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EINS Hitlers Filmobsession

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Jeden Abend sah sich Adolf Hitler vor dem Zubettgehen einen Film an. Er selbst wählte den Titel von einer Liste, die ihm beim Abendessen überreicht wurde, und führte seine Gäste dann in sein Privatkino in der Reichskanzlei (oder, im Urlaub, im Berghof am Obersalzberg). Alle Mitglieder seines Haushalts – seine Adjutanten, seine Bediensteten, sogar die Fahrer seiner Gäste – durften sich ihm anschließen. Wenn alle ihre Plätze eingenommen hatten, begann die Vorführung.1

In diesem Moment nun geschah etwas recht Eigenartiges: Hitler hörte auf zu reden. Vorher, beim Essen, hatte er seine Gäste mit seinen Monologen unterhalten oder gelangweilt, und davor wiederum seinen Sekretärinnen diktiert. Nun war er plötzlich still. Während dieser einen kurzen Zeitspanne, die irgendwann zwischen 8 und 9 Uhr abends einsetzte und sich bis weit in die Nacht erstreckte, war er völlig gebannt von den Bildern auf der Leinwand.

Nach dem Film fing er wieder an zu reden. Umgehend äußerte er seine Meinung zu dem, was er gesehen hatte. Seine Adjutanten notierten seine Ansichten, die in drei Hauptkategorien fielen. Die erste Kategorie war „gut“. Er sagte, ein Film sei „gut“, „sehr gut“, „sehr schön und spannend“ oder „ausgezeichnet“.2 Oft galt seine Bewunderung etwas ganz Bestimmtem: „die sehr gute schauspielerische Leistung Mosers“, „Leistung von Zarah Leander sehr gut“.3 Manchmal unterschied er gar zwischen den verschiedenen Aspekten eines Films: „Typen und Aufnahmen – gut; Handlung – nicht spannend genug“.4

Dies führte zur zweiten Kategorie: „schlecht“. Er sagte, ein Film sei „schlecht“, „sehr schlecht“, „besonders schlecht“ oder „ausserordentlich schlecht“.5 Er verwendete Worte wie „widerwärtig“ oder Formulierungen wie „Mist in höchster Potenz“.6 Er griff bestimmte Schauspieler heraus: „schlecht … besonders Gründgens“, „fand wegen der schlechten Darstellung von Gründgens … keine Anerkennung“.7 Es kam auch vor, dass er die Art bedauerte, wie die Fähigkeiten eines guten Schauspielers oder einer guten Schauspielerin verschwendet wurden: „Imp. Argentina: sehr gut; Regie: schlecht“.8


Hitler mit Tischgästen im Berghof am Obersalzberg (1939).

Schließlich gab es noch die Möglichkeit, dass Hitler einen Film nicht zu Ende ansah. Dann wurde der Film „abgebrochen“: „auf Befehl des Führers abgebrochen“, „nach den ersten hundert Metern abgebrochen“, „schon nach den ersten Minuten abgebrochen“.9 Manchmal ließ er einen Film abbrechen, einfach weil er ihn nicht mochte. Mitunter waren seine Gründe dafür aber auch komplizierter. Eines Abends etwa wies er den Filmvorführer an, einen Film über den 1. Weltkrieg zu stoppen, und reichte dann seine Erklärung nach: „Der Führer ist der Ansicht, dass man solche Probleme nur in ganz gewaltigen Filmen bringen kann.“10

Nichts durfte je Hitlers nächtlichen Filmvorführungen in die Quere kommen. Als der britische Premierminister Neville Chamberlain ihn am 15. September 1938 besuchte, ein paar Wochen vor der berüchtigten Münchner Konferenz, sah der Zeitplan wie folgt aus: Von 17:30 bis 20:10 Uhr diskutierte Hitler mit Chamberlain in seinem Arbeitszimmer das Schicksal der Tschechoslowakei; von 20:15 bis 20:20 Uhr berichtete er seinem Außenminister Joachim von Ribbentrop von den Ergebnissen des Gesprächs; schließlich, nach einem schnellen Abendessen, sah er einen deutschen Film mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle an. Wiewohl seine Unterredung mit Chamberlain gut verlaufen war, ließ er es sich dennoch nicht nehmen, seine ehrliche Meinung zu dem Film abzugeben: dieser sei „nicht gut“.11

Im Laufe der Zeit gab es nur eine wichtige Änderung in Hitlers Filmkonsum. Seine Adjutanten klagten, das Jahr habe 365 Tage und es gebe nicht genügend gute deutsche Filme, um seinen Appetit zu befriedigen. Sie machten daher eine Eingabe für mehr Filme aus den USA. Hitler war davon angetan – er sah es als eine Gelegenheit, etwas über die amerikanische Kultur zu lernen – und wie üblich wurden seine Ansichten festgehalten.12 Hier sehen wir eine Liste dessen, was er sich ansah, größtenteils im Juni 1938:

Way Out West (Laurel und Hardy): gut!

Swiss Miss (Laurel und Hardy): findet den Beifall des Führers

Tarzan: schlecht

Bluebeard’s Eighth Wife (mit Gary Cooper und Claudette Colbert, Regie: Ernst Lubitsch): abgebrochen

Shanghai (mit Charles Boyer und Loretta Young): abgebrochen

Tip-Off Girls: abgebrochen13

Dies war eine typische Liste. Was immer Hitler ansah, seine Ansichten fielen stets unter dieselben drei Kategorien. Seine Adjutanten konnten manchmal sogar schon vor den Vorführungen sagen, wie seine Meinung ausfallen würde. Beispielsweise wussten sie, dass er ein großer Fan von Micky-Maus-Filmen war. Im Juli 1937 forderte er fünf Titel an, darunter Mickys Löschzug und Mickys Polo-Team.14 Der Reichspropagandaminister, Joseph Goebbels, registrierte dies und bereitete Hitler einige Monate später eine Überraschung: „Ich schenke dem Führer 32 Klassefilme der letzten 4 Jahre und 12 Micky-Maus-Filme mit einem wunderbaren Kunstalbum zu Weihnachten. Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz, der ihm hoffentlich viel Freude und Erholung spenden wird.“15

Die Mitglieder aus Hitlers engstem Umfeld wussten auch, dass Greta Garbo eine seiner Lieblingsschauspielerinnen war. Seine (in Goebbels’ Tagebuch verzeichnete) Reaktion auf Die Kameliendame war besonders eindrücklich: „Und alles versinkt vor der großen, einsamen Kunst der göttlichen Frau. Wir sind auf das Tiefste ergriffen und benommen. Man schämt sich der Tränen nicht. Idealer Partner: Taylor. Der Führer begeistert. Er meint, daß die falsche Rollenbesetzung der Männer manchmal große Frauenleistungen zerstören [sic]. In diesem Film alles wie aus einem Guß.“16

Nicht jeder jedoch war über Hitlers filmische Vorlieben im Bilde und es trat zuweilen die pikante Situation ein, dass sein Geschmack kritisiert wurde. Nachdem er beispielsweise eine Slapstick-Komödie mit Laurel und Hardy mit dem Titel Block-Heads gesehen hatte, sagte er, der Film sei gut, enthalte er doch „eine Menge sehr netter Einfälle und geistreicher Witze“.17 Der Rezensent der Nazi-Zeitung Der Angriff konnte dieser Art von Humor dagegen gar nichts abgewinnen: „Das ist alles so herzlich primitiv und so übermütig auf einfachste Situationskomik gedreht, daß man fast jedes Mal voraussagen kann, was folgen wird … Man kann sich gut vorstellen, daß die Amerikaner, wenn sie diesen ihren Film abrollen sehen, vor Freude ihre Arme in die Luft … werfen. Ein Volk, das solche Filme liebt, muß in seinem Wesen sehr unkompliziert sein.“18 Die deutschen Zensoren verboten diesen speziellen Film schließlich, nicht wegen der Art des Humors, sondern wegen der Art, wie darin der Weltkrieg dargestellt wurde. Sie hatten Einwände gegen die Vorstellung, dass Stan Laurel, der einen einfältigen amerikanischen Soldaten spielt, in der Lage hätte gewesen sein sollen, von 1918 bis 1938 einen Schützengraben zu bewachen, und sie missbilligten den deutschen Flieger mit seinem schwerfälligen Akzent, der Laurel sagt, er könne nach Hause gehen.19 Hitler reagierte anders auf die Szene: Für ihn war sie einfach nur komisch.

Aber dies waren gemessen am größeren Bild geringfügige Unstimmigkeiten. Hin und wieder reagierte Hitler in einer Weise auf einen Film, die niemand hätte voraussehen können. Er war besonders erpicht darauf, einen Film von Paramount mit dem Titel Tip-Off Girls zu sehen, nachdem es eine Überfallserie mithilfe von Straßenblockaden durch einige deutsche Kriminelle gegeben hatte. Er forderte eine Kopie von Tip-Off Girls vom Propagandaministerium an, zusammen mit einer Übersetzung der Dialoge.20

Er folgte der Eingangsszene sehr aufmerksam: Zwei Männer fahren in einem Truck eine Landstraße entlang und kommen plötzlich zum Stehen, als sie eine Frau mitten auf der Straße liegen sehen.

„Bist du verletzt?“, fragt einer der Männer.

„Ja, was ist los, Babe?“, sagt der andere.

„Oh, sie haben mich aus dem Auto geworfen“, bringt sie heraus.

Dann richtet ein hinter den Büschen verborgener Gangster eine Waffe auf die zwei Fahrer. „Ok, Jungs, das ist ein Überfall“, sagt er. „Ich will euren Truck und alles was drin ist. Los, Bewegung.“

Während seine Männer den Truck übernehmen, nimmt der Gangster die Frau beiseite. „Ganze Arbeit, Reena“, sagt er. „Das wird Deegan gefallen.“

„Das ist mein Job, Marty – Deegan zu gefallen.“21

Es dauerte nicht lange, bis Hitler den Film abbrechen ließ.22 Tip-Off Girls war definitiv schlecht, aber das war nicht der Grund. Vielmehr wurde ihm klar, dass er etwas Wichtigeres zu tun hatte. Drei Tage später wurde ein vom Führer persönlich verfasstes Gesetz erlassen. Es war ein außergewöhnliches Gesetz, denn es bestand nur aus einem einzigen Satz: „Wer in verbrecherischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft.“23

Diese ungewöhnliche Episode verweist auf die wahre Motivation hinter Hitlers nächtlicher Routine. Zweifelsohne bereiteten ihm seine Filme viel Vergnügen. Aber er wurde auch von ihnen verführt. Er glaubte, von ihnen ginge eine mysteriöse, fast magische Macht aus, die irgendwie seinen eigenen Fähigkeiten als Redner ähnelte.24 Aus einem Gefühl von Ehrfurcht und Respekt heraus gestattete er es sich, zum Zuschauer zu werden. Er hörte auf zu reden, er ließ die Bilder sich vor ihm entfalten und manchmal war er von deren Macht sogar überwältigt.

