Читать книгу Opas Seefahrtzeit – Ing-Assi und Seemaschinist 1959 bis 1964 - Bernd Herzog - Страница 6

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Mit MS „AUGUSTENBURG“ in Amerika

Endlich, endlich waren wir in Jacksonville in Florida. Nie wieder Seefahrt – koste es was es wolle – nur noch zurück nach Hause!

Ein Kamerad kam mit mir an Land, um das nächste Reisebüro zu finden. Aber auf dem Weg kamen wir an einem Eiscafé vorbei, die uralte Wirtin sprach uns an, in einem Englisch, von dem wir kein Wort verstanden. Jedenfalls brachte sie uns zwei riesige Eisbecher. Wo war meine Übelkeit? Das erste Essen seit zwei Wochen, das ich bei mir behielt! Hey, mir ging es gut!

In Jacksonville wurden die Autos ausgeladen, und damit ging auch der Supercargo von Bord, und ich konnte meine Kabine mittschiffs beziehen. Mein neues Reich, zwei Meter breit, drei Meter lang, mit Koje, Sofa, Schreibtisch, Waschbecken und Bullauge. Betten machen und reinigen musste der Steward. Ich war glücklich!

Von Jacksonville sollte es nach New Orleans gehen. Kurz nach Auslaufen von Jacksonville hatte ich Freiwache. Wir fuhren sehr dicht an der Küste Floridas entlang, herrliche Strände und riesige Hotels waren zu sehen. Rechts und links sah man Sportboote mit Anglern, die auf Schwertfischfang waren. Um besser sehen zu können, machte ich es mir mit meinem Kumpel auf dem Bootsdeck bequem. Hier standen auch zwei Korbsessel, die wir uns an die Reling zogen. Die Füße hoch gelegt. Der erste Steward Rockefeller brachte uns noch zwei Kissen. Das Schiff bewegte sich leicht in der Dünung. Die Füße auf die Reling gelegt, eine Flasche Becks Bier in der Hand. Was war die Seefahrt doch schön!

Bis, ja, bis der Kapitän zur Brücke wollte. Erst ist er ja noch vorbei gelaufen, aber dann, nach zwei Stufen auf der Treppe zur Brücke abrupte Kehrtwendung und dann wieder nur ein riesiges Loch in der Mitte des Gesichtes vom Kapitän: „Also, so eine Frechheit hat man ja noch nie erlebt – Idioten – sich erlauben“ usw.! Schließlich gehöre das Steuerbord-Bootsdeck nur dem Kapitän, das Backborddeck nur dem Ersten Ingenieur. Im fluchtartigen Verlassen des Bootsdecks konnte ich noch das Grinsen von Rockefeller sehen.

Langsam näherten wir uns auf dem Wege nach New Orleans dem Mississippi. Tom Sawyer, Huckleberry Finn – all die Abenteuer hatte ich doch gelesen, und nun war ich hier! Der Mississippi – wie beschrieben, unübersichtlich und breit in der Mündung, lehmartige Farbe, Baumstämme und schwimmende Inseln, Neger (damals übliche und gesellschaftlich nicht zu beanstandende Bezeichnung) in Kanus und Raddampfer – wie aus den Romanen. In endlosen Kurven zog sich der Fluss über 300 km bis zur Stadt. Für uns in der Maschine bedeutete das 24 Stunden Manöverwache, also 8 Stunden Dienst, dann 4 Stunden frei und wieder 8 Stunden Wache.

New Orleans – wir lagen an einer Holzpier direkt unterhalb der Altstadt und sollten tiefgefrorene Hähnchen laden. In Deutschland konnten die meisten es sich nämlich nach dem Krieg erstmals wieder leisten, in ein Restaurant zum Essen zu gehen. Der Werbespruch einer Restaurant-Kette „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den ‚Wienerwald’“ war 1960 der „Renner“ in Deutschland, und wir waren die Lieferanten.

An der Pier stand schon der Reederei-Agent mit einem riesigen Chevrolet. Er sollte uns Greenhorns, die noch nie in den USA waren, zur Immigration in die City bringen.

Riesige Häuser mit 30 bis 40 Stockwerken – von Hamburg kannte ich Häuser mit fünf höchstens sechs Stockwerken – acht Fahrstühlen nebeneinander. Mir war ganz schwindelig.

Bei der Immigrationsbehörde ging es dann ganz flott. „Sit down, please“ – ein Schild mit einer Nummer vor den Bauch halten, ein Blitz, der Stuhl dreht sich um 90 Grad, noch ein Blitz, „thank you, next please“. Im Nebenraum noch die Fingerabdrücke hinterlassen, „moment please“.

Alle Seeleute wurden so erfasst. Dafür brauchten wir kein Visum. Der Ausweis wurde bei der Abfahrt wieder geprüft. Fehlte ein Besatzungsmitglied, mussten 10.000 US-Dollar für die Fahndung vom Kapitän hinterlegt werden. Wenn wir mit dem Schiff aus Südamerika kamen, wurde sogar noch eine ärztliche Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten durchgeführt. Nach einer halben Stunde stand ich mit meinem nagelneuen Landgangausweis wieder auf der Straße.


