Читать книгу 141. Das Geheimnis der Moschee - Barbara Cartland - Страница 2

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»Mama, wir werden

das Haus verkaufen müssen«, erklärte Rozella.

Erschrocken schrie ihre Mutter auf: »Nein, Liebling, das dürfen wir nicht!«

»Es bleibt uns keine Wahl, Mama. Ich habe lange darüber nachgedacht. Aber der Stapel unbezahlter Rechnungen wird von Tag zu Tag größer.«

Mrs. Beverly ließ sich in einen Stuhl vor dem Kamin sinken und knetete ihre Hände, als wollte sie mit aller Gewalt verhindern, daß sie vor ihrer Tochter die Kontrolle über sich verlor.

»Aber wenn wir das Haus verkaufen«, sagte sie nach einem Augenblick, »wo sollen wir dann wohnen?«

Rozella, die am Tisch vor einem Haufen Rechnungen saß, hob ratlos die Hände.

»Ich habe keine Ahnung, Mama.«

»Vater kann auf keinen Fall umziehen.«

»Wie geht es ihm?« fragte Rozella besorgt. »Und was hat der Arzt gesagt?«

Mrs. Beverly antwortete langsam, als müßte sie sich jedes Wort genau überlegen: »Er meinte, sein Herz hätte sich fast vollständig erholt. Aber er muß sehr auf sich aufpassen und natürlich... Diät halten.«

Hilflos sah sie ihre Tochter an.

»Genau das habe ich erwartet«, bestätigte Rozella. »Aber Mama, wie sollen wir das denn bezahlen? Mir fällt keine andere Möglichkeit ein, als das Haus zu verkaufen.«

Mrs. Beverly, immer noch eine sehr schöne Frau, war verzweifelt.

»Wir waren so glücklich hier«, murmelte sie. »Wir sind hier eingezogen, nachdem ich mit deinem Vater durchgebrannt war. Das Haus war immer so voller Sonnenschein.«

»Ich liebe es auch, Mama«, sagte Rozella sanft, »und ich weiß, wie weh es tut, hier auszuziehen. Aber uns wird nichts anderes übrig bleiben, wenn wir nicht verhungern wollen!«

Sofort protestierte ihre Mutter: »Soweit darf es auf keinen Fall kommen! Der Arzt hat darauf bestanden, daß Papa viel Geflügel und Milch zu sich nimmt. Er soll alles bekommen, worauf er Lust hat. Aber du weißt, wie heikel Vater ist.«

»Die vielen guten Gerichte, die er auf seinen Reisen durch die Welt kennengelernt hat, haben ihn verwöhnt«, lachte Rozella. »Vor allem auf seinen Reisen nach Frankreich und in den Mittleren Osten.«

»Nanny und ich haben immer wieder versucht«, gestand Mrs. Beverly, »etwas zu kochen, was ihm schmeckt!«

Rozella schwieg einen kurzen Moment, weil sie wußte, daß ihre Frage beinahe brutal war: »Womit denn?«

Sie erhielt keine Antwort. Der Raum schien erfüllt von unbeantworteten Fragen zu sein.

Von der Eingangstür her war ein leises Klopfen zu hören, und Rozella erhob sich.

»Ich gehe schon«, sagte sie. »Nanny ist gerade in deinem Zimmer. Sie wird es nicht hören.«

Nanny war die einzige Angestellte, die sie sich noch leisten konnten. Sie hatte seit Rozellas frühester Kindheit für die Familie gearbeitet und sich nie beschwert, wenn ihr ohnehin bescheidener Lohn am Monatsende nicht ausbezahlt werden konnte. Sie liebte Rozella sehr und gehörte inzwischen fast zur Familie.

Während Rozella zur Tür ging, dachte sie darüber nach, daß es Nanny ebenso schwerfallen würde wie Mama, das kleine Landhaus zu verlassen. Auch ihr selbst erschien die Vorstellung unmöglich. Sie hatte ihr ganzes Leben hier verbracht. Aber sie ahnte, daß sie einen ordentlichen Preis für das Haus erzielen konnten, denn es war ein ausgesprochen hübsches Gebäude. Sie könnten dann in ein kleineres Haus ziehen und von dem Gewinn wenigstens einige Zeit leben und die Lebensmittel kaufen, die ihr Vater so dringend brauchte.

Sie öffnete die Tür. Zu ihrer Überraschung stand Ted Cobb, der Postbote, vor ihr.

