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Einleitung: „Alles steht Kopf“ – Psychologie trifft auf Soziale Arbeit

Der US-amerikanische Computeranimationsfilm „Alles steht Kopf“ von Pixar stellt auf höchst kunstvolle und sehr eingängige Art und Weise den Einfluss von Gefühlen auf das menschliche Verhalten und Erleben von Geburt an dar. Nun beschäftigt sich Psychologie nicht nur mit Gefühlen, sondern sehr viel allgemeiner mit der Beschreibung und Erklärung von menschlichem Verhalten und Erleben. Dennoch sind insbesondere die Erkenntnisse, die die Psychologie über das soziale und emotionale Erleben und Verhalten von Menschen herausgefunden hat, besonders spannend für die Soziale Arbeit:

„Die menschliche Gattung, unsere Gewohnheiten und Sitten und die Beschaffenheit unserer Seele haben sich im Laufe der Zeit in einem unendlichen Prozess herausgebildet, der nicht mit fünf oder fünfzehn oder fünfzig oder fünfundneunzig Jahren endet […] In diesem Prozess arbeiten und konkurrieren viele Kräfte miteinander und es wäre nicht korrekt, eine davon für überlegen zu erklären. Und die Alchimie, mit der diese Wirkkräfte interagieren, ist größtenteils unbekannt, und aus diesem Grunde tut der Psychologe, der durch einen tiefen dunklen Wald tappt, gut daran, ein gerütteltes Maß an Demut und Ehrfurcht mitzubringen“ (Shpancer 2011, 217).

Das gerüttelte Maß an Demut und Ehrfurcht, von dem in dem obigen Zitat die Rede ist, ist eine Haltung, die PsychologInnen und SozialarbeiterInnen gut zu Gesicht steht. Beide Professionen beschäftigen sich mit Menschen, die Psychologie wie gesagt mit der Beschreibung und Erklärung des Erlebens und Verhaltens von Menschen und die Soziale Arbeit mit Überlegungen zu Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen für Menschen in benachteiligten Lebenslagen. Im Unterschied zu der wissenschaftlichen Beschäftigung mit unbelebter Materie oder auch mit Objekten, wie z. B. Pflanzen oder Tieren, die uns fremder sind als Menschen, verführen Professionen, die sich mit dem Menschen beschäftigen, dazu, vorschnell davon auszugehen, dass man den anderen „verstehe“. Ein eiliges und alltägliches „Ich verstehe Dich / Sie“ kann nicht nur Jugendliche in den Wahnsinn treiben, sondern es führt auch dazu, dass sich z. B. KlientInnen nicht ernst und in ihrer Einzigartigkeit nicht wahrgenommen fühlen. Insofern haben Psychologie und Soziale Arbeit gemeinsam, dass sie bewusst hinter ihr Alltagswissen zurücktreten und sich einen neuen und quasi frischen Blick auf die vielfältigen und staunenswerten menschlichen Phänomene aneignen müssen, um Neues und Unerwartetes entdecken zu können und so ein tiefergehendes Verständnis ihres jeweiligen Gegenübers aufzubauen.

Die Soziale Arbeit gehört zu den Sozialwissenschaften, während Psychologie manchmal den Geisteswissenschaften und manchmal auch den Naturwissenschaften zugerechnet wird. Walach (2020) spricht sich für ein komplementäres Verständnis zwischen diesen beiden Orientierungen der Psychologie aus:

„Psychologie muss sowohl Natur- als auch Geisteswissenschaft sein, wenn sie den Menschen in seiner Doppelnatur entsprechend verstehen und begreifen will. Denn der Mensch stellt selbst eine solche komplementäre Verbindung zweier anscheinend nicht miteinander kompatiblen Seiten dar. Er ist durch und durch Teil der materiellen Realität, Naturwesen und Produkt der Evolution und insofern auch legitimer Gegenstand der Naturwissenschaft. Auf der anderen Seite ist er der Quell- und Kernpunkt dessen, was wir unter Geist und Bewusstsein verstehen. Er produziert als Kulturwesen auch geistige, kulturelle Äußerungen, die nur mit Mitteln der Geisteswissenschaft zu verstehen und zu handhaben sind“ (Walach 2020, 73).

Soziale Arbeit sieht Psychologie – neben Soziologie und Jura – seit jeher als eine ihrer zentralen Bezugswissenschaften an. Es ist nicht immer eine Liebesbeziehung gewesen; der Vorwurf soziales Leid zu individualisieren, ging in der Regel auf ein übermäßig psychologisiertes Verständnis Sozialer Arbeit zurück. Die Wichtigkeit psychologischer Erkenntnisse für die Soziale Arbeit ist allerdings nie angezweifelt worden. Die Psychologie als akademische Disziplin orientiert sich an der Medizin oder den Gesundheitswissenschaften und ignoriert die Soziale Arbeit weitgehend. In der psychologischen Praxis hingegen ist die Bedeutsamkeit Sozialer Arbeit unumstritten und auch unübersehbar; deutlich wurde dies jüngst wieder bei der psychosozialen Unterstützung von geflüchteten Menschen, die für ihre seelische Balance zwingend die Klärung äußerer Rahmenbedingungen benötigen.

Dieses Buch richtet sich an Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit und bietet eine Einführung in psychologische Perspektiven und Erkenntnisse. Dabei sind sämtliche Themen unter der Fragestellung aufbereitet, inwiefern die psychologische Perspektive für die Soziale Arbeit nützlich und hilfreich ist. Dieses Buch ist in der tiefen Überzeugung verfasst, dass dieser Nutzen nicht ein-, sondern wechselseitig besteht, sodass eine Einführung in die Soziale Arbeit für Studierende der Psychologie ein ebenso lohnenswertes Unterfangen wäre.

Begonnen wird mit einem kurzen historischen Überblick über die Entstehung der Psychologie als Wissenschaft, daran schließen sich drei Kapitel über entwicklungs-, allgemein- und sozialpsychologische Grundlagen an. Kapitel 5 und 6 befassen sich mit Schwerpunkten der angewandten Psychologie und vermittelt familien-, erziehungs- und klinisch-psychologische Erkenntnisse. Kapitel 7 fokussiert sich auf Methoden und persönliche Kompetenzen, in die relevante psychologische Kenntnisse einfließen und die für die Soziale Arbeit zentral sind. Im abschließenden Kapitel 8 wird beschrieben, welche Angebote in den Kontexten Bildung, Gesundheit und psychosoziale Hilfen zu welchem Zeitpunkt für wen hilfreich sein könnten und in welchen Handlungsfeldern die VertreterInnen der Psychologie und der Sozialen Arbeit sich begegnen. Zu Beginn jedes Kapitels gibt es eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten beschriebenen Themen. Am Ende jeden Kapitels finden sich Lernfragen und Anregungen zur Diskussion sowie weiterführende Literaturhinweise.

Der mittlerweile sehr bekannte französische Soziologe Didier Eribon beschrieb eine für sich zentrale Erkenntnis seines Lebens folgendermaßen:

„Der folgende Satz aus Sartres Saint Genet war entscheidend für mich: ‚Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat.‘ Er wurde zum Prinzip meines Lebens“ (Eribon 2016, 219).

Dieses Prinzip verdeutlicht, dass Psychologie und Soziale Arbeit mit ihren unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen sehr eng miteinander verknüpft und in gewisser Weise auch aufeinander angewiesen sind.

Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit

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