Читать книгу Breiter bis wolkig - Bernd Neuschl - Страница 8

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Alaaf und Miau

Samstag. Mein erster Arbeitstag als Dirigent. Kaum zu glauben. Es ist Karneval in Köln und ich muss arbeiten. Habe Angst, heute Abend die Musikkapelle im Kölner Sartory-Saal bei einer Prunksitzung leiten zu müssen. In der Musikbranche kennt jeder jeden, da kann es schon einmal vorkommen, dass Profis aus dem Orchestergraben grelle Karnevalsveranstaltungen akustisch veredeln müssen.

Erwartungsvoll sitze ich im Büro des Musicalproduzenten Marc Elton. Er beachtet nicht mich, sondern tippt wichtigtuerisch auf seinem Tablet herum. Im Hintergrund läuft heißer Latin-Jazz.

Ich räuspere mich rhythmisch zur Musik. Marc beachtet mich immer noch nicht. In diesem Business ist jeder mit jedem per Du. Das ist also Marc, mein neuer Chef. Ich beobachte ihn. Leicht beleibt und schwer verlebt. Garantiert hat er seine Haare dunkler getönt. Immerhin haben das mit Brillanten bestückte Brillengestell, sein maßgeschneidertes Sakko aus Samt als auch seine lässigen Sneakers die gleiche Farbe. Mintgrün. So künstlich wie sein Lächeln. Das aufdringliche Aftershave raubt mir den Atem.

„Ben, schön dass du an Bord bist.“ Marcs Gebiss glänzt plötzlich mit den Platinschallplatten hinter seinem Schreibtisch um die Wette, ehe er mit dem stotternden Staccato einer AK47 regelrechte Informationssalven auf mich abfeuert, die von seinem basslastigen Lachen zyklisch unterbrochen werden: „So. Bevor wir im Frühjahr mit ,Hairspray’ und im Jahr darauf mit ,Bodyguard’ so richtig loslegen, habe ich sozusagen eine kleine Bewährungsprobe für dich als unseren neuen, zweiten Kapellmeister. Hahaha. Unser Chefdirigent möchte über Karneval lieber feiern und hat wie jedes Jahr Urlaub eingereicht. Und. Das. Ist. Deine. Chance: Wir spielen am Rosenmontag eine kleine Gala für unseren Hauptsponsor. Baulöwe Roland Specht. Der ist wiederum ein ausgesprochener Karnevalshasser und froh, der zivilisierten Zwangsbelustigung mit einem Ausflug in die Welt des Musicals entgehen zu können. Nichts Wildes. Hahaha. 80 Gäste. Beginn für dich ist 21 Uhr, vorher sind Reden und ein Essen angesagt. Bla, bla, bla. Das ganze Elend startet im Bürgerhaus Stollwerck. Meine Sekretärin Sandy, du hast sie ja eben bereits kennengelernt – hahaha – gibt dir die Adresse. Geprobt wird am Rosenmontag 11 Uhr in der Philharmonie, denn da haben die Schlagwerker ihr ganzes Geraffel.“

Ich nicke stumm. Klingt einfach.

Marc reicht mir das geplante Programm.

„Sponsor Specht möchte ausschließlich englische Musicalhits. Das machst du mit links. Hahaha. Kitsch-Balladen aus ,Phantom der Oper’, ,Les Misérables’, ein paar Hits aus ,Hair’, Evergreens aus ,Grease’ und ,Mamma Mia’ und zum Finale Afro-Glamour mit ,Der König der Löwen’ et cetera peng peng. Die Orchesterbesetzung steht auf Seite zwei. Noch Fragen?“ Er wirft mir das Programm zu.

„Nein, alles klar“, nuschle ich entwaffnet und erhebe mich erleichtert zum Gehen.

„Eine Kleinigkeit noch.“ Ein grell glänzendes Gebiss grinst mich an. „Die Bläser und Streicher haben keine Noten. Ist was schiefgelaufen. Hihihi. Sei so lieb und schreibe gut spielbare Stimmen. Auch für den Drummer. Sandy gibt dir die Klavierauszüge. Und jetzt: Husch, husch!“

Klasse. Es ist eine Sache, vor einem Musicalorchester zu stehen und einfach mit den Armen im Takt zu wedeln. Aber in der kurzen Zeit auch noch ein ganzes Meer an Einzelstimmen schreiben, das macht nicht wirklich Spaß, zumal unfassbar vielseitige stilistische Vegetationen zu berücksichtigen sind.

Sandy überreicht mir einen ansehnlichen Stapel Klaviernoten. Ich will schleunigst raus hier, aber sie ruft mir hinterher: „Halt, Ben. Du brauchst noch die Adresse für die Show. Bürgerhaus Stollwerck. Dreikönigenstraße 23. Soll ich dir das aufschreiben?“

„Danke, aber DAS kann ich mir merken“, zwinkere ich zurück und bin froh, endlich das Büro verlassen zu können.

Bis zur Probe in der Philharmonie habe ich jetzt genau einen Tag. Karneval ist gelaufen.

Zuhause am Schreibtisch nehme ich mir die Klaviernoten vor. Der Stapel aus einem Londoner Verlagshaus ist durchweg handgeschrieben und unleserlich. In der vagen Hoffnung, mein sündhaft teures Notationsprogramm würde mir hilfreiche Dienste leisten können, scanne ich eine Seite testweise ein. Fehlanzeige. Mist. Hinzukommt, dass die Druckerpatrone leer ist. Also ist ehrliche Handarbeit angesagt. Der hochbegabte Wolfgang Amadeus Mozart soll die Ouvertüre zur Oper „Don Giovanni“ angeblich eine Nacht vor der Premiere geschrieben haben. Immerhin bleibt mir mit halbem Talent ein ganzer Tag.

