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Ich gehe zum Lloyd um mein Billet. Sie sind auf diesen Palast sehr stolz. Er ist 1883 von Ferstl erbaut, in jenem sinnlosen und grundlosen Ringstraßenstil, der wie eine tote Sprache klingt. Ich habe einen alten ungarischen Pfarrer gekannt, der eine Vorliebe hatte, lateinisch zu reden. Gullasch essen und lateinisch reden. Und genau so wirkt dieser Bau. Und dann bin ich immer traurig, beim Lloyd. Weiß selbst nicht warum. Seine Kapitäne sind so wunderbare Menschen. Sie fühlen sich als Italiener, stammen aber fast alle von Kroaten ab, und jene Beweglichkeit mischt sich seltsam mit dieser Wehmut. Ganz stille verhaltene Menschen sind es, von einer geduldigen Höflichkeit, unter der eine stumme Sehnsucht ruht. Ich habe sie sehr gern, aber sie machen mich so traurig. Warum? Ohne gesprächig zu sein, lassen sie sich doch gern einmal zum Erzählen verführen und haben dann die lustigsten Geschichten bereit. Wie oft, bei ruhiger See, wenn wir nach dem Essen abends im Dunkel mit glühenden Zigarren beisammen saßen, hab ich ihnen gehorcht! Und doch macht's mich immer traurig. Unter ihren Worten, während der Mund lacht, ist eine Traurigkeit. Und dann fährt einmal ein Schiff des Norddeutschen Lloyd oder der Hapag vorbei. Da verstummen sie. Sitzen still und schauen hin und rauchen. Höchstens, daß einer einmal sagt: Glauben Sie, wir könnten das nicht auch, was die können? Und dann kommt's langsam heraus: sie fühlen sich als die besten Seefahrer und begreifen nicht, warum ihnen die vorkommen, die nordischen! Und da stehen sie dann nachts auf der Brücke im Wind und denken daran. Wir können so viel als die! Wir sind nicht schlechter! Warum läßt unser Lloyd die anderen vor? Das liegt schwer auf ihnen.

Wir sitzen in der Direktion oben beisammen, geraten ins Reden, und ich sage ihnen das. Euere Leute sind unfroh, weil sie das Gefühl haben, der Lloyd könnte mehr sein. Warum ist er es nicht? Warum seid ihr so falsch bescheiden? Warum seid ihr weniger, als ihr könnt? Man ist sehr artig mit mir, aber nicht ohne jenen leisen Spott, den Fachmenschen für Laien haben. Ein Fachmensch ist, wer den Apparat im einzelnen kennt. Einen Laien nennt er jeden, der nicht nach dem Apparat, sondern nach der Leistung fragt. Der Fachmensch ist zufrieden, wenn der Apparat in Ordnung ist. Der Laie hätte stets Lust, auch einmal den Apparat zu wechseln. Man weist mir nach, daß der Apparat in Ordnung ist. Aber ich frage wieder: Warum seid ihr, nach der Meinung euerer eigenen Leute, nicht alles, was ihr sein könntet? Man antwortet mir: Weil es sich nicht rentiert! Und rechnet mir vor, daß wir uns mit den nordischen Gesellschaften nicht messen können, denn diese haben den amerikanischen Handel und das Geschäft mit den Auswanderern voraus. Und nun Zahlen, ganze starre Reihen drohend aufgereckter Zahlen. Zahlen beweisen! Ja, dem Kaufmann. Seid ihr Kaufleute? Ist die Schiffahrt eines Landes ein Geschäft? Gehört sie nicht vielmehr zu den moralischen Dingen? Rentieren sich Armee und Flotte? Rentieren sie sich kaufmännisch? Baut man eine Bahn nur, wenn bewiesen ist, daß sie sich rentieren muß? Versteht ihr nicht, daß die Schiffahrt eines Landes ein Ausdruck seiner Macht und seines Willens ist? Die Schiffahrt kann Geld einbringen. Aber auch moralische Dinge: Mut, Stolz, Lust kann sie bringen. Und Mut, Stolz, Lust kreisen dann im Lande, bis zuletzt auch aus ihnen wieder Geld wird. Freilich sagt der Lloyd mit Recht: Ich bin ein privates Unternehmen, ich kann nicht mein Geld hergeben, damit es irgendwo zuletzt zum Gelde eines anderen werde. Er hat recht, aber der Staat hat unrecht, der nicht einsieht, daß die Schiffahrt ein Brunnen öffentlicher Energie, des Selbstvertrauens und der Tatenlust sein kann. Den Schiffen eines Landes sieht man an, ob es ein kleinmütiges oder ein hochgesinntes Land ist.

