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Das Erzgebirge

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1. Ausdehnung und Gestaltung. – Das Erzgebirge ist ein mächtiger 18–20 Meilen langer Gebirgszug des mittleren Deutschland. Bei ostnordöstlicher Richtung erstreckt es sich von den Quellen der (weissen) Elster, wo es durch das voigtländische Hügelland mit dem Frankenwalde und dem Fichtelgebirge zusammenhängt, bis zu den Quellen der Gottleuba, wo es in das Elbsandsteingebirge übergeht. Im Süden fällt es steil wie eine Mauer ab und findet seine Begrenzung bis Kaden durch die Eger und, nach der kurzen Strecke Kralup-Kommotau-Görkau, durch den Bielafluss, welcher über Brüx, Bilin und Aussig der Elbe zurinnt. Im Norden dacht es sich allmälig zum sächsischen Tieflande ab, wobei Hügelwelle hinter Hügelwelle erscheint und das ganze Gelände sich als eine von vielen Flussfurchen durcharbeitete Berglehne darstellt.

2. Eintheilung. – Der Hauptrichtung nach zerfällt das Erzgebirge in 3 Theile: in das westliche, in das Central- und in das östliche Erzgebirge. Das westliche Erzgebirge liegt zwischen der oberen Elster und dem Schwarzwasser, beziehentlich der Zwickauer Mulde; das Central-Erzgebirge zwischen dem Schwarzwasser und der Freiberger Mulde und das östliche Erzgebirge zwischen der Freiberger Mulde und der Gottleuba, beziehentlich der Elbe.

In der Richtung von Süd nach Nord unterscheidet man das obere und das niedere Erzgebirge; jenes reicht von dem zusammenhängenden Kamme, der eine durchschnittliche Höhe von 2500 Fuss hat, etwa bis Falkenstein, Schneeberg, Thum, Wolkenstein, Frauenstein und Schmiedeberg; dieses von den genannten Orten bis in die Gegend von Zwickau, Lichtenstein, Chemnitz, Frankenberg, Hainichen, Siebenlehn und Tharandt. – Im Centralgebirge kommt der jähe Absturz des Kammes nach Süden und die sanfte Abdachung nach Norden am meisten zur Geltung.

3. Gebirgsarten. – Das Erzgebirge besteht vornehmlich aus Urgebirgsarten, d. h. aus Thon- und Glimmerschiefer, Gneis und Granit. Am verbreitetsten zeigt sich der Gneis. Er ist nicht nur vorherrschend im ganzen östlichen Gebirge, sondern reicht auch weit in's Centralgebirge hinein, und zwar bis Schlettau, Wolkenstein und Schellenberg. Ihm sind zugleich die wichtigsten Erzgänge2 eingelagert, welche von dem sächsischen Bergmanne abgebaut werden. Am mächtigsten ist darnach der Glimmer- und Thonschiefer. Diese Gebirgsarten bilden besonders den südwestlichen Theil des Gebirges und den Südrand des Steinkohlenbeckens zwischen Zwickau und Chemnitz. Das dritte Gestein, der Granit, tritt nur an mehreren Stellen aus dem Glimmer- und Thonschiefer heraus und hat seine grösste Ausdehnung um Eibenstock und Kirchberg. Ausser diesen Hauptgebirgsarten zeigt sich an mehreren Orten Porphyr, Syenitporphyr und Quadersandstein; wie denn auch der häufig vorkommende Basalt daran erinnert, dass im Erzgebirge einst bedeutende vulkanische Durchbrüche stattgefunden haben.

4. Berge. – Auf dem Rücken des Erzgebirges erheben sich mehrere Gipfel, welche zum Theil an Höhe sogar die obersten Spitzen des Thüringer Waldes und des Harzes übertreffen. Wenn sie trotzdem nicht so gewaltig als diese erscheinen, so hat dies seinen Grund darin, dass sie auf einer sehr hohen Unterlage ruhen.

