Читать книгу Transform your Workforce! - Benedikt von Kettler - Страница 8
ОглавлениеDieses Buch in der Hand haltend, dürfte sich der eine oder die andere fragen, ob der Titel nicht einer gewissen marktschreierischen Übertreibung geschuldet ist. »Transform Your Workforce. Das Geheimnis wandlungsfähiger Unternehmen.« Ja, das hört sich tatsächlich einigermaßen alarmistisch an, entspricht aber genau den tiefgreifenden Umwälzungen, mit denen sich die – nicht nur deutsche – Wirtschaft schon seit längerem konfrontiert sieht. In meiner Beraterpraxis erlebe ich immer wieder, wie Unternehmensmanager und ihre Mitarbeiter zwar durchaus sehen und erleben, wie sich neue technologische Entwicklungen in ungeheurem Tempo Bahn brechen und unser aller Leben, Arbeiten und Konsumverhalten nachhaltig beeinflussen und verändern. Aber dass ebendiese Entwicklungen – Digitalisierung, Automatisierung, Roboterisierung, künstliche Intelligenz – ihre traditionsreichen Geschäftsmodelle, ihre angestammten, langjährigen Arbeitsverhältnisse mit voller Wucht über den Haufen werfen können, das ist vielen noch durchaus nicht voll bewusst. Bisher ist ja alles ganz gut gelaufen, hat ja noch Zeit mit den früher oder später unvermeidbaren Veränderungsprozessen, kommt alles noch früh genug. So beruhigt man sich vielerorts erst einmal selbst, um herbe, einschneidende, manchmal auch schmerzhafte Anpassungsschritte noch etwas vor sich herzuschieben. Bis es dann zu spät ist – und es kann nicht erst morgen, sondern schon heute zu spät sein für den Weiterbestand Ihres Unternehmens in der Zukunft. Andererseits sehe ich auch viele Firmen, die sich zukunftsweisenden Digitalisierungsstrategien verschrieben haben, aber diese Strategie nicht zu Ende denken. Das berührt nun mein ureigenstes Tätigkeitsfeld, die strategische Personalplanung. Keine Digitalisierungsstrategie, keine Transformation ohne entsprechende vorausschauende Workforce Transformation! Wer seine Geschäftsprozesse an die neuen technologischen Möglichkeiten anpassen will, der muss auch wissen, welches Personal mit ganz anderen und im Unternehmen zum Teil noch gar nicht vorhandenen Qualifikationen er dazu braucht.
Verstehen Sie dieses Buch also als eine Art Weckruf, um Ihnen die Radikalität und Relevanz der gegenwärtigen Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft vor Augen zu führen. Das, was passiert, erscheint vielen noch als eher virtuelles, abstraktes Geschehen, noch weit weg vom aktuell von jedem Einzelnen zu meisternden Alltag. Aber wir alle befinden uns schon längst mittendrin in diesen Disruptionsprozesse und der Wandel betrifft uns bis auf wenige Ausnahmen auch alle. Und auch wenn einige Unternehmen die Brisanz erkannt haben: Zwischen Erkennen und Handeln liegt der alles entscheidende Unterschied.
Die Einschläge kommen näher
Unübersehbar ist, dass die deutsche Industrie mitten in einem tiefgreifenden Strukturwandel steckt, und die für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Einschläge kommen fast schon täglich näher. Nur ein paar Beispiele aus 2019, als die Corona-Pandemie noch nicht die globale Wirtschaft in weiten Teilen zusätzlich hat einbrechen lassen: Continental plant, 20 000 Stellen zu streichen, die Deutsche Bank rund 18 000, auch bei Siemens sollen mehr als 10 000 Stellen wegfallen, ThyssenKrupp, Schaeffler, BASF und viele weitere Unternehmen werden Jobs reduzieren. Sind das die altbekannten Rasenmäher-Methoden beim Stellenabbau, diesmal dem Handelskrieg, schwächerem Wachstum in Schwellenländern oder der Digitalisierung geschuldet, oder handelt es sich um wirklich durchdachte, weitsichtige Personalstrategien? Und wie gestalten und steuern wir den Strukturwandel überhaupt?
Denn gleichzeitig entstehen in den meisten Unternehmen neue Jobs. Allerdings mit völlig anderen Qualifikationsanforderungen. Dieser Skillshift wird Millionen Menschen in Deutschland betreffen und gleichzeitig in vielen Fällen ein Skill-Mismatch sein. Jede vierte Frau und jeder dritte Mann muss bis 2030 in neue Berufsfelder eingearbeitet werden oder sich weiterbilden, wie eine Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft aus dem Jahre 2018 es voraussieht. Zudem ergänzt Technologie menschliche Arbeit oder ersetzt sie in immer mehr Bereichen sogar komplett. Neun Millionen bestehender Jobs können bis 2030 aufgrund von Automatisierung wegfallen, gleichzeitig bis zu zehn Millionen Jobs aufgrund des technologischen Fortschritts, des damit einhergehenden Wachstums und demografischer Faktoren neu entstehen, wie das McKinsey Global Institute prognostiziert. Es ist nicht nur eine der größten Veränderungen industrieller Wertschöpfung, sondern auch die größte und schnellste Veränderung der Arbeitswelt. Wie gehen Unternehmen damit um? Stehen wir vor Massenentlassungen, oder sind Personalstrukturen am Ende adaptiver, als wir glauben? Wie analysieren Unternehmen, welche Veränderungen sie wann treffen? Und mit welchen Maßnahmen? Darauf soll das Buch Antworten aus der Praxis liefern.
Es irrt der Mensch, solang er wirtschaftet
Bevor wir richtig einsteigen, vielleicht noch einige Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte für diejenigen, die möglicherweise meinen, dieser ganze Hype um Digitalisierung und ihre Begleiterscheinungen sei ja nun doch noch nicht so richtig ernst zu nehmen, es handele sich möglicherweise nur um einen vorübergehenden Trend oder das Ganze ließe sich ganz einfach aufhalten oder stoppen. Technologie- und Innovationsfeindlichkeit durchzieht ja die gesamte Wirtschaftsgeschichte.
