Читать книгу Carro - Beatrice Borchert - Страница 6

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Carro

Es war einmal ein Drache. Es war noch ein ganz junger Drache. Erst vor ein paar Tagen war er aus einem Ei geschlüpft. Seine Haut war wunderbar geschuppt. Sie glänzte und leuchtete rot und orange und gelb. Der Drache konnte Feuer speien, hatte Flügel, einen langen Schwanz und vorn auf seiner Stirn trug er als Zeichen einen kleinen goldenen Stern. Der Name des Drachen war Carro. Carro lebte in einem Gebirge. Ein Gebirge von sagenhafter Schönheit. Hohe, schneebedeckte, schroffe Felsen gingen über in sanft abfallende mit Flechten und Moosen bewachsene Hügel. Tief unten gab es Täler in sattem Grün mit Blumen in allen Farben und Formen. Das Gebirge und der Drache waren eins. Der Drache war schön, weil das Gebirge schön war und das Gebirge war schön, weil der Drache schön war. Und weil es in dem Gebirge, in dem Carro lebte so schön war und weil Carro so ein lieber Drache war kamen oft fremde Wesen zu Besuch. Der Drache liebte diese Wesen. Und er wollte auch von ihnen geliebt werden. Und deshalb durften diese Wesen auch viel von ihrem eigenen Ballast im Gebirge des Drachen abladen. Dieser Ballast war sehr oft dunkelgrau und schmutzig und passte so gar nicht in die schönen Berge und zu Carro. Aber da Carro wollte, dass die Wesen weiterhin zu ihm kamen sagte er nichts dazu, sondern ließ sie weiter gewähren. So ging es eine ganze Zeit.

Und mit der Zeit türmte sich der Ballast in allen Ecken und Tälern des schönen Gebirges. Kein Platz war mehr für sattes Grün oder Blumen in allen Farben. Der Ballast kletterte die mit Flechten und Moosen bewachsenen Hügel hinauf. Und machte auch vor den schneebedeckten schroffen Felsen nicht Halt. Durch das Gebirge zog sich bald ein dunkler Schleier.

Es war, als wenn die Sonne verdunkelt wurde. Und dadurch, dass das Gebirge sich verschleierte, die Sonne sich verdunkelte, glänzte und leuchtete auch Carros Haut nicht mehr. Sie wurde stumpf. Der Drache wurde genauso grau und schmutzig wie der Ballast. Ein dunkler Schleier bedeckte seine bernsteinfarbenen Augen, in denen die Sonne oft die Farbe eines Waldsees gezaubert hatte. Carro ging immer gebückter und konnte auch nicht mehr fliegen. Denn zum Fliegen musste er aufrecht gehen. Aber der Ballast drückte auch auf ihm, so wie er auf dem Gebirge drückte. Carro hatte jetzt oft das Gefühl einsam zu sein und leer. Die Wesen kamen nur noch selten zu ihm. Oft war ihm jetzt auch kalt. Das kannte er gar nicht. In ihm war doch immer so viel Wärme und Feuer gewesen. Und damit er nicht mehr so fror und ihn auch niemand mehr besuchen kam baute er sich in die dicken Felsen eine Höhle und verschloss den Eingang mit einem noch dickeren Felsen. Nur ein kleines Guckloch ließ er offen. Die Jahre vergingen. Carro hatte gehofft, dass die Wesen ihren Ballast wieder abholen würden. Sie mussten doch sehen, dass es ihm damit nicht gut ging. Aber niemand kam und räumte auf. Oft war jetzt sehr schlechtes Wetter im Gebirge. Es regnete. Manchmal schneite es auch. Kalt war es. So kalt, wie er selbst sich fühlte. Nur sehr selten sah er die Sonne. Wenn ein ordentlicher Sturm den Schleier kurz zerriss zum Beispiel. Vor seiner Höhle hatte sich während dessen ein kleines Flüsschen gebildet. Es musste durch die vielen Regen entstanden sein. Noch war es ganz jung. Aber Carro fühlte sich von dem Flüsschen bedroht. Ganz bestimmt wird das Flüsschen ein Fluss. Und dann spült das Wasser in seine Höhle. Er wollte seinen Platz nicht mit dem Wasser teilen. Wasser ist immer in Bewegung. Kennt keine Grenzen. Verändert alles. Und es gräbt sich ohne Unterlass in die kleinsten Winkel. Dadurch könnte es Dinge zum Vorschein bringen, die Carro lieber für sich behalten wollte. Der Drache wollte für sich allein sein. Zu sehr hatten ihn die Wesen damals verletzt. Vielleicht ist es mit dem Wasser genauso.

