Читать книгу Anderswo ist das Gras doch manchmal grüner - Beatrix Kaiser - Страница 4

Vor 10 Jahren

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„Ich geh´ dann jetzt“ rief Charlotte, die wusste, dass ihr Lebensgefährte nach der Arbeit mal wieder im Keller verschwunden war und an irgendetwas herumbastelte.

„Wo willst du denn hin?“ verlangte er brummig zu wissen.

„Ich gehe mit Andreas ins Kino… das hab´ ich dir doch erzählt… ich hatte dich letzte Woche gefragt ob du mit willst, aber du wolltest ja nicht.“ Charlotte spürte wie sich bei ihr schon wieder Ärger breit machte, weil er sich nie merken konnte oder wollte, wenn sie mal etwas vorhatte.

„Und was ist mit Essen?“ fragte ungehalten.

„Was soll damit sein?“

„Ich habe noch nicht gegessen…“ kam es pampig zurück.

Charlotte hätte jetzt einfach sagen sollen, dann mach dir dein Essen doch selbst. Aber nein, stattdessen holte sie wütend ein Paket mit Fischstäbchen aus dem Gefrierfach und einen Beutel für Kartoffelpüree aus dem Küchenschrank.

Binnen weniger Minuten hatte sie beides auf dem Herd. Als das Wasser für das Püree kochte rührte sie die Milch und die Flocken hinein. Sie wendete die Fischstäbchen und rief dann in den Keller „Essen ist fertig!“

Dann nahm sie ihre Sachen und ging. Es war ihr egal, ob er rechtzeitig aus dem Keller kommen würde, bevor die Fischstäbchen in der Pfanne zu schwarzen kleinen Rechtecken verbrannten waren und das Kartoffelpüree im Topf angesetzt hatte.

Sie war so wütend, dass sie froh war, dass sie noch einige Schritte zu gehen hatte, so hatte sie wenigstens Zeit sich wieder etwas zu beruhigen.

Als sie an der Wohnung ihres besten Freundes angekommen war, wartete er schon draußen auf sie.

„Entschuldige, dass ich etwas zu spät bin…“ sagte sie und sie umarmten sich freundschaftlich.

Andreas lächelte und winkte ab „Wir haben noch genug Zeit.“

Sie setzten sich in sein Auto und fuhren in die Stadt.

„Ehrlich“ begann sie, immer noch wütend auf ihren Lebensgefährten, „ich war eben kurz davor meine Koffer zu packen!“

„Was war denn diesmal?“ wollte Andreas wissen und Charlotte erzählte es ihm.

Andreas war seit der Schulzeit, neben Emily, Charlottes bester Freund. Sie konnte mit ihm über alles reden und er war immer hilfsbereit und für sie da, wenn sie ihn brauchte. Und das wir uns hier gleich richtig verstehen: Andreas war weder schwul noch hatten er und Charlotte mal etwas miteinander. Sie waren einfach nur beste Freunde. Auch wenn Zweifler meinen, so eine Freundschaft würde es zwischen Mann und Frau nicht geben. Es gibt sie!

Als Charlotte am gleichen Abend in ihrem Bett lag, konnte sie einfach nicht zur Ruhe kommen, während ihr Lebensgefährte neben ihr mal wieder laut schnarchte.

Sie machte sich nichts mehr vor, die Beziehung mit ihrem Lebensgefährten war schon vor langer Zeit zur Routine abgeflacht. Sex empfand sie nur noch als Pflichtübung und Liebe war praktisch nicht mehr vorhanden. Jedenfalls liebte sie ihn nicht mehr. Sie hatten glücklicher Weise nie geheiratet und Kinder hatten beide nie gewollt. Oftmals dachte sie darüber nach, dass sie es begrüßen würde, wenn er sie betrügen würde. Denn dann hätte sie einen Grund gehabt ihn zu verlassen. Aber das tat er nicht. Jedenfalls nicht das sie davon gewusst hätte.

Sie wusste aber eines, sie wollte diese Beziehung nicht mehr. Brachte aber nicht den Mut auf um endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Über 10 Jahre waren sie jetzt zusammen und die ersten fünf Jahre waren sehr schön gewesen. Aber nach einem gemeinsamen Urlaub im Ausland hatte sich etwas in Charlotte verändert. Sie hatte sich verändert. Sie wollte mehr vom Leben, wollte mehr aus sich machen und fühlte sich zusehend eingeengt in der Beziehung mit ihm.

