Читать книгу 150. Die fälsche Braut - Barbara Cartland - Страница 3

II

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Lady Clementine stieß einen unterdrückten Schrei aus.

»Rupert, was soll das heißen?«

»Es heißt das, was ich sage«, antwortete er. »Ich muß heiraten - und zwar so rasch wie möglich.«

»Aber warum? Ich begreife nicht, Rupert, um Gottes willen, so rede doch endlich!«

»Es ist ein Befehl der Königin«, sagte Sir Rupert, und seine Stimme klang verbittert. »Ihre Majestät wurde offensichtlich über unser Verhältnis informiert - jedenfalls scheint sie genauestens über uns beide Bescheid zu wissen.«

»Natürlich, Ihre Majestät wurde informiert«, wiederholte Lady Clementine. »Und... und es kommt nur eine Person dafür in Frage - meine Schwiegermutter! Sie hat uns nachspioniert. Dessen bin ich ganz sicher. Ich habe es an der Art und Weise gemerkt, wie sie mich anschaut, an den Bemerkungen, die sie in meiner Gegenwart macht. Mein Gott, wie schrecklich. Und ich glaubte, niemand hätte eine Ahnung.«

»Kann es nicht auch dein Mann gewesen sein, der...« begann Sir Rupert.

»Nein, nein, nicht Montagu. Er weiß bestimmt nichts. Der ist doch ständig betrunken. Nicht einmal wenn es sich direkt vor seiner Nase abspielte, würde er was bemerken. Aber bei meiner Schwiegermutter ist das anders. Sie hat mich schon immer gehaßt. Ständig behauptet sie, Montagu habe erst nach unserer Hochzeit mit dem Trinken angefangen.«

»Und war es so?«

»Wie soll ich das wissen?« fragte Lady Clementine trotzig. »Ich bin vorher nicht dabei gewesen.«

Sir Rupert lachte. Es war kein vergnügtes Lachen, aber immerhin ein Lachen.

»Ich freue mich, daß. ich so erheiternd für dich bin«, erklärte Lady Clementine scharf.

Sir Rupert lachte erneut.

»Nein, Clementine, meine Liebe, du bist nicht erheiternd«, sagte er, »aber zufällig reizte deine Naivität meinen Sinn für Humor. Nun schau nicht gleich so gekränkt, wenn ich dich ein wenig necke! Du bist viel zu schön, um darüber hinaus noch andere Qualitäten zu benötigen. Und am wenigsten erwartet man von dir, daß du erheiternd bist.«

»Ich wünschte, du würdest nicht so mit mir reden, Rupert«, sagte Lady Clementine. »Du weißt, ich verstehe dann nie, was du mir klarzumachen versuchst.«

»Das merke ich«, antwortete Sir Rupert. »Laß es mich dir also mit ganz einfachen Worten sagen. Du bist eine sehr schöne und sehr verführerische Person, Clementine!«

»Das ist es, was ich von dir hören wollte!« Sie lächelte. »Aber dieser Befehl der Königin, was hat, er zu bedeuten?«

»Er bedeutet, daß ich eine Frau finden muß - und zwar unverzüglich. Der Premierminister kann sich jeden Augenblick dazu entschließen, Lord Palmerston aufzufordern, seinen Abschied einzureichen. Und es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um zu verhindern, daß ich Lord Palmerstons Platz einnehme. Sollte es also auch nur einen winzigen Grund geben, der gegen meine Ernennung zum Außenminister spricht, dann bezweifle ich, daß Lord John den Mut zu einem derart unpopulären Vorschlag haben wird.«

»Darin wirst du also heiraten müssen«, flüsterte Lady Clementine bedrückt. »Ein unerträglicher Gedanke, das kann ich dir versichern.«

»Auch ich bin von dieser Idee nicht begeistert«, gab Sir Rupert zurück. »Außerdem, wen von diesen mickrigen Fräuleins kenne ich schon. Um die Wahrheit zu sagen: Aus meiner Bekanntschaft wüßte ich nicht eine einzige, die dafür in Frage käme!«

»Das glaube ich dir gern.« Lady Clementine nickte: »Und wie sehr wird dir der heilige Ehestand auf die Nerven gehen, Rupert.«

»Nun, früher oder später hätte ich doch dran glauben müssen. So plötzlich hatte ich allerdings nicht damit gerechnet. Etwas Zeit glaubte ich bis zu meinem Eintritt ins häusliche Leben noch zu haben. «

Lady Clementine ließ einen Laut hören, der weder ein Lachen noch ein Seufzen war.

»Die Queen will, daß du mit dem zügellosen Junggesellendasein Schluß machst. Sie will dich an die Kandare legen. Ein furchtbarer Gedanke! Was soll nun aus uns werden? Werden wir uns jemals wieder treffen können?«

»Aber natürlich!« versprach Sir Rupert ergrimmt. »Wenn du glaubst, ich lasse mir durch einen Befehl der Königin mein Leben auf den Kopf stellen, irrst du dich gewaltig. Ich bin nicht der einzige Mann, der gezwungen wurde, sich eine Fassade der Achtbarkeit zuzulegen! Nun gut, aber hinter dieser Fassade werde ich der bleiben, der ich bin, werde ich das tun, was ich tun möchte, und die Vergnügungen suchen, die mir Freude machen!«

»Es ist meine Schwiegermutter, der wir dies alles verdanken«, stieß Lady Clementine wütend hervor. »Ich könnte sie umbringen, diese herumschnüffelnde alte Hexe. Ich weiß, daß sie unter den Kammerfrauen der Königin zwei dicke Freundinnen hat. Wie muß sie sich vor Schadenfreude die Hände gerieben haben bei dem Gedanken, uns beiden eins auszuwischen.«

»Reg dich nicht auf!« beruhigte Sir Rupert sie. »Du bist doch noch glimpflich davongekommen. Der eigentliche Leidtragende bin ja wohl ich.«

»Ja, du hast recht«, gab Lady Clementine mitfühlend zu. »Denn du muß nun zusehen, daß du möglichst bald eine passende Braut findest. Weiß der Himmel, was dich da erwartet. Plötzlich hast du irgendein linkisches, unreifes und zum Sterben langweiliges junges Ding am Hals. Armer Rupert, du bist zu bedauern und das unglückliche Mädchen nicht weniger. Stell dir vor, nichts wird sie dir recht machen, weder bei Tisch noch im Bett. Sie wird deine Nerven strapazieren und gleichzeitig unter deiner schlechten Laune leiden. Es wird die Hölle für euch sein!«

»Nun mal den Teufel nicht an die Wand«, entgegnete Sir Rupert. »Ich werde sie Ihrer Majestät vorstellen und sie dann ein für allemal aufs Land abschieben. Und du solltest Sir Montagu unbedingt überreden, das Stadthaus in London wieder zu beziehen.«

»Nichts leichter als das«, versprach Lady Clementine. »Er. haßt das Landleben, wie du weißt. In London hat er seinen Club, wo er nach Herzenslust trinken und spielen kann. Es war übrigens deine Idee, daß ich den Sommer auf dem Land verbringen sollte. Du warst der Meinung, daß wir uns hier leichter treffen könnten, ohne Gefahr zu laufen, von anderen gesehen zu werden und ins Gerede zu kommen.«

»Ich weiß, ich weiß. Eine Überlegung, die sich als falsch herausstellte«, gab Sir Rupert zu. »Wir werden unsere Taktik also ändern müssen. In der Zwischenzeit...«

Er brach ab.

