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1. VORBEREITUNG UND ABSCHIED

REISELUST AUFS LEBEN

Plötzlich geht doch alles schneller als gedacht. Nach unserer Farewell Party mit der Familie, unseren Freunden und Nachbarn steigert sich nicht nur unsere Vorfreude auf die bevorstehende und so langersehnte Reise, sondern auch die Aufregung und Traurigkeit. Langsam, aber sicher wird uns bewusst, was es heißt, Abschied zu nehmen von allem, was uns vertraut ist. Die Tränen kullern über unsere Wangen, als wir uns von unseren Kindern und unserem kleinen Enkelsohn verabschieden und der Magen rebelliert. Das letzte Mal für die nächsten 365 Tage schlafen wir im eigenen Bett. Dass der Abschiedsschmerz uns urplötzlich überwältigt, überrascht uns beide. Schließlich haben wir diese Reise gewollt und schon lange geplant. Es ist ein lang gehegter Traum, den wir uns nun endlich verwirklichen.

Wir, das sind Beate, Gerhard und unser »Carthago« Reisemobil, das wir auf den Namen Lucy getauft haben. Lucy, auch Lucy Lightship genannt, ist fünf Jahre alt und bietet auf knapp vierzehn Quadratmetern alles, was Mann und Frau so brauchen. Sie ist sozusagen ein Tiny House auf Rädern. Verglichen mit Zelt-Camping ist diese Art zu reisen doch eher luxuriös. Grund zum Jammern gibt es also nicht und dennoch beträgt die Grundfläche unserer Lucy etwa ein Zwanzigstel der unseres Hauses. Dies wiederum hat direkte Auswirkung auf die Anzahl der Dinge, die wir mitnehmen können und natürlich auf unsere Partnerschaft, denn zu Hause können wir uns prima aus dem Weg gehen. Jeder hat sein eigenes Schlafzimmer und ein eigenes Büro. Beides bietet die Möglichkeit, sich jederzeit zurückzuziehen. Weil wir keine Ahnung haben, wie es sein wird, für ein ganzes Jahr so dicht aufeinanderzuhängen, beschließen wir, die teure Wohnmobilversicherung für Nordamerika zunächst nur für sechs Monate abzuschließen. Dieser Entschluss wird uns später viel Geld kosten, doch wollten wir uns nicht schon vor Beginn der Reise unter Druck setzen und uns die Möglichkeit offenlassen auszusteigen, falls das (gemeinsame) Reisen nicht länger stimmig erscheint. Druck ist zudem genau das, was wir nicht mehr wollen, denn von dem haben wir als Selbstständige im Gesundheitsbereich genug. Wie Lucy haben auch wir eine Fünf vorne, befinden uns also definitiv in der zweiten Lebenshälfte, wollen aber nicht bis zum sogenannten Rentenalter mit der Verwirklichung unseres langersehnten Traums warten, ein Jahr mit dem eigenen Wohnmobil durch den Norden Amerikas zu reisen.

Warum es dennoch so lange gebraucht hat, diesen Traum zu verwirklichen und mit welchen Herausforderungen und Ängsten wir bei der Vorbereitung und Umsetzung unseres Sabbatjahres konfrontiert wurden, davon wollen wir hier erzählen. Wir möchten berührende Geschichten mit dir teilen von Menschen und ihren unterschiedlichen Lebenskonzepten, Tierbegegnungen in freier Wildbahn und überwältigender Naturschönheit. Wir möchten dir von Erlebnissen erzählen, in denen die Verbindung zur universellen Kraft so intensiv spürbar war, dass ein Gefühl der Dankbarkeit und Demut unsere Zellen geradezu überflutete. Es gab gute Tage, an denen wir glaubten, das Leben verstanden zu haben und es gab Zeiten, in denen die Wirklichkeit weit hinter unseren Erwartungen zurückblieb und wir uns am liebsten nach Hause gebeamt hätten. Wir möchten dich teilhaben lassen an unseren Motiven, warum wir diese Reise unbedingt machen wollten, was die Zielsetzung war und mit welchen Erkenntnissen wir nach Hause zurückgekehrt sind.

Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie die Journey2US unsere Partnerschaft und unser Leben verändert hat, dann laden wir dich ein, uns zu begleiten, auf 365 aufregende und unser Leben verändernde Tage. Vielleicht weckt dies ja auch in dir die Reiselust aufs Leben.