Anfänglich hatte sie das alles einfach abgetan, ihre Wünsche hinten angestellt.

Ja selbst eine damalige Freundin, mit der sie über ihre Gefühle und Gedanken gesprochen hatte, hatte zu ihr gesagt, dass im Urlaub nun mal eben alles besser aussieht als zuhause und das sie jetzt wieder im „richtigen“ Leben wäre und nicht mehr darüber nachdenken sollte. Im richtigen Leben? Charlotte hatte eine Weile darüber nachgedacht und obwohl sie tief in sich drin wusste, dass diese Freundin im Unrecht war, sprach sie nie wieder mit ihr über ihre persönlichen Gefühle.

Was ist denn schon das richtige Leben? Und wer bestimmt das?

Sollte nicht jeder so leben können, wie er möchte? So wie er am glücklichsten ist?

Das Leben dauert ja schließlich nicht ewig. Sollte man da nicht versuchen, das Beste draus zu machen? Und zwar das Beste für einen Selbst?

Ob man nun allein oder zu zweit glücklicher ist, das muss doch jeder für sich entscheiden. Ob man in dem Land in dem man geboren wurde glücklich ist oder es nur in einem anderen Land der Erde sein kann, auch das ist doch jedem selbst überlassen.

Ob nun im persönlichen oder beruflichen Bereich, Charlotte war der Ansicht, dass jeder versuchen sollte, das Beste aus seinem Leben zu machen, denn leider hatten wir alle nur ein Leben.

Und ist es nur ein richtiges Leben, wenn man in einer Beziehung lebt? Vielleicht Kinder hat und das Vorzeigehäuschen mit Vorgarten und weißem Lattenzaun, so wie die damalige Freundin behauptet hatte?

Das mag für viele funktionieren, für Charlotte aber nicht.

Hat es damals nicht und wird es heute auch nicht.

Sie war schon immer sehr kreativ gewesen aber in ihrem Beruf war sie sehr weit davon entfernt kreativ sein zu können. Und sich einen neuen Beruf zu suchen stand damals auf keinen Fall zur Debatte. Als sie das Thema mal hatte anklingen lassen, hatte ihr Lebensgefährte nur verächtlich geschnaubt und gemeint, sie solle sich diesen Unsinn aus dem Kopf schlagen und mal wieder zurück in die Realität kommen. Und damals hatte sie noch das getan, was man ihr gesagt hatte.

In jeder Beziehung gibt es bekanntlich ja auch mal Stress und Ärger. Das wusste Charlotte, aber weil sie selbst zusehends unzufriedener mit ihrem Beruf und vor allem mit ihrer Beziehung wurde, hatte sie angefangen jede Tat und jedes Wort von ihm auf die Goldwaage zu legen. Und das Ergebnis, war immer zu seinen Ungunsten ausgefallen.

Sie hatte es einfach satt, dass ausschließlich sie diejenige war, die Kompromisse einging. Besser gesagt, sie gab den Wünschen ihres Partners nach, da mit seiner schlechten Laune nicht gut zu Leben war.

Und das bei so banalen Dingen wie beispielsweise dem Abendessen.

Was für einen Aufstand es jedes Mal gegeben hatte, wenn sie mal ein neues Rezept ausprobiert hatte. Das ging so weit, dass sie nur noch das kochte, was er mochte.

Oder wenn sie sich neue Sachen zum Anziehen gekauft hatte. An allem hatte er etwas zu meckern. Zu allem was sie gut fand, hatte er eine andere Meinung. Natürlich darf jeder seine eigene Meinung haben, aber in Charlottes Fall war sie es immer, die sich dann seiner Meinung anzuschließen hatte.

Wenn sie nur an seine Reaktion dachte, als sie sich mal die Haare gefärbt hatte. Sie selbst hatte die Farbe klasse gefunden und sich damit richtig gut gefühlt. Er aber, war richtig gehend wütend geworden und obwohl sie dann doch tatsächlich versucht hatte, die Farbe wieder raus zu waschen, was ihr natürlich nicht gelang, war er noch tagelang geradezu beleidigt gewesen.