Es ist schwer einzugrenzen, wann genau diese Filmobsession einsetzte. Vielleicht etwa 30 Jahre früher, 1910, als er ein ganz anderes Leben führte. Damals lebte er in einem Männerwohnheim in Wien und eines Tages entwarf er mit einem Mann namens Reinhold Hanisch eine vielversprechende Geschäftsstrategie. Er würde Postkarten von der Stadt malen, Hanisch sollte diese in verschiedenen Gasthäusern verkaufen und sie würden sich den Gewinn teilen.25

Hanisch erzählt den Rest der Geschichte: „An Ostern waren wir recht erfolgreich und hatten so ein wenig mehr Geld zur Verfügung, also ging Hitler ins Kino. Ich trank lieber etwas Wein, was Hitler verschmähte. Am nächsten Tag war mir sofort klar, dass er ein neues Projekt plante. Er hatte Der Tunnel gesehen, einen Film nach einem Roman von Bernhard Kellermann, und er erzählte mir die Geschichte. Ein Redner hält eine Rede in einem Tunnel und wird ein großer Volkstribun. Hitler war von der Idee entbrannt, dass auf diese Art eine neue Partei zu gründen sei. Ich lachte ihn aus und nahm ihn nicht ernst. … Bei anderen Leuten jedoch hatte er mehr Erfolg, denn sie waren immer für einen Spaß zu haben und Hitler diente gewissermaßen ihrer Belustigung. Es gab ständige Debatten, oft machte das Heim den Eindruck, als sei eine Wahlkampfkampagne im Gange.“26

Hanischs Geschichte ist in mehrerlei Hinsicht zweifelhaft. Zunächst einmal ist es höchst unwahrscheinlich, dass Hitler seine ersten erfolgreichen Reden so früh gehalten bzw. so früh die Absicht gehegt haben sollte, eine politische Partei zu gründen; den meisten Berichten zufolge entdeckte er seine politischen Ambitionen erst nach dem 1. Weltkrieg. Außerdem erschien der Film, den Hanisch anführt und der tatsächlich eine grandiose Rede enthält, nicht 1910, sondern 1915.27 Dennoch wäre es ein Fehler, wollte man die Geschichte von Hanisch komplett abtun. Es gab 1910 mehrere beliebte Filme über Redner und es ist denkbar, dass Hitler einen sah, der ihn von seiner wahren Berufung überzeugte, lange bevor er sein Talent offiziell entdeckte.28 Besonders plausibel scheint dies im Hinblick auf einen letzten Punkt: Während Hitler ein äußerst ungewöhnliches Kapitel von Mein Kampf diktierte, stellte er selbst ebendiesen Bezug her.

Das Kapitel, das Hitler mit „Die Bedeutung der Rede“ überschrieb, war eine Art Meditation über seine eigenen rednerischen Fähigkeiten. Es setzt mit einer schlichten Behauptung ein: Bücher seien wertlos. Ein Schriftsteller könne niemals die Ansichten des einfachen Mannes auf der Straße verändern. Es gebe nur einen Weg, um Veränderungen anzustoßen, und zwar durch das gesprochene Wort.29

Er erklärte, warum dies so sei. Der erste Grund bestehe darin, dass die weit überwiegende Mehrheit der Menschen von Natur aus faul sei und kaum geneigt, ein Buch zur Hand zu nehmen, wenn dieses gegen ihre Überzeugungen gehe. Es gebe immerhin die Möglichkeit, dass sie einen Blick auf ein Flugblatt werfen würden oder ein Plakat, das für eine Gegenposition warb, aber sie würden dem nie genügend Aufmerksamkeit schenken, um ihre Ansichten zu ändern. Doch gerade als Hitler das geschriebene Wort gänzlich verwarf, kam ihm eine neue technologische Entwicklung in den Sinn, die weit vielversprechender war:

Größere Aussicht besitzt schon das Bild in allen seinen Formen, bis hinauf zum Film. Hier braucht der Mensch noch weniger verstandesmäßig zu arbeiten; es genügt, zu schauen, höchstens noch ganz kurze Texte zu lesen, und so werden viele eher bereit sein, eine bildliche Darstellung aufzunehmen als ein längeres Schriftstück zu lesen. Das Bild bringt in viel kürzerer Zeit, fast möchte ich sagen, auf einen Schlag, dem Menschen eine Aufklärung, die er aus Geschriebenem erst durch langwieriges Lesen empfängt.30

In dieser bemerkenswerten Passage enthüllte Hitler nicht nur seine Filmfaszination, er stellte sich tatsächlich vor, wie es der Film eines Tages mit der Macht der Redekunst würde aufnehmen können. Was er damit sagen wollte, war, dass die neue Technologie die Ansichten einer großen Menschenmenge möglicherweise schnell und ohne viel Aufhebens zu ändern vermochte. Er verweilte jedoch nur einen Augenblick bei dem Gedanken, denn plötzlich kam ihm sein zweiter großer Vorteil als Redner in den Sinn: Er stand direkt vor anderen Menschen und gewann sie für sich, indem er ihre Reaktionen registrierte und darauf antwortete. Spürte er, dass sie ihn nicht verstanden, gestaltete er seine Erklärungen einfacher. Folgten sie ihm nicht, sprach er langsamer und bedächtiger. Und waren sie von den Beispielen, die er anführte, nicht überzeugt, so bot er ihnen einfach andere dar.31

In all diesen Punkten war Hitlers Macht als Redner der des Films überlegen. Er konnte etwas tun, was ein Schauspieler auf der Leinwand nie würde tun können: Er konnte jedes Mal eine neue Vorführung geben. Aber gerade als er sich anschickte, „das Bild in allen seinen Formen, bis hinauf zum Film“ abzutun, erinnerte er sich an etwas anderes: Wenn sich Menschen des Nachts in großen Gruppen versammelten, erlebten sie häufig eine berauschende Wirkung, die an die Macht ihrer Überzeugungen rührte. Hitler hatte bemerkt, dass er die Menschen nach Sonnenuntergang mit größerer Wahrscheinlichkeit mit seinen Reden überzeugen konnte. Auch war es wahrscheinlicher, dass sie sich von einem Theaterstück verführen ließen. „Selbst für ein Kinostück gilt die gleiche Feststellung“, sagte Hitler, und dies ungeachtet der Tatsache, dass einem Film die Dynamik eines Live-Auftritts fehle.32 Wurden Filme etwa um 9 Uhr abends vorgeführt – also genau zu der Zeit, zu der er und viele Kinobesucher sie ansahen – konnten sie eine machtvolle Wirkung entfalten.

Dies waren natürlich nur ein paar verstreute Bemerkungen, keineswegs dazu gedacht, als eine kohärente Theorie des Films interpretiert zu werden. Nichtsdestotrotz waren sie der erste Hinweis auf eine Obsession, die Hitler bis zu seinen letzten Tagen beibehalten würde.

Zur Entstehungsgeschichte von Mein Kampf gibt es eine interessante Legende. Während Hitler eine kurze Haftstrafe wegen des fehlgeschlagenen Putschversuchs von 1923 verbüßte, hatte er die Angewohnheit, die Insassen des Landsberger Gefängnisses mit seinen endlosen Monologen zu behelligen, und jemand schlug vor, er solle doch stattdessen seine Memoiren schreiben. Er war von der Idee sehr angetan und fing sofort an, seinem Chauffeur Emil Maurice und später Rudolf Hess zu diktieren, die beide ebenfalls in Landsberg interniert waren. Die Mitgefangenen waren froh, ihre üblichen Aktivitäten wiederaufnehmen zu können, aber bald setzte die alte Gewohnheit wieder ein, denn Tag für Tag bestand Hitler darauf, seinem gefangenen Publikum seine Elaborate vorzulesen.33

Die Seiten, die Hitler in jenen Tagen diktierte, waren größtenteils wenig originell und ungenau. Er verwertete Argumente aus Reden, die er bereits unzählige Male gehalten hatte, und beschrieb seine eigenen Erfahrungen auf eine Weise, mit der er nicht gerade viel Wahrheitsliebe bekundete. Historiker haben zu Recht auf all das Problematische an seinen Behauptungen hingewiesen. Aber seine Ausschmückungen waren nicht nur ungenau, sie waren auch das Resultat jahrelangen Filmkonsums. Seine historische Vorstellungswelt war zutiefst beeinflusst vom Filmischen. Diese Prägung tritt besonders deutlich in der Art zutage, wie er die wichtigste Episode seines Lebens erzählte, eine Episode, die er in vielen seiner frühen Reden vortrug.

Als er jung war, so Hitler, machte er nicht viel her. Er wünschte, er wäre hundert Jahre früher geboren, während der Napoleonischen Kriege. Er saß in einem kleinen Zimmer in München und las.34 Aber, so fügte er hinzu, „es stand bei mir von der ersten Stunde an fest, daß ich im Falle eines Krieges … so oder so die Bücher sofort verlassen würde.“35 Beim Ausbruch der Feindseligkeiten im August 1914 meldete sich Hitler zur deutschen Armee. Und als er sich ein Jahrzehnt später in Mein Kampf an seine Kriegserfahrungen erinnert, sind all die Jahre des Filmkonsums erkennbar. Er hatte sein Leben in einen Film verwandelt: „Wie gestern erst zieht an mir Bild um Bild vorbei, sehe ich mich im Kreise meiner lieben Kameraden eingekleidet, dann zum ersten Male ausrücken, exerzieren usw., bis endlich der Tag des Ausmarsches kam.“36 Es folgen lange, ausladende Landschaftsaufnahmen, als Hitlers Regiment westwärts den Rhein entlang marschiert. Ein Gedanke ist es, der die Männer in jenen Tagen quält: Was, wenn sie die Front zu spät erreichten? Aber sie hätten sich keine Sorgen zu machen brauchen. Eines feuchtkalten Morgens, als sie schweigend durch Flandern marschieren, werden sie zum ersten Mal angegriffen. Die Stille verwandelt sich in ein Krachen und Tosen und dann in etwas gänzlich anderes: „Aus der Ferne aber drangen die Klänge eines Liedes an unser Ohr und kamen immer näher, sprangen über von Kompagnie zu Kompagnie, und da, als der Tod gerade geschäftig hineingriff in unsere Reihen, da erreichte das Lied auch uns, und wir gaben es nun wieder weiter: Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“37

Das Lied erklingt laut und die Männer kämpfen tapfer, und dann, als die letzten Töne verhallt sind, setzt die Realität ein. Die Männer in Hitlers Regiment lernen, was es heißt, Angst zu haben. Ihr Lachen und das Jubeln weichen der Frage, ob sie ihr Leben für das Vaterland opfern sollen. Jeder Einzelne hört in seinem Kopf eine Stimme, die ihn auffordert, den Kampf aufzugeben, und nach vielen Monaten gelingt es jedem Einzelnen, dieser Stimme Herr zu werden. Schließlich werden die jungen Freiwilligen ruhige und entschlossene alte Soldaten.38

Die eigentliche Bedrohung nimmt, als sie dann kommt, eine ganz andere Form an. Der Feind wirft aus der Luft Flugblätter ab und die Truppen lesen die folgende Botschaft: Das deutsche Volk sehne sich nach Frieden, aber der Kaiser lasse das nicht zu. Hörten die Soldaten auf, auf Seiten des Kaisers zu kämpfen, so würde der Friede wiederhergestellt. Hitler gibt zu, dass er zu der Zeit die von diesen Flugblättern ausgehende Gefahr nicht erkannte. Er und seine Kameraden lachten einfach darüber, gaben sie an ihre Vorgesetzten weiter und kämpften mit derselben Tapferkeit weiter wie zuvor.39

Erst als Hitler zum ersten Mal nach Hause zurückkehrte, wurde er Zeuge der Auswirkungen dieser feindlichen Propaganda. In Berlin hörte er unter Soldaten „das Rühmen der eigenen Feigheit“, und in München war es noch schlimmer: „Ärger, Mißmut und Geschimpfe, wohin man nur kam!“40 Hitler gab wie üblich den Juden die Schuld. Sie nähmen die Schlüsselpositionen in Deutschland ein, weil die tapfersten Männer alle an der Front kämpften, und würden, sich an den feindlichen Flugblättern orientierend, eine Kluft zwischen Bayern und Preußen schaffen und den Boden für eine Revolution bereiten. Hitler war empört von der Lage der Dinge und kehrte zum Schlachtfeld zurück, wo er sich wohler fühlte.41

Diese spezielle Kriegsschilderung war natürlich höchst problematisch. Da war schon einmal das Versäumnis Hitlers, zu erwähnen, dass er 11 Tage nach seiner Ankunft an der Front Meldegänger in der Armee wurde – sicher keine ungefährliche Aufgabe, aber doch nicht mit der eines regulären Soldaten vergleichbar.42 Auch überging er die Tatsache, dass die Juden in seinem eigenen Regiment sich durch besondere Tapferkeit auszeichneten und dass deutsche Juden ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechend in der Armee vertreten waren.43 Aber um diese Details ging es auch nicht. Er konstruierte seine Geschichte auf einen dramatischen Höhepunkt hin, um der langlebigsten aller Lügen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Bei seiner Rückkehr an die Front, so Hitler, habe er wesentlich schlechtere Bedingungen vorgefunden als zuvor. Sein Regiment verteidigte dasselbe Territorium, das es Jahre zuvor gewonnen hatte, und der Nachschub an jungen Soldaten war verglichen mit den ersten Freiwilligen unbrauchbar. Ungeachtet dieser Rückschläge jedoch hielt sein Regiment stand. Es war noch immer dieselbe große „Heldenarmee“. Dann, in der Nacht des 13. Oktober 1918, wandte die englische Armee eine neue Art von Giftgas an, dessen Wirkung für die Deutschen im Wesentlichen neu war, und Hitler geriet mitten in den Angriff. „Schon einige Stunden später waren die Augen zu glühenden Kohlen verwandelt“, sagte er. „[E]s war finster um mich geworden.“44 Abblende.