Ich blättere durch die Noten. Das Trompetensolo von „Aquarius“ kennt fast jeder Mensch. Und so ist es bei jedem Stück. Immer gibt es irgendwo ein Vorspiel oder einen Übergang mit instrumentalem Ohrwurmcharakter. Dazu noch die üppige Besetzung: Klavier, Keyboard, E-Bass, gleich zwei Gitarren, ein Schlagzeug, ein Pauker, zwei Schlagwerker mit einem ganzen Arsenal an perkussiven Effekten in ihren Schießbuden, sechs Holzbläser, fünf Blechbläser, eine Harfe und vier Streicher.

Mogeln geht nicht. Als Erstes schreibe ich zu jedem der siebzehn Lieder einen satt orchestrierten Schlussakkord, der – je nach Stück – mal knackig kurz, mal episch ausladend ausfällt.

Jetzt sind die Intros dran. Dann die Zwischenspiele. Läuft. Nach einem Tag bin ich tatsächlich fertig, aber zu kaputt, um in den unzähligen Einzelstimmen auch noch Taktzahlen, Pausenlängen und Wiederholungszeichen einzutragen. Wird schon schiefgehen.

Es ist Rosenmontag und ich bin bereits um fünf Uhr früh aus den Federn raus, damit ich für den Schlagzeuger noch Noten aufschreibe. Um zehn Uhr überreiche ich ihm stolz seinen Stapel, dessen Empfang er vor der Bühne der Philharmonie mit den Worten quittiert „Ich brauche keine Noten, ich spiele alles auswendig.“

Der Rest der Truppe ist dankbar für meine gut leserliche Handschrift, bemängelt aber das Fehlen von Taktziffern und Pausenlängen. „Einfach zu mir schauen, ich gebe alle Einsätze“, beruhige ich jeden Musikus einzeln. Dann betrete ich das Dirigentenpodest.

Die Gesangssolisten sind der Hammer, das Orchester spielt routiniert, aber trotzdem neugierig. Und es klappt mit allen Einsätzen. Ich schwebe. Das wird der Knaller. Mit dem Ergebnis werde ich als zweiter Kapellmeister bestimmt flugs zum Musikdirektor ernannt.

Jemand tippt mir auf die Schulter. Ein älterer, etwas grotesk wirkender Herr mit langen Haaren und grauem Stoppelbart starrt mich fischäugig an und blubbert mit schüchtern-nasaler Stimme: „Entschuldigen Sie die Störung, Maestro, aber ich habe in der Philharmonie heute Abend eine Show zu spielen. Meine Band würde jetzt ganz gerne einmal hier aufbauen.“

„Klar doch, wir sind ohnehin fertig.“ Leicht irritiert wende ich mich meinem Ensemble zu. „Gut, sammeln Sie alle Noten ein. Ich bringe sie heute Abend wieder mit. Wir treffen uns um 18 Uhr im Bürgerhaus zum Soundcheck. Show ist um 21 Uhr“.

Auf dem Weg in meine Garderobe frage ich meinen Pianisten, wer denn dieser ominöse alte Mann gewesen sei, der ausgerechnet am Rosenmontag hier in der Kölner Philharmonie eine Show spielen möchte.

„Was, du kennst den nicht? Mensch Ben, das ist Helge. Helge Schneider. Seit Jahren gastiert er hier am Rosenmontag in der Philharmonie.“

„Das ist nicht der Helge, das ist der Hammer“, antworte ich, mache flugs kehrt und laufe flink zurück in den Saal, weil ich unbedingt ein Selfie oder zumindest ein Autogramm von dem Meister aller Meister haben muss. Weil Helge aber bereits am Orgeltisch die Register einstellt, habe ich keine Chance, komme aber immerhin in den sakral tönenden Gratisgenuss blues-lastiger Variationen über sein berühmtes „Katzeklo“.

Ich stecke den Taktstock in die Innentasche meines Sakkos und verlasse die Philharmonie. Schaue auf die Uhr. 14 Uhr. Ich habe vier Stunden bis zum Soundcheck. Was ich nicht weiß: Sämtliche eingesammelten Orchesternoten habe ich auf dem Dirigentenpult der Philharmonie liegen lassen.

Um mich herum das reinste Irrenhaus. Abertausende alkoholisierte Jecken verwandeln die Kölner City in eine einzige Open-Air-Kneipe. Fantasievolle Kostüme, prunkvolle Uniformen, aber auch einfache Pappnasen bestimmen das Straßenbild. Fast an jeder Ecke der Seitenstraßen riecht es nach scharfem Urin oder frisch Erbrochenem. Nüchtern kannst du das niemals aushalten.

Ich beschließe, mir nach dieser gelungenen Probe zumindest ein Kölsch als Belohnung zu gönnen.

