Читать книгу Ich schneide dir die Ohren ab - bis auf zwei - Babette Guttner - Страница 4

Kapitel 1

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Der Anfang meiner Existenz war eigentlich vielversprechend. Ich bin am Heiligen Abend, dem Fest der Liebe, geboren. Wenn da nicht die Moralvorstellungen der Gesellschaft, Ende der 40er-Jahre gewesen wären. Denn meine Mutter war nicht verheiratet.

Zunächst hat sie mit mir, bei einer Cousine meines Großvaters Aufnahme gefunden. Bis zu meinem 5. Lebensjahr, lebten wir in einer großen Stadt.

Meine Erinnerungen beschränken sich auf einige wenige Ereignisse: Karussell fahren auf dem Oktoberfest und Ausflüge ins Grüne. Da durfte ich im Beiwagen des Motorrades, auf dem Schoß meiner Tante mitfahren. Gut in Erinnerung geblieben ist mir, als wir aus der Stadt fortgingen.

Meine Großeltern haben uns nach Hause geholt.

Ich kann mich noch an die lange Bahnfahrt erinnern und dass wir von der Schwester meiner Mutter vom Bahnhof abgeholt wurden.

Bei ihr zu Hause haben wir uns gestärkt, und uns dann auf den langen Weg zu meinen Großeltern gemacht. Zu Fuß natürlich, es gab keinen Bus der dort hinführte.

Meine Tante hat uns einen Kindersportwagen, aus Holz mitgegeben.

Ich war aber schon zu groß, wenn ich meine Beine ausstreckte, schleiften sie auf der Straße und ich bin aus dem Wagen gefallen. Das Wägelchen war schwer zu schieben, also musste ich zu Fuß gehen. Nach jeder Kurve fragte ich meine Mutter ob wir nicht bald da sind. Mit meinen fünf Jahren hatte ich keine Vorstellung wie lang acht Kilometer sind und wie lange das dauern würde. Meine Mutter tröstete mich damit, dass wir doch in die Heimat gehen. Heim zu ihren Eltern, um die nächste Zeit dort zu bleiben.

Wir marschierten durch zwei Dörfer und dann am Ausgang des letzten Dorfes, konnte man in der Ferne das Haus meiner Großeltern schon sehen. Die Straße war auf den letzten anderthalb Kilometern sehr schlecht. Ein Schotterweg mit vielen Schlaglöchern und Pfützen. Wir kamen langsam näher und ich sah ein Haus am Waldrand, viele Gebäude und einem großen Weiher. In einem der Gebäude befand sich das Sägewerk. Der Sägegatter wurde von einem mächtigen Wasserrad angetrieben. Große Baumstämme lagen zwischen der Straße und dem Weiher und viele Bretter waren auf einem großen Platz, zum trocknen aufgestapelt.

Vom Hund wurden wir gleich begrüßt.

Es gab auch noch andere Tiere wie Kühe, Schweine, Hühner und Katzen. Auf dem Hof lebten außer meinen Großeltern noch zwei Tanten und ein Onkel.

In einem Zimmer mit Ofen sind nach dem Krieg Flüchtlinge eingewiesen worden. Eine Oma mit ihrer Tochter und deren Sohn, der schon in die Schule ging.

Mein Großvater hat uns sozusagen in Empfang genommen und uns in die große Wohnküche geführt. Dort stand außer einem gemauerten Herd, ein Tisch mit Eckbank, ein Küchenbüfett, es gab fließendes Wasser mit Ausguss und ein Radio.

Ein Bett stand noch darin, dort lag meine Großmutter, sie ist an Gicht erkrankt und konnte nicht mehr gehen. Damals gab es noch keine Medizin gegen diese Stoffwechselkrankheit.

Im Dachgeschoss bezogen wir ein Zimmer. Die Einrichtung bestand aus zwei Betten einem Schrank und einer Spiegelkommode. Die Fenster waren an der Westseite und gestatteten einen weiten Blick in die Ferne. Später stand ich oft am Fenster und schaute sehnsüchtig hinaus. Mein Blick richtete sich in das zwei Kilometer entfernte Dorf und auf die Straße, die dort hinführte. Ich dachte immer da vorne spielt das Leben und ich muss hier bleiben. Seitdem weiß ich was Fernweh ist. Wenn mich heute das Fernweh zu sehr plagt, verreise ich. Damals musste ich ausharren und mir kam alles so ausweglos vor.

Aber gerade hier war jetzt in der nächsten Zeit mein Zuhause.

Ich habe mich nur sehr langsam an das Haus und ihre Bewohner gewöhnen können.

Leicht ist mir die Umstellung vom Stadtleben, mit Straßenbahn, Autos und Spülklo und anderen Annehmlichkeiten, scheinbar nicht gefallen.

Meine Tante erzählte mir später, dass ich mit dem Holzsportwägelchen, mit dem wir gekommen sind, abgehauen bin. Mit meinen fünf Jahren machte ich mich auf den Weg.

In die Richtung wo wir hergekommen sind, habe ich mein Wägelchen geschoben. Ich wollte wieder in die Stadt, in meine gewohnte Umgebung. Nur der Hund hat mich begleitet. Wir waren schon ca. einen Kilometer unterwegs, kurz vor dem Dorf, da kam meine Tante mit dem Rad und hat uns zurückgeholt.

Zufällig sind mir Leute mit einem Pferdewagen entgegen gekommen und haben sich über das kleine Mädchen, so weit weg von einem Haus, gewundert.

Bei mir zu Hause haben sie gefragt: »Gehört das Mädchen mit dem Hund euch? Wenn ihr sie sucht, sie wird bald im Dorf sein. Wir hätten sie ja mitgebracht aber der Hund hat uns die Zähne gezeigt.« Wenigstes unser Hund Bello hat auf mich aufgepasst.

Tante Irma, die mich zurückgeholt hatte, war für die Landwirtschaft zuständig und Tante Linda für den Haushalt.

Meine Mutter half im Sägewerk mit. Der Onkel war in der Stadt in einem Büro tätig und kam meist nur am Wochenende heim. Er fuhr ein Auto, das einzige weit und breit.

Als Kind ist er vom Pferd gefallen und hat sich die Kniescheibe zertrümmert. Damals wurde sein Bein amputiert und er trug eine Prothese. Das Auto war für ihn deshalb sehr wichtig.

Ich habe meinen Onkel nie mit Krücken gesehen, dass habe ich an ihn immer bewundert. Man hat sein Handicap kaum bemerkt.

Mit dem Auto sind wir jeden Sonntag in die fünf Kilometer weit entfernte Kirche gefahren und haben dort an einem katholischen Gottesdienst teilgenommen. Manchmal durfte ich mit meinem Großvater auf die Empore. Von dort hatte man einen guten Überblick auf die liturgische Handlung. Auf dem Platz, auf dem wir saßen, war sein Namensschild angebracht.

Bei meinen Großeltern interessierte mich vor allem das Sägewerk. Sehr wahrscheinlich nervte ich meinen Großvater mit meinen Fragen zu den vielen Maschinen und was man mit diesen herstellen kann.

Es gab keinen Winkel, den ich nicht erkundet hatte. Meine Mutter hat es nicht gern gesehen, wenn ich mich in der Nähe des Sägegatters aufhielt, und mich immer weggeschickt. Aber ich wollte doch wissen, wie aus den dicken Baumstämmen Bretter und Latten entstehen.

Wie die dicken Stämme von großen Rollen durch die, sich auf und ab bewegenden Sägeblätter, geschoben wurden. Auf der anderen Seite kamen sie dann fein sauber geschnitten, als Bretter heraus.

Diese wurden auf einen Rollwagen geladen, der auf einem nach draußen führenden Geleise stand, hinaus gefahren und zum trocknen aufgeschichtet.

Dieses Aufschichten sollte bald auch meine Arbeit werden.

Auf der Straße, die an unserem Haus vorbei führte, war wenig Verkehr. Nur ab und zu kamen Radfahrer, Pferdefuhrwerke oder Ochsenkarren vorbei. Meist haben sie angehalten und kurz zu meiner kranken Großmutter hereingeschaut.

Auch der Bierkutscher mit seiner Lederschürze, fuhr regelmäßig vorbei. Auf seinem, von Rössern gezogenen Wagen, lagen große Holzfässer mit Bier gefüllt. Die musste er in die umliegenden Gasthöfe transportieren. Bei uns machte er einen kurzen Stopp, um ein Schwätzchen zu halten und sich nach dem ergehen meiner Großmutter zu erkundigen. Mich kannte er noch nicht und hat mich deshalb gefragt wer ich bin und wie ich heiße. Da ich mit fremden Menschen nicht sprechen durfte, und er in seiner Lederschürze, die bis zum Boden hing, gar so furchterregend aussah, lief ich einfach weg.

»Wenn ich dich erwische, schneide ich dir die Ohren ab, bis auf zwei.«

Hat er mir noch nachgerufen.

