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"Ich"

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Warum interessiert mich heute Goethe; warum beschäftigen mich dessen Äußerungen zum Allerlei, deren es viele gibt, gesammelt, gebunden. Goethes Mutter stirbt 1808. In Weimar wird ihn die Nachricht ereilt haben, wo er derzeit ansässig ist. Eben wird sein “Faust” fertig, ein glänzender Erfolg. Trauernd mag er an seine Kinderjahre denken, Auf dem Mutterschoß im unvergesslichen Puppenspiel des Doktor Faust. Fäden mögen gezogen worden sein, seines späteren Selbstbildes … Doch lassen wir den Dramatiker sprechen, der Faust im verzweifelten Selbstgespräch eingangs sagen lässt: “Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug, wie nie zuvor; heiße Magister, heiße Doktor gar … und ziehe schon an die zehn Jahr … meine Schüler an der Nase herum- und sehe, dass wir nichts wissen können.Das will mir schier das Herz verbrennen … mich plagen keine Skrupel noch Zweifel. Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel-Dafür mir auch alle Freud entrissen, bilde mir nicht ein,was rechts zu wissen … Auch hab ich weder Gut noch Geld, noch Ehr und Herrlichkeit der Welt. Es möchte kein Hund so länger leben. Darum hab ich mich der Magie ergeben.” Goethe lässt ihn aufgewühlt, verzweifelt “neben sich stehen”. Faust schlägt das Buch der Magie auf – sage und schreibe – ein Pudel erscheint, Mephisto, der Teufel, das Abtrünnige, die Droge, nach der mancher sucht, Faust in seiner Ratlosigkeit, in seiner gelehrten Ein-samkeit. “Zwei Seelen walten ach in meiner Brust”, lässt Goethe ihn bemerken, ratlos, begierig, naiv und neugierig auf das Leben außerhalb der Buchseite. Goethe beschreibt den gespaltenen Menschen, dessen Sinnen sinnlos erscheint (gäbe es das), dessen Suche sich spreizt zwischen Gelehrigkeit und frivolem Abgrund, zwischen Fiktion und fleischlicher Begierde. Nur zwei Jahre später – Goethe könnte während eines Kuraufenthaltes A.Knebel angeschrieben haben- kommt es in dem vermutetem Brief zu folgender Aussage:”Ein Grundübel bei uns ist es, dass auf die erste Erziehung zu wenig gewandt wird; in dieser aber liegt … der ganze Charakter, das ganze Sein des künftigen Menschen.” Mit welchem persönlichen Hintergrund mag Goethe – wie später Freud und die Verhaltenstherapeuten beweisen werden-hier Wurzeln der gespaltenen Persönlichkeit ausmachen. Trauert er noch um seine Mutter, kommt ihm sein, wie es heißt, strenger Vater in den Sinn? Goethe liebt Kinder auf seine Weise. Und er hat Verständnis für die verzweifelte Pubertät manches Jugendlichen, was er im “Werther” beweißt. Dennoch brauche das Kind den elterlichen Maßstab, den “Laufstall” während der ersten Lebensjahre, behütete Schrittchen. “Meinem Herzen sind die Kinder am nächsten auf der Erde … [Kinder,]die wir als unsere Muster ansehen sollten, behandeln wir als Untertanen. Sie sollen keinen Willen haben!-Haben wir denn keinen? und wo liegt das Vorrecht?-Weil wir älter sind und gescheiter!”, lässt Goethe bitter seinen Werther sagen, den jugendlichen, tragischen Helden, mit dem er sich zweifelsohne identifiziert – in Opposition zu seinem wirklichen Vater? “Was ich nicht an diesen Erzieherin billigen kann”, heißt es im “Wilhelm Meister”, dass sie alles von den Kindern zu entfernen suchen, was sie zu dem Umgange mit sich selbst führen könne. Hat Goethe nicht recht? Der gespaltener, in sich zerrissene Erwachsene in der Funktion des Erziehers, zynisch, distanziert und angstvoll (so weit er das zum Ausdruck bringen mag) hinsichtlich der Erinnerung an die leidvollen Wurzeln seiner eigenen ersten Kinderjahre. Wozu aber hat ein Kind ein Recht, wenn nicht zum Ausdruck an den Erwachsenen, “so bin ich, so warst du … ich und du, ich brauche dich … ”. An wen könnte sich Goethe 1808 in seiner Trauer gewandt haben, zu wem wird er als Erwachsener gesagt haben dürfen,”ich brauche dich”. Zu seiner Frau, in wie fern … Goethe, Zeitgenosse der Aufklärung, stirbt 1832, als die Zeichen in Deutschland längst für nationale Einheit sprechen. “Ich bin ich”, “wir sind wir”, ein Paar, eine Familie, ein Staat, eine Nation … Wir gehören zusammen, ich bin eins, wenn auch bestehend aus vielen Teilen. Begriffen? Ich habe es begriffen – und muss nicht mal Goethe heißen …

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