»In der Zwischenzeit?« fragte Lady Clementine, und ihre Stimme war dunkel vor Sehnsucht und Verlangen.

Sie sah ihn aus ihren schrägen Augen an wie eine Verdurstende, und die roten Lippen waren halb geöffnet, als sie sich langsam zu ihm umwandte.

Doch er beachtete sie nicht. Mit leerem Blick starrte er über den grünen Rasen hinweg in die Ferne.

»Am besten, du suchst mit eine Frau«, sagte er endlich.

»Rupert, wie kannst du mich nur um etwas Derartiges bitten?« rief Lady Clementine. »Ich versichere dir, ein Blick auf das Mädchen, das dich heiraten soll, würde genügen, es abgrundtief zu hassen. Und wenn ich merkte, daß es sich in dich verliebt hat - was ganz bestimmt der Fall sein wird - könnte ich für nichts mehr garantieren. Ganz gewiß würde ich ihr die Augen auskratzen.«

»Na gut, dann muß ich mich selbst darum kümmern«, sagte Sir Rupert und zuckte die Achseln.

»Nein, das kann ich auch nicht zulassen«, rief Lady Clementine in wilder Panik. »Ich könnte es vor Eifersucht nicht mehr aushalten.« Sie ballte die kleinen Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf. »Wie entsetzlich das alles ist! Welch eine garstige Situation für dich - und für mich!« Sie schwieg einen Moment und blickte zu den Gästen auf dem Rasen hinüber.

Plötzlich stieß sie einen Schrei aus. »Rupert«, rief sie, »ich habe es! Schau dort drüben, das Mädchen in dem pinkfarbenen Kleid und dem weißen Schal!«

»Wo? Von wem redest du?«

»Das Mädchen da drüben, siehst du sie? Das, mein Lieber, ist deine zukünftige Braut.«

»Wen meinst du denn? Und wer ist sie?«

»Die Tochter deines Gastgebers, Lady Elisabeth Graye«, erklärte Lady Clementine. »Ich kenne sie, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie ist recht hübsch und - könnte ich mir vorstellen - nicht ganz dumm. Na, du kennst doch ihren Vater, Lord Cardon.« ,

»Aber... aber...« Sir Rupert verstummte.

»Nein, nein, mein Freund! Die Cardons werden begeistert sein. Ich weiß, sie stecken finanziell ziemlich in der Klemme. Im vergangenen Jahr mußten sie sogar einen ihrer Höfe verkaufen. Lord Cardon wird einen wohlhabenden Schwiegersohn mit offenen Armen empfangen. Und du, lieber Rupert, bist sogar sehr wohlhabend.«

»Allerdings. Aber wie kommst du ausgerechnet auf dieses Mädchen?«

»Weil sie alle Bedingungen erfüllt, die du an eine Braut stellen solltest, mein Lieber. Sie ist einfältig und sanftmütig, wohlerzogen und von tadellosem Ruf. Falls ich mich nicht sehr täusche, wird sie dich bereitwillig als Ehemann akzeptieren und dir eine gehorsame und leichtgläubige Frau sein.«

Es entstand ein kurzes Schweigen, dann sagte Sir Rupert: »Es ist schlimm!«

»Sehr schlimm sogar!« stimmte Lady Clementine zu. »Aber wie ich vorhin sagte, ich kenne Lady Elisabeth schon sehr lange, und ich glaube, sie ist das einzige Mädchen, dem gegenüber ich meine Eifersucht einigermaßen in Grenzen halten kann.«

»Glaubst du wirklich, du müßtest auf meine zukünftige Frau eifersüchtig sein?» fragte Sir Rupert.

»Aber natürlich«, erwiderte Lady Clementine, ohne zu zögern. »Der Gedanke, daß es eine Frau gibt, die deinen Namen trägt, in deinem Haus lebt und mit dir - wenn auch selten - das Bett teilt, wird mir unerträglich sein. Eine Folter, eine Höllenqual. Außerdem kenne ich deinen Ruf als Frauenheld, und ich bin fast sicher, daß die kleine Gans sich unsterblich in dich verlieben wird.«

»Ich finde es reichlich unfair, mir Dinge vorzuhalten, die vor unserer Verbindung geschehen sind!«

»Mein Lieber, glaub mir, deine Vergangenheit läßt mich kalt!« Lady Clementine lachte. »Es ist deine Zukunft, die mich beunruhigt, und das mit gutem Grund, Rupert. Du bist eben ein sehr beeindruckender und außergewöhnlicher Mann!«

»Ich bin glücklich, daß du so denkst.«

»Wirst du mir eine Frage beantworten? Offen und ehrlich?«

Lady Clementines Stimme klang leise und unerwartet ernst.

»Aber selbstverständlich!«

»Sag mir eins, Rupert, liebst du mich wirklich?«

»Guter Himmel, was für eine Frage, Clementine! Haben wir in den letzten Monaten nicht die meiste Zeit zusammen verbracht und - wie ich glaube - Augenblicke höchsten Glücks miteinander erlebt?«

»Du hast noch nicht auf meine Frage geantwortet«, sagte Lady Clementine. »Aber vielleicht ist das auch unnötig. Jedenfalls habe ich das unbehagliche Gefühl, daß du mich nicht wirklich liebst. Nicht so, wie ich dich liebe.«

»Was du da sagst, kommt mir sehr bekannt vor!« Sir Rupert lächelte.

»Das überrascht mich nicht!« erwiderte Lady Clementine hastig und in kaum unterdrückter Erregung. »Viele Frauen mögen diese Worte schon zu dir gesagt haben, denn in Wirklichkeit bist du zu einer wahren Liebe gar nicht fähig, Rupert. Du liebst weder mich noch eine andere. Natürlich, du findest mich anziehend und begehrenswert, ich weiß. Ich wecke Leidenschaften in dir, Begierden und manchmal vielleicht auch Eifersucht. Aber die ganze Zeit über, in der wir zusammen waren, habe ich gefühlt, daß es keine Liebe ist, was du für mich empfindest. Ich habe alles getan, dich dazu zu bringen, Rupert. Aber es war umsonst. Eine schreckliche Erkenntnis für eine Frau, die liebt und einen Mann zu halten versucht.«

Bei den letzten Worten war ihre Stimme zu einem Flüstern herabgesunken.

»Clementine, meine Liebe, du regst dich nur auf. Außerdem... wie kannst du einen solchen Unsinn reden! Du weißt, daß ich dich liebe!«

Lady Clementine holte tief Luft. Sie trat dicht an Sir Rupert heran und berührte seine Hand mit der ihren. Einen Augenblick lang waren ihre Finger weich und sanft, dann plötzlich gruben sie sich tief in sein Fleisch.