Als die ansehnlichsten, aus Urgebirge bestehenden Gipfel sind zu nennen: der Keilberg und der Fichtelberg bei Oberwiesenthal (jener 3812, dieser 3708 P. F. hoch); der Spitzberg bei Gottesgabe (3444´), der Eisenberg bei Unterwiesenthal (3166´), der Auersberg bei Wildenthal (3120´), der Hirschkopf bei Karlsfeld (2992´), der Rammelsberg bei Sachsenberg (2972´), der Wieselstein bei Langewiese (2944´), der Kahlberg bei Altenberg (2803´), der Kupferhügel bei Kupferberg (2790´), der Lugstein bei Zinnwald (2752´), der Schneckenstein bei Gottesberg (2690´), der Rabenberg bei Johanngeorgenstadt (2636´), der Eselsberg bei Sosa (2635´), die Morgenleite bei Schwarzenberg (2488´), der Kuhberg bei Stützengrün (2426´), der Schwartenberg bei Seifen (2394´), der Kapellenberg bei Schönberg (2337´), die Tellkuppe bei Bärenburg (2323´) und der Greifenstein bei Geyer (2234´).

Daneben giebt es mächtige Basaltberge, welche als hohe, freistehende Pyramiden oder Kegel erscheinen. Wir erwähnen: den Hassberg bei Pressnitz (3051´) den Bärenstein bei Weipert (2762´), den Pöhlberg bei Annaberg (2567´), den Geising bei Altenberg (2534´), den Scheibenberg bei der gleichnamigen Stadt (2470´), den Spitz- oder Sattelberg bei Schönwald (2235´), den Luchberg bei Glashütte (1782´) und den Wilisch bei Reinhardsgrimma (1466´). – Eine schöne Aussicht gewähren ausser den genannten Bergen noch: der Reischberg bei Pressnitz, die Luisensteine bei Brandau, der Glöselsberg bei Niklasberg, das Mückenthürmchen bei Graupen (2511´), die Nollendorfer Höhe bei Peterswalde (2142´), der Stein in Schöneck (2301´), Schloss Augustusburg, die Schönerstädter Höhe bei Oederan, die Saydaer Höhe, die Burgruine Frauenstein, der Burgberg bei Lichtenberg und die goldene Höhe zwischen Dippoldiswalde und Dresden (1054´).

5. Waldungen. – Reichlich die Hälfte des Erzgebirges ist mit Wald bedeckt. Die grössten Forste befinden sich in den Revieren Auerbach, Schöneck, Schwarzenberg und Crottendorf. Vorherrschend ist Nadelholz; doch treten neben Fichtenwald zusammenhängende Buchenbestände auf: so bei Tharandt, Olbernhau, Marienberg und Steinbach. Der grösste Theil der Waldungen ist Eigenthum des Staates und wird musterhaft bewirthschaftet.

6. Flüsse. – Das Erzgebirge ist der Quellort für zahlreiche Flüsse, Flüsschen und Bäche, welche allesammt dem Elbgebiete angehören. Die wenigsten von ihnen haben den Abfluss nach Süden, wie die Zwota und Biela; bei weitem die meisten rinnen nach Norden und münden unmittelbar in die Elbe, wie die beiden Mulden als vereinigte Mulde, die Weisseritz, Müglitz und Gottleuba, oder fallen zuvor in die Saale, wie die Elster und Pleisse, oder in die Mulden, wie alle übrigen.

Die nordwärts laufenden Gewässer haben beim Herabgleiten die im Boden vorhanden gewesenen Spalten nach und nach erweitert und zahlreiche Vertiefungen und Kessel, Gründe und Thäler gebildet und so der Landschaft besondere Reize verliehen. Am anmuthigsten sind die Thäler der Elster, der Zwickauer Mulde, des Schwarzwassers, der Sehma, der Zschopau und der Müglitz; am wildesten die der schwarzen Bockau im schwarzen Grund bei Pobershau und der rothen Weisseritz im Rabenauer Grunde.

7. Klima. 3 – Während gewöhnlich die Temperatur von Norden nach Süden zunimmt, ist es im Erzgebirge wegen des Ansteigens des Bodens umgekehrt. Dieser Umstand wirkt ungünstig auf das Klima ein. Engelhardt's Vaterlandskunde von Sachsen sagt: »Lange Winter mit viel Schnee, späte Einkehr des Frühlings und rascher Uebergang aus diesem zum Sommer, schöner klarer Herbst, Spätfröste noch im Mai, frühzeitige schon im September – das sind die Hauptkennzeichen des Klimas; ganz wesentlich hat jedoch zu dessen Verbesserung die Entwässerung der Sümpfe beigetragen.« Dabei sind aber die Thäler mild und die Höhen eigentlich nur wenig kälter, als die entsprechenden anderer deutschen Mittelgebirge. Auch ist die Luft leicht und rein und für Brustkranke, deren Leiden noch nicht zu weit fortgeschritten, sehr zuträglich. Cholera ist dem obern Erzgebirge bisher fern geblieben, und Wechselfieber gehören allda zu den seltensten Fällen.