Und dann seine fürchterlich langweiligen Handballspiele, zu denen sie immer hatte mitgehen müssen. Gott, wie hatte sie das gehasst. Und wenn sie mal nicht mitgegangen war, war Monsieur gleich wieder eingeschnappt gewesen.

Das ging dann so weit, dass sie ihm von Zeit zu Zeit vorspielte, sie hätte starke Kopfschmerzen oder Durchfall oder das es ihr sonst wie nicht gut ging, nur um nicht mitgehen zu müssen. Denn Sport war nun mal einfach nicht Charlottes Ding, weder selber betreiben noch zusehen. Egal um was für eine Sportart es sich handelte. Und obwohl er das wusste, erwartete er von ihr, dass sie ihn begleitete.

War sie aber mal ihren Interessen nachgegangen, hatte es ihn nie interessiert und er hatte es sogar immer nur als Blödsinn abgetan. Da sie sehr kreativ war, hatte sie angefangen zu malen und sogar einen Kurs an der Volkshochschule besucht. Es machte ihr sehr viel Spaß und sie war sogar richtig gut.

Seine Reaktion darauf: Und was willst du damit? Oder es kamen Kommentare wie: die Farbe stinkt. Oder er beschwerte sich darüber, dass ihre Malutensilien „herum lagen“.

Charlotte ging auch gerne ins Kino oder ins Theater. Er ging selten, eher gar nicht mit.

Als sich ihr Musikgeschmack anfing zu ändern, von seichtem Pop zu Indie, Rock und Metal, passierte der größte Kracher.

Zu ihrem Geburtstag hatte sie sich eine CD von REM von ihm gewünscht, jedoch eine andere CD geschenkt bekommen. Die war nicht schlecht, seichter Pop eben, aber eben nicht das was sie sich gewünscht hatte. Also hatte sie ihn einfach mal gefragt, worum er ihr nicht die CD von REM geschenkt hatte. Als Antwort bekam sie: „…ich hab mir die angehört, die wäre nichts für dich gewesen.“

Charlotte war wohl in ihrem ganzen Leben noch nie so sprachlos gewesen. Sie hatte nur nicken können, so sehr hatte seine Antwort sie aus dem Konzept gebracht. Seit wann entschied denn plötzlich ER über ihren Musikgeschmack???

Von da an stand Charlotte der Beziehung noch sehr viel kritischer gegenüber.

Es folgten dann noch viele weitere, kleine und große Ärgernisse, die ihr zeigten, wo er ihren Platz sah. Schlussendlich brachten dann all diese „Kleinigkeiten“ zusammen genommen, das Fass zum Überlaufen. Und auch wenn sie sich seinerzeit schwer damit getan hatte, die Beziehung zu beenden, vor allem nach so langer Zeit, so gab es für sie keine Gründe mehr die Beziehung weiterzuführen. Vielleicht war das egoistisch von ihr. Aber manchmal musste man eben einfach etwas für sich tun, auch wenn es hieß jemand anderen damit zu verletzen.

Zwei Wochen nach dem Vorfall mit der CD, besuchte Charlotte mal wieder ihre beste Freundin Emily übers Wochenende. Emily freute sich sehr darüber, dass Charlotte mal wieder bei ihr war, schließlich sahen sie sich mittlerweile viel zu selten. Sie unternahmen am Samstag einen Sparziergang während Emilys Lebensgefährte Till zuhause geblieben war. Und bei dieser Gelegenheit erzählte Charlotte Emily alles. Von ihren Gefühlen, davon dass sie die Nase gestrichen voll hatte und auch von ihrem Vorhaben ihn zu verlassen.

Über die Reaktion ihrer besten Freundin hätte Charlotte nicht überraschter sein können.

„Das wird ja auch Zeit.“ Sagte Emily einfach.

Charlotte sah sie wie vom Blitz getroffen an „Was meinst du?“

„Das ich schon immer der Meinung war, das er nicht zu dir passt. Ich weiß, wir sind beste Freundinnen und als solche sollte ich dir immer alles sagen können… aber du warst glücklich mit ihm und deswegen habe ich den Mund gehalten… aber ganz ehrlich, ich habe ihn nie gemocht… seine ganze Art… und das er dir immer alles vorgeschrieben hat…“

„Emily!!“

„Ich weiß…“ sagte Emily fast entschuldigend.

