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Bescheidene Anfänge – Handel in Früh- und Hochmittelalter

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Nach dem Rückzug der Römer von Rhein und Donau verloren die römischen Städte rasch an Bedeutung. In Westeuropa etablierten sich Nachfolgereiche, von denen das Frankenreich zum wichtigsten aufstieg. Allerdings lag dessen Kernraum im heutigen Frankreich, und nur langsam dehnten die im 6. und 7. Jahrhundert herrschenden Merowingerkönige ihren Machtbereich nach Osten aus. Erst die auf sie folgenden Karolinger konnten unter Karl dem Großen (768–814) nach mehreren Kriegszügen gegen die Sachsen die Elbe erreichen. Unverändert gab es Fernhandel, dessen Umfang sich aber reduziert hatte. Als Fernhändler zu nennen sind unter Königsschutz stehende jüdische Kaufleute, die orientalische Luxuswaren über Südgallien auch an den Hof lieferten. Aber auch die anderen Kaufleute genossen Königsschutz, formuliert etwa in einem Urkundenformular Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahr 828:

Sie [die Kaufleute] mögen – wie die Juden – unserem Hof eifrig dienen, und wenn sie mit Christi Gunst ihre Fuhrwerke innerhalb unserer Reiche zum Vorteil unserer und ihrer Handelsgeschäfte vermehren wollen, sollen sie dazu die Erlaubnis haben; ihr [alle anderen Inhaber von Herrschaftsrechten] sollt sie nicht aufhalten oder denen, die es tun, zustimmen, weder an den Grenzen noch sonst wo; Zoll aber soll von ihnen nirgends gefordert werden, ausgenommen zu unserem Nutzen bei Quentowik, Dorestad und an den Alpenpässen, wo zu unserem Nutzen der Zehnte erhoben wird.

Im Gegenzug erwartete der Herrscher jährlich oder alle zwei Jahre die Zahlung einer im Text nicht bestimmten Abgabe.1 Schon die Nennung dieses unbestimmten Zeitraums zeigt eine andere Zeitwahrnehmung als in späteren Jahrhunderten. Deutlich wird gleichfalls, dass die privilegierten Kaufleute einerseits für den König und andererseits im eigenen Interesse tätig waren. Als weitere frühe Organisationsform begegnet uns der Zusammenschluss von Kaufleuten zu Gilden, die z. T. über Sonderrechte verfügten.

Emporien und Märkte

Für eine erste Ausweitung des Handels sorgten u. a. zwei unterschiedlich verlaufende Entwicklungen, einerseits im Küstenbereich, andererseits im Binnenland. An den Küsten von Nord- und Ostsee entstanden sogenannte Emporien. Das waren vorstädtische Siedlungen oder Handelsplätze, die vornehmlich Kaufleute und Handwerker bewohnten. Die wichtigsten Emporien waren von Westen nach Osten Quentowik (südl. von Boulogne), eines auf der Insel Walchern (Mündung der Schelde in die Nordsee), Dorestad im Rheinmündungsgebiet, Haithabu (Südufer der Schlei) und Birka (eine Vorgängersiedlung von Stockholm). In diesen Siedlungen, die noch keine Städte waren, konzentrierte sich der Handel über See und über die Flüsse ins Binnenland.

Die Kaufleute waren entweder frei oder sie handelten im Auftrag und in persönlicher Abhängigkeit von den Grundherrschaften. Zur See transportierten Schiffe in Konvois die Waren, das Land durchzogen die Händler in Karawanen, und in beiden Fällen sollte die große Gruppe möglichst Schutz vor immer wieder drohenden Überfällen und anderen Unannehmlichkeiten bieten. Während des Früh- und Hochmittelalters hatte sich aus ungeklärter Wurzel ein Recht der Küstenbewohner bzw. ihrer Herren gebildet, Seefahrer, gestrandete Waren und Schiffe einzubehalten (Strandrecht), sie quasi als herrenlos zu bewerten, was eine weitere Gefahr besonders für reisende Kaufleute darstellte. Bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts konnte immerhin erreicht werden, dass gestrandete Schiffbrüchige nicht mehr kurzerhand als Hörige einkassiert werden konnten.

Im 9. und 10. Jahrhundert begegnet uns eine weitere Händlergruppe, welche die Quellen als Friesen bezeichnen. Ihr Handel erstreckte sich vornehmlich über Nord- und Ostsee, Nieder- und Mittelrhein sowie in geringerem Umfang auch auf den Oberrhein. So ist beispielsweise in Mainz ein Friesenviertel belegt, das um 900 in die Stadtbefestigung einbezogen wurde. Wahrscheinlich nutzten die geistlichen Schreiber die Bezeichnung „Friesen“ daneben allgemein synonym für Händler oder Kaufleute.

