Читать книгу Oma Anna und die bunten Socken - Barbara Bilgoni - Страница 5
ОглавлениеOma Anna
Die alte Oma Anna hatte ein wunderbares Hobby. Es war ihre Lieblingsbeschäftigung. Neben allen anderen war dieses ihr Allerliebstes.
Sie strickte für ihr Leben gerne Socken. Bunt und gemustert mussten sie sein, und warm und weich. Das war ihr sehr wichtig. Ihre ganze Stube war voll damit. Die Socken lagen in großen Wäschekörben, in Schuhschachteln, auf Sesseln und Bänken. Sie füllte sie in Stofftaschen und Leinensackerln, denn Plastiksäcke kamen ihr nicht ins Haus. Auf gar keinen Fall! Da war sie konsequent.
„Plastik ist schlecht“, pflegte sie immer zu sagen, „Es verpestet unseren Planeten.“ Im Fernsehen hatte sie gesehen, was es im Meer für Schäden anrichtete. Es lag in der Gegend herum, wenn Leute ihren Müll einfach in die Landschaft warfen. Da wurde sie richtig böse. „Das darf nicht sein! Dass die Menschen das nicht verstehen! Früher gab es doch auch keinen Kunststoff und alle lebten trotzdem gut. Überall Plastik, Plastik. Plastik! Ich kann es nicht mehr sehen. Sogar die gekauften Socken sind aus Kunstfaser. Dagegen muss ich etwas unternehmen.“
Die Nachbarskinder Isabella und Daniel besuchten Oma Anna sehr gerne. Bei ihr war es immer so gemütlich, nicht so blitzeblank, superduper aufgeräumt wie zu Hause. Sie saß in ihrem alten Lehnstuhl und strickte immerzu. Dabei erzählte sie den Kindern oft aus ihrem Leben, wie es früher gewesen war. Auch damals sei es schön gewesen, sogar viel schöner als jetzt. Da durften die Kinder noch auf Bäume kraxeln und aus dem Nachbarsgarten Kirschen stibitzen. Sie spielten den ganzen Sommer barfuß im Freien. Handy, Computerspiele und Fernsehen habe es damals noch nicht gegeben. Und lustig sei es trotzdem gewesen.
Sie erzählte ihnen, dass sie die ersten Schuhe erst nach dem Sommer angezogen habe, als im Herbst die Schule wieder begann.
Die Kinder schrieben damals mit Kreide auf Schiefertäfelchen. Und dann kamen der Federstiel und das Tintenfass. Das war vielleicht etwas zu jener Zeit! So stolz seien die Kinder gewesen, als sie das erste Mal mit Tinte schreiben durften. Aber es gab auch sehr viele Tintenklekse und die Finger waren meistens blau. Das Pausenbrot wurde in Wachspapier eingewickelt und die Schultasche war aus Leder. Eine Plastikjausenbox und eine Kunststoffschultasche gab es nicht.
Isabella und Daniel hörten ihr gespannt zu. Das alles kam ihnen höchst sonderbar vor, so anders als ihr Leben heute. Sie versuchten mit aller Kraft, sich den Alltag von damals vorzustellen. Es wollte aber nicht so recht gelingen. Trotz alledem oder vielleicht genau deshalb liebten sie ihre Nachmittage bei Oma Anna sehr.
Wenn die alte Dame vom Stricken müde war und die Augen nicht mehr so recht sehen wollten, dann kochte sie den Kindern Kakao und servierte ihnen selbst gemachte Kekse. Das war immer sehr fein und sooo gemütlich.
Hier, bei Oma Anna, war es heimelig. „Sag, Oma Anna, was machst du mit den vielen Socken eigentlich? Das werden ja immer mehr. Irgendwann wird dein Häuschen voll sein und wir kommen durch die Tür nicht mehr herein. Du musst dir was überlegen!“
„Wisst ihr, Kinder, ich habe mir da etwas ausgedacht, aber das ist noch geheim. Ganz streng geheim!“ Sie machte eine Geste, die bedeuten sollte, dass ihr Mund abgeschlossen und der Schlüssel weggeworfen wurde.
„Ooch, sag´ es uns doch, was du damit machen wirst. Wir verraten es auch bestimmt nicht weiter. Wir sind doch Freunde, nicht wahr?“, bettelte Isabella.
„Ja, das ist wohl richtig. Wir sind ganz dicke Freunde. Aber auch Freunde brauchen manchmal ein kleines Geheimnis. Das ist wichtig. Und Geheimnisse muss man akzeptieren. So ist das. Jawohl! Ihr werdet schon sehen. Lasst euch überraschen. Aber jetzt geht besser nach Hause. Es wird dunkel. Immerhin ist es erst Februar und die Tage sind kurz. Morgen nach der Schule könnt ihr wiederkommen. Ich habe euch gerne hier bei mir und erzähle euch aus meinem Leben. Es war nicht immer leicht, aber ich denke gern daran zurück. Lebt wohl, bis morgen!“
Und dann setzte sich Oma Anna an die Nähmaschine und bis tief in die Nacht hörte man das alte Ding rattern und surren. Während sie nähte, konnte sie so schön träumen. Sie sah sich daheim bei ihren Eltern in der kleinen Stube. Die Geschwister, der Christbaum geschmückt mit Äpfeln und Nüssen. Und an diesem einen, ganz besonderen Tag, dem Weihnachtstag, gab es einen Gänsebraten. Vater zerteilte den Festtagsschmaus und Mutter reichte die einzelnen Stücke herum. Dazu gab es Rotkraut und Knödel. Die Kinder aßen voller Freude. Wie war das schön gewesen!
Oma Anna war sehr zufrieden mit sich und ging nun auch endlich schlafen. Aber in der Früh beim ersten Hahnenschrei stand sie schon wieder auf, wusch sich und kochte sich einen Kamillentee. Dann schlich sie sich aus dem Haus und erledigte eine streng geheime Sache. Sie war ganz leise unterwegs, es war ohnehin noch ziemlich finster und niemand war in dem kleinen Dorf unterwegs.
Dann eilte sie wieder nach Hause und begann ihr buntes Tagewerk.