Da bin ich gleich noch schneller gelaufen und versteckte mich auf dem Dachboden. Erst als er wieder weg war, das konnte ich von der Dachluke aus beobachten, traute ich mich wieder aus meinem Versteck. Bis auf zwei, das habe ich noch nicht ganz begriffen, und alle haben mich deswegen ausgelacht. Immer wenn er die Tour fuhr, das Gespann war ja Gott sei Dank immer schon von Weitem sichtbar, war ich auf dem Dachboden. Ich hatte solche Angst um meine Ohren, alles Reden meiner Familie hat nichts genützt.

Was ich durfte und was ich sollte, habe ich nie richtig begriffen. Heute galt eine Regel und Morgen eine andere. Ich wollte ja alles richtig machen, aber ich war sehr verunsichert. Gerade dann tut man meist das verkehrte, handelt sich Strafen ein und versteht die Welt nicht mehr.

In dem Haus wohnte, wie gesagt meine Großfamilie. Meine Großeltern hatten neun Kinder.

Ein Onkel starb zwei Wochen nach der Geburt und der andere Onkel, der ältere Sohn und Erbe galt als in Stalingrad vermisst. Demzufolge hatte ich noch lebend, fünf Tanten und einen Onkel.

In den Ferien kamen Cousinen und Cousins mit ihren Eltern oder Müttern zu Besuch. Sie waren einige Jahre älter als ich und wollten nicht mit mir spielen. Feige waren sie außerdem.

Sie trauten sich nicht ins Sägewerk und schon gar nicht in den interessanten Untergrund. Da gab es noch eine alte Mühle, die nicht mehr in Betrieb war. Einen großen Raum mit Batterien die mit Säure gefüllt waren. Es roch sehr scharf. Sie wurden zum Strom konservieren benötigt. Denn wir waren noch nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Unsere Energie 110 Volt Gleichstrom kam aus diesen Batterien und die, mussten immer wieder aufgeladen werden. Dafür leistete das große Wasserrad seinen Dienst. Für das Licht am Abend und den Radio reichte das aus. Waschmaschine, Kühlschrank oder Elektroherd gab es nicht.

Ein anderer Raum, genau unter dem Gatter war voll mit Sägespänen.

Dann gab es da noch das riesige Wasserrad verbunden mit dicken Nockenwellen an denen drehten sich Zahnräder und andere Riemenscheiben. Manche mit aufgelegten laufenden Riemen, wenn der Sägegatter in Betrieb war.

Dort war es gefährlich, zudem ich mit einer Schürze mit flatternden Bändern zwischen den laufenden Riemen hindurch sprang. Sich dort aufzuhalten war für uns Kinder strengstens verboten. Aber immer wieder schlich ich heimlich dort hin um die Mechanik der drehenden Räder zu beobachten. Ich konnte stundenlang dort sitzen und träumen. Vermisst hat mich anscheinend niemand.

An der allgemeinen Wasserversorgung waren wir auch noch nicht angeschlossen und hatten deshalb einen eigenen Brunnen. Der musste auch gewartet werden, ich war da meistens mit dabei. Einmal befand sich eine Ringelnatter darin, die dann mühsam entfernt wurde. Meine Tante hat dann in der Küche den Wasserhahn aufgedreht und eine halbe Stunde laufen lassen, bis wieder sauberes Wasser floss. Der Brunnen befand sich am Waldrand etwas höher gelegen als das Haus. Der Druck reichte aus, um fließendes Wasser in der Küche zu haben.

Ja und da wäre noch die Sache mit dem Häuschen hinterm Haus. Sprich Klo, sehr gewöhnungsbedürftig. Ein Bretterverschlag und Türe mit Guckloch zum raus schauen. In einem Absatz aus Holz befand sich ein rundes Loch über einer tiefen Grube. Zeitungspapier hing darin. Klopapier dreilagig gab es nicht. Sobald man die Türe öffnete, schlug einem ein atemberaubender Geruch entgegen. Das sollte sich aber bald ändern.

Im Sommer ist auch der Bruder meiner Großmutter, mit seiner Frau, aus Hamburg nach Bayern gekommen. Sie wohnten in Großmutters Elternhaus, das jetzt ihrem Bruder Theo gehörte und nur ein paar Kilometer von uns entfernt war. Den Hof konnte man von unserem Haus aus sehen. Immer wenn sie da waren, besuchten sie reihum ihre Verwandten, so auch uns. Sie galten als reich, denn sie besaßen eine Fabrik und sind mit einem schicken Auto gekommen. Jedes Mal schimpften sie über die schlechten Straßen, mit den vielen Schlaglöchern. Da sie keine Kinder hatten konnten sie sich alles leisten. Wie sie nun in unseren Hof eingefahren sind, standen wir schon erwartungsvoll da, um sie zu empfangen. Als sie die Autotür aufgemacht haben, ist die toll angezogene (aufgetakelte) Schwägerin meiner Großmutter ausgestiegen. Dabei fiel mein Blick in das Innere des Autos. Auf der Fußmatte sah ich einen ganzen Karton mit Schokolade stehen. Er war schon geöffnet und es fehlten einige Tafeln. Meine Vorfreude stieg ins Unermessliche, denn bei uns, gab es diese Köstlichkeiten nur zu Weihnachten. Eine Tüte mit trockenen Keksen hielt sie in der Hand, die hat sie meiner Großmutter aufs Bett gelegt. Mich hat sie gar nicht angesehen. Na ja, dachte ich, wenn ich besonders nett bin und brav, dann wird sie mir vielleicht eine Tafel Schokolade geben, bevor sie wieder abfahren. Lange sind sie nicht geblieben, bei uns war es ihnen zu einfach. Oder sie wollten sich das Elend meiner Großmutter nicht länger ansehen.

Wir haben sie hinausbegleitet und ich stand ganz aufgeregt da.

Die Autotür wurde aufgemacht und da lag die schöne Schokolade. Ich hätte so eine Kostbarkeit wenigsten auf den Sitz gelegt und nicht auf die Fußmatten. Mein Mund wurde ganz wässrig, aber mich haben sie immer noch keines Blickes gewürdigt. Und dann sind sie abgefahren und haben noch kurz gewunken. Ich konnte nicht winken, denn ich war so enttäuscht. Ich habe keine Schokolade bekommen. Tante Irma hat mich getröstet und gemeint: »Sie haben keine Kinder und kennen keine Not. Außerdem sind Reiche immer auch geizig.« Vergessen habe ich diese Erfahrung nie.

Im Sommer ist das Bett meiner Großmutter in die Wohnstube gestellt worden. Von dort konnte sie den Vorplatz des Sägewerks durch das Fenster beobachten. So nahm sie am Geschehen, wenn auch nur aus der Ferne teil.

Eines Tages ist mit der Post ein großes Paket, von einem bekannten Versandhandel, gekommen. Der große Karton wurde zur Großmutter in die Wohnstube getragen und dort geöffnet. Neugierig schaute ich zu, wie es ausgepackt wurde. Großvater hat seinen drei fleißigen Töchtern, je ein Kleid spendiert. Sofort sind sie anprobiert worden und sie schienen auch zu passen. Zwei rostrote Kleider mit weißen Tupfen, eins mit Falten, das hat mir ganz besonders gut gefallen, das andere gerade geschnitten mit Schlitz.

Tante Irma hat für sich, ein gedecktes Braunes bestellt. Nur ich habe nichts bekommen.

Meine Großmutter meinte zu mir: »Diese Tupfenkleider sehen aus wie Kinderkleider. Das wäre doch was für dich. Zieh es doch einmal an.« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, und bin hineingeschlüpft. Ich habe mich großartig gefühlt, aber es war viel zu lang. »Schön schaust du aus«, sagte meine Großmutter, »nur ein bisschen zu lang aber das ist nicht so schlimm. Da gibt es eine Schere und dann ist es gleich gekürzt, und dann passt es dir.«

Meine Mutter und die beiden Tanten haben dazu nur gelacht. Sie haben noch andere Sachen aus dem Paket geholt und begutachtet. Derweil schlich ich mit dem Tupfenkleid mit den schönen Falten heimlich und unbemerkt in die Küche und habe das Kleid auf dem Küchentisch ausgebreitet. Kurzerhand die Schere angesetzt und abgeschnitten. Schief natürlich, wie sich später herausstellte. Dann habe ich das Kleid angezogen. Voll Freude bin ich in die Wohnstube zu den anderen gegangen, um ihnen zu zeigen, dass das Kleid jetzt passt. Ihre Gesichter waren nun nicht mehr fröhlich. Meine Mutter, war so überrascht, sie konnte gleich gar nichts sagen. Meine Großmutter hat die Schuld sofort auf sich genommen.

»Wenn ich nicht gesagt hätte, dass es zu lang ist und es abgeschnitten werden müsste, hätte sie es bestimmt nicht getan.« Dabei hat sie ein bisschen geschmunzelt. Meine Mutter war richtig erzürnt und sie hätte mich am liebsten verhauen. Aber meine Tante Irma hat sich vor mich gestellt. Leider konnte man das abgeschnittene Stück Stoff nicht mehr annähen, weil es so krumm und schief war. Für meine Mutter ergab es nur noch eine Bluse.

Jedes Mal, wenn sie die Bluse getragen hat, wurde ich auf meine Missetat hingewiesen und es trafen mich ihre vorwurfsvollen Blicke.