LASS DEINE TRÄUME WAHR WERDEN

Bereits im Frühjahr 2015 beantragten wir unsere Zehn-Jahre-Visa beim amerikanischen Konsulat in Frankfurt. Doch sollte es weitere eineinhalb Jahre dauern, bis unser Traum konkrete Konturen annahm. Obwohl wir bereits 2016 aufbrechen wollten, ergaben sich triftige Gründe, unsere Reise zu verschieben. Nachdem Gerhards Vater im Oktober 2014 verstorben war, wollten wir seine Mutter nicht alleine lassen. Wir hatten ganz einfach kein gutes Gefühl, sie nach dem Tode ihres Mannes, mit dem sie 64 Jahre verheiratet war, sich selbst zu überlassen. Also unternahmen wir weiterhin kürzere Reisen mit unserer Lucy und holten, wann immer es möglich war, meine Schwiegermutter für ein paar Tage zu uns. Außerdem wurden wir im Januar 2015 zum ersten Mal Großeltern. Ein sehr erfreulicher Umstand, der das Gefühl der Verpflichtung nicht gerade verringerte. Im Mai 2016 verstarb meine Schwiegermutter. Die langen Wochen vor ihrem Tod waren für uns alle eine intensive Zeit und wir sind sehr dankbar, dass wir sie auf ihrer Reise bis zum letzten Atemzug begleiten konnten. Während ich diese Zeilen schreibe, sind wir damit beschäftigt, Gerhards Elternhaus zu entrümpeln und zu renovieren. Beim Aufräumen der Hinterlassenschaft meiner Schwiegereltern schwanken unsere Gefühle zwischen Trauer, Unverständnis, Wut und dem Wunsch nach Freiheit und Ungebundenheit.

Trauer um geliebte Menschen, die nun nicht länger physisch in unserem Leben sind. Unverständnis darüber, wie es möglich ist, seit dem Einzug ins selbstgebaute Haus im Jahre 1957 gefühlt ALLES aufzubewahren. Wut darüber, was sie uns Kindern mit ihrer eigenen Unfähigkeit loszulassen zumuten. Verstehen können das sicher vor allem diejenigen, die am eigenen Leibe Ähnliches erlebt haben. Wie es sich anfühlt, wegwerfen zu müssen, was ein anderer Mensch im Laufe seines Lebens an für ihn bedeutsamen Gegenständen angehäuft hat – immer im Bewusstsein, wie hart die Kriegsgeneration dafür arbeiten musste. Was für meine Schwiegereltern zeitlebens offensichtlich unmöglich war, muss jetzt von uns Kindern erledigt werden. Ein fürwahr kraftraubendes und Energie zehrendes Unterfangen, das in uns beiden den Wunsch nach größtmöglicher Freiheit erneut aufkeimen lässt und in seiner Dringlichkeit noch verstärkt.

Auch bei uns zu Hause unterziehen wir seither alles einer genauen Prüfung. Wofür brauche ich das? Wie viel davon brauche ich? Sind wir doch mal ehrlich, leben wir nicht fast alle im reinsten Überfluss? Sind wir mit Lucy unterwegs, bereitet mir die Kleiderwahl selten Kopfzerbrechen. Anders hingegen sieht es daheim aus. Welches Kleid, welche Schuhe will ich heute tragen? Die Ballerinas oder doch lieber die High Heels? Mein Mann und ich haben ein geflügeltes Wort, wenn wir auf Reisen sind: »Was wir nicht dabeihaben, brauchen wir nicht!« Diese Einstellung hat etwas echt Befreiendes.

Zu befreien versuchen wir uns auch von allem, was unnötig erscheint, bindet und den nächsten Schritt auf dem Weg zu unserer Traumreise erschwert, wie gefühlte ehrenamtliche und tatsächliche Verpflichtungen. Gerade familiär fällt mir das besonders schwer. Bin ich eine schlechte Tochter, Mutter, Schwester, Freundin und Oma, wenn ich für eine Zeit aussteige und meine eigenen Träume und Ziele realisiere? Ist jetzt überhaupt der richtige Zeitpunkt für unsere langersehnte Reise? Gerhard geht es genauso. Doch die Erfahrungen der letzten zwei Jahre haben uns gelehrt, dass es nie die richtige Zeit sein wird, wenn wir sie uns nicht nehmen.