Hier nur ein prominentes Beispiel aus dem 16. Jahrhundert: Der Legende nach verweigerte damals Königin Elisabeth I. dem britischen Erfinder William Lee das Patent für eine automatische Strickvorrichtung: »Ich habe zu viel Achtung vor den armen Frauen, die ihr tägliches Brot durch Stricken verdienen, um eine Erfindung voranzutreiben, die sie ihrer Beschäftigung berauben und in die Armut treiben würde.«
Oder der deutsche Kaiser Wilhelm II. anno 1904. In einem Mercedes Simplex sitzend, sagte er: »Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd.« Und Gottlieb Daimler 1901: »Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – alleine schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.« Harry M. Warner, Chef von Warner Brothers, 1927 zum Tonfilm: »Wer zum Teufel, will denn Schauspieler sprechen hören?« Darryl F. Zanuck, Chef der Filmgesellschaft 20th Century-Fox, konstatierte noch 1946: »Der Fernseher wird sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Die Menschen werden sehr bald müde sein, jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu starren.« Ebenso kurzsichtig ausgerechnet Thomas Watson, CEO von IBM anno 1943: »Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.« »Das Internet wird wie eine spektakuläre Supernova im Jahr 1996 in einem katastrophalen Kollaps untergehen.« Diese ganz offensichtlich falsche Vorhersage stammt ausgerechnet von Robert Metcalfe, dem Gründer von 3Com und Erfinder der Ethernet-Verbindung, die heute der Standard für kabelbasierte Netzwerke ist.
Und noch ein letztes, sehr schönes Zitat von Charles H. Duell, Bevollmächtigter des amerikanischen Patentamts, der 1899 zu Protokoll gab: »Alles, was erfunden werden kann, ist bereits erfunden.«
Es irrt der Mensch offensichtlich, solang er lebt und wirtschaftet. Lassen Sie mich also daraufhin zunächst die beiden Kernbegriffe des Titels – »Transform« und »Workforce« – und die hinter ihnen stehenden Zusammenhänge sowie die daraus resultierenden notwendigen Anpassungen genauer beleuchten.
Transform
Das Tempo, mit dem sich Unternehmen transformieren, ist atemberaubend. Disruptionen dieses Ausmaßes und in dieser Geschwindigkeit gab es niemals zuvor. Um das zu erkennen, brauchte es nicht erst eine Corona-Pandemie, aber durch diese globale Covid-19-Krise erleben wir hautnah, wie disruptive Prozesse verlaufen. Fast über Nacht war möglich geworden, was davor unmöglich schien oder als Option aus verschiedensten Gründen verworfen wurde: Massenhaftes Arbeiten aus dem Homeoffice und nicht in gewohnter Präsenz am Firmenarbeitsplatz; konzentrierte Meetings per Video und nicht in Konferenzräumen, zu denen es erst einmal zeitaufwendig reisen hieß. Weite Wirtschaftszweige ließen und lassen sich inzwischen virtuell, also digital steuern.
Aber nicht nur ein heimtückisches Virus, eine Vielzahl neuer Technologien sorgt für die größte Transformation in 150 Jahren Wirtschaftsgeschichte, durch die sich Unternehmen so stark verändern wie nie zuvor. Manche Leser könnten an dieser Stelle einwenden: Na und? Transformationen der Wirtschaft hat es seit Anbeginn gegeben – von der Mechanisierung des Handwerks im 18. Jahrhundert über die Dampfmaschine, die Elektrifizierung und die Fließband-Massenfertigung bis zur Automatisierung und zur Datenverarbeitung mittels Computer zur sogenannten Industrie 4.0.
Hochgeschwindigkeitsdisruption
Das ist natürlich richtig. Aber: Bis solche Basistechnologien nach ihrer Erfindung ganze Wirtschaftszweige verändert hatten, dauerte es früher einige Jahrzehnte. Heute haben wir es mit einer so rasanten wie exponentiellen Entwicklung zu tun, zumal eine ganze Reihe solcher technischen Entwicklungen derzeit parallel verlaufen und so viele Branchen gleichzeitig betreffen. Die Begriffe, die sich um diese Hochgeschwindigkeitsdisruptionen ranken, sind weithin bekannt: künstliche Intelligenz, 3-D-Druck, Big Data und Cloud Computing, Internet der Dinge, roboterisierte Prozessautomatisation zum Beispiel. Jeder kann jeden Tag lesen, dass sich etwa die Automobilindustrie rund eineinhalb Jahrhunderte nach der Erfindung dieses von Verbrennermotoren angetriebenen Vehikels radikal neu erfinden muss in Richtung Elektroantriebe, selbstfahrender Autos und hin zu neuen Mobilitätskonzepten wie Carsharing jenseits des persönlichen Besitzes eines Pkw. Und Volkmar Denner, seit 2012 Vorstandschef des traditionell weltgrößten Automobilzulieferers Bosch, beschleunigt seither den Umbau des Konzerns in Richtung Softwareentwicklung und künstliche Intelligenz. Statt wie bisher und jahrzehntelang führend bei Dieseleinspritzpumpen will Bosch führend bei der vernetzten, intelligenten, softwaregetriebenen Automobilität werden. Ein gewaltiger Schritt auch für das schwäbische Stiftungsunternehmen mit fast 400 000 Mitarbeitern.
Wichtig ist zu verstehen, dass diese Technologiedurchbrüche keine einfachen »Add-ons« bestehender Produkte sind, sondern neue Branchen entstehen lassen und gleichzeitig etablierte Branchen wegfegen. Und dass Deutschland bisher in keiner dieser Technologien führend ist.
Schlüsselindustrien im digitalen Sturm
Nicht nur Deutschlands Vorzeigebranche Automobil ist betroffen, über sämtliche Schlüsselindustrien fegt der digitale Sturm hinweg. Seit zehn Jahren müssen sich die ehemals mächtigen Energiekonzerne auf neue Geschäftsmodelle hin zu dezentraler Versorgung mit erneuerbaren Energien umorientieren oder sich auch mit neuen Geschäften vom digital vernetzten »Smart Home« bis zu Ladesäulen für Elektroautos befassen.
Einzel- und Großhandel müssen sich mit den rasanten Wachstumsraten der E-Commerce-Unternehmen wie Amazon und ihren eigenen Gegenstrategien auseinandersetzen, Banken und Versicherungen brauchen zunehmend weniger Filialen oder Vertriebsleute, weil viele dieser Geschäfte längst online erledigt werden können. Gar nicht zu reden davon, dass Bank- und Versicherungsleistungen inzwischen auch erfolgreich von Start-ups angeboten werden und den alten Traditionshäusern Marktanteile abspenstig machen. Die Liste betroffener Branchen ließe sich beliebig fortsetzen. Kurz: Alte und traditionsreiche Industrien werden disruptiert und verändern sich grundlegend beziehungsweise müssen sich grundlegend verändern, wollen sie auch in Zukunft bestehen. Aber noch längst nicht alle haben den Schuss bereits gehört.