14:15 Uhr. In der erstbesten Kneipe schlagen mir reichlich Dunst und noch mehr Dezibel unbarmherzig ins Gesicht. Ich bin ein Zauberer: Aus einem Kölsch werden zwei. Lerne eine ausnehmend attraktive Dame kennen, die sich als Meerjungfrau verkleidet hat. Ihr Kleid ist kunstvoll zu einer stilisierten Schwimmflosse umgenäht worden und duftet sogar ein wenig nach Fisch. Wahnsinn. Ich trinke mit einem Vampir und zwei Schlümpfen auf Bluts- beziehungsweise Schlumpfbruderschaft. Eine Giraffe gesellt sich zu uns an die Tränke und erzählt einen Flachwitz nach dem andern.

Man will wissen, als was ich mich eigentlich verkleidet habe.

„Ich habe mich als Herbert von Karajan verkleidet“, brülle ich und bin von mir selbst begeistert. Ich zaubere den Taktstock aus meiner Innentasche und fechte damit in der Luft den Takt von „Was sollen wir trinken sieben Tage lang“ mit. Die schräge Herde blökt vor Begeisterung.

Plötzlich betritt ein krachledern kostümierter Bayer die Bar.

„Herrlich!“, brüllt die Giraffe, „jetzt kommt der alljährliche Auftritt von Herbfried Nudelhuber.“

Herbfried Nudelhuber, so erklärt man mir, sei ein urkomischer Kabarettist, der jedes Jahr am Rosenmontag zünftige Witze in den Kölner Kneipen zelebriere. Quasi ein Fips Asmussen in Lederhosen. Schon dreht der Kneipenwirt die Musik aus und reicht dem beleibten Pointen-Sepp ein Mikrofon. Während der unvermeidlichen Rückkopplung bestellte ich

mir ein weiteres Bier und lehne mich erwartungsvoll an den Tresen.

Herbfried Nudelhuber ist bereits voll in seinem Element und feuert einen Gag nach dem anderen in die lachhungrigen Gesichter. Die Menge tobt.

„Prost Neujahr, Köln! Was, das hier ist keine Silvesterparty, sondern Fasching? Oh, da bekomme ich Ärger, so lange war ich noch nie von zu Hause weg zum Feiern.

Servus, mein Name ist Herbfried Nudelhuber, alle nennen mich aber Handbremse, weil ich immer so gut angezogen bin.

Ich trage einen Bart, mein Bruder einen richtigen Vollbart, der kommt eher nach meiner Mutter.

Meine Ex-Frau ist auch hier, die hat sich aber als G-Punkt verkleidet, damit ich sie nicht finde.

Wie ihr sehen könnt, ich achte sehr auf meine Ernährung: Was schmeckt, wird gegessen.

Sie kennen ja den Unterschied zwischen mir und einem Erstklässler? Ich trage den Ranzen vorne. Aber Obacht: Mir wurde ein Modeljob bei einer Fitnesskette angeboten. Ich bin das Vorher.

Der Weg hierher in die Kneipe war etwas merkwürdig. Ich war vorhin auf dem Domplatz, da habe ich 20 Euro in einem Hut gefunden und dann hat mich ein Mann mit Gitarre verfolgt.

Seid ihr nicht auch der Meinung, dass die Zeit nur so dahinrast? Wir haben jetzt Februar. Nur noch dreimal duschen, dann ist schon wieder Weihnachten.

Ich weiß ja nicht, wie Ihr Weihnachten gefeiert habt, aber bei uns war’s dieses Jahr jamaikanisch: Wir haben den Baum nicht geschmückt, sondern geraucht.

Meine Frau hat sich ja was gewünscht, was ihr gut zu Gesicht steht. Da habe ich ihr einen Faltenrock geschenkt.

Nur meine Schwiegermutter war etwas unglücklich: Sie konnte in der ganzen Adventszeit kein Fleisch essen, weil wir ihr Gebiss zum Ausstechen des Weihnachtsgebäcks gebraucht haben.

Jaja, lacht nur. Wenn ich hier so in die Kneipe schaue, dann ist das keine Prunksitzung, sondern eine Trunksitzung. Bei euch gilt das Motto: Wer sich am Morgen an die Veranstaltung erinnern kann, der hat sie nicht erlebt!

Was sagt Ihr zu meiner Kleidung? Was meint Ihr, welche Größe ich trage? XXL? Nein! SE! Small Elephant.

Vorhin hat mich euer Wirt gefragt, wohin ich als Erstes schaue, wenn ich eine Frau sehe. Habe ich gesagt: ,Ich schau als Erstes, ob meine Frau hersieht.‘

Letztes Jahr hatte ich hier mit einer Frau in der Bar getanzt und sie wollte wissen, ob sie mir zu schwer sei. ,Nein’, habe ich ihr erwidert, ,ich habe früher in einer Brauerei gearbeitet, ich bin es gewohnt, Fässer zu rollen.‘

Und dann Freunde, dann war da ein älteres Pärchen, die haben miteinander getanzt. Auf einmal ist der Mann umgefallen. Betrunken war er nicht. Die hatten sich immer links herumgedreht. Immerzu. Bis die Frau ihm das Holzbein aus dem Gewinde rausgedreht hat.

Vorhin habe ich ja noch mit der Bedienung getanzt und sie angeschwärmt: ,Bevor ich Sie kennengelernt habe, war mein Leben eine Wüste’. Sie darauf: ’Das glaub ich gerne! Du tanzt wie ein Kamel!’

Apropos Kamel: Der ein oder andere Herr hier in der Kneipe hat sich als Pyramide verkleidet. Am Anfang noch spitz, aber am Ende total breit!

