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›Ungewöhnlich warm für die Jahreszeit‹ meldete der Wetterbericht im Radio. ›Straßencafés im Januar geöffnet‹, ›Wo bleibt nur der Winter?‹, schrieben die Tageszeitungen in ganz Süddeutschland.

Die Silvesternacht brachte noch klirrende minus acht Grad, doch nun strömte schon seit sieben Tagen angenehm warme Luft aus Nordafrika ein.

Die Schneedecke begann auch in den höheren Schwarzwaldlagen bedenklich zu schwinden und auf den Gesichtern der Wintersport-Organisatoren gruben sich die Sorgenfalten immer tiefer ein.

Im Rheintal jedoch, von Basel bis Mannheim, lockte der Sonnenschein mehr und mehr Menschen ins Freie.

Auch die drei jungen Mütter, die nebeneinander auf der Holzbank saßen und ihre spielenden Kinder beobachteten, zogen die Jacken aus und genossen im T-Shirt und mit Sonnenbrille die Wärmeperiode kurz nach Dreikönig.

Eine Elterninitiative hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um den vormals recht dürftig ausgestatteten Spielplatz attraktiver zu gestalten. Ein neues Klettergerüst mit Tarzanbahn, drei zusätzliche Wipptiere, ein riesiger Sandbereich und eine farbenfroh gestrichene Schaukelanlage waren mit vielen Stunden Arbeitseinsatz und der finanziellen Unterstützung des ortsansässigen Kiesgrubenbetreibers entstanden.

Der Oberbürgermeister von Rheinstetten, einer südlich von Karlsruhe gelegenen Zwanzigtausend-Einwohner-Stadt, hatte bei der Einweihung viele herzliche, lobende und dankende Worte für die aktiven Eltern gefunden und gleichzeitig in mitleiderregender Weise über die katastrophale Finanzsituation seiner Kommune lamentiert. Nicht einmal ein ordentlicher Spielplatz für die jüngsten Mitbürger könne finanziert werden. Umso dankbarer sei er der Elterninitiative für die geleistete Arbeit und hoffe, dass die Anlage ein vielbenutzter Treffpunkt für die Familien des ganzen Wohngebietes würde.

»Wenigstens hält der Bauhof den Platz hier in Schuss«, meinte zufrieden eine der drei jungen Frauen, die gerade beobachtete, wie ihre siebenjährige Tochter in hohem Bogen von der Kettenschaukel flog. »Gut, dass dort alles mit frischem Häcksel-material bestreut ist. So kann sich keines der Kinder wehtun.« Sie wartete darauf, dass sich ihre Sarah-Lisa wieder aufrappeln würde.

Stattdessen aber und zum Schrecken aller begann das Mädchen markerschütternd zu schreien und blieb stocksteif liegen. Es schien zu keiner Bewegung mehr fähig zu sein.

Das Schlimmste vermutend und schon mit einer Hand das Handy für den Notruf aus der Hosentasche ziehend, rannte die schockierte Mutter zur Schaukel, die beiden anderen folgten ihr auf dem Fuß.

Fest davon überzeugt, dass sich das Kind eine schwere Kopfverletzung zugezogen hätte, warf sie sich auf die Knie neben ihre Tochter, die bäuchlings vornüber im Holzhäcksel gelandet war. Ganz auf der Suche nach Blut oder anderen Verletzungsspuren bemerkte sie nur am Rande, dass die knöcheltiefe Unterlage aus Hackschnitzeln eigentlich so weich war, dass jeder Sturz gut abgefedert werden musste.

»Sarah-Lisa, wo tut’s dir weh? Was hast du denn?«, rief die aufgeregte Mutter, nachdem sie auf den ersten Blick nichts erkennen konnte. Das Kind schrie jedoch nur noch lauter starrte wie versteinert nach vorne.

Als die Frau dem Blick folgte und realisierte, was wenige Zentimeter vor dem Kopf des Mädchens aus dem Holzhäcksel ragte, stieß auch sie einen markerschütterten Entsetzensschrei aus und erbleichte.