»Hallo Ted!« rief sie. »Warum kommst du denn schon wieder?«

»Gute Frage, Miss Rozella«, antwortete Ted in seinem breiten Sussex-Akzent. »Jetzt muß ich heute schon das zweite Mal hier runter, dabei ist mein Rheuma in den letzten Tagen kaum zu ertragen.«

»Das tut mir leid, Ted«, sagte Rozella. »Was gibt es denn diesmal?«

Der Postbote zog einen großen Umschlag aus seiner Tasche, der mit ungewöhnlich vielen Briefmarken frankiert war.

»Ein Eilbotenbrief, Miss. Das ist so eine neue Erfindung aus London. Egal, was andere Leute davon halten, mir gefällt sie jedenfalls nicht!«

»Ich frage mich, wer uns wohl schreiben mag«, überlegte Rozella. »Hoffentlich ist es nicht schon wieder eine Rechnung.«

»Wer es auch geschickt hat, jedenfalls hat er genug Geld für das Porto gehabt«, antwortete Ted grinsend. »Na, ich muß zurück. Hoffentlich muß ich erst morgen wieder zu Ihnen raus.«

»Vielen Dank, Ted«, bedankte sich Rozella.

Dann schloß sie die Tür und betrachtete den Umschlag genauer. Er war an ihren Vater adressiert und mit einer markanten, schwungvollen Handschrift beschrieben. Während sie ihn ins Wohnzimmer trug, beschloß sie, die Marken für den kleinen Sohn des Bauern Jackson aufzuheben, der Briefmarken sammelte.

»Was gibt es, Liebling?« fragte ihre Mutter, als sie ins Wohnzimmer zurückgekehrt war.

»Einen ziemlich wichtig aussehenden Brief für Papa«, antwortete Rozella. »Er kommt aus London. Wenigstens ist es also keine Rechnung.«

»Wir dürfen deinen Vater nicht unnötig aufregen«, erklärte Mrs. Beverly schnell. »Jedenfalls nicht, bis wir wissen, worum es geht.«

»Soll ich ihn öffnen, Mama?«

»Ja, öffne ihn«, nickte Mrs. Beverly. »Und bete, daß es gute Nachrichten sind.«

Einen Moment lang spielten beide mit dem Gedanken, daß der Verleger des Professors geschrieben und das Honorar für ein Buch geschickt haben könnte.

Aber Rozella wußte, daß das nur ein Wunschtraum war. Die Bücher ihres Vaters, schwierige Abhandlungen über verschiedene Nationalitäten und ihre Sprachen, waren zwar beim Fachpublikum sehr angesehen, aber für die Allgemeinheit kaum von Interesse. Außerdem erinnerte sie sich daran, daß die paar Pfund, die sie als Honorar für die Verkäufe im letzten Jahr erhalten hatten, schon vor drei Monaten eingetroffen waren.

Sie schlitzte den Umschlag sorgfältig auf und zog den Brief heraus. Er bestand aus zwei Blättern schweren, teuren Briefpapiers. Über der ihr unbekannten Adresse war ein Wappen. Weil sie wußte, daß ihre Mutter darauf wartete, begann sie vorzulesen:

Lieber Beverly,

fahren Sie bitte, gleich nachdem Sie diesen Brief erhalten haben, nach Dover, und nehmen Sie in Frankreich den Zug nach Konstantinopel, wo ich Sie erwarte. Ich begebe mich heute auf eine äußerst schwierige Mission und benötige unbedingt, wie schon früher, Ihre Hilfe. Denn Sie allein verstehen die Sprache dieser wirklich außergewöhnlichen Menschen, mit denen wir es zu tun haben werden.

Bestimmt wissen Sie, welche Spannungen zur Zeit in der islamischen Welt herrschen, und sind über die gefährlichen revolutionären Umtriebe im Ottomanischen Reich informiert.

Der Außenminister ist sehr besorgt, weil Gerüchte kursieren, die einen möglichen Zusammenbruch des Britischen Empire betreffen. Eines dieser Gerüchte besagt, daß der Suez-Kanal von den Türken erobert worden sei und an die Russen vermietet würde, während die Mullahs behaupten, daß ein rechtgläubiger Moslem durch britische Kugeln nicht verwundet werden könne.

Diese Gerüchte müssen unterbunden werden, aber der Außenminister braucht genauere Informationen, als er aus den offiziellen diplomatischen Quellen erhalten kann. Sie und ich wissen, wie man am besten an diese Informationen herankommt.

Ich erwarte Sie so bald wie möglich in Konstantinopel. Dem Brief liegen Fahrkarten Erster Klasse für die Kanalfähre und für den Zug - oder richtiger die Züge - bei, die Sie schnellstmöglich hierher bringen sollen.