Weihnachten habe ich hier das erst mal bewusst erlebt.

Das Bett der kranken Großmutter wurde in die gute Stube gestellt. Damit sie auch beim Christbaum und der Bescherung dabei sein konnte. Den ganzen Tag war ich schon unruhig und bis zum Abend wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Am späten Nachmittag musste ich dann ins Bett gehen und schlafen bis das Christkind kam.

Alfons, der Sohn unserer eingewiesenen Mitbewohner, kam dann mit lautem Hallo an mein Bett und fuchtelte mit einem Kaspar vor meinen Augen herum. Er behauptete, der wäre vom Christkind und ob ich nicht endlich aufstehen wollte, sonst würde ich alles verpassen.

Ich weiß noch, dass mich das geärgert hat, weil er mein Geschenk schon in der Hand hatte.

Ich dachte, es wäre das einzige, und das wollte ich doch als Erste sehen.

Als ich dann in die Stube kam sah ich als Erstes den Lichterbaum und es duftete herrlich nach Zimt und Punsch.

Da gab es dann zwei Puppen, einen Puppenwagen und ein Schränkchen für die Puppenkleidung. Vom Großvater heimlich gezimmert. Er war hellblau und mit roten Rändern bemalt. In der Tür war ein Herz ausgesägt. Im Schrank befanden sich noch Puppenkleider von meiner Tante gestrickt. Ich war überglücklich.

Es war das schönste Weihnachten, das ich als Kind erleben durfte.

Im Januar sind die Puppen allerdings wieder verschwunden und von da an habe ich sie jedes Jahr zu Weihnachten wieder bekommen. Nur der Teddybär der brummte, sobald man in bewegte, durfte ich behalten. Der hat nach drei Tagen schon sein Bein verloren, aber ich liebte ihn sehr.

An langen Winterabenden spielten wir diverse Brettspiele. Meine Tanten spielten mit mir Mensch ärgere dich nicht. Zeigten mir wie Mühle zu spielen ist und erklärten mir noch andere Brettspiele. Nur meine Mutter mochte mit mir nicht spielen. Ich wäre noch zu klein und würde das nicht verstehen, ich glaube sie wollte gegen mich nicht verlieren. Großvater war da ganz anderer Meinung und brachte mir das Kartenspielen bei. Schafkopf um genau zu sein. War ganz schön schwierig am Anfang. Aber es wurde immer ein vierter »Mann« gebraucht, also ich. Meine Mutter spielte die halbe Nacht mit meiner Tante Linda und bekam am anderen Morgen von meiner Großmutter eine Rüge. »Geh früher ins Bett, dann bist du tagsüber nicht so grantig. Du könntest doch auch mit deiner Tochter spielen. Dieser Tadel verfehlte ihre Wirkung total und ich konnte sie noch so betteln mit mir eine Runde zu spielen, egal was, sie lies sich nicht dazu erweichen. Tante Irma erbarmte sich meiner und sagte: »Spiel mit mir.« Obwohl sie diese Spiele gar nicht mochte, hat sie mir die Freude gemacht und ich war ganz selig.

Am frühen Morgen, so gegen fünf Uhr, es war noch finster und bitterkalt, stand meine Tante Linda auf und hat den Ofen in der Küche angeheizt. Bis alle anderen im Haus aus den Federn kamen war es schon ein bisschen warm. Es wurde nur die Küche mit einem Holzofen beheizt. Den ganzen Tag musste man aufpassen, dass das Feuer im Ofen nicht ausging. Mehrmals am Tag, durch den Schnee zum Holzlager stapfen und Nachschub holen. Das Bett meiner Großmutter wurde im Winter von der Wohnstube in Küche neben dem Herd gestellt. Das ganze Leben spielte sich nun in der warmen Küche ab. Die Stube wurde nur an den Weihnachtsfeiertagen beheizt. Ansonsten war es im ganzen Haus bitterkalt. Zähneputzen und waschen musste man sich in der Küche und warmes Wasser kam nicht aus der Leitung. Im gemauerten Herd befand sich ein sogenannter Wasserkran. Der wurde mit Wasser gefüllt. Wurde der Ofen beheizt ist automatisch das Wasser warm geworden. Mit einem Becher ist das warme Wasser in eine Waschschüssel geschöpft worden. Diese stand in der Ecke neben dem Herd auf einer kleinen Holzbank. Da musste man sich dann waschen und anziehen.

Nach dem Frühstück, als es dann draußen heller wurde, sind dann die Stallarbeiten verrichtet worden. Die Hühner und Schweine wurden gefüttert und Hund und Katzen versorgt.

Es wurden Socken und Westen gestrickt und die Arbeitsklamotten ausgebessert. Mein Großvater holte eine Art Klemmwerkbank in die Küche und fertigte Holzschuhe. Damals ganz normales Schuhwerk. Meine Tanten mussten mit diesen Pantoffeln, noch den langen Weg von vier km, zur Schule gehen. Auch im Winter.

An einem Sonntag im Frühjahr ging ich mit Großvater zum Markt in die Stadt. Viele Stände gab es da, mit unterschiedlichen Waren, die man kaufen konnte. Töpfe und Pfannen, Handwerkszeug, Bekleidung, Süßigkeiten und Würstel mit Brot. Der »billige Jakob« pries lauthals seine Waren an, und an einem Losstand konnte man sein Glück versuchen. Jede Nummer die man zog, war ein Gewinn. Es waren aber auch viele Nieten dabei und die Leute schimpften. Großvater hat mir auch Lose gekauft. Und siehe da, auf meinem Zettel stand eine Zahl. Sofort bin ich an den Stand mit den vielen Gewinnen gelaufen um stolz meine Nummer zu präsentieren. Die Frau meinte: »Hier aus dieser Reihe darfst du dir etwas aussuchen.« Es war ein kleiner Gewinn in der untersten Reihe. Ein ca. 20 Zentimeter großer hellblauer Teddybär hatte es mir angetan. Als ich ihn in den Händen hielt konnte ich mein Glück kaum fassen. Ich wollte nur noch nach Hause um meine Errungenschaft allen zu zeigen. Mein Großvater hatte alle Geschäfte getätigt, und so traten wir sofort den langen Heimweg an. In den zweieinhalb Stunden, bis wir zu Hause waren, habe ich meinem Großvater bestimmt gefühlte hundertmal erzählt, welch ein Glück ich doch hatte. Und er hat mir bestätigt, dass ich ein richtiger Glückspilz bin. Daheim angekommen, zeigte ich gleich allen das Stofftier. Die Geschichte mit meinem unverschämten Glück habe ich auch kundgetan. Großmutter hat sich mit mir gefreut, nur meine Mutter hat sich ganz abfällig über meinen Teddy geäußert. »Was verstehst den du schon von Glück. Anstatt des hässlichen Bären hättest du auch etwas Nützliches mitbringen können«, sprach sie.

Meine Freude war dahin, am liebsten hätte ich geweint.

Den hellblauen Bären stellte ich neben mein Bett. Immer wenn ich ihn ansah, wusste ich nicht, soll ich mich freuen oder soll ich weinen. Und über die Frage: »Was ist Glück«, habe ich öfter nachgedacht.

Nach circa einem Jahr bei meinen Großeltern wurde ich eingeschult. Ich habe mich so richtig darauf gefreut andere Kinder zu treffen. Mit Alfons, der mit seiner Mutter und Oma aus Schlesien vertrieben wurde und wie schon gesagt bei uns in einem Zimmer im Erdgeschoss wohnte, wollte ich mit ihm den Schulweg gemeinsam gehen. Ich hatte gehofft er würde mir alles in der Schule zeigen. Aber es kam ganz anders. Es war meine erste große bewusste Enttäuschung.

Zwei Tage vor Schulbeginn ist er mit seiner Mutter und Großmutter in die Stadt gezogen. Mein Großvater hat ihre wenigen Habseligkeiten auf einen Leiterwagen gepackt und in die Stadt gebracht.

Ich war sehr traurig, vor allem weil mir das niemand gesagt hat, obwohl es alle wussten.

Also musste ich zur Schule alleine gehen. Alle sind mit Ihren Eltern gekommen nur meine Mutter hat sich geweigert, obwohl mein Großvater sie dazu aufgefordert hat, mich zu begleiten. Alle hatten eine schöne, mit bunten Bildern beklebte, Schultüte. Nur ich hatte eine braune Papiertüte aus dem Krämerladen, in der normalerweise Zucker oder Mehl verpackt wurde. Es gab fast keine abgepackten Lebensmittel. Viele standen in großen Säcken oder Schachteln im Laden und wurden bei Bedarf erst abgewogen und verkauft.

Die Schule war eine sogenannte Zwergen-Schule. Acht Klassen in einem Raum, mit alten Schulbänken und eingelassenem Tintenfass. Das einzige Klassenzimmer wurde im Winter mit Holz beheizt. Oft mussten wir Kinder das Brennholz im Schuppen, der neben der Schule stand, stapeln. Den Lehrer kannte ich schon, denn er ist ab und zu mit meinem Onkel in die Stadt gefahren.