Hitler kommt im Lazarett wieder zu sich, mit heftigen Schmerzen in den Augenhöhlen. Zeitungslektüre ist unmöglich. Seine Sehkraft kehrt nur allmählich wieder. Und gerade als sein Augenlicht sich allmählich regeneriert, besucht ein örtlicher Geistlicher das Hospital und richtet eine kurze Ansprache an die Soldaten. Der alte Mann zittert, als er sagt, der Krieg sei vorbei und Deutschland sei nun eine Republik. Er lobt die jungen Männer dafür, dass sie dem Vaterland so mutig gedient hätten, aber nun müssten sie ihr Vertrauen in die Sieger setzen. Hitler ist verstört. Nach all den Kämpfen der Armee von ein paar Feiglingen daheim im eigenen Land verraten zu werden! Dies war die „Dolchstoßlegende“, die Hitler später so vehement verfocht, und als sich dies in sein Bewusstsein gesenkt hatte, war die Wirkung überwältigend. Es ward ihm „um die Augen wieder schwarz“, sagte er.45 Er zog schnell eine Moral aus dieser Erfahrung: „Mit dem Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder-Oder.“46 Dann schwand alles völlig dahin und sein „Film“ endete.

Aber er hatte noch mehr zu sagen. Er hatte eine wichtige Analyse der Ereignisse anzubieten, die er gerade beschrieben hatte. In einem kurzen Kapitel von Mein Kampf mit dem Titel „Kriegspropaganda“ skizzierte er eine Interpretation des Konflikts, die viele seiner späteren Handlungen zu erklären vermag.

Seiner Ansicht nach musste jeder Kampf gegen einen Feind an zwei Fronten geführt werden. Die erste Front war die des materiellen Schlachtfeldes, auf der, wie er glaubte, die deutsche Armee gesiegt hatte. Die zweite Front war die der Propaganda, wo, wie er insistierte, die deutsche Regierung versagt hatte. Nach Hitlers Meinung hatten deutsche Regierungsakteure viereinhalb Jahre lang Material produziert, das im Kampf gegen die alliierten Truppen vollkommen nutzlos war. Die Deutschen seien der Fehleinschätzung erlegen, Propaganda müsse einerseits klug und unterhaltsam sein und andererseits objektiv. So hätten sie versucht, den Feind lächerlich aussehen zu lassen, wenn sie ihn hätten gefährlich aussehen lassen müssen. Dann, als es um die Frage nach der Kriegsschuld ging, hätten die deutschen Akteure eine Teilverantwortung für den Ausbruch der Feindseligkeiten akzeptiert. „[E]s wäre richtig gewesen“, betonte Hitler, „diese Schuld restlos dem Gegner aufzubürden, selbst wenn dies wirklich nicht so dem wahren Hergange entsprochen hätte, wie es doch nun tatsächlich der Fall war.“47

Das Problem, so Hitler, bestand darin, dass die Schöpfer dieser Propaganda ihre Pamphlete, Plakate und Karikaturen den Geschmacksvorstellungen der Bourgeoisie gemäß konzipiert hatten, statt an die Massen zu denken. Und Hitler kannte deren Psychologie nur zu gut. „Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist eine nur sehr beschränkte, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß“, sagte er.48 In Anbetracht dessen hätten die Autoritäten ein paar klar umrissene Punkte ausschlachten sollen, bis auch wirklich jeder Einzelne aufgebracht war. Dann hätte ihre Propaganda so machtvoll sein können wie die Waffen der Soldaten auf dem Schlachtfeld.49

Genau genommen hätte sie sogar noch machtvoller sein können. Hitler hatte während des 1. Weltkriegs den Output beider Seiten im Blick behalten und bemerkt, dass die Briten und Amerikaner in dem, was den Deutschen missglückte, brillant waren: Obwohl die Briten und Amerikaner reale Schlachten verloren, stellte ihre Propaganda die Deutschen als Barbaren und Hunnen dar, welche die alleinige Schuld am Ausbruch der Feindseligkeiten trugen. Diese Propaganda spornte zuerst ihre eigenen Soldaten an und begann dann tatsächlich, die deutsche Bevölkerung auszulaugen. Und gerade als die große deutsche Armee kurz davor war, den Sieg auf dem Schlachtfeld zu erklären, konnten einige Schurken daheim die Situation ausnutzen und der Armee in den Rücken fallen.50

Hitler konnte seine Bewunderung für die während des Kriegs umgesetzte Propagandakampagne der Briten und Amerikaner kaum zügeln. Wäre er für die Propaganda in Deutschland verantwortlich gewesen, behauptete er, hätte er mit ihren Anstrengungen gleichgezogen und das Ergebnis wäre ein ganz anderes gewesen.51 Und dennoch fehlte in seiner Schilderung der Brillanz des gegnerischen Outputs seltsamerweise ein Detail. Die Propaganda, von der er so beeindruckt war, nahm nicht nur die Gestalt von Flugblättern an, die vom Himmel fielen. Einige der wirkungsvollsten Bilder kamen in Hollywoodfilmen vor. Die Amerikaner nutzten die neue Technologie, um zu den Propagandaanstrengungen beizutragen, die nach Hitlers Ansicht dabei halfen, die deutsche Niederlage herbeizuführen. In To Hell with the Kaiser! teilt das bösartige deutsche Staatsoberhaupt die Welt auf und gibt Amerika seinem Sohn; in The Kaiser, the Beast of Berlin verübt er eine ganze Reihe von Gräueltaten und in The Great Victory befiehlt er allen unverheirateten Frauen, sich seinen Soldaten hinzugeben, um das Reich wiederzubevölkern. Ein besonders schauerliches Beispiel, Escaping the Hun, enthielt sogar eine optionale Szene, in der deutsche Soldaten ein Baby auf ihren Bajonetten aufspießen.52

Hitler erwähnte keinen dieser Filme in Mein Kampf, auch sagte er nichts über die „Hetzfilme“, welche die Amerikaner auch nach Kriegsende noch herausbrachten. Diese neuen Filme waren, wie bereits ihre Vorgänger, voller Bilder von Aggression und Brutalität und die gesamten 1920er Jahre hindurch versetzten sie große Teile der deutschen Bevölkerung in Aufregung. Ein Zuschauer zeigte eine besonders aufschlussreiche Reaktion, als er Mare Nostrum (1926) von MGM ansah, in dem deutsche Spione ein harmloses Passagierschiff versenken. „Es ist eine ekelerregende Gemeinheit … der verantwortlichen amerikanischen Produktionsleiter, die es heute, acht Jahre nach Friedensschluß, fertigbringen, solche Sachen dem hiesigen Publikum vorzusetzen“, sagte er. „Die deutschen Typen werden so übertrieben und schlecht gezeichnet, daß man ein Würgen im Halse vor Ekel aufsteigen fühlte …“ Und weiter: „… so begreift man das Abrücken des Auslandes von allem was deutsch ist. Amerika führt immer groß die Schlagworte von Völkerversöhnung und Weltfriede im Munde, aber dieser Film ist ein Schädling der gesamten amerikanischen Filmindustrie …“53

Mare Nostrum war einer von vielen Stummfilmen über den 1. Weltkrieg, die in den 1920er Jahren herauskamen. Der Unmut in der deutschen öffentlichen Meinung gegen diese Hollywoodproduktionen nahm zu. Doch noch hielt sich Hitler bedeckt. Dann, im November 1930, prüften die deutschen Zensoren einen neuen Kriegsfilm, der erfolgreicher zu werden versprach als jeder andere zuvor: Im Westen nichts Neues (All Quiet on the Western Front) von Universal Pictures, basierend auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Erich Maria Remarque.54 Sie nahmen ein paar Kürzungen vor und gaben ihn dann für Deutschland frei.55

Aus Hitlers Perspektive war dieser Film besonders bedrohlich. Im vorigen Jahr erst hatte sein Weggefährte Joseph Goebbels The Singing Fool gesehen und bemerkt: „Ich war überrascht über die schon so weit fortgeschrittene Technik des Tonfilms.“56 Jetzt, im Jahr 1930, war ein Film herausgekommen, der die neue Technologie der Tonaufzeichnung auf bislang nicht dagewesene Weise nutzte. Und so begann Im Westen nichts Neues:

Es sind die frühen Kriegstage in Deutschland und ein Lehrer hält vor seinen Schülern eine Ansprache. Er starrt sie eindringlich an und wedelt theatralisch mit den Händen, aber niemand kann ihn hören – eine Parade für die Soldaten findet draußen statt und die Musik übertönt ihn. Mit einem Mal verstummt die Kapelle und seine Worte werden deutlich vernehmbar. „Nun, meine liebe Klasse“, sagt er gerade, „das ist es, was wir tun müssen: Kämpfen mit all unserer Macht, unter Einsatz all unserer Kraft, um noch vor Ablauf dieses Jahres den Sieg zu erringen.“ Er klatscht in die Hände und entschuldigt sich für das, was er gleich sagen wird, dann fängt er an zu brüllen: „Ihr seid das Leben des Vaterlands, ihr Jungen. Ihr seid die eisernen Männer Deutschlands. Ihr seid die Helden, die den Feind zurückschlagen werden, wenn man euch dazu ruft.“57

Er ist ein guter Redner, das ist für jedermann offensichtlich. Im weiteren Verlauf der Szene jedoch wird deutlich, dass es hier nicht nur um einen Redner geht, der eine Rede hält; dies ist ein Film, der die ihm eigenen Mittel nutzt, um die Macht der Redekunst aufzuzeigen. Und nun kommt eines dieser Mittel zum Einsatz: Es gibt einen Schnitt hin zur Aufnahme eines Jungen, der unschlüssig auf den Lehrer blickt. „Vielleicht“, sagt der Lehrer gerade, „werden einige jetzt sagen wollen, dass man euch noch nicht gehen lassen dürfte, dass ihr zu jung seid, dass ihr ein Heim habt, Mütter, Väter, dass man euch da nicht wegreißen sollte?“ Während der Lehrer spricht, gibt es wieder einen Schnitt, diesmal hin zu den Gedankengängen des Jungen. Er kommt zum ersten Mal in Uniform nach Hause und seine Mutter bricht bei seinem Anblick in Tränen aus. Gerade da hört er den Redner im Hintergrund – „Sind eure Väter so vaterlandsvergessen, dass sie dieses eher zugrunde gehen lassen würden als euch?“ – und plötzlich sieht ihn der eigene Vater voller Stolz an. Der Film schwenkt von dieser Traumsequenz zurück zum Jungen im Klassenzimmer, und ganz offensichtlich wächst dessen Überzeugung.