Für das erzgebirgische Klima spricht auch, dass der Getreidebau bis weit in die Berge hinauf reicht. Bei einer Höhe von 1800 bis 2000 Fuss erntet man noch Raps, Roggen und Weizen; am rauhen Gebirgskamme, wie bei Gottesgab und Oberwiesenthal, allerdings nur Hafer, Flachs und Kartoffeln. Am ergiebigsten zeigen sich die Kartoffeln. Sie sind auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts zuerst in dem Dorfe Würschnitz bei Adorf angebaut und von dort aus erst später weithin verbreitet worden. – Wer Näheres über die Pflanzenwelt des Erzgebirges wissen will, dem empfehlen wir: Dr. Stössner: Die Vegetationsverhältnisse von Annaberg und Umgegend, Annaberger Realschulprogramm vom Jahre 1859; A. Israel: Schlüssel zum Bestimmen der bei Annaberg und Buchholz wild wachsenden Pflanzen, und O. Wünsche: Excursionsflora für das Königreich Sachsen.

8. Einwohnerzahl und Staatsangehörigkeit. – Das Erzgebirge gehört zu den dicht bevölkertsten Gegenden Sachsens, ja Deutschlands. Was urbar zu machen war, hat man urbar gemacht; man verfuhr nach dem Grundsatze: »Wo der Pflug kann gehn, soll der Wald nicht stehn!« und half, wenn der Pflug wegen der Steilheit des Bodens doch nicht gehen konnte, auch noch mit Grabscheit und Hacke nach. Daher findet man, wo man schlichte Bauerndörfer vermuthet, ansehnliche Städte, und wo man in waldigem Thal kleine Weiler voraussetzt, langgedehnte Dörfer. Dabei hat jedes Haus zahlreiche Insassen: auf die Quadratmeile kommen im Gebirge eben mehr als 10,000 Einwohner.

Die Bevölkerung des Erzgebirges erscheint viel gleichartiger als die von anderen deutschen Mittelgebirgen. Abgesehen von der geringen Gliederung des Bodens, welche ein Abschliessen nicht begünstigt, und von dem regsamen Handel, welcher unwillkürlich ein Annähern der Leute herbeiführt, trägt dazu sicherlich bei, dass die Landschaft nur zwei Staaten angehört und dadurch einen angenehmen Gegensatz zu Thüringen und dem Harze bildet, wo die politischen Grenzen so merkwürdig ausgezackt und vielfach verschlungen sind. Der Südabhang des Erzgebirges und ein Theil des Kammes gehören zu Böhmen, der andere Theil des Kammes und die Nordabdachung zu Sachsen. Dabei stellt die staatliche Grenze zugleich die Scheidung zweier Kirchengebiete dar: wer aus dem protestantischen Sachsen über die böhmische Grenze schreitet, wird an den errichteten Kreuzen und Heiligenbildern bald merken, dass er auf gut katholischem Boden wandert.

9. Menschenschlag. – Der erzgebirgische Menschenschlag ist ein ursprünglich kräftiger, wie man ihn heute noch am Südabhange und in den Wald- und Ackerbaudistrikten antrifft; in den Fabrikgegenden aber ist er durch Stubenarbeit oder allzu geringe Nahrung, welche fast nur aus Kartoffeln und dünnem4 Kaffee besteht, mehrfach verkümmert.

10. Volkstracht. – Eine eigentliche Volkstracht ist im Erzgebirge nicht mehr vorhanden. Namentlich auf der nördlichen Seite »hat die Kultur fast Alles beleckt« und die Mode beinahe jedes altväterische Kleidungsstück beseitigt. Unter den Männern haben nur die Bergleute noch einen besonderen Anzug und unter den Frauen tragen nur die Bäuerinnen, welche in den entlegensten Dörfern wohnen, noch faltenreiche Röcke und steife Haubenschleifen oder glatte Pelzmützen.