Außerdem übersende ich Ihnen fünfzig Pfund für Ihre Unkosten und einen Scheck über fünfhundert Pfund, der die erste Hälfte Ihres Honorars darstellt.

Bitte machen Sie sich sofort auf den Weg. Falls sich irgendwelche Schwierigkeiten ergeben sollten, können Sie sich an meinen Sekretär wenden, der unter oben genannter Adresse zu erreichen ist.

Ich erwarte Sie spätestens Ende nächster Woche.

Merwyn

Rozella wagte kaum zu atmen, als sie den Brief fertig gelesen hatte. Dann zog sie die kleineren Umschläge aus dem Kuvert heraus, hob den Kopf und wiederholte mit ehrfürchtiger Stimme: »Fünfhundert Pfund, Mama!«

Mrs. Beverly, die aufmerksam zugehört hatte, während ihre Tochter den Brief vorlas, sagte: »Lord Merwyn war schon immer sehr großzügig. Als Papa letztes Mal mit ihm auf Expedition ging - das muß vor mindestens sieben Jahren gewesen sein -, hat er dafür tausend Pfund Honorar erhalten.«

Rozella legte den Scheck auf den Tisch und lächelte. Allein der Gedanke an eine solche Summe ließ ihr Herz schneller schlagen.

Dann erklärte sie bedauernd: »Leider wird Papa diesen Auftrag nicht übernehmen können.«

Mrs. Beverly schrie erschrocken auf.

»Nein, natürlich nicht! Das würde ihn umbringen! Der Arzt hat vor einer weiteren Herzattacke gewarnt. Er muß sich schonen.« Sie hielt inne und fügte dann hinzu: »Du solltest den Brief zurückschicken, natürlich mit dem Scheck und den Fahrkarten, und erklären, daß Papa zu krank für eine Reise ist.«

»Aber Lord Merwyn ist inzwischen bestimmt schon unterwegs, Mama. Das steht in seinem Brief.«

»Wenn er in Konstantinopel ankommt, wird sich sein Sekretär mit ihm in Verbindung setzen können. Er muß ihm erklären, daß er sein Vorhaben allein durchführen muß.«

»Was macht Lord Merwyn eigentlich?« fragte Rozella. »Papa hat zwar von ihm erzählt, aber damals habe ich nicht richtig zugehört.«

»Dein Vater hat aus einem einfachen Grund so wenig über seine Arbeit mit Lord Merwyn gesprochen! Sie war streng geheim. Nicht einmal ich weiß, was die beiden vorhatten. Auf ihrer letzten Reise waren sie in Algerien. Es war ein sehr gefährlicher Auftrag, auch wenn dein Vater mir das erst nach seiner Rückkehr verraten hat. Aber sie haben ihn offensichtlich erfolgreich erledigt und viele Informationen gesammelt, die dem Außenministerium sonst nicht zugänglich gewesen wären.«

Rozella setzte sich ihrer Mutter gegenüber und fragte fassungslos: »Soll das heißen, Mama, daß Papa für die Britische Regierung spioniert hat?«

Mrs. Beverly lachte.

»Wahrscheinlich lief es genau darauf hinaus. Lord Merwyn wurde ausgesandt, um bestimmte Gerüchte zu überprüfen, die in England bekannt wurden. Und er nahm Papa mit, der nicht nur fließend Arabisch sprach, sondern auch als einziger viele der Dialekte beherrschte. Dein Vater konnte sich ohne Dolmetscher mit den einzelnen Stämmen unterhalten und auf diese Weise herausfinden, was wirklich vor sich ging.«

»Und jetzt braucht er Papa wieder«, überlegte Rozella. Sie senkte den Kopf ein wenig und fuhr fort: »Lord Merwyn muß ein eigenartiger Mensch sein. Er ist anscheinend fest davon überzeugt, daß Papa sich augenblicklich auf den Weg macht, nur weil er es möchte. Es scheint ihm völlig gleichgültig zu sein, ob seine Bitte gelegen oder ungelegen kommt.«

»Ich fürchte, Lord Merwyn kann sich gar nicht vorstellen, daß irgendetwas in der Welt wichtiger ist als er«, erklärte Mrs. Beverly lächelnd.

»Ich finde das unverschämt!« schimpfte Rozella. »Er erteilt Papa Befehle, als ob er mit seinem Diener spräche: Komm her, tue dies, reise sofort ab! Woher will er wissen, ob Papa das überhaupt möchte?«

»Lord Merwyn ist überzeugt, daß das, womit er beschäftigt ist, Vorrang hat vor allem anderen«, sagte Mrs. Beverly.