Mein Nachbar hat es letztes Jahr richtig gemacht. Er hatte sich als Pferdezüchter verkleidet und seine Frau dementsprechend als Pferd kostümiert. So konnte er sie vor dem Wirtshaus anbinden und hatte seine Ruhe. Die Kälte hat ihr nichts ausgemacht, sie ist ja gut beieinander, sie wiegt doppelt so viel wie er. Wenn die einen Berg hochklettert, meinst du die Sonne geht unter. Sie hat ein Hobby: Diäten. Gut, sie macht drei Diäten gleichzeitig. Weil sie von einer – wie sie sagt – nicht satt wird.

Ich trinke da lieber ein Bier. Machen wir mal einen Trinkspruch: Betrunken bist du erst, wenn du vom Fahrrad fällst, obwohl du es schiebst.

Meine Frau wollte wissen, warum ich so viel trinke, obwohl ich keinen Durst habe. Habe ich gesagt: ,Warum schaust Du ständig in den Spiegel, obwohl Du nicht schön bist?’

Prost zusammen! Und, war gestern Abend gut? Ich bin fit wie ein junges Reh: Noch ganz wackelig auf den Beinen! Ich habe gestern Abend zu mir gesagt: ,Wenn das nächste Mal das Bett an mir vorbeikommt, hüpf ich rein!’

Gestern, als ich heimkam, wollte ich meine Frau nicht aufwecken. Also habe ich mich schon vor der Treppe ausgezogen. Und wie ich dann die Stufen hochgeschlichen bin, habe ich gemerkt, dass ich auf dem Bahnhof stehe.

Das ist auch so eine Sache mit den Bettgeschichten. Junge Frau, schnarcht ihr Freund? Ja? Dann sagen sie ihm einen schönen Gruß, Schnarchen macht impotent. Das heißt: Wer schnarcht, der sägt am eigenen Ast.

Gibt es Holzfäller hier? Ich habe ja eine Ausbildung zum Schrankenwärter gemacht. Bei der Prüfung wurde ich gefragt: ’Was würden Sie machen, wenn auf einer eingleisigen Strecke zwei Personenzüge aufeinander zurasen würden?’

,Ja, dann würde ich meinen Bruder holen!’

,Warum?’

,Der hat so was auch noch nicht gesehen!’

Übrigens, wissen Sie, warum die Fahrscheine gelocht werden? Weil man ohne Loch keinen fahren lassen kann! Ja, das ist schwierig.

Freunde, ich sag’s euch, mit meiner Frau ist es auch schwierig. Schon bei der Hochzeit hatten wir unseren ersten handfesten Streit, weil ich mit aufs Hochzeitsfoto wollte.

Die Erfüllung der ehelichen Pflichten im Bett hat dafür olympische Ausmaße: Alle vier Jahre!

Und wenn es dann so weit ist, praktizieren wir die Caritas-Stellung: Sie klappert mit der Büchse, und ich habe nichts, was ich hineinstecken könnte.

Da habe ich ihr vorgeschlagen, wir könnten doch wenigstens mal Doktorspiele machen. Hat sie mir einen Termin in sieben Wochen gegeben.

Mit meiner Schwiegermutter ist es auch ein Kreuz. Letzte Woche hatte ich wegen unserer Streitigkeiten sogar ein blaues Auge. Gut, ich hätte beim Tischgebet an der Stelle ,und erlöse uns von dem Bösen’ nicht in ihre Richtung schauen sollen.

Ich will aber nicht schlecht über sie reden. Sie ist nicht bösartig oder so. Nur letztens ist sie von unserem Hofhund gebissen worden. Ihr geht’s gut, nur der Hund ist verreckt.

Früher wohnte sie einen Steinwurf von uns weg. Jetzt nicht mehr. Ich habe getroffen. Was für ein Wunder!

In unserer Nachbarschaft gab es heuer auch ein Wunder: Unsere Nachbarn hatten jahrelang keine Kinder mehr bekommen. Da hatte der Mann den Pfarrer heimlich um Rat gefragt. Haha, bei Kinderwünschen den Pfarrer fragen. Da gibt der Pfarrer Tipps für ein Spiel, für das er selber gesperrt ist. Egal.

Der Pfarrer sagte ihm: ,Wenn du Kinder haben willst, fahre nach Lourdes und entzünde eine Kerze. Dann werden deine Gebete nach dem Kinderwunsch erhört!’

Das hat funktioniert! Die haben Nachwuchs bekommen. Vor ein paar Wochen habe ich den Nachbarsbuben getroffen und er erzählte mir freudenstrahlend: ,An Dreikönig hat meine Mama Drillinge bekommen!’

,Ja fein, die heißen bestimmt Caspar, Melchior und Balthasar?’

,Nein, mein Vater hat nur gesagt HIMMEL, ARSCH UND ZWIRN!’

Ich habe dann nur gefragt: ,Und wo ist dein Papa?’

,Der ist nach Lourdes gefahren, eine Kerze ausblasen!’

Jaja, ihr habt gut lachen. Machen wir einen Trinkspruch: Alle Kinder heißen Gerhard, außer Hans, der heißt Franz!

Ich habe ja einen Sohn. Als der 15 war, waren wir mal in einem Drogeriemarkt einkaufen. An der Kasse fragte mich die Verkäuferin: ,Sammelt Ihr Sohn Punkte?’ ,Nein’, habe ich erwidert, ,das ist Akne!’

Zum Wohl zusammen! Bier macht schön, oder habt ihr schon mal gesehen, dass sich ein Mann schminkt?