11. Volkscharacter. – Der Erzgebirger ist höflich, gefällig und äusserst genügsam. Gern steht er dem Fremden Rede und im Zwiegespräch sucht er unaufgefordert das Beste zur Unterhaltung beizutragen. Von seiner Genügsamkeit zeugen die einfache Wohnung und die noch einfachere Kost. Dazu kommt Frohsinn, eine ungemeine Verträglichkeit und grosse Liebe zur Reinlichkeit. Im Erzgebirge wird eifrig gesungen und noch eifriger musicirt; Breitenbrunn und Klostergrab, Kupferberg und Gottesgabe, vor allen aber Pressnitz, senden Schaaren von Musikern hinaus in die Welt. Während es anderwärts oft nicht gut thut, wenn zwei Familien in demselben Hause wohnen, so hausen im Erzgebirge oft drei bis vier Familien in einer Stube, ohne dass man viel von unfriedfertigen Auftritten hört; sicherlich ein Beweis, dass die Bewohner sanft und schmiegsam sind. Der Sinn für Reinlichkeit tritt dem Fremden ungesucht entgegen. Die steinernen Gebäude gefallen meist schon durch ihren gut erhaltenen Bewurf und Anstrich und das Innere der Häuser und Hütten erfreut noch mehr durch die daselbst herrschende Sauberkeit. Die Zimmerwände sind reinlich getüncht, die Dielen weiss gescheuert, die Haus- und Küchengeräthe blank geputzt! Und wenn der Maassstab Liebig's richtig ist, dass man die Kultur von Volksgruppen nach dem von ihnen verbrauchten Quantum Seife beurtheilen könne, so wird den Erzgebirgern eine bevorzugte Stellung einzuräumen sein; denn nirgends wird wohl mehr, als bei ihnen gewaschen und gescheuert. In der That macht auch der geringe Mann im Erzgebirge eher den Eindruck eines verarmten Gebildeten, denn eines armen Natursohnes.

Fragt man den Erzgebirger selbst, was er für die wesentliche Eigenschaft seiner Landsleute halte, so wird man sicher zur Antwort bekommen: »Die Gemüthlichkeit!« Ein vieldeutiges Wort! worunter man aber im Allgemeinen das Streben zu verstehen hat, sich und Anderen das Leben angenehm zu machen. Im Gebirge wird eben aufmerksam beachtet, nicht nur was man sagt und was man thut, sondern auch wie man es sagt und wie man es thut. Gewandte Personen gelten als »manierlich« und erhalten leicht Beifall; eckige Naturen werden mit zweifelhaftem Auge, Störenfriede mit Widerwillen betrachtet. Durch die genannte »Gemüthlichkeit« wird allerdings die Geselligkeit erhöht und ein angenehmer Ton im gegenseitigen Umgang geschaffen, doch auch die Thatkraft und der Trieb zur Selbstverwaltung etwas abgeschwächt.

12. Geschichtliches. – Vor Alters war das Erzgebirge ein grosser zusammenhängender Wald, der Miriquidi genannt wurde. In der Völkerwanderung nahmen die Sorben, ein slavischer Volksstamm, Besitz von dem Lande zwischen Saale und Elbe und siedelten sich auch an dem Fusse des Erzgebirges an. Mit der Gründung der Mark Meissen (928) begannen jedoch die Deutschen, sich als Eroberer in dem genannten Gebiete festzusetzen und Burgwarten und Klöster anzulegen. Dadurch wurden die Sorben genöthigt, bergaufwärts zu rücken und sich in dem unwirthlichen, aber für sie freien Miriquidiwald niederzulassen. Sie gründeten um jene Zeit die Städte Lössnitz, Zwönitz, Zöblitz, Chemnitz, Schlettau, und Zschopau, so wie mehrere darum liegende Dörfer, deren Namen sich auf itz, itzsch, ig, en, und au endigen.5 Noch rascher ging der Anbau des Erzgebirges von statten, als die Silbergänge in der Gegend des heutigen Freiberg fündig wurden (1163). Zahlreiche Bergleute aus dem Harze, aus Franken (aus dem »Reiche«) und Böhmen strömten herbei und legten neben den Gruben verschiedene Flecken und Dörfer an. Freiberg wurde der Mittelpunkt eines regen Bergmannslebens, dessen wohlthätige Wirkungen, zumal man an mehreren Orten Zinn brach, sich auch nach Westen hin verbreiteten. Im obern Erzgebirge entstanden im 12–14. Jahrhundert die Städte Wolkenstein, Elterlein, Schwarzenberg, Aue, Grünhain, Ehrenfriedersdorf, Thum und Geyer. Einen besonderen Aufschwung aber nahm das Gebirge, als man nun 1471 in der Nähe des Kammes zahlreiche Silbergruben erschürfte. Der Abbau wurde eifrigst betrieben; die Ausbeute war gross und so lange der Bergsegen reichlich floss – was bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts geschah – nahm auch die Bevölkerung bedeutend zu. In einem Zeitraum von ungefähr 60 Jahren wurden nicht weniger als 11 neue Bergstädte gegründet, nämlich: Schneeberg 1477, Annaberg 1496, Buchholz 1504, Joachimsthal 1516, Gottesgabe, Eibenstock und Jöhstadt 1517, Marienberg 1521, Scheibenberg 1522, Wiesenthal 1526 und Platten 1532. – Von Einfluss dabei war, dass die Erzgebirger, wie fast alle Bergleute Deutschlands, auf die Seite der Reformation traten und mit Begeisterung die Lehren des kühnen Bergmannsohnes annahmen.