Nun ist ja Derschatta Präsident des Lloyd geworden. Noch diesen Monat soll er antreten. Wird er helfen? Ist er der Mann, das Verzagen der Routine zu besiegen? Die Kapitäne des Lloyd sind die besten der Welt. Aber in der Direktion des Lloyd steckt etwas viel Assessorismus. Es kommt darauf an, den Lloyd nicht von der Kanzlei, sondern von den Schiffen aus zu leiten. Ein großer Kaufmann mit einem unbändigen österreichischen Hochmut gehörte her. Wie Bruck einer war (einer von den paar wirklich Großen in Österreich, der denn dafür auch dann von der Verleumdung erwürgt worden ist). Hat Derschatta dazu die Kraft? Er war einst eine österreichische Hoffnung. Ich kannte ihn, zwanzig Jahre ist es her, ich war damals Freiwilliger, abends ging ich aus der Kaserne gern ins Spatenbräu, da saß er mit Steinwender. Derschatta, der Steirer, Steinwender, der Kärntner, Sylvester in Salzburg, Beurle und der junge Löcker in Linz, die hatten damals das Vertrauen der Jugend. Von ihnen erwarteten wir die Kraft, das deutsche Bürgertum aufrecht und selbstvoll zu machen. Vor zwanzig Jahren war das. Sie haben alle viel erreicht, aber das deutsche Bürgertum nichts. Und merkwürdig ist nur, wie jeder von ihnen auf einmal aus dem Politischen abschwenkt, um sich eine Wirksamkeit im Sachlichen zu suchen, gleichsam eine Nische, um dort seine Tatkraft unterzustellen. Es kommt plötzlich die Leidenschaft über sie, etwas zu leisten, etwas zu tun. So treten sie aus dem Politischen aus, denn da scheint ihnen dies unmöglich. Merkwürdiges Land, wo die besten Politiker, um wirken zu können (wenn sie es nicht vorziehen, Eigenbrödler oder Sonderlinge zu werden, wie Steinwender), aus der Politik austreten müssen, vor Angst, sich zu vergeuden, vor Sehnsucht nach einer Wirklichkeit für ihre Kraft, und wo nur die ganz unfähigen Politiker sich behaupten können! Die Frage für den Lloyd ist nun, ob Derschatta bei ihm bloß einfach in Pension gehen will oder dort ein Gebiet für seine Kraft sucht. Er hat Kraft. Leider aber hat er auch Verstand, und zwar solchen von der bösen Art, die, mit dem Elend und der Schmach unserer Verwaltung bekannt, ungläubig, hoffnungslos und furchtsam macht. Seine ganze Generation hat Österreich aufgegeben. Sie verzichtet. Jeder will sich nur irgendwie noch zu einer Wirkung im kleinen retten. Im kleinen fortzuwerkeln; sonst wissen sie sich keinen Ausweg mehr. Der Lloyd aber hätte einen Phantasten nötig, der an das Unmögliche glaubt. Denn was bei uns unmöglich scheint, ist das Wirkliche. Und zu helfen ist uns überall nur durch Romantiker, die man auf die Wirklichkeit losläßt; das Romantische wird ihnen durch die Wirklichkeit dann schon ausgetrieben. Und wenn nun Derschatta, vielleicht, statt der verzichtenden Gescheitheit, vielleicht, die andere Gescheitheit wählt, eine nämlich, die sich, aus Einsicht ins Notwendige, zwingt, das Vermessene zu wagen, könnte der Lloyd wieder hoffen, vielleicht. Er müßte sich nur dann auch abgewöhnen, verbindlich zu sein. Denn der Lloyd braucht eine rauhe Hand mit einem starken Besen. Für feine Finger ist diese grobe Arbeit nichts.