Wesentlich ruhiger ging es dagegen im Karlsruher Polizeipräsidium zu.

»Im Herbst sterbst!« Mit diesem markigen Spruch brachte Oskar Lindt das Ergebnis der jährlichen Statistik auf einen Nenner.

»Diesen süddeutschen Ausdruck würde aber ein Kollege aus Hamburg nur schwer verstehen«, runzelte sein Mitarbeiter Paul Wellmann die Stirn.

»Für unseren Bericht und insbesondere für Nordlichter müssen wir das auch etwas anders formulieren. Wie wäre es denn so: ›Auffallende Häufung von Tötungsdelikten im letzten Quartal des Jahres!‹ Das begreift man wohl auch dort, wo’s nach Fisch riecht.«

»Also bitte, Oskar, du brauchst mich nicht schon wieder daran zu erinnern, wo meine Wurzeln liegen. Schließlich lebe ich jetzt bereits über vierzig Jahre hier im sonnigen Süden«, schmollte Wellmann, aber eine gelegentliche Stichelei verzieh er gerne.

Seit über zwei Jahrzehnten waren die beiden Hauptkommissare ein eingespieltes Team und bearbeiteten alles, was in und um Karlsruhe mit Mord und Totschlag zu tun hatte.

Kurz nachdem der damalige Polizeipräsident die Leitung der Abteilung für Tötungsdelikte an Oskar Lindt übertragen hatte, war auch Wellmann in diese Ermittlungsgruppe versetzt worden.

»Wenn wir mal viel Zeit haben«, sinnierte Lindt mit qualmender Pfeife im Mund, »also, wenn wir gar nicht wissen, was wir tun sollen, weil alle Fälle gelöst sind und es nur noch natürliche Todesursachen gibt, dann sollten wir doch mal zusammenzählen, wie viele gemeinsame Erfolge wir in diesen vielen Jahren vorweisen können.«

»Ach, mir reicht eigentlich auch die Arbeit für die jährliche Statistik. Was unsere Oberen da wieder alles wissen wollen …« Wellmann raufte sich die Haare. »Unglaublich, jedes Jahr wird es mehr. Da noch eine Sonderauswertung und dort noch eine Spezialerhebung, nach Altersgruppen, Bevölkerungsschichten, Nationalitäten, Zusammenarbeit mit anderen Kripo-Abteilungen und alles noch getrennt nach Stadt- und Landkreis. Ich weiß wirklich nicht, wofür das gut sein soll. Die Presse veröffentlicht doch nur die wichtigsten Entwicklungen und der Rest unserer Arbeit verschwindet auf Nimmerwiedersehen zwischen zwei grauen Aktendeckeln.«

»Aber Paul«, beruhigte ihn sein Kollege, »wir sind doch schon fast fertig damit und außerdem können wir dieses Mal die Besonderheit melden, dass die Tötungsfälle im letzten Viertel des vergangenen Jahres deutlich angestiegen sind. Das hatten wir noch nie. Ob es einen Grund gibt?«

»Reiner Zufall, aber hoffentlich geht das neue Jahr nicht so weiter, wie das alte aufgehört hat.«

Traditionell machten die zwei Kriminalisten von Weihnachten bis zum Dreikönigstag Urlaub und waren nur bei Kapitalverbrechen erreichbar. Die ungeliebte Arbeit, ihre letztjährigen Ermittlungen zusammenzustellen, nahmen sie immer am ersten Arbeitstag des neuen Jahres in Angriff.

Tradition war es auch, dass sie sich am späteren Nachmittag dieses Tages mit ihren engsten ›Verbündeten‹ zum gemeinsamen Kegeln trafen.