Na gut, meine Frau sieht jung aus. Sie hat eine Haut wie ein 18-jähriger Pfirsich. Als Kind hat man ihr gesagt: Iss auf, dann gibt es schönes Wetter. Deshalb ist sie heute fett und wir haben Klimaerwärmung. Diese Woche ist sie von der Kur zurückgekommen. Voller Stolz präsentierte sie sich morgens im Bad: ,Ich habe vier Kilo abgenommen!’

Ich darauf: ,Dreh dich mal um, ich habe sie gefunden!’

Ich mache ja die See Food-Diät: Kennen Sie die? See Food-Diät: Whenever I see food, I eat it.

Zum Wohl! Alkohol macht schlau. Der Kasten Bier ist also der Brockhaus des kleinen Mannes.

Ich muss zugeben, ich bin nicht ganz nüchtern, ich habe was getrunken und du sollst ja dann öffentliche Verkehrsmittel nehmen. Ich bin also mit dem Bus hierhergefahren. Den muss ich jetzt aber wieder ins Depot zurückbringen. Prost zusammen und nicht vergessen: Beim Trinken werden immer nur die anderen schöner!

Meine Rede ist jetzt leider um, ihr wart ein Spitzenpublikum. Bei mir kommt der Humor aus einem Riesenzuber, pfiat Euch, Euer Nudelhuber. Servus!“

15:04 Uhr. Habe Bauchschmerzen vom vielen Lachen. Nudelhuber ist der Hammer! Noch drei Stunden bis zum Soundcheck. Fasse mit felsenfester Überzeugung den Entschluss, mit dem Taxi zum Bürgerhaus zu fahren, dann kann ich nämlich noch über zwei Stunden hierbleiben und mitfeiern. Das Leben ist schön.

15:30 Uhr. Mittlerweile habe ich zwölf Kölsch intus. Der Vampir bietet mir gönnerhaft Zigaretten an. Und mit Pfefferminzlikör würde man auch nicht nach Rauch stinken, meint er. Sein spitzes Lächeln überzeugt mich.

16:00 Uhr. Stimmt. Habe nach drei Zigaretten drei Pfefferminzliköre getrunken und rieche nichts. Mein Handy klingelt. Es ist Esther. Hauche das Display an, aber es entsperrt sich nicht. Probiere es mit der Zunge. Da fällt mir ein, dass ich meinen rechten Zeigefinger benutzen muss.

Hier ist es zum Telefonieren zu laut. Gehe auf die Toilette. Esther möchte wissen, wo ich bleibe.

Ich sage: „Schatz, wir müssen leider länger proben, ich komme erst heute Nacht nach der Show nach Hause. Große Ausnahme, du weißt, ich darf keine Schwäche zeigen. Ich habe im doppelten Sinne Probezeit. Warte nicht auf mich.“

Lege auf, stelle den Flugmodus ein und lasse das Handy in meine Gesäßtasche gleiten. Mein Handy beschließt jedoch, nicht in selbige, sondern unbemerkt ins Pissoir zu plumpsen.

Blicke auf meine digitale Armbanduhr. 6016:1601 Uhr. Wow. Halte mir ein Auge zu und sehe ehrlich verblüfft, wie sich die Ziffern mit der Eleganz einer Miniaturfliegerstaffel flugs zu 16:00 Uhr formatieren. Na, noch über eine Stunde Zeit. Bin offenbar wieder nüchtern. Das muss gefeiert werden.

Die Meerjungfrau schwenkt um von Bier auf Wein und duftet nicht mehr, sondern riecht dezent nach Fisch. Ich finde das fein. Gerda, so heißt die Nixe, schlägt vor, wir alle könnten doch in ihrer Wohnung weiter Party machen. Ihr Freund habe ohnehin ein langweiliges Geschäftsessen, auf dem sie auch noch später auftauchen könne. Die Schlümpfe, der Vampir als auch die Giraffe sind von der Idee begeistert. Ich füge mich meinem Schicksal und zitiere Hamlet: „Feiern oder Reihern – das ist hier die Frage!“ Bekomme von den Schlümpfen begeisterten Szenenapplaus.

Gerda, die Meerjungfrau, erzählt mir beim Verlassen der Bar, dass sie Schauspielerin sei. Unsere bunte Karnevals-Karavane zieht selbst für Kölner Verhältnisse mehr als auffällig durch die Straßen.

16:30 Uhr. Sind in Gerdas Wohnung. Merke, dass ich die Orchesternoten irgendwo habe liegen lassen. Fuck. War das in der Kneipe? Oder in der Philharmonie?

Egal, ich kann eh alles auswendig dirigieren und die Musiker sind Profis. Beruhigt stelle ich fest, dass mir zumindest mein Taktstock die Treue gehalten hat und einsatzbereit in der Innentasche meines Sakkos dem nächsten Auftakt entgegenlauert. Es ist ein sehr wertiger Taktstock. Nicht aus Fiberglas oder Holz. Nein, aus Silber. Ein Erbstück meines Urgroßvaters. Glänzend gefährlich und derart spitz, dass man eigentlich einen Waffenschein für ihn beantragen müsste. Also für den Taktstock, nicht für den Uropa.