„Und was ist mit Till?“

Emily schüttelte ihre Kopf „…der mochte ihn auch noch nie…“

Charlotte sah Emily einen Moment lang an und fing dann lauthals an zu lachen. Emily, froh über ihre Reaktion, lachte mit ihr.

„Und hast du es ihm schon gesagt?“ fragte sie.

„Nein, noch nicht. Ich weiß nicht wie ich das machen soll….“

„Das kann ich verstehen. Nach so langer Zeit ist es bestimmt nicht einfach zu sagen: Ach übrigens Schatz, es ist aus…“

„Genau“ lächelte Charlotte „Du hast da nicht zufällig eine Idee?“

Emily schüttelte ihren Kopf „…leider nicht.“

Als Charlotte dann endlich soweit war, die Beziehung zu beenden, war sie zugegebener maßen sehr feige gewesen. Aber da sie so viel zu sagen hatte, hatte sie sich nicht anders zu helfen gewusst und hatte ihm einen seitenlangen Brief geschrieben. Nun hätte sie natürlich auf ihn warten können, bis er von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihm den Brief vorlesen können. Aber auch dazu fehlte ihr der Mut. Da das Wochenende bevorstand hatte sie ihm erzählt, dass sie von Freitag auf Samstag bei einer Freundin übernachten würde und so war sie am Freitagnachmittag zu einer Freundin gefahren und hatte den Brief für ihn zurück gelassen.

Da Charlotte damals noch kein Auto hatte, war Petra zu ihr gekommen um sie abzuholen.

„Mach ich das richtige?“ hatte sie Petra gefragt.

„Was meinst du? Das du ihn verlässt oder das du ihm das mit einem Brief sagst?“

„Das mit dem Brief.“ Sagte Charlotte, denn bezüglich der Tatsache, dass sie ihn verlassen wollte, bestanden für sie keine Zweifel.

„Ich glaube, dass es fürs Schlussmachen kein Patentrezept gibt oder Regeln… jeder macht es auf seine Art… du hast ihm jetzt alles geschrieben… alles was dir auf der Seele liegt. Jetzt hat er eine Nacht um darüber nachzudenken und sich damit auseinander zu setzen.“

Charlotte nickte nur, war sich aber noch immer nicht sicher.

In der Nacht schlief Charlotte schlecht. Sie hatte einen Traum, den sie in den letzten Jahren schon ein paar Mal geträumt hatte.

Es war Nacht und sie stand auf einer Düne. Am dunklen Himmel waren viele Sterne zu sehen und nur eine dünne Sichel des Mondes. Von da wo sie stand hatte sie einen weiten Blick über den Strand der vor ihr lag und das dunkle, tiefschwarze Meer. Sie wusste dass unter dem Sand etwas verborgen lag, wusste aber nicht was es war. Und jedes Mal, wenn sie versuchte an den Strand zu kommen um das Geheimnis freizulegen, war sie aufgewacht.

In dieser Nacht stand sie in ihrem Traum wieder auf der gleichen Düne. Nur diesmal war es nicht Nacht. Die Sonne war noch nicht aufgegangen aber der Himmel schimmerte schon in seidenen Rosa- und Orangetönen. Ihr Blick fiel wieder auf den Strand und diesmal konnte sie sehen was unter dem Sand verborgen lag, denn der Sand war verschwunden. Weggefegt, wie mit einem übergroßen Besen. Und dort vor ihr lang nun ein riesiger Ammonit, eine große versteinerte Schnecke. Sie musste mindestens sechs Meter im Durchmesser haben. Fasziniert starrte Charlotte auf die Windungen des Ammoniten.

Einen Augenblick später fand sie sich in der Mitte des Ammoniten wieder. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, ging sie die Windungen des Ammoniten entlang, bis sie zu seinem Ende kam. Sie stand direkt am Wasser und die Sonne blendete sie, als sie hinter dem Horizont hervor kam. Dann war sie aufgewacht.