Staatsanwalt Conradi gehörte zu diesem Kreis, Ludwig Willms, der Leiter der Kriminaltechnik und seit einigen Jahren auch Jan Sternberg, der dritte Mann in der Ermittlungsgruppe. Überraschenderweise war es Lindt nach langjährigem penetrantem Bohren doch gelungen, bei der Personalverwaltung die dringend notwendige, weitere Stelle für seine Abteilung zu bekommen. Technik- und Computerfreak Sternberg war dem erfahrenen Kommissar schon während der Ausbildungszeit sehr positiv aufgefallen und ergänzte das Team durch seine Spezialkenntnisse jetzt optimal.

Das vergangene Jahr hatte zwar mehr Arbeit gebracht, insgesamt vier Morde und fünfzehn Mal Totschlag, wie die nüchternen Zahlen auf dem Monitor auswiesen, aber das Kommissariat konnte ganz stolz eine Aufklärungsquote von 100 Prozent vermelden. Meistens war schon von vornherein bekannt, wer die Taten begangen hatte, oder die Spuren zeigten ein so eindeutiges Bild, dass die Ermittler mit der Beweisführung nur wenig Mühe hatten.

»Wir können unsere Arbeit wirklich vorzeigen«, lehnte sich Lindt zufrieden zurück und paffte dicke Rauchwolken in den Raum, nachdem er den Bericht abgeschlossen und über das polizeiinterne Datennetz an seinen direkten Vorgesetzten und die Pressestelle gemailt hatte.

»Erstaunlich auch, wie ruhig die Feiertage verlaufen sind«, stimmte ihm Wellmann zu und erinnerte sich daran, dass sie schon öfter wegen weihnachtlichen Beziehungstragödien ihren Urlaub hatten unterbrechen müssen.

»Freu dich nicht zu früh, Paul … du kannst sicher sein, der nächste dicke Fall kommt bestimmt!«

Die Kegelrunden waren voll im Gang. Natürlich lag Ludwig Willms in Führung. Ehrensache für den durchtrainierten, hageren Sportler, die Kollegen stets deutlich zu übertrumpfen und wenn versehentlich seinem alten, aber etwas in die Breite gegangenen Freund Oskar mal ein guter Wurf gelang, quittierte er es nur mit: »Dusel, das war reiner Dusel!«

Die anderen kannten den Ehrgeiz des Marathonläufers und nahmen ihn deswegen gerne auf die Schippe. Besonders, wenn Willms’ Kugel, was aber sehr selten vorkam, die Bande berührte, gab es johlendes Gelächter und schadenfrohe Kommentare.

Manchmal ließ Lindt auch absichtlich beim Wurf seine Pfeife im Mund. Er wusste genau, dass Willms jedes Mal entsetzt das unsportliche Verhalten kommentieren würde und grinste nur erfreut darüber, dass es ihm wieder einmal gelungen war, einen verbohrten Sportler auf den Arm zu nehmen.

Stimmung und Geräuschpegel steigerten sich stetig und fast hätte Oskar Lindt deshalb das schrille und immer lauter werdende Klingeln, das von der Garderobe herkam, überhört.

»Ihr Handy, Chef«, meinte Jan Sternberg, der die Geräte seiner Kollegen problemlos am Ton unterscheiden konnte.

»Carla wartet wohl schon auf dich«, witzelte Willms noch, doch dann verstummte die Unterhaltung schlagartig.

Alle hatten die Gesprächsfetzen aus Lindts Telefonat mitbekommen.

»Wie bitte, ein Finger, was, wo? Wir kommen sofort!«

Der Hauptkommissar wandte sich wieder seinen Kegelbrüdern zu: »Man hat einen Finger gefunden.«

Er machte eine bedeutungsschwere Pause.

»Und den Rest auch.«

Wieder eine Zäsur.

»Gehackt!«

Einige Sekunden lang herrschte völlige Stille im Raum, bis Paul Wellmann zögernd nachfragte: »Du meinst, jemand hat sich einen Finger abgehackt … beim Holzspalten oder so?«

Doch insgeheim wusste er schon, dass er seinen Kollegen richtig verstanden hatte.

