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VORWORT

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Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832) – wohl auf keinen Vertreter seiner Zunft trifft das geflügelte Wort zu: Der Philosoph gilt nichts im eigenen Land. In Deutschland nahezu vergessen, stets im Schatten solcher Geistesgrößen wie Fichte, Schlegel, Schelling und Hegel stehend, verschmäht, geschmäht und als oft vergeblich sich abmühender Privatdozent in Jena, Dresden, Göttingen und München zumeist mit Geringschätzung bedacht, entfaltete seine Lehre im Spanien des 19. Jahrhunderts ihre volle Wirksamkeit. Sie strahlte ebenso auf lateinamerikanische und andere Länder aus. Doch zunächst: Wer war jener Denker, wie verlief sein Leben? Worin besteht der Kern seiner Lehre, des Panentheismus?

Krause wurde am 6. Mai 1781 in der thüringischen Kleinstadt Eisenberg als Sohn eines Lehrers geboren. Er studierte in Jena Theologie, Philosophie und Mathematik. Zu seinen Lehrern gehörten die berühmten Philosophen Fichte, Schelling und A. W. Schlegel. Auch sah sich Krause als Schüler Kants. 1801 erwarb Krause den Doktorgrad und habilitierte sich ein Jahr später mit einer philosophisch-mathematischen Schrift.

Weitere Publikationen folgten rasch, so die „Grundlagen des Naturrechts oder philosophischer Grundriss des Ideals des Rechts (I)“, „Grundriss der historischen Logik für Vorlesungen“, „Grundlagen eines philosophischen Systems der Mathematik“ (1. Teil), „Faktoren und Primzahlen“ und „Entwurf des Systems der Philosophie. 1. Abteilung“.

1802 schloss der 21-Jährige mit Amalia Concordia Fuchs aus Eisenberg den Ehebund. Das Paar hatte vierzehn Kinder, zwei starben allerdings kurz nach der Geburt. Die Vorlesungen des Privatdozenten in Jena waren zunächst gut besucht. Allerdings sanken die Studentenzahlen, und wie andere Dozenten auch, trug sich Krause mit dem Gedanken, aus Jena wegzuziehen. Er führte den Plan auch aus, was sich im Nachhinein als folgenschwerer Fehler für seine akademische Karriere erweisen sollte.

Die Familie zog zunächst nach Dresden, wo Krause Vorlesungen an einer Ingenieurschule hielt und zugleich Privatunterricht erteilte. Schon hier stellten sich enorme finanzielle Schwierigkeiten ein. Immer blieb Krause auf Geldzuwendungen des Vaters angewiesen. Die missliche Situation schien sich mit dem Umzug nach Berlin zu wenden. Immerhin durfte Krause mit Fichtes Fürsprache rechnen, weil er Vorlesungen in Mathematik zu halten beabsichtigte. Als sein einflussreicher Lehrer starb, hoffte Krause, ihn zu beerben, doch vergebens. Er konnte nicht in Berlin bleiben, zog 1815 wieder nach Dresden um. Die Jahre vergingen, die Familie fristete kümmerlich genug ihr Leben. Mehrere Umzüge in immer billigere Wohnungen waren an der Tagesordnung. Auch in Göttingen war Krause kein Glück beschieden. Die Hoffnungen, hier als Privatdozent aus den materiellen Nöten herauszukommen, zerschlugen sich. Schlimmer noch. Krause wurde mit dem Aufruhr 1831, der die Stadt erfasst hatte, in Verbindung gebracht, weil einige seiner Schüler darin verwickelt waren. Er musste die Stadt verlassen. Letzte Station des glücklosen Gelehrten war München. Hier strebte Krause eine Honorarprofessur an der Universität an, ersuchte bei König Ludwig um Beistand. Kein Geringerer als Schelling soll diesen Plan vereitelt haben. Wegen der Göttinger Affäre drohte Krause sogar die Ausweisung. Er wusste sich allerdings klug zu verteidigen, den König und seinen Minister, den Fürsten Ludwig von Oettingen-Wallerstein, von seiner Unschuld zu überzeugen. Letztlich gab das Ehrenwort des Philosophen Franz von Baader den Ausschlag.

Alle Not, alle Widrigkeiten, die Enttäuschungen seiner vergeblichen Versuche, ein einträgliches akademisches Amt zu erhalten, hinterließen ihre Spuren. Krause erkrankte ernstlich. Er suchte Heilung in Partenkirchen. Als er nach München zurückkehrte, erlag er am 27. September 1832 einem Schlaganfall. Wenige Menschen, unter ihnen seine weinenden Kinder, begleiteten den Sarg.

Soviel zum Leben dieses bedauernswerten Gelehrten. Und doch: Trotz aller Misserfolge, die nicht zuletzt auf den Neid mächtiger Brotgelehrter zurückzuführen waren, hat Krause eine originäre Philosophie hinterlassen. Dessen Kernpunkt bildet der Panentheismus. Was ist darunter zu verstehen?