Wohin die Reise schon seit längerem geht, wird signifikant deutlich an der Liste der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt. 2008 befand sich nur ein einziges Softwareunternehmen, nämlich Microsoft, darunter; unter den restlichen neun firmierten altbekannte Unternehmen wie Exxon, Shell, Walmart oder Pfizer. 2020 hingegen, nur zwölf Jahre später, standen auf der Top-Ten-Liste nur noch drei Traditionalisten: Saudi Aramco, Johnson & Johnson und Berkshire Hathaway. Die übrigen sieben? Die sozusagen inzwischen »üblichen Verdächtigen«: Apple, Facebook, Amazon, Alphabet alias Google, Alibaba, Tencent und nach wie vor Microsoft.
Wenn wir den Blick nur auf die 30 im Deutschen Aktienindex gelisteten Unternehmen verengen, so befindet sich inzwischen mehr als die Hälfte davon in radikaler Neuorientierung, quer über die Branchen Energie, Banken und Versicherungen, Automobil und andere Industrien hinweg. Die Veränderungsintensität ist immens und der Überlebenskampf für manche hart – auch ohne die noch gar nicht eingepreiste Corona-Pandemie, die zum Beispiel den ehemaligen DAX-Wert Lufthansa zu Boden geworfen und inzwischen aus dem Index katapultiert hat.
Die Veränderungsdynamik hat, wie gesagt, sämtliche Schlüsselindustrien erfasst. Um noch einmal kurz auf das Beispiel Automobilindustrie zurückzukommen: Sie befindet sich seit der Erfindung des Carl Benz anno 1886 und als jahrzehntelange Leitindustrie der deutschen Wirtschaft im größten Umbruch ihrer Geschichte. Neue Spielregeln und neue Wettbewerber wie etwa Tesla oder Google verlangen ganz neue Geschäftsstrategien. Wie sehr, das verdeutlicht unter anderem eine Studie von Volkswagen zusammen mit dem Softwareunternehmen Microsoft aus dem Jahre 2019.
Danach werden bis 2030
—100 Prozent aller neuen Autos vernetzt fahren, heute sind es 25 Prozent,
—15 Prozent aller neuen Autos voll autonom fahren,
—30 Prozent aller global gefahrenen Kilometer über Mobilitätsangebote ohne eigenen Autobesitz gefahren.
—Bis 2025 werden 25 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch angetrieben sein, in China und in Indien dann sogar 100 Prozent (was fast nicht zu glauben ist).
Nicht von ungefähr äußert die BMW-Aufsichtsrätin Simone Menne in diesem Buch (Seite 111) sehr deutlich: »Ich würde sagen, dass sich ein Autohersteller wie BMW mehr in Richtung Software bewegen müsste, in Richtung KI und Technologie, anstatt Fahrer durch die Welt zu schicken.« Und nicht von ungefähr investiert Volkswagen 73 Milliarden Euro in neue Antriebsformen und softwaregesteuerte Betriebssysteme.
Und Stand August 2020 ist die Marktkapitalisierung von Tesla höher als die aller Autohersteller in Europa und Amerika sowie eine Reihe von japanischen Produzenten zusammen. Dazu zählen unsere deutschen Top drei: VW, Daimler, BMW, aber auch Ford, GM, Fiat Chrysler, Honda, Suzuki, Peugeot, Renault und noch mehrere andere Produzenten.
Beispiel Banken und Versicherungen. »Banking is necessary. Banks are not.« Dieses Zitat von Bill Gates aus dem Jahr 1994 wird immer mehr zur Realität – zumindest was das Geschäft mit privaten Kunden angeht. Was heute unter den Begriffen »Roboadvisor« oder »Fintech« bekannt ist, wird spätestens dann zur existenziellen Bedrohung, wenn große Player wie Google, Apple oder Amazon digitale Bankingangebote an den Markt bringen. Die bisherige Reaktion mit Personalabbau, Filialschließungen und Standardisierung des Angebots wird vermutlich nicht mehr ausreichen. Die ING kooperiert bereits mit dem Roboadvisor Scalable aus München. Und auch wenn N26 oder Revolut noch vergleichsweise klein wirken, zeigen sie zumindest beeindruckende Wachstumsraten. Auch die Versicherungen stehen vor einer ziemlichen Evolution, um es milde auszudrücken: Vergleichsportale und damit deutlich höhere Markttransparenz haben den Kampf um den Kunden verändert. Kollege KI ersetzt auch hier immer mehr Tätigkeiten von der Schadensabschätzung bis zur Zahlungsauslösung. Neue Wettbewerber kämpfen zwar mit hohen Markteintrittsbarrieren, dennoch: Amazon zeigt in den USA Ambitionen zum Aufbau einer Krankenversicherung und investiert in Indien in einen Onlineversicherer. Und auch die Kooperationsbereitschaft wächst, wie das Beispiel von Axa mit Uber und Alibaba zeigt. Im Fazit sind es auch hier wieder die Themen Workforce und Talente, die essenziell für das Gelingen der Transformation sein werden. Wer jetzt nicht konsequent Substituierbarkeitspotenziale hebt, eine wirklich disruptive Talentgruppe aufbaut und sich Digitalisierungs- und IT-Experten weltweit sichert, wird diese Transformation voraussichtlich nicht bewältigen.
Beispiel Energieversorgung. Welche immensen Veränderungsschritte der Branche seit der Energiewende ins Haus standen und weiter stehen, verdeutlichen Vorstandschef Frank Mastiaux und die personalverantwortliche Vorstandsfrau Colette Rückert-Hennen in diesem Buch für das baden-württembergische Energieunternehmen EnBW. Neben dem massiven Ausbau in erneuerbare Energien und die Marktführerschaft bei Schnellladesäulen hat sich das Karlsruher Unternehmen als dritte Wachstumssäule für neue Geschäftsmodelle das Geschäftsfeld urbane Infrastruktur auf die Zukunftsagenda gesetzt, das Themen wie Sicherheit auf öffentlichen Plätzen, Cybersecurity oder nachhaltige Quartiersentwicklung umfasst. Dabei geht es vorzugsweise um die Frage, solche für das moderne urbane Zusammenleben unverzichtbaren Systeme bestmöglich zu managen und anzuwenden – von der Energieversorgung über Mobilitätssteuerung bis zur Straßenbeleuchtung, wo die unterschiedlichen Infrastrukturen jeweils optimal ineinandergreifen müssen. Es waren Riesenschritte, die Energieversorger wie auch EnBW zu unternehmen hatten, seit sie es nicht mehr wie viele Jahrzehnte lang mit einem sehr übersichtlichen und recht einfachen Geschäftsmodell zu tun hatten, nämlich Strom mit Kernkraft und Kohle erzeugen und ihn zentral an die Kunden zu liefern.