Eine starke, unseren Lebensunterhalt garantierende Verpflichtung, mit der wir uns wirklich lange herumgequält haben, war, ob wir unsere Firma ein Jahr lang stilllegen können. Kündigen wir unsere Verträge mit unseren Kunden, ohne zu wissen, wie es nach dem Jahr weitergeht? Bei diesen Überlegungen geht es nicht ausschließlich um die finanzielle Einnahmequelle, sondern auch um vermeintliche moralische Verpflichtungen, wie die über viele Jahre gewachsenen Beziehungen und das Vertrauen der Kunden in uns.

Heute gibt es in vielen Firmen oder bei Arbeitgebern im öffentlichen Dienst die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen. Der Vorteil eines Sabbatjahres ist ein meist unkomplizierter Wiedereinstieg ins Berufsleben nach dieser Auszeit. Man hat die Garantie, dass nach der Reise das Geld wieder fließt, ein sicher beruhigendes Gefühl. Auf unserer Reise treffen wir einige Paare, die diese Form der gesicherten Auszeit gewählt haben.

Trotz aller Sicherheitsbedenken und moralischer Überlegungen kristallisiert sich bei uns zunehmend das Gefühl heraus, dass es besser ist, ALLES zu kündigen, um gedanklich mit dem Alten abzuschließen. Wir spüren beide, etwas ganz Neues möchte geboren werden.

Auch wenn wir noch nicht ahnen, was das Neue sein wird, spüren wir, dass es wichtig ist, das Glas ganz zu leeren, bevor wir es wieder mit Neuem füllen können. In der Praxis jedoch fällt uns das Abschiednehmen und Platz machen für Neues schwer. Es erfordert Mut loszulassen, ob es nun von Kleidern ist, die wir nicht mehr tragen, Büchern, die wir gelesen haben, Menschen, die uns nicht länger guttun oder von einem Beruf, der zwar ein gutes Einkommen generiert, aber die Seele nicht mehr nährt.

Letzteres fällt uns besonders schwer. Viele Jahre haben wir uns beide sehr stark mit unserem Beruf identifiziert, sogar darüber definiert. Wir durften unsere Berufung leben. Beruf und Privatleben waren stark miteinander verschmolzen. Wir lebten, was wir liebten und was uns begeisterte. Doch alles im Leben hat seine Zeit. Hermann Hesse schreibt in seinem Gedicht Stufen: »Heiter sollst du Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen«, und genau an dem Punkt befinden wir uns beide jetzt. So ist diese Reise für uns viel mehr als eine Wohnmobilreise durch Nordamerika, bei der wir Sehenswürdigkeiten und schöne Landschaften abhaken.

Wir sehen und verstehen diese Tour als eine Art Pilgerreise zu uns selbst, als eine Journey2US. Wir möchten bleiben können, wo es uns gefällt und dafür vielleicht ein anderes vorher geplantes Ziel auslassen, morgens meditieren, wenn uns danach ist, Yoga machen, spirituelle Zentren besuchen oder andere interessante Projekte, die uns faszinieren. Wir möchten unseren eigenen Rhythmus finden. Den eigenen Rhythmus zu finden ist schon im Alltag, der von vielerlei beruflichen und privaten Verpflichtungen bestimmt ist, sehr herausfordernd. Auf dieser Pilgerreise zu uns selbst wollen wir deshalb viel mehr nach innen hören und ein Gespür für die eigene Geschwindigkeit und unsere Bedürfnisse entwickeln. Deshalb ist unsere Routenplanung auch nur eine grobe Festlegung nach dem Motto: »Alles kann, aber nichts muss!«

Die Zeit ist reif, endlich unseren Traum zu leben: »Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht hier, sag mir, wo und wann? Wenn nicht wir, wer sonst? Es wird Zeit. Komm wir nehmen das Glück in die Hand«. Mit diesem Song der Kölner Gruppe »Höhner« im Rücken schaffte die deutsche Handballnationalmannschaft 2007 das Wunder und wurde Handball-Weltmeister. Uns geht das Lied nicht mehr aus dem Kopf. Alle Zeichen stehen auf GO! Wir sind bereit und offen für unser Wunder. Das Einzige, was uns bisher gefehlt hat, ist der Mut, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen.