»Nein«, antwortete Lindt tonlos und man konnte ihm förmlich ansehen, dass er gerade ein scheußliches Bild vor seinem inneren Auge hatte, »alles gehackt. Nur den Finger kann man noch erkennen.«

»Da müssen wir wohl hin«, konstatierte Wellmann trocken und griff nach seiner Jacke. »Wo?«

»Rheinstetten-Mörsch, auf einem Spielplatz!«

Ein gespenstisches Szenario erwartete die drei Kripo-Beamten, als sie nach einer knappen Viertelstunde über die B 36 ihr Ziel erreicht hatten. Es war erst halb sechs Uhr, aber die frühe Dunkelheit des Januarabends machte eine komplette Ausleuchtung des Spielplatzes notwendig. Die örtliche Feuerwehr war mit zwei Rüstwagen im Einsatz und versorgte aus laut knatternden Stromaggregaten insgesamt sieben Flutlichtstrahler.

Zahlreiche Schaulustige drängten sich hinter dem rot-weißen Plastikband, mit dem die Beamten des zuständigen Polizeireviers Ettlingen den Platz abgesperrt hatten.

Beim Aussteigen schnappte Lindt einige Gesprächsfetzen aus der Menge auf: »… das muss man sich mal vorstellen …«, »… das arme Kind, so ein Schreck …«, »… und die Mutter erst … ist ja fast in Ohnmacht …«

Ein langer schmaler Oberkommissar der Schutzpolizei mit korrekt gestutztem Schnauzbart steuerte auf die Kriminalisten zu, um kurz und knapp das Wesentliche zu berichten.

Ein siebenjähriges Mädchen war von der Kettenschaukel gestürzt und bäuchlings weich im Häckselmaterial gelandet, das die Arbeiter des Städtischen Bauhofes am Vormittag ganz frisch unter den Spielgeräten ausgebracht hatten.

Als es die Augen aufmachte, musste das Kind wohl unmittelbar auf einen menschlichen Finger geblickt haben, der vor ihm aus den Holzhackschnitzeln emporragte. Reflexartig war es stocksteif liegengeblieben und hatte schrill zu schreien begonnen.

Der Uniformierte führte Lindt und Wellmann zur Schaukel, wo die Spurensicherung bereits am Werk war. »Nicht näherkommen, bitte«, rief einer der Beamten im weißen Overall. »Man sieht es auch vom Rasen aus. Da steckt der Finger und hier, da und dort der Rest. Alles, was rot ist.«

Lindt beugte sich vor, um genauer zu sehen und ganz allmählich erkannte auch er zwischen den Holzstückchen die rötlichen Fremdkörper.

»Und das da?« Der Kommissar zeigte auf eine Handvoll undefinierbarer Masse seitlich im Gras.

Der Kriminaltechniker grinste: »Eine der Mütter hat wohl was angefasst und schlagartig gekotzt.«

Panisch hatten dann alle Eltern ihre Kinder vom Spielplatz gezerrt.

Zwei Polizeibeamte des örtlichen Postens waren zuerst eingetroffen. Pflichtgemäß wurde abgeriegelt und die eintreffende Kriminalbereitschaft unterrichtet.

»Die Fotos sind fertig.« Schnell schob der Techniker den Finger in einen durchsichtigen Plastikbeutel und reichte ihn den wartenden Kommissaren.

Lindt hob ihn hoch und drehte ihn ins Licht. Ohne Zweifel ein menschlicher Finger, allerdings nicht vollständig, sondern nur das erste und die Hälfte des zweiten Gliedes – dann Hautfetzen und ein spitz herausstechender Knochensplitter.

»Auf jeden Fall nicht glatt abgetrennt«, waren sich die Kriminalisten einig.

Lindt beobachtete aus einiger Entfernung, wie nach und nach immer mehr weiche, rötlich-weiße Gewebefetzen aus dem gehäckselten Holz aufgesammelt wurden.

Paul Wellmann kam mit einem leitenden Mitarbeiter des Städtischen Bauamtes dazu, der eben eingetroffen war und über die Herkunft des Materials Auskunft geben sollte.