– Landgangsausweis –

Wenn ich da an Hamburg denke, wo die Ausstellung meines Seefahrtbuches über eine Woche gedauert hat, dann musste man sich schon sehr wundern.

Es war heiß, in den Kammern wurde es bis zu 40° C warm. Klimaanlagen gab es nur für die Ladung, aber nicht für die Besatzung – zu teuer! Die Hähnchen wurden in riesigen Trucks aus Texas angeliefert, gekühlt mit Trockeneis. Trockeneis? Das war doch die Idee, wenn das Trockeneis bei der Hitze die Hähnchen tiefgefroren halten konnte, dann konnte es sicher auch meine Kammer kühlen! Also einen großen Blecheimer holen, mit Trockeneis füllen und in das Waschbecken meiner Kammer füllen. Dann noch den Lüfter auf volle Pulle, Fenster fest zuschrauben und die Tür schließen. Ich muss ja wohl herrlich geschlafen haben, und wenn mein Kollege nicht zum Wecken gekommen wäre, hätte ich mich bei meiner ersten Amerikareise in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Bewusstlos war ich nämlich schon!

Trockeneis ist auf - 80°C gekühltes Kohlendioxid (CO2) und wirkt erstickend! Meier-Blankenese hat das nie erfahren, er hätte sonst bestimmt das Auspeitschen wieder eingeführt!

Ich war inzwischen zum Kühlmaschinisten befördert worden, brauchte keine Maschinen-Wache mehr gehen, aber hatte praktisch einen 24-Stunden-Dienst an den Kühlmaschinen. Da die Anlieferungen durch die Trucks sehr unregelmäßig waren und die Kühlmaschinen auf voller Leistung liefen, hatte ich einen relativ ruhigen Job. Die ganze Beladung zog sich über drei Wochen hin. Über meinen Landgang konnte ich also ziemlich selber bestimmen.


– Mississippi-Raddampfer aus dem Jahr 1924 –

An der Pier lernte ich eine ältere Dame kennen – eine ausgewanderte Deutsche. Durch diese Dame habe ich Einblick in das alte New Orleans erhalten mit seinen Hinterhöfen und Villen.


– New Orleans – Bourbon Street –

Sie erzählte mir auch von deren Geschichte, zeigte mir den Fischmarkt und die Bourbon Street, auch bei Tage, wie es kein Stadtführer besser machen könnte. French Quater mit seinen herrlichen alten spanischen Villen, mit kühlen Innenhöfen, in denen Springbrunnen inmitten großer Blumenrabatten Wasserfontänen in die Höhe spien, lernte ich mit ihrer Hilfe kennen, die Außenfassaden mit Veranda und schmiedeeisernen Geländern. Es fehlten eigentlich nur noch die Pferde. Polizisten in schwarzen Uniformen sah ich mit echtem Sheriffstern an der Brust, mit echten, großen Revolvern an den Hüften, manche sogar mit zwei Revolvern, nicht auf Pferden, aber auf chromblitzenden Harleys!

Und dann der Fischmarkt, mit Hummer, Kaviar, Austern in allen Variationen an Ständen wie bei uns an der Wurstbude. Aber das war nur die Sonnenseite von New Orleans. Das erste Mal in meinem Leben habe ich hier erfahren, was Rassismus ist. Als Hamburger aus einer Seemanns-Familie habe ich mir darüber niemals Gedanken gemacht. Zuerst ist mir aufgefallen, dass es in den Kneipen an der Pier zwei unterschiedliche Räume gab, einen für die Weißen und einen für die Schwarzen, obwohl sie doch zusammen gearbeitet haben. Dann in den Bussen, die Weißen saßen vorne, die Schwarzen hinten. Extrem wurde es dann an einem Sonntag. Wir fuhren gerne zum Freizeitzentrum Pontchartrain Park, wo es Swimmingpools, Bars, Achterbahn und schnuckelige Mädchen gab. Natürlich nur für Weiße!



Am Sonntagmorgen fuhren wir zu dritt mit dem Bus vom Hafen los. In dem vollbesetzten Buswaren fast nur Neger, die von der Kirche kamen. Als wir einstiegen, sprang sofort ein Neger von seinem Sitzplatz auf, er hatte einen Säugling auf dem Arm und ein ca. dreijähriges Kind, das sich an seine Hose klammerte. Da mir der Umgang mit kleinen Kindern nicht fremd war, meine Schwester ist 14 Jahre jünger, habe ich das kleine Kind auf den Schoß genommen. An der Haltestelle, wo wir umsteigen mussten, stieg auch der einzige Weiße mit aus und forderte die Passanten auf, uns zu verprügeln, weil ich das schwarze Kind auf den Schoß genommen hatte.



Das Ganze spielte sich 1960 ab, ich hätte nie gedacht, dass ein Farbiger, wie Obama, jemals Präsident der USA werden könnte!


Opas Seefahrtzeit – Ing-Assi und Seemaschinist 1959 bis 1964

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