»Nun, diesmal hat sich Seine Lordschaft aber getäuscht!« warf Rozella ein. »Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen, wenn er in Konstantinopel erfährt, daß ihm diesmal niemand helfen wird. Er wird alles auf eigene Faust machen müssen!«

»Ich bin überzeugt, daß er sehr wütend sein wird«, bestätigte Mrs. Beverly. »Ich glaube, er hält deinen Vater für sehr wichtig. Aber ich werde auch nie vergessen, wie ich mich während der drei Monate geängstigt habe, als die beiden das letzte Mal auf Reisen waren. Ich bin so froh, daß dein Vater dieses Mal nicht mitfahren kann.«

»Ich vermute, Mama«, sagte Rozella langsam, »daß wir den Scheck nicht behalten können, den er Papa geschickt hat. Er wäre die Antwort auf all unsere Gebete.«

»Nein, natürlich nicht!« bekräftigte Mrs. Beverly. »Wie kannst du an so etwas überhaupt denken?«

»Ich habe es nicht ernst gemeint«, antwortete Rozella. »Ich werde ihn natürlich zurückschicken. Aber mit diesem Geld wäre uns der Hausverkauf erspart geblieben, und wir hätten Papa die wunderbarsten Dinge zum Essen zubereiten können.«

Sie stand auf und ging zurück zum Tisch. Sie starrte auf den Scheck über fünfhundert Pfund, der mit Lord Merwyns starker, klarer Handschrift unterzeichnet war. Unvermittelt stieß sie einen kleinen Schrei aus.

»Was ist denn?« fragte ihre Mutter.

»Ich habe gerade nachgedacht, Mama. Warum sollen wir den Scheck zurückschicken, wenn ich an Papas Stelle fahren kann? Du weißt, daß ich alle Sprachen, mit denen es Lord Merwyn zu tun haben wird, fast so gut spreche wie er.«

»Du willst mich schon wieder erschrecken«, tadelte Mrs. Beverly. »Kannst du dir vorstellen, was für einen Wirbel es verursachen würde, wenn du statt deinem Vater plötzlich auftauchst?«

»Ich glaube, ich könnte Lord Merwyn von großem Nutzen sein«, beharrte Rozella. »In seinem letzten Buch hat Papa eine lange türkische Passage abgeschrieben. Ich mußte jedes Wort so lange wiederholen, bis ich es richtig aussprechen konnte. Und das gleiche gilt für jeden Dialekt, den man in Konstantinopel spricht. Ich konnte sie schon im Kindergartenalter sprechen. Dafür hat Papa gesorgt.«

Mrs. Beverly wußte, daß ihre Tochter die Wahrheit sagte. Ihr Gatte war einer der größten Experten, was das Türkische, Arabische und deren viele Dialekte betraf.

Er hatte Wert darauf gelegt, daß sein Kind sich nicht nur in der klassischen Hochsprache verständigen konnte, die in allen Teilen der arabischen Welt gesprochen wurde, sondern auch die Dialekte verstand, in denen sich die verschiedenen Stämme unterhielten und die er meisterhaft beherrschte.

»Wenn du ein Junge wärst«, sinnierte Mrs. Beverly jetzt, »dann wäre alles viel einfacher. Gerade weil ich immer zu Hause sitzen mußte, weiß ich, wie sehr dir diese Reise gefallen würde, aber unglücklicherweise, mein Liebling, bist du ein Mädchen und ein äußerst attraktives dazu.«

Rozella setzte sich wieder zu ihrer Mutter.

»Wir sollten wirklich darüber nachdenken, Mama«, riet sie. »Nichts ist unmöglich, wie wir beide wissen. Und diese fünfhundert Pfund wären wirklich die Lösung all unserer Probleme.«

»Was sagst du da? Wovon redest du überhaupt?« fragte Mrs. Beverly.

»Ich überlege mir gerade, wie ich es anstellen könnte, an Papas Stelle zu reisen, während du hierbleibst und ihn gesund pflegst.«

»Das ist purer Unsinn, das weißt du genau!« brauste Mrs. Beverly auf. »Wie könntest du allein nach Konstantinopel reisen und von dort zusammen mit Lord Merwyn nach weiß Gott wohin?«

»Wenn Papa das kann, kann ich es auch«, behauptete Rozella selbstsicher.