Nachmittag mit einem der liebenswürdigen Herren vom Lloyd nach Opcina hinauf. Wie wir auf der Piazza della Caserma in die Elektrische steigen, fällt mir drin, unter armen Leuten sitzend, Marktweibern mit großen Körben und Dienstmädchen in fransigen Tüchern, ein hochgewachsener stämmiger Herr auf, der mich irgendwie von fern an den bulgarischen Fürsten erinnert, mit einer Dame, die einmal sehr schön gewesen sein muß. Ich höre, daß es der Statthalter ist, Prinz Hohenlohe, der vor einigen Jahren einmal ein paar Wochen Minister war, aber, als ihm zugemutet wurde, von seiner Meinung und vom Rechten abzustehen, lieber wieder ging. Seitdem heißt er der rote Prinz; eine Meinung zu haben gilt ja hier für anarchistisch. Seine Frau ist eine von den drei Schönborn-Mädeln, in die wir, vor zwanzig Jahren, als Studenten von weitem alle verliebt waren, in alle drei. Er, fünfundvierzig Jahre alt, unverbraucht, tätig und tüchtig, sitzt hier im Winkel und wünscht es sich nicht anders. Wenn in unsere Verwaltung einmal ein anständiger Mensch gerät, hat er nur den Wunsch, beiseite zu bleiben; keiner scheint der eigenen Anständigkeit zuzutrauen, daß sie die landesübliche Gemeinheit überwinden könnte. Er ist hier beliebt, den Leuten gefällt sein offenes, unverdrossenes Wesen. Auch die bösesten Italiener mögen ihn. Nur ist es freilich töricht, zu glauben, daß sie, weil sich einmal ein Statthalter verständig und natürlich beträgt, nun gleich versöhnt sein müßten. In Wien meint man immer, alles komme bloß vom bösen Willen der Untertanen her, den es nun durch Beredsamkeit, wohl auch allerhand Gefälligkeit, zu beschwichtigen gelte. Die Leute hier aber hätten den besten Willen, so bald es ihr Interesse wäre. Unsere Regierungen wissen noch immer nicht, daß es das Interesse ist, das die Menschen regiert. Wo's mir gut geht, oder wo ich mir einbilde, daß es mir gut gehe, da ist mein Vaterland, hurra! Wo's mir schlecht geht, an Leib oder Seele, wo mich hungert oder friert, wo ich nicht froh werden kann, da will ich fort, abbasso! Unsere Regierungen glauben es mit Orden zu machen, das ist zu idealistisch gedacht.

Oben, beim Obelisken, als wir den Wagen verlassen, tritt der Prinz auf mich zu, um mich zu begrüßen. Er ist sehr nett mit mir. Nur haben Aristokraten, wenn sie mit pöbelhaften Leuten nett sind, bei uns das, daß sie darüber selbst zu sehr gerührt sind; es treten ihnen über ihre Herablassung die Tränen in die Augen. Wer weiß übrigens, wie man selbst an ihrer Stelle wäre! Wir sind ja schließlich in einem Staat, wo heute noch der Fürst, der Graf ein höheres Wesen ist, nicht gesetzlich, aber wirklich, der Macht nach. Jedes Gespräch eines Adligen mit einem Bürger beruht eigentlich also auf einer Fiktion. Beide fingieren, daß die Rechtsungleichheit ausgelöscht sei. Beide wissen aber, daß sie das doch eben, um miteinander sprechen zu können, bloß fingieren. Und das macht beide verlegen. Der Fürst denkt: Ich bin doch sehr aufgeklärt, ich prügle diesen Bürger nicht, sondern spreche sogar mit ihm, wie mit einem Menschen! Und der Bürger denkt: Er könnte mich auch prügeln! Natürlich merkt man das dann der gegenseitigen Nettigkeit an. Ich glaube nicht, daß ein Lord und ein englischer Schneider, wenn sie miteinander sprechen, dies denken.

Wir stehen am Obelisken. Unter uns die Stadt, der Hafen mit Schiffen und Barken, den rauchenden Schlöten und den roten, gelben, braunen Segeln, das blaue Meer, die gelinde Bucht von Muggia, die grelle Küste bis Pirano, rechts aber der glitzernde Golf bis zu den Lagunen, weiß glänzt Grado, weiß der Turm von Aquileja her. Seestrandkiefern, Oliven und Wein. Hinter uns der Schnee der Karnischen und Julischen Alpen; der Mangard ragt, der Ternovaner Wald dunkelt, hell sind kleine Dörfer eingestreut. Rings um uns aber der steinige graue Karst, die Wüste. Dreihundertvierzig Meter sind wir hoch, das Meer atmet herauf, wie von Blüten ferner Inseln riecht die Luft, Schneewind springt aus den Bergen. Eine Alm am Meer. Ich sage: Hier könnten drei Sanatorien, fünf Hotels, siebenhundert Villen und zehntausend Engländer sein! Der Statthalter seufzt: Ja, was könnte hier nicht alles sein! Und Sie müßten erst Istrien kennen! Istrien kennt ja niemand, das ist wie ein Märchen! Ich sage: Also bauen Sie doch hier, Durchlaucht! Er antwortet, mit leisem Spott: Es ist ja eigentlich nicht der Beruf der Statthalterei, Hotels zu bauen.

Ich möchte nur wissen, was eigentlich der Beruf der Statthalterei ist, wenn es nicht ihr Beruf ist: Hotels zu bauen, Straßen zu bauen, Brücken zu bauen, Bahnen zu bauen, Schiffe zu bauen, alles zu bauen, was notwendig ist und was die Leute selbst nicht bauen, weil es ihnen an Einsicht, an Geld und an Zutrauen fehlt. Der Statthalter sagt: Was könnte hier nicht alles sein! Wenn er nun nicht der Statthalter, sondern ein Italiener wäre, so würde er sicher sagen: Was könnte hier nicht alles sein, wenn wir einen anderen Staat hätten! Und er wäre somit ein Irredentist.

