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KAPITEL I ETABLIERT

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“Sicher. Setzen wir ein Inserat in die Zeitung. Fliesenarbeiten, preiswert.”

Bernd hatte seinen Zeitungskiosk vor zwei Monaten verkaufen müssen. Für 35 000 Mark, von denen 500 Mark nach der ethischen Verpflichtung den Gläubigern gegenüber verblieben waren. Die Gläubiger waren Freunde. Bis dahin.

Der anschließende Pornohandel im Direktvertrieb mit Anja hatte außer Benzinkosten nichts gebracht. Die Leute wollten Magazine ansehen; nicht dafür zahlen.

Backe war fortwährend pleite. Ganz besonders, wenn die Autoversicherungen beharrlich die Zahlung verweigerten. Karambolagen waren zu einem schwierigen Geschäft geworden.

So hatten sie sich an diesem Tag bei trübem Wetter in dem Haus, das Bernd bewohnte und mit eigenen Händen errichtet hatte, in der festen Absicht getroffen, der Armut ein rasches und nachhaltiges Ende zu bereiten.

“Wird 20 Mark kosten. Hast du 20 Mark?”

“Nein”

“Wir geben die Annonce über Telefon auf. Dann kommt die Rechnung später”.

“Mein Telefon ist abgestellt. Reinrufen geht noch”.


Backes Mutter half mit 50 Mark aus, die für Werbung und ein wenig Benzin ausreichten. Das Inserat brachte Erfolg. Eine ältliche Rentnerin beauftragte sie gegen Pauschalpreis einschließlich Material, ihre Küchenwand oberhalb der Arbeitsplatte zu befliesen.

“Wir suchen einen Kleber für Fliese auf Fliese” erkundigte sich Bernd hoffnungsvoll bei dem Berater im Baumarkt.

“Fliesenkleber” erkannte der sofort.”Fliesenkleber klebt auf Fliesen”

“Darunter und darüber?”

“Aber sicher, da könnt ihr Dispersionskleber im Eimer nehmen”.

“Wird das auch richtig sein?”Fragte die Rentnerin. “Ich möchte das das alles hält”.

Nachdem die Kundin die Material Rechnung bezahlt hatte, fuhren sie gemeinsam in Bernds altem Ford 12M, der Badewanne, zur Baustelle und richteten diese unverzüglich dergestalt ein, daß sie von jedem beiläufigen Besucher als solche nicht zu verkennen war.

“Wie soll ich in die Küche kommen, wenn auf dem Flur sich all die Oberschränke und Küchenmöbel stapeln. Wie kann ich kochen. Wie lange wird das noch dauern.”Die Bauherrin trug ihre Entmutigung zur Schau.

“Es ist eine Baustelle,” gab Backe nicht gerade geistreich von sich und schwitzte stark.

Sie stapelten die Möbel im Wohnzimmer und im Schlafzimmer zu gleichen Teilen auf. So konnte die gute Frau beginnen, Kaffee zu brühen und Kekse zu reichen.


Beim Bauabschlußbier in einer Eckkneipe machten sie Kassensturz, nachdem die Rentnerin ohne Abzug gezahlt und den avisierten Anschlußauftrag, Überfliesung des Küchenbodens sorgsam aus dem Abschiedsgespräch herausgehalten hatte.

“Was ist mit dem Küchenboden?” Backe mangelte es in solchen Dingen an Takt.

“Die Fugen der darunterliegenden alten Fliesenschicht schienen mir aber irgendwie glatter” Die Rentnerin setzte einen zweifelnden Gesichtsausdruck auf und zog die Stirn in Falten.

“Das wird noch. Die Fugenmasse muß erst aushärten. Dann wird sie schön glatt”.

“Wir werden jetzt gehen müssen,”hatte Bernd gesagt, in der Absicht guten Willen zu bekunden,”Wir werden anderswo erwartet” Und zog Backe am Arm aus der Tür.

“Wieviel Geld haben wir jetzt?” Backe nippte an seinem Bier.

“Gar nichts”entgegnete Bernd “ Es reicht für eine neue Annonce, etwas mehr und besseres Werkzeug, einen halben Tank voll Benzin und ein wenig Brot und Fett”

“Wir müssen unsere Telefonrechnungen bezahlen bevor die Post sie abklemmt.”

“Ein neuer Auftrag muß her. Rasch.”


In der Folge ging es schleppend, jedoch mit einiger Beständigkeit voran. Sie hatten gelernt, daß man das Fugenmittel nach Einhaltung einer gewissen Trocknungszeit mit dem Handtuch beinahe mühelos abzuwischen vermochte.

“Ihr könnt doch nicht eure Kleberschmiere mit meinem Badetuch abwischen,” brüllte der Rentner des nächsten Auftrages plötzlich los, nachdem er reglos, wie erstarrt, einige Sekunden auf der Türschwelle gestanden hatte.

“Fugenmittel. Das ist Fugenmittel.” Backe versuchte zu beruhigen, “man kann das ausschütteln”. Er wedelte heftig mit dem Tuch um darzustellen, wie einfach das war. Eine erstickende Wolke feinsten Staubes begann von der Küche über den Flur in die Wohnstube zu wabern und sich auf den Möbeln niederzulassen.

Der Rentner prallte zurück, hustete und wechselte die Gesichtsfarbe in ein tiefes Rot.

“Meine Wohnung. Mein Heim. Ihr zerstört mein Heim,” brüllte er mit schrill sich steigerndem Zorn, den man ihm gar nicht zugetraut hätte. “Die Gesellenbriefe. Ich will die Gesellenbriefe sehen. Ich will gar nichts zahlen. Ich werde auf Schadensersatz pochen. Wie heißt ihr. Die Polizei wird sich für euch interessieren.”

Im Treppenhaus hörte man schon die Türen aufklappen.


“Die Polizei wird sich für Sie interessieren, “Der Anrufer klang erbost und verbittert, “Sie inserieren ohne Berechtigung. Das ist illegal und


strafbar. Sie führen unerlaubterweise Bauarbeiten aus. Wir sind die Handwerkskammer. Wir haben Vollmacht, Mißbrauch zu ahnden.”

“Ich mache nur eine Marktanalyse,” beschwichtigte Bernd.

Aber Marktanalysen empfand der Mann von der Handelskammer nicht wesentlich sympathischer.

In der unverzüglich anberaumten Krisensitzung wurde ein Entschluß gefasst.

“Wir müssen ein Gewerbe anmelden. Bautenschutz. Und wir brauchen einen Meister als Konzessionsträger.”

“Wir müssen unsere Telefonrechnungen bezahlen,” drängelte Backe.


“Sie suchen einen Konzessionsträger Fliesen,” sagte der Mann am Ende der Leitung,

“Ich habe ihr Inserat gelesen. Ich bin Meister. Wir müssen uns treffen.”

Bernd traf den Meister Meysel auf dem Parkplatz hinter dem Mietshaus in dem er wohnte.

“Schön,” sagte der Meister, “schön daß wir jetzt ein Auto haben. Sowas ist sehr nützlich.”

Er betrachtete wohlwollend Bernds Rostlaube. “Fahren wird es wohl?””Kommen Sie, ich muß ihnen meine Frau vorstellen.”

Die Frau des Meisters schüttelte Bernds Hand herzlich und überschwenglich und setzte einen Topf Kaffee auf.

“Ich bin Rentner und habe ein Holzbein,” sagte Meister Meysel.

“Die Auftragslage ist zur Zeit sehr schlecht,” sagte Bernd.

“Ich habe Verbindungen zur Kirche. Da können Sie Maurerarbeiten machen.”

“Maurerarbeiten?”

“Maurerarbeiten!”

“Es ist so schön wieder einen Gesellen zu haben,” unterbrach die Frau des Meisters die Monotonie des Dialogs.

“Fliesenarbeiten.”

“Fliesenarbeiten?”

“Ja ich mache Fliesenarbeiten,”

“Fliesenarbeiten ? Das hätten Sie mir sagen sollen. Ich bin Fliesenmeister. Ich habe Verbindungen zur Kirche. Da können Sie Fliesenarbeiten machen.”

“Im Turm?”

“Warum nicht im Turm? Bekommt ihnen die Höhe nicht?”

“Es ist so schön, daß wir jetzt wieder einen Gesellen haben.” Die Frau des Meisters strahlte und reichte Gebäck.

“Morgen,” sagte der Meister,” morgen gehen wir los und verschaffen Ihnen einen Auftrag.”

“Sie kommen dann immer zum Essen,” sagte Frau Meysel, “alle unsere Gesellen haben wir immer wie Familienmitglieder aufgenommen. Sie mögen doch sicher Erbsensuppe?”


Bernd fuhr irritiert nach hause. Andererseits hatte der Meister nicht von Geld gesprochen.

Das glich einiges aus. Und er wollte lukrative Aufträge beschaffen. Man


könnte mal wieder die Pacht für das Grundstück leisten. Und den Strom bezahlen.


“Wir lassen das Auto hier stehen und gehen zu Fuß,”sagte der Meister am nächsten Mittag in guter Laune,”ich bin Rentner und habe ein Holzbein. Ich kann gut laufen.”

“Hier in Neukölln gibt es überall Kirchen,”stellte der Meister mit Befriedigung fest und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas der zweiten Runde, “Da brauchen wir nicht zu hetzen. Der Küster wird auch da sein, wenn es finster wird.”

“Der Küster?”

“Warum nicht der Küster? Du wirst doch nichts gegen Küster haben? Ich darf Dich doch duzen ? Bestell noch eine Runde.”Er lehnte sich behaglich zurück und zündete eine Zigarette an.


“Gib mir 50 Mark ,” lallte Bernd am Abend in den Hörer.

“Du versäufst alles mit dem Holzbein - Meister,” entgegnete Backe.

“Ich richte die Firma legal ein und besorge Aufträge. Bei der Kirche. Die wollen Rechnungen.”

“Aufträge vom Küster?”

“Ganz recht. Was hast Du gegen Küster?”

“Im Turm? 300 Stiegen? Fliesen? An der Glocke? Katholisch?”

“Bring mir die verdammten 50 Mark, du Lump. Ich treff den morgen Nachmittag um 16 Uhr in der Hermannstrasse.”

“Grad rechtzeitig. Die Kneipen und Bordelle öffnen zu der Stunde.”


Der Meister war etwas spät. Sein Beinstumpf machte Geschichten. Es war das Wetter.

“Ich kann aber nicht auf jede Baustelle kommen, die wir haben,” meinte er beim ersten Bier, das bestellt wurde, um den Tag in Ruhe anzugehen, wie er meinte.

“Nicht auf jede Baustelle,” wiederholte er.

“Wir haben keine Baustelle,” sagte Bernd, dem bewußt wurde, daß es auch am zweiten Tag nicht weit kommen würde mit den Beziehungen zu den Küstern.”Katholische.”

Katholische was?”

“Küster. Katholische Küster?”

“Wollen wir die nach der Konfession befragen oder wollen wir Aufträge reinholen?”

Er übermittelte liebe Grüße der Frau Meysel.

Die 50 Mark reichten gerade noch für die Heimreise mit der UBahn.


Am Ende des Tunnels erschien ein Licht. In einer Kolonie hatte ein älterer Heimwerker Schwierigkeiten mit dem Fliesenbelag auf dem Boden. Sie wollten einfach nicht Festwerden.

“Haben Sie die Fliesen in Teer gelegt?” Fragte Backe.

“Oh nein, das ist Bitumen. Ich würde doch keine Fliesen in Teer legen. Seid ihr auch Fachleute? Ich brauche Fachleute.”

“Bitumen ist gut. Schützt vor Nässe und vor Rost. Läßt kein Wasser


durch.” Bernd setzte den rechten Fuß auf die erste große Fliese, die unverzüglich wegrutschte und alle anderen zusammenschob. Das Pech quoll aus den Fugen. Die Platten begannen zu sinken.

“Mein Werk,” lamentierte der Pfuscher, “mein Werk.”


Es vergingen die Wochen. Die Armut blieb beharrlich; wie festgeklebt. Es gab einige Kleinaufträge, die den Hungertod auf Distanz zu halten vermochten. Es wurde ihnen Lehrgeld abverlangt. Einige Aufträge wurden garnicht, andere teils bezahlt. Backe hatte schließlich einen sauberen Auftrag an Land gezogen. Neubau, alles schön glatt und gerade. Diverse Böden waren zu befliesen.

“Diagonal ?”

“Er sagt, er will die Fliesen diagonal verlegt haben.”

“Was genau soll das sein?”

“Frag den Meister.”

“Diagonal ?” fragte der Meister als Bernd ihn am Telefon erreichte, mit wie ihm schien besorgter Stimme, “Da müßt ihr aber mehr Geld verlangen. Diagonal gibt Zuschlag.”

“Du mußt kommen und dir das ansehen. Der Bauherr wird einen Meister sehen wollen.”

Der Meister kam mit dem Bus und hielt die Hand auf. 500 Mark sagte er. Ihr müßt mich mal bezahlen. “Ich komm am Wochenende wieder. Wenn ihr Abschlag geholt habt. Nächste Woche gehen wir zur Handwerkskammer und schließen den Vertrag. Versucht hier einigermaßen rauszukommen. Der Boden ist glatt und plan. Erwähnt meinen Namen nicht, wenn der Bauherr fragt. Ich muß einen Ruf schützen. Nur zu, auch Pfuscher legen mal vernünftig. Wenn alles so glatt ist. Ihr zahlt. Ich habe Verbindungen.”

“Er hat Verbindungen,” sagte Backe nachdem der Meister gegangen war.”Wir werden zahlen müssen.” “Wegen dem Küster?”


“Wenn wir noch bumsen wollen, müssen wir damit rasch beginnen,” unterbrach Jacqueline Bernds Redeschwall unerwartet und entschieden, “Uta kommt gleich.”

Sie hatten die ganze Nacht gezecht, Country Musik gehört und geschwätzt. Bernd hatte gezecht und geschwätzt. Jacqueline hatte zugehört.

Jacky war ein bildschönes Mädchen. Seidigschwarze, lange Haare, herrliche schlanke, perfekte Figur, wahnsinnige Titten mit seitwärts aufstrebenden ausdrucksvollen und steifen Nippeln in farbigen, nicht zu großen Höfen. Alles jungmädchenhaft fest und grabschfähig. Sehr hübsches ebenes Gesicht. Wild, stolz. Krankenschwester. So 16 bis 17 Jahre alt. Jacqueline wusste um ihren Wert. Lange schwarze Haare.

“Uta kommt um sechs,” sagte Bernd und machte sich an den oberen Knöpfen seines Hemdes zu schaffen.

“Es ist fünf Uhr,” Jacqueline zog an ihrer Bluse. Sie kopulierten das erste Mal. Ohne langes Vorspiel und in der Standard - Stellung des bäuerlichen Umfeldes. Man musste sich sputen.