»Ganz frisch alles«, beeilte sich der Tiefbau-Ingenieur zu versichern. »Unsere Bauhofmitarbeiter haben das Hackgut erst heute Vormittag ausgestreut. Wissen Sie, wegen der Unfallgefahr! Dass die Kinder wenigstens weich fallen. Sie glauben ja gar nicht, Herr Kommissar, wie schnell wir von der Stadt eine Klage am Hals haben, wenn sich mal eines beim Spielen den Kopf anschlägt. Die Eltern rennen heutzutage gleich zum Anwalt. Ich könnte ihnen erzählen …«

»Kann ich mir gut vorstellen«, beeilte sich Lindt, den Redeschwall des offensichtlich sehr kommunikativen Menschen abzukürzen, denn ihn interessierte viel mehr, wo das fein gehäckselte Holz herkam.

»Das kann ich ihnen ganz genau sagen«, zeigte der Ingenieur mit der ausgestreckten Hand nach Osten in die Nacht. »Da draußen an dem Feldweg rüber zum Hardtwald. Alte Pappeln haben wir dort fällen lassen. Die waren schon ziemlich abgängig und wenn einem der vielen Radfahrer ein Ast auf den Kopf gefallen wäre – sie können sich ja gar nicht ausmalen, was da wieder für Schadenersatzforderungen auf unsere Stadt …«

Ziemlich genervt unterbrach ihn der Kommissar mit gerunzelter Stirn: »Ist ja schön, dass sie die Verkehrssicherungspflicht so ernst nehmen, aber diese alten Bäume, die wurden gehäckselt?«

»Nein, natürlich nicht die ganzen Stämme, nur die Kronen, die dicken Äste und die feinen Zweige. Irgendwie müssen wir das Zeug ja entsorgen. Fürchterlich teuer alles. Sie glauben nicht, was die Stunde bei so einem Großhacker kostet.«

Irgendwie konnte sich Lindt des Gedankens nicht erwehren, dass Jammern in der Führungsetage der Kommunen wohl zur Hauptaufgabe gehören musste, doch der Mann war nicht zu bremsen: »Geht alles an ein Heizkraftwerk, da bekommen wir wenigstens noch ein paar Euro dafür.«

Das wollte der Kommissar genau wissen: »Wieso wurde dann gerade dieses Material hier nicht zu Strom und Wärme?«

»Bisher ging alles ins Kraftwerk. Fünf große Abrollbehälter waren das vorgestern. Aber vor dem Feiertag sind wir nicht mehr ganz fertig geworden und so gab es heute früh noch mal einen Container voll. Den haben unsere Bauhofmitarbeiter gleich für Eigenbedarf abgezweigt. Da brauchen wir immer mal wieder solches Material. Als Mulchdecke gegen das Unkraut in den Grünanlagen oder um kleine Fußwege damit anzulegen … ja und auch als Fallschutz auf den Spielplätzen.«

Der Ingenieur verzichtete glücklicherweise darauf, abermals über hohe Kosten zu jammern, weshalb Lindt gleich nachlegte: »Dieser Container muss natürlich auch untersucht werden, wo steht der denn?«

»Der Container? Der wird wohl im Bauhof stehen … aber denken sie etwa, dass da noch mehr … bisher hörte ich nur von einem gefundenen Finger?«

»Leider müssen wir davon ausgehen, dass hier nicht nur Holz kleingehackt wurde.«

Sie traten dichter heran. Mittlerweile hatte die Spurensicherung schon einige weitere Klarsichtbeutel mit unförmigen, rötlich–schmierigen Gewebsfetzen gefüllt.

Der Tiefbauer war so schockiert von dem Anblick und auch von dem Gedanken an mögliche Zusammenhänge, dass er verstummte.

»Das würde ja heißen …«, begann er dann doch wieder.

