits vor diesen Ereignissen um die testamentarische Adoption kein einfaches gewesen. Grund genug, die Biographie dieses Mannes bis zum Jahr 14 n. Chr. genauer dar- und einige Überlegungen zu seiner Persönlichkeit anzustellen.

Tiberius war zum Zeitpunkt seines Herrschaftsantritts 56 Jahre alt und hatte in seinem Leben einige prägende Erfahrungen machen müssen. Vorsicht ist bei der Beurteilung seines Charakters geboten, denn die kritische Reflexion der vorliegenden Quellen zeigt, dass sie Tiberius entweder ex post als gescheiterten Kaiser betrachten oder als Zeitgenossen ihren Kaiser glorifizieren. Dennoch geben die Handlungen dieses Mannes vor Antritt der Herrschaft einige Anhaltspunkte zum Verständnis seiner Person.

Eltern und Kindheit

Tiberius wurde in krisengeschüttelten Zeiten geboren. Seine Mutter Livia Drusilla brachte ihn im Bürgerkrieg 42 v. Chr. zur Welt. Väterlicherseits entstammte er der alten patrizischen Familie der Claudier, was ihm den Ruf einbrachte, wie einige der Sprösslinge aus dieser gens hochmütig, grausam, stur und einzelgängerisch zu sein. Sein Vater, Tiberius Claudius Nero, war zunächst Parteigänger Caesars gewesen und hatte unter dem Diktator Karriere gemacht. Nach dessen Tod war er in das Lager der Republikaner und Caesarmörder gewechselt, war aber bald wieder zu Marcus Antonius umgeschwenkt. Nach dem Perusinischen Krieg musste er Italien verlassen und ins Exil gehen, aus dem er erst 39 v. Chr. aufgrund seiner Begnadigung nach Rom zurückkehrte. Er heiratete wohl 44 oder 43 v. Chr. seine entfernte Cousine Livia Drusilla, die zu diesem Zeitpunkt 13 oder 14 Jahre alt war. Der Altersunterschied betrug mindestens 15 Jahre, was den üblichen Verhältnissen der römischen Hocharistokratie entsprach. Livia Drusilla, die Mutter des Tiberius, entstammte ebenfalls republikanischem Adel. Ihr Vater, Marcus Livius Drusus Claudianus, war gebürtig aus der Familie der Claudier, war aber in die Familie der Livier adoptiert worden, eine plebejische Senatorenfamilie mit ebenfalls langer republikanischer Tradition. Die Adoption war in der römischen Gesellschaft eine übliche Form des Familienerhalts und wurde als Erhöhung des eigenen Sozialprestiges verstanden. So leitete Livia beispielsweise ihre hohe soziale Stellung aus beiden Herkunftsfamilien, der claudischen und der livischen, ab.

Die Ehe der Eltern war wohl ein Versuch, in politisch schwierigen Zeiten Allianzen zu schmieden. Livias Vater hatte sich im Bürgerkrieg wie sein Schwiegersohn auf die Seite der Caesarmörder geschlagen und ging mit ihnen in der Schlacht von Philippi 42 v. Chr. unter. Nach der Niederlage nahm er sich das Leben. Wenige Wochen später gebar die gerade 16-jährige Livia ihren Sohn Tiberius. Seine ersten Lebensjahre verbrachte das Kind auf der Flucht und im Exil. 39 v. Chr. kehrte die Familie nach Rom zurück und zerbrach auch schon, denn noch im Oktober 39 v. Chr. heiratete Livia den neuen starken Mann in Rom, Octavian, den späteren Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.). Bei ihrer Heirat war sie bereits mit ihrem zweiten Kind schwanger, und ihr erster Ehemann, Tiberius Claudius Nero, übernahm die Rolle des Brautführers. Das Kind Tiberius wuchs im Haus seines Vaters auf, auch seinen Bruder Drusus, der im Januar 38 v. Chr. geboren wurde, schickte man bald dorthin. Erst als ihr Vater 33 v. Chr. starb, kamen die Kinder zu ihrer Mutter Livia in das Haus des Octavian. Hier wuchsen sie gemeinsam mit Julia (39 v. Chr.–14 n. Chr.), der Tochter Octavians aus dessen Ehe mit Scribonia, auf. Auch diese Ehe war anlässlich der Heirat von Livia und Octavian geschieden worden.