Der Redner verleiht den Zweifeln der Jungen Ausdruck, ebenso wie er ihre Hoffnungen anstachelt. „Ist die Ehre, den Waffenrock zu tragen, etwas, vor dem man davonlaufen sollte?“, fragt er, während ein anderer Junge sich selbst in Uniform vorstellt, umringt von einer Gruppe von Mädchen. „Und wenn unsere jungen Mädchen stolz auf jene sind, die ihn tragen, ist das etwas, dessen man sich schämen müsste?“, sagt er, und die Kamera bewegt sich zurück zu diesem zweiten Jungen und offenbart, dass auch er zunehmend überzeugt ist.

Nun kommt der Redner in Fahrt. Der Film wechselt immer schneller zwischen ihm und seinem Publikum hin und her, und als er völlig von sich überzeugt ist, erscheint er in extremer Nahaufnahme und fragt einen der Jungen, was er tun wird. „Ich gehe“, antwortet der Junge. „Ich will gehen“, sagt ein weiterer. Bald stimmen alle darin überein, zu gehen, und der Lehrer ist zufrieden. „Folgt mir!“, schreit er. „Meldet euch jetzt!“ „Keine Schule mehr!“, brüllen die Jungen zur Antwort und dann verwandelt sich alles in Chaos.

„Fast immer war es so“, hatte Hitler in Mein Kampf geschrieben, „daß ich in diesen Jahren vor eine Versammlung von Menschen trat, die an das Gegenteilige von dem glaubten, was ich sagen wollte, und das Gegenteil von dem wollten, was ich glaubte. Dann war es die Aufgabe von zwei Stunden, zwei- bis dreitausend Menschen aus ihrer bisherigen Überzeugung herauszuheben, Schlag um Schlag das Fundament ihrer bisherigen Einsichten zu zertrümmern und … schließlich … hatte ich vor mir eine wogende Masse voll heiligster Empörung und maßlosestem Grimm.“58


Der Lehrer in „Im Westen nichts Neues“ (1930) überzeugt seine Schüler, in das deutsche Heer einzutreten.

Hitlers Beschreibung seiner rednerischen Fähigkeiten in Mein Kampf entspricht genau dem, was sich zu Beginn von Im Westen nichts Neues abspielt. Die Anfangsszene enthüllt die Macht der Redekunst nicht nur, sondern bricht sie auch auf, analysiert sie und zeigt, wie sie funktioniert. Die Szene ist wie eine Filmversion von Hitlers Kapitel über das gesprochene Wort. Aber nachdem er die Macht der Redekunst etabliert hat, wendet sich der Film ihren Gefahren zu. Die nächsten zwei Stunden zeigt er, welche Folgen die Entscheidung der Jungen hat, sich der deutschen Armee anzuschließen. Sie beginnen ihre Ausbildung in der örtlichen Kaserne, wo ihr Vorgesetzter, Unteroffizier Himmelstoß, sie schonungslos drillt und ihnen befiehlt, im Schlamm zu kriechen, und als sie das Schlachtfeld erreichen, machen sie sich alle in die Hosen. Während ihrer ersten Schlacht verliert ein Junge vorübergehend sein Augenlicht, wird hysterisch und rennt in die feindliche Schusslinie; später wiederholt sich dies mit einem anderen Jungen. Sie sind ständig ohne Nahrung, sind ganz aus dem Häuschen, wenn sie ein paar Ratten entdecken, die man essen kann, sie erschießen Hunderte von feindlichen Soldaten aus der Ferne und kämpfen mit Hunderten mehr in den Schützengräben, und wenn sie das Glück haben, all diesen Horror zu überleben, dann oft mit Amputationen. Von dem Moment an, wo sie das Klassenzimmer verlassen, geht jedes einzelne Bild im Film gegen die ursprüngliche Behauptung des Redners an, der Krieg sei ehrenhaft, und zeigt stattdessen, dass er die Hölle ist.

Und dann wird einem der wenigen überlebenden Jungen, Paul Bäumer, eine Woche Heimaturlaub genehmigt. Als er wie benommen durch die Stadt läuft, scheint alles verändert: Die Läden sind geschlossen, die Straßen leer, es gibt keine Paraden mehr. Hin und wieder bietet sich ihm ein schrecklicher Anblick wie etwa der eines kleinen Jungen, der auf dem Bürgersteig sitzt und mit einem Bajonett spielt, aber er reagiert nicht, hält nur weiter auf sein Elternhaus zu, und als seine Mutter ihm sagt, er scheine verändert, reagiert er mit derselben Ausdruckslosigkeit. Später am selben Tag geht er ins Gasthaus vor Ort, so dass sein Vater mit ihm vor einer Gruppe von Freunden prahlen kann, und sieht ungläubig zu, wie Letztere Schlachtkarten herausholen und ihm sagen, was die Armee zu tun habe. Er versucht, mit ihnen zu diskutieren, aber sie nehmen ihn nicht ernst, so dass er sich davonstiehlt und noch etwas länger auf den Straßen herumstreift. Bald hört er eine wohlbekannte Stimme: Es ist der Lehrer, der ihn überhaupt erst überzeugt hatte, in den Krieg zu ziehen.

„Paul!“, ruft der Lehrer aus. „Wie geht es dir, Paul?“ Der Lehrer hat gerade vor einem neuen Schub Schüler eine Ansprache gehalten und ist begeistert, einen echten Soldaten vorweisen zu können, um seine Argumente zu unterstreichen. „Schaut ihn euch genau an“, sagt der Lehrer – der Film wechselt von einem Jungen zum anderen, jeder mindestens ebenso beeindruckt wie der vorherige –, „bronzefarben, wettergegerbt, mit klarem Blick –, das ist der deutsche Soldat, dem ihr nacheifern müsst!“ Er bittet Paul, ihnen zu sagen, wie dringend sie an der Front gebraucht würden, und als Paul sich weigert, bittet er ihn noch inständiger und meint, es genüge, einen einzelnen Akt von Heldenmut oder Demut zu beschreiben. Schließlich wendet Paul sich ihnen zu und spricht zu ihnen.

Aber es ist eine enttäuschende Rede. Anders als der Lehrer, der mit großem Enthusiasmus spricht, sackt Paul einfach gegen den Tisch und sagt, für ihn gehe es beim Krieg darum, zu versuchen, nicht getötet zu werden. Der Film schwenkt zu den Jungen, die ungläubig murmeln, und zum Lehrer, der versucht zu reagieren, und dann ändert Paul plötzlich seinen Tonfall. Er sieht seinem Lehrer in die Augen und sagt, es sei nicht schön und süß, für das Vaterland zu sterben, sondern schmutzig und schmerzhaft. Als der Lehrer protestiert, sieht Paul die Jungen an. „Geht hinaus und opfert euer Leben, sagt er euch“ – und dann, sich wieder dem Lehrer zuwendend – „ABER – SIE MÜSSEN SCHON ENTSCHULDIGEN – ES IST NATÜRLICH VIEL LEICHTER, SO ETWAS ZU VERKÜNDEN, ALS ES DANN ZU TUN.“ Jemand im Klassenzimmer nennt Paul einen Feigling, so dass sich Paul ein letztes Mal den Jungen zuwendet – „ES IST VIEL LEICHTER, REDEN ZU HALTEN, ALS ALLES MIT ANZUSEHEN.“

„Es ist viel leichter, Reden zu halten, als alles mit anzusehen.“ Keine Zeile könnte die Krux von Im Westen nichts Neues besser einfangen. Der Film setzt damit ein, dass ein Redner unschuldige Jungen dazu ermutigt, sich zum Militärdienst zu melden, und dann wird der Zuschauer gezwungen, den Konsequenzen beizuwohnen: schauderhafte Bilder von Tod und Zerstörung. Von Anfang bis Ende war Im Westen nichts Neues nichts anderes als eine filmische Kriegserklärung an das gesprochene Wort.

Aber nicht nur das. Während der Film die Macht der Redekunst anerkannte, um sie gleich darauf zu verurteilen, lieferte er gleichzeitig eine Darstellung des 1. Weltkriegs, die in eklatantem Widerspruch zu Hitlers geschönter Version stand. Für ihn war der Krieg gottgesandt, er hatte darüber in Mein Kampf auf filmreife Art und Weise fantasiert. Im Westen nichts Neues widersprach allem, was er imaginiert hatte. Anstelle der teuren Erinnerung an Übungen mit „lieben Kameraden“ stehen die ersten Tage in der Militärakademie, die für alle demütigend sind. Anstelle von Deutschland über alles, das zur ersten Schlachtszene erklingt, nässen sich die Jungen ein. Anstatt ruhige und entschlossene alte Soldaten zu werden, sind sie permanent in Furcht. Anstelle von Ehre und Mut sind da nur Niederlage und Verzweiflung. Als Hitler und Paul Bäumer nach Hause zurückkehren, fühlen sie sich beide zutiefst desorientiert, aber Paul prahlt mit „der eigenen Feigheit“ in genau der Art und Weise, die Hitler so schändlich fand. Im Westen nichts Neues lieferte genau die Interpretation des Kriegs, die Hitler verachtete, und das auf eine zwingendere Art, als dieser das je gekonnt hätte.

Schließlich griff der Film sogar Hitlers Analyse der Kriegspropaganda an. In einer Szene, die aus der deutschen Version herausgeschnitten worden war, versucht eine Gruppe von Soldaten sich darüber klar zu werden, wer für den Kriegsausbruch verantwortlich ist.59 Das typische Argument wird angeführt – irgendein anderes Land hat ihn begonnen – und dann wartet einer von Pauls Freunden mit einer anderen Möglichkeit auf.

„Vielleicht wollte der Kaiser doch den Krieg“, sagt er.

„Glaub ich nicht“, antwortet jemand anderes, „der hat doch alles, was er braucht.“

„Nun, er hatte noch keinen Krieg. Jeder ausgewachsene Herrscher braucht wenigstens einen Krieg, um berühmt zu werden. Das lehrt die Geschichte.“

Mit anderen Worten: Es gab keine feindlichen Flugblätter. Die deutschen Soldaten kamen eigenständig zu dem Schluss, dass die Schuld für all ihr Leid beim Kaiser zu suchen war.