»Du gehörst mir!« stieß sie keuchend hervor. »Und ich sage jeder Frau den Kampf an, die es wagt, dich mir wegzunehmen.«

Sir Rupert hob ihre Finger an die Lippen.

»Ich wußte gar nicht, daß du so für mich empfindest, Clementine. Ich glaubte, ich wäre nur einer der vielen Narren, die sich von dir den Kopf verdrehen ließen.«

»Du hast nichts dergleichen geglaubt«, erwiderte sie. »Ich mache dir eine Szene, und ich weiß, daß du das nicht magst. Aber heute Nachmittag kann ich nicht anders. Einmal muß ich dir sagen, wie es um mich steht und was ich von dir denke.«

»Und ich antworte dir darauf, daß du Unsinn redest«, sagte Sir Rupert. »Ja, du redest Unsinn, und ich werde es dir beweisen. Wirst du dich heute Abend mit mir treffen? An der üblichen Stelle?«

»In der Laube?« fragte Lady Clementine atemlos. »Glaubst du, wir könnten es wagen? Vielleicht spioniert meine Schwiegermutter hinter uns her. Vielleicht hat sie einen der Gärtner beauftragt, uns im Auge zu behalten!«

»Unsinn, niemand kann uns gesehen haben«, erklärte Sir Rupert. »Mag sein, deine Schwiegermutter hat einen Verdacht, aber bestimmt hat sie keine Beweise. Sag einfach, du würdest früh zu Bett gehen, aber zieh einen dunklen Umhang über. Niemand wird dich sehen, wenn du einen Weg wählst, der vom Haus aus nicht einzusehen ist. Ich werde wie üblich auf dich warten.«

»Rupert, du weißt, wie gerne ich kommen würde. Es ist nur, daß ich schreckliche Angst deinetwegen habe - deinetwegen und unseretwegen. Wenn Montagu dahinterkommt, wird es einen Skandal geben. Und das wäre dein Untergang, das weißt gut genau!«

»Ja, das weiß ich«, erwiderte Sir Rupert. »Aber beruhige dich, es wird keinen Skandal geben. Wirst du also kommen?«

»Ja, ich werde kommen!« Lady Clementines Stimme klang voller Wehmut. »Vielleicht ist es das letzte Mal. Wenn du demnächst verheiratet bist, sehe ich dich bestimmt nicht wieder.«

»Clementine, rede nicht ein solch dummes Zeug! Du weißt genau, daß meine Heirat nichts an unserer Beziehung ändern wird. Warum auch? Du hast selbst gesagt, daß dieses Mädchen eine gehorsame und leichtgläubige Ehefrau sein wird!«

»Ja, ich glaube, bei Elisabeth trifft dies zu. Wirst du um ihre Hand anhalten?«

»Natürlich«, erwiderte Sir Rupert. »Habe ich deinen Befehlen nicht immer gehorcht?«

»Ja, so bedingungslos, wie du den Befehlen Ihrer Majestät gehorchst«, sagte Lady Clementine mit einem Unterton von Spott in der Stimme.

»Gut, dann werde ich jetzt also gehen und ein Wort mit meiner zukünftigen Gemahlin sprechen. Wir haben uns lange genug hier aufgehalten, Clementine. Jemand könnte unsere Abwesenheit inzwischen bemerkt haben.«

»Ich werde mich unter die Zuschauer des Krocketspiels mischen. Und du wirst doch ganz bestimmt heute Abend kommen?«

»Kannst du dir auch nur einen Moment lang vorstellen, daß ich bis dahin nicht die Stunden zähle?« erwiderte er.

»Ich frage mich, ob du das wirklich tun wirst«, sagte sie und seufzte schwer. »Ich jedenfalls werde sie zählen, ja. Aber oft denke ich, daß das bei dir ganz anders ist.«

»Du stellst dein Licht unter den Scheffel, meine Liebe. Du weißt gar nicht, welch eine Anziehung du auf mich ausübst«, antwortete Sir Rupert. »Und nun sollten wir uns wirklich trennen. Wie gesagt, man könnte uns vermißt haben.«

»Aber natürlich. Au revoir, bis heute Abend, du niederträchtiger, hinreißender, anbetungswürdiger Geliebter!«

Er blickte in ihre Augen und erkannte darin die Flamme der Leidenschaft. Ihr Geschäft hatte sich verändert. Die Maske der vornehmen Frau von Stand war verschwunden.

An ihre Stelle war der Ausdruck schamlosen Begehrens getreten. Es war ein so wilder, hungriger und unbeherrschter Ausdruck, daß Lady Clementines sonst so schöne Züge förmlich entstellt und häßlich wirkten.

Sir Rupert hielt den Atem an, und die Frau dachte mit einem Gefühl des Triumphes, daß sie sein Verlangen aufs heftigste angestachelte hatte.

»Laß mich nicht zu lange warten«, sagte er herrisch und erhob sich von der Bank, auf der sie gesessen hatten.

Isabel - noch immer auf ihrem Lauschposten - hörte ihre Schritte auf den Holzdielen, dann auf den Stufen, die zum Rasen hinunterführten. Dort trennten sich Lady Clementine und Sir Rupert, ohne sich noch einen Blick zu gönnen. Lady Clementine schritt langsam und anmutig auf die Leute zu, die immer noch dem Krocketspiel zuschauten. Sir Rupert wandte sich nach der anderen Seite und ging zum Partyzelt hinüber.

Isabel blickte ihnen nach. Als die beiden außer Hörweite waren, veränderte sie mit einer heftigen Bewegung ihre Sitzstellung. Sie hatte sich steif gesessen, und in ihren Beinen steckten Tausende von spitzen Nadeln. Dennoch achtete sie kaum darauf, denn sie kochte vor Wut und Empörung. Auf ihren Wangen brannten rote Flecken, und ihre Augen sprühten Funken. . .

Was sie soeben unfreiwillig gehört hatte, war so empörend und gemein, daß es ihr die Schamröte ins Gesicht getrieben hatte.

Das also war Sir Rupert Wroth!

Sie hatte ihren Onkel und ihre Tante oft über ihn, den reichen Eigentümer von Wroth Castle, reden hören. Kein Wunder, daß ältere Leute beim Nennen dieses Namens die Köpfe zusammensteckten und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen! Daß oft genug ein Ton der Mißbilligung in ihren Stimmen lag, wenn sie auch nur den Namen Wroth aussprachen.

»Dieser Schurke«, stieß Isabel zornig hervor, »denkt an eine Ehe mit der lieben, sanften Elisabeth, die tatsächlich so unterwürfig und leichtgläubig ist, wie Lady Clementine das annimmt. Aber wenn ich es verhindern kann, wird nichts aus diesem teuflischen Plan. Ich werde diesem sauberen Pärchen schon einen Riegel vorschieben, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!«

Isabel war so aufgebracht, daß es sie in dem niedrigen Speicherraum nicht mehr hielt. Sie kroch durch die verborgene Luke und kletterte eilig nach unten.