»Mit deinem Aussehen?« fragte Mrs. Beverly. »Das ist doch lächerlich. Du bist viel zu hübsch, mein Liebling. Du kannst auf keinen Fall allein verreisen, noch nicht einmal nach London.«

»Das heißt also«, folgerte Rozella langsam, »wenn ich alt und häßlich wäre und eine Brille trüge, würde mich niemand belästigen.«

»Deswegen wärst du trotzdem eine Dame«, widersprach ihre Mutter, »und Damen reisen nicht allein.«

»Sie müssen aber auch allein im Sarg liegen, wenn sie verhungert sind.«

Mrs. Beverly wandte den Blick von ihrer Tochter ab, als wäre ihr eben erst aufgefallen, wie dünn sie war und wie sehr ihre Wangenknochen und Handgelenke hervortraten. Und als würde sie jetzt begreifen, wie ernst es ihrer Tochter mit ihren Plänen war, erklärte sie eilig: »Gut, wir werden das Haus verkaufen. Ich bin überzeugt, daß wir etwas Kleineres finden, das genauso gemütlich ist.«

»Nein, Mama«, widersprach Rozella fest. »Das werden wir nicht tun. Wir werden mutig sein. Vielleicht ist mein Plan ein wenig unkonventionell, aber du wirst dich damit abfinden müssen, daß nichts auf dieser komplizierten Welt vollkommen ist!«

»Wenn du damit auf eine Reise nach Konstantinopel anspielst«, sagte Mrs. Beverly schnell, »die werde ich keinesfalls zulassen! Verstehst du, Rozella? Das ist ganz und gar ausgeschlossen!«

»Warte einen Augenblick, Mama, ich möchte dir etwas zeigen«, beschwichtigte Rozella.

Sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Ihre Mutter sah ihr nach, ängstlich und überrascht zugleich.

Als sie allein war, erhob sich Mrs. Beverly ebenfalls, ging zum Tisch und betrachtete den Scheck über fünfhundert Pfund, wie es ihre Tochter kurz zuvor getan hatte. Sie wußte nur zu gut, daß vor ihr die Lösung all ihrer Finanzprobleme lag, das Ende jener Verzweiflung, die Tag für Tag, Nacht für Nacht gewachsen war.

Im oberen Stockwerk lag ihr Mann in jenem Bett, das sie seit ihrer Hochzeit - wie ihr Glück - geteilt hatten. Als sie mit ihm durchgebrannt war, zählte sie erst achtzehn Jahre.

Er war als junger Tutor, der jüngste an der ganzen Universität Oxford, in ihr Elternhaus gekommen, um ihren Bruder zu unterrichten. Von dem Augenblick an, in dem sie ihn sah, wußte Elizabeth, daß nichts in ihrem sicheren, aristokratischen Leben wichtiger war als ihre Liebe zu Edward Beverly. Nicht nur, daß er der bestaussehende Mann war, der ihr je begegnet war, es war viel mehr als das. Es war die Begegnung zweier Menschen, die seit Anbeginn der Zeiten füreinander bestimmt waren. Edward Beverly glaubte, daß sie sich schon in Tausenden von Leben begegnet waren, um diesmal vereint zu werden. Ihr Glück war unermeßlich, trotz ihrer bitteren Armut.

Edward Beverly hatte sich durch seine außerordentliche Kenntnis der Sprachen des Nahen Ostens in der akademischen Welt schon früh einen Namen gemacht. Er hatte viele Reisen unternommen, und im Alter von zweiunddreißig Jahren war ihm eine Professur in Oxford übertragen worden. Auch im Außenministerium wurde er wegen der wertvollen Informationen, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte, geschätzt.

Sein Vater hatte ihn mit einer kleinen Summe unterstützt, und wenig später beerbte Edward ihn. Es war allerdings keine große Erbschaft, und er brauchte das Geld, um seine Familie zu versorgen. Er machte sich über seine Ausgaben nicht allzu viel Gedanken, er wollte einfach seiner Frau alles bieten, was sie sich nur wünschte. Dabei erkannte er nicht, daß sie nur eines von ihm wollte - seine Liebe.

Als Edward Beverly dem Außenminister einmal Bericht über einen Mann erstattete, der unter dem Verdacht stand, im Dienst der russischen Regierung zu stehen, wurde er Lord Merwyn vorgestellt. Dieser war sehr von Edward Beverlys Kenntnissen beeindruckt und überredete ihn zu einer gemeinsamen Reise nach Nordafrika, wo sie versuchen wollten, unerkannt nach Algerien zu gelangen.