Uta, Jacquelines Mutter, wie Bernd um vierzig Jahre alt, würde es nicht


gefallen können ihren Freund und ihre Tochter beim Akt zu überraschen. Uta war Bernds Freundin. Jacqueline auch. Aber die Freundschaft zwischen Bernd und Uta hatte den Charakter der unverwechselbaren Intimität. Die Freundschaft zwischen Jacky und Bernd hatte platonisch zu sein.

Es pochte an die Wohnzimmertür als sie gerade anfingen ihre Blößen zu bekleiden. Die Klinke gab nach, bevor Bernd sie erreichen konnte. Ein Kopf lugte durch den Türspalt.

“Bin ich hier richtig?”fragte der Taxifahrer.

“Bernd?” rief hinter ihm Uta aus dem Vorzimmer.

“Hallo, ja,ja,” keuchte Bernd und versuchte die Unterhose hochzuziehen während er aus den Augenwinkeln sah wie Jacqueline ihren Busen vor den gierigen Blicken des Taxifahrers mit den Händen zu verbergen suchte.

“Gleich, Moment,”

“Hier sind wir richtig,” meinte der Taxifahrer, sich zu Uta hinter ihm wendend. Jacky suchte nach ihrem Unterhemd, fand es und streifte es über als Uta sich an dem Kutscher vorbeidrängelte und die Tür aufstieß, die jener taktvoll gehalten hatte.

“Was macht ihr?” fragte sie mit einem argwöhnischen Ausdruck im Gesicht, wohl wissend um die ridikule Gestaltung ihrer Frage.

“Tanzen. Puh, warm hier,” jappste Jacky und zog den Rock hoch.

“Nackend?,” “Ja, ein wenig, du kannst ja gleich weitermachen.”

Uta kam vom Nachtdienst, hatte sich auf die kleine Party im Morgengrauen gefreut und war bester Laune.

“Ich möchte nicht, daß du ihr Geschlechtsverkehr beibringst,” sagte sie nachdem Jacky gegangen war, um ihrerseits den Dienst im Krankenhaus in Charlottenburg anzutreten.

“Woher weißt du, daß sie das nicht schon kann?” “Sie ist 14.” “Sie ist 16 oder 17.” “Sie ist ein frühreifes Kind.” Uta nahm einen tiefen Schluck Cognac und zog Bernd an sich heran, um mit dem Vorspiel zu beginnen.

“Kommt noch jemand zu Besuch?”fragte Bernd,”Wollen wir nicht erst was trinken und ruhen?”

Uta nahm die Konkurrenz der Tochter gelassen hin. Sie trank gern und häufig, war attraktiv und konnte immer jemanden finden, Bernd zu ersetzen.


Jacqueline zog in Bernds Haus nachdem die Sache mit Dexling unproduktiv geworden war.

Damals, bevor die Brandstiftung es zerlegte, war es ein einfacher Bungalow mit Flachdach, Dachpappe und vier Wänden um das ganze zu halten. Bernd wohnte zur Pacht. Es gab ein Wohnzimmer, ein Vorzimmer, eine Küche und ein Bad, das ein Bad geworden wäre, hätte der Besitzer nicht zuvor die Arbeit eingestellt. Ein Klosett stand drin und wackelte. Isolierung gab es keine. In der Küche und in der Wohnstube stand jeweils ein Ölofen der aus dem Kanister befüllt wurde. Beide waren genügsam, da sie selten brannten und häufig schwelten. Recht verlässlich verpufften sie des nachts mit gewaltigem


Knall und folgendem Echo, wenn der gusseiserne Deckel zurück auf die Konstruktion klatschte, nachdem die übliche Wolke schwarzen Rußes entwichen war, um sich im Haus zu verteilen.

“Du mußt die Öfen zum Verpuffen bringen,”sagte Dexling der Taxiunternehmer und rieb sich die klammen Hände, um den Becher heißen Tee verlässlich greifen zu können. “Dann wird der Schornstein frei und sie brennen.”

“Sie puffen automatisch. Jede Nacht, wenn ich sie brennen lasse. Sieh dir den Ruß überall an.”

Dexling war ein friedlicher, gutmütiger Charakter, der wie Rasputin aussah und zu einem guten Freund geworden war. Er war stets hilfreich und schüttete eine Tasse kalten Wassers in den rasch angezündeten Küchenofen um eine kontrollierte Verpuffung zu haben.

“Donnerwetter”, meinte er atemlos,” das war aber Zunder. Das hätte ich nicht glauben wollen.”

“Du hast meine Küchendecke versengt.”Warf Bernd ein und hustete gegen die mit Ruß geschwängerte Raumluft. “Ich werde hier nicht mehr leben können.”

“Hätte ich mir die Augenbrauen und das Haupthaar abgesengt, hätte ich nicht mehr Taxe fahren können.” Nach einer Pause meinte er ”vielleicht finde ich diese Woche noch eine kleine geile Schlampe ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld eins zu bezahlen.” Damit ging er und hinterließ das Chaos.

Dexling versorgte Bernd gelegentlich mit Frischfleisch. Wenn irgendwelche Veranstaltungen oder Messen in Berlin stattfanden, kamen auch stets weibliche Wesen aus dem Westen, von denen die jungen weiblichen Wesen hin und wieder nicht über Barschaften in geforderter Höhe für ein Pensionszimmer aufzubringen sich in der Lage sahen. Er sammelte sie nachts in den Gegenden auf in die es sie in der Regel verschlug. Stutti und Zoo. Und Potsdamer Strasse. Er bot uneigennützige Hilfeleistung und man vertraute ihm, weil er wie Rasputin aussah, oder vielleicht Rasputin war.

So schlich er sich nach Mitternacht mit seinem Opel C Rekord mit Taxischild auf dem Dach die sandigen Wege der nachts tristen und finsteren Dauerkolonie auf den Berg hinauf, auf dem Bernd mit 800 Quadratmeter Grund und einem schäbigen Bungalow unter mächtigen Silberpappeln, die den Mond ausblendeten, zur Pacht lebte.

“Bernd,” wisperte er, damit die Nachbarn nicht erschreckt werden würden, “Bernd.” Er pochte leise mit spitzem Zeigefinger gegen die Wohnstubenscheibe. “Du mußt mir einen Gefallen tun. Sie hier, wie heißt du noch, kommt aus der Fremde und hat keine Bleibe. Kannst du sie für die Nacht aufbewahren?” “Aber sicher, wo sie hier fremd ist.” “Danke.”

“Wir telefonieren.”

“Wie heißt du? Wollen wir ficken?”

Manchmal war Bernd direkt. Das hing von später Stunde und Schläfrigkeit ab. Aber drei, vier Mal gab es mit zielstrebiger Direktheit spontane Erfolge. Welch unerwartetes Vergnügen. Es war wie im Bordell. Man wußte nie was da so daherkam.


Zu morgendlicher Stunde fuhr Bernd sie dann nach Dreilinden um sie neben der Autobahn auszusetzen, sich per Anhalter auf die Heimreise zu begeben. Bernd begab sich hernach zu seinem Zeitungskiosk um den Einarmigen mit dem alten Gesicht und der pechschwarzen Perücke abzulösen, der als leidenschaftlicher Frühaufsteher den Laden um fünf Uhr früh eröffnete, obwohl er erst ab sieben Uhr bezahlt wurde und der immer mehr Geld in der Tasche zu haben schien , als ihm eigentlich zustehen konnte. Zunächst war das Chaos zu ordnen das der Einarmige hinterließ; denn der Einarmige hatte nur einen Arm und wollte nie sagen in welchem Krieg er den anderen gelassen hatte. Um achtzehn Uhr würde Frau Schacke antreten und den Laden um Mitternacht schließen. Aber der Einarmige machte richtig kräftig Umsatz. Auch Frau Schacke schien häufig überraschend flüssig zu sein, wie Bernd mit Argwohn bemerkte. Hier verbrachte Bernd seine Tage.

Das kleine Imperium fing an zu wuchern. Von Köwenick wurde ein Dutzend ZigarettenAutomaten mit Standplätzen gekauft. Die brachten keinen Gewinn, mussten aber stets gefüllt werden und waren hübsch anzusehen.

Dann ließ Bernd sich von Karl Hannes gebrauchte Autos aufschwatzen, bis zweiundzwanzig Stück aller Fabrikate, einschließlich zweier Mustangs, zusammen gekommen waren. Die wurden aus der Zeitungsbude heraus an Selbstfahrer für 22 Mark den Tag und 100 Kilo- meter frei vermietet und in allen Parklücken gehortet.

“Ich hab auf dem Autokino 800 Mark bezahlt, gib mir tausend.” Das war stets ein Schnäppchen. Karl Hannes hatte eine Autohand. Die Dinger funktionierten, waren billig, sauber und stets gewienert und geschrubbt. Er vergaß auch nie den obligatorischen Ölwechsel, der ihm besondere Freude zu bereiten schien.

Hinzu gesellte sich ein Schaumstoffladen in Alt Moabit, in dem Bernd Matratzen verkaufte.

Dann Matratzen und Sitzkissen. Dann Matratzen und Sitzkissen und Stoffe, um alles zu beziehen. Herr Sommer aus Österreich war angestellt worden. Herr Sommer war vielseitig und willig. “Ich nähe auch,” behauptete er eines Tages,” Ich kann das alles beziehen. Wenn man mir eine Nähmaschine gibt.”

Die Geschäfte entwickelten sich prächtig. Der Arbeitsaufwand hielt Schritt. Von 9 bis 18 Uhr war Bernd in der Zeitungsbude, verkaufte Magazine, Tabakwaren, Naschwerk und Wein, bald auch palettenweise Sechserpack Bier. Nebenbei vermietete er die Autos, zahlte die Rechnungen. Von 18 bis 20 Uhr lieferte er die Matratzen, zu Rollen verschnürt, im Kofferraum des Mercedes 230 den Kunden in die Wohnungen. Nach 20 Uhr ging es öfters per Bahn nach Westdeutschland, um die nicht gestohlenen, aber unterschlagenen Mietwagen nächtens bei den Polizeirevieren einzusammeln, sobald sie wieder aufgetaucht waren. Fielen die Bahnfahrten aus, mußten die Mietwagen gesäubert, gewaschen, repariert werden.

“Sie werden uns noch steinreich werden,” behauptete Frau Schacke,


“für den Fall, daß sie zuvor nicht ableben,”

“Meyer,” sagte der Nachbar,” wenn du dich im Spiegel sehen könntest, würdest du deine Lebenserwartung reduzieren wollen.”


Jacqueline wurde als Tagesverkäuferin in der Zeitungsbude eingestellt. Die Bekanntschaft ihrer Mutter gemacht. Der 16 Stunden Arbeitstag wurde auf 12 Stunden reduziert. Da verblieb dann auch wieder Zeit zum Saufen. Die Tradition aufrecht zu erhalten. Bei der Seefahrt hieß es verbindlich : einmal die Woche besoffen oder eine Woche im Monat besoffen.

Ein Gutteil des Konsums wurde in der kleinen Kellerbar, die Köwenick mit dem Erlös aus den Zigarettenautomaten , die viel Arbeit machten, wenig einbrachten, aber hübsch anzusehen waren, mit Anja eingerichtet hatte und die nicht lief, aber praktischerweise neben dem Heimweg lag, getätigt. Die Geschäftsidee war; Paare hinunterzulocken und Mischsex zu verkuppeln.

“Kuppelei läuft immer.” Sagte er und überlegte ob er noch Kapital aus seinem Taxigeschäft nachschießen sollte. “Allemal.” Unterstützte ihn Anja überzeugt.


“Na endlich finde ich dich Bernd ,” Jacqueline kam atemlos und erregt in das Restaurant in Moabit, wo Bernd gerade Schach mit Charly dem Kuli aus dem Pelzladen spielte und soeben einen genialen Zug getätigt hatte, was nicht oft vorkam.

“Das Haus brennt.” Charly erstarrte und wurde blaß, wie selbstbetroffen. “Dein Zug”, sagte Bernd. “Das Haus brennt,” murmelte Charly. “Das Haus brennt,” wiederholte Jacqueline.

Charly warf das Spielbrett um. “Wie lange?” fragte Bernd.

Als Jacqueline und Bernd in Bernds Auto die Heimstatt erreichten, war die Feuerwehr gerade mit dem Rückzug beschäftigt. Ein Mann stand auf dem Flachdach, das unbeschädigt aussah und schlug mit einer großen Axt große Löcher in das Dach, damit es hineinregnen mochte. “Ich schaue nach Glutherden,” sagte er fröhlich.

Innen sah es wüst und schwarz aus. Die Schaumstoffmöbel waren mit der Tapete und der Decke verbrannt.

“Ich kann ihnen die Miete nicht mehr zahlen. Die Bude ist abgebrannt.”

“Wie soll ich leben. Meine Wäscherei schleppt sich dahin.”

“Soweit mir bekannt, sind sie mit vierzigtausend Mark versichert. Da machen sie aber ein Schnäppchen. Der erste Eindruck, sagt die Polizei ist Brandstiftung.” “Alle meine Geschäftspapiere sind verbrannt,”fügte Bernd sinnierend hinzu.

“Da haben sie aber Glück gehabt.”

Der Verpächter hatte Recht. Schlechte Nachrichten sind immer gute Nachrichten in Verkleidung.

“Was machen sie da? ”Fragte eine Stimme von oben als Bernd alle seine Geschäftspapiere in dem leeren Ölfass am Hang verbrannte.

“Ich entsorge das, was ich verkohlt zusammenharken konnte.”

“Wir sind gekommen, die Brandursache zu ermitteln. Wir sind von der Kripo.” “Sie dürfen keine Beweismittel in ihrer Tonne kokeln,” fügte er


nach kleiner Pause hinzu. Beide Herren schauten mißtrauisch den Hang herunter auf den Stapel Akten neben der Tonne.

Der zweite Eindruck war Brandstiftung. Vermutlich mittels einer Kerze unter dem Bett.

Die erste Nacht verbrachten Jacqueline und Bernd bei Uta.

Die zweite Nacht in Anjas Wohnung in Neukölln.

Die dritte, vierte und fünfte Nacht in einer luxuriösen Wohnung in der Berliner Strasse in Wilmersdorf, die dem merkwürdigen Helmut gehörte. Helmut war Helmut und kam jeden Freitag seit vier Wochen um punkt achtzehn Uhr zu Bernd in den Kiosk um tausend Mark zu borgen, die er verlässlich am Montag um zehn Uhr mit zehn Prozent Verzinsung zurückbrachte. “Ich bin Finanzbeamter, ”pflegte er zu sagen, ”Ich bin verläßlich. Ich bin beim Finanzamt Wilmersdorf. Ich mache über das Wochenende Geschäfte. Ich brauche die tausend Mark um lukrative Geschäfte zu tätigen.”

“Hier,” sagte er mit weltmännischer Geste und öffnete die Wohnungstür, ”hier könnt ihr leben.” Und ging in seine Zweitwohnung.

“Hier,” sagte Jacky, ”schlafen wir mit den Decken vom Bett auf dem Fußboden vor dem Bett.”