Die Entrüstung über das Gehörte war so stark in ihr, daß sie ihre eigenen Probleme vergaß und schnurstracks auf die Wiese lief, um Elisabeth zu suchen. Aber ihre Kusine schien nicht mehr draußen zu sein.

Isabel wollte eben ins Haus laufen, als sie hinter sich eine Stimme hörte, in der sich Erstaunen und Mißbilligung mischten.

»Isabel, was tust du denn hier?«

Isabel drehte sich um und stand vor ihrer Tante, die die Lorgnette vor die Augen hob und sie fassungslos anstarrte.

Isabel knickste.

»Ich bin eben erst angekommen, Tante Anne.«

»Angekommen? Und wieso?«

Lady Cardon machte eine Pause, aber noch bevor Isabel antworten konnte, fuhr sie fort: »Nein, nicht nötig, mir irgendetwas zu erklären! Spar dir die Erklärungen für deinen Onkel auf. Ich weiß nicht, was er sagen wird, wenn er von deinem Hiersein erfährt. Aber bevor ich ihm die Neuigkeit mitteile, gehst du auf dein Zimmer, und zwar unverzüglich. Und dort bleibst du, verstanden! Du wagst dich nicht mehr vor die Tür!«

»Aber, Tante Anne.. .« begann Isabel.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe, Isabel. Du bleibst auf deinem Zimmer, bis ich dich rufen lasse! Sei so gut, und richte dich danach!«

Isabel wußte, wann sie verloren hatte. Sie knickste und ging wortlos zum Haus. Mehrere Gäste, an denen sie vorbeikam, schauten neugierig zu ihr hin. Isabel war unter dem scharfen Tadel der Tante erbleicht, aber stolz hatte sie den Kopf in den Nacken geworfen und so durchquerte sie die Halle. Sie stieg die Treppen hoch und betrat ihr Zimmer. Krachend warf sie die Tür hinter sich ins Schloß und blieb zitternd vor Zorn mitten im Raum stehen.

Es war immer das gleiche! Was immer auch geschah, sie war im Unrecht! Eine Klärung brauchten diese Menschen nicht! Sie, Isabel, hatte einfach keine eigene Meinung und keinen eigenen Willen zu haben.

»Es ist nicht fair«, sagte sie laut und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Es ist nicht fair«, wiederholte sie, während ein resigniertes Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.

Warum regte sie sich auf? War jemals ein Mensch fair zu ihr gewesen, seit sie nach Rowanfield Manor gekommen war?

Sie, die unerwünschte arme Verwandte! Die Vollwaise, die auf die Güte, die Almosen der anderen angewiesen war. Die einzige im Haus, die kein Recht auf ein eigenes Leben und eine eigene Persönlichkeit hatte!

Isabel dachte an die Zeit mit Vater und Mutter. Sie waren arm gewesen, aber das winzige Haus, das sie bewohnt hatten, war ein Ort der Heiterkeit und des Glücks gewesen.

Glück!

Seit sie bei ihrem Onkel und ihrer Tante wohnte, war ihr die Erinnerung daran gewaltsam ausgetrieben worden. Sie wußte nicht mehr, was es hieß, ohne Streit zu leben, ohne Furcht, ohne das bedrückende, schmerzhafte Bewußtsein, von niemandem geliebt zu werden.

Nie, nie würde sie Rowanfield Manor ihre Heimat nennen. Heimat war ein Ort des Friedens und des Lachens, eine Zuflucht vor den Widrigkeiten und Gefahren der Welt. Heimat und Glück, diese beiden Begriffe gehörten in Isabels Vorstellung untrennbar zusammen.

Aber auch zu Hause, so erinnerte sich Isabel, hatte es Zeiten gegeben, da in den Augen der Mutter Tränen gewesen waren. Dann, wenn sie voller Angst auf Vaters Rückkehr gewartet hatte, wenn die Stunden vergingen und er noch immer nicht heimgekehrt war.

Isabel hatte dann die Arme um den Hals der Mutter geschlungen und sie angefleht: »Bitte, Mama, schau doch nicht so unglücklich! Ich möchte, daß du glücklich bist und lachst. Es ist unschön von Papa, dich so zu quälen, daß du weinen mußt!«

»Ich weine nicht, mein Liebling, antwortete die Mutter, »Ich mache mir nur Sorgen. Dein Vater ist spät heute, viel später als gewöhnlich. Er könnte einen Unfall gehabt haben.«

Aber Isabel wußte, daß es nicht die Furcht vor einem Unfall war, die ihre Mutter beschäftigte. In ein oder zwei Stunden würde die Tür auffliegen und ihr Vater im Zimmer stehen. Er würde den Namen der Mutter und vielleicht auch den seiner Tochter rufen, und beide würden sich jubelnd in seine ausgebreiteten Arme werfen.

Er würde sie an sich drücken, sie auf beide Wangen küssen, und sein Atem würde nach Zigarren und Brandy riechen. Er würde in Isabels Haar greifen, und dann würde die übliche Frage kommen, warum sie herumsäßen, als wären sie bei einer Beerdigung!

»Mama hat sich deinetwegen Sorgen gemacht!« würde Isabel dann vorwurfsvoll sagen.

Und der Vater würde antworten! »Bin ich zu spät? Oh, das tut mir leid. Aber ich wurde aufgehalten. Man schlug mir ein Spielchen vor, und ihr wißt, wie schwierig es ist, mittendrin aufzuhören. Sie könnten einen für einen Spielverderber halten!«

»Ich war nicht wirklich beunruhigt«, würde Mutter dann antworten, und Isabel würde sie mit einem Anflug von Verachtung anschauen und nicht begreifen, warum sie nicht die Wahrheit sagte.

Schon damals hatte sie gelernt, daß Männer so waren - sogar die Besten unter ihnen. Sie war erst sieben gewesen, als sie entschieden hatte, daß sie ihren Vater zwar liebte, ihre Mutter jedoch stets die Wichtigere für sie sein würde. Papa war lustig und hatte herrliche Spielideen, aber er war nicht zuverlässig. Er versprach etwas hoch und heilig, und hatte es schon im nächsten Moment wieder vergessen. Wenn er Karten spielte, war es am schlimmsten: Er vergaß alles um sich herum, vor allem die Zeit. Und außerdem - das erfuhr Isabel später - konnte er sich das Spielen überhaupt nicht leisten. Sie besaßen nicht die Mittel dazu, und wenn er verlor, was meist der Fall war, mussten sie tagelang hungern, und über Nacht verschwand dann wieder eines der wenigen wertvollen Dinge, die sie noch besaßen.

Aber Männer waren nun einmal so!

Die Bedeutung dieses Satzes wurde Isabel erst in seiner ganzen Tragweite bewußt, als sie nach Rowanfield Manor kam. Es war schwer zu glauben, daß Onkel Herbert der Bruder ihres Vaters war. Sie waren so verschieden wie Tag und Nacht. Und doch erinnerten die Selbstsucht und Gemeinheit ihres Onkels sie oft an die Tränen der Mutter, die stundenlang auf die Heimkehr eines Mannes wartete, der vom Spielteufel besessen war.