Doch obwohl Im Westen nichts Neues argumentierte, dass Deutschland den Krieg auf dem Schlachtfeld verloren habe, dass Propaganda keine Rolle für den Kriegsausgang gespielt habe und dass das gesprochene Wort in den Händen eines Demagogen eine gefährliche Waffe sei – kurz, obwohl der Film gegen beinahe alles argumentierte, wofür Hitler stand –, bedurfte es noch einer letzten Entwicklung, bevor gegen den Film etwas unternommen werden konnte. In den Wahlen vom September 1930, nur ein paar Monate vor dem Kinostart in Deutschland, verzeichneten die Nazis erdrutschartige Zugewinne im Reichstag, die Zahl ihrer Sitze steigerte sich von 12 auf 107. Plötzlich war Hitler eine politische Schlüsselfigur geworden und Joseph Goebbels im Begriff, das anzustacheln, was als „Filmkrieg“ bekannt werden sollte.60

Am Freitag, dem 5. Dezember 1930, war die erste öffentliche Vorführung von Im Westen nichts Neues in Deutschland angesetzt; sie sollte in einem Berliner Kino, dem Mozartsaal, stattfinden. Die Nazis hatten für die 19-Uhr-Vorstellung ca. 300 Karten gekauft und eine große Anzahl weiterer Parteimitglieder wartete draußen. Der Tumult begann fast sofort. Als der Lehrer seine Rede hielt, in der er die Schüler ermutigt, in den Krieg zu ziehen, fingen ein paar Menschen im Publikum an zu johlen. Als die deutschen Truppen zum Rückzug vor den Franzosen gezwungen waren, wurden die Rufe deutlicher: „Deutsche Soldaten hatten Mut. Eine Schande, dass so ein beleidigender Film in Amerika gemacht worden ist!“ „Nieder mit der Hungerregierung, die einen solchen Film erlaubt!“61 Aufgrund der Unterbrechungen war der Filmvorführer gezwungen, den Film anzuhalten. Die Lichter gingen an und Goebbels hielt eine Ansprache, in welcher er behauptete, der Film sei ein Versuch, das Bild Deutschlands zu unterminieren. Seine Kameraden warteten das Ende seiner Ansprache ab und warfen dann Stinkbomben und entließen weiße Mäuse in die Menge. Alle eilten zu den Ausgängen und das Kino wurde unter Bewachung gestellt.62


Polizeiaufgebot vor dem Mozartsaal in Berlin nach den Nazikrawallen gegen „Im Westen nichts Neues“.

In den darauffolgenden Tagen stießen die Aktionen der Nazis auf beträchtliche öffentliche Zustimmung. Alles schien sich wie von ihnen gewünscht zu entwickeln. Unmittelbar nach den Unruhen, am Samstag, dem 6. Dezember, wurde die Angelegenheit im Reichstag vorgetragen und ein Vertreter der Deutschnationalen Volkspartei ergriff in der Sache die Partei von Hitler. Am Sonntag wurde die Vorführung von Im Westen nichts Neues im Mozartsaal unter starkem Polizeischutz wieder aufgenommen und am Montag reagierten die Nazis darauf mit weiteren Demonstrationen. Am Dienstag sprachen sich sowohl der Reichsverband deutscher Lichtspieltheater-Besitzer als auch die wichtigste Studentenvereinigung der Berliner Universität gegen den Film aus. Am Mittwoch verhängte der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski, ein Sozialdemokrat, ein Verbot über alle Demonstrationen unter freiem Himmel und das wichtigste Presseorgan der Nazis reagierte darauf mit: „Grzesinskis Polizei schützt profitgierige amerikanische Filmjuden!“ Später am selben Tag sahen die Mitglieder des deutschen Kabinetts in den Räumlichkeiten der Filmprüfstelle Im Westen nichts Neues. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Innen- wie Außenminister den Film gebilligt und nur der Reichswehrminister hatte dagegen Einwände erhoben.63

Die Affäre erreichte ihren Höhepunkt am Donnerstag, dem 11. Dezember. Veranlasst durch die Aktionen der Nazis, reichten fünf Länder – Sachsen, Braunschweig, Thüringen, Württemberg und Bayern – Petitionen für ein Verbot des Films ein. Um 10 Uhr an diesem Tag trat die oberste Zensurbehörde des Landes, die Film-Oberprüfstelle, zusammen, um über dessen Geschicke zu entscheiden. 28 Personen waren anwesend, weit mehr, als je zuvor an einem dieser Treffen teilgenommen hatten oder dies jemals danach tun würden. Der Ausschuss bestand aus Dr. Ernst Seeger, dem als Leiter der Film-Oberprüfstelle ranghöchsten deutschen Zensurverantwortlichen; Otto Schubert, einem Vertreter der Filmindustrie; Dr. Paul Baecker, Herausgeber einer agrarisch-konservativen Zeitung; Professor Hinderer, einem Theologen; und Fräulein Reinhardt, einer Lehrerin und Schwester des verstorbenen Generals Walter Reinhardt. Ebenfalls anwesend waren Repräsentanten der fünf Landesregierungen, die Protest angemeldet hatten, und Delegierte aus Reichswehr- und Innenministerium sowie des Auswärtigen Amts. Der Anwalt von Universal Pictures, Dr. Frankfurter, wurde von einem General a.D. und zwei Filmregisseuren begleitet.64

Alle drängten sich in den Vorführraum und den zweiten Tag in Folge wurde Im Westen nichts Neues gezeigt. Seeger fragte sodann die Beschwerdeführer der Landesregierungen, warum sie gegen den Film seien. Jeder Repräsentant gab seine eigene Erklärung ab und Seeger zählte insgesamt drei verschiedene Einwände: Der Film schädige das Ansehen Deutschlands; er gefährde die öffentliche Ordnung; und, würde er zugelassen, so würde der Rest der Welt denken, Deutschland billige die sogar noch beleidigendere Version, die im Ausland gezeigt werde.65 Diese Einwände waren sorgsam auf die deutsche Filmgesetzgebung zugeschnitten, welche Filme verbot, die „geeignet [sind], die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden, das religiöse Empfinden zu verletzen, verrohend oder entsittlichend zu wirken, das deutsche Ansehen oder die Beziehungen Deutschlands zu auswärtigen Staaten zu gefährden“.66

Seeger wandte sich dann an den Delegierten des Reichswehrministeriums, Kapitänleutnant von Baumbach, und bat ihn, den ersten Einwand zu kommentieren. Von Baumbach fing damit an, dass die verschiedenen Nationen im Gefolge des Kriegs hart daran gearbeitet hätten, freundschaftliche Beziehungen mit Deutschland aufzubauen. Es gebe jedoch einen Bereich, in dem der Geist von Locarno nicht wirkmächtig geworden sei: „auf dem Gebiete des Films!“ Die Amerikaner würden noch immer Filme drehen, die dem Ansehen Deutschlands schadeten. Von Baumbach führte einige Beispiele aus Im Westen nichts Neues an: Die deutschen Soldaten, so sagte er, würden ständig vor Furcht winseln, ihre Gesichter seien stets verzerrt, sie würden wie wilde Tiere essen und trinken und ihre Lebensgeister würden nur erwachen, wenn sie ein paar Ratten totschlugen. Solch sorgsam kalkulierte Bilder mochten oberflächlich betrachtet akzeptabel sein, aber sie waren Deutschland abträglich, und wenn Carl Laemmle von Universal Pictures diese Meinung nicht gefalle, solle ihm die folgende Frage vorgelegt werden: „Weshalb [lassen Sie] heute noch einen Kriegsfilm herstellen, der in Deutschland nicht in derselben Fassung laufen kann wie in der übrigen Welt?“67

Dann meldete sich der Vertreter des Innenministeriums, Dr. Hoche, zu Wort: Der Film enthalte so viele Bilder von Tod und Zerstörung, dass er die deutschen Zuschauer gequält und niedergeschlagen zurücklasse. In ruhigeren Zeiten womöglich kein Problem, aber das Schicksal des Films lasse sich nicht im luftleeren Raum entscheiden. Die deutsche Bevölkerung mache offensichtlich gerade eine Phase tiefer psychischer Not und innerer Konflikte durch. Die wirtschaftliche Krise verschärfe sich und es gebe noch immer offene Kriegsschulden. Das Problem sei nicht, dass ein paar extremistische Gruppen künstlich Aufregung generierten, vielmehr rühre Im Westen nichts Neues an die tatsächlichen Ängste einer großen Anzahl von Menschen. Um die öffentliche Ordnung zu wahren, sollte der Film in Deutschland aus dem Verkehr gezogen werden.68


Eine Nazi-Karikatur, in der polnische, französische und tschechische Soldaten über den deutschen Rückzug in „Im Westen nichts Neues“ lachen.

All dies war mehr als ausreichend für Seeger. Er verspürte nicht den Wunsch, jeden einzelnen Einwand gegen den Film durchzugehen. Konnte er zeigen, dass der Film auch nur in einer Hinsicht gegen das Gesetz verstieß, konnten alle nach Hause gehen. Er leitete sein Urteil mit dem Hinweis darauf ein, dass Im Westen nichts Neues schädliche Stereotype über die Deutschen enthalte. Unteroffizier Himmelstoß’ Niedertracht, die Jungen in den Dreck zu tunken, stehe für ungezügelte deutsche Aggression und vermittle dem Zuschauer den Eindruck, Deutschland sei für den Ausbruch der Feindseligkeiten verantwortlich. Und während die französischen Soldaten ruhig und tapfer ihrem Tod entgegengingen, heulten und kreischten die Deutschen ständig vor Angst. Der Film biete also keine ehrliche Darstellung des Kriegs, sondern eine solche von deutscher Aggression und Niederlage. Natürlich habe die Öffentlichkeit missbilligend reagiert. Unabhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung beleidige der Film eine ganze Generation von Deutschen, die so fürchterlich im Krieg gelitten hatte. Seeger verbot den Film mit der Begründung, dass er das deutsche Ansehen schädige, und hielt fest, es bestehe keine Notwendigkeit, die Angelegenheit weiter zu vertiefen.69

Und so wurde Im Westen nichts Neues sechs Tage nach den Berliner Protesten von den deutschen Leinwänden entfernt. „Unser der Sieg!“, proklamierte Goebbels’ Zeitung.70 Die Nazis hatten den Filmkrieg offensichtlich gewonnen. Dies war kaum überraschend, denn die Mitglieder des Zensurausschusses waren alle zutiefst konservativ und die ganze Affäre war von Anfang bis Ende sorgfältig orchestriert worden. Der Anwalt von Universal Pictures, Dr. Frankfurter, hatte sogar angekündigt, er werde den Film in Deutschland ohnehin aus dem Verkehr ziehen. Seine Firma hatte sich mit den maßgeblichen Regierungsstellen beraten und beide Parteien waren zu einer Übereinkunft gelangt, an der sie unabhängig von der Entscheidung der Zensurbehörde festhalten wollten.71 Und doch geschah gegen Ende des Zensurtreffens etwas, das sogar noch weitreichendere Konsequenzen haben sollte als das Verbot des Films.

Dr. Frankfurter hatte immer angenommen, das Auswärtige Amt – der beste Verbündete der Studios in Deutschland – unterstütze den Film. Als jedoch die Reihe an dessen Vertreter, einen Mann namens Johannes Sievers, kam, seinen Bericht abzugeben, fasste dieser seine Missbilligung in nur wenige Sätze: „Das Auswärtige Amt hat seine erste Stellungnahme, die aussenpolitische Bedenken gegen den Film verneinte, nur auf das ihm damals vorliegende Berichtsmaterial stützen können. Inzwischen hat es zahlreiche Nachrichten aus dem Auslande erhalten, die eine dem deutschen Ansehen abträgliche Wirkung des Films erkennen lassen. Es ist daher zu dem Ergebnis gekommen, der Film müsse als dem deutschen Ansehen abträglich angesehen werden. Das Auswärtige Amt befürwortet daher das Verbot des Films.“72

Dr. Frankfurter war überrascht. Er hatte bis dahin kaum etwas gesagt, aber nun konnte er nicht mehr an sich halten. Er fragte den Legationsrat, worin die „Nachrichten aus dem Auslande“ bestünden und wann man diese erhalten habe.73

„Es handelt sich um die Zeit zwischen der ersten Besichtigung des Bildstreifens und der heutigen“, antwortete Sievers. „Gemeint sind sowohl amtliche Berichte wie private Informationen, die im allgemeinen die dem deutschen Ansehen abträgliche Stimmung und Aufnahme des Bildstreifens charakterisieren.“

„Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, dass es sich um die ausländische Fassung des Bildstreifens handelt?“, fragte Dr. Frankfurter.