Petra, die sich viel mit Esoterik, Traumdeutung, Horoskopen, Handlesen und all diesen Dingen beschäftigte, fragte Charlotte am nächsten Morgen wie sie geschlafen hatte und Charlotte erzählte ihr von dem Traum, den sie in der Nacht gehabt hatte und auch davon, dass sie den selben Traum schon des Öfteren gehabt hatte, das er diese Nacht aber vollkommen anders gewesen war.

Petra lächelte und sagte „Das ist doch ganz klar. Bisher lang dein Weg im Dunkeln. Doch jetzt, wo du dich entschieden hast, liegt er hell und klar vor dir. Ich würde sagen, damit, dass du ihn verlässt, hast du definitiv die richtige Entscheidung getroffen.“

Charlotte dachte darüber nach und musste zugeben, dass ihre Erklärung tatsächlich Sinn ergab. Sie glaubte zwar nicht wirklich an diese Dinge, aber… na ja, vielleicht doch ein bisschen.

Nachdem Petra wenigstens einen Kaffee getrunken hatte, sie hatten nicht gefrühstückt, weil Charlotte einfach nichts essen konnte, hatte Petra sie zurück nach Hause gefahren. Sie drückte Charlotte zum Abschied und wünschte ihr Glück, bevor sie sie allein zurück ließ.

Charlotte stand vor ihrer Haustür und hatte das Gefühl als hätte sie einen großen, schweren Stein im Magen. Kaum das sie im Haus war, kam er ihr auch schon entgegen.

Er war völlig aufgelöst und stand weinend vor ihr.

Charlotte, die schon immer nah am Wasser gebaut war, hatte gleich mit angefangen zu weinen und dann hatten sie sich zusammengesetzt und geredet und geredet.

Er hatte versucht sie zu überreden, es sich doch noch anders zu überlegen. Hatte ihr immer wieder gesagt wie sehr er sie doch lieben würde. Dass er nicht verstehen würde, warum sie ihn verlassen wollte und das sie ihn doch nicht einfach so, ohne ihm eine zweite Chance zu geben, verlassen konnte.

Sie sprachen stundenlang. Hatten sich in den Armen gelegen und sich gestreichelt. Und irgendwann war sie weich geworden und hatte tatsächlich eingelenkt und ihm gesagt, dass sie ihn nicht verlassen würde und es noch mal versuchen wollte.

Er war erleichtert gewesen, hatte sie in den Arm genommen und geküsst.

Aber schon im nächsten Augenblick, hatte er seine zweite Chance sofort wieder zunichte gemacht.

Denn wirklich unmittelbar nachdem sie eingelenkt hatte, doch bei ihm zu bleiben, hatte er einen kurzen Blick auf seine Uhr geworfen und dann gesagt „Ich muss dann jetzt auch schnell zum Training“, zog sich an, gab ihr noch einen flüchtigen Kuss und war auch schon raus aus der Tür.

Wo sie gedacht hatte, das sie noch etwas zusammen sitzen und über ihre Probleme und die weitere gemeinsame Zukunft sprechen würden, war er zufrieden mit sich, sie überredet zu haben zu bleiben und war wieder, als wenn nichts gewesen wäre, zur Tagesordnung übergegangen.

Als er die gemeinsame Wohnung verlassen hatte, war Charlotte vollkommen sprachlos zurück geblieben. Sie war beinah geschockt, von seinem schnellen Abgang. Er war einfach gegangen, als wenn nichts gewesen wäre.

Sie ließ das lange Gespräch mit ihm noch einmal Revue passieren und ihr wurde plötzlich bewusst, der er überhaupt nicht auf das eingegangen war, was sie ihm alles geschrieben hatte. Dass er auch mal ihre Meinung akzeptieren musste und nicht mehr diese Erwartungshaltung von dem „Heimchen“ am Herd haben sollte. Das sie unglücklich in ihrer Beziehung war und auch in ihrem Beruf. Das sie erwartete, dass er sie auch mal unterstützen würde. Nein, er hatte alles nur darauf reduziert, dass sie ihn verlassen wollte. Alles andere war ihm offensichtlich egal gewesen.