Der Unfall, der Isabel zur Vollwaise gemacht hatte, war ausschließlich die Schuld ihres Vaters gewesen. Man hatte ihn gewarnt, hatte ihm gesagt, daß ein Sturm über dem Meer heraufzog. Alle hatten ihn beschworen, mit seiner Yacht im Hafen zu bleiben. Aber er hatte um zwanzig Sovereigns gewettet, daß er zwei Meilen an der Küste entlangsegeln, einen Kasten mit Wein an Bord nehmen und vor Morgengrauen wieder zurück sein würde.

Als Isabels Mutter von dieser Wette hörte, war jeder Blutstropfen aus ihrem Gesicht gewichen und sie hatte einen Entsetzensschrei ausgestoßen.

»Aber überleg doch, wir können es uns nicht leisten, eine solche Summe zu verlieren!« hatte Vater ihr entgegengehalten und mit seinem strahlenden Lächeln hinzugefügt: »Aber wir werden die zwanzig Sovereigns nicht verlieren, wir werden die Wette gewinnen. Und du wirst mitkommen als meine Mannschaft. Du kennst das Boot besser als jeder andere, und wenn wir das Geld gewonnen haben, werde ich dir das goldene Medaillon kaufen, das du in der vergangenen Woche im Schaufenster des Juwelierladens bewundert hast.«

»Es ist verrückt!« rief Isabels Mutter.

»Aber ich liebe es nun einmal, verrückte Dinge zu tun!« war die Antwort.

Dann wurde Isabel von den Armen des Vaters umschlossen und hochgehoben.

»Auf Wiedersehen, Püppchen!« sagte er lachend. »In zwei Stunden sind wir zurück!«

Er nahm seine Ölhaut und lief den Gartenweg hinunter. Es war das letzte Mal, daß sie ihn und ihre Mutter lebend gesehen hatte. Selbst jetzt noch, nach so langer Zeit, erfaßte sie ein Zittern, wenn sie an die Stunden dachte, die sie voll banger Sorge auf die Rückkehr der Eltern gewartet hatte, bis dann die fremden Männer gekommen waren und ihr erzählt hatten, was geschehen war.

Auf einem kleinen, mit Unkraut bewachsenen Friedhof hatte die Beerdigung stattgefunden. Isabel war wie versteinert gewesen, unfähig, eine Träne zu vergießen, unfähig, das Vorgefallene überhaupt zu begreifen. Alles war ihr vorgekommen wie ein böser Traum. Nur die massige Gestalt ihres Onkels schien Wirklichkeit zu sein. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, aber sie wußte, daß er der Earl von Cardon war. Wenn ihr Vater seinen Namen manchmal ganz beiläufig erwähnte, hatte es der Mutter die Zornesröte ins Gesicht getrieben.

Nach dem Begräbnis war der Onkel zu ihr hingetreten und hatte gesagt: »Dein Vater hat sich schon immer wie ein Narr aufgeführt. Er heiratete ohne die Zustimmung der Familie, und dafür mußte er die Folgen tragen. Wenn es euch schlecht ging, trug er allein die Schuld daran!«

»Es ging uns nicht schlecht«, erwiderte Isabel trotzig. »Wir waren zwar arm, aber nicht unglücklich. Alle drei nicht!«

»Nicht unglücklich? Hier in diesem Haus?«

Lord Cardons Ton klang verächtlich. Er schaute sich in dem engen Wohnraum um. In diesem Augenblick bemerkte Isabel zum ersten Mal, wie schäbig und armselig das Zimmer war. Zum ersten Mal bemerkte sie den abgetretenen Teppich, die vergilbte Tapete, die sich stellenweise schon von der Wand gelöst hatte, die gebrochenen Spiralen des Sofas, die vielfach geflickten und verblichenen Vorhänge an den Fenstern.

Isabel hatte geschwiegen, aber in ihrem Herzen war eine Woge des Hasses gegen ihren Onkel aufgebrochen. Mit einem Schlag hatte er alle ihre Illusionen zerstört, ihr geliebtes Zuhause aller Wärme und Schönheit beraubt. Er hatte es armselig und zu einem Nichts gemacht. Und als sie dann mit ihm nach Rowanfield Manor fuhr, fühlte sie sich nicht nur als Waise, sondern auch als Bettlerin.

»Deine Tante und ich werden dir ein Zuhause geben, bis du alt genug bist, dir deinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen«, sagte er großartig, »Aber du solltest nie vergessen, daß es unsere Wohltätigkeit ist, von der du lebst, und wir erwarten dafür deine Dankbarkeit. Ich mag die Art nicht, wie du mir antwortest, wenn ich dich etwas frage. Sie ist respektlos. Du mußt es lernen, bescheiden zu sein, mein Kind. Bescheiden und dankbar für jede Wohltat, die du empfängst - denn einen Anspruch hast du auf gar nichts.«

Vom ersten Moment an hatte er versucht, ihren Willen zu brechen - und war damit gescheitert. Immer wieder, wenn sie sich seinen Befehlen widersetzt hatte und von ihm fast bewußtlos geschlagen worden war, hatte sie sich mit den Worten entschuldigt, die er ihr vorsprach. Aber der Widerstand in ihrem Inneren blieb ungebrochen.

Niemals kapitulierte sie wirklich. Weder vor brutaler Gewalt noch vor seelischem Terror. Wenn sie sich auch aus körperlicher Schwäche nach außen hin unterwerfen mußte, innerlich blieb sie unbesiegt - eine Rebellin, die den Traum der Revolution nicht aufgab, auch wenn sie es nicht wagen konnte, sich laut dazu zu bekennen.

»Ich werde niemals wirklich die Waffen strecken!« schwor sie sich, während sie mit blutunterlaufenen Flecken und schmerzenden Gliedern in dem engen Bett lag. »Und eines Tages werde ich ihm alles zurückzahlen. Eines Tages werde ich stark genug sein, um ihn zu besiegen...«

Kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag eröffnete ihr der Onkel, daß er ihr eine Stellung als Gouvernante bei einem alten Freund besorgt habe. Isabel war glücklich. Endlich eine Chance, von Rowanfield Manor fortzukommen! Und obgleich die Trennung von ihrer Kusine Elisabeth sehr schmerzlich für sie war, hatte der Gedanke, frei zu sein, der Grausamkeit und dem Haß des Onkels entfliehen zu können, sie wie ein Rausch erfüllt.

Aber ihre Freude fand ein jähes Ende. Sie war noch keine Woche in der neuen Stellung, als der Sohn des Hauses anfing, ihr nachzustellen. Er war ein ungeschliffener junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, verwöhnt und verzogen von einer Mutter, die mit einer abgöttischen und zugleich sehr egoistischen Liebe an ihm hing. Sie glaubte, daß er nie etwas Unrechtes tun könnte, und als sie ihn schließlich dabei überraschte, daß er Isabel in einer Ecke der Bibliothek zu küssen versuchte, gab es für sie nicht den geringsten Zweifel, daß die Schuld ausschließlich bei Isabel zu suchen wäre. Jedenfalls war sie nicht einmal bereit, das Mädchen zu dem Vorfall auch nur anzuhören.