Wenn wir uns den Handel des für das spätere Deutschland wichtigsten Emporium, nämlich Haithabu, näher ansehen, so lassen sich Beziehungen zum Rheinland, nach Norwegen, England, Schweden und zur südlichen Nordseeküste erkennen. Zentral war seine Bedeutung als Warenumschlagplatz zwischen dem Rheinland und Skandinavien. Fremde Händler besuchten die Siedlung, und die Bestattungsbräuche verweisen auf die Anwesenheit von Friesen, Schweden, Sachsen und Slawen in der Siedlung, was wiederum auf ein weit gespanntes Handelsnetz schon im 9. Jahrhundert deutet. Im 11. Jahrhundert löste das am anderen Ufer der Schlei gelegene Schleswig Haithabu ab, wie auch die anderen Emporien Nachfolger hatten, verbunden jeweils mit einer Siedlungsverlagerung.

Die Normannen oder die Wikinger, die im späten 8. Jahrhundert mit dem Überfall auf das Inselkloster Lindisfarne vor der englischen Ostküste in das Blickfeld der Chronisten gerieten, plünderten u. a. auch Dorestad und weitere Küstenorte mehrfach, belagerten sogar Paris. Im 9. Jahrhundert drangen die Normannen, zunächst begünstigt durch die Kämpfe der Nachfolger Karls des Großen, bis weit ins Binnenland vor. Regino, der spätere Abt des Eifelklosters Prüm, berichtete über den Überfall auf das Kloster 892:

Und [die Normannen] richteten ihren Marsch mit der größtmöglichen Schnelligkeit nach dem Kloster Prüm; kaum entwichen der Abt und die Brüderschar durch die Flucht, als jene bereits hereinströmten. Als aber die Normannen das Kloster betraten, verwüsteten sie alles, töteten einige von den Mönchen, erschlugen den größten Teil der Dienstleute und führten die Übrigen als Gefangene fort. Nach Eroberung einer weiteren Burg kehrten sie mit ungeheurer Beute zur Flotte zurück und fuhren auf schwer beladenen Schiffen mit ihrer gesamten Mannschaft nach den überseeischen Landschaften.2

Beschreibungen geistlicher Chronisten von plündernden Wilden bestimmten lange das allgemeine Bild von den Normannen, das uns auch bis in die Gegenwart in Filmen begegnet. Aber daneben waren die Normannen mit ihren schnellen, wendigen Booten ausgezeichnete Seefahrer, die beispielsweise die Iberische Halbinsel umschifften oder, wenngleich folgenlos, von Grönland kommend 1000/1001 Nordamerika erreichten. Derart eröffneten die Normannen auch dem Handel weite Wege, verfügten sie doch zudem über Geschäftsbeziehungen mit der seinerzeit größten Metropole Byzanz, die sie über das Gebiet des heutigen Russland erreichten.

Wie bereits angedeutet, nahm die Entwicklung im Binnenland einen anderen Weg. Vorauszuschicken ist, dass es östlich des Rheins und nördlich der Donau während des gesamten Frühmittelalters keine Städte gab. Erst im 11. und verstärkt im 12. Jahrhundert folgten Stadterhebungen und Stadtgründungen. Landwirtschaft prägte das ohnehin noch in weiten Teilen waldbedeckte Gebiet. Grundherrschaften bildeten die zentrale Organisationsform, und hier bewirtschafteten Herren mit freien und unfreien Hintersassen, vom Grundherrn abhängige Bauern, das Land.

Seit dem 10. Jahrhundert privilegierten die Herrscher diese geistlichen und weltlichen Grundherren teilweise mit Markt, Münze und Zoll. Damit war es ihnen erlaubt, einen Markt abzuhalten, dort gültige Münzen zu prägen sowie für die Bereitstellung der Infrastruktur eine Gebühr, eben den Zoll zu erheben. Ob aus diesen Märkten Städte wurden, hing von vielen Faktoren ab. Begünstigend wirkte jedenfalls eine verkehrsgünstige Lage wie beispielsweise im Fall von Würzburg. Diese Märkte eröffneten nun die Möglichkeit einer Zunahme des überregionalen Handels, denn besonders die Sitze von geistlichen (Abteien) oder weltlichen Großen bildeten Zentren der Nachfrage nach Luxusartikeln aus dem Aus- und Umland, aber auch Produkten der ortsansässigen Handwerker. Eine unabdingbare Voraussetzung für einen funktionierenden Handel stellten die Münzstätten dar, denn der häufig genannte Tauschhandel blieb auch im Frühmittelalter im Fernhandel eine Ausnahme.