Sie war so wütend über sich selbst geworden, weil sie sich so dermaßen hatte von ihm einseifen lassen, dass es für sie nun keinen Zweifel mehr darüber gab, dass diese Beziehung tot war. Und zwar mausetot. Hier gab es keine Rettung mehr. Der Kadaver dieser Beziehung gehörte in ihren Augen verbrannt und in alle Winde zerstreut.

Sie rief Petra an und erzählte ihr, wie sie sich hatte einseifen lassen und hatte ihrem Ärger ordentlich Luft gemacht.

Petra hatte ihr ruhig zugehört und gar nichts Großartiges dazu gesagt. Charlotte wusste selbst, was nun zu tun war.

Als er erst spät am Abend nach Hause gekommen war, hatte sie schon im Bett gelegen und so getan als würde sie tief und fest schlafen. Sie war noch viel zu wütend auf ihn, um jetzt noch mit ihm sprechen zu können.

Am nächsten Tag, sagte sie ihm, dass es so nicht weitergehen würde und dass es aus war. Er wollte sie in den Arm nehmen, aber sie machte einen Schritt zurück und sagte leise aber bestimmt „Fass mich nicht an…“

Er reagiert geradezu aufbrausend. Lief im Esszimmer auf und ab und wollte gleich damit anfangen alles aufzuteilen und festlegen, wem was gehörte. Sie stand einfach nur da und hatte nichts gesagt. Sie hatte ihn sich erst mal wieder beruhigen lassen und dann hatte sie wieder vernünftig mit ihm reden können.

Sie waren übereingekommen, dass Charlotte ausziehen würde. Er hatte ihr großzügig angeboten, dass sie sich ruhig Zeit lassen konnte. Sie sollte nicht gleich das erste beste nehmen. Zweifelsohne hatte er immer noch die Hoffnung, dass sie es sich doch noch anders überlegen würde.

Charlotte hatte sich jedoch gleich tags darauf auf die Suche nach einer kleinen Wohnung gemacht. Als sie Petra von ihrer Wohnungssuche erzählt hatte, lächelte diese „Wenn es dir nichts ausmacht im dritten Stock zu wohnen, dann könntest du bei uns im Haus einziehen. Auf meiner Etage ist gerade eine Wohnung frei geworden.“

Charlotte war begeistert gewesen und hatte sich gleich die Kontaktdaten geben lassen. Bereits zwei Tage später hatte sie die Wohnung besichtigen können. Die Wohnung war klein, hatte gerade mal 46 m² und war etwas eigentümlich geschnitten aber das war Charlotte egal, denn sie würde ihr allein gehören. Sie nahm sie. Einige Tage später erhielt sie den Mietvertrag und die Schlüssel zur Wohnung.

Charlotte hatte sich überlegt, dass sie mit ihrem Anteil an dem kleinen Reihenhäuschen, ihren Neustart finanzieren wollte.

Dass sie von dem Geld nie auch nur einen Cent zu Gesicht bekommen hatte, lag zum einen an ihrer Unkenntnis über geltendes Recht, zum anderen an einem, und da war sie sich rückblickend ziemlich sicher, geschmiertem Rechtsanwalt, der ihr versicherte, dass sie keinerlei Ansprüche hatte und natürlich auch an ihrem schlechten Gewissen, da sie es schließlich gewesen war, die die Beziehung beendet hatte und die ihn nun mit dem Haus alleine ließ.

Das alles zusammen genommen hatte sie die Angelegenheit nicht intensiver verfolgen lassen.

Erst viel später, als sie die Papiere schon längst unterschrieben hatte und nicht mehr Miteigentümerin des Hauses war, sogar so dumm gewesen war, zu unterschreiben, dass sie keine weiteren Ansprüche hatte, war ihr aufgefallen dass der Rechtsanwalt, der auch Notar war, bei der Unterzeichnung, genau dieselben Worte benutzt hatte, wie ihr Ex vor ihm. Es war wirklich exakt der gleiche Wortlaut gewesen und das konnte einfach kein Zufall sein. Hier hatte es eindeutig eine Absprache zwischen dem Rechtsanwalt und ihrem Ex gegeben. Das stand für sie fest. Man hatte sie, dass musste man ganz deutlich sagen, nach Strich und Faden beschissen.