Er hatte kein Auto und zu Fuß war es sehr beschwerlich.

Die Älteste seiner drei Kinder, war ein Jahr älter als ich.

Mit ihr habe ich mich angefreundet und durfte so zweimal im Jahr zu ihr zum Spielen gehen. Ich ging gerne in die Schule, denn ich bin wissbegierig und das Lernen fiel mir leicht. Die ersten Schuljahre waren angenehm. Der Lehrer streng aber gerecht.

In das nahe gelegene Dorf, zu anderen Kindern zum Spielen durfte ich leider nicht gehen.

Zu Hause musste auf meine Großmutter achten, und zwar immer dann wenn alle auf dem Feld oder im Sägewerk arbeiteten. Wenn sie etwas brauchte musste ich es ihr bringen oder jemanden holen, der sie z. B. auf den Topf setzte, denn das konnte ich noch nicht. Ich habe ihr die Haare gekämmt, was zu Trinken gereicht. Tante Linda blieb auch oft bei meiner Großmutter, wenn noch Hausarbeiten zu machen waren.

Dann schlich ich aus dem Haus und lief zum Sägewerk. Die genauen Arbeitsabläufe der verschiedenen Maschinen interessierten mich sehr. Außer dem großen Gatter gab es da noch eine Hobelmaschine, einen Doppelsäumer, eine Pendelsäge und einen Holzbündler.

Meine Mutter, die dort arbeitete, sah das nicht so gerne.

Hau ab und mach dass du wegkommst, habe ich in dieser Zeit oft von ihr gehört. Aber mein Großvater hat mich dann in sein Heiligtum, seine Werkstatt, die neben dem Sägebetrieb lag, geholt. Unter dem Fußboden rumorte das Wasserrad. Wenn man aus dem Fenster schaute konnte man die Gischt vom herabstürzenden Wasser, das über die Kammern des Rades lief sehen.

Sein Werkzeug war immer ordentlich aufgeräumt. An der Wand hingen Handsägen in allen Größen, unzählige Stemmeisen nach Größen sortiert. Auch die Schraubenschlüssel und die Schraubenzieher hingen sauber, immer griffbereit an der Wand.

Eine große und eine kleine Hobelbank und eine Schnitzbank standen da. Hobel und Hammer aller Art und Sägen in allen Variationen hatten ihren Platz. Äxte, einen Hackstock und ein Regal, in dem befanden sich Schächtelchen mit Schrauben und Nägeln aller Art nach Größe sortiert. Ich durfte als Einzige seine Werkzeuge benutzen. Nicht immer sachgemäß und die scharfen Stemmeisen waren bald stumpf, aber er hat mich nicht geschimpft. Und auf meine schiefen Vogelhäuschen, die ich gebaut habe, war er ganz stolz und hat mich gelobt. Bei ihm habe ich etwas fürs Leben gelernt, nämlich den Umgang mit Werkzeug.

Wenn mein Großvater die Werkstatt verlassen hat, hat er sie stets zugesperrt. Den Schlüssel hat er in seine Hosentasche gesteckt und stets mit sich herumgetragen. Ich glaube er hat ihn sogar mit ins Bett genommen. Denn er konnte es nicht ausstehen, wenn sein Werkzeug unsachgemäß benutzt wurde und irgendwo hingelegt wurde und er es nicht gleich fand, wenn er es brauchte. Stundenlanges suchen verabscheute er. Deshalb gab es für die Allgemeinheit, in der Sägehalle eine extragroße Hobelbank mit verschiedenem Werkzeug.

Wenn ich in seine Werkstatt kam, leuchten seine Augen und er hat sich gefreut, dass ich mich für seine Arbeit interessierte. Bei der Gelegenheit erzählte er mir immer von seinem ältesten Sohn, der in den Krieg ziehen musste. Er war gelernter Zimmermann und hätte die Tradition fortführen sollen. Er galt als in Stalingrad vermisst. Oft sind wir am Radio gesessen und lauschten, wenn die Namen der Heimkehrer aus der Gefangenschaft genannt wurden. Aber er wurde nie genannt. Meine Großeltern waren jedes Mal ganz traurig und mein Großvater ging wieder in seine Werkstatt. Er hat dort heimlich geweint, einmal bin ich ihm gefolgt und wollte ihn trösten, da habe ich seine Tränen gesehen. Er hat mich ganz fest in den Arm genommen und gesagt: »Wenn nur du ein Bub wärst, dann könnte ich dir den Betrieb vermachen.« Dass Frauen das auch können, das war für ihn nicht denkbar.

Manchmal durfte ich mit Großvater ins Wirtshaus gehen. In zwei, drei Wochenabständen besuchte er das nahe gelegene Gasthaus. Aus geschäftlichen Gründen wie er sagte und vielleicht auch wegen dem guten Bier. Für mich hat er eine Limo bestellt und für sich ein Seidel Bier. Ich saß ganz still neben ihm und habe den Gesprächen am Stammtisch gelauscht. Die meisten Männer waren in seinem Alter so um die sechzig und stammten aus dem Dorf.

Meist ging es ums Geschäft. Wann jemand wieder eine Scheune oder Haus baut und dafür bei ihm Holz schneiden lassen wollte. Welche Bretter und Balken gebraucht wurden. Wann man das Holz bringen darf und wie lange es dauern wird. Die Männer haben ihn auch gelobt. Keine der umliegenden Sägewerke würde aus den Baumstämmen so viele brauchbare Bretter und Balken schneiden und so wenig Abfall produzieren wie er. Ich war ganz stolz auf meinen Großvater. Geschäfte wurden stets per Handschlag besiegelt.

Einmal hat einer der Bauern gefragt warum er den Bangert mit ins Wirtshaus nimmt. Das Wort habe ich vorher noch nie gehört. Aber ich habe befürchtet, dass es etwas mit mir zu tun haben musste.

Mein Großvater ist aufgestanden und hat gesagt: »Wenn ich so etwas noch einmal höre, setze ich mich nicht mehr zu euch an den Stammtisch und euer Holz könnt ihr dann woanders schneiden lassen. Sie gehört zu mir und aus.«

Es war ganz still im Raum und niemand hat widersprochen.

Großvater hat dann die Zeche bezahlt und wir haben uns auf dem Heimweg gemacht. Die Wirtin hat ihn gebeten halt doch wieder zu kommen.

Ich habe ihn dann gefragt, was ein Bangert ist.

Er hat es mir erklärt und dazu gesagt: »Ein Mensch ist ein Mensch egal woher er kommt. Menschen sollten nach ihren Taten und Leistungen beurteilt werden. Für ihre Herkunft können sie doch nichts.« Und er meinte auch, dass mir das noch öfter passieren würde.

Egal was sie sagen, immer den Kopf schön oben halten sonst scheißen sie dir darauf.

Mein ganzes Leben lang habe ich das nie vergessen, und zum Leidwesen mancher Mitmenschen mich auch daran gehalten. Man gilt dann leicht als arrogant, was ich damals, als Kind noch nicht einschätzen konnte. Ein anderes Mal hat er mir erklärt, dass man alle Leute, die einem begegnen, freundlich grüßen kann. Denn das kostet nichts und ist gut fürs Geschäft.

Eine Woche vor Ostern, war mein Großvater für ein paar Tage mal weg. Er ging zu Fuß ca. 25 Kilometer querfeldein in seine alte Heimat und besuchte seine Schwester. Von dort war es nicht mehr weit zu einem naheliegenden Wallfahrtsort. In der Kirche hat er dann bei dem Pater die österliche Beichte abgelegt.

Jedes Jahr sah er das als seine Pflicht an, den langen Weg, auf sich zu nehmen und Busse zu tun.

Da meine Mutter mich nicht in ihrer Nähe haben wollte, bin ich immer hinter meinen Tanten hergelaufen. Mit Tante Irma auf die Wiese um Futter für die Kühe zu holen. Ich habe im Stall mit geholfen, aber so richtig Freude hat es mir nicht gemacht.

Beim Waschtag mussten alle helfen, außer meiner Mutter, sie blieb im Sägewerk. Am frühen Morgen wurde im Waschhaus ein großer Kessel mit Holz angeheizt. Kernseife und Wasser waren darin und natürlich die Kochwäsche. Ab und zu wurde mit einem großen Holzstecken kräftig umgerührt, und später wurde sie mit einer großen Holzzange in den Waschtrog umgefüllt. Der Trog wurde dann auf den Hof getragen und auf ein Holzgestell gehoben. Es hat mächtig gedampft. Als die Wäsche etwas abgekühlt war, musste man sie mit der Wurzelbürste bearbeiten. Dazu legte man das zu säubernde Stück Wäsche an die steile Seitenwand des Troges, hat es dann mit Kernseife eingeseift und ist mit der Bürste kräftig hin und her gefahren. Eine anstrengende Angelegenheit. Zu zweit wurde die Wäsche dann ausgewrungen und über den Hof zu unserem Weiher getragen. Dort hat man im fließenden Wasser, im Einlaufbereich zum Wasserrad, die Wäsche von den Seifenresten befreit. Man musste höllisch aufpassen und auf keinen Fall durfte man das Wäschestück loslassen, sonst wäre es weg gewesen und den Bach hinunter geschwommen. Nach dem Auswringen wurde sie im Garten aufgehängt oder zum bleichen in das Gras ausgelegt. Eine richtige Knochenarbeit, vor allem im Winter.