MUT TUT GUT!

Nie hätten wir geglaubt, dass fehlender Mut das eigentliche Hindernis darstellt. Wie viele andere glaubten auch wir lange Zeit, Geld sei das primäre Problem, bis wir auf Menschen trafen, die sich ihren Traum trotz schmalem Reisebudgets erfüllt hatten. Es ist eine vermeintliche Sicherheit, die wir mit Geld verbinden. Haben wir zu wenig, glauben wir, nicht leben zu können, was wir wollen. Haben wir genug Geld, meinen wir, es zusammenhalten zu müssen, denn es könnten ja mal schlechtere Zeiten kommen. Auf diese Art können wir nie tun, was wir eigentlich wollen. Auch wir bekommen die Macht unserer Glaubenssätze immer wieder zu spüren.

Sieben Jahre sind vergangen, seit wir das erste Mal lukrative Verträge gekündigt haben, weil unser Weg und der eines Unternehmens, das wir damals über viele Jahre federführend mit aufgebaut und wie unser eigenes begleitet haben, nicht mehr übereinstimmten. Unser ganzes Herzblut steckte in diesem Unternehmen und den langjährigen, fast familiären Wegbegleitern. Die Trennung erfolgte allerdings erst, als ich (Gerhard) schwer krank wurde. Es war ein Wink des Schicksals, der mir zu verstehen gab, dass der Weg dieses Unternehmens nicht länger meiner war. Ich lag damals nach einer Auslandsreise auf der Quarantänestation eines Krankenhauses, hermetisch abgeriegelt, doch finden konnten die Ärzte nichts. Es war ein Gründonnerstag, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel und ich verstand, dass es Zeit war, Abschied zu nehmen von »meinem Baby«, das ich über viele Jahre gemeinsam mit anderen erfolgreich zum Laufen gebracht hatte. Es steckten sehr viel Herzblut und wunderschöne Erinnerungen darin, aber auch so viel Verantwortung für das Vertrauen, das mir zahlreiche Menschen entgegengebracht hatten. Wenn ich daran zurückdenke, erscheint es mir wie die österliche Botschaft, die verstärkt durch einen Lichtstrahl – just in diesem Moment fiel ein Sonnenstrahl in mein Zimmer – zu mir kam. Wir trennten uns von der Firma und ich wurde in Rekordzeit wieder gesund. Bereits damals hätten wir uns unseren Traum erfüllen können, umso mehr, als dass wir schon bei unserem Kennenlernen davon träumten, mit Anfang Fünfzig ein Sabbatjahr einzulegen.

Doch dann kam alles ganz anders. Es fehlte uns zu dieser Zeit einfach noch der Mut, die Traumreise zu wagen, da sich einige unserer sechs Kinder noch in Ausbildung befanden und unser monatlicher Kostenapparat recht hoch war. Doch jetzt trauen wir uns. Jetzt sind wir gesund und noch jung genug, spüren die Begeisterung beim Gedanken an die Reise in uns aufflammen und ahnen, dass wir uns nie verzeihen würden, diesen Schritt nicht gegangen zu sein. Dabei geht es weniger darum, wie unser Vorhaben ausgeht, sondern einzig und allein darum, es zu wagen und darauf zu vertrauen, dass den Mutigen die Welt gehört!

Jetzt

In dem Augenblick,

in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt,

bewegt sich die Vorsehung auch.

Alle möglichen Dinge,

die sonst nie geschehen wären, geschehen

um einem zu helfen.

Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt

durch diese Entscheidung

und sie sorgt zu den eigenen Gunsten

für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle,

Begegnungen und materielle Hilfen,

die sich kein Mensch vorher je erträumt haben könnte.

Was immer du kannst oder Dir vorstellst,

dass Du es kannst,

beginne es.

Kühnheit trägt Genie,

Macht und Magie in sich.

Beginne jetzt!