“Hier, ”sagte in aller früh des dritten Tages eine erregte weibliche Stimme und weckte sie auf. “Hier, wohne ich.” Und schrill nachsetzend, “wir werden die Polizei haben. Wir werden euch an die bewachten Orte führen lassen.”

“Du Arschloch ,”sagte Bernd zu Helmut als der Geld holen kam. “Sie hat uns aus dem Schlaf gerissen.”

“Ich weiß,” erwiderte der, ”wie konnte ich wissen, daß sie so früh aus dem Urlaub zurückkommen würde. Sie hat die Decken in die Wäscherei gegeben.”


Am nächsten Tag zogen sie nach Alt Moabit in Karl Hannes Wohnung der praktischerweise vor einer Woche umgezogen war und seine Wohnungseinrichtung zurückgelassen hatte, damit andere sie auf den Sperrmüll bringen mochten.

“Gott bin ich froh, aus diesem finsteren Loch herauszukommen. Die Toilette ist auf halber Treppe. Im Winter ist sie zugefroren, im Sommer stinkt sie. Ihr braucht eine Kerze, wenn ihr nachts drauf wollt. Und einen Bindfaden um die Tür zuzuhalten wenn die Kinder auf der anderen Seite ziehen. Achtet auf das Papier. Hier wird geklaut.” Er hatte es eilig.


“Ich bin auch arm, ”meinte der vormalige Verpächter, ”fünfzehntausend Mark, dann treten sie die Nachfolge im Grundstückspachtvertrag an und können über ihren Besitz verfügen. Dann wird das alles ihnen gehören.”

“Das geht nur in Raten.”

“Raten sind gut. Dann wird all das ihnen eines Tages gehören. Ich mache den Notartermin.”

Nunmehr wurde gebaut. Nachdem der Ruß, Schutt und Abriß beiseite geschafft war, Werktags von siebzehn Uhr bis Mitternacht. Sonnabends


und Sonntags von Licht bis Licht , nachdem der Einarmige sich erboten hatte, weitere Schichten zu übernehmen.

Das Haus wurde an einem Flügel etwas länger und mit einem Dachgeschoß etwas höher. Die Materialkosten fingen an, die Dienstleistungskette zu überfordern.

“Ich hab noch etwas Geld,” sagte Herr Sommer,” ich kann bis zum 15. warten,”

“Ich muß kassieren,” sagte der Mann von BPV, ”sonst darf ich morgen früh keine Zeitungen abwerfen.”

“Ich muß auf pünktlicher Bezahlung beharren,” sagte Frau Lärmbecher, die immer dieses rassige Weib mit den grünen Augen mit der Tabaksendung, die Bernd beide nicht missen mochte, schickte, durch das Telefon.

“Sie schulden mir bereits fünfhundert Mark Lohn. Ich muß jetzt kündigen,” jammerte Frau Schacke und setzte sich zur Ruhe.

“Ich brauche immer wenig Geld,” sagte der Einarmige zufrieden und weckte Bernds Mißtrauen.

“Ich will nicht mehr,” sagte Dexling der Taxiunternehmer mit dem Opel C Rekord, der zwei alte Transporter in die Firma Appel & Ei, Bernds Autovermietung, eingebracht hatte und damit kein Geld zu verdienen vermochte, weil die Kinder der Kolonie in der er leichtsinnig den einen Transporter abgestellt hatte, die Kiste demontiert hatten. Mit dem anderen Transporter war Bernd in der Nordkurve umgekippt, nachdem er von einem großen blauen Bus an den Hang gedrängt worden war, grad als er um die Ecke kam.

“Es war ein großer blauer Bus.”

“Es war ein solider schöner Posttransporter mit Schiebetür. Nun ist es eine Ziehharmonika mit Schiebetür die sich nicht mehr schieben lässt.”

“Wir ziehen jeden Tag 450 Mark aus dem Geschäft.” Sagte Bernd zu Jacky. “Wir werden in den Pappkarton ziehen.”

“Du ziehst jeden Tag 450 Mark aus dem Geschäft. Du wirst in den Karton ziehen.”


“Wir müssen mal ausspannen,” plauderte Köwenick den anderen Tag durch den Telefondraht. “In sechs Wochen geht ein Flug nach Korea. Charter. Mit all den koreanischen Krankenschwestern. Billig. Hasi hat Beziehungen und kann drei Flugkarten bekommen.

Tausendsiebenhundertfünfzig Mark. Hin und zurück.”

“Gut, in sechs Wochen krieg ich das auch noch zusammen.”


Beim Kaffee in der Stadt einige Wochen später rechnete Köwenick, der sich durch Geschäftstüchtigkeit auszeichnete, vor, wie man durch Tagesgeld der Krankenversicherung die Ausflugskosten nach Korea ersetzt bekommen konnte, so man denn krank sein wollte und rief Tacka an, einen Termin zu vereinbaren.

“Setzen sie sich da drin hin.” sagte die Arztschwester wirsch, als sie die Praxistür öffnete und Bernd bedeutete, einzutreten.

“Wenn sie einen Platz finden, setzen sie sich da drin hin.” Sie verlangte die Papiere.


“Welche Unterlagen, “ verlangte Bernd zu wissen. “Man hat mir nicht gesagt, daß ich Unterlagen haben muß. Ich bin nur krank”

“Hier sind alle krank. Nicht wahr? In ihrem Alter. Waren sie noch nie beim Arzt. Sehen sie sich um. Sie glauben sie haben Probleme? Mit der Gesundheit? Was ist mit mir. Sehen sie all die Horden hier? Wenn hier jeder von diesen Kranken mich anmachen würde. Geben sie ihre Versicherungskarte her und halten sie mich nicht von meiner Arbeit ab.”

“Es ist die Aachener,” sagte Bernd leicht irritiert. “Ich hab die Nummer hier aufgeschrieben. Weil der Vertrag bei einem Brand verschwand.”

“Ein Privater,” stellte die Schwester sachkundig fest. “Da wird sich der Doktor aber freuen.”

Sie schob die Massen im Flur auseinander und zog Bernd am Arm in ein helles Zimmer in dem es ruhig war. Sie öffnete ohne anzuklopfen die angrenzende Tür und säuselte melodisch : “Ein Privatpatient.”

“Sie können jetzt gehen,” ertönte eine männliche Stimme laut und bestimmt im Nebenraum.

“Aber sie haben mich doch noch gar nicht richtig untersucht,” klagte eine weibliche Stimme.

“Ich weiß was sie haben; sie kommen ja oft.”

“Der Doktor kommt gleich zu ihnen,” sagte die Schwester freundlich und suchte ihren Arbeitsplatz im Getümmel des Flures auf, um die Stellung zuhalten.

“Kommen sie nur her ein, ”Der Doktor stand in der Tür und strahlte Zuversicht, Verständnis und Frohsinn aus. “Wie kann ich dienen?”

“Krank fühle ich mich. Schwindelig und so. Schlapp auch.” Bernd der in diesen Sachen keine Erfahrung aufwies suchte nach überzeugenderen Worten.

Der Doktor wischte mit der Hand durch die Luft. “Verstehe,” er dämpfte die Stimme um von der Wand nicht überhört werden zu können. “Sie leiden unter Oberbauchbeschwerden.”

“Sie kippen immer um wenn sie die Senkel schnüren. Sie sollten Slipper tragen.” Er kicherte breit über den gelungenen Witz.

Bernd war sich da nicht sicher. Oberbauchbeschwerden schien irgendwie nicht weit weg von den Genitalien. Und Tripper würde er wohl nicht haben.

“Sind sie sicher?”

“Absolut. Ich bin Arzt,” sagte der Doktor bestimmt. “Nun,” sprach er weiter, ”da sie nun sicher der Heilung beruhigt entgegensehen können, was ist mit mir?”

“Mit ihnen,”

“Oh ja, mit mir,”

„In welchem Zusammenhang? Wollen sie eine Diagnose von mir? Ich bin Seemann.”

Der Doktor lachte. ”Ich muß leben,” sagte er freudig,” das alles hier muß ich aufrechterhalten. Sehen sie sich um. All das hier.”


“Ziehen sie sich aus. Alles. Bis auf die Unterhose.” sagte die andere Krankenschwester im Stockwerk darunter.


“Lassen sie mal sehen.” Eine weitere Schwester ergriff Bernds Finger noch bevor er das Ausziehen zur Befriedigung der anderen Schwester beendet hatte und stach mit einer Nadel hinein. “Wir wollen ihr Blut,” scherzte sie munter.

“Hier,” sagte beiläufig die erste Schwester und reichte Bernd zum Abschied einen Zettel .

“Das Rezept vom Doktor. Gehen sie das Präparat kaufen und spülen sie es dann die Toilette herunter. Wegen den Kindern.”

“Den Kindern?” “Ja, die schlucken alles, was in den Schlund passt.”


“Die Vibrationen,” sagte Bernd zu Köwenick als der Jumbo mit ihnen und Köwenicks koreanischer Freundin Hasi die Marschhöhe über dem Gebirge erreicht hatte.

“Vibrationen?”

“Die Vibrationen.”

“Welche Vibrationen.”

“Die Vibrationen, achte auf die Vibrationen, wenn du sie bemerkst.” “Wo?” erwiderte Köwenick mit irritiertem Gesichtsausdruck.

“Unter deinen Füßen.”

“Meine Füße?”

“Wenn du Vibrationen unter deinen Füßen bemerkst, ist es Zeit, den Notausgang zu besuchen.” Erklärte Bernd, der schon ein dutzendmal um die Welt geflogen war und über umfassende Erfahrung verfügte.

“Zähl die Lehnen der Sitzreihen und präge sie dir ein. Wenn es finster wird, kannst du sie dann abzählen. Wenn du dich auf der Flucht entlanghangelst.”

“Finster?”

“Sicher. Erst wird es finster weil das Licht ausgeht. Dann wird es rasch hell und gleich wieder richtig finster. Wegen dem Qualm. Die Dinger hier knicken auseinander, wenn die Decksplanken vibrieren. Und fallen runter, wenn sie knicken. Wenn du die Schuhe ausziehst, merkst du es eher. Die Vibrationen.”

“Qualm? Was redest du da Mann.”


Sie landeten in Haneda nach 10 oder 12 Stunden und wurden vom Pauschalagenten in einem Hotel in Tokio untergebracht, in dem sie das Gepäck abstellten und mit der Bahn nach Yokohama weiterreisten, um auf der Isesaki Cho die Diskothek Peanuts im Obergeschoß zu besuchen, in der nichts los war.

Der Weiterflug nach Seoul war auf den folgenden Nachmittag terminiert.

Am nächsten Tag hatte sich Bernd entschlossen, noch etwas in Japan zu verbleiben. Köwenick schloß sich an und so flog Hasi allein mit den anderen nach Seoul und nahm den Bus nach Masan, wo sie wohnte.

Bernd und Köwenick wechselten nach Yokohama und zogen in den Seemanns Club am Yamashita Park ein. Der alte Seemannsklub, den Bernd von früheren Reisen her gut kannte, hatte sich zu einem feudalen Offiziersclub gemausert, in dem nichts von der alten Lebendigkeit angetrunkener Matrosen und kichernder Nutten verblieben war.

Alles hatte sich verändert in Yokohama.


Chinatown, einst ein brodelndes Nachtviertel mit 300 Bars und Rotlichtclubs, quirlend mit zechenden Seeleuten aus aller Herren Länder und Einheimischen , bestückt mit den geilsten Nutten des Erdballs war abgeräumt und zu einem Nukleus von 3 Kneipen geschrumpft in denen ebensoviele eher lustlose Nutten kauerten.

“Was ist bloß aus Yokohama geworden.” Sagte Bernd.

Ganze drei Kneipen, durch die zu Saufen keinerlei Herausforderung darstellte, mit zwei Nutten in der letzten Bar, die obschon willig, das Vakuum der fehlenden Stimmung nicht annähernd zu decken vermochten.


Nachdem Bernd vergeblich den Eierhandkarren, der nach Mitternacht vor der dritten Kneipe aufgefahren war und hart gekochte Hühnereier zu teuren Preisen feilbot, umzukippen sich bemüht hatte, wurden sie von der Polizei abgeholt und im Revier zwei Stunden auf eine Bank gesetzt, auszunüchtern.

“Wir wollen sie nicht in Yokohama haben,” sagte der Chefbeamte mit finsterer Mine und drohend ergänzend : “wir wollen sie um zwölf Uhr Mittag die Stadt verlassen sehen.”


Im Offizier zur See Club öffnete der Verwalter erst nach langem Klingeln die Eingangstür und schloß sich dem Ultimatum der Ordnungsbehörde,

die sie an der Tür ablieferte, an.

“You will have to leave at noon. Both of you will have to leave at noon.”

“Wir fahren nach Sasebo auf Kyushu,” sagte Bernd, “das kenn ich, da gibt es ein paar Hafenkneipen und viele malerische Buchten mit Felsen zum Baden.”


Über Osaka fuhren sie mit der Bahn nach Kyushu. Ab Osaka in einem völlig überfüllten Zug, zehn Stunden auf der Bodenplatte neben der Waggontür sitzend. Auch Sasebo war eine Enttäuschung. Es gab noch drei Hafenkneipen, die nicht ausreichten für mehr als eine ausschweifende Nacht. Die malerische Bucht, in der Bernd früher oft gebadet hatte, konnte er nicht mehr auffinden.

Als nächstes Ziel konnte Nagasaki, wo Bernd früher, ausschweifend, sehr ausschweifend, gezecht und seinerzeit mit der Western Hunter achterausgesegelt war , die mit seiner ganzen Habe am Horizont Richtung Indik für immer entschwand, in Betracht gezogen werden, aber man entschied sich, das Land zu verlassen und fuhr nach Shimonoseki, die Fähre nach Pusan zu nehmen.

Auch Pusan hatte sich verändert und war zu einem Neonspektakel westlichen Vorbilds mutiert.

Es war der Container. Der Container, diese Blechbüchse hatte allen Scharm und alle Hafenkneipen zerstört. Das Düsenflugzeug hatte alle Städte und Kulturen nach westlichem Standard uniformiert.

Fernsehen und Telefon, all über all präsent, verunmöglichten auch das letzte Abenteuer.

Was war nur aus der Welt im Osten geworden.

Köwenick blieb bei Hasi in Masan in einem Hotel hängen, während


Bernd davonzog. Nach Chin Hae, wo die Amis eine Basis betrieben, dann nach Seoul, dann nach Inchon, wo er eine Woche bei einer niedlichen Hafenhure rastete; dann wieder nach Seoul, wo er feststellte, daß er nunmehr völlig mittellos war und nichts mehr zu rauchen hatte.

Die Erkundung nach dem Rückflugstermin brachte weitere Ernüchterung. Es gab keinen Rückflug. Der Pauschal Agent war pleite gegangen.


“Es gibt keinen Rückflug,” sagte Bernd zu dem deutschen Beamten hinter dem Tresen in der deutschen Botschaft in Seoul, die er im Fußmarsch durch penetrant beständigen Regen schließlich gefunden hatte.