Kurz übersetzt bedeutet dieser von Krause geprägte Begriff „Alles ist und lebt in Gott“. Gott ist der Welt einbegriffen und zugleich außer ihr. Gegenüber dem landläufig verstandenen Pantheismus Spinozas meint diese Lehre folglich, dass Gott und Natur nicht identisch sind. Angenommen wird somit ein vollkommenes göttliches Wesen, das sowohl in der Natur als auch im menschlichen Leben wirkend gegenwärtig ist. Dieses göttliche Wesen führt die Menschheit auf den Endzustand einer ethischen und sozialen Idealordnung hin. Das Wichtigste in diesem Kontext sind Krauses „Realer Harmonismus“ und seine „Lebenskunstwissenschaft“. Demnach entwickelt sich die Menschheit vom Individuum, von einfachen Bünden wie Familie und sozialen Zusammenschlüssen bis hin zum Staat letztlich zum „Menschheitsbund“. Hier ist der Höhepunkt erreicht, es folgt der Abstieg, und der Zyklus beginnt von Neuem. Immer aber ist Gott gegenwärtig, sein Prinzip der Liebe durchdringt das gesamte Dasein. Von daher rührt auch Krauses Leitspruch „Die Liebe trägt den Sieg davon“. Interessanterweise entwickelt Krause, insbesondere in seinem Hauptwerk „Das Urbild der Menschheit“, recht modern anmutende Auffassungen und dies ‒ man muss es hervorheben ‒ anfangs des 19. Jahrhunderts: Souveränität der Völker, Gleichberechtigung der Frau, Rechte des Kindes und Eigenrecht der Natur. Darunter fallen ebenso Rechte der Tiere; Rechte, die außerhalb jeglichen menschlichen Nützlichkeitsdenkens angesiedelt sind.

Warum fiel seine Lehre gerade in Spanien auf fruchtbaren Boden?

Reformerische Kräfte beauftragten im Jahre 1842 Julian Sanz del Rίo (1814 – 1859), Doktor des Kirchenrechts und nachmaliger Professor für Geschichte der Philosophie an der Madrider Zentral-Universität, mit einer Reise nach Deutschland. Er sollte sich dort nach modernen Philosophien umsehen, die geeignet schienen, das geistig weit zurückgebliebene Spanien in die neue Zeit zu retten. Sein Weg führte ihn im Jahre 1843 über Paris nach Brüssel, wo er mit dem Krause-Schüler Heinrich Ahrens (1808 – 1874) zusammentraf. Dessen Werk „Naturrecht oder Philosophie des Rechts“ war bereits 1841 in Madrid erschienen; Sanz del Rίo war es bekannt. An der Heidelberger Universität traf der junge spanische Doktor mit zwei weiteren Krause-Anhängern zusammen, die ihn in seinem Entschluss bestärkten, der Krause’schen Philosophie im Heimatland zum Durchbruch zu verhelfen. Mit ihrem Hang zum Harmonismus stand die Krause’sche Philosophie dem zutiefst religiös geprägten Denken der Spanier weitaus näher als etwa die Widerspruchsdialektik Hegels, die ungeachtet dessen dennoch eine gewisse, aber weitaus schwächere Wirkung auf der iberischen Halbinsel zeitigte. Doch auch der zu jener Zeit vorherrschende französische Eklektizismus eines Victor Cousin (1792 ‒ 1867) stand nicht nach dem Sinn der Spanier. So erhielt die Krause-Philosophie, zumal sie sehr klug eine Brücke zur katholischen Gefühlswelt dieser Menschen schlug, eine erfolgsträchtige Chance.

Der Krausismo stand rasch nach Sanz’ Rückkehr für eine echte geistig-moralische Erneuerung. Diese praktische Philosophie wandte sich gegen die verknöcherte Scholastik und ihre geistige Führerschaft. Die Reaktion folgte prompt: Die Werke von Julian Sanz del Rίo, so sein wichtigstes Werk „Ideal de la humanidad para la vida“, und von Heinrich Ahrens wurden verboten. Krausismo-Professoren verloren ihre Lehrstühle. Dennoch blieb die geistige Konterbande lebendig. Dies zeigte sich sofort in der Revolution von 1868. Erfolgreich rangen Krausisten um sozialliberale Rechte, sie beförderten Reformen. Dabei kritisierten sie durchaus den im bloßen markt-wirtschaftlichen Denken befangenen Liberalismus und das Modell eines ausschließlich technokratisch organisierten Staates. Ihr Sinnen und Trachten lief gewissermaßen auf eine „partizipative Demokratie“ hinaus. Der Staat sollte die Gesellschaft nicht dominieren. Krausistische Reformer waren vor allem auf den Gebieten der Bildung und des Rechtswesens erfolgreich.

Einige entlassene Professoren, unter ihnen der überragende Krausist Giner de los Rίos, gründeten im Jahre 1876 die „Institución Libre de Enseñanza“. Dieses fortschrittliche Bildungsinstitut bestand über Jahrzehnte und wurde erst von Franco geschlossen. Nach dessem Tod blühte der Krausismo rasch wieder auf. In Lateinamerika hat er immer geblüht.