Im Sommer wurde das Getreide geerntet, da mussten alle mit aufs Feld. Die Männer schnitten mit einer Sense den Weizen oder Roggen, zwei meiner Tanten haben die Halme mit den Ähren zu Bündel gebunden. Tante Linda und ich mussten sie dann zum Trocknen aufstellen. Dazu wurden erst mal zwei Bündel aufgestellt, die ich festhalten musste. Dann wurden reihum weitere Garben angestellt, bis das Ganze von alleine stand. Keine schöne Angelegenheit. Weil ich noch so klein war, streiften die Ährenbündel ständig mein Gesicht und meine Augen. Auf dem ganzen Feld standen nun solche sogenannten Kornmännchen. Das Mähen ging mächtig in die Arme und die gebückte Haltung beim Garbenbinden, war kein Honiglecken. Abends waren alle todmüde.

Nach einiger Zeit wurden dann die Garben mit dem Leiterwagen nach Hause gefahren, und in der Scheune aufgestapelt. Im Herbst ist die Dreschmaschine bestellt worden. Ein riesiges Ungetüm, das mit einem Dieselmotor angetrieben wurde und einen Höllenlärm verursachte. Sie stand in der Scheune auf der Tenne, genau über dem Loch des oberen Bodens. Von dort wurden die Garben auf die Dreschmaschine geworfen. Wieder mussten alle mithelfen. Oben auf der Dreschmaschine hat man die Garben geöffnet und die Halme mit den Ähren vorsichtig in die Maschine hineinlaufen lassen. Hinten ist das gebündelte Stroh herausgekommen, das wieder in der Scheune verstaut wurde, denn das diente als Unterstreu für die Kühe im Stall. Vorne hingen große Jutesäcke, dahinein ist das Getreide gerieselt.

Später wurde das Getreide mit einer anderen Maschine noch gereinigt.

Die vollen Getreidesäcke hat man in einer trockenen Dachkammer aufbewahrt. Was nicht für den eigenen Bedarf bestimmt war, wurde verkauft.

Im Herbst musste ich auch mit Kartoffel ernten. Mit der Harke wurden sie herausgerissen, das machte mein Großvater und meine Tante Irma, meine Tante Linda und ich mussten sie in den Korb klauben und auf einen Anhänger schütten. Am Abend tat der Rücken ganz schön weh. Sie wurden dann im Keller gelagert und mussten bis zur nächsten Ernte reichen. Die zwei feinen Tanten aus der Stadt sind nach der Ernte gekommen, um ihren Vorrat für den Winter abzuholen. Großmutter meinte zwar immer, sie hätten auch früher kommen können um zu helfen.

Auch Rüben für die Kühe wurden vom Feld geholt und gelagert.

Kraut wurde geerntet und mit einem Hobel geschnitten und in ein irdenes Fass geschichtet. Dazu wurden meine Füße geschrubbt und sauber abgetrocknet. In das Fass kam eine Schicht Kraut und eine Salzmischung und dann kam ich zum Einsatz. Ich musste mit meinen Füßen das Kraut verdichten. Einstampfen sozusagen. Das Fass wurde nicht ganz vollgefüllt, denn es wurde noch eine Holzscheibe auf das Kraut gelegt und mit einem großen Pflasterstein beschwert. Darüber kam noch ein sauberes Leinentuch.

Nun konnte das Kraut seinen Gärungsprozess durchlaufen. Ab und zu wurde nachgeschaut und der Schaum abgeschöpft, der sich bildete. Nach ein paar Wochen konnte man es herausnehmen und kochen. Portionsweise natürlich. Es hat den ganzen Winter gereicht, obwohl es jeder Samstag Sauerkraut und Dotsch (Kartoffelpuffer) gab.

Äpfel und Birnen sind in Holzkisten gelagert worden. Von Pflaumen und anderen Früchten haben wir Marmelade gekocht. Karotten sind in Sand gelegt, und Gemüse in Gläser eingeweckt worden. Damals mussten noch Vorräte angelegt werden.

Für das Mehl das wir brauchten, haben wir unser geerntetes Getreide zu unseren Nachbarn, der eine Mühle besaß, gefahren. Später haben wir das fein gemahlene Mehl und die Kleie abgeholt. Das Mehl kam in eine große Truhe aus Holz, die auf dem Dachboden stand. Die Kleie wurde an die Säue verfüttert.

Der Winter konnte kommen.

Im Winter kam der Bruder meiner Großmutter und hat unser selbst gefüttertes Schwein geschlachtet. Es wurde mit einem Schießbolzen betäubt und dann fachmännisch gestochen.

Ich musste mit einem Eimer das Blut auffangen und ständig rühren, damit das Blut nicht gerinnt. Diese Arbeit tat ich ungern denn ich ekelte mich vor dem Blut. Aber danach hat niemand gefragt. Es musste gemacht werden und da es sonst keiner tun wollte, traf es jedes Mal mich. Später wurden daraus Blutwürste gemacht. Bis heute kann ich solche Würste nicht essen.

Das Schwein wurde in den Waschtrog gelegt, mit Pech eingerieben und mit heißem Wasser übergossen. Dann wurden mit Schabern die Borsten entfernt. Es war kalt und man musste im Freien arbeiten. Nachdem die Sau fachgerecht zerlegt wurde, konnte man drinnen weitermachen. Einige Fleischstücke wurden gepökelt, und nach ein paar Tagen in die Räucherkammer, auf dem Dachboden, gehängt. Anderes Fleisch wurde durch den Fleischwolf gedreht und zu Wurst verarbeitet. Der Wäschekessel ist schon am frühen Morgen aufgeheizt worden, weil viel heißes Wasser gebraucht wurde. Darin sind dann die Würste und das Fleisch das nicht zum Räuchern verwendet wurde, gegart worden. Da manches Würstchen aufgeplatzt ist, gab es eine gute Wurstsuppe. Es wurde nichts weggeworfen.

Nachbarn kamen mit Milchkannen und haben sich so eine Suppe geholt. Das eine oder andere Würstchen war darin und ein Stück Fleisch.

Die fertigen Würste kamen dann, in einen Raum im Obergeschoss des Hauses, denn da wurde nicht geheizt. Dort war es bitterkalt und so hielten sich die Würstchen länger frisch. Kühlschrank gab es ja nicht.

Ich schlich oft hinauf und habe so manches Würstchen heimlich verdrückt.

Im nahe gelegenen Ort gab es einen »Krämerladen.« Zucker und Reis wurden noch abgewogen und in eine Papiertüte verpackt.

Mit meiner Tante durfte ich manchmal einkaufen gehen. Der Laden stand mitten im Dorf und war ca. einen Kilometer von unserem Haus entfernt. Etwa zwei Kilometer westlich von uns in dem anderen Dorf gab es noch einen Krämer. Dort gingen wir auch zum Einkaufen und besuchten dann die Schwester meiner Großmutter. Sie wohnte direkt gegenüber vom Krämerladen. Einmal durfte ich mit der Tante Irma dorthin.

Beim nach Hause gehen mussten wir über den großen Dorfplatz. Alte Frauen standen bei der Dorfkapelle beisammen und tratschten.

Als wir vorbeigehen wollten fragte eine Frau: »Na, wem gehört den das nette Mädchen, es ist wohl die Tochter eurer Gertrud.« Tante Gertrud war verheiratet und ihr Mann in Stalingrad vermisst.

Sie kramte in ihrer Schürzentasche, alle Frauen trugen damals auch außer Haus eine Kittelschürze, und sagte: »Ich habe bestimmt noch ein Zuckerl in meiner Tasche, das sollst du haben, weilst gar so schön bist.«

Meine Tante meinte: »Nein, nein das ist der Hanne ihre«, so hieß meine Mutter. Die Frau hat wie versteinert geschaut und nach dem Bonbon hat sie auch nicht mehr gesucht. Die anderen haben sich weggedreht und waren gar nicht mehr freundlich. Tante Irma wurde noch gefragt: »Warum nimmst du das Kind überhaupt mit, wegen uns könntest du die da zu Hause lassen.« Auf dem Heimweg hat meine Tante geschimpft: »Diese eingebildeten Weiber sollen sich um ihre eigenen Sachen kümmern.«

Die Kühe gaben Milch und man musste sie durch die Zentrifuge drehen. Dort wurde der Rahm gewonnen. Der wurde ein paar Tage gesammelt und dann in das Butterfass geschüttet.

Außen war eine Kurbel, daran musste ich drehen. Innen bewegten sich kleine Schaufeln aus Holz und nach langer Zeit wurde Butter gewonnen. Die Arme haben mir ganz schön wehgetan und ich war froh, wenn mich meine Tante ablöste.

Aus der übrig gebliebenen sogenannten Buttermilch kochte meine Tante am Abend eine Suppe. Meine Mutter aß diese gerne und hat auch mir den Teller immer vollgemacht. Randvoll!