17:00 Uhr. Muss auf die Toilette. Betrete aus Versehen das Schlafzimmer der Meerjungfrau und sehe sofort, dass sie eher Schauspielerin für nicht jugendfreie Aufklärungsfilme sein muss. Vor dem Kleiderschrank stehen vielerlei Paare schwarz glänzende Stiefel und ein Paar pinke Schuhe mit Absätzen. Alleine die Höhe dieser auf Hochglanz polierten Plateauschuhe würde jedem Plattenbau in Chemnitz ernsthaft Konkurrenz machen.

Krass. Offenbar interessiert sich Gerda auch für mittelalterliche Folterwerkzeuge. Über dem Bett hängen allerlei Fesseln, Masken und Peitschen.

Ein Laptop mit Webcam steht einsam vor dem Bett. Eine rot blinke LED signalisiert, dass das Gerät wohl einsatzbereit ist.

Mutig entschlossen lasse ich mich auf das Bett fallen und winke dabei in die Kamera. Sofort poppen auf dem Bildschirm ein gutes Duzend Fenster von angemeldeten Usern auf, die gegen ein kleines Entgelt hier im Live-Chat wohl ihre erotischen Wünsche digitalisiert mitteilen können. Möchte es mir bequem machen und vergesse dabei den spitzen Taktstock, der beim Auf-die-Seite-Drehen zielsicher in die Matratze des Wasserbetts sticht. Mit einem schmatzenden Knall platzt sie.

Robbe völlig durchnässt näher an den Bildschirm, damit ich die Flirtpartner genauer betrachten kann. Staune nicht schlecht, wer da so alles angemeldet ist. Von den zwölf Herren kenne ich tatsächlich zwei.

Während mir mein Kumpel Holger überrascht und zugleich irritiert zuwinkt, sehe ich, wie unser Pfarrer verzweifelt, aber vergeblich versucht, seine Kamera mit der sonst segnenden Innenfläche seiner Hand zu verdecken, was aufgrund der gediehenen Parkinsonerkrankung grandios misslingt.

Schließlich schlägt er den Laptop zitternd mit der Faust zu. Ich muss kichern und frage mich, wer wohl wem das nächste Mal die Beichte abnehmen wird.

„Hey Ben, was machst du da? Du bist ja ganz nass!“, will Holger via Webcam wissen.

„Ein Geheimauftrag von Green Peace. Streng geheim. Ich bin Käpt’n Iglu und rette Meerjungfrauen.“

„Dann beeil’ dich. Esther hat mich angerufen, weil sie dich nicht auf dem Handy erreicht.“

„Ich habe ihr gesagt, dass ich länger arbeiten muss“, antworte ich und schließe den Laptop.

Hektisch durchpflüge ich die große Pfütze des zerstörten Wasserbettes. Suche nach meinem Handy. Stattdessen finde ich in meiner Sakkotasche einen pinken Dildo, der bei meinem Schiffbruch geradewegs hineingerutscht sein muss. Ich besitze kein Handy mehr, leihe mir aber als Ersatz das bananenförmige pinke Spielzeug, das immerhin auch vibrieren kann.

Schlurfe ins Bad, um meine Hose etwas trocken zu föhnen.

Danach stehe ich vor die Toilettenschüssel, damit meine Blase endlich Erleichterung erhält. Schaue dabei aus dem Dachfenster und stelle fest, dass ich auf Augenhöhe mit einem Kater auf dem Fenstersims bin, der sich gerade das Fell glänzend leckt. Das ist die Idee. Ich öffne das Fenster und schnappe mir das Viech.

Sperre den Kater im Schlafzimmer ein und erkläre Gerda, komische Geräusche aus eben jenem Zimmer gehört zu haben. Aufgrund der mir als Gast gebotenen Kontenance würde ich es jedoch nie wagen, ungefragt in die Privatsphäre einer so reizenden Dame einzudringen.

Alle stürzen Richtung Schlafgemach. „Falls jemand mein Handy gesehen hat. Ich finde es nicht mehr“, rufe ich unschuldig hinterher.

Gerda öffnet die Tür und der Kater flüchtet beleidigt aus dem Schlafzimmer.

„Ach du liebe Güte. Nun sieh’ sich einer diese Sauerei an“, stöhnt Gerda. „Naja, mein Fehler“, fährt sie fort und betritt das nasse Schlachtfeld. „Hab’ den Kater wohl aus Versehen eingesperrt und mein kleiner Tiger hat aus Angst das Wasserbett zerkratzt.“

Wir gehen zurück ins Wohnzimmer und ich frage erneut, ob jemand mein Handy gesehen habe.

„Suchst du das hier?“ Gerda hält mir mein Handy vor die Nase. Ertappt. Beschämt greife ich danach.

„Mach dir nichts daraus“, brummt sie mit einer plötzlich befremdlich maskulinen Stimme. „Mir ist es auch schon ins Pissoir gefallen. Ich war nach dir in der Bar auf der Toilette und habe es für dich gerettet. Und gereinigt.“ Ihr Wimpernaufschlag ist – Mascara sei Dank – verführerisch, aber für meinen Geschmack eine Spur zu maskulin.