“Es wird keinen Rückflug geben.” Und. “Ich bin gekommen, ihnen mitzuteilen, daß ich völlig mittellos bin. Gerade jetzt, jedoch werde ich in Berlin sicherlich als guter Steuerzahler aufgefallen sein.”

“Natürlich,” sagte der deutsche Beamte freundlich. “Wir regeln das. Dafür sind wir da. Landsleuten in der Not Hilfe zu gewähren.”

“Setzen sie sich, irgendwo. Ruhen sie sich aus. Trocknen sie ab.”


“Es gibt keinen Rückflug,” sagte der Beamte nach einer Stunde, “die Agentur ist in Konkurs gegangen.”

“Ich weiß.” Sagte Bernd.

“Ich kann ihnen seine Adresse auf einen Zettel schreiben,” fuhr der Beamte fort. “Er wohnt außerhalb der Stadt in einem Dorf.”

“Was werden wir machen?”

“Kaufen sie sich eine neue Flugkarte.”

“Mit was?”

“Mit Geld,” der Beamte sah Bernd verständnislos an,” Wechseln sie einen Scheck. Wenn sie kein Geld haben.”

“Welchen Scheck? Geben sie mir einen?”

“Oh nein, wir dürfen keine Schecks ausstellen.” Sagte der Beamte, besorgt blickend.

“Dann geben sie mir ein Flugticket nach Berlin.”

“Das Auswärtige Amt vergibt keine Flugtickets nach Berlin. Wir könnten ihnen Bargeld anbieten. Aber nur wenn sie sich in einer Notlage befinden sollten. Wir müßten freilich in Bonn nachfragen und uns ihre Identität bestätigen lassen.”

“Wie lange mag das dauern?”

“Zwei Stunden. Wir schicken ein Kabel.”


“Die Antwort ist da,” er strahlte Zuversicht aus. “Wir wissen jetzt, daß sie Herr Meyer sind. Und in Berlin wohnen.”

Nach einer weiteren Stunde stand ein anderer Beamter hinter dem Tresen.

“Herr Meyer, kommen sie bitte. Sie müssen diesen Vertrag unterschreiben. Sofort nach ihrer Ankunft in Berlin müssen sie den Kredit zurückzahlen. Ihr Reisepass wird bis zur erfolgten Rückzahlung gesperrt. Sie dürfen Deutschland während der Zeit nicht verlassen.”

“Donnerwetter, das ist aber strikt.”


“Wir haben das Geld der Steuerzahler vor Mißbrauch zu schützen. Wenn sie hier bitte die Barauszahlung abzeichnen wollen. Sie verstehen, daß wir die Kosten für das Kabel abziehen müssen. Es kostet 36 Mark.”

Die Summe wurde in US Dollar ausgezahlt. Es waren 180 Mark netto.

“Nun gehen sie erst einmal gut essen, kleiden sie sich neu ein, unten in der Strasse gibt es einige Konfektionsläden, und fliegen sie dann nach hause. Gute Reise.”

Bernd wurde freundlich verabschiedet und suchte den Agenten in einem Dorf bei Seoul auf.


Dort pochte er nachhaltig und beharrlich gegen ein hohes Brettertor während die Taxe, die ein Drittel der neuen Barschaft als Pauschalpreis verlangte, wartete. Nach einer Weile öffnete eine alte Frau, die des englischen nicht mächtig war, das Tor und radebrechte, daß alles wieder gut wäre und das Flugzeug warten würde. In zwei Tagen Seoul Airport. Sie fuchtelte mit den Händen. “Sie sagt, sie sagt die Wahrheit.” Übersetzte der ebenfalls radebrechende Taxifahrer. Viele koreanische Frauen wären schon dagewesen. “Agent nix da. Agent gut Mann.”


In Berlin war es zwischenzeitlich nicht gut gelaufen. Herr Sommer hatte zwar den Kiosk sauber und aufgeräumt geführt, aber die Umsätze, Gewinne, reichten bei weitem nicht aus, die Berge an Rechnungen zu begleichen.

Der Schaumstoffladen hatte unter der Regie der Exfrau Köwenicks, die faul und liederlich war, ganze vierhundert Mark in dem Monat umgesetzt und es fertig gebracht, für vierhundertdreissig Mark Strom zu verbrauchen.

“Die hat ja kaum geöffnet, “ sagte der Nachbarhändler.

Sie wurde ohne Zahlung verjagt. Der Schaumstoffladen mußte aufgegeben werden um das Imperium zu halten.

Die Automaten, die schön anzusehen waren, nahm sich Frau Lärmbecher zur Verrechnung mit den Zigarettenlieferungen.

Die Autoflotte wurde dezimiert. Backe kam mit einem Ami Straßenkreuzer zu Besuch.

“Bringt richtig Geld,” meinte er und zeigte auf den Schlitten, ”wenn man eine Beule reintut.”


“Tausend,” sagte Karl Hannes, “das ist der übliche Preis. Fünfhundert, dann mach ichs mit dem LKW.” Karl Hannes war angestellter LKW Fahrer und fuhr für eine Spedition.


Morgends um zehn stand der LKW auf der Verkehrs- und menschenleeren Tiergartenstrasse am Straßenrand. Karl Hannes wuchtete eine leere, aber schwere Kabeltrommel aus Holz vom Hänger und Bernd gab Gas, auf diese zu prallen, die durch die Wucht gegen den Hänger zurückgeschleudert wurde. Zufrieden stieg Bernd aus dem roten Mustang aus und betrachtete den Schaden. “Nichts.” “Garnichts.” “Nicht mal eine Schramme.” “Hat doch aber ganz schön


gebumst.”

“Soll ich helfen, die Trommel wieder auf den Hänger zu laden? Dann könnt ihr es erneut versuchen.” Ein Mann mit einem Fahrrad schälte sich zwischen den Bäumen der anderen Straßenseite heraus.

“Wir müssen das anders machen,” sinnierte Karl Hannes bei dem Halt ein paar Straßenzüge weiter, wo sie sich unbeobachtet wähnten. “Ich beschneide dir die Vorfahrt. Beim Linksabbiegen. Und schramme die Kiste an der Seite auf. Von hinten bis vorn. Ich gib dir ein Zeichen wenn wir die richtige Kreuzung gefunden haben. Ich strecke den Arm raus. Dann fährst du dicht neben mich. An einer Ampel. Wenn wir beide links abbiegen.”

Das hörte sich gut an. Und das schabte auch schön. Die Passanten schauten interessiert.

“Es sind Kratzer da, Scheiße,” meinte Karl Hannes, “aber am LKW. Was hast du da, ein Panzerauto? Fahr du jetzt voraus. Richtung Neukölln, dann immer den Britzer Damm runter. Da muß ich die Ladung abliefern. An einer Ampel fahr ich dir hinten rein. Dann wird es scheppern.”

Bernd behielt den LKW im Rückspiegel im Auge. Karl Hannes hielt auf Abstand als Bernd an der roten Ampel Kreuzung Silbersteinstr. hielt. Er sah und hörte wie der LKW Motor aufheulte und der Zug stark beschleunigte. ´Oh ha, dachte Bernd das werden 50 Sachen sein. Bei dem Gewicht. Der manscht mich in den Straßenbelag. Das gibt ein Unglück. Er gab Gas und flüchtete bei Rot über die Kreuzung, der LKW kam hinterher gebraust. Alles hupte, gaffte, staunte und flüchtete.

Einen Kilometer weiter gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr und der Mustang wurde von dem LKW voll erwischt.

“Allerhand,” staunte Karl Hannes, “das hat gesessen.” Der Mustang hatte am hinteren rechten Kotflügel eine tiefe Einbuchtung, eine Kerbe, die jedoch nicht gerissen war. Die Stoßstange des LKW war vorne links abgerissen und hing auf das Pflaster herunter. Die Blinkleute war her- ausgefallen.

“Draht, Wir brauchen Draht. Wir hätten an Draht denken sollen,”meinte Karl Hannes,” daran wird der Spediteur nicht recht Gefallen finden werden.”


“Ostendorf,” sagte Backe den anderen Tag, ”Ostendorf.”

Der Mustangschaden brachte zwei Tausender von denen Karl Hannes fünfhundert und der Doktor Tacka den Rest erhielt. Die Krankenversicherung hatte weder die Arztkosten, noch das Tagegeld zahlen wollen. Bernd hatte versäumt, die fällige Rate anzuweisen. Das fiel ihm schon im Flugzeug nach Japan auf, aber da war es ohnehin zu spät.

“Dein Wichser Tacka hat mir EKG aufgeschwatzt,” sagte er zu Köwenick,”und er will dafür tausendsiebenhundertundfünfzig Mark haben.” “Zahl ihn halt,” sagte Backe.

“Scheck? Ein Scheck?” Tacka war entsetzt,” ein Postscheck?” “Nur fünfhundert Mark, den Rest hab ich hier bar,” versuchte Bernd ihn zu beruhigen. “Ein Postscheck?”

“Dein Doktor Tacka ist ein ausgemachtes Arschloch,” sagte Bernd zu


Köwenick.


Ostendorf betrieb auf einem Hinterhof in Wedding solange alle zurückdenken konnten, eine Mischung aus Reparaturbetrieb und Schrottkippe. Repariert wurde mit Draht und Hammer am Kantstein der Strasse. Bei jeder Wetterlage.

“Schönes Auto hab ich,” pflegte der alte Ostpreusse zu sagen,”für euch. Gutes Auto. Läuft. Könnt ihr billig haben.” “Fährt, hat noch drei Monate TÜV, fehlt Auspuff und rechte Tür. Repariere ich noch.”

“Wann?” “Könnt ihr morgen abholen.” “Papiere?” “Könnt ihr morgen abholen.”

Bei Ostendorf bekam man für zwei, dreihundert Mark stets das richtige Gefährt. “Und wenn nicht läuft,” pflegte er zu sagen,” fährt man mit teurem Auto rückwärts rein. Ergebnis ist gleich.” “Bei Ostendorf mußt du aufpassen,” erläuterte Backe,” gleich heißt bei dem übermorgen und mit morgen meint er übernächste Woche. Außerdem gehören ihm nicht alle Autos die er verkauft. Aber solange er die Papiere beibringt, bleibt das sein Ärger.”


Nur noch das, was unbedingt erforderlich schien, wurde an dem Haus weitergebaut. Und auch das nur, wenn die Materialkosten gegen gratis tendierten. Karl Hannes unterstützte maßgeblich mit seinem LKW und brachte erhebliche Mengen an Baumaterialien, woher er die auch immer hatte, vorbei. Eines Tages erschien er mit einem ganzen Zug bester Steinwolle, die er auf einem Industriegelände aufgelesen vorgab, und ermöglichte so die durchgehende Isolierung des Dachgeschosses.

“Leih mir dreißigtausend Mark zu fünf Prozent den Monat für ein paar Monate,” sagte Bernd nachdenklich, während des Schachspiels eines abends zu Köwenick.

“Dreißig?” “Die kann ich anderthalb Mal mit Tabakwaren umsetzen. Dann rechnet sich das.”

Zwei Tage später holte Bernd mit Jacky, die solche Summen auf einem Stapel nicht für möglich gehalten hatte, die dreißigtausend, die aussahen, als ob Köwenick sie in seiner Matratze gehortet hatte, ab.

Es war nun wieder ausreichend Ware im Angebot. Es ging nun wieder.


Ein Zimmerchen im neuen, angebauten Nordflügel hatten sie mittlerweile fertiggestellt und mit hübschen Paneelen, die Bernd ausgesucht hatte, ausstaffiert. Ein Bett stand drin. Und ein Ofen. Es wurde von dem Rest des sich noch gesamt im Bauzustand befindlichen Hauses mit einer selbstgezimmerten Schiebetür aus Holz abgetrennt und sauber gehalten.

Jacky und Bernd zogen aus Karl Hannes schwarzem Loch in Moabit aus und hinterließen die Möbel anderen, sie auf den Sperrmüll zu tragen, nachdem Bernd die andere Nacht aus dem Küchenfenster gefallen war und sich den Zehknochen gesplittert hatte.

Das Telefon war wieder angeschlossen. Die Estriche unten waren eingebaut. Die Böden oben verlegt. Alles mögliche war verändert und umgemauert worden. Das zukünftige Bad war abgetrennt und die


Sickergrube war gemauert. Strom war da. Leitungen waren überall verlegt. Jackys Stiefvater war aufgetaucht.


“Er wollte mir mit einer Drahtbürste das Gesicht abbürsten,” sagte Anja atemlos mit empört klingender Stimme eines abends am Telefon. “Er sagte, daß er mir das Gesicht mit der Drahtbürste abbürsten wolle. Er hat die Scheibe zum Kassenraum mit der Drahtbürste zerkratzt. Ich konnte sie gerade noch zuschieben. Sonst hätte er mir das Gesicht mit der Drahtbürste zerkratzt.”Sie war aufgelöst und alarmiert.

“Ich soll dir ausrichten, daß er dir den Schädel spalten und anschließend in das Gehirn pissen wird. So hat er das gesagt.”

“Wird oder will?”

“Das weiß ich nicht mehr, er wollte mein Gesicht zerkratzen.”

“Das ist aber wichtig. Reiß dich zusammen. Will oder wird?. Wer hat dein Gesicht zerkratzt?”

“Wird. Aber das Gesicht konnte er mir nicht zerkratzen, weil ich die Scheibe schnell zuziehen konnte. Er hat die Scheibe zerkratzt.”

“Wer hat dir die Scheibe zerkratzt und will mir ins Hirn pissen?”

“Der Stiefvater. Er sagt er sei der Stiefvater von Jacqueline. Und das du seine Familie zerstört hast.”


“Gib mir deinen Revolver Hark.” Bernd war zu Hark in die Nachbarkolonie gefahren.

“Gib mir deinen Revolver, ich werde bedroht. Mit dem Leben. Man plant mir ins Hirn zu pissen. Ich muß zur Zeitungsbude. Da werde ich bedroht. Mit dem Leben.”

„Gib mir achtzig Mark,” sagte Hark ungerührt, ”dann geb ich dir den Revolver.”

“Ich hab kein Geld hier, ich bring es dir später.”

“Hol Geld aus der Zeitungsbude, dann geb ich dir den Revolver.”

“Ich brauche das Geschütz um zur Bude zu fahren, nicht nachdem ich in der Bude war.”

“Hol das Geld aus der Bude. Dann geb ich dir den Revolver. Dann kannst du öfter zur Bude fahren.”

Bernd fuhr unbewaffnet zum Kiosk.

“Er wollte mir das Gesicht zerkratzen,” jammerte Anja aufgelöst. “Er sagt, du hast seine Familie zerstört. Und das er dir ins Hirn pissen will.“ “Will oder würde?”

“Ich weiß nicht.”

Sie fügte hinzu :” Ich kann hier nicht bleiben. Ich darf nicht für dich leiden. Wo du Familien zerstörst.”

“Gib mir die Kanone,” sagte Bernd, wieder bei Hark. “Und Munition. Gib mir Gas.”