Nun darf man aber angesichts dieser ungewöhnlichen Konstellation nicht von einer großen romantischen Liebe zwischen Octavian und Livia ausgehen, wie sie uns manche antiken Autoren überliefern und wie sie dem modernen Verständnis von Liebe und Ehe vielleicht entspricht. Diese Ehe der Livia und des Octavian war am Beginn ein politisches Zweckbündnis, das neue Machtkonstellationen absichern sollte. Octavian war auf die alte römische Aristokratie angewiesen, und Livia galt als Vertreterin zweier der wichtigsten aristokratischen Familien der römischen Republik – der patrizischen Claudier und der plebejischen Livier. Der spätere Augustus heiratete weniger eine Frau, sondern eher das Prestige ihrer Familie und ihre Kontakte zu den führenden Schichten. Dies war in jenen Tagen durchaus üblich. Der Bräutigam selbst war gerade 24 und ging schon seine dritte Ehe ein, alle seine Ehen waren politische Zweckbündnisse gewesen. Diese Ehe zwischen Augustus und Livia hatte allerdings über 50 Jahre bis zum Tod des Augustus 14 n. Chr. Bestand, obwohl sie kinderlos blieb.

Tiberius in der domus Augusta

Tiberius kam also 9-jährig in das Haus seines Stiefvaters und erlebte hier die wichtigen Jahre der politischen Entscheidungen in Rom mit. 31/30 v. Chr. besiegte Octavian seine Widersacher Marcus Antonius und Kleopatra, 27 v. Chr. begann mit dem großen Staatsakt der Prinzipat, und damit stellte sich auch bald die Frage, wer die Nachfolge des Augustus antreten könnte. Schließlich war seine Gesundheit nie die beste, und in den 20er Jahren hätte wohl kaum einer darauf gewettet, dass er bis ins hohe Alter von fast 76 Jahren leben und herrschen würde. Tiberius hatte von Beginn an nicht die besten Karten. Nicht nur sein eigener Bruder Drusus stand in der Beliebtheit weit vor ihm – angeblich besaß er das gewinnendere Wesen –, auch der Neffe des Augustus, Marcellus, wurde ihm vorgezogen. Dieser wurde mit der Augustus-Tochter Julia verheiratet, starb aber früh 23 v. Chr. Julia wurde nun weitergereicht an Agrippa (64/63 v. Chr.–12 v. Chr.), den engsten Vertrauten des Augustus, mit dem sie fünf Kinder bekam. Die beiden ältesten Söhne, Gaius und Lucius Caesar, adoptierte Augustus 17 v. Chr., was die Nachfolgefrage zu diesem Zeitpunkt klärte. Tiberius und sein Bruder Drusus wurden allerdings durchaus politisch und militärisch im Sinne des Reiches und der Dynastie eingesetzt. Tiberius erhielt 27 v. Chr. die Männertoga und erlangte bereits 23 v. Chr., also fünf Jahre vor dem Erreichen des Mindestalters, das Amt des Quästors. Seinen ersten außenpolitischen Erfolg erreichte er 20 v. Chr., als er in Armenien einen Thronwechsel im römischen Sinne organisierte. 16 v. Chr. wurde Tiberius Prätor. Gemeinsam unterwarfen Tiberius und Drusus 15 v. Chr. die rätischen Stämme in den Alpen, ein geostrategisch bedeutsamer Schritt in den auf Expansion in den germanischen Raum ausgelegten Planungen des Augustus. 13 v. Chr. erreichte Tiberius zum ersten Mal das Amt des Konsuls.

Trotz dieser Erfolge verlief sein persönliches Leben zu dieser Zeit keineswegs in ruhigem Fahrwasser. 12 v. Chr. war Agrippa unerwartet gestorben und hatte nicht nur potentielle Nachfolger des Augustus hinterlassen, sondern auch eine Witwe Julia, die als einzige Tochter des Augustus und potentielle Mutter von Kaisernachwuchs dem Ehemarkt entzogen werden musste. Also verheiratete man sie mit Tiberius, der sich dafür von seiner Ehefrau Vipsania Agrippina (33 v. Chr.–20 n. Chr.), der Mutter des gemeinsamen Sohnes Drusus des Jüngeren, scheiden lassen musste. Für Tiberius war dies eine schwere Entscheidung, da er zum einen seiner Frau wohl tatsächlich verbunden war, zum anderen kein gutes Verhältnis zu Julia hatte. Die neue Ehe blieb dementsprechend für beide Seiten eine Enttäuschung. Ein gemeinsames Kind starb früh. Tiberius aber blieb nach Agrippas Tod der wichtigste Militär für Augustus.