Man befahl Isabel, die Koffer zu packen und innerhalb weniger Stunden das Haus zu verlassen. Sie kehrte nach Rowanfield Manor zurück, geknickt, aber völlig unvorbereitet auf den Empfang, den Onkel und Tante ihr bereiteten. Sie wenigstens würden sie anhören, dachte Isabel. Aber sie erlebte eine neue bittere Enttäuschung.

»Du wirst den jungen Mann wohl ermutigt haben«, sagte der Onkel kalt, und ohne ihn anzusehen, wußte Isabel, daß in seinen Augen wieder dieses unheimliche Glitzern war, vor dem sie solche Angst hatte. Was sie im Unterbewußtsein schon immer gespürt hatte, jetzt stand es für sie fest: Er genoß es, wenn sie litt. Er genoß es wie eine Rache für den Trotz, den sie ihm jahrelang entgegengesetzt hatte, für die blutigen Kratzer, die sie mit ihren Fingernägeln in seinem Gesicht hinterlassen hatte, für die Wut, die in ihm gewesen war, wenn sie ihn angeschrien hatte: »Ich hasse dich, du ekelhafter, häßlicher, fetter alter Mann!«

Von ihrer zweiten Anstellung war sie aus dem gleichen Grund zurückgekommen. Diesmal war es ihr Brotherr gewesen, der ihr nachgestellt hatte. Ihr Onkel verhörte sie stundenlang, und sie sah, daß dieses Verhör ihm ein schamloses Vergnügen bereitete. Doch obwohl er sie zwang, jede seiner Fragen zu beantworten, machte sie es ihm nicht leicht. Am Ende des Verhörs kochte er vor Wut und wirkte gleichzeitig völlig erschöpft.

Isabel war die ganze Zeit in ihrem Zimmer auf und ab gegangen, jetzt blieb sie stehen. Sie war sich darüber klar, was sie an diesem Abend oder am nächsten Morgen erwartete.

»Was hat er zu dir gesagt? Was hast du getan? Wann hast du zum ersten Mal etwas Derartiges bemerkt? Was hast du gefühlt, als er dich anfaßte?«

Diese und ähnliche Fragen würden endlos fortgesetzt werden. Isabel zweifelte nicht daran, daß ihr Onkel sie mit voller Absicht in das Haus des Marquis von Droxburgh geschickt hatte. Isabel hatte Gespräche auf Gesellschaften über den Marquis mit angehört, sie war unbeabsichtigt Zeugin von Gesprächen der Dienerschaft gewesen, und aus alldem war eindeutig hervorgegangen, daß ihr Onkel den Ruf des Marquis genauso gekannt haben mußte wie alle anderen auch.

Der Marquis von Droxburgh war ein durch und durch lasterhafter Mensch, verheiratet mit einer Frau, die ständig kränkelte, die sich um nichts im Haus kümmerte, kaum einmal ihr Zimmer verließ und der ihr Gatte im Grunde genauso gleichgültig war wie sie ihm.

Zunächst hatte Isabel keine Ahnung gehabt, was sie erwartete. Das Haus war wundervoll. Ein großes georgianisches, Gebäude inmitten einer weiten grünen Parklandschaft, umgeben von reizvollen, tiefblauen Seen. In der ersten Woche hatte Isabel geglaubt, auf Droxburgh Castle glücklich zu werden. Das Kind, das sie unterrichten sollte, war ein zartes, verschüchtertes kleines Ding, dessen Zerbrechlichkeit Muttergefühle in Isabel wachrief. Voller Freude bereitete sie die Unterrichtsstunden vor. Sie redete dem Kind zu, besser zu essen und ging mit ihm, so oft es möglich war, an die frische Luft. Ruhe und Frieden lagen über dem Ort, und es schien nichts zu geben, das die Idylle stören konnte.

Aber dann kehrte der Marquis nach Hause zurück, brachte eine Gesellschaft von Freunden mit, laute, arrogante, vergnügungssüchtige Leute, die bis zum Luncheon in den Betten lagen, nachdem sie die Nacht durchzecht und beim Kartenspiel zugebracht hatten. Alles im Haus stand plötzlich Kopf. Die Diener hetzten durch die Korridore, fanden keine Zeit, pünktlich für die Mahlzeiten der Gouvernante und ihrer kleinen Schutzbefohlenen zu sorgen, und wenn endlich aufgetragen wurde, war das Essen kalt oder lieblos zubereitet.

Das Haus hallte wider von lauter Musik, wildem Gelächter und lärmenden Stimmen. Oft schreckte Isabel mitten in der Nacht aus dem Schlaf, und sogar die Hunde schlichen am nächsten Morgen müde und lustlos ums Haus.

An einem Nachmittag betrat der Marquis das Unterrichtszimmer. Isabel erhob sich bei seinem Eintritt höflich und knickste. Sie rechnete damit, daß er sie kurz begrüßen, sich nach dem Stand des Unterrichts erkundigen und dann wieder gehen würde. Doch dann bemerkte sie den begehrlichen Blick in seinen schmalen Augen, sah das verkniffene Lächeln um die sinnlichen Lippen und fühlte, wie ihr Herz bis in den Hals schlug. Entsetzen schnürte ihr die Kehle zusammen. Ein unkontrollierte Zittern befiel sie, denn sie wußte aus Erfahrung, was ihr nun bevorstand. Und als der Marquis einen Schritt auf sie zutrat, gab es für Isabel kein Halten mehr. Hals über Kopf stürzte sie aus dem Raum.

Das war der Anfang einer schrecklichen Zeit gewesen, denn von diesem Augenblick an hatte sie in diesem Haus keine Ruhe mehr. Schließlich konnte sie die Angst nicht mehr länger ertragen. Sie war mit ihrer Nervenkraft am Ende. Obwohl sie jeden Abend ihr Zimmer verschloß, fand sie keinen Schlaf. Sie lag wach und lauschte mit überreizten Sinnen auf die Geräusche von draußen, auf das Tappen schleichender Schritte, das leise Quietschen der niedergedrückten Türklinke, das beschwörende Flüstern einer erregten Männerstimme.

Und dann - am gestrigen Abend - machte sie die Feststellung, daß der Schlüssel zu ihrer Schlafzimmertür verschwunden war, und eine nie gekannte Panik ergriff von ihr Besitz.

Sie verbrachte die Nacht im sorgfältig verriegelten Kinderzimmer, und am heutigen Morgen, noch bevor die Dienerschaft aufgestanden war, hatte sie mit ihrer Reisetasche das Haus verlassen.

Dem Kind und der Marchioneß hinterließ sie einen kurzen Brief. Darin entschuldigte sie sich in unzusammenhängenden Worten für ihr plötzliches Weggehen. Sie schrieb, ihre Tante sei erkrankt und brauche ihre, Isabels, Pflege. Sie bedauere die Plötzlichkeit ihres Aufbruchs und die Unmöglichkeit einer Rückkehr.