Um dagegen aber noch etwas unternehmen zu können, war es bereits zu spät, denn mit ihrer Unterschrift hatte sie auf alle Ansprüche verzichtet. Und auch wenn es sie maßlos ärgerte, dass sie sich so dermaßen hatte über den Tisch ziehen lassen, konnte sie nichts mehr dagegen tun. Das ihr Ex schon von je her ein Geizkragen gewesen war, war ihr nicht erst seit diesem Tag bekannt. Schließlich hatte sie nach dem Hauskauf über Monate alleine den Abtrag gezahlt und war für ihren gemeinsamen Lebensunterhalt aufgekommen, ohne das er auch nur einen Cent an sie überwiesen hatte. Bis sie ihn dann endlich aufgefordert hatte, ihr seinen Anteil zu überweisen. Was er dann auch getan hatte, aber natürlich nicht rückwirkend. So war sie mit ihrem Konto in einem tiefen Minus gelandet während er fröhlich sein Geld zählt und sich freute, dass er bereits so viel hatte sparen können.

Auch war sie zum größten Teil allein für die Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke aufgekommen, auch für seine Familienmitglieder, ohne das er sich je mit seinem vollen Anteil dran beteiligt hätte. Er fand, dass ein Anteil von 10 Euro pro Geschenk ausreichen müsste. Erwartete aber trotzdem, das Charlotte schöne Geschenke besorgte, die etwas hermachten. Rückblickend war sie schon sehr, sehr dumm gewesen. Während ihr Konto so dermaßen in die Miesen gerutscht war, dass sie sogar einen Kredit hatte aufnehmen müssen, um ihr Konto wieder ausgleichen zu können, hatte er nur das nötigste ausgegeben und den Rest seines Geldes gespart. Von daher hätte sie eigentlich vorhersehen müssen, dass er nicht bereit gewesen war, ihr auch nur einen Cent ihres Anteils des Hauses auszuzahlen. Aber wie heißt es so schön, aus Fehlern lernt man und so einen Fehler würde Charlotte in ihrem ganzen Leben sicherlich nicht noch einmal begehen.

Am Tag als sie dann endlich und tatsächlich auszog, wurde ihm dann erst so richtig bewusst, dass sie ihn nun wirklich verlassen würde. Jede Hoffnung seinerseits, dass sie ihre Meinung doch noch ändern und bei ihm bleiben würde, war nun zunichte.

Jetzt hatte er niemanden mehr der für ihn die Wäsche machte, bügelte, der ihm das Essen kochte, die Wohnung sauber hielt und das Bett warm. Er hatte sich geweigert ihr und den anderen zu helfen. Wurde aber nicht müde den Großteil der Zeit mit dummen Sprüchen um sich zu werfen oder wenig hilfreiche Tipps zu geben.

Je mehr sich die Zimmer leerten desto ärgerlicher wurde er.

Sie würde es tun, ihn einfach verlassen, nach all den Jahren.

Ohne Zusammenhang hatte er dann plötzlich angefangen, Lebensmittel aus dem Gefrierschrank aufzuteilen. Er hatte eine Plastiktüte genommen und mit den Worten „…das kannst du auch mitnehmen… das mag ich nicht und das auch nicht…“ unterschiedliche Sache aussortiert. Zudem wurden seine Bemerkungen jetzt verletzender, beinah bösartig.

Obwohl die Trennung von Charlotte ausgegangen war, war der Tag des Umzugs auch für sie nicht einfach gewesen und daher trafen sie seine Worte sehr. So sehr, dass sie zwei ihrer vielen Helfer bat, die letzte Fuhre alleine abzuholen, ohne sie. Und das hatten sie dann auch getan.

Nachdem alle Möbel in der neuen Wohnung aufgebaut waren, alle elektrischen Geräte wie Kühlschrank, Fernseher und Computer wieder angeschlossen waren, hatten sich Charlottes Helfer verabschiedet und sie war allein zurück geblieben.

Sie öffnete noch einige Kartons und räumte deren Inhalt in Schränke und Schubladen bevor sie physisch und emotional völlig erschöpft zu Bett ging und sofort einschlief.

Den ganzen nächsten Tag, allein in ihrer neuen Wohnung, hatte sie heulend verbracht. Nicht etwa weil sie ihren Schritt bereut hatte, sondern weil sie erleichtert war, dass es endlich vorbei war. Die ganze Anspannung fiel von ihr ab und nun konnte sie endlich durchatmen und so leben wie sie es wollte.