“Munition?, du kannst Gas oder Knallpatronen laden.”

“Gib mir Gas. Jacqueline sagt der Wichser hat einen großen Schäferhund der bissig ist, und den er immer auf die Leute hetzt bevor er ihnen ins Hirn pissen tut.”

“Ich hab kein Gas. Ich hab auch keine Knallpatronen. Nun hab ich auch keinen Revolver mehr. Hau ihm das Ding quer über die Rübe. Schwer


genug ist es ja. Um in die Zeitung zu kommen.”

“Der Wichser hat einen großen Schäferhund der schwarz ist und beißt,” sagte Jacqueline, “er hetzt ihn gern auf die Leute und schlägt sie dann zusammen, wenn sie sich in die Hose gepißt haben. Mich beißt der Hund nicht. Er heißt Hasso.”

“Fein,” sagte Bernd, ”was schleppst du mir für familiäres Pack ins Haus.”


Hark war der hilfreiche Geist, der im Wedding eine Hinterhofgarage mit Schwarzarbeit betrieb und Bernds Mietwagen am Laufen hielt. Er beulte auch Beulen aus und pustete mit seiner Spritzpistole über alles auf das man mit spitzem Finger hinwies. Wenn er schweißte, Unterboden schweißte, war es ratsam, nach dem Feuerlöscher Ausschau zu halten.

“Wenn der schweißt”, bemerkte Backe des Öfteren treffend,” brauchst du neue Sitze. Der wird noch das Viertel abfackeln. Der Pfuscher.”

Anja, die Freundin von Köwenick war für Frau Schacke eingesprungen, die sich zur Ruhe gesetzt hatte. Der Einarmige war gefeuert und durch den Rentner Weber ersetzt worden, der sich Mühe gab und Ordnung hielt und später sich das rechte Bein amputieren ließ, weil er Raucher war.

“Ich finde jetzt überall teure Magazine zuhause”, sagte Köwenick. “Playboy, Twen und so. Zahlt sie die auch?” Bernd wußte nicht, ob Anja die teuren Magazine bezahlte.

Der Umsatz der Spätschicht ging rasch zurück, um unaufhaltsam zu verkümmern.

“Was ist mit dem Nachtumsatz,” fragte Bernd Anja,” das ist nur noch die Hälfte von normal.” Schon bei der vorigen Inventur zum Jahreswechsel hatte sich ergeben, daß nur die Hälfte des ernsthaft zu vermutenden Warenbestandes tatsächlich vorhanden war. Die Zeitungsbude war ein Sack mit Flöhen ohne Schnur für die Kontrolle.


“Er war wieder da,” sagte Anja eine Woche später, ”ich soll dir ausrichten, daß du seine Familie zerstört hast und das er dir in das Hirn pissen wird.”


Ich muß mir eine Gaspatrone für den Revolver kaufen gehen. Schrieb Bernd auf seinen Memozettel.

“Was für eine Familie,” fragte Bernd abends Jacky als sie von ihrem verzehrenden Job als Krankenschwester in einem Krankenhaus in Charlottenburg, das keins war und in dem hinfällige Leute zum Sterben ausgelegt wurden, in das Zimmer kam, in dem sie jetzt lebten.

“Was für eine Familie. Bist du seine Familie? Gewesen?”

“Nicht im Traum, er hat mir immer Geschenke gemacht. Kleine Geschenke.”

“Und warum will er mir ins Hirn pissen?”

“Weil er mir immer Geschenke gemacht hat.”

“Er hat Jacqueline immer Geschenke gemacht,” sagte Uta, ihre leibliche Mutter zu Bernd, als dieser sie das nächste Mal sexuell befriedigte. “Kleine Geschenke. Er war mein Ehegatte. Er hat


Hausverbot.” “Warum?” “Weil er Jacqueline immer Geschenke gemacht hat.”


“Das ist gründliche Arbeit.” Köwenick war auf den Anruf Bernds gekommen, den Schaden zu betrachten. “Da muß jemand Groll gegen dich hegen.”

Die große, dicke, neue Wohnzimmerscheibe hatte ein Loch durch das jemand von draußen den schweren Alabaster - Krieger, der im Garten wohnte, geworfen hatte. Paneelteile waren von einer Wand gerissen, die Haustür zertrümmert. Auf den Stufen zum Podest lag ein farbiges Häuflein aus Plastik und Kupfer das an die ehemalige Bohrmaschine, auf der jemand drei Stunden mit einem Vorschlaghammer gedroschen haben mußte, erinnerte. Alle Baustoffsäcke waren aufgerissen, der Inhalt sorgfältig verteilt. Fugenmittel war mit Kleidungsstücken vermengt angerührt worden. Leitungen aus der Wand gerissen. Das Klosett hatte man verschont. Eine Türzarge war herausgerissen. Der halbfertige Kamin demoliert. Sogar im Garten war gewütet worden. Wegeinfassungen aus Beton waren zertrümmert.

“Du mußt ja richtige Feinde haben, das ist ja toll,” meinte Köwenick. “Da würde ich nachts aber abschließen.”

“Das muß gegen Nachmittag passiert sein. Bei strahlendem Sonnenschein. Die Nachbarn haben nichts gemerkt oder gehört.”

“Das muß doch irren Krach verursacht haben.”

“Erstaunlich,” sagte Bernd sinnend,” ist, daß in der Stube in der Jacky und ich wohnen, nichts angerührt wurde. Gar nichts. Außer zwei Aschenbechern, die sorgsam umgedreht wurden. Mit der Asche. Die Schiebetür war zu, als ich kam. Aber die Aschenbecher beweisen, daß sie drinnen waren.”

“Vielleicht waren sie erschöpft,” half Köwenick geistreich aus.


“Na ja,” sagte Köwenick beim nächsten Schachspiel,” wenn du Frau Schacke ficken mußt, damit sie dir weiterhin gelegentlich zweihundert Mark borgt, die du an den Zeitungslieferanten weiterreichst, könntest du mir auch ´ne Beule in eine Taxe machen und tausend Mark kassieren.”

“Ich hab ihr nur an die Titten gefasst. Sie hat richtig gute Titten.”

“In dem Alter? Wie alt ist sie, siebzig?”

“Keine Ahnung, aber sie hat richtig gute Titten. Sie sagte, sie muß sich darauf vorbereiten.”

“Vorbereiten auf was?”

“Aufs ficken. Dann würde aber mein Auto auch kaputt sein.”

“In dem Alter? Vorbereiten? Was vorbereiten?”

“Ich könnte von Ostendorf eine Schüssel für zweihundert Mark kriegen. Aber man weiß nie, wie lange eine Ostendorf Wanne läuft.”

“Die Taxe läuft. Es geht auch rückwärts. Aber wir brauchen Zeugen. Öffentlichkeit. Vorbereiten? Einen Tag lang?”

“Was für Öffentlichkeit? “

“Es muß nachvollziehbar und logisch sein. Die Versicherung hat mich auf dem Kieker. Alle Versicherungen haben mich auf dem Kieker. Es


würde den Leuten auf der Strasse komisch vorkommen, sollte ich rückwärts auf deine lahme Kiste fahren und Auffahrunfall brüllen. Sie würden das nicht verstehen wollen.”

“Wird das nicht alles etwas heiß?”

“Wenn du nur acht Taxen hast, kannst du nur so überleben.”

“Kauf dir noch vier dazu, dann hast du zwölf und kannst ruhig leben.”

“Für zwölf Taxen brauchst du achtundvierzig Fahrer die immer Lust haben und kommen. Ich hab nur sechzehn für acht Taxen. Mit zwölf Taxen wirst du zum Bankrotteur.”


“Ich hör schon das Brunftgeschrei und kann den Balztanz sehen,” sagte Dexling als Bernd ihn in eine Kneipe am Tegeler Weg führte, um ihm Bier auszugeben. Dexling hatte sich seit dem Tag, an dem er sich und sein Auto in der Müllerstrasse um einen Laternenpfahl wickelte und abrupt seine Taxiunternehmer Karriere aufgab, fortentwickelt. Äußerlich trug er jetzt zu seinem wildwuchernden schwarzen Bart eine gestrickte, dicke Pudelmütze auf dem Kopf, die schwarz war und einen sehr großen Klunker hatte. Er sah jetzt wie Rasputin im Winter aus. Die Leute begannen sich umzudrehen. Dexling wurde zunehmend zu einer peinlichen Erscheinung. Die Mütze nahm er niemals wieder ab. Beim Essen nicht. Im Sommer nicht. Beim Schlafen nicht. Beim Baden nicht. So er denn überhaupt mal badete.

“Das wird dich aufmuntern,” tröstete Bernd. ”So ein paar Bier braucht der Mensch gelegentlich. Das wird Glanz in deine Augen bringen.”

“Ich werde beobachtet.”

“Macht nichts, wir alle werden beobachtet. Da bist du in guter Gesellschaft. Wann besorgst du dir eine neue Taxe?” Bernd wußte, daß Dexling völlig mittellos war.

“Als du eingeparkt hast,” murmelte Dexling vor sich hin,” hast du das vorbeifahrende Auto gesehen?” “Ich hab nicht drauf geachtet.” “Da war eine Antenne dran.” “Wird ein Radiohörer gewesen sein. Prost.” “Man beobachtet mich.”

Dexling hatte begonnen, unter Verfolgungswahn zu leiden. Keine Frage.

“Bernd? Gibst du mir eine Zigarette?”fragte Dexling schüchtern und besah mißtrauisch sein Bier. “Natürlich.” Bernd gab ihm Feuer, aber angesichts der Feuerzeugflamme schreckte Dexling zurück und richtete sich in seinem Stuhl kerzengerade auf. “Was ist?” Fragte Bernd. “Rauch du zuerst.” “Ich rauche bereits.” “Dann warte ich bis du wieder zuerst rauchst.” “Soll ich auch dein Bier zuerst trinken?”

Dexling hatte begonnen, unter Verfolgungswahn zu leiden. Dexling argwöhnte auch, finstere Mächte konspirierten, sein Leben vorzeitig zu beenden. In Zigaretten war Sprengstoff verborgen, der ihm die Lippen und die Zunge rauben sollte, damit er sich fürderhin nicht mehr erklären konnte. Im Bier war das Gift, das ihn lähmen würde, damit man ihn forttragen konnte, in der Scheune auf dem Land an die Wand zu nageln. Die Antennen waren Geräte ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

“Ich hab schon drei Wochen lang nicht geschlafen,” flüsterte er,”ich bin müde.”


Dexling war anstrengend geworden.

“Dexling ist bekloppt geworden.” bestätigte Köwenick, “er war letztens hier und die Nachbarn fragten ob ich Beziehung zum russischen Reich pflege.”

“Als ich ihm eine Tasse Kaffee anbot, ist er zurückgeprallt als ob ich ihn an seine Mutter erinnert hätte,” ergänzte Anja, “als ob ich ihm einen unsittlichen Antrag gemacht hätte.”


An einem strahlend blauen Sommersonnabend fuhr ein Funkwagen vor und holte Bernd, in eine Zelle im Revier zu sperren, von der Fassade, an der er soeben Putz auftrug, fort.

“Wir müssen sie mitnehmen, sie haben eine Ordnungswidrigkeit in Höhe von sechzig Mark nicht beglichen und müssen fünf Tage in Moabit absitzen.”

“Sie dürfen telefonieren.” Sagte der freundliche Beamte auf dem Revier und schloß die Zelle auf. “Sag Anja, sie soll die Quittung herbringen. Für die sechzig Mark Überweisung die sie vor zwei Wochen für mich getätigt hat. Rasch. Um achtzehn Uhr kommt der Aufsammel- Transporter und schleppt mich nach Moabit in den Knast.”

“Die ist in meiner Wohnung in Neukölln,” sagte Köwenick,“ ich fahr gleich hin. „


“Ich komm in die Wohnung nicht rein. Sie hat von innen abgeschlossen. Sie sagt sie will jetzt nicht, weil sie mit Selbstmord beschäftigt ist. “ Sagte Köwenick zwei Stunden später durch das Telefon im Revier, an das man Bernd geholt hatte.

“Sag ihr sie soll die Quittung unter der Tür durchschieben. Sag ihr, daß es Unrecht ist, mich in der Zelle in Moabit schmoren zu lassen. Das wird sie ihren Platz im Himmel kosten. Sag ihr daß das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Sag ihr irgendwas, und frag sie ob sie das Geld auch tatsächlich überwiesen hat. Brech die Tür nieder, ich bin in Notlage.” Der Beamte, der das Gespräch überhört hatte, grinste breit.

Kurz vor achtzehn Uhr kam Köwenick mit einer Citroen Ente und befreite Bernd aus der überraschenden Zwangslage.

“Laß uns saufen gehen und dann mit dieser Schüssel nach Hamburg auf die Reeperbahn schaukeln. Laß uns dort auch saufen gehn und hernach in den Hafen kotzen.”


“Benzin brauchen wir,” stellte Karl Hannes sachkundig fest,” ein Kanister Benzin.”

“Wo machen wir das?”

“In Spandau. Am Senatskohlenlager ist eine einsame Strasse neben den Schienen. An den Kohlenhalden. Wenn es finster ist, traut sich da kein Mensch in die Nähe. Wenn es finster ist.”

Die Motorhaube war hochgeklappt. Karl Hannes kippte Benzin aus dem Kanister über den Motor, Bernd warf ein brennendes Streichholz hinterher. Beide machten einen Satz zurück.

Der Daimler 230, Bernds Privatwagen mußte dran glauben. Nicht so richtig, natürlich. Hernach sollte Hark die Schäden beseitigen und den


Wagen wieder fahrbar herrichten. Köwenick hatte gesagt, daß die Schläuche und Kabel schon richtig verbrannt sein müßten.

“Nichts,” stellte Bernd sachlich fest, als er die Haube wieder öffnete, weil das Feuer erloschen war. “Noch mal das Ganze.”

Karl Hannes schwappte erneut Benzin über den Motor, Bernd zündete noch einmal. Eine Stichflamme fauchte auf. Bernd ließ die Haube herunterfallen.

“Das wirds bringen”, sagte Karl Hannes und trat drei Schritte zurück.

“Dein Kanister brennt,” sagte Bernd

Ungläubig schaute Karl Hannes an seinem linken Arm nach unten. “Mein Kanister brennt,” er warf ihn flach auf die Strasse neben dem Auto.

“Du wirst das Auto anzünden, mach ihn aus.” Karl Hannes sprang wie Donald Duck mit beiden Füssen zugleich auf den Plastik Kanister und presste mehr Benzin heraus. Alles war gleißend hell erleuchtet.

“Mach ihn aus, Mann, du illuminierst die ganze Gegend.” Bernd kratzte Erde am Straßenrand mit den Fingernägeln zusammen, trat den Kanister die Strasse hinunter und verstopfte den Füllstutzen.

Das Feuer erlosch. Das auf der Strasse ebenso. Das im Motorraum auch. Aus dem Motorraum qualmte es.