Erleichtert greife ich nach meinem Telefon. Mein Blick fällt dabei zufällig auf Gerdas Schritt. Jetzt sehe ich, warum diese Frau dezent nach Fisch riecht. Oder soll ich besser sagen der Mann? Entsetzt zeige ich auf das Kostüm des wohl unreinen, da wasserscheuen Transen-Tritons: „Oha Gerda, in deinem Kleid regt sich eine Schwellung im Schritt und das ist bestimmt keine Seeschlange, so viel ist sicher. Ich muss weg. Danke für alles.“

Fluchtartig verlasse ich die Wohnung und höre im Treppenhaus, wie mir die männliche Meeres-Muschi-Majestät schallend hinterherruft „Bleib doch hier. Bitte bleib doch hier.“

17:30 Uhr. Schalte das Handy ein. Geht nicht. Der Akku ist zu nass. Eines muss man der Rettungsaktion der Pimmelfee lassen: Das Spülwasser im Pissoire hat sonst so gut wie keinen Schaden angerichtet. Entferne den Akku, um ihn in meiner Hosentasche zu trocknen.

Habe noch eine halbe Stunde bis zum Soundcheck und beschließe, mir etwas gegen die aufquellende Übelkeit in meinem Magen zu holen. Nicht in der Apotheke, sondern bei McDonalds.

17:40 Uhr. Der fleischig-saftige Big Mac, flankiert von einer prallen Portion Pommes und sechs kross-goldenen Chicken Nuggets verfehlen ihre Wirkung nicht. Mir ist noch übler. Zu allem Elend fällt mir nicht mehr ein, wo das Musicalkonzert sein soll. Bürgerzentrum oder Bürgerhaus? Immerhin noch 20 Minuten. Erinnere mich an meinen Entschluss, ein Taxi zu nehmen und begebe mich zum Bahnhofsvorplatz.

In Köln sind Taxen am Rosenmontag zwar so exorbitant teuer wie auf der Münchner Wiesn, aber wie sagte schon der große Friedrich Nietzsche: Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.

18:00 Uhr. Bekomme kein Taxi. Entweder fahren volle Taxen vorbei oder flinkere, liebestolle Pärchen schnappen mir auf dem Weg in ihr Liebesnest ein anhaltendes Taxi vor der Nase weg.

18:37 Uhr. Soundcheck geht offenbar auch ohne mich, denn die Welt dreht sich munter weiter. Mittlerweile ist der Akku in meiner Hosentasche warm wie eine Toastbrotscheibe und ich lege ihn ins Handy ein.

Hurra, zwei Prozent nur, aber immerhin. Reicht beim Telefonieren fürs Rufzeichen, das beim Empfänger als Lebenszeichen meinerseits gedeutet werden kann.

Rufe Holger an: „Holger, es brennt. Ich muss ganz dringend zu einem Gig. Hol mich bitte am Hauptbahnhof ab.“

„Geht klar“, meint Holger. „Ich bin zum Glück nüchtern. Naja, Restalkohol von gestern, aber es geht schon. Ist deine Peepshow schon vorbei?“

„Darüber reden wir später, mach hin!“

Der Akku zeigt ein Prozent.

Rufe den Pianisten an. „Stecke im Stau“, lüge ich.

„Du weißt schon, dass wir ohne dich und die Noten alles vergessen können?“

„Ich beeile mich, hast du mir die Adresse vom Bürgerhaus?“

„Ja, das ist die ...“ Tut. Tut. Tut. Verbindung weg, Handy tot.

19:05 Uhr. Holger fährt mit dem Leichenwagen seines Onkels vor. Als ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme, sehe ich, dass er ein Karnevalskostüm trägt. Was folgt, ist eine hoffnungslose Odyssee. Sämtliche Bürgerhäuser, die wir mit Hilfe des Navis anfahren, sind falsch. Je länger wir unterwegs sind, desto mehr gerate ich ins Schwitzen.

19:30 Uhr. Bürgerhaus Kalk.

20:05. Bürgerzentrum Deutz

20:27. Bürgerschaftshaus Bocklemünd

21:00. Showbeginn und wir stehen vor dem Bürgerzentrum Engelshof. Holger tippt auf dem Navi herum.

„Tja, jetzt gibt es nur noch das Bürgerhaus Stollwerck.“

„Das ist es“, brülle ich erleichtert und hämmere mit meinen Händen auf dem Armaturenbrett.

Nach 20 Minuten biegen wir in die Dreikönigenstraße ein.

Just in dem Augenblick, als das Navi den Satz „In drei Minuten haben Sie ihren Bestimmungsort erreicht“ beendet hat, flackern im Rückspiegel Blaulichter auf.

Ein Leichenwagen wird aus Pietätsgründen eigentlich nicht kontrolliert, aber wenn am Steuer Fred Feuerstein sitzt und mit Affenkaracho durch Köln flitzt, werden selbst altgediente Schutzmänner stutzig.

Holger hält am Bordstein, ich steige aus und renne los.

„Halt, stehen bleiben! Polizei! “, bellen die Beamten mir hinterher.

Werde von zwei Pfoten kläffend auf den Gehweg geworfen. Wusste nicht, dass Verkehrspolizisten Schutzhunde mitführen.

Bemerke den Dildo aus Arielles Schatzkammer in meiner Sakkotasche. Schalte ihn ein und halte ihn dem Köter vor die Schnauze. „Jetzt such’ das Stöckchen“, rufe ich und werfe das Spielzeug in ein Gebüsch auf der anderen Straßenseite. Der Hund schießt wie ein Pfeil über die Straße, um das pinke Stöckchen zu apportieren. Was heißt hier apportieren, er hat es adoptiert und ich sehe beim Losrennen, wie es die beiden Beamten nicht schaffen, ihm sein neues Spielzeug wieder abzunehmen.