Waren und Wege

In größeren Mengen handelten die Kaufleute zunächst mit Tuchen. Als die Franken anstelle ihrer traditionellen langen Mäntel auf die innergallische Mode kurzer Mäntel umstellten, akzeptierte dies Karl der Große aufgrund ihrer höheren Zweckmäßigkeit im Krieg. Doch da zudem die friesischen Händler die kurzen Mäntel ebenso teuer verkauften wie zuvor die langen, soll der Herrscher diese Preispolitik mit folgender Begründung verboten haben, so die anekdotenhafte Überlieferung:

Was nützen diese kleinen Fetzen? Im Bett kann ich mich damit nicht zudecken, auf dem Pferd kann ich mich nicht gegen Wind und Regen schützen, und wenn ich austreten muss zu einem natürlichen Bedürfnis, dann erfrieren mir die Beine.3

Der Autor dieser Anekdote, Notker, Mönch in St. Gallen, macht sich damit über die Modetrends der Zeit lustig, natürlich nur die der Oberschicht. Leider sind derartige Hinweise auf Handel und Moden bei den geistlichen Schreibern die Ausnahme, denn diese entgingen ihrer Aufmerksamkeit, und nur gelegentlich greifen sie Derartiges auf, um sich über weltliche Eitelkeiten negativ zu äußern.

Hoher Beliebtheit erfreuten sich zudem fränkische Waffen, insbesondere Schwerter, deren Export die Herrscher mehrfach verbieten ließen. Doch trotz aller Verbote gelangten diese in die Heimat der Normannen, ein Teil sicherlich als Beute aus Überfällen, sowie in den islamischen Mittelmeerraum.

Keramik, Schmuck und Glas ergänzten das Angebot. Allerdings gelang die Herstellung von durchsichtigem, transparentem Glas erst im 15. Jahrhundert in Venedig, bis dahin behielt es seine grüne Farbe. Wiederum der Mönch Notker von St. Gallen nennt zudem Getreide und Wein als Handelsgüter, und beide dürften vonden großen Grundherrschaften in den Verkehr gebracht worden sein. Nach England und in den slawischen Raum gelangten zudem Mühlsteine für Handmühlen, gebrochen in den Basaltvorkommen der Eifel bei Mayen. Aufgrund ihres geringen Abriebs besaßen sie eine hohe Wertschätzung, denn oft genug schädigten Steinchen im Brot die Zähne. Aus dem Osten stammten neben Pelzwerk und Wachs vor allem Sklaven, die auf die seit dem 8. Jahrhundert weitgehend muslimische Iberische Halbinsel gebracht wurden, wo sie den Rest ihres Daseins fristeten.

Zollfreie Waren

Das Raffelstetter Zollweistum (um 905) bestimmte u. a., dass jeder Bayer, der für den Eigengebrauch Salz transportiert, vom Zoll befreit ist. Raffelstetten liegt zwischen der Mündung von Traun und Enns in die Donau, Österreich war bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts Teil des Herzogtums Bayern. Weiterhin zollfrei sollte der Handel von Bayern und Slawen mit Sklaven, Pferden, Ochsen und anderem sein, nur auf dem Markt selbst waren sie zollpflichtig. Auch die eigens erwähnten Salzschiffe hatten nur geringe Abgaben zu leisten.

Eine ganz andere Bedeutung als in der Gegenwart besaß Salz, denn für Jahrhunderte blieb es ein unentbehrliches Konservierungsmittel. Daher kann für dieses Gut gleichfalls ein weiträumiger Handel angenommen werden. Gewonnen wurde es beispielsweise in Reichenhall bei Berchtesgaden oder Hallein, später auch in Schwäbisch Hall; das Wort „Hall“ verweist auf Salzvorkommen. Ansonsten konnte eine längere Haltbarkeit in Mitteleuropa nur durch Räuchern erzielt werden, denn anders als in Skandinavien trockneten Fleisch und Fisch hier schlecht bis gar nicht.

Die wichtigsten Transportbehälter blieben bis weit in die Neuzeit (wasserdichte) Holzfässer, die sich sowohl für Land- als auch den Wassertransport eigneten, zudem vergleichsweise leicht umgeladen werden konnten. Im Gegensatz zur Spätantike orientierte sich der Handel zunehmend auf die Wasserstraßen, während die Römerstraßen, die ohnehin ausschließlich im Westen und Süden angelegt worden waren, wohl nur unzureichend unterhalten werden konnten. Allerdings mussten die Schiffe vor Einführung der Dampfkraft flussaufwärts getreidelt werden, und das bedeutet, dass Menschen oder Pferde in zeit- und kraftraubender Tätigkeit auf Uferpfaden die Schiffe zogen.