Sobald aber die Silbergruben sich nicht mehr »so höflich und freundlich«, als früher zeigten und manche Zechen geradezu »versagten«, da stellte es sich heraus, dass die dichter gewordene Bevölkerung von dem Bergbau allein nicht zu leben vermöge. Waren doch die edlen Metalle seit der Eroberung Mexiko's und Peru's überdies sehr im Werthe gesunken! Man musste sich daher nach anderen Erwerbsquellen umsehen. Zunächst griff man zur Verarbeitung der einheimischen Roherzeugnisse und so entstand die Blech-, Löffel- und Nagelschmiederei, die Herstellung von Gold- und Silberdrahtwaaren, die Holzschnitzerei, die Serpentindrechselei, die Bereitung von Feuerschwamm und die Gewinnung von Arzneimitteln. Aber hierbei wurden immer nur wenig Leute beschäftigt. Da führte im 16. Jahrhundert (1561) Barbara Uttmann,6 die Frau eines reichen Bergherrn zu Annaberg, im Erzgebirge das Spitzenklöppeln ein, welches sie der Sage nach von einer flüchtigen Brabanterin erlernt hatte. Die neue Kunst verbreitete sich rasch unter den erzgebirgischen Frauen und legte den Grund zu einer echten Hausindustrie, die sich darnach auch bei noch anderen Erwerbszweigen herausbildete. In demselben (16.) Jahrhundert verpflanzten ausgewanderte Schweizer auch die Musselin- und Schleierweberei nach dem Voigtlande und dem daranliegenden Erzgebirge, ebenso liess sich (1589) der erste Posamentier Georg Einenkel aus Dinkelsbühl in Schwaben zu Buchholz nieder und gab da die Anregung zur Posamentenfabrikation.

So gedieh das Gebirge, bis es von den Drangsalen des 30jährigen Krieges arg zu leiden hatte. Dörfer und Städte, besonders Freiberg wurden verwüstet; mehr als die Hälfte der Einwohner starb durch Schwert, Hunger oder Krankheit; das Gewerbe war zum Stillstand, der Bergbau fast zum Erliegen gekommen. Nichts desto weniger erholte sich darnach die Bevölkerung hier eher wieder, als in anderen, weit besser gelegenen Landschaften. Wesentlich trug dazu die Einwanderung von böhmischen Protestanten bei, welche, ihres Glaubens wegen aus der Heimath vertrieben, sich in den verödeten erzgebirgischen Orten ansiedelten und neuen Unternehmungsgeist und neue Arbeitskraft mitbrachten. Während in anderen Bezirken damals manches zerstörte Dorf als »Wustung« liegen blieb, entstand im Erzgebirge sogar eine neue Stadt, Johanngeorgenstadt; denn dieses ist nur wenig Jahre nach dem Westphälischen Friedensschluss, im Jahre 1654, von böhmischen Exulanten angelegt worden.