»Ganz genau«, bestätigte Lindt, »und deshalb müssen wir auch noch diese Hackmaschine und den Ort, wo gearbeitet wurde, ganz genau unter die Lupe nehmen.«

Der Vorstellung, dass nicht nur Astwerk, sondern gleich ein ganzer Mensch im Einzugstrichter eines Großhäckslers verschwunden sein könnte, machte dem Mann sichtlich zu schaffen. Das Ganze auch noch im Zusammenhang mit städtischen Arbeiten in seinem Verantwortungsbereich, dieser Gedanke missfiel ihm sehr. Allerdings setzte der Kommissar gleich noch eines drauf: »Sagen Sie, fehlt eigentlich jemand in ihrer schönen Stadt?«

Jetzt hatte es dem sonst so selbstsicheren Bauingenieur endgültig die Sprache verschlagen. Er wandte sich ab und verließ kopfschüttelnd den taghell erleuchteten Spielplatz.

»Ich … ich kümmere mich darum …« drehte er sich nochmals um und schlüpfte schnell unter der Absperrung durch.

Hauptkommissar Lindt informierte seine beiden Mitarbeiter, die sich bisher mit den Beamten des örtlichen Polizeipostens unterhalten hatten.

»Das könnte passen, Chef«, wurde Jan Sternberg ganz eifrig. »Der Kollege hier hat mir gerade was von einem aufgebrochenen Lastwagen erzählt. Mit dem Fall war er heute früh beschäftigt.«

Interessiert hörten die Kommissare sich den Bericht des Postenführers an. Der Fahrer eines über den Dreikönigstag am Waldrand abgestellten LKWs mit aufgebautem Großhacker hatte kurz nach acht Uhr am Morgen Anzeige erstattet. Das Führerhaus des Fahrzeuges war aufgebrochen und zu diesem Zweck ein kleines Seitenfenster eingeschlagen worden. Merkwürdigerweise hatte aber nichts gefehlt und es gab auch keine weiteren Schäden. Allerdings musste jemand in der Kabine gewesen sein, denn einige Gegenstände lagen nicht mehr am gewohnten Platz.

Eine Streifenwagenbesatzung hatte sich der Sache angenommen, Fotos gemacht und versprochen, sich um die Angelegenheit zu kümmern.

»Wird wohl kaum aufgeklärt, so was kommt hier laufend vor«, meinte der Polizist. »Wir waren uns ziemlich sicher, dass da einer mal in einem LKW pennen wollte.«

»Oder vielleicht auch zwei«, grinste Jan Sternberg.

»Nun sieht das Ganze ja wohl etwas anders aus«, überlegte sein Vorgesetzter und beauftragte die Spurensicherung, auch den abgestellten Container, den Großhacker und dessen Arbeitsort genauestens zu untersuchen.

»Allerdings am besten bei Tageslicht«, überlegte er und gab Anweisung, die Örtlichkeiten so lange zu sperren und zu überwachen.

»Wenn auch der letzte Container wie geplant im Heizkraftwerk gelandet wäre«, sinnierte Oskar Lindt, als er am späten Abend zu Hause seiner Frau vom abrupten Ende der Kegelpartie berichtete, »dann hätte die Entsorgung dieses Menschen optimal geklappt.«

»Scheußlich«, antwortete Carla und schüttelte sich angewidert, »das mag ich mir nicht einmal vorstellen. Erst häckseln und dann verbrennen. Ob der oder die denn schon tot war, als …?«

»Hoffentlich kann uns das Labor da weiterhelfen«, meinte der Kommissar zweifelnd, »und außerdem gibt es bisher überhaupt keinen aktuellen Vermisstenfall. Kurz gesagt, wir wissen noch gar nichts.«

Er ahnte auch nicht, dass irgendwo in einer abgeschlossenen Garage im Rheinstettener Stadtteil Forchheim ein für den Winterurlaub fertig gepackter, zweisitziger Mercedes SLK stand. Die Carving-Ski auf der Beifahrerseite ließen keinen Platz für einen Mitfahrer, doch leider wartete der schicke schwarze Sportflitzer auch vergebens auf seinen Fahrer.

Hackschnitzel

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