Ich mochte die Suppe gar nicht, musste sie aber trotzdem essen. Wer den Teller nicht leer gegessen hatte bekam auch nicht anderes zu essen. Nun saß ich eine Stunde vor dem Teller und mühte mich ab. Meine Mutter war gnadenlos und blieb so lange bei mir sitzen, bis ich den Teller leer gegessen hatte. Meine Großmutter hat schon geschimpft, sie soll mich nicht so quälen und mir eine kleine Portion in den Teller geben, aber meine Mutter lies sich nicht erweichen.

Ich musste folgen und ich durfte nicht widersprechen.

Tat man es doch einmal, gab es sofort Ohrfeigen, je nach Laune auch mal drei oder vier. Habe ich dann geheult, folgten noch ein paar hinterher. Oder ich wollte ein bestimmtes Kleid nicht anziehen, weil es am Hals so eng war, da hat sie mich so verhauen, meine Großmutter wollte einlenken, aber sie lies sich von ihr nichts sagen.

Und meine Großmutter lag im Bett und war auf die Hilfe ihrer Töchter angewiesen und deshalb dann still.

In den Unterricht bin ich gern gegangen. Ich lernte viel Neues und konnte in den Pausen mit anderen Kindern spielen. Nach der Schule wurde ich sofort erwartet, denn für mich gab es auch immer Arbeit. Mein Onkel meinte, wer am Tisch sitzt und isst, muss auch arbeiten.

Holz aufschichten und Abfallholz bündeln.

Unser Lehrer hat uns in der ersten Klasse auf den Muttertag vorbereitet. Wir mussten ein Gedicht lernen und er hat uns geraten, es noch vor dem Frühstück aufzusagen. Es wäre auch noch schön, wenn wir der Mutter ein paar Blumen überreichen würden. Sie würde sich bestimmt sehr freuen. Natürlich habe ich die Anweisungen des Lehrers befolgt. Zum einen wollte ich auch einmal etwas richtig machen. Zum anderen wollte ich auch einmal von meiner Mutter gelobt werden und ich malte mir schon aus, dass sie mich anlächeln und in den Arm nehmen würde.

Also stand ich schon ganz früh auf, ging an den Bach und holte Dotterblumen und Gräser. Daraus habe ich einen schönen Strauß gebunden. Meine Tante Irma gab mir noch ein Stück Seife aus ihrem Wäscheschrank. Seife war damals etwas sehr Kostbares. Mit diesen beiden Geschenken wartete ich in der Wohnküche auf meine Mutter. Ich stand neben dem Bett meiner Großmutter, das auch in der Küche stand. Ich war schon ganz aufgeregt. Denn ich wollte das Gedicht, das wir in der Schule gelernt haben, aufsagen. Dann kam meine Mutter zur Tür herein. Ich trat gleich vor sie hin, habe ihr die Blumen in die Hand gedrückt und alles Gute zum Muttertag gewünscht. Als ich gerade mit dem Gedicht beginnen wollte, hat sie die Blumen auf die breite Fensterbank geschmissen. »Scheiß Muttertag, den braucht keiner und ich schon gar nicht«, schrie sie und hat die Küche verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt. Ich stand wie erstarrt. Hatte ich mir das doch so schön ausgemalt und hatte keine Ahnung warum sie so reagiert hat. Meine Großmutter hat mich zu trösten versucht. Alle im Haus haben ihr dann die Meinung gesagt, dass das nicht richtig ist wie sie mit mir umgeht, aber geändert hat sich dadurch nichts. Die kommenden Muttertage habe ich immer gefürchtet. Wenn ich an Muttertag denke, sehe ich immer noch die hingefeuerten Blumen auf der Fensterbank liegen. Seitdem habe ich eine sehr geteilte Einstellung zu diesem Tag.

Heute feiere ich keinen Muttertag mehr, obwohl ich Mutter bin.

Ich habe immer dann Muttertag, wenn meine Kinder mich besuchen.

Bei den Hausaufgaben hat mir niemand geholfen und sie wurden auch nicht kontrolliert. Ich habe gern gelernt und ich war wissbegierig. Als dann immer das Zeugnis kam, ich hatte ein sehr gutes. Meine schlechteste Note, eine Drei in Schrift. Denn ich schrieb in der Schule einen Text an die Tafel, den die anderen Kinder ins Heft schreiben mussten. Da ich den Text auch noch in mein Heft schreiben musste, hab ich halt schnell schreiben müssen. Das ergab halt kein schönes Schriftbild. Bei den Hausaufgaben habe ich »aus Zeitmangel« halt auch geschmiert. Meine Mutter ist dann stets ausgerastet und hat mich geschlagen. Daraufhin meinte meine Großmutter: »Mach doch mit ihr die Hausaufgaben. Du kannst dann den Haushalt führen und dich um deine Tochter und um mich kümmern.« Aber das wollte meine Mutter nicht. Sie hat lieber im Sägewerk gearbeitet. Und ich bin immer hinter meiner Tante hergelaufen. Mit der ich mich gut verstand. Sie hat mir manches gezeigt und wenn ich es nicht richtig machte, wurde ich von ihr auch nicht geschimpft.

Auf meinem Schulweg musste ich so vierhundert Meter am Wald entlang gehen und dann an der Mühle mit Bauernhof vorbei und noch ca. fünfhundert Meter bergauf bis an den Ortsanfang. Dort stand die Schule. Vom Klassenzimmer aus konnte ich auf das Sägewerk blicken. An der Mühle vorbeigehen, das mochte ich nicht so gerne weil meist der große Schäferhund am Straßenrand lag. Vor ihm habe ich mich sehr gefürchtet. Leider konnte ich nicht ausweichen, denn es gab keinen anderen Weg zur Schule. Direkt an der Mühle musste ich über den Bach. Ich bin ganz ängstlich vorbei gegangen und immer nach dem Hund geschaut oder ich habe gewartet bis jemand aus dem Stall kam, dann bin ich schnell vorbei gegangen. Die Nachbarn haben mich nur ausgelacht und gemeint. »Der Hund ist ganz brav und tut dir nichts.« Jahrelang bin ich immer mit dieser Angst an der Mühle vorbei geschlichen. Jeden Tag. Das war der Horror. Meiner Tante Irma habe ich davon erzählt. Sie hat mit den Nachbarn gesprochen, sie sollten doch den Hund anketten bis ich in der Schule wäre. Ein paar Mal hat es geklappt, dann war es wieder dasselbe. Ich glaube sie haben sich köstlich über meine Ängstlichkeit amüsiert. Mein Großvater hat deswegen vorgesprochen, aber es hat nichts genützt.

Eines Tages auf dem Heimweg von der Schule, ich war schon fast am Hof vorbei, ist der Hund plötzlich hinter mir hergesprungen und hat mich in den Oberschenkel gebissen. Mein Kleid und meine Unterwäsche waren zerrissen und das Blut ist mir über die Beine gelaufen. Heulend lief ich nach Hause. Mein Großvater hat sofort den Arzt geholt und ich bekam eine Spritze und bin verbunden worden. Dann ist er zu unseren Nachbarn gegangen und hat von dem Vorfall berichtet. Einige Zeit war der Hund an der Leine, aber ich habe mich trotzdem gefürchtet, als ich da vorbei gehen musste.

Dann haben sie einen neuen Hund bekommen und das Spiel ging wieder von vorne los. Der Hund tut nichts und ich wäre jetzt ja schon groß, ich soll mich nicht so anstellen.

Im Frühsommer sind dann die Maurer zu uns gekommen, denn es wurde ein Stall gebaut.

Bisher standen die Kühe im Hausanbau mit Zugang zum Flur. Nur durch eine Doppeltüre getrennt. Eine Türe führte direkt vom Stall ins Freie zum Misthaufen, der sich mitten im Hof befand. Jetzt ist hinter dem Stall eine Jauchegrube betoniert worden und es wurde ein neuer Misthaufen außer Sichtweite angelegt. Die Kühe bekamen eine Selbsttränke montiert und Abstandsgitter an den Futtertrögen. Das Futter musste man jetzt nicht mehr zwischen den Rindern vorbei in die Raufe heben. Sie bekamen einen durchgehenden Trog an dem man bequem vorbeigehen konnte. Das Futter wurde von vorne in den Trog gespießt. Wo früher der Mist lag, ist ein betonierter Autowaschplatz mit Gulli entstanden. Wir haben ein neues Waschhaus, ein Spülklosett und ein Bad bekommen.

Das Bad mit einer Emaille – Wanne und einem mit Holz beheizten Warmwasserboiler. Der alte Stall ist grundsaniert worden und daraus wurde ein Büro. Schreibtische standen darin, Regale mit Ordnern und eine Schreibmaschine, die mich magisch anzog. Doch leider durfte ich darauf nicht üben. Wenn ich es einmal doch probierte, wurde ich fürchterlich ausgeschimpft und auf die Finger geklopft. Unnötig Papier- und Farbbandvergeudung nannten sie das. Nur wenn meine Cousine aus der Stadt zu Besuch kam, die durfte damit üben. Sie könnte es ja Mal beruflich brauchen. Ich habe sie sehr beneidet.