Doch half auch zur Hebung des Gebirges, dass in den nächsten Jahrzehnten neue Erwerbszweige aufkamen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde Chemnitz und Umgegend der Sitz einer bedeutenden Baumwollindustrie, der sich später die Wollenindustrie anschloss. Der damalige Faden war Handgespinnst, und es mussten Tausende von Leuten sich rühren, um den Bedarf an Garn zu decken. Später fertigte man den Faden auf Handmaschinen, von denen jede 10–30 Spulen zählte; noch zu Anfang unseres Jahrhunderts gab es 18,000 Menschen, welche auf solche Art Baumwolle spannen. – Zu der Spinnerei gesellte sich die Weberei und Strumpfwirkerei. Vor dem 30jährigen Kriege hatte in Chemnitz ausser der Leinweberei die von Niederländern eingebürgerte Tuchmacherei geblüht; nunmehr wandte man sich mit Erfolg der Baumwollenweberei zu und fertigte anfangs (1715) Barchent und dann (1725) Musseline und Kattune und allerlei bunte Waaren. Fünfzig Jahre nach dem Betreten der neuen industriellen Bahn mögen in und um Chemnitz 2000 Handstühle in Thätigkeit gewesen sein. Die Strumpfwirkerei war in Chemnitz schon 1728 eingeführt worden; sie gewann aber erst grosse Bedeutung als es dem Kaufmann Esche in Limbach (1776) gelungen war, mit Hülfe zweier geschickten Arbeiter den von dem Engländer Lee erfundenen Strumpfwirkerstuhl nachzubauen.

Auch die erzgebirgische Frauenindustrie erhielt im Laufe des 18. Jahrhunderts eine Zugabe. Die aus Bialystock gebürtige Clara Angermann, welche sich mit dem Förster Nollain in Eibenstock vermählte, hatte in einem polnischen Kloster das Tambouriren – das Sticken mit der Häkelnadel – gelernt und verpflanzte es (1775) nach Eibenstock.

Rechnet man zu dem Allen, dass der Bergbau durch die 1765 in Freiberg errichtete Bergakademie zur Wissenschaft erhoben wurde und man nun im Stande war, in grösseren »Teufen« abzubauen und minder edle Erze zu verhütten, so wird man begreifen, dass schon im verflossenen Jahrhundert das Erzgebirge ein Hauptindustriegebiet für Sachsen, ja für ganz Deutschland wurde. Dabei ist jedoch anzuerkennen, dass die Grossindustrie erst seit Anwendung der Maschinen und der Einführung des fabrikmässigen kaufmännischen Betriebes entstanden ist. Der Gebrauch der Spinnmaschine (erfunden 1775 durch Richard Arkwright in England), die Anwendung des Jacquard- und des Kraft- oder mechanischen Webstuhles und die Benutzung des Rundstuhles (Strumpfstuhles) wirkten entscheidend. Wurde auch die Handspinnmaschine in die Rumpelkammer verwiesen, wurde auch das Webeschifflein der Hand des Arbeiters entzogen und der gewöhnliche Strumpfwirkerstuhl auf gewisse Arbeiten beschränkt, so wuchs die Production doch ungemein und wurden bei ihr überhaupt vielmehr Leute beschäftigt, denn früher.

Auch bei der Klöppelei und Stickerei traten Maschinen auf; so dort die 1809 von Heathcoat in Nottingham erfundene und rasch vervollkommnete Bobbinetmaschine, welche einfache Spitzen sehr billig herstellt, und hier die von den Schweizern aufgebrachte Stickmaschine, welche 200–500 Nadeln durch einen Hebeldruck in Bewegung setzt und darum nicht zu verwickelte Garnituren um einen geringen Preis liefert. Beide Maschinen machten der Frauenarbeit gefährliche Concurrenz, drückten die Löhne herab und drohten, der weiblichen Hand, welche früher das Spinnrad und neuerdings durch die Strick – und Nähmaschine fast das Strick- und Nähzeug verloren hat, auch den Klöppel und die Sticknadel zu entwinden; aber durch den Uebergang zu künstlicheren Mustern und die Verbindung von Maschinen- und Handarbeit ist es ihr dennoch gelungen, sich neben und mit den Maschinen zu behaupten.

13. Angabe der Industriebezirke. – Wie anderwärts, so hat sich auch im Erzgebirge fast jeder einzelne Industriezweig auf einem bestimmten Gebiete heimisch gemacht und wird da mit verwandten Beschäftigungen beinahe ausschliesslich betrieben. Je nach der Wichtigkeit des Gewerbes nimmt ein solches Gebiet mehrere Quadratmeilen ein, oder beschränkt sich auf einen kleineren, ja oft sehr kleinen Flächenraum. Die Holzschleifereien und Sägemühlen, die Baumwoll-, Woll- und Flachsspinnereien, kurz alle Fabriken, welche Wasserkraft benutzen, folgten erklärlicher Weise den Flussläufen und finden sich besonders in den Thälern der Sehma, der Zschopau, der Flöha, der Chemnitz, sowie der Zwota und Biela.