Beispiel Telekommunikation. Weltweit herrscht in der Telekommunikationsbranche schon seit vielen Jahren ein enormer Digitalisierungsschub, der im Zuge der Corona-Krise noch einmal an Dynamik zugenommen hat. Die Nutzer erwarten problemlosen Internetzugang überall, haben erhöhte Anforderungen an Übertragungsgeschwindigkeiten, entfalten größeren Datenhunger sowohl im Festnetz als auch auf den mobilen Geräten. Und das alles getriggert durch intensivere Nutzung vorhandener Anwendungen und Erwartungen an leistungsfähige Infrastruktur wie etwa 5G-Netze oder Glasfaserkabel. Dazu kommt ein zunehmend stärkeres Bedürfnis nach Sicherheit der Daten und der Netze, da auch die Gefährdung durch Cyberangriffe auf Daten und Netze gestiegen ist und weiter steigen wird. Das heißt für die Unternehmen: besseres Kundenverständnis, Bereitstellen optimaler Netze, Einschlagen nachhaltiger Wachstumspfade, Kostenführerschaft, ohne dabei ihren Status als High-Performance-Organisation zu gefährden. Oder, wie es Birgit Bohle, Personalvorständin der deutschen Telekom in diesem Buch sagt (Seite 73): »Kein Kunde bezahlt für ineffiziente Prozesse. Wir sind darauf angewiesen, ständig effizienter und schlanker zu werden, auch durch Digitalisieren und Automatisieren. Unser Anspruch lautet: Wir wollen ›The Leading European Telco‹ sein. Das erfordert unternehmensintern sowohl eine konsequente Humanzentrierung wie auch eine Führungsrolle bei der Digitalisierung des eigenen Geschäftsmodells.«
Beispiel Logistik. Mit den enormen Wachstumsgeschwindigkeiten des Onlinehandels wachsen ebenso die Anforderungen an Logistikunternehmen wie die Deutsche Post DHL oder an Speditionen, die den Gütertransport zu den Auslieferungslagern bewerkstelligen. Die Deutsche Post DHL etwa hat sich in den vergangenen 30 Jahren geräuschlos und erfolgreich von einer nationalen Behörde zu einem Weltkonzern gewandelt. Aber auch bei der Post mit ihren heute 550 000 Mitarbeitern schreitet die Automatisierung inzwischen weiter voran. So sagt Thomas Ogilvie, Personalvorstand des Unternehmens: »In unserem Konzern gibt es über 1000 verschiedene Jobprofile. Bis 2030 gehen wir davon aus, dass 30 bis 35 Prozent aller Tätigkeiten automatisiert werden können. Wir glauben trotzdem fest daran, dass auch in 30 Jahren der überwiegende Teil unserer Wertschöpfung durch Menschen erbracht werden wird. Es wird Tätigkeiten geben, die sich nicht nur graduell, sondern signifikant verändern werden. Wir haben angefangen, die Jobs, bei denen wir die größten Veränderungen erwarten, auf die heute und morgen benötigten Skills zu analysieren, um so langfristig Personalentwicklung betreiben zu können. Es geht nicht darum, dass jeder ein IT-Spezialist wird, sondern es geht darum, offen für Veränderungen und neugierig aufs Lernen zu sein. Wir glauben daher nicht, dass es Digitalisierungsopfer geben wird. Die Technologisierung ist vielmehr eine große Chance für eine Entlastung bei der Arbeit und für höhere Produktivität.« Und diese Technologisierung begann bei der Post schon bei den Briefsortiermaschienen, die vor 20 Jahren Einzug hielten, und endet wohl auch noch nicht bei Drohnen, die in Kürze Zustelldienste übernehmen könnten.
Wie auch unsere anderen Gesprächspartner in diesem Buch bestätigen werden – Deutsche Telekom, Merck, EnBW, Bertelsmann und Aufsichtsrätin Simone Menne –, ergeben sich durch die digitalen Technologien enorme Potenziale für die Entlastung der herkömmlichen, eher mühseligen menschlichen Arbeitskraft (wie im Übrigen bei Einführung jeder neuen Basistechnologie in der Wirtschaftsgeschichte), aber es gibt auch enorme Herausforderungen, ebendiese Menschen für neue Tätigkeitsprofile zu begeistern, sie mitzunehmen, umzuqualifizieren und obendrein neue, bisher noch nicht im Unternehmen vorhandene Arbeitskräfte mit speziellen Qualifikationen beizeiten zu rekrutieren.
Wir haben viel über Technologie als wichtigsten Treiber der Transformation gesprochen. Das ist richtig. Aber er wird begleitet von
—völlig neuen Geschäftsmodellen – Abomodelle (Netflix), Pay per Use (Carsharing), Peer to Peer (Umgehen eines Zwischenhändlers) usw.
—der Disruption von Märkten – die Beispiele kennen wir alle. YouTube und Netflix gegen lineares Fernsehen, Airbnb gegen Hilton, Amazon gegen den Einzelhandel. Clayton Christensen, Autor des Bestsellers The Innovators Dilemma, fasst es so zusammen: »Disruptoren sind nicht einfach nur Wettbewerber. Sie betreten nicht einen bestehenden Markt. Sie erzeugen einen neuen und beherrschen diesen, weil sie ihn erfunden haben.«
—den Plattformen – Alibaba, Amazon, Delivery Hero, Facebook, LinkedIn, Skype, Spotify, Uber usw. Viele der marktführenden Unternehmen haben kaum bis keine Investitionskosten. Das kennen wir in Deutschland fast überhaupt nicht. Unser Modell funktioniert in der Regel getreu dem Motto: Hohe Investitionskosten, geringe Gewinnmargen. Plattformen funktionieren genau andersherum. Und in der Regel bilden sie – zumindest regionale – Monopole. Oder kennen Sie die nächstplatzierten Wettbewerber der oben genannten? Andersherum fragen Sie sich, ob Sie die Wettbewerber von EnBW kennen? Oder von BMW? Oder von Edeka?