Johann Wolfgang von Goethe Tatsächlich tritt nach unserer Entscheidung und im weiteren Verlauf der Vorbereitung auf unsere Reise ein, was Johann Wolfgang von Goethe so schön in seinem Gedicht beschreibt. Ein ganzer Strom von Ereignissen setzt sich durch die Entscheidung in Gang und wir fühlen uns beflügelt. Endgültig fällt der Entschluss bei einer Tarot-Ausbildung von Gerd Bodhi Ziegler im August 2016, als ich (Gerhard) auf dem Herzsitz, einem persönlichen Ritual im Rahmen des Seminars, den entscheidenden letzten Kick bekomme. Auf meine Frage, ob die geplante Reise für uns stimmig und der richtige Zeitpunkt dafür gekommen sei, ziehe ich eine Karte aus dem großen Arkanum, die SONNE! Sie bedeutet: unser Vorhaben ist von LIEBE getragen. Alles, was es nun braucht, ist Mut unseren Traum endlich zu leben. MUT tut GUT ist die Quintessenz. Wir erinnern uns daran, dass wir die SONNE als Einladungskarte zu unserer Hochzeit verschickt hatten. Da wir die Entscheidung zu heiraten nie bereut haben, interpretieren wir sie jetzt als ein gutes Zeichen für unsere Reise.

Nachdem der Entschluss gefasst war, die Reise im Mai 2017 zu starten, wollten wir dies auch kommunizieren. Vor dem Verkünden unseres Vorhabens in persönlichen Gesprächen waren wir beide etwas aufgeregt. Einerseits, weil die Vision für etwas ganz Neues im Raum stand, das wir gerade gemeinsam aus der Taufe gehoben hatten und gerne verwirklichen wollten und andererseits beabsichtigten wir, die sechs Monate bis zu unserer Abreise noch unseren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen – sicherte uns doch das Einkommen einen Teil der Reisefinanzierung. Aufgenommen wurde unsere Entscheidung verständlicherweise mit gemischter Begeisterung, doch die Sorge, dass die Zusammenarbeit gleich beendet sein würde, bewahrheitete sich nicht. Wir boten an, die Projekte noch die verbleibende Zeit weiter zu begleiten, uns zu engagieren, qualifizierte Mitarbeiter aus unserem Netzwerk einzuführen und nach unserer Reise wieder einzusteigen, wenn es für alle Parteien dann noch stimmig sein sollte. Wir fanden es auf einmal gar nicht mehr so schwer, einen solchen Schritt zu kommunizieren, wenn man sich darüber im Klaren ist, was man will und bereit ist, auch mit eventuellen Konsequenzen zu leben.

Unsere Familie und Freunde nahmen die Entscheidung für die Reise überwiegend positiv auf. Die meisten waren begeistert und freuten sich für uns, einige fühlten sich inspiriert, selbst auf eine längere Reise zu gehen und nur wenige konnten nicht verstehen, wie man so lange von zu Hause weg sein kann. Zwei unserer Kinder fragten spontan an, ob sie uns besuchen könnten.

WARUM WIR DIESE REISE MACHEN

Die Fragen, die auf unserer Seele brennen, sind einfach zu wichtig, als dass wir unsere Reise noch einmal zurückstellen wollen. Immer öfter denken wir in letzter Zeit darüber nach, wie wir unsere zweite Lebenshälfte gestalten möchten. Wir haben nicht vor, mit siebenundsechzig Jahren in Rente zu gehen. Als Selbstständige haben wir uns sowieso schon vor langer Zeit von der Idee der Rente verabschiedet. Das bürgerliche Konzept vom Ruhestand, wie Rüdiger Dahlke es nennt, wirkt wie ein Alptraum auf uns. Mit vierzig Jahren innerlich sterben, mit fünfundsechzig in Rente gehen und mit achtzig begraben werden. Wir kennen Menschen, welche die noch verbleibenden Tage bis zur Rente zählen, in der Hoffnung dann endlich das machen zu können, was sie lieben. Doch die Realität sieht meist anders aus, wie unsere ehrenamtliche Arbeit bei der Notfallseelsorge zeigt.

Wir wollen ergründen, was uns wirklich Freude macht und was unser Herz vor Begeisterung springen lässt. Was wir auch dann tun würden, wenn wir kein Geld dafür bekämen. Wir möchten herausfinden, was unsere Berufung für die neue Lebensphase ist. Während der bereits erwähnten Tarot-Ausbildung kam ganz spontan bei der Frage nach der Berufung die Liebe ins Spiel. Die Fragen nach dem Woher? Wohin? Was ist der Sinn? brennen uns auf den Nägeln. Woher komme ich? Wohin gehe ich nach diesem Leben? Warum bin ich hier? Was haben andere Menschen davon, dass es mich gibt? Wie kann ich meine Talente bestmöglich für das Gemeinwohl einbringen? Welche Begabungen habe ich? Habe ich überhaupt welche?