Ich gehe dann, auf der Höhe, einen wunderschönen einsamen Weg durchs Gestein, den entzückten Blick auf Miramar und über das schäumende Meer hin, nach dem weinberühmten Prosecco und von dort nach Barcola hinab. Auf dem Meer verlischt der Tag, alles ist plötzlich groß und still geworden, ein ungeheurer Ernst steht auf der grauen Bahn der verstummten Bucht. Manchmal rollt ein Stein aus den Dolinen los, durch das ungeheure Schweigen.

Wie heißt der Weg, den wir gehen? Jetzt Stefanieweg, zur Erinnerung an einen Besuch der Kronprinzessin, aber das Volk nennt ihn immer noch den Napoleonweg. Napoleon? Ja, Napoleon war einmal in Triest, und dort oben, wo wir früher gestanden haben, stand auch er einst und sagte, nach Grignano hinzeigend: Hier gehört ein Weg her, ich will hier einen Weg, hier will ich gehen, wenn ich wiederkomme! Und der Weg war. Napoleon ist nicht wiedergekommen. Aber der Weg ist noch immer da. Nur ein bißchen steinicht und verwahrlost ist er jetzt.

Ich erinnere mich, im Memorial einmal gelesen zu haben, wie Napoleon von einem Begleiter gefragt wird, warum er ihm denn einst irgendeine Kommission zugewiesen, von der der Begleiter nichts verstanden. Nun, antwortet der Cäsar, ist sie dir nicht gelungen? Ja, sagt der Begleiter, aber ich wundere mich noch heute. Siehst du, sagt Napoleon, es kommt eben gar nicht darauf an, daß einer eine Sache gelernt hat, sondern darauf, daß er überhaupt Verstand hat; dem Dummen nutzt es nichts, sie gelernt zu haben, und der Gescheite hat es gar nicht erst nötig. – Napoleon wußte, daß man etwas noch lange nicht kann, wenn man es kennt. Kenntnisse kann man sich jeden Moment verschaffen, Bücher und Lehrer sind überall, aber das Können muß man haben. Wir verwenden »gelernte« Leute, er zog gescheite Leute vor. Worin er dem Hofrat Burckhard gleicht, der auch gern sagt, daß er sich ein Haus lieber von einem begabten Schneider als von einem dummen Architekten bauen und einen Katarrh lieber von einem klugen Briefträger als von einem albernen Arzt behandeln läßt. Aber unser Land wird durch Fachleute verheert. Ein Fachmann ist, wer etwas gelernt hat und es nicht versteht.

Nun schreiten wir am Meer, das Wasser gluckst, der Abend schwebt mit schwarzen Schwingen. Ich denke still bei mir an unser Land, an unsere Leute. Wenn man sie reden hört, ist immer der andere schuld. Jeder will das Beste, aber an dem anderen fehlt's. Und jeder will zunächst den anderen ändern, das scheint ihm das Wichtigste; er kümmert sich um den anderen viel mehr als um sich selbst. Und wir haben auch eine merkwürdige Art von Egoismus im Land. Sonst will ein Egoist, daß es ihm so gut als möglich gehe. Hier nicht. Hier kommt es dem Menschen weniger darauf an, daß es ihm gut gehe, als darauf, daß es dem anderen schlecht gehe. Das nennt man den nationalen Kampf. Auch wollen sie nichts wagen. Sie wollen »sicher« gehen. Lieber ein sicheres Elend als ein ungewisses Glück. Und dann diese österreichische Todesangst vor jeder Veränderung, oben und unten. Nur im Gewohnten bleiben! Warten wir lieber noch ein bissel! Der psychische Apparat scheint schlecht geschmiert und knarrt, wenn er sich bewegen soll. Wenn man in Wien, um Licht und Luft zu kriegen, irgendein altes Haus fällen muß, weinen alle. Und so warten wir immer lieber noch ein bissel. – Man darf schließlich auch gegen die Regierung nicht ungerecht sein. Ihr ärgster Fehler ist, daß sie volkstümlich ist. Sie gleicht unserem Volke. Wir hätten eine nötig, die fremdartig wäre. Wir müßten einmal einen ungemütlichen Regenten haben.

Und dann irren durch dieses Land solche Querulanten wie ich, ruhelos, die voll Zorn sind, an ein starkes Österreich glauben und es suchen gehen, während der Abend mit seinen großen schwarzen Augen über das glucksende Wasser schaut.

Dalmatinische Reise

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