Einmal im Jahr bin ich mit meiner Tante Linda zum Zahnarzt gegangen. Als ich das erste Mal mitgehen musste, haben sie mir alle wahre Schauermärchen erzählt. Von dem Stuhl, in dem man sich setzen musste, und von den großen Zangen, mit denen der Zahnarzt die Zähne reißt. Nach einem siebeneinhalb Kilometer langen Marsch sind wir endlich in der Praxis des Zahnarztes angekommen. Im Wartezimmer setzten wir uns auf die gepolsterten Stühle, solange bis wir in den Behandlungsraum gebeten wurden. Termine sind damals nicht gemacht worden. Man ist einfach hingegangen und hat gewartet bis man an der Reihe war. Ich hatte solche Angst, aber als wir in das Sprechzimmer gebeten wurden, war ich so müde, dass es mir egal war was auf diesem Stuhl mit mir passieren würde. Außerdem hat sich meine Tante vor mir behandeln lassen, es schien nicht sehr schmerzhaft zu sein. Jedenfalls hat sie nicht geschrien.

Wenn ich mich anständig benehme und keinen Pieps mache, so hat mir meine Tante versprochen, gehe sie mit mir in den Krämerladen und kauft mir Zuckerln. Sehr sinnig. Aber es ist alles gut gegangen. Ein bisschen gebohrt und fertig.

Im Sommer sollten wir an die allgemeine Stromversorgung angeschlossen werden.

Dazu mussten große Masten gesetzt werden. Vom nächstgelegenen Ort führte die Trasse über Wiesen und Felder der dortigen Bauern. Der Landkreis war der Bauträger und hat Arbeiter damit beauftragt die Löcher für die Strommasten von Hand zu graben. Als dann die Firma mit den Eisenmasten ankam und sie einbetonieren wollten, waren einige Löcher wieder zugeschüttet. In der Nacht haben einige Bauern, die nicht damit einverstanden waren, dass in ihren Feldern so ein Ungetüm stand, ganze Arbeit geleistet und die Löcher wieder zugefüllt. Schließlich ist die Polizei gekommen und hat die Übeltäter ausfindig gemacht. Ob sie eine Strafe bekommen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber den Stromanschluss haben wir dennoch, wenn auch mit Verzögerung bekommen.

Die Elektriker verlegten Kabel, montierten einen großen Schaltkasten zur Stromverteilung, an der Innenwand, gleich neben dem Eingang zum Sägewerk. Jetzt konnte man jederzeit Bäume durch das Gatter lassen und musste nicht auf einen mit Wasser gefüllten Weiher warten. Ohne Wasser, keine Energie. War nun genug Wasser da, drehte sich das Rad und der erzeugte Strom wurde ins Netz gespeist. So konnte das ganze Wasser ausgenützt werden. Früher, wenn kein Wasser zum Schneiden gebraucht wurde, wurde eine sogenannte Schütze am Weiher-Einlauf herunter gelassen, dass der Weiher nicht überläuft. Das Wasser floss dann ohne Umweg über den Weiher, ungenützt im Bach weiter.

Mit der Stromversorgung kam dann auch das Telefon.

Dazu musste vom nächstgelegenen Anschluss, der ca. anderthalb Kilometer von uns entfernt war, ein Kabel zu unserem Haus verlegt werden. In Eigenleistung wurden Telegrafenmasten in gleichmäßigen Abständen neben der Straße gesetzt. Dazu sind Löcher mit Pickel und Schaufel gegraben worden. Die von der Rinde befreiten Baumstangen hat man hingestellt und das Erdreich wieder in das Loch geschaufelt und festgestampft. An den ca. 3 Meter hohen Stangen sind Halterungen befestigt worden und darin das Telefonkabel geführt.

Das Telefon selbst war ein schwarzer Kasten mit einer Messinggabel, darauf lag der Hörer. An der Seite befand sich eine Kurbel. Wollte man telefonieren, nahm man den Hörer ab und dann drehte man an der Kurbel. Dann wartete man bis sich das Fräulein vom Fernamt meldete, und dort teilte man seine Verbindungswünsche mit. Sofort hat sie uns mit dem gewünschten Teilnehmer verstöpselt. Meistens hat es funktioniert. Nach dem Gespräch legte man den Hörer wieder auf die Gabel, drehte wieder an der Kurbel, denn erst dann war das Gespräch beendet und beim Fernamt abgemeldet.

Ansonsten ging in der Schule alles so weit prima, bis wir in der 3. Klasse vom hochwürdigen Herrn Pfarrer Kommunion-Unterricht bekamen. Wir wurden als Erstes darauf hingewiesen, dass wir elende Sünder wären und in der Hölle schmoren werden, wenn wir nicht bald den rechten Weg einschlagen würden. Bis heute weiß ich nicht, was er von uns wirklich wollte. Er hat uns ganze Seiten zum Auswendiglernen aufgegeben. Und alle die das nicht wie am Schnürchen aufsagen konnten, haben Tatzen bekommen.

Man musste die ausgestreckte Hand hinhalten und er hat mit einem Rohrstock oder noch schlimmer ein Lineal mit Stahlkante über die Finger gezogen. Manchmal ist die Haut aufgesprungen und es tat höllisch weh.

Ich habe mich schon richtig gefürchtet, wenn er den Raum betrat.

Alle Eltern der 3. Klasse haben sich beim Lehrer beschwert, über diese üble Methode. Meine Mitschüler haben mir geraten, dass ich doch zu Hause von den Vorfällen erzählen soll. Sie hätten es auch so gemacht. Daraufhin hätten sich ihre Eltern beim Lehrer beschwert und jetzt wurden sie in Ruhe gelassen. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und meiner Mutter davon erzählt. »Wenn ich noch einmal etwas dergleichen höre, dann bekommst du von mir auch noch Schläge«, schimpfte sie. Ich war richtig enttäuscht, ich hätte mir so gewünscht, dass sie sich für mich einsetzt, so wie die Eltern meiner Mitschüler. Von da an wurde meist nur ich vom Pfarrer abgefragt. Denn mich konnte er ohne Konsequenzen bestrafen.

Aus lauter Angst bin ich immer im Text stecken geblieben und ich konnte nicht mehr weiter sprechen. Wenn der Geistliche dann auf mich zu kam und mit missfallendem Blick ansah, war mein Hals wie zu geschnürt. Alles was ich vorher noch gut konnte, war auf einmal vergessen. Er hat mich beschimpft und ich wäre trotzig, hat er behauptet, dabei war ich doch nur schüchtern und habe mich gefürchtet. Dann habe ich halt die »wohl verdiente Strafe« angenommen. Ich fühlte mich schrecklich hilflos.

Zu Hause habe ich mir nichts zu sagen getraut. Ich schlich mich dann hinter einen großen Holzstoß, wo man mich nicht sehen und hören konnte, und habe ganz fürchterlich geweint.

Am Tag der hl. Kommunion trug ich ein langes weißes Kleid. Es wurde von einer Schneiderin im Dorf genäht. Am frühen Morgen hat uns mein Onkel in die circa vier Kilometer entfernte Kirche gefahren. Ich war die Einzige die mit dem Auto ankam. Alle anderen mussten den weiten Weg zu Fuß gehen.

Meine Gedanken kreisten nicht wie das sein sollte, um den Empfang des Leibes Christi, sondern mich bewegten ganz andere Dinge. Ich hatte schreckliche Angst in der Kirche etwas verkehrt zu machen. Obwohl wir wochenlang geprobt hatten. Was für eine Blamage wäre das, und ich wäre dann vor allen Leuten, von meiner Mutter oder vom Pfarrer geschimpft oder noch schlimmer geschlagen worden. Ich war so verängstigt, dass ich ihnen das zugetraut hätte.

Als das Auto vor dem Pfarrhof anhielt, kam sogleich der Pfarrer gesprungen und hatte uns die Autotür aufgemacht. Vor meinen Onkel hat er den Diener gemacht und er war so freundlich, wie ich ihn noch nie vorher gesehen hatte.

Seitdem weiß ich, dass Menschen zwei Gesichter haben können.

Diese Kirche war eine Expositur. Das heißt, dieser Priester war einem Pfarrer in der Nachbarpfarrei unterstellt. Er bekam vom Ordinariat keine eigene Pfarre zugewiesen. Seine Fähigkeiten reichten nicht aus, eine eigene Pfarrei selbstständig zu führen. Damals wusste ich das nicht, und selbst wenn, es hätte nichts genützt. Im Nachhinein erklärt sich da manches.

Vor dem Einmarsch in die Kirche sind wir der Größe nach aufgestellt worden. Ich war ganz hinten. Über eine Treppe gelangten wir vom Pfarrhof zu dem Kirchplatz. Ungewohnt in einem langen Kleid eine Treppe empor zu gehen, bin ich gleich am vorderen Saum drauf gestiegen. Es hat glaube ich niemand bemerkt. Das Kleid hochheben und in der einen Hand die Kerze in der anderen das Täschchen und das Gebetbuch, kein einfaches Unterfangen. Als ich endlich in der Kirchenbank saß, war ich heilfroh.