Immer wieder sah er durch sein Guckloch. Wenn er etwas ändern wollte musste er aus seiner Höhle herauskommen. Seine eigene Grenze überschreiten, bevor es das Wasser tat. Er beobachtete weiter. Und eines Tages sah er an dem Wasser einen kleinen Drachen sitzen. Der sah ganz ähnlich aus wie er. Bevor dieser Ballast ins Gebirge gekommen war. Der Drache konnte ebenfalls Feuer speien, hatte einen langen Schwanz und vorn auf seiner Stirn trug er als Zeichen einen kleinen goldenen Stern. Wenn er sein Feuer im Fluss ausatmete während er darin schwamm, dann stieg wunderbarer Wasserdampf auf. Und Carro sah auch, dass der Flussdrache winzige Teile des Ballastes, der überall herumlag, aufsammelte und in den Fluss warf. Der Fluss nahm den Ballast mit. Und während der Ballast im Fluss schwamm verwandelte sich dieses schwere, graue Zeug in rote, orange und gelbe Sterne. Manche der Sterne blieben im Flussbett liegen. Andere stiegen in den Himmel hinauf und strahlten einen kurzen Moment lang hell auf. Das sah Carro gern. Wenn die Sterne den dunklen Schleier erhellten. Er fragte sich, warum der Fluss nur so winzige Teile in sich hineinließ. Es wäre doch viel einfacher, wenn er alles mit einer gewaltigen Welle fortreißen würde. Der Flussdrache schien genau zu wissen, was der Fluss brauchte. Zwischen den beiden war es genauso, wie zwischen ihm und seinem Gebirge. Einer lebte durch den anderen. Beide ergänzten sich. Liebten einander. So hatte Carro die Beziehung zu seinem Gebirge noch gar nicht gesehen. Und plötzlich erfasste ihn eine tiefe Sehnsucht nach seinem Gebirge. Nach der Schönheit und der Wärme und nach der bedingungslosen Liebe, die sie einander gaben. Da begann Carro zu weinen. Eine tiefe Trauer um ihn selbst und um sein Gebirge erfasste ihn. Er weinte viele Tage lang. Carro weinte so viel, dass die Tränen den großen Felsen aus seinem Höhlenausgang fortspülten. Und als Carro aufsah, da standen ganz viele Sterne am dunklen Schleier und um die Höhle herum war es sehr hell.

Er sah an sich hinunter und stellte fest, dass seine Tränen den Schleier von seinen Hautschuppen abgewaschen hatten. Seine Haut war wieder wunderbar geschuppt. Sie glänzte und leuchtete rot und orange und gelb. Der kleine goldene Stern auf seiner Stirn wies ihm den Weg zum Fluss. Er setzte sich an das Wasser neben den Flussdrachen. Carro sah einfach nur auf das Wasser. Es war klar und weich. Umspielte seine schuppigen Füße und liebkoste eine Flügelspitze, die er probeweise ins Wasser hielt. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr einsam. Und ein warmes Gefühl füllte die Leere in ihm aus. Er wusste jetzt, dass der Ballast nicht auf einmal weggeschafft werden konnte. Denn jedes Stück des Ballastes gehörte zu ihm und zu seinem Gebirge. Aber jedes Stück Ballast konnte in einen leuchtenden Stern verwandelt werden und so das Licht, die Wärme und die Liebe zu ihm zurückbringen.

Carro

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