Ein Einschnitt in seinem Leben war sicher der unerwartete Tod des Drusus 9 v. Chr., der in Folge eines Sturzes vom Pferd in Germanien ums Leben kam. Tiberius trauerte sehr um seinen Bruder, zu dem er noch ans Sterbebett geeilt war. Für seine Erfolge 9 v. Chr. in Pannonien ehrte Augustus ihn mit einem kleinen Triumph (ovatio). Diese Tatsache und das zweite Konsulat für Tiberius 7 v. Chr. lassen die in den Quellen und auch in der modernen Literatur immer wieder strapazierte These von der offenen Zurücksetzung des Tiberius hinter die Kinder der Julia und des Agrippa nicht immer ganz plausibel erscheinen. 6 v. Chr. erhielt er dann auch einen ersten Teil der formellen Herrschergewalten des Prinzeps, die tribunicia potestas. Er stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere, und an ihm schien kein Weg vorbeizuführen, wenn es um die Nachfolge des Augustus ging.

Rhodos

Umso erstaunlicher erschien es dann, dass Tiberius im Jahr 6 v. Chr. darum bat, alle seine Ämter niederlegen und Urlaub nehmen zu dürfen. Er wollte nach Rhodos gehen und philosophische Studien aufnehmen. Eine erste Ablehnung seines Ansinnens durch Augustus und seine Mutter beantwortete er mit einem Hungerstreik, woraufhin man ihn gehen ließ. Die Gründe für diese Flucht sind nicht zu verstehen, ohne einen Blick auf die Beschreibungen von Tiberius’ Charakter bei den antiken Autoren zu werfen.

Bis auf Velleius Paterculus sind sich die antiken Autoren einig darin, dass Tiberius von Beginn an ein problematischer Charakter war, dessen positive Anlagen, so man sie ihm denn zugesteht, im Laufe seines Lebens, spätestens mit Erreichen der Position des Thronfolgers, von den schlechten Charaktereigenschaften überlagert wurden. Heuchelei, Grausamkeit, Heimtücke und Unmenschlichkeit werden ihm als Eigenschaften zugeschrieben. Die Beurteilung erfolgte dabei vom Ende seiner Herrschaft her und vor allem unter dem Aspekt des Umgangs mit dem Senat. So deuteten diese Autoren den Weggang des Tiberius als Folge von Enttäuschung, Kränkung und verletzter Eitelkeit, weil er sich hinter die von Augustus adoptierten Kinder zurückgesetzt sah. Anders Velleius Paterculus, der Tiberius anhand seiner Taten, vor allem der militärischen Errungenschaften und seiner erfolgreichen Herrschaftssicherung nach dem Tod des Augustus, beurteilt. Bei ihm war es in Wirklichkeit erst Tiberius, der durch seine Siege den Prinzipat zu wirklicher Größe führte und durch seine Herrschaftsübernahme die problematische Politik des Augustus rettete. Dementsprechend gibt Velleius für den Weggang nach Rhodos einen anderen Grund an:

Quelle

Der Weggang des Tiberius nach Rhodos in der Darstellung des Velleius Paterculus (Vell. 2, 99, 2)

Und dabei bewies er einen wundersamen, kaum glaublichen und in Worten fassbaren Familiensinn, der sich bald offenbaren sollte. Als nämlich Gaius Caesar soeben die Männertoga angelegt hatte und sich Lucius ebenfalls dem Erwachsenenalter näherte, da wollte Tiberius mit seinem Glanz nicht die ersten Anfänge der jungen Männer verdunkeln. Er verheimlichte seine wahre Absicht und erbat von seinem Schwieger- und Stiefvater einen Urlaub, um sich von seinen ununterbrochenen Strapazen auszuruhen. (Übersetzung M. Giebel)