Workforce
Wie bereits schon mehrfach betont, auch die ausgeklügeltsten unternehmerischen Transformationsstrategien können nur dann realisiert werden und Früchte tragen, wenn sich der Blick ebenso konsequent und zielgerichtet – und rechtzeitig! – auf die Mitarbeiter*innen des Unternehmens richtet. Wie auch EnBW-Chef Frank Mastiaux für sein Unternehmen festgestellt hat: »Die beste Strategie nützt gar nichts, wenn Sie nicht die Leute haben, die diese Strategie auch umsetzen können.« Und das angesichts der Tatsache, dass es mit den begehrten Talenten nicht mehr wie ehedem zum Allerbesten steht, als noch Kohorten von gut ausgebildeten Jungen der Babyboomer-Generation den Personalverantwortlichen der Unternehmen sozusagen die Türen einrannten. Heute hingegen ist vieles sehr anders geworden. Mastiaux darf sich da mit dem mehr als unerschrockenen und risikobereiten Unternehmer Elon Musk in bester Gesellschaft wähnen: »Biggest concern? To get enough humans.«
Aber nicht nur Elon Musk steht vor einem Problem, Millionen seiner Mitunternehmer weltweit sehen sich ebenfalls mit der Frage konfrontiert: Woher die Talente nehmen, wenn es schon aus demografischen Gründen immer weniger davon gibt? Bereits im Jahr 2035 werden 20 Prozent der Weltbevölkerung 65 Jahre alt und älter sein, womit sich der Anteil der Alten gegenüber heute dann verdoppelt hätte. Und die Jungen werden weniger.
Je gefragter die High Potentials dieser Welt sind, desto anspruchsvoller können sie sein und sind es auch bereits heute. Irgendwelche Strategien der Unternehmen, die um sie buhlen, interessieren sie nur halb so viel, wichtig ist ihnen dafür deren Werteorientierung und die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit für das Unternehmen. »Culture eats strategy for breakfast«, sagte schon der namhafte Managementvordenker Peter F. Drucker und meinte damit, dass, wenn die Kultur eines Unternehmens der Strategie im Weg steht, die Umsetzung schwer bis unmöglich wird.
Dazu kommt sehr wahrscheinlich ein bevorstehender massiver Skill-Mismatch: 60 Prozent der Kompetenzen, die wir in den nächsten zehn Jahren brauchen werden, gibt es heute noch gar nicht. Das behaupten jedenfalls der schwedische Ökonom Carl Benedikt Frey und der Informatiker Michael Osborne in ihrer 72-seitigen Studie »The Future of Employment« aus dem Jahr 2013, die weltweit Beachtung fand.
Schließlich will ich auch die Themen Ressourcenknappheit, Nachhaltigkeit und Klimawandel in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Diese Themen berühren ja nicht nur die Einstellungen und die gestiegenen Anforderungen junger Talente an die Wertorientierung ihrer Arbeitgeber, sondern unmittelbar auch Produktgestaltung und Konsumverhalten, ob es nun Autos, Reisen, Fliegen oder die Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit von Produkten betrifft. Auch darauf müssen sich Unternehmen zunehmend einstellen.
In Deutschland haben wir es mit zwei wesentlichen Entwicklungen zu tun: Es gehen massiv Jobs verloren: Das Institut für Berufs- und Arbeitsmarktforschung errechnet schon 2018 ein theoretisches Substituierbarkeitspotenzial von rund 39 Prozent für die deutsche Wirtschaft. Das heißt, dass weit mehr als ein Drittel aller Tätigkeiten schon heute von Technologie übernommen werden kann. Schon zu Beginn hatten wir beeindruckende Zahlen vermerkt: In Deutschland könnten neun Millionen bestehender Jobs bis 2030 aufgrund von Automatisierung wegfallen. Gleichzeitig könnten im gleichen Zeitraum rund zehn Millionen neue Jobs entstehen, von denen wir heute vielfach noch nicht einmal wissen, dass es sie dereinst geben wird.
Zudem ergänzt Technologie menschliche Arbeit oder ersetzt sie in immer mehr Bereichen sogar komplett.
Ein paar praktische Beispiele: Wenn zum Beispiel der Autohersteller BMW Elektroautos bauen will, braucht das Unternehmen Ingenieure, die etwas von Batterietechnik verstehen und das Betriebssystem eines Elektroautos entwickeln können. Aber es braucht sicher signifikant weniger Ingenieure, die wie bisher ausschließlich Verbrennermotoren immer weiter optimieren.
Wenn eine Versicherung die Schadensbearbeitung oder Versicherungsrisiken künftig durch Algorithmen erledigen lässt, braucht es Menschen, die nicht mehr die eigentliche Bewertung oder Bearbeitung erledigen, sondern die dafür Algorithmen bauen und weiterentwickeln und die nur noch die wenigen komplexen Fälle persönlich bearbeiten.
Weitere konkrete Beispiele gibt es unzählige. So nutzte zum Beispiel der Zahlungsabwickler PayPal zuletzt im Kundenservice bei mehr als der Hälfte der Anfragen Chatbots. Bei YouTube übernimmt Software zunehmend die Kontrolle der Inhalte auf ihre Unbedenklichkeit. Die US-Supermarktkette Walmart lässt Roboter die Böden putzen, und die Burger-Kette McDonald’s testet Maschinen, die kochen und kellnern können.
»The next big thing is education«
Das Weltwirtschaftsforum WEF prognostiziert mit Bezug auf eine OECD-Studie eine »global reskilling revolution« und geht davon aus, dass bis 2030 eine Milliarde Menschen umqualifiziert werden müssen, um am Arbeitsmarkt noch zu bestehen. Das entspricht fast einem Drittel aller weltweit existierenden Jobs. Bis 2022 sollen sich gar 42 Prozent der Kompetenzen in bestehenden Jobs verändern. Und auch das WEF gelangt ergänzend zu dem Ergebnis, dass auch die künftigen Jobs von 65 Prozent aller heutigen Schulkinder erst entstehen werden.
Aber es werden nicht nur »Hightech-Qualifikationen« sein, die künftig gebraucht werden, sondern insbesondere auch überfachliche Qualifikationen. Keine reine Vermittlung von Wissen mit immer kürzerer Halbwertszeit, sondern die Fähigkeit zu Kooperation, Kreativität und Problemlösung stehen daher im Mittelpunkt von Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Auch das sah Management-Papst Peter F. Drucker schon vor vielen Jahren weitsichtig voraus: »The only skill that will be important in the 21st century is the skill of learning new skills. Everything else will become obsolete over time.« Ebenso war Apple-Gründer Steve Jobs davon überzeugt: »The next big thing is education.«
Ein Motto, das sich inzwischen viele Unternehmen zu eigen gemacht haben. So hat etwa der Autozulieferer Continental mit dem CITT (Continental Institute of Technology and Transformation) eine Institution geschaffen, um Experten für Verbrennungsmotoren zu Elektroingenieuren umzuqualifizieren.