„Da die Berichte aus dem Ausland kommen, kann es sich nur um die dort gezeigte Fassung handeln. Es wird darin aber immer wieder ausdrücklich betont, dass es sich nicht um einzelne Punkte handelt, sondern um die Gesamtdarstellung und die Gesamttendenz.“

„Aus welchen Ländern stammen diese Berichte?“

„Da das Auswärtige Amt mit allen europäischen und aussereuropäischen Ländern in Verbindung steht, kann ich das im einzelnen nicht belegen. Die Berichte sind hauptsächlich aus Amerika und England gekommen.“

Dr. Frankfurter wechselte das Thema. „In den Morgenblättern ist zum Ausdruck gebracht worden, dass der Reichsaussenminister sich den Bildstreifen in der heutigen Fassung angesehen hat“, sagte er.

„Das ist mir nicht bekannt“, antwortete Sievers.

„Hat die veränderte Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zur Ursache, dass es Weisungen von einer leitenden Stelle bekommen hat?“

Seeger schritt ein. Die Frage war unzulässig, weil sie die internen Abläufe des Auswärtigen Amtes betraf.

Dr. Frankfurter versuchte es anders. „Wann hat die veränderte Stellungnahme des Auswärtigen Amtes eingesetzt?“, fragte er.

„Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten.“

„Wollen oder können Sie mir keine Auskunft geben?“

„Beides.“

„Hat die veränderte Stellung des Auswärtigen Amtes nach der Vorführung des Bildstreifens in Berlin eingesetzt?“

„Nach der Prüfung in Berlin.“

Seeger unterbrach erneut. Er erklärte, er würde weitere Fragen in dieser Richtung nicht zulassen.

„Nur noch eine Frage“, sagte Dr. Frankfurter. „Ich vermisse in der Äusserung des Vertreters des Auswärtigen Amtes das, was wir erwartet haben, nämlich das Gutachten. Wenn eine derartige Stellungnahme geäussert wird, dann erwarte ich eine Begründung.“

Aber Sievers war nicht entgangen, dass Seeger auf seiner Seite war. „Ich habe nichts weiter zu äussern“, erwiderte er. Und damit war die Befragung beendet.

Wie sich herausstellte, war Sievers Zeugnis für den Fall nicht wirklich relevant. Ihm zufolge beruhten die Berichte aus dem Ausland auf ausländischen Versionen des Films, während sich das Gesetz vorrangig mit der in Deutschland gezeigten Version befasste. Dennoch hatte er ein schockierendes Eingeständnis gemacht: Der Skandal um Im Westen nichts Neues hatte die deutschen Konsulate und Botschaften auf der ganzen Welt dazu gebracht, die Auswirkungen des Films in ihren jeweiligen Ländern zu untersuchen. Anders gesagt mischte sich das Auswärtige Amt in ungebührlicher Weise ein: Es machte von seinen diplomatischen Privilegien Gebrauch, um festzustellen, ob der Film das Ansehen Deutschlands außerhalb der deutschen Grenzen beschädigte. Dies war eine unerhörte Entwicklung, die eine ganze Reihe von Ereignissen in Gang setzte.

Zurück in Hollywood, war der Präsident von Universal Pictures, Carl Laemmle, zutiefst bekümmert über die Kontroverse. Er war in Deutschland geboren und wollte, dass sein Film dort gezeigt würde. Einem Vertreter zufolge war seine Firma „eines großartigen potenziellen Geschäfts verlustig gegangen, denn der Film wäre ein enormer finanzieller Erfolg in Deutschland gewesen, hätte er ungehindert laufen können“.74 Laemmle beschloss schon bald, ein Telegramm an William Randolph Hearst, Chef eines riesigen US-amerikanischen Medienimperiums, zu senden. „Wäre äußerst dankbar für Ihre Hilfe zur Unterstützung meines Films ‚Im Westen nichts Neues‘, der jetzt in Deutschland von der Hitlerpartei bedroht ist“, schrieb er. „Falls Sie das Gefühl haben, dies guten Gewissens tun zu können, wäre ein Kommentar in der Hearst-Presse, der Ihre Signatur trägt, eine unschätzbare Hilfe.“75

Hearst erkannte eine gute Geschichte, wenn er eine vor sich hatte. Am Freitag, den 12. Dezember, dem Tag, nachdem Im Westen nichts Neues in Deutschland verboten worden war, brachte er ein Editorial heraus, das auf der Titelseite all seiner Zeitungen erschien. Er legte Wert darauf, Im Westen nichts Neues als pazifistischen Film zu verteidigen. Aber er ließ es nicht dabei bewenden, sondern suchte seine eigene Agenda voranzutreiben. Seit Jahren war er wegen der unfairen Bedingungen des Versailler Vertrags gegen Frankreich ausfällig geworden. Nun verkündete er, Deutschland solle ungeachtet des Vertrags für den Frieden kämpfen. „Frankreich wird natürlich auch sein letztes Pfund Fleisch sehen wollen. Frankreich wird sich extrem selbstsüchtig verhalten. Es liegt in seiner Natur“, schrieb er. Dennoch sollte „Deutschland … nicht zulassen, dass es in einen Krieg gezwungen wird, weder von denjenigen außerhalb seiner Grenzen, die ihm feindlich gesonnen sind, noch von denjenigen im Inneren, die es gut meinen, aber nicht genügend nachdenken“.76

Freilich half das Editorial nichts. Im Westen nichts Neues konnte in Deutschland noch immer nicht aufgeführt werden. Laemmle sah sich gezwungen, andere Maßnahmen zu ergreifen. Im Juni 1931 legte seine Firma den Film den deutschen Zensurbehörden erneut vor und seine Vorführung vor Kriegsveteranen und Weltfriedensorganisationen wurde genehmigt.77 Dann, im August, wartete er mit einer neuen, stark redigierten Version auf, von der er überzeugt war, dass das Auswärtige Amt daran keinen Anstoß nehmen würde. Er unternahm eine Europareise, um sie zu bewerben, und schickte eine Kopie nach Berlin. Das Auswärtige Amt stimmte bald zu, eine generelle Freigabe in Deutschland zu unterstützen, unter einer Bedingung: Laemmle hatte die Niederlassungen von Universal Pictures überall sonst auf der Welt anzuweisen, alle Ausgaben des Films in derselben Weise zu kürzen. Am 28. August informierte Laemmle seine Mitarbeiter in Berlin, er sei bereit, die Forderung zu erfüllen. Seine Mitarbeiter schrieben sodann an das Auswärtige Amt: „Wir geben der Erwartung Ausdruck, daß durch dieses Entgegenkommen der Boden für eine reibungslose Freigabe des genannten Films zur uneingeschränkten öffentlichen Vorführung in Deutschland geebnet worden ist …“78

Die Genehmigung schritt ohne Komplikationen voran und im September kam der Film zum zweiten Mal auf die deutschen Leinwände.79 Anfang November ging Laemmle nach Berlin und war erfreut, feststellen zu können, dass der Film „gut lief“.80 Seine Geschicke im Ausland standen auf einem anderen Blatt. Das Auswärtige Amt wollte sicherstellen, dass Universal Pictures sich an seinen Teil der Abmachung hielt, also unterrichtete es alle deutschen Konsulate und Botschaften über die acht Kürzungen, in die Laemmle eingewilligt hatte. Manche der Streichungen waren relativ geringfügig: So sollte nun z.B. nur noch einmal gezeigt werden, wie die Rekruten in den Schlamm getunkt werden. Andere Eingriffe waren substanzieller, insbesondere diejenigen mit den Ziffern vier bis sieben:


Carl Laemmle, Gründer und Präsident von Universal Pictures.

4. Bei der Unterhaltung der Soldaten über Ursachen und Entstehung des Krieges die Bemerkung, dass jeder Kaiser seinen Krieg haben müsste.

5. Die Ansprache Paul Bäumers an seine Klassenkameraden am Ende des Films: „Es ist schmutzig und widerwärtig für sein Vaterland zu sterben!“

6. Die gesamte Rahmenhandlung zu dieser Szene. Die Schulklasse und der Professor Kantorek treten in der zweiten Hälfte des Films nicht mehr in Erscheinung

7. Zusammenkunft Paul Bäumers mit dem Stammtisch der älteren Heimkrieger während seines Urlaubs.

Nachdem die Änderungen umrissen waren, die vorzunehmen Carl Laemmle zugestimmt hatte, forderte das Auswärtige Amt, es solle ein Vertreter eines jeden deutschen Konsulats bzw. jeder deutschen Botschaft sich den Film ansehen und melden, falls etwas nicht stimmte.81

Die erste Person, die auf ein Problem stieß, war ein Angestellter der deutschen Botschaft in Paris. Mitte November sah dieser Im Westen nichts Neues in einem Kino an der Avenue de la Grande Armée und bemerkte, dass sowohl die beleidigenden Bemerkungen über den Kaiser als auch die zweite Klassenzimmer-Szene verblieben waren.82 Das Auswärtige Amt beschwerte sich daraufhin bei Universal Pictures und den Angestellten des Unternehmens war der Vorfall „ausserordentlich peinlich“: „Wir bitten Sie höfl. – auch zugleich im Namen unseres Präsidenten, Herrn Carl Laemmle, – die Versicherung entgegen zu nehmen, dass dieses bisher unaufgeklärte Versehen einen Einzelfall darstellt, der sich keinesfalls wiederholen wird.“83

Dies stellte sich als Wunschdenken heraus, denn im Laufe des nächsten Monats sahen sich Konsulatsmitarbeiter in England und den USA die offensive Version von Im Westen nichts Neues in ihren jeweiligen Regionen an und informierten umgehend den deutschen Konsul in Los Angeles, Dr. Gustav Struve.84 Dr. Struve schrieb dann an seinen ersten Ansprechpartner in Los Angeles – nicht Universal Pictures, sondern die Organisation, welche die wichtigsten Hollywoodstudios repräsentierte, die Motion Picture Producers and Distributors Association of America (MPPDA). Diese Organisation, auch als Hays Office bekannt, war keine Regierungsstelle, sondern ein privater Zusammenschluss, der 1922 ins Leben gerufen worden war, um dem Ruf nach staatlicher Zensur etwas entgegenzusetzen zu haben. Ihr Präsident, Will Hays, war ein ehemaliger Postminister, und die Auslandsangelegenheiten leitete ein hitziger Mann namens Frederick Herron.