Nach der Rückkehr von dieser Expedition, die ein voller Erfolg wurde, bat man Edward Beverly, einen jungen Mann zu unterrichten, dessen Vater darauf hoffte, daß er die Universität nicht ohne Abschluß verließ. Wenig später wurde Edward Beverly in Sir Robert Whiteheads wunderschönem Haus in Oxford einquartiert. Als er der Tochter dieses Mannes, Elizabeth, begegnete, wußte er, daß seine Wanderjahre vorüber waren. Zugleich wollte er aber nicht müßig bleiben, und so begann er, Bücher über die verschiedenen Kulturen zu schreiben, die er auf seinen Reisen kennengelernt hatte. Er beschrieb Dinge, die bis dahin noch niemals aufgezeichnet worden waren.

Lord Merwyn wollte sich aber nicht damit abfinden, daß Edward Beverlys ruhiges Leben seine eigenen Pläne durchkreuzte, und so lockte er ihn von Zeit zu Zeit fort auf abenteuerliche und gefährliche Missionen, auf denen sie immer wieder in Lebensgefahr schwebten. Zwar genoß Edward Beverly diese Reisen durchaus, aber er wußte, daß seine Gattin während seiner Abwesenheit sehr litt. Deshalb hatte er versprochen, als er nach seiner zweiten Algerien-Reise, von der er um ein Haar überhaupt nicht zurückgekehrt wäre, seine weinende Frau in den Armen hielt: »Ich werde dich nie wieder verlassen, mein Liebling.«

Das Gleiche hatte er auch seiner fünfzehnjährigen Tochter erklärt, und er hatte es auch so gemeint.

Jetzt, dachte Mrs. Beverly, zerstörte Lord Merwyn schon wieder ihr Glück und ihren Frieden. Sie würde sich wieder ängstigen müssen. Aber dann ermahnte sie sich, daß sie Rozellas Vorschlag, anstelle ihres Vaters zu fahren, nicht ernst nehmen durfte.

»Wie kann sie etwas so Absurdes überhaupt nur denken?« fragte sie laut.

In diesem Augenblick kehrte Rozella in das Zimmer zurück.

Sie hatte es in einem hübschen Kleid verlassen, dessen Grünton gut zu ihren Augen paßte. Jetzt trug sie einen grauenhaften Regenmantel, den, wie Mrs. Beverly erkannte, ihr Mann immer mitnahm, wenn er eine Expedition in unbekannte Weltgegenden antrat. Aber nicht nur durch die Kleidung wirkte sie wie verwandelt, auch ihr Gesicht hatte sich verändert. Es war nicht mehr das eines jungen Mädchens, das die Blicke aller Männer auf sich zog. Ihre wunderschönen Augen waren hinter dunklen Brillengläsern verborgen.

Ihr seidiges Haar mit dem leichten rötlichen Schimmer, das zu leuchten begann, wenn die Sonne darauf fiel, steckte unter einem unförmigen Regenhut, den sie sich tief in die Stirn gezogen hatte.

Sie sah in dieser Aufmachung unbeschreiblich gewöhnlich aus, das mußte Mrs. Beverly zugeben, so daß kein Mann sie eines zweiten Blickes würdigen würde.

»Schau mich an, Mama«, sagte Rozella. »Ich könnte zum Beispiel in diesem Aufzug nach Konstantinopel reisen. Kein Mann würde mich ansprechen oder auch nur meine Koffer tragen!«

»Du wirst nicht nach Konstantinopel fahren!« erboste sich Mrs. Beverly mit einem leichten Vibrato. »Und versuche gar nicht erst, mich zu überreden.«

»Ich habe die feste Absicht zu reisen«, sagte Rozella. »Und du weißt genauso gut wie ich, daß ich damit Papas Leben retten kann. Würdest du wirklich in Kauf nehmen, daß er stirbt, weil er nicht genug zu essen hat, oder schlimmer, weil er aus seinem geliebten Haus ausziehen muß?« Ihre Mutter antwortete nicht, und so fuhr sie nach einem Augenblick fort: »Wir beide würden uns elend fühlen, aber Papa würde ein Umzug umbringen, und zwar, weil er an uns, nicht an sich denkt. Wie könnten wir so etwas zulassen? Und wenn er stirbt, was sollen wir dann tun?«

»Oh Rozella, sag so etwas nicht!« flehte Mrs. Beverly.

»Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, Mama. Wir haben kein Geld, aber wie durch ein Geschenk Gottes erhalten wir fünfhundert Pfund. Und wenn wir die ausgegeben haben, bekommen wir noch einmal fünfhundert, mit denen wir in aller Ruhe für Papas Genesung sorgen können.«

»Ich kann nicht zulassen, daß du dich in Gefahr begibst«, beharrte Mrs. Beverly.