Im Binnenland mussten neue Verbindungen zu Lande geschaffen oder bestehende ausgeweitet werden. So lassen sich z. B. hölzerne Bohlenwege in Niederungen archäologisch nachweisen, die jedoch immer wieder erneuert werden mussten. Auch die Alpenpässe nutzten Kaufleute weiterhin, und langsam intensivierte sich der Handel der rechtsrheinischen, oberdeutschen Gebiete mit dem Mittelmeerraum. Betrachtet man die verschiedenen Zielgebiete der Händler gemeinsam, so zeigt sich, dass im frühen Mittelalter bereits weite Gebiete Europas, wenngleich noch in geringem Umfang, in den Warenverkehr integriert waren, bestehende Bindungen in den folgenden Jahrhunderten ausgebaut werden konnten.

Städte und Messen

Einer Intensivierung des Handels voraus gingen das hochmittelalterliche demografische Wachstum, das noch vor der ersten Jahrtausendwende einsetzte, und bis etwa 1300 europaweit zu einer Verdoppelung der Bevölkerung führte, sowie die Urbanisierung des 11. und 12. Jahrhunderts. Dennoch besiedelten nach gängigen Schätzungen um 1300 höchstens 80 Millionen Menschen den Kontinent, und damit weniger, als heute allein in Deutschland leben. Bis etwa 1125 könnten sich in Deutschland etwa 30 Städte mit Fernhandelsmärkten entwickelt haben, zu denen auch römische Gründungen wie Köln oder Trier zählten, die jeweils zwischen 1000 und 5000 Einwohner beherbergten. Dazu traten mehrere Hundert Nahmarktorte mit 200 bis 1000 Bewohnern. Freilich handelt es sich bei diesen Zahlen wie so häufig in diesen Jahrhunderten um Schätzungen. Die Zahl der Städte und ihrer Einwohner sollte danach nochmals kräftig zunehmen. Messen oder Jahrmärkte sind keine Erfindung des Hochmittelalters, die älteste in St. Denis bei Paris ist für 634/35 belegt, nunmehr etablierten sich aber Messesysteme. St. Denis besuchten übrigens schon Ende des 7. Jahrhunderts Kaufleute aus Quentowik; Angelsachsen und Friesen beteiligten sich im folgenden Säkulum an den Messekarawanen.

„Messesysteme“ meint darüber hinausgehend eine zeitliche Abstimmung der Termine in verschiedenen Städten, und das Netzwerk zwischen produktiven Gewerbezentren und Kaufleuten, über die die Produkte in den Handel gelangten. Im späten 12. und 13. Jahrhundert dominierten die Champagne-Messen, gefördert von den dortigen Grafen. Sechs Messen in vier Orten wechselten miteinander, nur im Winter ruhte der Messeverkehr. Die Grafen gewährleisteten, zumindest in ihrem Herrschaftsbereich, eine sichere An- und Abreise der Kaufleute, verbesserten die Infrastruktur, garantierten eine wertstabile Münze und gestatteten den Kaufleuten die Regelung interner Streitigkeiten mittels einer Messegerichtsbarkeit. All dies förderte in Verbindung mit moderaten Abgaben die Messen, von denen die Grafen selbstverständlich über die Zölle wiederum finanziell profitierten.

Für das Reichsgebiet ist zunächst ein Messenetz am Niederrhein, genauer in Köln, Utrecht, Aachen und Duisburg, zu erwähnen, bei dem sich seit dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts ein abgestimmtes System vom ersten Fastensonntag eines Jahres bis in den November erkennen lässt. Diese Städte besuchten Kaufleute aus den Nachbarregionen, aus Oberdeutschland und den Niederlanden. Sein Ende fand es, als das dominierende Köln seine Politik änderte, doch dazu später. Im frühen 13. Jahrhundert zeigen sich analoge Verbindungen zwischen den herrscherlich geförderten Gelnhausen und Frankfurt a. M., auch die berühmte Frankfurter Messe entwuchs einem Viehmarkt, und Würzburg, hier übernahm der Bischof die Initiative. Im späten 13. Jahrhundert schloss sich Friedberg an. Am Mittelrhein organisierten noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Worms, Speyer und Oppenheim ein weiteres Messenetz. Spätere Versuche, Messen einzurichten, sollten allerdings scheitern. So konnte Nürnberg, das seinen weiträumigen Handel auf wechselseitige Begünstigungen mit anderen Städten gründete, im 15. Jahrhundert keine Messe mehr etablieren.

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