Dr. Struves Brief an das Hays Office liest sich wie folgt: „Ich lege hiermit eine Liste von Szenen bei, die aus dem Film ‚Im Westen nichts Neues‘ entfernt werden sollten, entsprechend der Übereinkunft zwischen der Universal Pictures Corporation und der deutschen Regierung vom letzten Sommer, infolge derer der oben genannte Film in Deutschland zugelassen wurde. Die Szenen, welche Berichten von dort zufolge bei den Vorführungen in London und in San Francisco nicht ausgelassen wurden, sind die Folgenden: # 3, 5, 6 und 7.“85 Dieser Brief wurde sofort an Frederick Herron weitergeleitet, der sich mit allen derartigen Angelegenheiten zu befassen hatte. Aber Herron hatte keine Ahnung, wovon Dr. Struve sprach. Er ging seine gesamte Korrespondenz durch und fand keinen Hinweis auf die acht Szenen, die hätten gestrichen werden sollen. „Die einzigen Aufzeichnungen in Hinblick auf etwaige zu beanstandende Szenen, die wir haben“, schrieb er, „beziehen sich auf die Schulszene, in welcher der Lehrer seine Klasse drängt, in den Krieg zu ziehen, die Wirtshauspolitikerszene, in der sie diskutieren, wie der Krieg zu führen sei, und den mehr oder minder harten Drill der Rekruten durch den Unteroffizier. Nichts davon halte ich für einen legitimen Einwand und dahingehend habe ich mich seinerzeit auch geäußert. … Ich bin denn doch neugierig zu erfahren, wogegen genau sich Dr. Struve an diesem Film zum gegenwärtigen Zeitpunkt verwahrt. Sie könnten ihm gegenüber beiläufig einen Kommentar fallenlassen, dass wir vielleicht etwas besser miteinander auskämen, wenn die Angehörigen der deutschen Regierung in Berlin ihre Versprechen gegenüber unseren Repräsentanten und gegenüber den Vertretern dieses Büros halten würden, statt diese zu brechen, wie dies in der Vergangenheit bereits viele Male der Fall war.“86

Herron war offenbar verärgert, aber seine Verstimmung richtete sich an die falsche Adresse, denn Dr. Struve lag diesmal ganz richtig: Universal Pictures hatte zugestimmt, die acht geforderten Kürzungen vorzunehmen. Das eigentliche Problem bestand darin, dass Carl Laemmle das Hays Office übergangen hatte, schon als er den Deal abschloss. Hätte er sich mit Herron abgestimmt, wäre ihm mitgeteilt worden, dass Im Westen nichts Neues in der Originalfassung unbedenklich sei und er den Film unter gar keinen Umständen im Ausland kürzen solle, nur um seine Freigabe in Deutschland sicherzustellen. Aber während Herron sich wünschte, dass Universal Pictures den Deutschen Paroli bot, wollte Laemmle seinen Film verkaufen, und wenn das bedeutete, dass er die Szenen herausschneiden musste, gegen die das Auswärtige Amt Einwände hatte, dann mussten die Szenen eben herausgeschnitten werden.

Laemmle hatte offenbar einen schrecklichen Fehler begangen. Im Laufe der nächsten paar Monate beobachtete er den Aufstieg Hitlers und seine Nervosität in Hinblick auf die Situation in Deutschland wuchs. Im Januar 1932 war er so alarmiert, dass er wieder an Hearst schrieb, diesmal in einer wesentlich wichtigeren Angelegenheit, als es das Schicksal seines Films war. „Ich wende mich an Sie in einer Angelegenheit, von der ich fest überzeugt bin, dass sie nicht nur für mein eigenes Geschlecht, sondern auch für Millionen von Nicht-Juden auf der ganzen Welt von größter Bedeutung ist“, schrieb er.

Als Einzelperson bin ich nun schon geraume Zeit in Sorge um meine eigenen Familienangehörigen in Deutschland, und zwar in einem Grade, dass ich bereits die Mittel bereitgestellt habe, um sie in die Lage zu versetzen, das Land kurzfristig zu verlassen, und um ihren anschließenden Unterhalt sicherzustellen. Daher gilt meine gegenwärtige Sorge nicht so sehr denjenigen, die mir persönlich nahestehen, als vielmehr den weniger vom Glück begünstigten Angehörigen meines Geschlechts, die unweigerlich unerbittlichem Rassenhass ausgeliefert wären.

Es mag sein, dass ich falsch liege, und ich bete zu Gott, dass es so ist, aber ich bin beinahe sicher, dass Hitlers Machtergreifung aufgrund seiner eindeutig militanten Haltung gegenüber den Juden ein Signal für einen allgemeinen physischen Angriff auf viele Tausende wehrloser jüdischer Männer, Frauen und Kinder in Deutschland und vielleicht auch in Mitteleuropa wäre, wenn nicht bald etwas unternommen wird, um in den Augen der Außenwelt unmissverständlich Hitlers persönliche Verantwortung nachzuweisen.87

Diesmal schrieb Hearst kein Editorial. Er schickte nicht einmal eine Antwort. Er hatte eine Faszination für Hitler entwickelt und war noch nicht gewillt, Stellung zu beziehen. Indessen half Laemmle weiterhin Juden, Deutschland zu verlassen. Er verbrachte viel Zeit damit, amerikanische Immigrationsbeamte davon zu überzeugen, dass er für den Unterhalt einzelner Juden aufkommen könne, und als die US-Regierung seine Ansuchen abzulehnen begann, trat er an andere potenzielle Wohltäter heran. Bis zu seinem Tod hatte er dazu beigetragen, mindestens 300 Menschen aus Deutschland herauszubringen.88

Und doch befolgten genau in dem Augenblick, als Carl Laemmle seinen Rettungskreuzzug begann, seine Angestellten bei Universal Pictures die Anweisungen der deutschen Regierung. In den ersten paar Monaten des Jahres 1932 entdeckte das Auswärtige Amt, dass es Probleme mit Versionen von Im Westen nichts Neues gab, die in San Salvador und Spanien liefen. Die Firma entschuldigte sich mit der Versicherung, man werde sich, wie verlangt, um die Angelegenheit kümmern.89 Danach gab es nur noch vereinzelt Beschwerden. Universal Pictures hatte rund um den Globus die geforderten Eingriffe vorgenommen.

Die Aktionen der Nazis gegen Im Westen nichts Neues setzen eine Kette von Ereignissen in Gang, die sich über eine Dekade erstreckten. Nicht nur Universal Pictures, sondern alle Hollywoodstudios fingen an, der deutschen Regierung weitreichende Zugeständnisse zu machen, und als Hitler im Januar 1933 an die Macht kam, verhandelten die Studios direkt mit seinen Vertretern. Will man die Ergebnisse dieser Unterhandlungen verstehen – die tiefen Spuren, die Hitler in der amerikanischen Kultur hinterlassen hat –, so muss man sich der Situation in Hollywood zuwenden. Zuvor jedoch gilt es noch einen letzten Aspekt von Hitlers Filmobsession zu betrachten.

Hitler hatte einen ungewöhnlichen Zugang zu Filmen. Erstens konsumierte er sie; tatsächlich sah er so viele an, dass seine Adjutanten schon besorgt waren, er könnte damit die gesamten Bestände des Propagandaministeriums erschöpfen. Zweitens lancierte er drastische Maßnahmen gegen einen Einzelfilm, der allem zuwiderlief, wofür er stand. Hier tut sich ein eigenartiges Missverhältnis auf, über welches nachzudenken sich lohnt. Selbst wenn Hitler bei einer seiner nächtlichen Vorführungen ein Film stark missfiel, löste das bei ihm normalerweise keine große Besorgnis aus. Wenn es hoch kam, beschwerte er sich über einen Schauspieler, den er nicht mochte (meist Gustaf Gründgens), oder er forderte eine Kopie des neuesten Imperio-Argentina-Films auf Spanisch an, weil nach seinem Dafürhalten die synchronisierte deutsche Fassung dieser Schauspielerin nicht gerecht wurde.90 Im Falle von Im Westen nichts Neues dagegen provozierte er einen Aufschrei, der um die Welt gehen sollte.

Warum Hitler einem einzelnen Film solch unverhältnismäßige Aufmerksamkeit schenkte, ist einem Satz aus seinem Kapitel über Kriegspropaganda in Mein Kampf zu entnehmen. „Schicksalsfragen von der Bedeutung des Existenzkampfes eines Volkes heben jede Verpflichtung zur Schönheit auf.“91 Das war ganz Hitler: Obwohl er jeden Abend Filme ansah, obwohl seine Faszination für diese Filme auf einer tieferen Verbindung zu seinen eigenen Erfahrungen als Redner beruhte, kam er bei der Mehrzahl davon nicht auf die Idee, sie könnten irgendetwas mit Propaganda zu tun haben. Er genoss die Vorführungen solange wie möglich, aber wenn ihm ein Film unterkam, der die Existenz der deutschen Nation bedrohte – ein Film wie Im Westen nichts Neues –, dann befand er sich im Kriegszustand.

Im Zentrum von Hitlers Filmverständnis stand also eine strikte Unterscheidung zwischen Kunst und Propaganda, ein Glaube, dass diese beiden Dinge miteinander absolut nichts zu tun hatten.92 Er wandte diese Unterscheidung auf jeden Aspekt dessen an, was seine Partei den Filmkrieg nannte. Bei seinen Begegnungen mit amerikanischen Filmen nahm er nur diejenigen aufs Korn, die er für wirklich gefährlich hielt – eine Strategie, die im weiteren Verlauf des Jahrzehnts noch verheerende Folgen haben sollte. Und was deutsche Filme anging, tat er etwas Bemerkenswertes: Er wurde selbst zum Filmproduzenten.

Kurz nachdem er an die Macht gekommen war, beauftragte Hitler die Regisseurin Leni Riefenstahl damit, den Nürnberger Reichsparteitag von 1934 aufzunehmen. Das Ergebnis war Triumph des Willens, der bekannteste Nazi-Propagandafilm. Natürlich war Hitler der Star. Er hielt eine Reihe von Reden vor seinen Anhängern und in seiner ersten vollständig wiedergegebenen Rede sagte er: „In diesem Augenblick sehen euch nicht die Augen der Hunderttausende in Nürnberg, sondern in dem Augenblick sieht euch zum ersten Mal Deutschland!“ Es war klar, was er damit sagen wollte: Dank der neuen Filmtechnologie konnten seine Ansprachen an die treuen Mitglieder seiner Partei nun von jedem in Deutschland mitverfolgt werden.93

Die Bemerkung fängt das Wesen von Triumph des Willens ein: Dies war ein Film über die Filmobsession eines Redners. Er gab Hitler die Gelegenheit, mit seinen rednerischen Fähigkeiten zu prahlen und, wie das Ende des Films deutlich werden ließ, den Schaden, welchen die Figur des Redners durch Im Westen nichts Neues genommen hatte, zu korrigieren.

In einer Hinsicht hatte er damit Erfolg. Er zeigte auf jeden Fall, mit welchem Geschick er die Aufmerksamkeit seines Publikums zu fesseln vermochte. All seine Techniken traten deutlich zutage. Und so begann er seine Schlussrede: Er sprach zögernd, nervös, als denke er, er würde gleich versagen. Ein paar unbehagliche Momente lang machte er den Eindruck, als habe er überhaupt nichts zu sagen. Er starrte auf das Podium, dann zurück zum Publikum, und schließlich fing er an, etwas in der Art zu murmeln, dass die Feierlichkeiten sich dem Ende näherten. Seine Stimme verriet keinerlei Gefühlsregung, sein Körper blieb unbeweglich. Natürlich war er sich des Begeisterungssturms bewusst, der gleich losbrechen würde. Aber er wollte sein Publikum zuerst ein wenig beunruhigen. Er machte Gebrauch von einem Kunstgriff, den er in Mein Kampf beschrieben hatte – die Zweifel seines Publikums einen nach dem anderen durchzugehen, um sie in ihr Gegenteil zu verwandeln –, nur dass in diesem Fall die Zweifel seine Fähigkeit betrafen, die Rede zu Ende zu führen. Es war eine raffinierte Art, seine Zuhörer in seinen Auftritt einzubeziehen und ihnen so das Gefühl zu vermitteln, sie würden diese Reise gemeinsam mit ihm zurücklegen.