Aber so ein feierlicher Gedanke wollte sich bei mir immer noch nicht einstellen, aus lauter Angst, dass ich etwas verkehrt mache. Ich war so konzentriert und habe mich wie eine Marionette bewegt. So richtig mitbekommen habe ich von der Feierlichkeit nicht viel.

Beim Ausmarsch war ich froh, dass alles gut gegangen ist.

Zu Hause angekommen war der Tisch schon gedeckt. Es gab Zickleinbraten mit Semmelknödel und Salat.

Mein Großvater hat das Fleisch zu meinem Ehrentag besorgt.

Das Beste war, dass ich das schöne Kleid den ganzen Tag anbehalten durfte und meine Großmutter bestimmte, dass ich heute nicht ausgeschimpft werden durfte.

Tatzen habe ich vom Pfarrer auch nicht mehr bekommen, weil mein Großvater eine großzügige Spende für die Kirche gemacht hat, und weil wir doch ein Auto hatten.

In den Sommerferien besuchte uns eine Tochter meiner Großeltern, die in Norddeutschland verheiratet war, mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen. Meine Mutter hat mir eingeschärft, bloß keinen Ärger zu machen. So genau wusste ich nicht was sie von mir wollte.

Da ich mich sonst ständig unter Erwachsenen bewegte, freute ich mich riesig einmal mit Kindern, meines Alters zu spielen und war natürlich sehr ausgelassen. Meiner Mutter gefiel das gar nicht. Wahrscheinlich wollte sie, ihrer Schwester, eine gut erzogene und folgsame Tochter präsentieren. Das ging leider schief. Ich war lebhaft, wie meine Großmutter sagte. Eigentlich wollte ich nur die Aufmerksamkeit und die Liebe meiner Mutter erringen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich je in den Arm genommen hat. Lob kannte ich von ihr gar nicht. Sie schimpfte nur, wenn Dinge nicht nach ihren Wünschen passierten. Es war immer wie eine Mauer zwischen uns. Kaum kam ich ihr ein bisschen näher, hat sie mich wieder geohrfeigt und der Abstand ist wieder da gewesen. Meist sind es nur Kleinigkeiten gewesen um die es da ging. Einmal durfte man bestimmte Sachen machen ein andermal wieder nicht. Ständig habe ich versucht alles richtig zu machen, nur ist es mir fast nie gelungen.

Das Brot wurde immer selbst gebacken, das hat meine Mutter gemacht. Um vier Uhr ist der Sauerteig angesetzt worden und nach Stunden immer wieder durchgeknetet. Das wiederholte sich einige Male. Inzwischen hat mein Großvater den großen Backofen angeheizt. Später sind aus dem Teig Laibe geformt worden und in Strohschüsseln zum Gehen bereitgestellt. Im Backofen ist das Buchenholz herunter gebrannt und das gemauerte Gewölbe hat sich aufgeheizt. Mit einer Art Schaufel wurde der Backofen ausgeräumt. Die Asche ist dann noch mit einem sogenannten Federwisch, ein getrockneter Gänseflügel, sauber ausgefegt worden. Auf eine runde Holzscheibe mit langem Stiel daran, wurde das Brot aus der Strohschüssel gestürzt. Erst dann wurden die Brote gleichmäßig im Backofen verteilt. Sie wurden in den Ofen geschossen. Als sie fertig waren wurden sie herausgeholt und in der Resthitze sind dann noch Hefekuchen gebacken worden. Auf dem Hefeteig kamen Obst oder im Winter einfach nur Butter mit Zucker bestreut. Es hat herrlich geduftet und köstlich geschmeckt. Wir haben das Brot noch lange selber gebacken. Obwohl ein Bäcker aus der Stadt einmal in der Woche mit seinen Backwaren vorbei kam, denn Bäcker hat es auf den Dörfern nicht gegeben. Ab und zu hat meine Tante eine Schar Semmel gekauft, das waren vier Brötchen, die aneinanderhingen. Dann hat sie ein Teil abgebrochen und mir gegeben. Darüber habe ich mich riesig gefreut.

Am Abend ist mein Onkel heimgekommen. Alle saßen um den Esstisch und warteten auf das Abendessen. Nur der jüngere Sohn meiner Tante Bärbel war nicht anwesend.

»Wer hat den die Ziegelsteine aus dem Backhaus gehauen«, fragte er. Es klaffte ein großes Loch neben der Backofentür.

Keiner hatte eine Ahnung. Ich auch nicht. Den Backofen würde man noch eine Weile brauchen, es ist unverständlich so etwas zu tun. Alle starrten sie auf mich und meine Mutter hat mich auch schon bei den Haaren an sich herangezogen und mich vor allen Verwandten verhauen, trotzdem ich beteuerte: »Ich war es nicht.« Meine Großmutter meinte, es ist doch gar nicht sicher, dass sie gewesen ist. Großvater schüttelte nur mit dem Kopf. Die Tante Bärbel meinte nur, sie könnte ja noch ihren Sohn fragen, wenn er kommt.

Heulend saß ich auf der Bank und hatte so eine Wut im Bauch, weil ich es doch nicht war und trotz meiner Beteuerungen bestraft wurde.

Als wir mit dem Essen fast fertig waren, kam der »verlorene Sohn« zur Tür herein. Schon alleine für das zu spät kommen zum Essen, hätte ich schon Ohrfeigen bekommen.

Er durfte das und keiner sagte etwas. Unvorstellbar für mich.

Seine Mutter hat in gefragt, ob er die Ziegel entfernt hätte.

Ja meinte er, er wollte nur mal das Werkzeug ausprobieren.

Es war ganz still in der Küche und ich hatte gehofft, dass er jetzt geschimpft oder sogar geschlagen würde, so wie ich. Aber nein niemand hat etwas gesagt, nur seine Mutter meinte so etwas dürfe man nicht tun. Dabei hat sie den Zeigefinger gehoben. Das war alles.

Ich habe mich dann beschwert weil ich die Schläge bekommen habe, während mein Cousin sich feige versteckt und gewartet hat bis der erste Zorn verraucht war.

Großvater hat wieder nur den Kopf geschüttelt und hat den Raum verlassen. Großmutter sagte: »Wenn du jetzt wieder etwas anstellst, darf dich deine Mama nicht verhauen.«

»Das hat ihr nicht geschadet.« War der Kommentar von meiner Mutter. Und eingehalten wurde Großmutters Versprechen sowieso nicht, obwohl ich beim nächsten Donnerwetter darauf hingewiesen habe. Die Hand ist meiner Mutter ist leicht ausgerutscht. Hinterher habe ich mich dann immer so klein gefühlt, aber ich glaube das wollte sie so.

Sie drohte mir immer, wenn ich mich nicht bessere, würde der Onkel mich mitnehmen und in ein Heim für schwer erziehbare Kinder stecken. Großmutter hat mit meiner Mutter geschimpft: »Mach ihr doch nicht so Angst.« Ich erwiderte nur: »Ja dann bin ich ganz brav, denn dann schicken sie mich wieder heim.«

»Wenn ich gewusst hätte, was du für ein furchtbares Kind wirst, hätte ich dich zur Adoption freigegeben. Andere Mütter hätten das auch getan. Aber wenn ich alt bin musst du mich pflegen, sonst würde sich die Mühe deiner Erziehung gar nicht lohnen.« Hat meine Mutter zu mir gesagt. Ihre Angst war, sie werde so krank werden wie Großmutter und sie hätte niemanden, der sie pflegt. Dazu bräuchte sie dann mich. Das waren so ihre Standardsprüche.

Ich habe nur die Ablehnung gespürt, es hat sehr wehgetan.

In solchen Situationen stellte ich mir immer vor, dass ich eines Tages von netten Menschen adoptiert und in ein schönes Zuhause geholt werde. Oder vielleicht kommt einmal mein Vater vorbei und nimmt mich zu sich. Ich wollte doch nur ein bisschen geliebt werden.

Eines Tages meinte meine Mutter, für sie wäre es jetzt an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen. Großvater hatte deswegen mit ihr ein längeres Gespräch geführt, deren Inhalt ich nicht genau kenne.

Mittlerweile war sie um die vierzig und sie wollte für geregelten Lohn arbeiten und Sozialabgaben leisten um später eine Rente zu bekommen. So hat sie sich eine Stelle gesucht auf einen großen Gutshof. Dort hat sie mich mitgenommen. Meine Großeltern waren dagegen. Großmutter sagte:

»Es ist nicht gut für das Kind und du machst da mehr kaputt als alles Geld der Welt wert ist.« Aber sie hörte nicht darauf.

Der Abschied von meinen Verwandten ist mir schon schwergefallen, besonders von meinem Großvater und Tante Irma.

Das Weggehen brachte aber auch einen Vorteil. Ich brauchte auf meinem Schulweg nicht mehr an den so gefürchteten Hund unserer Nachbarn vorbei gehen und den ungeliebten Pfarrer musste ich auch nicht mehr ertragen.

Ich schneide dir die Ohren ab - bis auf zwei

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