Volkswagen gründete die »Fakultät 73«, wo inzwischen im zweiten Jahrgang VW-Mitarbeiter zu Softwareentwicklern ausgebildet werden.
AT&T, global größter Telcokonzern, investiert eine Milliarde Dollar ins Reskilling von 100 000 Mitarbeitern.
Der Staat Singapur investiert eine Milliarde US-Dollar jährlich ins »mid-career learning.«
Und was die Substituierbarkeit herkömmlicher Tätigkeiten anbetrifft, so haben die neuen Technologien das Potenzial, Unternehmensprozesse vollständig zu verändern. Viele Aufgaben, die Mitarbeiter heute noch tagein, tagaus erledigen, können in Zukunft vermehrt automatisiert werden. Tim Höttges, CEO der Deutschen Telekom hat 2016 der Wochenzeitung Die Zeit gesagt: »Die klassischen physischen Arbeiten werden auf lange Sicht komplett durch Maschinen erledigt werden, davon bin ich zutiefst überzeugt.«
Ein Branchenüberblick, auf Basis der Daten des IAB, zeigt, was in Deutschland möglich ist. Aus technologischer Sicht. Ob es wirtschaftlich und ethisch sinnvoll ist, muss jedes Unternehmen für sich genau prüfen. Das Potenzial erscheint immens.
Ein interessantes Einzelbeispiel nennt Merck-CHRO Dietmar Eidens in diesem Buch (siehe Seite 57): Eine künstliche Intelligenz namens Elenoide. Sie wurde im Sommer 2019 von Merck am Standort Darmstadt eingesetzt, um Mitarbeiter in einer alltagsnahen Arbeitssituation mit dem digitalen Fortschritt vertraut zu machen, speziell mit der KI-Technologie. In der ersten Phase hat Elenoide, diese künstliche Intelligenz mit menschenähnlichem Aussehen und Verhalten, in der Interaktion mit 300 Merck-Mitarbeitern ihr Können – und ihre Grenzen – bewiesen. In der zweiten Phase wird Elenoide die Aufgaben eines PMO, eines Project Management Office, übernehmen, wie etwa Terminüberwachung, Finanzströme registrieren, Datenanalysen unterschiedlicher Art vornehmen. Allesamt Aufgaben, die heute Mitarbeiter mit umfangreichen Excel-Tabellen und PowerPoint-Charts erledigen.
In der Wirtschaftswissenschaft ist schon lange bekannt, dass neue Technologien wie Maschinen und Roboter die Wirtschaft nicht stetig und allmählich infiltrieren, sondern eher in Schüben – und diese Schübe sind in Krisen besonders heftig.
Ein Indiz für krisenbedingte Automatisierung entdeckten Nir Jaimovich von der Universität Zürich und Henry Siu (Universität von British Columbia) in einer Studie aus dem Jahr 2018. Darin verglichen sie die Folgen schwerer Rezessionen von 1991 bis 2009 – und bemerkten: Nach einigen Jahren hatte sich die Konjunktur insgesamt wieder erholt. Die Zahl der Arbeitsplätze allerdings war noch Jahre später niedriger als vor der Krise. Und das lag überwiegend daran, dass gewisse Tätigkeiten nicht mehr gebraucht wurden: 88 Prozent aller Arbeitsplatzverluste betrafen demnach Routinejobs – solche also, die sich relativ leicht automatisieren ließen.
Branche | Funktion | Haupttätigkeiten (Beispiele) | Substituierbarkeit1 | Durchschnittlicher Personalaufwand2 in 1000 Euro/Jahr | Anzahl Beschäftigte in Deutschland |
Banken/ Versicherung | Schadenssachbearbeiter | Anspruchsprüfung, Schadens-/Leistungsfälle, Kundenbearbeitung, Versicherungsrecht | 83 % | 55 | 137 124 |
Automobil/Zulieferer | Fahrzeugbaumechaniker | Karosserien, Baugruppen und Fahrgestelle konstruieren und herstellen, ein-, auf- und umbauen, Qualitätssicherung und Arbeitsplanung | 80 % | 36 | 333 896 |
Pharma | Pharmareferent | Arzneimittelinformation, Verkaufsförderung, Kundenberatung/-betreuung, Arzneimittelrecht | 50 % | 61 | 22 696 |
Chemie | Kunststoff-Techniker | Kunststoffteile entwerfen und konstruieren, Werkzeuge konstruieren, Fertigung, Produktion und Montage planen und überwachen | 67 % | 49 | 3703 |
Logistik/ Transport | Fachkraft Logistik | Kosten- und Leistungsrechnung, Supply-Chain-Management, Lagerverwaltungssysteme, Distributionssysteme einsetzen, Lagerorganisation | 62 % | 32 | 458 571 |
Energie | Ingenieur erneuerbare Energien | Entwicklung, Planung, Betreiben und Überwachung Anlagen zur Nutzung regenerativer Energiequellen | 72 % | 66 | 1082 |
Telco | Systemtechniker/-in (Telekommunikationstechnik) | Einrichtung und Vernetzung IT-Systeme, Konzeption und Optimierung Internet- und Mobilfunksysteme, Wartungs- und Supportarbeiten | 88 % | 56 | 39 345 |
Handel | Sales Manager | Verkaufsaktivitäten, Planung, Steuerung von Absatzaktivitäten im Rahmen von Unternehmens- beziehungsweise nach Zielvorgaben. | 25 % | 70 | 66 373 |
Konsumgüter | Produktentwickler | Entwicklung Produktideen und Prototypen, Konzeption Produkte und Begleitung bis zur Markteinführung | 36 % | 69 | 208 290 |
Quelle: IAB-Daten 2018; HUMAN-Analyse. 1 Substituierbarkeitspotenzial eines Berufes = Anteil der in diesem Beruf typischerweise zu erledigenden Aufgaben, die bereits heute automatisiert werden können. 2 Personalaufwand beinhaltet Lohn, Gehalt, Altersvorsorge sowie soziale und steuerliche Abgaben |
Eine ähnliche Beobachtung machten ebenfalls im Jahre 2018 die Ökonomen Brad Hershbein (W. E. Upjohn Institute for Employment Research) und Lisa Kahn (Universität von Rochester). Sie analysierten für ihre Studie 87 Millionen Online-Stellenanzeigen, die zwischen 2007 und 2015 veröffentlicht worden waren. Das Ergebnis: Unternehmen in krisengeplagten Regionen ersetzten Beschäftigte mit automatisierbaren Routinetätigkeiten durch eine Mischung aus Technologie und höher qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten.