“Kaum Schäden zu sehen,” sagte Bernd nach Öffnung der Haube.

”Köwenick sagt, es müsse schon alles schön zu Pulp verschmort sein.“

“Machen wir es nochmal,” Karl Hannes schüttelte den Kanister,”ist noch was drin. Erfahrung haben wir ja jetzt.”

Beim dritten Mal klappte es vorzüglich. Sie schleppten den Daimler hinter dem mitgebrachten Corsair auf das Grundstück von Köwenick, der nicht weit entfernt wohnte und stellten ihn dort ab.

Den anderen Tag, als Bernd kam, den Daimler zu besuchen, standen zwei Herren an Köwenicks Tor und lugten hinüber.

“Da stehen zwei Leute an deinem Tor und lugen hier her. Zu dir herüber.” Sagte er zu Köwenick, den er in seiner Werkstatt fand, wo er seine neueste Erwerbung ausprobierte.

“Ein Dozer, mit dem ziehe ich jedes Blech gerade. Jedes Autoblech.”

„Zwei Leute lugen über den Zaun.“

“Ich weiß, die sind von der Allianz. Die kommen seit drei Tagen, schauen jeweils eine Stunde, stumm und starr und gehen dann wieder fort.”

“Schauen die den Daimler an?”

“Warum sollten die nicht den Daimler anschauen. Ist ja unübersehbar ein KFZ Schaden, nachdem ihr die Haube aufgeschmort habt. Läuft der auch über die Allianz?”

„Ist mein Auto bei dir auch sicher ?“


Es wurde weitergebaut. “Bring mir schnell den Eimer. Halt mal. Du mußt die Dachpfannen mit der Drahtbürste sauberer abkratzen, und schneller. Reich mir den Balken. Das Brett und die Latte. Hast du Nägel in der Hosentasche? Wo ist die verdammte Wasserwaage?”

Jacky zeigte sich zunehmend genervt und wurde zickig. Ihre Dienstzeit im Hospiz wurde länger. Die Heimfahrt mit Bahn und Bus zog sich hin.


Sie hatte viele wichtige Dinge zu erledigen. “Ich kann nicht unentwegt am Haus bauen. Ich kann meine Hände nicht mehr sauber bekommen. Ich kann mit solchen Händen nicht im Hospiz antreten.”

“Eines Tages wird das Haus fertig sein. Bring schnell zwei Sack Zement her, dann hab ich was zum Anrühren.”“ Wenn du noch einmal schnell sagst, gehe ich.” “Fort?” “Ja.” “Für lange?”

“Ja.” “In die Tropen? Zu den Inseln unter dem Wind? Und wenn ich schnell nicht mehr sage?” ”Dann nicht.” “Würdest du rasch einen Sack Zement holen?” “Nein.” “Warum nicht? Ich habe schnell nicht erwähnt.” “Weil du nicht bitte gesagt hast.” “Würdest du mir rasch bitte einen Sack Zement holen?” “Nein.” “Und wenn das eine Order ist?” “Nein, für Zement bist du zuständig.”


Disziplin ist der Notnagel der Zivilisation, dachte Bernd zu sich, vor dem brennenden offenen Kamin, der jetzt nicht mehr qualmte, auf einer Bretterkiste inmitten der Baustelle sitzend. Zivilisation ist der Sargnagel des Menschen. Wo sind die glücklichen Tage des Neanderthal Bewohners nur geblieben. Was war aus uns allen nur geworden. Was nageln und schichten wir wie die Besessenen in jeder freien Minute. Wie alt wollen wir damit werden. Wie alt dürfen wir werden. Wer bestimmt das. Die Zeit? Die Umstände? Das Unverständnis der Realitäten? Wer bestimmt die Zeit? Gott. Aber wenn Gott wollte, daß ich Handwerker in meiner Freizeit wäre, hätte er mir nicht eine dritte Hand gegeben? Hätte er nicht gewollt, daß ich neben der Kelle in der einen, dem Hammer in der anderen, der Verwünschung im Hals, den Eimer mit dem Mörtel in der dritten Hand durch die Baustelle tragen könnte? Haben wir nicht das glückliche Leben im natürlichen Reichtum des Allbesitzes einem fadenscheinigen Sicherheitswunsch vor dem fantasievollen Bild der Bedrohung durch Finsternis und Bison geopfert? Haben wir nicht unsere natürliche Behaarung dem Ofen und der Baumwolldecke preisgegeben? Konnten wir nicht ahnen, daß wir für Schuhe mit vergänglichen Sohlen zur Fron uns zwingen müssen werden? Ist Zivilisation das Ergebnis von Intelligenz?


Jacky und Bernd gingen jetzt im Sommer oft in den Niederungen des Fließes entlang der Mauer reiten. Die Pferde vermietete der Herr Bauk, der im Dorfkern einen Resthof betrieb, dem politische Intrigen mit dem Bau der Mauer das Kornfeld abgetrennt hatten. Es gab kilometerlange sandige Wege, die für Pferde ideal und für Trecker geeignet waren. Eine unberührte idyllische Landschaft mit Buschwerk und Bäumen, kleinen Seen, Weiden und Wiesen, durch die der Fließ mit starker Strömung westwärts zog und an der einen seichten Furt zu einsamem Bade bar aller Wäsche einlud. Hier lagen sie anschließend in der Sonne im Gras und trockneten, die Köpfe der weidenden Pferde nah den eigenen.

“Wollen wir uns mit unanständigen Dingen beschäftigen?” Fragte Bernd, eine Zigarette rauchend und die Zirruswolke auf ihrem Weg um den Erdball mit den Augen verfolgend. “Gleich jetzt in den Büschen da?” “ Warum nicht gleich jetzt in den Büschen da.” “Werden die Pferde zusehen?” “Probieren wir Stellungen aus?” “Sind wir geübt in


welchen?” “Du liegst unten, ich steige herüber, ich besteige dich. Der alte Bauernfick. das wird den Pferden gefallen. Kurz, heftig, ökonomisch. Das werden die Pferde kennen.” “Soll ich wegen der Ameisen unten liegen?” “Sind Ameisen vorhanden?”“ Ich weiß nicht.” “Sollten wir welche suchen gehen?” “Was ist mit dem Wasser? Wir könnten es mal im Wasser machen. Dann schwimmt der Samen in den Ozean.”

Manchmal wurde es den Pferden zu langweilig und sie trotteten auf bekannten Wegen nach hause, ihre Boxen aufzusuchen und sich mit Hafer zu mästen. Manchmal auch wurde die Beschäftigung mit unanständigen Dingen frühzeitig durch Insekten beendet. Dann warteten die Pferde.


Auf der dem großen Fenster abgewandten Wand des Kaminzimmers trug Bernd sechs dicke Schichten Putzmörtel, der zuvor mit verschiedenen Farbtönen eingefärbt worden war, mit einem Reibebrett auf einem Putzträger aus Draht auf. Mittels Schnur, Lot, Zollstock, Rechner und Mercator Weltkarte ritzte er sodann die Umrisse der Kontinente an und schabte die Gebirge, Seen und Flüsse, zuletzt die Wüsten und Ozeane aus. Es wurde ein grandioses Putzgemälde in das überall dort, wo Bernd zuvor auf Besuch gewesen war, eine farbige Fixiernadel gesteckt wurde. Ein Wald von Nadeln, Blau für eine Woche oder länger, Rot für einen Monat oder länger, Weiß für drei Monate oder länger, Weiß mit blauem Kopf für Seenot; hiervon gab es drei Nadeln mit den Standorten Nordatlantik - Hallifax, Ostsee - Dagö und Norwegen

- Lofoten. Weiß, mit braunem Kopf wies auf Gefängnisaufenthalt hin - Malaya Penang- zwei Jahre.

Geringfügigere Aufenthalte wurden nicht berücksichtigt, Aruba, Ipswich, St. John, Saigon, Manila und andere Standorte. Ein Nadelmeer, das sich über siebenundsiebzig Staaten hinzog. Zwölfeinhalb Jahre waren dabei draufgegangen.

Der Kaminzimmerboden wurde mit dicken Marmorplattenstücken, die Bernd mit dem Hammer weiter zerkleinerte, in Beton verlegt und verfugt. Die Marmorbruchstücke, dunkelrot mit Maserung, kamen aus dem Abriß eines alten Friseursalons und wurden in vielen Fahrten im Kofferraum heran transportiert.

Auch auf dem Boden der offenen Küche wurden Fliesen in der Version Französich Mosaik verlegt. Ebenso auf dem Podest, das in das Anbauzimmer, in dem Bernd mit Jacqueline seit Monaten lebten, und das bei der Zertrümmerung ohne Beschädigung geblieben war. Von dem Podest führte eine selbstkonstruierte und gefertigte Raumspartreppe aus schweren Kieselwaschbetonplatten in das Dachgeschoß. Das Podest hatte eine Reling, deren Stützen aus Nähmaschinen Standteilen, die vom Schrottplatz daherkamen, an einer Seite erhalten .

Das Vorzimmer, der Boden, wurde mit geflammten Fliesen belegt, die vom Baumarkt stammten und billig waren. Die Fassade war nunmehr rundum verputzt und weiß gestrichen worden. Ein Balkon kragte nach Norden hin aus und war halb von dem Giebeldach überdeckt, so daß an


Schlafen auch bei Regen zu denken war. An draußenschlafen. Auf dem

Haus war eine eingefasste Plattform in Größe von fünfzehn Quadratmetern entstanden, auf der sie sich im Sommer zwischen den Baumkronen sonnen konnten. Auf der Südseite gab es in Höhe des Dachgeschosses einen weiteren, größeren Balkon, der ebenfalls mit Fliesen belegt wurde, aber nie wasserdicht wurde, so daß er bald zu rotten begann.

Mit insgesamt etwa einhundertfünfundachtzig Quadratmetern Wohn-, Nutzfläche war ein gemütliches, hübsches Heim entstanden.

“Jetzt sind wir bald fertig,” sagte Bernd zu Jacqueline, ”und du hast einen Anteil und ein Recht hier zu leben erworben.”


“Wir könnten nach Indien fahren und dann wieder zurück,”sagte Bernd zu Köwenick beim nächsten Essen in der Stadt.

“Nach Indien.” “Klar, mit dem Auto, einem Auto. Dem Opel A Rekord. Der ist stabil und nicht mehr zu vermieten. Die Kunden wollen doch eher etwas zeitgemäßeres.”

“Mit einem Auto? Fragte Köwenick ungläubig und sah Bernd zweifelnd an.

“Ganz recht, vier Wochen, jeder achthundert Mark. In Persien ist das Benzin und das Öl billig. In Afghanistan spottbillig.”

“In vier Wochen? Wieviel Kilometer sind das?”

“Siebentausendundfünfhundert nach Kabul von etwa München aus. Von Kabul nach Hussainiwala ungefähr anderthalbtausend.”

“In vier Wochen. Mit achthundert Mark? Mit einer deiner Schüsseln?”

“Wenn das Auto erst mal läuft, läuft es. Wir nehmen Draht und ein paar Ersatzteile mit.”

“Das wären dann so achtzehntausend Kilometer.” Köwenick rechnete argwöhnisch,

” Macht sechshundertfünfzig am Tag.”

“Ganz recht, wir machen achthundert Kilometer am Tag und haben dann ein paar Tage Zeit, zu ruhen, saufen, baden. Saufen geht da nicht, allenfalls in Pakistan. Schwimmen geht da auch nicht. Auch nicht in Pakistan. Es sei denn, du willst in das Gebirgsgewässer neben der Strasse Kabul Kyber Paß tauchen um zu erfrieren und zu ersaufen.”

“Achthundert macht dann knapp dreißig Mark am Tag. Wie soll das gehen, wo wir andauernd tanken müssen.”

“Mit Geld ist nichts ein Abenteuer. Und mit fehlerfreier Ausrüstung ist nichts ein Risiko. Fünf Mark für Fressen. Schlafen werden wir im Auto. Bei achthundert Kilometer bleibt eh keine Zeit lange anzuhalten. Ich dachte du wolltest mal ein kleines Abenteuer erleben. Das geht am Besten, wenn man knapp bei Kasse ist. Macht die Sache interessanter.”Bernd wußte, daß Köwenick, der satt mit Geld ausgestattet war, wie seinerzeit in Korea auch auf dieser Reise bündelweise Geld und Schecks mitschleppen würde. Köwenick hatte ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. “Geht die Knete aus, schlagen wir uns über Karatschi auf einem Dampfer nach Mosambik durch und fahren per hitsch hike heim.”

“Dampfer?” “Sicher, wir schleichen uns nachts auf einen Dampfer der


nach Mosambik geht und verstecken uns in den Rettungsboten. Wenn sie welche haben.” “Und wenn sie uns entdecken?” “Oh, sie werden uns ganz sicher entdecken. Wir wollen doch nicht verdursten und verhungern. Nicht wahr?” “Und dann?” “Dann schmeißen sie uns über die Seite. Auf halbem Wege.” “Seite? Schmeißen?” “Über Bord. Sie müssen uns schließlich wieder los werden.” “Du meinst, sie ermorden uns?” “Oh nein, das siehst du falsch. Sie ermorden uns nicht. Das würden sie sicherlich nicht tun.” “Aber wir ertrinken.” “Natürlich. Du ertrinkst, ich warte.” “Auf was?” “Auf dein ertrinken. Wenn du dann in der brüllenden Sonne des Äquators aufgebläht bist, habe ich was zum Festkrallen.”


Eine Woche später ging es los. Herr Weber würde die Zeitungsbude, Jacqueline das Haus hüten. Auf Herrn Weber war Verlaß. Anja, die Dauerfreundin Köwenicks, hatte eine hohe Dosis Schlaftabletten genommen und ihr war der Magen ausgepumpt worden. “Die Gefahr einer Dauerlähmung besteht nach wie vor. Hat der Arzt gesagt.” Erklärte Köwenick. Startplatz war der Parkplatz auf Bernds Grundstück.

Der Wagen wurde mit dem Nötigsten beladen, Ölwechsel hatte Bernd zuvor bereits gemacht,

sie nahmen Platz, der Motor lief wie eine Nähmaschine. Bernd versuchte den Rückwärtsgang einzulegen, aber der klemmte. Beim erneuten Versuch brach der Hebel der Lenkradschaltung ab. Ungläubig hielt Bernd den stabilen und kompakten Schalthebel in der Hand.

“Der Schalthebel ist abgebrochen.”

“Von sowas hab ich noch nie gehört,” staunte Köwenick, “was machen wir jetzt?”

“Keine Ahnung, wir müssen das Ding wieder anschweißen. Hark hat ein Schweißgerat. Wenn Hark zuhause ist.”

“Da muß die ganze Säule demontiert werden um überhaupt dran zu kommen,” sagte Köwenick, der seine Taxen selbst reparierte und Ahnung hatte.” Das ist ein irrer Aufwand. Ein kapitaler Schaden. Da brauchen wir Ersatzteile.”