Das vorliegende Buch soll die Wirkungsgeschichte der Krause’schen Philosophie in Spanien mit belletristischen Mitteln ein wenig erhellen. Es vernachlässigt im Interesse der Handlung Lebensdaten einiger Personen sowie die konkreten Daten geschichtlicher Ereignisse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Eisenberger Ereignisse während der bürgerlichen Revolution von 1848/​49 sowie die Lyoner Seidenweberstreiks der Jahre 1831, 1834 und 1848, fokussiert sie vielmehr in freier Darstellung um das Jahr 1860, das Erscheinungsjahr des „Ideal de la humanidad para la vida“. Durch diesen Kunstgriff sollen die großen sozialen und geistigen Bewegungen dieser Zeit deutlich gemacht werden. Viele Personen haben wirklich gelebt, neben den bereits erwähnten Sanz del Rίo und Giner de los Rίos sind hierzu Gumersindo de Azcárate, Jaimes Balmes und Fernando de Castro zu nennen. Andere werden in die frei erfundene Handlung eingeführt. Dies betrifft beispielsweise Ernsts Geliebte Ines sowie andere Mitglieder der Familie Pajares (mit Ausnahme des Fernando de Castro y Pajares), Ernsts Widersacher Adolfo Castelar, die Jesuitenpater Albrecht und Jordanus sowie weitere Personen. Auch die Reise des Krause-Sohnes Ernst nach Spanien ist Fiktion. Gleichwohl wäre sie als „Übersetzungshilfe“ des schwierigen Krause’schen Begriffsapparates durchaus möglich gewesen. Hinter dem Pseudonym Rodolfo Eugenos verbirgt sich der Jenaer Nobelpreisträger Rudolf Eucken, dessen glänzende Festtagsrede im Jahre 1881 anlässlich des 100. Geburtstages von Karl Christian Friedrich Krause referierend ins Manuskript einbezogen wurde. Schließlich vermochte bislang kein anderer Text die Gedanken des Eisenberger Philosophen so brillant und zugleich verständlich einzubeziehen wie dieser.

Der Autor möchte einen Beitrag leisten, jenen überragenden, wenn auch einsamen Denker bekannt zu machen, der sich ebenso mit Mathematik, Anthropologie, Pädagogik, Logik, Sprachwissenschaft, Musik und den Anfängen der Soziologie beschäftigte. Sein Panentheismus steht durchaus ebenbürtig neben den großen geschlossenen Systemen eines Fichte, Schelling und Hegel. Dies allein ist Grund genug, Krause dem Vergessen zu entreißen. Erfreulicherweise hat sich seine Heimatstadt Eisenberg ihres großen Sohnes nach Jahrzehnten der Geringschätzung wieder erinnert. Es gibt ein saniertes Denkmal, einen Krause-Platz und eine Schule, die seinen Namen trägt. Konferenzen und Vorträge in den vergangenen Jahren ließen das Krause’sche Erbe wieder lebendig werden.

Bei der Erschließung der Philosophie Krauses in ihrer systematischen und historischen Dimension konnte ich mich u. a. auf folgende Publikationen stützen: Klaus-M. Kodalle (Hrsg.): „Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832) und der ,Krausismo’“. Schriften zur Transzendentalphilosophie Bd. 5, Hamburg (Verlag Felix Meiner) 1985; K.-M. Kodalle: Art. „Karl Christian Friedrich Krause“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 4, S. 624 – 631; K.-M. Kodalle: „Die Wirtschaftsphilosophie Krauses und des ,Krausismo’“, unveröff. Vortrag; Enrique M. Ureña: „K. C. F. Krause. Philosoph, Freimaurer, Weltbürger. Eine Biographie“, frommann-holzboog Stuttgart-Bad Canstatt 1991, in: Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus, Abt. II: Untersuchungen, Bd. 22; Sabine Schmitz: „Spanischer Naturalismus: Entwurf eines Epochenprofils im Kontext des Krausopositivismo“, Tübingen Niemeyer 2000; Kurt Riedel: „Wie Karl Ch. F. Krause wurde, was er uns sein soll“, Dissertation; Peter Landau (München): „Geschlechtergerechtigkeit bei Karl Christian Friedrich Krause“, Vortrag; Claus Dierksmeier: „Der absolute Grund des Rechts. Karl Christian Friedrich Krause in Auseinandersetzung mit Fichte und Schelling“, frommann-holzboog Stuttgart-Bad Canstatt 2003. In: Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus, Abt. II: Untersuchungen, Bd. 52; Wilfried Warsitzka: „Bürger unterm Mohrenwappen, Aus der Geschichte der Stadt Eisenberg und ihrer Bewohner“, Verlag Bussert & Stadeler, Jena, Quedlinburg, Plauen 2010; Archivalien des Stadtarchivs Eisenberg.

Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Peter Landau (München) für die wohlwollende fachliche Beratung. Dank gebührt ebenso meiner Erst-Lektorin, Dörthe Rieboldt (Eisenberg), für ihre professionelle Durchsicht des Manuskripts.

Fackel in tiefer Nacht

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