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Der blaue Tomte und das Verbot, jemals keinen Traum zu haben

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Wieder einmal saß Lena allein am großen Küchentisch und knabberte lustlos an einem Pepperkaka [schwedisch für „Pfefferkuchen“] herum. Lenas Mutter musste viermal pro Woche abends arbeiten gehen, seitdem sie beide bei Papa aus- und in die Stadt gezogen waren, sonst hätten sie nicht genug Geld, sagte sie immer zu ihr. Lena verstand das zwar, aber trotzdem war sie deshalb oft traurig und einsam. Selbst heute, so kurz vor Jul [schwedisch für Weihnachten; sprich „Jül“].

Sie sah betrübt durchs Fenster hinaus, wo die Schneeflocken langsam die Wälder Västra Götalands [Region in Südschweden; sprich „Wästra Jötaland“] mit einem dicken weißen Kleid zudeckten. Sie liebte den Schnee. Eigentlich. Doch dieses Jahr konnte sie sich selbst darüber nicht freuen. Die Packung mit den Pfefferkuchen hatte sie vor sich auf den Tisch gestellt. Auf ihr war ein blauer Tomte [schwedisch für Weihnachstmann] abgedruckt und grinste sie frech an. Lena fand ihn sehr seltsam, denn ein Tomte sollte doch rot sein und nicht blau!

Doch ganz plötzlich prasselte ein blauer Sternenregen aus der Packung, und der Tomte trat auf den Tisch.

Er sagte: „Hallo Lena! Schau nicht so traurig. Träum dir lieber was!“

Lena erschrak furchtbar und rieb sich die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein!

„Wer bist du?“, wollte sie von ihm wissen.

„Ich bin der blaue Tomte, und ich komme zu dir, um dich fröhlich zu machen, indem ich dir etwas verbiete.“

„Was willst du mir verbieten?“, fragte Lena empört, „meinst du denn, das würde mir helfen? Ich bin traurig, weil mein Papa woanders wohnt. Mama ist nicht da, und morgen ist Jul!“

„Du denkst also, du seist traurig?“, lächelte der Tomte, „Na dann komm mal mit, oder hast du etwa Angst?“

„Natürlich nicht“, antwortete Lena, obwohl ihr schon etwas mulmig zumute war.

„Gut“, sagte der Tomte und berührte mit seinen kleinen, alten Fingern ihre Hand. Dann sprach er dreimal: „Schwupp-di-Wupp, Pfefferkuchen, du musst es mal im Traum versuchen!“

Kaum dass die letzten Worte verklungen waren, bildete sich von neuem ein blauer Sternenregen um Lena und den Tomte, und sie flogen davon. Es fühlte sich schön an, so etwa als würde man in eine riesige Schüssel mit lauwarmem, leckerem Keksteig springen.

Nur wenige Augenblicke später war die Reise schon vorbei, und sie landeten wieder auf der Erde. Doch das konnte nicht Schweden sein. Es war ganz warm – ohne Schnee –, und überall wuchsen Palmen, und bunte Vögel flogen umher. Vor ihnen stand ein Haus in erdbraunen Farben, und viele Kinder spielten davor und lachten.

„Wo sind wir?“, wollte Lena wissen.

„In Brasilien“, sagte der Tomte, „auf der anderen Seite der Welt.“

„Wer sind all diese Kinder dort?“

Der Tomte sah Lena ernst an. „Das sind Kinder, die eigentlich noch viel trauriger sein müssten als du. Ihre Eltern kümmern sich nicht um sie, sie haben nichts zu essen, und sie sind oft krank, weil sie kein Geld haben. Deshalb müssen sie im Schmutz leben.“

Lena schluckte. „Das ist ja furchtbar, aber sie lachen doch“, wunderte sie sich.

Jetzt lächelte der Tomte wieder. „Ja, weil es Menschen gibt, die Hilfsprojekte für diese Kinder machen und ihnen das geben, was sie zum Leben brauchen, und was das Allerallerwichtigste ist“, fügte er hinzu, „die ihnen vor allem wieder Träume schenken. Darum lachen sie trotzdem.“

Jetzt schämte sich Lena und sagte kleinlaut: „Aber dann habe ich ja noch Glück gehabt und sollte nicht immer so traurig sein.“

„Naja“, antwortete der Tomte, „jeder darf mal traurig sein, aber man vergisst leicht, dass es immer noch jemanden gibt, der noch trauriger sein dürfte, und deshalb habe ich dir das hier gezeigt.“

Lena hatte genug gesehen und winkte den Kindern noch einmal zum Abschied zu. „Jag önskar er en God Jul1!“, rief sie.

Die Kinder winkten lachend zurück und riefen „Feliz Natal, feliz Natal!“2

Der blaue Tomte war zufrieden, nahm wieder Lenas Hand und sagte dreimal: „Schwupp-di-Wupp, Pfefferkuchen, du musst es mal im Traum versuchen!“ und – Schwupps – waren sie wieder zuhause in der Küche in Schweden.

„Und hier kommt mein Verbot“, sagte der Tomte freundlich und sang:


Ich bin hier, dir zu verbietenJemals keinen Traum zu haben,Und wirklich immer d’ran zu denkenAuch and‘ren einen Traum zu schenken,Denn nur der ist traurig auf der Welt,Der keinen Traum im Herzen hält!


Dann verbeugte sich der Tomte und verschwand in einem blauen Sternenregen wieder auf der Kekspackung, um weiter frech zu grinsen.

Da schwor sich Lena, nie aufzuhören, zu träumen, weil sie nun wusste, dass es ein Mittel gegen die Traurigkeit gab, das ihr niemand nehmen konnte. Und sie schwor sich auch, niemals zu vergessen, dass es Kinder auf der Welt gab, die noch viel, viel trauriger wären, wenn ihnen niemand Träume schenken würde. Sie nahm sich noch einen Pfefferkuchen, sah aus dem Fenster und freute sich endlich über den Schnee.


Ende –

Der blaue Tomte

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