“Gehen wir rein und rufen Hark an.” Sagte Bernd niedergeschlagen. Ein schlimmes Omen. Die Reise war vor dem Beginn erledigt. Wo grad die alten Zeiten anstanden. Die Unternehmungslust erstarb.

Hark war, wie zu vermuten stand, nicht mit dem Telefon zu erreichen.

“Er wird sich auf der Arbeit befinden. Er ist Kranführer.”

Sie tranken einen Kaffee und grübelten, ob ein anderes Auto verfügbar wäre, als das Telefon klingelte. Weber war am Apparat und gab die Nummer eines Kunden der Autovermietung durch, der in Michendorf auf dem Rasthof auf Anweisung und Trost wartete.

“Der Wagen hat Feuer gefangen,” sagte der Kunde mit eisiger Stimme am Telefon, “Motorbrand, einfach so.” “Brennt er noch?” fragte Bernd. “Natürlich nicht,” entgegnete der Mann wütend ,”ich würde doch nicht telefonieren, wenn die Kiste noch brennen würde. Ein Stück Scheiße ist das,” brüllte er los, “ich wollte nach Sizilien und stehe jetzt hier. Was ist das für eine Krücke. Was vermieten sie da eigentlich.”


“Ja Scheiße,”sagte Bernd,”ich würde ihnen einen Ersatzwagen geben, habe aber keinen zur Zeit.” “Ich würde von ihnen keinen Ersatzwagen wollen, auch wenn sie ihn mir schenken würden.” Er erhob seine Stimme. “Ich fahre jetzt nach Berlin zurück und miete mir bei einer richtigen Autovermietung einen richtigen Wagen, mit dem ich ruhig nach Sizilien reisen kann.” “ Ohne abzubrennen,” fügte er hinzu. “Ich geb ihnen ihr Geld zurück,” sagte Bernd, der wußte, daß der Kunde Polizeibeamter war und ihm Schwierigkeiten, die er nicht brauchen konnte, die er gerade jetzt überhaupt nicht brauchen konnte, zu machen in der Lage und in der Stimmung sein würde. “Michendorf ist in der DDR. Können sie ihn an jemanden anhängen und nach Dreilinden schleppen? Da könnte ich ihn abholen. Dann wären wir auseinander, ich geb ihnen das Geld zurück und nehme sie mit nach Berlin.” “Na gut, ich probiers. Sagen wir in zwei Stunden in Dreilinden.”

“Ruf jemand an, eine deiner Taxen zu schicken. Wir fahren nach Dreilinden. Das ist ein Notfall. Motorbrand. Ist eine Chance. Kennen wir ja vom Daimler. Ist ein Ford 12 M. Alte Schüssel, aber ich hab hier allerlei Schläuche und Kabel die passen könnten und passend gemacht werden können.” Bernd hielt Köwenick den Hörer hin, “Und wir müssen zur Bude das Geld für den Kokler holen.”


“Ich kann ihnen kein Geld geben,“ sagte Herr Weber bestimmt,” ich muß morgen früh die Rechnungen begleichen. Sie wissen das.” “Geben sie mir das verdammte Geld,” knurrte Bernd, ”ich hab keine Zeit lange zu debattieren,” das ist ein Notfall. Ich sollte jetzt schon in Istanbul sein.” “Ja wenn es ein Notfall ist,” murmelte Herr Weber und machte die Schublade mit der Kasse auf.

Der Polizist war pünktlich. “Sie schulden mir weitere dreißig Mark, die ich dem Schleppknaben hab geben müssen, ihn bei Stimmung zu halten. Ich hab mir die Nummer aufgeschrieben. Ich werde den Wichser schon noch mal wiedertreffen.”

“Ich hab mir ihre Nummer aufgeschrieben,” sagte er beim Abschied, nun besser gelaunt,” Ich werde sie schon mal wiedertreffen.”

Die Taxe schleppte den 12M auf Bernds Parkplatz und sie begannen mit der Reparatur. Der Schaden war vernachlässigbar. Ein paar Kabel waren versengt und verschmort. Und ein paar Schläuche, die aus dem Vorrat ersetzt werden konnten. Um achtzehn Uhr sprang der Wagen an und lief. Um achtzehn Uhr dreißig begannen sie die Fahrt nach Indien. Um einundzwanzig Uhr standen sie in Michendorf und der Motor kochte.

“Der Kühler ist gerissen,” stellte Köwenick sachkundig fest.

“Was sonst,” sagte Bernd wütend. “Sind sie schon wieder da?” Fragte mißtrauisch ein Vopo der mit seinem Funkwagen herangefahren war, ”wollen sie sich hier niederlassen? Sie werden diesen Schrott von diesem Parkplatz entfernen,” drohte er, ”bald. Ich komme wieder.”

“Laß uns hier verschwinden,” sagte Bernd , “ gib mir ne Flachzange aus dem Kofferraum.”

Mit einer simplen Flachzange drückte er die lecken Lamellen zu; das kannte er von früheren Fahrten. “Piß da jetzt rein,” damit wir


weiterfahren können. Wir haben heute noch keine achthundert Kilometer geschafft.” Köwenick holte Wasser von der Tankstelle.

“Ein leichterer Wagen,” sagte Bernd während der Fahrt, ”da können wir mehr fressen weil wir weniger tanken müssen.” “Das du sowas den Mietkunden zumuten kannst.” Staunte Köwenick.


Im Raum Belgrad, in einem Waldstück neben der Strasse, wärmten sie die letzte Büchse Bohnen in Tomatensoße, die standesgemäße Fahrtenverpflegung, über einem Lagerfeuer auf.

“Das war die letzte Dose. Wir müssen haushalten. Das Zeug hätte bis zur persischen Grenze reichen sollen. Du frißt zuviel.” Stellte Bernd besorgt fest, “was hab ich mir hier zugeladen.”

“Ich muß telefonieren,” sagte Köwenick. “Wir sind erst den zweiten Tag unterwegs,” sagte Bernd, “ Und hier sind wir im Wald. Du kannst in Istanbul telefonieren. Die werden Telefon haben.”

“Hinter Sofia hatte die bulgarische Polizei des nachts die Strasse abgesperrt und sammelte die Pässe der Reisenden ein. Sie warteten mit ein paar Türken, die Kühlschränke und Matratzen auf ihren Schrottmühlen transportierten, in einer Hausruine ohne Glas in den Fenstern. Die Türken waren unruhig. ”Alles Banditen die Bulgaren.” Die Bulgaren in Uniform, die die Pässe der Reisenden eingesammelt hatten, sie zu überprüfen, waren jetzt verschwunden. Die Sperre auch.

“Alles Banditen die Bulgaren.” Sagten die Türken und wurden noch unruhiger. “Muß man hier aufpassen, alles Diebe.”

Nach mehreren Stunden waren die Polizisten urplötzlich wieder in der Finsternis aufgetaucht.

“Paß, Paß,” riefen die Türken wild durcheinander. “ Leva, Leva.” Echoten die Polizisten und feilschten um Deutsche Mark. Hier wurden sie des Verpflegungssatzes der nächsten Woche beraubt und mußten beim Antritt der Weiterfahrt feststellen, daß ihnen einer der zwei Ersatzreifen von dem Dachgepäckträger gestohlen worden war.

“Es muß ein Ende haben mit deiner Gefräßigkeit,” sagte Bernd. “Noch so ein Aderlaß und wir werden verhungern,” meinte Köwenick unsicher. “Iwo,” sagte Bernd, ”nicht so lange wir Borke und Gras finden können.”


In Istanbul kollabierte die Batterie. Eine neue wurde von einem Halsabschneider erworben, der ihnen fünfzig Mark und viel Zeit abnahm.

“Es muß jetzt ein Ende haben mit deiner Gefräßigkeit,” sagte Bernd auf der Straße nach Ankara, auf der die wilde Jagd der Elefanten tobte, die sich alle gegenseitig zu überholen und ins Abseits zu drängen trachteten.

“Ich muß dringend telefonieren. Ich hab versprochen, jeden Tag anzurufen.” “Du kannst in Ankara telefonieren. Die werden Telefon haben. Allerdings streifen wir Ankara nur am Rande auf dem Weg nach Sivas. In Sivas fahren wir durch, weil wir es eilig haben. Telefonier in Erzerum. Die werden Telefon haben.” “Wann kommen wir da an?” “Nachher.”

Auf der Strasse nach Sivas sagte Bernd beiläufig:” Hier herrschen alte


Sitten. Wenn du jemand plattfährst schneiden sie dir den Kopf ab und

stecken ihn auf einen Zaunpfosten an der Straße.”

Nach Sivas, vor Erzerum, kamen sie durch einen Ort und entdeckten neben der Strasse viele Kinder die mit einem Auto spielten, das einen Unfall gehabt hatte und ein wahres Fundstück war. “Ein Fundstück,” sagte Bernd und trat auf die Bremse, ”ein 12M. Der einzige im Orient. Wir sind Glückspilze. Laß ihn uns schlachten gehen.”

Sie fielen frenetisch mit Schraubenschlüsseln und heftiger Gewalt über das Fahrzeug her und schraubten alles ab, was nützlich erschien und abzuschrauben war. Zwei gute Räder. Den kompletten Verteiler, Zündkabel, den Kühler kriegten sie nicht raus, weil eine Schraube klemmte. Kühlschläuche. Die Kinder schleppten alles zu ihrem Auto und winkten good by. “Du weißt, daß Dieben in Anatolien die Hand abgehackt wird. Mit der Axt. Aber zunächst nur die Linke. Die Rechte nur, wenn die Linke nicht mehr da ist.”


Erzerum wurde passiert. Sie hatten Kilometer und Zeit wettgemacht. Die Straßen waren wesentlich verbessert worden. Als Bernd hier seinerzeit fuhr, etwa acht Jahre früher, aus Kabul kommend, war das alles noch Schotter und Sand gewesen. Man konnte es etwas gemütlicher angehen lassen.

“Zivilisation ist der Sargnagel des Individualisten,” bemerkte Bernd.

“Was?” “Zivilisation ist der Sargnagel des Individualisten. Disziplin ist der Notnagel der Zivilisation.” “So?” “Ja.”

“Leben wir auf einem Molekül? Einem Quark?” “Was?” “Ob wir auf einem Quark leben.”

“Einem Quark?” “Ganz recht.” “Leben? Wir leben auf Quark? Was für ein Scheiß ist das.”

“Befinden wir uns in der Microwelt? Dem Nanokosmos? Ist der Kosmos ein Molekül? Ein Atom? Sind wir die Viren des Nanouniversums?”


Sie kamen nachts durch das Gebirge. Die Persische Grenze war nicht mehr weit.

“Achte auf Seile,” sagte Bernd gedämpft, ”Seile, sie spannen Seile über die Straße. Wenn es Nacht ist. In Höhe der Lenksäule. Sie schneiden arglosen Leuten die Hälse damit ab. Wenn sie vorbeikommen, die arglosen Leute. Hier lebt ein kleines räuberisches Bergvolk. Das sich davon ernährt, was übrigbleibt. Von dem, was nach den Seilen übrigbleibt. Achte auf Seile.” Und trat voll auf die Bremse. Köwenick, der nach vorn geprallt war, dicht an der Windschutzscheibe auf die Seile zu achten, stieß sich heftig den Kopf. Vor ihnen, mitten auf der Straße, nachdem diese einen Bogen gemacht hatte, stand ein schwarzer Koloss, der als unbeleuchteter Lastwagen identifiziert werden konnte. Sie kamen knapp hinter ihm zu stehen. “Wie tot,” meinte Köwenick. “Totenstill und nichts.” “Wird darin pennen,” meinte Bernd hilfreich. “Kommen wir da vorbei? Sieht eng aus an der Felswand. Laß uns pochen gehen.” Er stieg aus, ging zum Lastwagen und pochte an die Fahrertür. “Tut sich nichts, versuchen wir, ob wir vorbeikommen.” “Wird Bier holen gegangen sein,” meinte Köwenick


geistreich, ”laß uns hier verschwinden. Vielleicht ist das eine sinistre Falle.”

Es war keine Falle und sie kamen ohne Verluste an dem Ungetüm vorbei, die Fahrt zur persischen Grenze fortzusetzen.

“Ich muß unbedingt telefonieren.” “In Täbris. Sie werden da Telefon haben.”

“Wenn wir in einem Nanokosmos leben,” begann Bernd,” dann könnte der Ball Erde ein Staubkorn sein, das am Mantel eines normal großen Menschen hängt. Oder die Erde kann auf der Nase einer normalgroßen Sardine kleben.”

“Und wenn der ihn schüttelt?” “Die Sardine?” “Den Mantel. Wenn er ihn auszieht und ihn schüttelt? Dann fallen wir runter.” “Wir können nicht runterfallen wenn er den Mantel schüttelt, wir kleben auf der Erde. Also können wir nicht runterfallen.” “Aber die Erde fällt runter.” “Mag sein, aber was juckt uns das. Dann sind wir längst wieder zu Staub geworden.” “Und wenn er den Mantel jetzt auszieht und in den Müllcontainer wirft? Was dann?”

“Dann passiert bei uns auf der Erde garnichts.” “Wieso?” “Weil das nicht unsere Zeit ist. Der mit dem Mantel hat seine eigene Zeit. Was für den eine Sekunde ist, ist für uns ein Jahr mit mehr Nullen als wir uns vorstellen oder aufzählen könnten. Die Kakerlaken. Die Kakerlaken werden erleben wenn er den Mantel auszieht weil Sommer geworden ist. Die Kakerlaken werden so lange durchhalten. Die sind intelligent.” “Laß mich mit solchem Scheiß zufrieden. Das ist krank.”


Sie waren angekommen. Sie standen als letzte hinter einer Reihe aus LKW, deren Spitze trotz des Bogens, den die Strasse zur Grenze hin machte, nicht erkennbar war.

“Das müssen hunderte sein ,”staunte Köwenick, ”tausende.” Sie stiegen aus und Bernd fragte einen der Fahrer, die neben der Fahrbahn etwas köchelten. “Was sagt er? Fragte Köwenick.

“Er sagt es dauert ungefähr drei Tage um bis zum Zoll zu kommen. Er sagt, wir könnten es in der Senke versuchen, aber das wäre tödlich.” Bernd zeigte auf die gelbe Wolke die links der Strasse zum Himmel wallte. Die Strasse befand sich auf einem erhöhten Damm, von dem sie einen guten Überblick über die Senke hatten, die als gelbe flache Scheibe zu erkennen war, als sich der Staub legte, weil da unten der Verkehr einschlief. Und kein LKW von rechts, der persischen Grenze nach links, türkischem Territorium preschte. Die Senke war so etwas wie eine Einbahnstrasse mit zweihundert Metern Breite.

“Hier können wir nicht bleiben,” grübelte Bernd laut, hier verhungern wir. Und verdursten.”

“Und wie willst du an die Senke herankommen? Den Hang runter? Über das Gelände? Mit diesem Gefährt?”

“Hast du eine bessere Idee?”