Dann folgte seine nächste Technik: Er modulierte seine Stimme und seine Körperbewegungen, um seine Argumente zu unterstreichen. Er steigerte die Erwartungen seines Publikums, indem er ausführte, dass einst seine Feinde aus anderen politischen Parteien die NSDAP von ihren unbedeutenderen Elementen zu säubern pflegten. Dann, nachdem er seinem Publikum Zeit gegeben hatte, diese Aussage zu verdauen, schrie er, ebendiese Pflicht komme jetzt der NSDAP selbst zu. „Heute müssen wir selbst Musterung halten und abstoßen, was sich als schlecht erwiesen hat, und deshalb“ – dabei schüttelte er plötzlich den Kopf und bedeutete mit der Hand seine Missbilligung – „innerlich nicht zu uns gehört.“

Wenn Hitler sprach, kultivierte er eine sehr eigene Beziehung zu seinen Zuhörern: Er erwies ihnen keinerlei Respekt. Er stand vor ihnen mit einem wie auf dem Gesicht eingefrorenen Stirnrunzeln und weigerte sich, ihrer Erregung Rechnung zu tragen. Seinen Ausdruck änderte er nur, wo dies seiner eigenen Argumentation diente. „Einst haben unsere Gegner dafür gesorgt, dass … die Bewegung ausgekämmt wurde“, sagte er mit einem Lächeln, um anzudeuten, dass seine Feinde ihm keine Sorge mehr bereiteten. Dann nahm er wieder seine normale Pose ein, und als seine Zuhörer applaudierten, sah er gleichgültig auf sie. Manchmal benahm er sich, als würde ihn ihr Beifall nur unterbrechen, und hielt seine Hände Einhalt gebietend in die Höhe. Dann wieder – vor allem gegen Ende, wenn er wusste, dass bald der tumulthafteste Applaus einsetzen würde – wandte er sich ab, als wolle er sagen, er habe diesen überhaupt nicht nötig.

Dies waren im Wesentlichen die Techniken, die Hitler anwandte, und er bat Leni Riefenstahl, sie für alle Welt aufzuzeichnen. Aber Riefenstahl tat mehr als das: Sie brachte eine Reihe eigener Techniken zur Anwendung, um den Effekt zu verstärken. Sie alternierte Naheinstellungen von Hitler mit dramatischen Totalaufnahmen der Menge, um seine Macht über diese zu betonen. Sie legte Wert darauf, den intensiven letzten Augenblicken seiner Sätze einen Schnitt hin zur Menge folgen zu lassen, die frenetisch reagierte. Und sie legte Musik über seine alltäglichen Gespräche, so dass seine Worte nur während seiner Reden vernehmbar waren.94 Mit alledem strebte sie denselben Effekt an: Hitler kultivierte eine mystische Macht über die Massen und sie suchte die ihn umgebende geheimnisvolle Aura sogar noch stärker hervortreten zu lassen.

Zwei Jahre später tat sie das Gegenteil. Sie filmte die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin und Hitler war bei einem Großteil der Ereignisse zugegen. Sie porträtierte Hitler in dem so entstandenen Film als gewöhnlichen Zuschauer. Sogar einige seiner üblichen Reaktionen fing sie ein. Als einem deutschen Teilnehmer ein siegreicher Hammerwurf gelingt, zeigt sie ein „gut“: Hitler, wie er applaudiert und vor Freude strahlt. Als einer der deutschen Athleten den Stab im Staffellauf fallen lässt, zeigt sie ein „schlecht“: Hitler, wie er sich mit der Hand aufs Knie schlägt und ein paar ärgerliche Worte murmelt. Die einzige Reaktion, die sie nicht zeigt, ist ein „abgebrochen“.95

Aber in Triumph des Willens hatte Riefenstahl eine ehrgeizigere Agenda. Sie wollte die Ehre der deutschen Nation wiederherstellen, indem sie auf den Film antwortete, der vier Jahre zuvor so viele Probleme verursacht hatte: Im Westen nichts Neues. Die Schlusseinstellungen beider Filme verraten die Verbindung: Im Westen nichts Neues endet mit deutschen Soldaten, die stumm auf ihre Gräber zumarschieren, Triumph des Willens mit Nazis, die unaufhaltsam auf die Kamera zumarschieren. Und doch entsprach der amerikanische Film in einer entscheidenden Hinsicht sogar noch genauer Hitlers Argumenten als der deutsche Film. Hitler hatte immer gesagt, das Ziel des gesprochenen Wortes sei es, ein Publikum von Zweiflern in eines von unbeirrbaren Gläubigen zu verwandeln. Und während genau dies in der Eingangsszene von Im Westen nichts Neues geschieht, sind die Menschenmengen in Triumph des Willens bereits bekehrt, bevor der Film gedreht wird. In einer Rede geht Hitler auf die Zweifel der SA ein, aber er wusste von vorherein, dass sie seine Autorität nie in Frage stellen würde.96 Bei einer anderen Rede sieht er seinen Zuhörern zu, wie sie sich von ihren Sitzen erheben, um ihre Unterstützung zu bekunden, aber sie waren alle bereits überzeugte Nazis. Trotz der schieren Extravaganz von Triumph des Willens zeigte der Film die Macht des gesprochenen Wortes nicht wirklich. Wenn er etwas enthüllte, dann vor allem die Grenzen von Hitlers Vorstellungsgabe. Er hätte jeden beliebigen Film machen können, und doch bat er lediglich jemanden darum, seine eigenen Reden aufzuzeichnen.97


„Gut“: Hitler freut sich über den siegreichen Hammerwurf eines deutschen Athleten bei den Berliner Olympischen Spielen von 1936. Standbild aus „Olympia“ (1938) von Leni Riefenstahl.

Aber es gab eine Art von Film, welche dem perfekt entsprach, was Hitler zu Gebote stand: die Wochenschau. Hier bot sich ihm eine Gelegenheit, seine rednerischen Fähigkeiten mit einer Art von Film zu verknüpfen, der von Kunst unbelastet war. In Mein Kampf hatte er davon geträumt, mit der Propaganda betraut zu werden; in den späten 1930er Jahren hatte er diese Chance. Beginnend mit den ersten Zeichen deutscher Aggression (die zu registrieren ihm nicht schwerfiel, waren sie doch seine eigenen) überwachte er persönlich die nationalen Propagandaanstrengungen.98

Seine ersten bekannten Interventionen im Wochenschau-Geschäft fanden im Juni 1938 statt, mitten in den Kriegsvorbereitungen für eine vollständige Zerschlagung der Tschechoslowakei. Eines Abends sah er eine der vom Propagandaministerium geplanten Wochenschauen und reagierte recht heftig darauf. Zunächst erhob er Einwände gegen die Darstellung der regulären Nachrichten: „Ich wünsche nicht, dass bei Veranstaltungen nur Aufnahmen von meiner Person gemacht werden. Die Veranstaltungen müssen in ihren Einzelheiten besser erfasst werden. Die Wochenschau muss über die Entstehung der neuen Bauten, technischer Werke, sportlicher Veranstaltungen mehr bringen. Der Bau der neuen Kongresshalle in Nürnberg ist z.B. noch nicht einmal erschienen.“ Dann wandte er sich der Situation in der Tschechoslowakei zu: „Die Wochenschau muss politisch witziger gestaltet werden, so z.B. jetzt Aufnahmen über die nervösen Vorbereitungen der Tschechoslowaken bringen. Zum Schluss muss dann eine Grossaufnahme des deutschen Soldaten zu sehen sein. Es darf keine Woche vergehen, in der nicht Aufnahmen der Marine, des Heeres und der Luftwaffe erscheinen. Die Jugend ist in erster Linie an solchen Dingen interessiert.“99

Hitler hatte einige unverrückbare Vorstellungen davon, wie er seine Wochenschauen gemacht haben wollte. Abgesehen von seinen Regeln in Bezug auf den Inhalt (weniger Bilder seiner Person, mehr Bilder der Armee), glaubte er, dass die verschiedenen Einstellungen effektiver, fesselnder angeordnet werden mussten. Und aus jahrelanger Erfahrung im Halten von Reden wusste er genau, was zu tun war. Ebenso wie er seine Reden immer zu einem zwingenden Abschluss brachte, legte er großen Wert darauf, dass seine Wochenschauen mit einem machtvollen Ausklang endeten. Ihm war auch bewusst, dass, während der Trick bei der Redekunst in Tonfall und Gestik bestand, er hier in der Aufbereitung lag. Er empfahl daher, dass diese Wochenschau mit der Furcht des Feindes beginnen und dann ein Schnitt hin zu einem monolithischen Bild deutscher Stärke erfolgen sollte.

Hitler überwachte die Propagandabemühungen weiter, als die tatsächlichen Feindseligkeiten ausbrachen. Zumindest während des ersten Kriegsjahres nahm er an Wochenschauen Änderungen vor, bevor sie in Umlauf kamen. Seine Fähigkeiten als Redner kamen ihm hier besonders zupass, denn er editierte die Kommentare, welche die Bilder begleiteten. Aber seine Änderungen waren kaum einmal überraschend. Nach wie vor korrigierte er die Tendenz des Propagandaministeriums zur Prahlerei, die sich geltend machte, sobald er auf dem Bildschirm erschien. Er nahm einen Stift und tilgte alle Bezugnahmen auf sein militärisches Genie, so dass nur noch die allerknappsten Feststellungen verblieben, etwa: „Der Führer mit seinen Generälen im Hauptquartier“. Er las den nächsten Satz: „Links neben dem Führer Generalmajor Jodl, rechts Generaloberst von Brauchitsch.“ Er bemerkte, dass es einen Fehler gab, und änderte die Reihenfolge.100

Manchmal tendierte das Propagandaministerium für seinen Geschmack auch übermäßig dazu, zu viele Details, oder aber die falsche Art von Details, über Armeemanöver preiszugeben. Eine Wochenschau über die Invasion von Narvik etwa zeigte unausgebildete deutsche Fallschirmjäger bei ihrem Triumph über stark konzentrierte britische Streitkräfte. Er stellte sicher, dass der Satz über diese Untrainiertheit verschwand.101 Indem er alles herausschnitt, was geeignet schien, die Schlussfolgerung von einem unausweichlichen deutschen Sieg zu unterminieren, gelang es ihm immer wieder, die Wirkung zu maximieren. Und wie üblich kamen seine wichtigsten editorischen Eingriffe am Ende. Eine Wochenschau über den Sieg über Frankreich ließ er mit Aufnahmen der deutschen Armee in Paris enden und strich die Zeilen über künftige Kämpfe.102 In einer Wochenschau über eine englische Niederlage bei Trondheim löschte er die Zeile „Der Generalangriff auf England steht unmittelbar bevor“ und schloss schlicht mit dem Sieg.103

Nur selten verstieß Hitler gegen seine üblichen Regeln. Eine Wochenschau über den erfolgreichen Durchmarsch der deutschen Armee durch Belgien beispielsweise enthielt ein kurzes Segment, in dem es um Kriegsgefangene geht. Der Sprecher nennt zuerst die Namen der auf der Leinwand zu sehenden gefangengenommenen Generäle. Dann kommen die gewöhnlichen Gefangenen: „Belgier, Franzosen, Neger, Inder, Weisse, Schwarze, Braune und Gelbe … ein buntes Durcheinander“. Schließlich macht sich der Erzähler in einer Rede, die wahrscheinlich ganz nach Hitlers Geschmack war, über Frankreichs Schutzversprechen lustig: „Belgier – die französische Armee kommt Euch zu Hilfe!“ All dies verblieb so in der endgültigen Version, aber Hitler fügte einen neuen Schluss hinzu: „Diese Horden sollten wieder, wie 1918 am Rhein, dieses Mal in ganz Deutschland im Namen westlicher Kultur und Zivilisation auf das deutsche Volk losgelassen werden.“104

Und so ging in gewisser Weise Hitlers Traum davon, die nationalen Propagandaanstrengungen zu überwachen, in Erfüllung. Er editierte deutsche Wochenschauen und ging dabei methodisch und sogar fachkundig vor. Zweifelsohne war er sehr stolz auf diesen Teil seines Beitrags zum Filmkrieg. Sein ganz großer Sieg jedoch sollte auf der anderen Seite des Erdballs stattfinden.

Der Pakt

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