Keine Kompromisse mehr eingehen müssen.

Aufräumen und sauber machen, wann es ihr passte und niemand der rummäkelte, das dies oder jenes nicht sauber war.

Und wenn ihr danach war sich die Haare grün zu färben, dann hatte ihr da keiner reinzureden oder schlechte Laune zu verbreiten.

Sie konnte endlich alleine über das Fernsehprogramm bestimmen und das Bügeleisen wurde zur Persona non grata erklärt.

Charlotte war sowieso eher der Typ für T-Shirt und Jeans und nach dem Waschen in Form gezogen und auf einen Bügel gehängt brauchten die kein Bügeleisen.

Wenn ihr der Sinn nach Kino oder Theater stand, zu einem Konzert oder in ein Musical zu gehen, dann tat sie das einfach.

Sie brauchte auch nicht mehr jeden Tag zu kochen, wenn sie nicht wollte. Und so kam es, dass sie in den ersten Monaten ziemlich oft einen Lieferservice in Anspruch genommen hatte.

Ganz besonders hatte sie es genossen, niemandem gegenüber mehr Rechenschaft darüber ablegen zu müssen über das was sie getan oder nicht getan hatte.

Charlotte war nach sehr langer Zeit endlich wieder richtig glücklich.

Wenn sie abends von der Arbeit in ihre kleine bunte Bonbonschachtel nach Hause kam, dann war sie jedes Mal glücklich allein zu sein. Und das wirklich jeden Tag.

Kleine bunte Bonbonschachtel, so hatte Petra ihre neue Wohnung genannt, weil Charlotte sich bei der Gestaltung der Wohnung, farblich etwas ausgetobt hatte. Ihren Flur hatte sie in hummerrot gestrichen, die jeweils sich gegenüberliegenden Wände im Wohnzimmer in gelb und grün und auf dem Fußboden hatte sie einen dunkelblauen Teppich verlegen lassen.

Charlotte fand es toll. Lediglich Küche, Bad und Schlafzimmer hatte sie weiß gestrichen, die Wände der Räume aber im Laufe der Zeit mit ihren selbst gemalten Bildern, in kräftigen Ölfarben auf Leinwand gemalten geometrischen Formen, vollgehängt.

Das war ihre Art, ihre neu gefundene Freiheit zu feiern. Und sei es nur, indem sie Farben an die Wände brachte, die ihr Ex nie und nimmer genommen hätte. Oder anderes formuliert, die er nicht erlaubt hätte.

Auf die Frage ihre Mutter, ob sie die Trennung je bereut hatte, kam ohne zu zögern ein eindeutiges: Nein!

Wie sie von gemeinsamen Freunden etwas später erfahren hatte, hatte er nach nicht mal einem halben Jahr, nach ihrer Trennung, schon eine neue Freundin gehabt. Ein weiteres halbes Jahr später war er mit dieser bereits verheiratet.

Dafür, dass er ihr immer wieder gesagt hatte, dass er niemals heiraten wollte, hatte er seine Meinung aber sehr schnell geändert.

Wie man Charlotte weiter berichtete, war die Dame seiner Wahl wohl etwas jünger und auch etwas schlichter und recht naiv. Wahrscheinlich war es für die Frau dadurch etwas einfacher sich „zu fügen“, wenn ihre eigenen Erwartungen vielleicht nicht so hoch waren. Lauthals gelacht hatte Charlotte, als Freunde ihr dann erzählt hatten, dass er bald Vater werden würde. Wo er doch niemals Kinder haben wollte. Charlotte war es egal. Sie war aber nicht umhin gekommen etwas Schadenfreude zu empfinden, als knapp ein Jahr später auch das zweite Kind unterwegs war.

Charlotte selbst war keine neue Beziehung eingegangen. Sie war auch nicht auf der Suche gewesen, sondern war allein geblieben. Auch wenn sie zugeben musste, dass ihr das „Zwischenmenschliche“, zwischen Mann und Frau, zuweilen doch ab und an fehlte.

Anderswo ist das Gras doch manchmal grüner

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