Als die wichtigsten Industriebezirke haben wir zu nennen:

a) den Metallbergbau-Bezirk. Man baut auf allerlei Metalle, besonders auf Zinn, Eisen und Silber. Für den Silberbergbau ist Freiberg und Umgegend massgebend; Zinn wird namentlich in Altenberg, Eisen um Schwarzenberg gegraben. Zur guten Verwerthung der geförderten Erze hat man mehrere Hüttenwerke angelegt, so: die Silber- oder Obermuldner Hütten bei Freiberg, die grossartigsten metallurgischen Anstalten des Erzgebirges; die Marienhütte in Zwickau, das bedeutendste Eisenwerk von Sachsen; Hohöfen – meist mit Giessereien, Hammer- und Walzwerken verbunden – in der Nähe von Döhlen und Kallich, sowie von Eibenstock und Schwarzenberg; die Zinnhütten im Marienberger und Altenberger Reviere; die Gifthütte bei Altenberg, die Saigerhütte zu Grünthal und die Blaufarbenwerke zu Oberschlema und Pfannenstiel.

b) den Kohlenbergbau-Bezirk. Dieser umfasst das Erzgebirgische und Potschappler Kohlenbassin; für jenes ist Zwickau, für dieses Potschappel selbst Mittelpunkt. Die Kohlenförderung hat in neuester Zeit ungemein zugenommen; man kann rechnen, dass jährlich 40,000,00 °Centner Steinkohlen ausgebracht werden, wovon ¾ auf Zwickau und Umgegend und ¼ auf den Plaueschen Grund entfallen. – In der Nähe der Kohlenwerke sind meist bedeutende Coaksbrennereien entstanden.

c) den Waldbezirk. Hierzu gehören alle grösseren Waldungen des Erzgebirges, besonders die bedeutenden Forste um Auerbach und Schöneck, um Schwarzenberg und Crottendorf. Schon im Walde selbst sind viele Leute thätig, so: die Holzhauer, Köhler, Pechsieder und Russbrenner; noch mehr aber beschäftigen sich in dem Hause mit Verarbeitung des vom Walde gelieferten Holzes. In Lauter (bei Schwarzenberg) fertigt man Körbe (Spannkörbe) aus Fichtenholz, in Waldkirchen und Grünhainichen allerlei Haus- und Küchengeräth; Johanngeorgenstadt liefert feine Tischlerwaaren; Klingenthal sowie Markneukirchen musikalische Instrumente; in Rabenau betreibt man Stuhlbauerei und um Olbernhau und Seifen allgemein die Fabrikation von Spielwaaren.

d) den Weberbezirk. Hauptort hierfür ist Chemnitz, doch hat sich die Weberei von da auch nach Glauchau, Meerane, Frankenberg, Ernstthal, Hohenstein und dem Mülsener Grund, sowie nordwärts selbst bis Lunzenau und Rochlitz verbreitet. Im Voigtlande herrscht die Weissbaumwollenweberei vor. – Die Weberei hat in den meisten Orten auch Färberei, Zeugdruck und Appretur hervorgerufen.

e) den Strumpfwirkerbezirk, welcher seine Anhaltspunkte in Chemnitz, Limbach und Stollberg findet.

f) den Posamentierbezirk mit den Ortschaften Annaberg, Buchholz, Schlettau, Scheibenberg, Geyer, Ehrenfriedersdorf und Wolkenstein.

g) den Spitzenklöppeleibezirk, welcher von der Umgegend Marienbergs über Drehbach und Zwönitz bis Schneeberg und von da über Johanngeorgenstadt, Wiesenthal u. Kupferberg bis Reitzenhain und Pobershau sich erstreckt.

h) den Näh- und Stickereibezirk, welcher einestheils an Eibenstock und anderntheils an Plauen sich anlehnt; und

i) den Strohflechtebezirk, welcher die Gegend zwischen Altenberg, Dippoldiswalde und Lauenstein einnimmt.