Ohne zu stark Psychologie anhand der antiken Quellen betreiben zu wollen, scheint dieser Weggang des Tiberius doch einen deutlichen Bruch in seinem bisherigen Lebenslauf darzustellen. Selbst der ihm nicht wohlgesonnene Tacitus betont an vielen Stellen, dass Tiberius immer ein sehr korrekter und pflichtbewusster Mensch war. Sueton gibt einen gewissen Überdruss an, der einerseits gegen seine Frau Julia und ihren Lebensstil gerichtet, andererseits dem wenig moralischen Leben in Rom allgemein geschuldet war. Tiberius blieb acht Jahre in Rhodos, lebte als Privatmann, und man gewinnt den Eindruck, dass das wegen der Frage der Nachfolge belastete Verhältnis zu seinen Stiefsöhnen doch eines der Motive war, das ihn zum Weggang bewog. Entgegen den antiken Vorlagen muss man diesen Schritt aber weder als altruistisch noch als resignativ verstehen, sondern eher als fast schon modern anmutende innere Befreiung, die ihm zumindest für den Moment – und darauf deutet sein recht unbeschwertes Leben in Rhodos – ein Bedürfnis war. Aber auch wenn ihm das Exil auf Rhodos persönlich wichtig war, so schadete es seinem Ruf nachhaltig. Die eigene Familie empfand seinen Weggang als völlig unangemessene Pflichtverletzung und schloss ihn gänzlich aus ihrem inneren Zirkel aus; in der römischen Bevölkerung war seine Reputation langfristig beschädigt.

Als Julia 2 v. Chr. wegen angeblich unmoralischen Verhaltens verbannt wurde, schickte Augustus ihr im Namen des Tiberius den Scheidebrief. Tiberius setzte sich in mehreren Schreiben an die Familie für sie ein, allerdings vergeblich. Gleichzeitig lief seine tribunizische Amtsgewalt aus, was seine Position doch erheblich zu erschweren drohte. Seine Bitte, angesichts dieser Entwicklungen zurückkehren zu dürfen, wurde recht brüsk abgelehnt. Seine Mutter erreichte im Jahr 1 v. Chr. wenigstens seine formale Ernennung zum legatus Augusti, so dass er sein Gesicht wahren konnte.

Am Aufenthalt in Rhodos scheint sich ein Muster in dieser Vita zu erschließen, das in seiner Regierungszeit als Prinzeps immer wieder durchscheint. Tiberius neigte dazu, in einer eigenbrötlerischen Art Dinge, die er für richtig hielt, ohne Rücksichten zu nehmen und ohne Kompromissbereitschaft durchsetzen zu wollen, oft ungeachtet der daraus folgenden Konsequenzen. Am Ende sah er sich aber nicht selten gezwungen, hinter seine Maximalforderungen zurückzugehen, was er dann als Niederlage empfand, auf die er entsprechend harsch und mit ganzer Ausnutzung seiner Herrschergewalt reagierte.

Rückkehr und Adoption

Die Rückkehr nach Rom aus dem selbstgewählten Exil in Rhodos wurde Tiberius erst 2 n. Chr. gestattet, allerdings nur als privatus. Kurz nach seiner Rückkehr verstarb der jüngere der Augustus-Enkel, Lucius Caesar, auf dem Weg nach Spanien in Massilia (Marseille). Als dann 4 n. Chr. auch Gaius Caesar nach einer Verwundung bei Kämpfen in Armenien unerwartet verstarb, rückte Tiberius erneut ins Zentrum der Nachfolgefrage. Am 26. Juni 4 n. Chr. adoptierte ihn Augustus und machte ihn zu seinem präsumtiven Nachfolger. Gleichzeitig musste Tiberius seinen Neffen Germanicus adoptieren, den Sohn des 9 v. Chr. verstorbenen Drusus.