Aber es gibt auch andere Sichtweisen. Der renommierte Ökonom Daron Acemoglu resümiert: Wer möglichst schnell auf Roboter setzte, hatte langfristig sogar mehr Beschäftigte. Acemoglu: »Wenn Unternehmen frühzeitig Roboter einsetzen, expandieren sie auf Kosten ihrer Konkurrenten, deren Kosten nicht sinken.«
Ein beredtes Beispiel dafür liefert Amazon. Der Onlineversandhändler hat die Zahl der Roboter in seinen Lagern im vergangenen Jahrzehnt von 1400 auf etwa 45 000 gesteigert. Und die Zahl der Beschäftigten? Sie stieg von 2010 bis 2019 von 33 700 auf 798 000.
Wer indes seinen künftigen Personalbedarf nur wenig vorausschauend plant, dem droht eine besondere Gefahr. Diese Gefahr liegt für viele Unternehmen darin, dass sie fortlaufend frei werdende Stellen für die gleichen Tätigkeiten mit den gleichen Qualifikationen besetzen und dadurch ihr Problem perpetuieren.
So besetzen die Top-100-Unternehmen in Deutschland im Schnitt jährlich 15 Prozent ihres Personals aufgrund von Fluktuation, Verrentung und Wachstum neu. Eine Beispielrechnung macht klar, was das bedeutet. Nehmen wir an, eine Versicherung plant, pro Jahr rund 20 000 frei gewordene Positionen neu zu besetzen. Bei durchschnittlichen Kosten pro Beschäftigtem von 100 000 Euro kommt eine Summe von jährlich zwei Milliarden Euro zusammen.
Also lautet die Kernfrage, ob das Unternehmensmanagement solche Milliardensummen lieber in Neueinstellungen investieren will, die die Transformation und neue Geschäftsstrategien unterstützen, oder soll weitergemacht werden wie bisher und sollen neue Stellen eins zu eins besetzt werden wie die bisherigen? Kurz: Stellen wir weiter Schadenssachbearbeiter ein oder Machine-Learning-Ingenieure, die einen Algorithmus bauen?
Workforce, Kosten und Wettbewerbsfähigkeit
Nicht zuletzt das Kostenargument ist eines, das Unternehmenslenker zu weitsichtigerer Personalplanung und wirklichem Umbau ihrer Personalstruktur bewegen sollte. Dass dafür Bedarf besteht, zeigt auch eine Befragung, die wir im September und Oktober 2020 unter 252 Vorständen deutscher Unternehmen vorgenommen haben.
—74 Prozent sind der Meinung, dass sich ihr Unternehmen bis 2025 generell transformieren muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
—17 Prozent gaben an, dass sie dafür die komplette Personalstruktur ändern müssen, 60 Prozent, dass diese zumindest teilweise geändert werden muss.
—38 Prozent sagen: Wir brauchen mehr Personal.
—31 Prozent: Wir brauchen weniger Personal.
—31 Prozent bekunden: Wir brauchen anderes Personal beziehungsweise andere Kompetenzen.
—Im Durchschnitt wird ein Substitutionspotenzial traditioneller Jobs in Höhe von 31 Prozent angenommen.
—Digitalisierung (67 Prozent), neue Produkte/Geschäftsfelder (41 Prozent), künstliche Intelligenz (37 Prozent) und die weitere Globalisierung (35 Prozent) sind die häufigsten Gründe, die zu einer Veränderung der Personalstruktur führen.
—62 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass sie Covid-19 als Chance sehen, um ihre Personalstruktur anzupassen.
—48 Prozent der Befragten erwarten höhere Kosten, wenn die Workforce Transformation nicht aktiv umgesetzt wird.
Fazit: Für drei Viertel der Vorstände und Geschäftsführer in unserer Umfrage hat die digitale Transformation bereits begonnen, beziehungsweise sie sehen sie in ihrem Unternehmen bis zum Jahr 2025 angekommen. Das ist aus unserer Sicht und vor dem Hintergrund der von der Corona-Pandemie verursachten gegenwärtigen Probleme ein relativ kurzer Zeitrahmen. Sorgen bereitet uns vor allem die prozentuale Lücke zwischen den Unternehmen, die angeben, dass sich in ihrer Organisation die Personalstruktur komplett oder teilweise ändert beziehungsweise ändern muss (77 Prozent), und den Unternehmen, die strategische Personalplanung schon als Steuerungsinstrument einsetzen (52 Prozent).
Umfrage zur Workforce Transformation unter 252 Vorständen (Oktober 2020)
In ein Verhältnis setzen können wir diese Zahlen auch zu den Aussagen von 35 Prozent der Befragten: »Wenn wir Workforce Transformation nicht aktiv umsetzen, verlieren wir unsere Wettbewerbsfähigkeit«, und 48 Prozent sagen: »Wenn wir Workforce Transformation nicht aktiv umsetzen, rechnen wir mit deutlich erhöhten Kosten.« Das sollte uns alle alarmieren.
In Zeiten, die so herausfordernd sind wie diese und in denen sich Ereignisse immer schwerer vorhersehen lassen, sollten Unternehmen Steuerungsinstrumente nutzen, die ihnen mehr Vorausschau ermöglichen und eine Basis für ihre Entscheidungen liefern können. Sie müssen sich sowohl mehr Klarheit über den Status quo und den künftigen Soll-Zustand ihrer Belegschaft verschaffen als sich auch in Echtzeit verschiedene Zukunftsszenarien vor Augen halten können.
Die Corona-Krise und ihre disruptiven Folgen
Das Schlagwort von der Disruption traditioneller Geschäftsmodelle und der Art und Weise des Zusammenarbeitens ist ja schon seit Jahren im Schwange – allerdings immer unter dem Vorzeichen, dass es ausschließlich die neuen Technologien seien, die solche Prozesse vorantrieben. Das bleibt natürlich nach wie vor richtig. Aber jetzt wird uns überdeutlich vor Augen geführt, dass das Zusammenwirken dieser Pandemie mit ebendiesen neuen digitalen Möglichkeiten zu einer Beschleunigung dieser disruptiven Entwicklungen geführt hat – und das in ungeheurem Tempo.