Bei unserer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Notfallseelsorge hören wir bei unseren Einsätzen erschreckend oft die gleiche Aussage, fast wie ein Mantra: »Wir wollten doch noch so viel gemeinsam tun und erleben!« Plötzlich jedoch ist der geliebte Mensch tot und der gemeinsame Traum ausgeträumt. Diese Erlebnisse, die intensive Auseinandersetzung mit dem Tod meiner (Gerhard) Eltern und die Beschäftigung mit den Forschungsergebnissen der Schweizer Sterbeforscherin Dr. Elisabeth Kübler-Ross haben dazu beigetragen, nicht länger mit der Reise zu warten. Kübler-Ross fand heraus, dass die meisten Menschen am Ende ihres Lebens nicht das bereuen, was sie getan haben, sondern das, was sie nicht getan haben. Auf unserer bucket list – der Liste vor der Kiste, steht die geplante Reise ganz oben!

Neben der spirituellen Dimension einiger Fragen haben wir auch ganz weltliche Überlegungen, auf die wir Antworten suchen. Fühlen wir uns in unserem Haus und an unserem Wohnort noch gut aufgehoben oder möchten wir uns noch einmal räumlich verändern? Sind wir privat und beruflich mit den Menschen zusammen, mit denen wir zusammen sein möchten? Wie sieht die weitere berufliche Tätigkeit aus, die uns Freude macht und erfüllt? Wie viel Platz soll der Beruf in unserer zweiten Lebenshälfte (noch) einnehmen? Wie können oder wollen wir uns für andere Menschen, die Natur oder die Tiere einsetzen? Auch die Überlegungen, in ein ökologisches oder spirituelles Gemeinschaftsprojekt mit Gleichgesinnten zu ziehen oder selbst ein kleines Seminarzentrum aufzubauen, stehen zur Debatte. Viele Fragen und Erwägungen, die Antworten erfordern. Der Umbruch, der in unserem Leben stattfinden möchte, ist unschwer erkennbar.

Vielen Menschen geht es mit Anfang, Mitte fünfzig ähnlich. Die meisten Lebensumbrüche, so erscheint es uns, finden Anfang fünfzig statt. Die Kinder sind so gut wie erwachsen, die Partnerschaft rückt wieder stärker in den Fokus, beruflich und finanziell hat man einiges erreicht und wird sich zunehmend der eigenen Endlichkeit bewusst. Was jetzt? Viele suchen ihre wahre Berufung für den neuen Lebensabschnitt und möchten endlich frei sein, diese auch zu leben. Auch uns geht es so. Wir spüren deutlich einen magischen Sog. Er führt dazu, dass wir uns nicht länger in Arbeitsprozesse eingliedern wollen, die uns schwächen. Nicht mehr mit Leuten zusammenarbeiten wollen, für die andere Menschen Schachfiguren sind und denen es nur um den eigenen Erfolg und das Ego geht. Wir möchten für unsere Familie, unsere Kinder und Enkelkinder da sein, wenn sie uns brauchen, und nicht, weil wir sie brauchen. Wir möchten uns für das Gemeinwohl einbringen und einen Unterschied machen in der Welt. Für uns ist es wichtig, authentisch zu sein und etwas zu tun, was Freude macht und unsere Seele nährt. Dafür sind wir bereit, alte Küsten zu verlassen und Raum zu schaffen, damit sich das Neue in unserem Leben entfalten kann.

Auch eine kürzere Reisedauer (drei, sechs, neun Monate) und ein anderes Reiseziel (Rundtour durch den Süden Afrikas oder Südamerikas) wägen wir im Laufe des Prozesses ab. Letztendlich verwerfen wir jedoch alle Überlegungen und kehren zurück zu unserem gemeinsamen ursprünglichen Traum, ein ganzes Jahr mit dem eigenen Wohnmobil den Nordamerikanischen Kontinent zu bereisen. Wir spüren ein eindeutiges JA in uns.