Interessant und sehr oft unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten bewertet worden ist die öffentliche Haltung des Augustus zu diesem Schritt. Dabei sind vor allem zwei Äußerungen des Prinzeps mit größter Akribie durchleuchtet worden. Die erste findet sich in seinem Testament, in dem Augustus von einem grausamen Schicksal (atrox fortuna) spricht, das ihm die Enkel geraubt habe. Die andere Äußerung gibt Velleius Paterculus wieder, der die Adoption des Tiberius mit dem Zusatz „rei publicae causa„ („um des Staates willen“) versieht. Aus beiden Textstellen wollte man eine Herabwürdigung des Tiberius ablesen. Gegen eine solche Annahme sprechen allerdings das gewählte Datum der Adoption sowie der größere nachfolgepolitische Rahmen dieser Adoptionszeremonie. Der 26. Juni war ein für die augusteische Politik äußerst symbolträchtiger Tag: Am 26. Juni des Jahres 23 v. Chr. legte Augustus den Konsulat nieder und erhielt anschließend die tribunicia potestas. Noch in der nachaugusteischen Zeit wurden an diesem Tag regelmäßig öffentliche Opfer an der ara providentiae Augustae, dem der Voraussicht des Kaisers gewidmeten Altar, dargebracht. Jener Altar, der nicht erhalten, aber aufgrund von Münzabbildungen bekannt ist und große Ähnlichkeit mit dem bekannten Friedensaltar, der ara Pacis, aufwies, befand sich auf dem campus Agrippae. Die providentia Augusti betrifft dabei nicht nur die göttlich inspirierte Voraussicht des Herrschers, sondern sie bezeichnet auch seine Fähigkeit, für den Fortbestand der Dynastie zu sorgen. Dieser Altar stand auch bei vielen Zeremonien der Arvalbrüder im Mittelpunkt, einer Priesterschaft, die Augustus restaurierte und für seinen eigenen Herrscherkult instrumentalisierte.

Politische Zukunftssicherung

Datum und Kontext der Adoption sprechen also durchaus dafür, dass es sich weniger um eine „Notlösung“ als vielmehr um einen als Gesamtentwurf zu verstehenden Akt der politischen Zukunftssicherung handelte. Schließlich rückten durch die Adoptionen des Tiberius und des Germanicus zwei weitere präsumtive Nachfolger in die zweite Reihe nach: Drusus der Jüngere (15 v. Chr.–23 n. Chr.), leiblicher Sohn des Tiberius, avancierte nun ebenso wie Germanicus zum Enkelsohn des Augustus, und der 15-jährige Agrippa Postumus (12 v. Chr.–14 n. Chr.), der letzte noch lebende Sohn aus der Ehe des Agrippa und der Julia, wurde ebenfalls 4 n. Chr. von Augustus adoptiert, was ihn – rein rechtlich gesehen – auf eine Stufe mit Tiberius stellte.

Die Adoptionen des Jahres 4 n. Chr. erfüllten zwei zentrale Aufgaben: Zum Ersten sicherten sie durch die Übertragung des sozialen Beziehungsgeflechts (clientela-patronatus) und des wirtschaftlichen Reichtums des Prinzeps die durch rechtliche Kompetenzen definierte, aber keineswegs allein darauf beruhende Macht des Prinzeps privatrechtlich ab. Dieser entscheidende Teil der Macht konnte nur auf den etablierten Wegen der Vererbung weitergegeben und so in Zukunft für die Herrscherfamilie bewahrt werden. Darüber hinaus stellten die Adoptionen im Prozess der Konstruktion einer Kaiserfamilie, der domus Augusta, wie sie uns spätestens unter Tiberius auch in offiziellen Dokumenten des Senats entgegentritt, eine entscheidende Wegmarke dar. Dieser letzte Punkt unterschied die Adoptionen des Jahres 4 n. Chr. sicherlich von jenen Adoptionen der Enkel Gaius und Lucius Caesar 17 v. Chr.

Nach diesem nun vollzogenen Akt der Rehabilitation übernahm Tiberius auch sofort wieder Aufgaben, die an seine militärischen Einsätze vor dem rhodischen Exil anknüpften. Zunächst übernahm er ein Kommando in Germanien (4–6 n. Chr.), zwischen 6 und 9 n. Chr. musste er den großen Aufstand in Pannonien niederwerfen, der das Reich personell und materiell an seine Grenzen brachte. Wenige Tage nachdem dieser Aufstand niedergerungen war, traf dann 9 n. Chr. in Rom die Nachricht von der verheerenden Niederlage des Varus in der Schlacht im Teutoburger Wald ein. Auch hier griff nun wieder Tiberius ein und eilte erneut nach Germanien, wo er bis Anfang des Jahres 13 n. Chr. durch Truppenaushebungen einerseits sowie die Umorganisationen bestehender Armeen und disziplinarische Maßnahmen andererseits die Lage wieder stabilisieren konnte. Erst nach seiner Rückkehr 13 n. Chr. konnte er seinen pannonischen Triumph feiern. Im Sommer 14 n. Chr. war er gerade nach Illyrien aufgebrochen, um hier die Provinzialisierung voranzutreiben, als ihn die Nachricht erreichte, Augustus liege im Sterben.

Das Römische Reich von Tiberius bis Nero

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