»Ich habe das Gefühl, daß Lord Merwyn sehr gut auf sich aufpassen kann. Er bringt sich bestimmt nicht unnötig in Gefahr. Bisher hat er jedenfalls alle seine Expeditionen überlebt. Ich sehe nicht ein, warum ihm das in Konstantinopel mißlingen sollte.«

»Und wenn doch?«

»Du hast die Wahl, Mama. Entweder du läßt mich nach Konstantinopel reisen, oder Papa stirbt.«

»So etwas darfst du nicht sagen! Das darfst du nicht einmal denken!« protestierte Mrs. Beverly.

»Wir müssen uns der Wahrheit stellen«, erwiderte Rozella mit fester Stimme. »Ich bin kein Kind mehr. Ich bin zwanzig Jahre alt und bisher immer von dir, Papa und Nanny umsorgt und verwöhnt worden.« Rozella hielt inne und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Ich habe aber genug Verstand und Witz, um allein nach Konstantinopel zu gelangen. Danach wird Lord Merwyn auf mich aufpassen.«

»Und wenn er sich weigert?«

»Das wird er ganz gewiß tun«, stimmte ihr Rozella zu. »Aber ich habe das Gefühl, daß er mich akzeptieren wird, wenn er erst begreift, wie gut ich die arabischen Sprachen beherrsche und wie nützlich ich ihm sein kann. Und selbst wenn er mich heimschickt, können wir die fünfhundert Pfund behalten!«

»Das wäre unredlich!«

»Aber keineswegs! Papa war persönlich leider verhindert und hat ihm deshalb Ersatz geschickt. Es wäre außerordentlich unhöflich und ungebührlich von Lord Merwyn, die erste Rate des Honorars zurückzuverlangen, auch wenn er sich weigert, die zweite Rate zu zahlen.«

»Ich werde dich nicht fahren lassen«, weinte Mrs. Beverly.

Aber Rozella erkannte an ihrem Tonfall, daß sie wußte, daß es keine Alternative gab. Ob es Mrs. Beverly gefiel oder nicht und gleichgültig, wie unglücklich es sie machte, ihre Tochter mußte nach Konstantinopel fahren, um ihrem Mann das Leben zu retten.

Nachdem sie erkannt hatte, daß ihr ohnehin keine Wahl blieb, verlor Rozella keine Zeit mit weiteren Argumenten, obwohl Nanny noch wesentlich energischer Widerspruch einlegte als ihre Mutter. Rozella packte die Ausrüstung, die ihr Vater auf seinen Expeditionen benützt hatte, aus, entdeckte dabei ein Cape und nähte es zu einem Rock um. Als er fertig war, paßte er genau zu dem Mantel und Hut, die sie ihrer Mutter vorgeführt hatte.

Diese Kombination ließ sie, zusammen mit ein paar festen Schuhen, aussehen wie eine mittelalte Missionarin oder eine jener gesichtslosen englischen Weltenbummlerinnen, die auf allen Kontinenten anzutreffen waren. Neben den Kleidern, die sie von ihrem Vater hatte, packte Rozella auch einige aus ihrem eigenen Kleiderschrank ein. Sie konnte nicht wissen, ob sie so etwas nicht irgendwann brauchen würde.

Die fünfhundert Pfund rührte sie nicht an, denn die wurden benötigt, damit ihr Vater wieder zu Kräften kam.

»Du weißt, was du zu tun hast«, sagte sie zu Nanny, als sie allein waren. »Du mußt sie alle füttern, bis sie vor Kraft und Gesundheit strotzen. Und wenn Lord Merwyn dann noch etwas von seinem Geld zurückfordert, wird er nichts bekommen, weil alles aufgegessen ist.«

Nanny antwortete nicht, aber Rozella bemerkte den Glanz in den Augen der Haushälterin, als würde sie bereits all die Leckereien vor sich sehen, die sie zubereiten wollte.

Später hielt sie Rozella einen langen Vortrag über all die Gefahren, die alleinreisenden Frauen drohten. Ihrer Ansicht nach waren alle Männer, gleich welchen Alters, wie hungrige Wölfe, die nur darauf warteten, ein unschuldiges, hirtenloses Schaf zu verschlingen. Außerdem ließ sie sich ausführlich darüber aus, was für eine Torheit es war, wenn Frauen sich in reine Männerangelegenheiten mischten.