Was wir uns wünschen ist eine Reise zu uns selbst, zur inneren Selbstbegegnung, ganz im Sinne des Alchimisten von Paulo Coelho. Von ihm ist auch das folgende Zitat, das uns darin bestärkt, unsere Träume JETZT zu leben:

» Eines Tages wirst du aufwachen

und keine Zeit mehr haben für die Dinge,

die du immer wolltest.

Tu sie jetzt.«

Paulo Coelho

COUNTDOWN

Unser eigentlicher Countdown für die Reise beginnt im Oktober 2016, ein halbes Jahr vor unserem geplanten Abflug. Die USA Visa haben wir bereits seit Mai 2015. Nun informieren wir uns auf den »SeaBridge«-Treffen (SeaBridge ist ein auf geführte Wohnmobilreisen und die weltweite Verschiffung von Wohnmobilen spezialisiertes Unternehmen) über die Verschiffung des eigenen Wohnmobils nach Nordamerika, besuchen Vorträge, Multimedia Shows und lassen uns von den Erzählungen anderer Nordamerika-Reisenden inspirieren.

Zunächst stellt sich die Frage, wohin wir verschiffen wollen, nach Halifax in Kanada oder nach Baltimore in den USA? In beide Häfen kann man ein Wohnmobil mit voller Ausstattung und sicher verschiffen, inklusive Kleidung, Fahrrädern und allem, was man so für ein Jahr braucht. Auch die Frage, in welcher Richtung wir Nordamerika umfahren wollen, gilt es zu klären. Unsere Idee ist, stets mit der Sonne zu reisen, um den Winter und Schnee möglichst zu umgehen. Wir entscheiden uns für Halifax und für die Fahrt gegen den Uhrzeigersinn. Beide Richtungen haben ihre Vor- und Nachteile. Gegliedert nach Monaten erstellen wir detaillierte To-do-Listen, um die vielen Punkte der Vorbereitung zeitgerecht abarbeiten zu können und um möglichst nichts zu vergessen, was auch weitestgehend gelingt.

Wir buchen unsere Flüge, die Verschiffung und Versicherung des Wohnmobils, ein Airbnb für die ersten Tage in Halifax, planen grob unsere Reiseroute und machen unser Wohnmobil Nordamerika-fit. Allein der letzte Punkt umfasst über vierzig Aufgaben. Wir fahren unser Unternehmen für das Jahr herunter, regeln die Betreuung unseres Hauses in der Abwesenheit sowie Krankenversicherung und Steuern, lassen diverse Versicherungen ruhen und schließen andere für die Reise ab, kündigen unnötige Abos und Telefon, kümmern uns um Kameras, Computer, Datensicherung und die Kommunikation auf der Reise, beantragen neue Zweit-Pässe und internationale Führerscheine, renovieren und vermieten noch mein (Gerhard) Elternhaus in Würzburg, motten unseren PKW ein, misten bei der Gelegenheit viele unnötige Dinge aus, erstellen Vollmachten für die Kinder, kommunizieren mit anderen Amerika-Reisenden und lesen deren Blogs, definieren ein Reisebudget, regeln unsere Finanzen und die sichere Möglichkeit, von unterwegs aus Bankgeschäfte abzuwickeln, kaufen allerlei Spezial-Reiseführer und laden Reise- und Camping-Apps herunter, verteilen Aufgaben an unsere Kinder, wie das Checken der Post, Haus- und Gartenpflege, erwägen nach dem Schock über die Wahl Trumps, die USA auszulassen und Mexiko zu bereisen und eventuell über Panama zurückzuverschiffen, was zusätzlicher Informationen und Planung bedarf, belegen einen Intensiv-Spanischkurs für Mexiko, klären Zoll- und Sicherheitsfragen, packen drei Wochen vor unserem Abflug unsere Lucy für die Verschiffung, bringen sie nach Hamburg in den Hafen, beantragen unsere Einreiseerlaubnis für Kanada, stellen die wichtigsten Dokumente auch als Kopien und in der Cloud zusammen, organisieren eine Party für unsere Kinder, Familie, Freunde und Nachbarn und feiern mit unseren Liebsten Abschied.


Dann ist es endlich geschafft! Es geht los!


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