Ausserdem sind mehrere nur an einzelnen Orten auftretende Industriezweige namhaft zu machen. In Chemnitz blüht die erst 1826 eingerichtete Maschinenbauerei, so dass daselbst Locomotiven, Förderzeuge für Bergwerke, mechanische Webstühle, Pumpen und Feuerspritzen, Pflug-, Säe- und Dreschmaschinen und allerlei Werkzeuge, Bohr- und Hobelmaschinen gefertigt werden. – Kirchberg, Zschopau, Oederan, Hainichen haben Tuchfabrikation; Annaberg und Buchholz die Fabrikation von Krinolinen und Korsets; Buchholz, Freiberg und Chemnitz liefern Kartonagen; Johanngeorgenstadt und besonders Joachimsthal Handschuhe; in Karlsfeld werden Schwarzwälder Uhren, in Glashütte Taschenuhren gefertigt.

Und damit ist die Angabe der kleinen Industriezweige noch nicht erschöpft: Freiberg liefert Leonische (Lyoner) d. h. unächte Gold- und Silbertressen, Wiesenthal Stecknadeln, Schönheide allerlei Arten von Bürsten; Lauter, Beierfeld, Bernsbach und Grünhain fertigen die verschiedensten Blechwaaren, besonders auch Blechlöffel; Zöblitz hat seine Serpentindrechselei und Bernsbach seine Feuerschwamm- und Bockau seine Medicinbereitung.

14. Baudenkmäler. – Das Erzgebirge hat, als spät besiedelt, nicht viel Baudenkmäler aufzuweisen. Die schönste Gabe ist »die goldene Pforte« im Dome zu Freiberg, welche vielleicht das Höchste mit darstellt, was altdeutsche Kunst geschaffen hat. Sie gehört dem 13. Jahrhundert an und ist im romanischen oder Rundbogenstyle erbaut, während der Dom selbst zwei hundert Jahre später im gothischen Geschmacke ausgeführt worden ist. Andere hervorragende Kirchen, meist zur Zeit der spätesten Gothik entstanden, sind: die Stadtkirche zu Chemnitz, die Marienkirche zu Zwickau, die Annenkirche zu Annaberg und die Hauptkirche zu Schneeberg. In neuester Zeit ist die Gothik an der prächtigen Kirche im Dorfe Bockwa bei Zwickau wieder in Anwendung gekommen. – Wer auf einer der später angegebenen »Nebentouren« nach Wechselburg kommt, versäume nicht, die dasige Schlosskirche zu besuchen: sie gehört nächst der Kirche zu Gernrode im Harze zu den vollendetsten romanischen Bauten von ganz Deutschland. – Werthvolle, berühmte Schlösser des Erzgebirges sind: Sachsenburg, Lichtenwalde, Augustusburg, Rothenhaus und Eisenberg. Als bedeutende Ruinen haben wir die Burgruine bei Frauenstein, die Ruine Hassenstein bei Sonnenberg und die Ruine Riesenburg bei Osseg zu nennen.

2

Die am häufigsten vorkommenden Metalle sind: Silber, Blei, Zinn und Eisen; sodann Kobalt, Antimon, Arsenik, Mangan, Wolfram und Uran.

3

Von den seit 1863 durch die sächsische Regierung errichteten meteorologischen Stationen befinden sich im Erzgebirge: Tharandt, Grüllenberg, Freiberg, Chemnitz, Zwickau, Flauen, Elster, Annaberg, Rehefeld, Georgengrün, Reitzenhain und Oberwiesenthal.

4

Scherzhaft sagt man: »auf sechszehn Tassen funfzehn Bohnen«.

5

Vergleiche: »Die slavischen Ortsnamen des Erzgebirges« von Oberlehrer Immisch. Programm der Annaberger Realschule vom Jahre 1866.

6

Der Kaufmann August Eisenstuck (ehemaliger Chef der bekannten Eisenstuck'schen Handlung in Annaberg) hat dieser Wohlthäterin des Gebirges im Jahre 1834 ein Denkmal auf dem Gottesacker zu Annaberg errichten lassen; sein Nachfolger Carl Hohl sen. entdeckte von ihr im grünen Gewölbe zu Dresden einen kleinen, in Elfenbein geschnittenen Kopf und liess darnach ein wohlgelungenes Bild herstellen, von welchem Photographien in den Annaberger Buchhandlungen zu haben sind.

Wegweiser durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge

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