»Ich habe es nie gern gesehen«, schloß Nanny ihre Ermahnungen ab, »daß dein Vater sein Leben riskiert. Ich weiß nicht, warum er sich bei diesen Revolutionären herumtreiben muß, die nichts Besseres zu tun haben, als sich gegen ihre Väter und Herren zu verschwören.«

Rozella lachte.

»Woher weißt du so genau, was er gemacht hat?«

»Ich habe zwei und zwei zusammengezählt«, antwortete Nanny. »Und deshalb weiß ich Bescheid, auch wenn man versucht hat, alles vor mir geheim zu halten.«

Rozella dachte zurück an die vergangenen Jahre und erinnerte sich plötzlich an einige Bemerkungen ihres Vaters. Es waren nur winzige Bruchstücke, aber zugleich waren sie sehr aufschlußreich. Sie wußte, daß er einen Derwischtanz beobachtet hatte, den kein Fremder jemals sehen durfte. Wäre er entdeckt worden, hätte er sein Leben verloren. Einmal hatte er auch versucht, zur heiligsten Stadt der Moslems, nach Mekka, vorzudringen. Damals war er dem Tod nur entgangen, weil seine Beine schneller waren als die seiner Verfolger.

Rozella erinnerte sich auch daran, daß er sich als Fakir verkleidet und sich in ein Lager von Beduinen geschlichen hatte, die die Briten bekämpften. Weil sich die Beduinen täuschen ließen, konnte er wertvolle Informationen sammeln, die vielen Soldaten das Leben retteten.

»So etwas würde ich nie fertigbringen«, gestand sich Rozella ein. »Aber andererseits hätte Lord Merwyn Papa nicht um Hilfe gebeten, wenn es nicht sehr dringend wäre.«

Als sie sich schließlich von ihrer Mutter und der hemmungslos weinenden Nanny verabschiedete, trug sie in einem Leinensack alle Notizen bei sich, die ihr Vater über die Türken angefertigt hatte. Außerdem hatte sie sich aus seiner reichhaltigen Bibliothek noch einige Bücher genommen, die das gleiche Thema behandelten.

»Jedenfalls werde ich ein wenig Hintergrundwissen haben, wenn ich ankomme«, sagte sie zu sich selbst.

Dann begab sie sich als Erste-Klasse-Passagier auf die Reise. Zuerst überquerte sie den Kanal auf einem Dampfer, dann bestieg sie den Zug in Calais. Die Schaffner musterten sie überrascht, fanden sie erstaunlich unattraktiv für eine so reiche Frau und ignorierten sie von diesem Augenblick an.

Im Gegensatz zu ihren Befürchtungen befanden sich in dem Zug, der sie nach Paris brachte, wo sie in den Orient-Expreß umsteigen sollte, keine Männer, die alleinreisende Frauen belästigten. Ihre einzigen Reisebegleiter waren im Gegenteil zwei ältere Damen und ein sehr alter Mann, der unter einem hartnäckigen Husten litt und dem seine Begleiterinnen immer wieder ein Plaid über die Knie zogen.

Je mehr Rozella über Lord Merwyn nachdachte, desto mehr mißfiel ihr die Art, in der er ihren Vater herbeizitiert hatte, als würde er seinen Diener rufen. Sie hatte seinen Brief vor ihrer Abreise noch mehrmals gelesen. Dabei war sie zu dem Schluß gekommen, daß nur ein außerordentlich unangenehmer und egozentrischer Mensch von einem Freund erwarten konnte, von einer Minute auf die nächste sein Haus, seine Frau und seine Tochter im Stich zu lassen. Dabei hatte Lord Merwyn nicht einmal ein Wort des Bedauerns geäußert oder wenigstens gefragt, ob das, was er verlangte, überhaupt möglich war.

»Er läßt Papa überhaupt keinen freien Willen«, überlegte Rozella. Wenn sie für Lord Merwyn arbeiten durfte, dann würde sie ihm zeigen, daß sie ihn nicht fürchtete. Im Gegenteil, sie würde ihm ihre Meinung sagen, ob es ihm gefiel oder nicht.

»Natürlich hält er sich für sehr bedeutend, weil er so wichtig und reich genug ist, sich all seine Wünsche zu erfüllen«, dachte sie weiter. »Aber ich werde ihm schon klarmachen, daß er deshalb noch lange nicht das Recht hat, sich aufzuspielen, als wäre er Gott.«

Aber dann mußte sie lachen. Wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich ziemlich davor, Lord Merwyn gegenüberzutreten und ihm zu erklären, daß sie als Ersatz für ihren Vater gekommen war.

141. Das Geheimnis der Moschee

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