Was anderes hätte ich sonst schreiben können, fragte sie sich nun, während sie vor den Spiegel trat und hineinblickte.

Wie ein leuchtender, lebendiger Farbfleck hob sich ihr Haar von der weißen Wand im Hintergrund ab, und sie dachte, daß dieses schwere, tizianrote und mit seinen üppigen Locken kaum zu bändigende Haar die Ursache ihres ganzen Unglücks sei.

War es wirklich ihr Haar, das den Ausdruck in den Augen der Männer veränderte, sobald sie seiner ansichtig wurden?

Warum verhielten sie sich alle so seltsam in ihrer Gegenwart? Warum hatte Isabel stets das Gefühl, alle Männer hätten den Wunsch, sie an sich zu reißen, weil ihr Anblick sie um den Verstand brachte?

»Es ist ungerecht«, murmelte sie. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür, und Elisabeth stürmte ins Zimmer.

»Isabel!« rief sie freudestrahlend. »Ich hörte, wie Mama zu Papa sagte, du seist hier. Ich wollte es erst gar nicht glauben. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Ich hab' mich davongeschlichen, weil ich sicher sein wollte! O Isabel, ich bin ja so froh, dich zu sehen!«

»Auch ich bin froh«, erwiderte Isabel und löste sich aus Elisabeths Umarmung. Sie trat einen Schritt zurück und blickte ihre Kusine an. Dann klatschte sie in die Hände. »Wie hübsch du aussiehst! Ich habe dein Kleid bereits von weitem bewundert.«

»Warst du denn unten? Ich hab' dich gar nicht gesehen.«

»Vom Sommerhaus habe ich dich beobachtet«, sagte Isabel.

»Vom Sommerhaus?« Elisabeth lachte. »Aber Isabel, führt dich dein erster Weg immer noch zu unserem geheimen Versteck?«

»Ja«, antwortete Isabel lächelnd. Dann wurde sie ernst. »Ich muß dir etwas sagen!«

»Und ich muß dir etwas sagen.« rief Elisabeth aufgeregt. »Mama wird wütend sein, weil ich die Gäste im Stich gelassen habe. Aber ich konnte mit meiner Neuigkeit nicht länger warten. Isabel, ich bin verliebt!«

»Verliebt?« entgegnete Isabel scharf. »Doch wohl nicht in Sir Rupert Wroth?«

»Sir Rupert Wroth?« fragte Elisabeth verwundert. »Nein, natürlich nicht. Wer ist das denn? Oh, ich erinnere mich! Nein, nein, Sir Rupert Wroth ist es nicht. Wie kommst du denn auf diese Idee? Nein, es ist Adrian - Adrian Butler.«

Isabel fühlte die Erleichterung wie eine Woge über sich hinwegrollen.

»Gott sei Dank! Wer ist Adrian Butler? Bist du mit ihm verlobt?«

Elisabeth schüttelte den Kopf.

»Nein, noch nicht. Du kannst dir vorstellen, was Papa dazu sagen würde, denn Adrian ist nur ein Soldat. Doch was spielt das schon für eine Rolle! Ich liebe ihn, auch wenn er keinen einzigen Penny besitzt. Ich liebe ihn aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele, - und er liebt mich auch.«

Elisabeth nahm ihren Hut ab, während sie sprach und ließ sich auf der Fensterbank nieder. Ihre Locken hoben sich vor dem hellen Viereck des Fensters ab, und als sie zu Isabel hoch blickte, war ein Ausdruck ernster Anmut auf ihrem Gesicht und ließ es schöner erscheinen als je zuvor.

Impulsiv lief Isabel zu ihr hin und kniete neben ihr nieder.

»Erzähl mir alles, Elisabeth«, sagte sie. »Ich habe solche Angst um dich.«

»Ich habe keine Angst«, sagte Elisabeth. »Ich liebe Adrian, und nichts von dem, was Mama und Papa sagen könnten, wird mich davon abbringen.«

»Wissen sie es schon?« fragte Isabel.

Elisabeth schüttelte den Kopf.

»Papa muß wohl bemerkt haben, daß sich etwas zwischen uns anbahnte, denn vor vierzehn Tagen hat er ihm das Haus verboten. ,Wer ist dieser junge Schnösel?' fragte er. ,Nie was von ihm oder seiner Familie gehört. Er wird mir nicht wieder eingeladen, ist das klar?' Natürlich war Mama der gleichen Meinung. Sie strich ihn von der Liste der Partygäste. Aber es war schon zu spät. Adrian hatte mir bereits seine Liebe gestanden. Wir trafen uns am nächsten Nachmittag im Wäldchen am Ende der Allee. Er bat mich, seine Frau zu werden, und ich habe ja gesagt.«

»Aber Elisabeth, dein Vater...« begann Isabel, wurde aber sofort von ihrer Kusine unterbrochen.

»Adrian wird Papa Ende der Woche aufsuchen.. Er hat dann seine Beförderung zum Captain. Denk doch, Isabel, er ist erst vierundzwanzig und schon Captain. Das zeigt doch, wie tüchtig er ist. Man hält große Stücke auf ihn in seinem Regiment, den Dragoon Guards der Königin. Und er sieht so hübsch und hinreißend aus in seiner Uniform!«

»Aber Elisabeth, wie wirst du jemals. ..«

Wieder wurde Isabel unterbrochen. Diesmal durch ein Pochen an der Tür.

»Herein!« rief Elisabeth.

Die Tür wurde geöffnet, und Bessie, ihr ehemaliges Kindermädchen und jetzt Elisabeths Zofe, trat ins Zimmer.

Sie war etwa vierzig, eine kleine untersetzte Person mit einem häßlichen Gesicht, aus dem einen jedoch zwei so warme und freundliche Augen anblickten, daß jedermann, der Bessy begegnete, sich unwillkürlich von ihr angezogen fühlte.

Bessy war eine eingefleischte Klatschbase, doch sprach sie nie verletzend oder abwertend über andere. Und wenn man ihr ein Geheimnis anvertraute, mußte man nie befürchten, daß ein anderer es von ihr erfuhr. In diesem Fall schwieg sie wie ein Grab, und die beiden Mädchen hatten von dieser guten Eigenschaft der treuen Dienerin schon oft Gebrauch gemacht.

Wie alle Frauen, für die sich nie ein männliches Wesen interessiert hatte, war sie versessen auf Romanzen, wenn sie andere betrafen. Sie erlebte sie stellvertretend mit, freute sich, bangte und litt so, als ginge es um ihr eigenes Schicksal.

Aber niemand stand ihrem Herzen näher als Elisabeth und Isabel.

Schon oft hatte Isabel gedacht, daß Bessie sich - falls nötig - für sie beide in Stücke reißen lassen und ihr Herzblut geben würde.

Als Bessie nun Isabels ansichtig wurde, ging ein Leuchten über ihr Gesicht.