Immer häufiger ist in diesem Zusammenhang neuerdings vom »New Normal« die Rede. In der Tat scheint das, was über Monate hinweg seit Frühjahr 2020 als Ausnahmesituation betrachtet wurde, bleibende Wirkung auch für die Zukunft zu entfalten. »Wir leben in einer völlig neuen Welt«, sagt zum Beispiel Nestlé-Chef Ulf Schneider. »Es gibt keine Rückkehr zu der Zeit vor der Krise.«
Das Homeoffice könnte sich zum neuen Standard der Arbeit für Unternehmen entwickeln. So will zum Beispiel der Versicherungskonzern Allianz die Hälfte der Geschäftsreisen und ein Drittel seiner Büroflächen einsparen. Bei der Deutschen Post DHL heißt es, dass die Corona-Krise als Katalysator gewirkt habe, dass sich auch künftig Büro-Präsenz und Homeoffice viel besser kombinieren ließen. Siemens jetziger Vize und zukünftiger CEO Roland Busch macht sich für einen dazu gehörenden, neuen Führungsstil stark: »Sie müssen weniger hierarchisch lenken, interne Silos niederreißen und in der Organisation Freiräume schaffen für Menschen, die neue Themen angehen.« Die neuen Lektionen reichen bis hin zur »bionischen Organisation«, in der Fähigkeiten von Mensch und Maschine verbunden werden, nicht nur um Prozesse effizienter zu gestalten, sondern auch um Innovation spürbar zu befeuern, wie es Dietmar Eidens von Merck in diesem Buch (Seite 41) beschreibt.
An einer weitergehenden Zukunftsvision arbeitet gerade Südkorea, eines der kreativsten und innovativsten Hightech-Powerhouses dieser Welt. Die Regierung hat unlängst ein Konzept vorgelegt, das sie »Untacting Economy« nennt, in der menschliche Interaktion zunehmend virtuell und sehr stark durch Bots unterstützt ist. Kurz: Es geht darum, menschliche Kontakte zu verringern oder durch Maschinen zu ersetzen. Für die südkoreanische Regierung liegt der Hauptfokus ihres 94 Milliarden US-Dollar teuren »New Deal«-Programms auf solcher Kollaboration zwischen Mensch und Maschine, durch die menschliche Nahkontakte – Stichwort: Social Distancing – weitgehend vermieden werden (sollen). Denn wir dürfen uns nichts vormachen: Das Corona-Virus wird so schnell wohl nicht aus der Welt verschwinden. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund für die Entwicklung einer »Untacting Economy«, wie es in einem koreanischen Regierungspapier heißt: »Untact is the idea of a future built around doing things without direct contact with others. Examples include self-service retail and contactless payment. The New Deal will promote ›untact industries‹ (e. g. remote healthcare, virtual offices, e-commerce support for small and medium sized enterprises). The idea of building an ›untact world‹ is driven by much more than the corona virus. The Korean government believes that it will support both the competitiveness of the economy by becoming a leader in ›untacting technologies‹ and improve the environment.«
Festhalten können wir aber auf jeden Fall, dass uns ebendieses Virus in kaum vorstellbarer Geschwindigkeit um fünf bis zehn Jahre weiter in die digitale Zukunft katapultiert hat. Die Transformation, die in Vor-Corona-Zeiten schon auf Hochtouren lief, hat sich noch einmal beschleunigt.
Auch Microsofts CEO Satya Nadella stellt fest: »Wir haben in zwei Monaten zwei Jahre digitaler Transformation erlebt.« Und das durchaus nicht nur im Bereich der Unternehmensorganisation. Vom schnell eingerichteten E-Learning an weiterführenden Schulen über virtuelle Museumsbesuche und Konzerte bis hin zu den kleinen Buchhändlern in den Stadtquartieren, die während des Frühjahrs-Lockdowns auf Onlinebestellungen umsattelten und die Bücher per Fahrrad an die Kunden auslieferten.
Unternehmen revolutionieren und vereinfachen jetzt ihr Betriebsmodell, sie automatisieren, wo immer es geht. Diese Schübe haben wir oben unter dem Kernwort »Workforce« beschrieben. So ist zum Beispiel der E-Commerce-Markt in den USA in drei Monaten so stark gewachsen wie in den letzten zehn Jahren davor, wie die Bank of America ausrechnete. Auch wir in Deutschland erleben den Boom von Zalando, Delivery Hero und vielen weiteren Onlinehändlern hautnah.
Diese Krise hat uns also vor allen Dingen gezeigt, was alles möglich ist, auch wenn es zuvor von vielen für nicht möglich gehalten wurde, wenn nicht gar dem Unternehmenserfolg abträglich, wenn die Arbeitsabläufe nicht in gewohnter Manier erfolgen. Vielleicht stellen wir ja fest, dass am Ende noch so viel mehr möglich ist.
Wir erleben, das Digitalisierung in kürzester Zeit an Tempo gewinnen kann. »Dass mobiles Arbeiten und mobiles Lernen zum Standard werden könnten, schien bislang undenkbar. Jetzt aber werden wie unter einem Brennglas die immensen Potenziale sichtbar, die digitale Technologien grundsätzlich bieten«, sagt Achim Berg, Präsident des deutschen IT-Branchenverbands Bitkom, in dem mehr als 2700 Unternehmen organisiert sind. Für Berg ist die Krise ein digitaler Wendepunkt und ein Weckruf, die Digitalisierung nun massiv voranzutreiben. Es dürfe dabei kein Zurück in den Vorkrisenmodus geben. Die Weichen dafür werden aber jetzt gestellt. Doch die Antworten von Unternehmen fallen dabei höchst unterschiedlich aus.
Das zeigen wir anhand einiger ganz konkreter Beispiele aus berufenem Munde in diesem Buch. Schon vor Corona haben diese Unternehmen angefangen, aktiv ihre Workforce den Digitalisierungsanforderungen und neuen strategischen Ausrichtungen ihrer Unternehmen anzupassen und sich damit zu wesentlichen Enablern der Transformation zu machen. Wir, eine Gruppe von Wirtschaftsfachleuten , die sich für dieses Buch zusammengetan haben, laden Sie dazu ein, mit auf die Reise zu kommen und ebenfalls als Enabler in die Poleposition zu gelangen.
Wie uns die Erfahrungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie und die jetzt folgenden Unternehmensbeispiele lehren, könnte unsere Workforce am Ende anpassungsfähiger sein, als wir glauben.
Warum sich also nicht jetzt umgehend an die Transformation der Workforce machen? Wer, wenn nicht wir, und wann, wenn nicht jetzt?