21:40 Uhr. Ich komme außer Atem, aber erleichtert am Bürgerhaus an. Enttäuschte Gäste rauchen vor dem Eingang. Schuldbewusst und mit hängenden Schultern betrete ich den Saal. Jemand tippt mir auf die Schulter. Drehe mich um. Marc Elton, der Produzent, stiert mich wütend an. Er trägt rot. Brille, Sakko und Schuhe gehen eine optische Symbiose mit der Farbe seines Gesichts ein.

„Ha, Ben. Auch hier. Schöne Scheiße. Ohne Dirigent und Noten keine Show. Du hast Glück, dass sich die neue Freundin des Sponsors verspätet hat und eben erst angekommen ist.“

Ich könnte im Boden versinken. „Tut mir leid, ich ...“

„Papperlapapp, ich möchte nichts hören. Das ist ein Desaster.“

Ein massiger Mann Anfang 50 kommt im edlen Smoking auf uns zu. Marc zieht meinen Kopf unsanft zu seinem Mund. „Das ist der Baulöwe Roland Specht. Unser Sponsor. War unser Sponsor. Er ist stinksauer.“

„Sind Sie der Dirigent?“, lispelt mich der Unternehmer mit einer fipsigen Stimme an, die so gar nicht zu dem schwergewichtigen Restkörper passen will.

„Ja, das ist er!“, schallt es uns nasal vom Eingang entgegen. Helge Schneider erscheint im Saal.

„Der Schelm hat die Noten in der Philharmonie liegen lassen. Gestatten Schneider, ich hatte eben eine Show und dachte, bevor ich in mein Hotel hier um die Ecke gehe, bringe ich mal die Noten vorbei.“

Ein Stapel Orchesternoten fällt in meine Arme. Ich falle aus allen Wolken. Sponsor Specht gleich mit.

„Ui, Herr Schneider. Ich darf Ihnen sagen, dass ich ein richtig, richtig großer Bewunderer von Ihnen bin“, ziept der Baulöwe und möchte gleich ein Selfie.

Wir haben Glück, denn Helge hat gute Laune. Er holt sich ein kühles Kölsch und möchte sich nach der Musical-Show an den Flügel setzen. Für umsonst. Und so wird es nicht nur Musicalmelodien geben, sondern als Zugabe Helge-Hits gratis dazu.

In der Pause stürzt sich Marc begeistert auf mich.

„Stell dir vor, Specht ist sowas von begeistert, dass er die doppelte Summe rausrückt. Statt 200.000 Euro haben wir 400.000 Euro. Hahaha. Respekt Ben, das hast du brillant hinbekommen. Und weißt du was: Wir brauchen in dieser Branche Menschen, die auch mal auf Karneval verzichten können. Ich sage dem Aufsichtsrat, dass du nach „Hairspray“ unser erster Kapellmeister wirst.“

Leihe mir ein Handy und rufe Esther an. Sie fällt aus allen Wolken. Nicht wegen der frohen Botschaft, sondern weil es schon so spät ist.

Gehe zurück auf die Bühne. Die Pause ist gleich vorbei. Ich öffne den Bühnenvorhang einen Spalt und spicke in den Saal. Roland Specht, unser großzügiger Sponsor, turtelt mit seiner Freundin, die zum zweiten Teil erschienen ist. Sie ist locker zwei Köpfe größer als ihr Freund. Als sie den Mund aufmacht, höre ich sofort, dass ihre Stimme eine Oktave tiefer als die ihres Baulöwen ist. Helge Schneider tritt zu dem Paar.

„Oh, was für eine schöne Überraschung. Da hat uns der Dirigent Helge Schneider hergezaubert“, raunt sie und streckt Helge grazil ihren Handrücken entgegen, den der Humorist sanft ergreift und nach einem flüchtig angedeuteten Kuss wieder freigibt. Es riecht bis hierher nach Fisch. Ich fasse es nicht. Tatsache. Transen-Triton. Der Baulöwe ist mit Gerda zusammen. Der Meerjungmann von heute Mittag. Ohne rote Perücke zwar, aber Stimme und Duft stimmen überein. Der Rosettenrochen. Prinz Dildo, Herrscher der geilen Gezeiten. Ich zwicke mich in den Arm, um nicht lauthals loskrähen zu müssen.

„Wie lange sind Roland Specht und seine Freundin Gerda zusammen?“, frage ich Marc, der eben von der Seitentreppe kommend die Bühne betritt.

„Erst zwei Tage, geht uns aber nichts an“, antwortet er, öffnet den Vorhang und wendet sich den Gästen zu. „Hahaha. Also, alle einmal zuhören. Wie angekündigt als große Zugabe eine große Überraschung: Eben war er noch in der Philharmonie, jetzt ist er auf unserer Bühne. Begrüßen Sie bitte Helge Schneider!“

Helge schreitet winkend auf die Bühne, nimmt umständlich „am Geflügel“ Platz, greift in die Tasten und klimpert sein unverwüstliches „Katzeklo“. In meinem Kopf höre ich ihn schon zur selben Melodie singen: „Fischpopo, Fischpopo, ja das macht die Gerda froh ...“

Fest steht, unser Sponsor mag Überraschungen und wirkt unendlich glücklich. Und das wird er auch bleiben wollen. Ob er heute Nacht immer noch so begeistert sein wird, wenn er endlich feststellen darf, dass seine Gerda eigentlich ein Gerd ist, sei dahingestellt. Obwohl. Wie der große Friedrich Nietzsche schon sagte: Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.

Breiter bis wolkig

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