»Miss Isabel!« rief sie überrascht und schnappte regelrecht nach Luft. »Well, Sie sind wirklich die Letzte, die ich heute auf Rowanfield Manor erwartet hätte!«

»Wie geht es dir, Bessie?« erkundigte sich Isabel. »Ich bin mal wieder da, wie ein falscher Penny, der stets zu einem zurückkommt. Ist es nicht das, was du sagen wolltest?«

»Ja, Miss, wobei ich Sie natürlich nicht mit einem falschen Penny vergleichen möchte. Nein, wirklich nicht. Sie können mir glauben, noch gestern sagte ich zu Cook: ,Miss Isabel hat ein Herz aus Gold', sagte ich.«

»Danke, Bessie«, erwiderte Isabel. »Es muß wohl das einzig Wertvolle an mir sein!«

Bessie lachte, doch plötzlich brach ihr Lachen auf eine beinahe komisch wirkende Weise ab, und ihr Gesichtsausdruck verriet blankes Entsetzen, als sie sich zu Elisabeth umwandte.

»Beinahe hätte ich vergessen, weshalb ich hergekommen bin. Ihre Ladyschaft sollten schleunigst wieder nach unten gehen. Mylady ist schon ganz böse auf Sie, wie ich hörte. Weil Sie sich einfach zurückgezogen haben, bevor die Gäste gegangen sind. Sie werden Ärger kriegen, wenn Sie mich fragen, und das beste wär', Sie beeilten sich jetzt!«

Elisabeth sprang auf. Sie war aschfahl im Gesicht.

»Ist mein Vater auch wütend, Bessie?«

»Es war James, der mir Bescheid sagte. Von Ihrem Vater war nicht die Rede. Er sagte nur, Ihre Ladyschaft suche Sie und scheine ziemlich ärgerlich zu sein, weil Sie nirgendwo zu finden seien. Aber nun machen Sie schon, um Himmels willen!«

Elisabeth setzte den Hut auf, ohne in den Spiegel zu schauen.

»Wiedersehen, Isabel, wir sehen uns nachher«, rief sie. »Oh, ich hoffe, Papa ist nicht ebenfalls verärgert. Ich habe keine Lust, ihn gerade jetzt aufzuregen.«

Sie rannte aus dem Zimmer, und Bessie und Isabel sahen einander an.

»Hat sie es Ihnen gesagt, Miss Isabel?« fragte Bessie schließlich.

»Daß sie sich verliebt hat?« Isabel lächelte. »Du weißt es also schon, Bessie!«

»Natürlich weiß ich es«, erwiderte Bessie mit der Vertraulichkeit der langjährigen treuen Dienerin. »Ich habe doch jeden Nachmittag Wache gestanden und aufgepaßt, daß niemand kam, damit die beiden ungestört miteinander reden konnten. Mein Gott, ich hab' mich ja fast zu Tode gefürchtet, kann ich Ihnen sagen, Miss. Jedes Mal, wenn der Wind in den Zweigen raschelte oder ein Kaninchen durch den Wald hoppelte, hab' ich geglaubt, Seine Lordschaft steht hinter mir.«

»Das glaube ich dir gern«, sagte Isabel. »Aber sag mir nur, Bessie, wohin soll das Ganze führen. Seine Lordschaft wird einer Ehe zwischen den beiden niemals zustimmen.«

»Vielleicht doch, wenn er sieht, wie ernst es ihnen ist«, meinte Bessie zuversichtlich. »Schließlich ist nichts gegen den jungen Gentleman einzuwenden, außer, daß er kein Geld hat. Er stammt aus guter Familie, wie ich zufällig weiß. Cooks Schwester ist in Stellung bei einem Vetter von ihm, und sie sagt, daß die Familie in Yorkshire großes Ansehen genießt.«

Isabel schwieg, runzelte jedoch die Stirn. Sie dachte, daß in den Augen Lord Cardons eine Familie, die in Yorkshire großes Ansehen genoß, mit einem Bewerber wie Sir Rupert Wroth, dem reichen Eigentümer eines großen Gutes nicht konkurrieren konnte.

Eines jedenfalls mußte sie tun. Sie mußte Elisabeth vor dem Anschlag warnen, den man auf sie vor hatte. Sie konnte nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war, daß Lady Clementine Lady Cardon nicht genau in dem Augenblick, da Elisabeth nach unten kam, von Sir Ruperts Absichten unterrichtete.

Doch dann glaubte sie, daß ihre Furcht unbegründet sei. Eine solch wichtige Sache würde Sir Rupert mit Lord Cardon nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Zweifellos würde er ihn deswegen eigens aufsuchen und damit wenigstens bis zum nächsten Tag warten. In dem Fall war noch genügend Zeit, Elisabeth zu informieren und sie auf das vorzubereiten, was sie sagen mußte.

»Sie sehen besorgt aus. Miss!« sagte Bessie, und damit unterbrach sie Isabels Überlegungen. »Was beunruhigt sie? Ist es, weil Sie wieder nach Hause gekommen sind?«

»Ist das nicht Grund genug, beunruhigt zu sein?« fragte Isabel.

Bessie nickte.

»Ich wußte, daß es wieder so kommen würde, Miss. Ich wollte Sie nicht aufregen, als sie fortgingen. Doch als ich hörte, wohin man Sie diesmal schickte, war ich entsetzt. Glauben Sie mir, ich habe nachts keinen Schlaf mehr gefunden, wenn ich an Sie dachte.«

»Bessie«, rief Isabel. »Sie wußten, was mich auf Droxburgh Castle erwartete! Warum haben Sie mich nicht gewarnt?«

»Was hätte es für einen Sinn gehabt, Miss?« fragte Bessie. »Seine Lordschaft hatte entschieden. Was hätten Sie schon dagegen tun können?«

»Du hast ja recht«, antwortete Isabel. »Aber was wußtest du über Lord Droxburgh?«

»Genug, um zu wissen, daß ich meine Tochter lieber tot im Grab sehen würde als lebend in einem solchen Haus. Wir haben einen Diener hier, der bei dem Marquis eine Zeitlang in Diensten stand. Er kennt das Schloß und auch das Stadthaus in London. Die Geschichten, die er uns von da erzählte, waren so entsetzlich, daß uns die Haare zu Berge standen. Damals haben wir darüber gelacht und geglaubt, er wolle uns einen Bären aufbinden. Aber nachdem ich wußte, daß Sie auf dem Schloß des Marquis eine Anstellung als Gouvernante annehmen sollten, glaubte ich jedes Wort und wäre fast vergangen vor Angst um Sie. O Miss, ist Ihnen auch niemand dort zu nahe getreten?«

»Nein Bessie, du kannst beruhigt sein«, antwortete Isabel schwach.

»Dem Himmel sei Dank, Miss!«

»Reden wir nicht mehr davon!« stieß Isabel hervor. »Ich will vergessen, Bessie, verstehst du? Ich hasse die Männer. Sie sind teuflisch, gemein, grausam und schlecht.«

»Einige von ihnen sind anders«, sagte Bessie ruhig.

»Ich glaube es nicht!« rief Isabel leidenschaftlich. »Ich hasse sie alle - alle ohne Ausnahme!«

150. Die fälsche Braut

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