Sie setzten einige hundert Meter zurück und suchten eine passable Stelle, den Straßnhang hinunterzurutschen. “Wenn wir stecken bleiben, dann was?” Fragte Köwenick besorgt.

“Hast du eine bessere Idee?“ fragte Bernd. “Dann werden wir zu Fuß


weitermachen müssen. Per Anhalter. Indien kann nur noch viertausend Kilometer entfernt sein. In der Richtung.”

Sie schlitterten den Hang hinab und fanden tragfähigen Grund, den Rand der Senke zu erreichen, wo sie auf einer weiteren Böschung außerhalb des Staubs strategischen Halt einlegten um den folgenden Weg zu erkunden und zu beobachten.


“An der Böschung werden wir auch runterkommen. Bergab gehts wohl, wenn die Kiste nicht umkippt. Aber sieh dir das an. Was ist das.”

“Keine Ahnung. Könnte vielleicht Salpeter oder so was sein. Laß uns runtergehen. Hier sind wir sicher, die LKW nehmen alle die Rampe links.”

Die Senke erwies sich als ein Staubbecken, in dem man bis zu den Knöcheln versank, und der so fein und gelb war, daß man allenfalls fünf Meter weit sehen konnte und zu ersticken drohte. Aber unter dem Staub war betonharter Boden. Die LKW fuhren alle mit Vollgas und ohne jegliche Sicht. Sie fuhren im Breitkeil. Einfach durch, ohne irgendeine erkennbare Ordnung. Nur die Richtung hatte zu stimmen um die Rampe zu erreichen.

“Wenn wir da liegen bleiben sind wir tot.” sagte Bernd. “Da würde man uns noch nicht einmal finden. Die würden uns zermalen.”

“Das,” sagte Köwenick, ”das ist Wahnsinn. Das ist tödlich. Und dann noch gegen den Strom. Die fahren uns platt. Da kommen wir nie durch.”

“Kommen wir den Hang wieder hoch, zu warten bis wir verhungert und verdurstet sind?”

“Wir könnten zu Fuß an den LKW auf der Strasse entlang zum Grenzkontrollpunkt gehen,” schlug Köwenick, der praktisch veranlagt war, vernünftigerweise vor. “Können doch nur ein paar Kilometer sein.”

“Wir setzen uns hier hin und beobachten das Treiben,” entgegnete Bernd, ”vielleicht läßt der Verkehr abends nach und schläft nachts ein. Vielleicht erkennen wir eine Art Muster.”

Als es Abend geworden war, hatte sich nichts wesentlich verändert. Immer wieder kamen zwei, drei Lastwagen aus der Staubglocke herausgebraust und suchten den rettenden Hang über die Rampe zu erreichen, alles erneut aufwirbelnd. Sie fuhren stets nebeneinander, in willkürlichen Abständen.

“Das ist wie auf der Autobahn als Geisterfahrer,”stellte Köwenick fest und fuhr fort,” ohne jegliche Sicht. Im dichtesten Nebel den man sich vorstellen kann. Mit vollen Sachen um nicht stecken zubleiben”

Schließlich legte sich der Rummel und der Dunst und sie beschlossen es jetzt oder nie zu wagen. Bernd setzte sich ans Steuer. Langsam den Hang runter, dann Vollgas, in den zweiten Gang schalten, los. Sie kamen gut weg und tauchten in die Glocke ein. Der Staub war nur oben gesunken, hier unten schwappte er immer noch über das Dach des PKW. Sicht ungefähr fünf Meter, die Scheinwerfer, es war mittlerweile Nacht eingefallen, blendeten zusätzlich, im zweiten Gang mit Vollgas und etwa vierzig Sachen teils schlitternd, teils vorschießend wenn die Räder wieder Halt fanden.

“Rechts, rechts,” brüllte Köwenick gegen den Lärm, ”rechts.” Bernd


hatte ihn gerade gesehen, den in irrem Tempo links vorbeihuschenden schwarzen Riesen. “Knapp, knapp,” keuchte er, “das waren fünf Meter.” “Wie ein Panzer.” “Gas, gib Gas,” Der Wagen schlitterte und verlor Fahrt. Wenn sie hier aussteigen mußten, wohin sollten sie rennen? Nach etwa zwei Minuten Fahrt erreichten sie die persische Böschung, die flacher war.

“Das mach ich nicht noch mal,” keuchte Köwenick. “Das war eine lange Zeit.”


Sie verbrachten die Nacht mit Formalitäten in dem persischen Checkpoint und fuhren bei Morgengrauen weiter, Richtung Täbris. Auf dem Grenzposten gab es keine Telefongelegenheit. Täbris war rasch erreicht und auf geradem Wege durchfahren. “Telefonierst du halt in Teheran. Die werden Telefon haben.” Die Landschaft war flach, Acker mit irgendwas, und langweilig.

“Wenn der nun den Mantel in die Reinigung gibt?” Bernd wendete sich grinsend zu Köwenick, aber der schlief.


Sie übernachteten neben dem Auto bei einem Bauerngehöft, bekamen etwas zu essen und duschten am nächsten Morgen mit dem eiskalten Wasser des Brunnens.

Nachmittags waren sie mitten in Teheran. “Halt an,” meinte Köwenick, ”entweder suchen wir jetzt den Flugplatz, damit ich telefonieren kann, oder ich steig aus und flieg nach Berlin zurück.”

Bernd hielt am Straßenrand eines kleinen Platzes und Köwenick stieg aus, nahm einen Teil seiner Sachen und stellte sich auf, ein Taxi zu erwarten. Bernd fuhr davon und suchte das Schild und die Straße nach Mashad.

Auf der Strasse nach Mashad, solange sie noch gebirgig war, lagen unten an den Hängen überall ausgebrannte oder ausgeschlachtete, total verrostete PKW Corsos. Aber massenweise.

An Kapital war noch eine Barschaft von vierhundert Mark vorhanden, die man teils in Dollar und einheimische Währung tauschen mußte. Nicht genug um nach Indien und zurück zu kommen. Der Köwenick Teil fehlte.

An der nächsten Tankstelle tauschte Bernd somit die von Köwenick zurückgelassenen Klamotten gegen Benzin und füllte den Tank und alle fünf Kanister. Damit kam man locker tausend Kilometer weiter.

Die Straße Mashad, Grenze Afghanistan, acht Jahre zuvor die erbärmlichste Piste, die Bernd jemals befahren hatte, erwies sich als ein schnurgerades Band aus sauber gewalztem Asphalt. Für diese zweihundert Kilometer seinerzeitigem Waschbrett hatte Bernd damals, von Afghanistan kommend, einen ganzen Tag gebraucht und den verbeulten VW Bus, mit nepalesischem Nummernschild, den Bernd in Kabul erworben hatte, beinahe verschrotten müssen. Nahezu alles was abbrechen konnte, war auch abgebrochen. Nur Draht hielt die Kiste noch zusammen.

An der Grenze Afghanistan / Herat erinnerte man ihn daran, daß er ein Visa benötigte. Das hatte er völlig vergessen. Also fuhr er zurück und


suchte in Mashad das afghanische Konsulat auf, drehte jedoch auf der Treppe um und trat die Rückfahrt nach Berlin über die Küste des Kaspischen Meeres und Rhezaie an. In einem Wald an der aserbaidschanischen Grenze verweilte er sechsunddreißig Stunden und fuhr dann neben dem Salzsee Rhezaie in die Türkei, um einen Tee in dem ersten Dorf, das zwei Kilometer abseits der Strasse linkerhand zu erkennen war, zu sich zu nehmen.

Die Dorfstraße war leer, niemand zu sehen. Nichts was auf eine Wirtschaft irgendeiner Art hinwies. Er fuhr durch das Dorf, wendete und fuhr wieder zurück. Die Dorfstraße wimmelte jetzt jedoch mit circa fünfzig Männern, die ihm die Durchfahrt versperrten und aus dem Auto zerrten, ihn so richtig auf der Piste zu verprügeln. Oder was auch immer. Ein Mann hatte ein zerschlissenes Jackett mit Löchern an und schien den Häuptling abzugeben.

Er radebrechte etwas englisch, erfuhr daß Bernd Deutscher war, fragte, was er hier trieb und dann führten sie ihn alle in eine Stube, in die sie sich alle hineinzuquetschen begannen und spendierten ihm einen schmackhaften Chai mit Zucker. Als Bernd dreist einen zweiten Tee zu haben wünschte, zerrten sie ihn wieder auf die Straße, stopften ihn in sein Auto und traten dagegen, ihn zu ermuntern, die Flucht zu ergreifen, solange Fortuna noch gnädig gestimmt war.

Es ging entlang des Tigris, oder war es der Euphrat, immer bergauf, bis auf Paßhöhe 2300 Meter auf einer Schotterstrasse bar jeglichen Verkehrs. Weit vor ihm wirbelte ein Pickup seine Staubfahne hoch. Immer im gleichen Abstand. Fuhr er langsamer, fuhr der langsamer, fuhr er schneller, fuhr der schneller. stieg er aus, wartete der andere. So ging es bis in die Nacht hinein, in der er Hakkari, das Räubernest im Gebirge, erreichte und dort nächtigte.

Tags darauf blieb er bei einbrechender Dunkelheit irgendwo zwischen Hakkari und Dijarbakir nach der Durchquerung eines Dorfes vor diesem liegen. Verteilerschaden.

Das Dorf wurde nachts durchgehend von Scheinwerfern grell erleuchtet, schräg voraus, in den Bergen, saß jemand mit einem MG und feuerte die ganze Nacht hindurch immer mal wieder ein paar Schüsse auf das Dorf. Nach Mitternacht war Motorengeräusch zu vernehmen und ein LKW ohne Licht kroch die Piste heran. Es waren an die zwanzig Mann türkische Soldaten an Bord, von denen einer fließend deutsch sprach und anbot, Bernds Auto gemeinsam auf den LKW zu wuchten und ins Dorf zu fahren, wo es sicherer sein würde. Da Bernd kein Geld mehr hatte, ließ man von der guten Absicht ab, saß auf und verschwand im Dorf, auf das wieder eine Salve abgefeuert wurde.


Irgendwo im Raum Dijarbakir erreichte Bernd, nach Reparatur und Neueinstellung des Verteilers, eine Kolonne, die stand und sich nicht bewegte. Sie stand vor einer Brücke, die über einen Bach führte und die zusammengebrochen war. Links konnte man von dem Damm, auf dem die Straße verlief, herunterfahren, den seichten Bach durchqueren und auf der anderen Seite erneut den Damm erklimmen und die Strasse erreichen.


Mit reichlich Gas überwand Bernd auch dieses Hindernis, um auf der anderen Seite feststellen zu müssen, daß er sich ein Loch in die Ölwanne geschlagen hatte. Das nächste Dorf konnte noch erreicht werden.

An der Reparaturwerkstatt des Dorfes stand ein PKW mit Kennzeichen aus Köln.

“Ah, Besuch aus Berlin,” meinte der Türke, der aus der Werkstatt kam, in fließendem deutsch ”ich bin Gastarbeiter und bin gerade angekommen, meine Familie zu besuchen.”

Die Ölwanne wurde abgeschraubt und fachmännisch geschweißt, während der Türke und Bernd vor der Werkstatt ein paar Bier tranken. “Ich hab eine Kiste Bier im Kofferraum. Aus Köln.” Hatte er gesagt. Die Reparatur war billig, aber Deutschland war absehbar nur noch zu erreichen, wenn der Rest der Barschaft ausschließlich in Benzin versenkt werden würde. Die Nahrung mußte hinfort dem Lande entnommen werden.

“Komm mit, zu mir nach hause,” sagte der Türke, ”meine Familie wohnt in einem kleinen Dorf nicht weit von hier.”

Sie fuhren über Pisten und Sandwege, überquerten einen Bach mit reißenden Fluten auf einer wackligen Holzbrücke und hielten auf einer unbefestigten Dorfstraße vor einem Haus. Es hatte letzte Nacht ein Unwetter gegeben und alles stand unter Wasser und war schlammig. Der Türke wurde eher etwas reserviert empfangen und auch von Bernds Eintreffen schien niemand so recht begeistert. Dennoch wurde Speis und Trank gereicht und alsbald war es dunkel geworden, mithin Zeit für den Abschied.

“Habt ihr hier diese kleinen roten, zottigen Bergzeigen?” Fragte Bernd den Türken. Diese Ziegen hatte Bernd auf der Hinfahrt im Osten der Türkei überall an den Hängen gesehen. “Willst du eine haben? Ich frag mal.” Ziegen waren nicht zu haben, jedoch hatte ein Bauer in der Nachbarschaft einen Jungesel, für den er umgerechnet etwa fünf Mark haben wollte.

Der kleine Esel wurde verschnürt, die Beine wurden ihm zusammengebunden, und er wurde auf der Rückbank des Ford abgelegt, nach Deutschland gefahren zu werden.

Bernd verabschiedete sich und setzte die Heimfahrt fort. Die wacklige Holzbrücke war eingestürzt, ein Mann wies auf einen Weg, der zu einer zweiten Holzbrücke führen würde.

Die Brücke stand, sah aber wenig vertrauensvoll aus, Bernd befreite den Esel von seinen Fesseln und fuhr langsam über das schwankende Konstrukt.

Über Dijarbakir, Mardin, Gasiantep, Konia, Kytahia, Balikesir ging es nach Tschanakkale, wo übergesetzt wurde, um endlich die griechische Grenze zu erreichen. Tags grasten sie, wo immer es Gelegenheit gab. Ansonsten wurde stets am Verteiler herumgeschraubt und aufs Gas getreten. Esek, so nannte Bernd den Esel, war rasch zahm geworden und lief überall frei im Gelände herum, um nach Anruf zurück zum Auto zu kommen. Die Rückbank hatte Bernd herausgenommen und in den Büschen liegen gelassen um mehr Platz zu schaffen. So stand Esek


hinten und sah interessiert in Fahrtrichtung, gelegentlich, aber stets nur während Überholmanövern, Bernd herzhaft in die rechte Schulter zu beißen. Während dieser paar Tage waren sie ein verschworenens Team geworden, mit gegenseitiger Achtung und untrennbar.


Die griechische Grenze wurde mitten in der Nacht erreicht. Auf der türkischen Seite waren Panzer aufgefahren, die unbeleuchtet in der Finsternis ein Hindernis darstellten.

Die Griechen waren hocherfreut über den Esel und machten Anstalten, ihn hinwegzuzerren und zu schlachten. Bernd bewaffnete sich mit der Brechstange aus dem Kofferraum und überzeugte die Zollbeamten nachdrücklich, daß er den Esel nicht aufzugeben beabsichtigte. Weiter ging es nach Thessaloniki, von wo nach der Karte die Straße nach Yugoslawien abging. In Thessaloniki, einen Tag später, übernachteten sie am Rande eines städtischen Parks im Auto.

Am nächsten Morgen ging es, nach kurzem Weidehalt am Wegesrand, auf einer neuen Straße direkt zur Grenze, die nur wenige Kilometer entfernt war. Hier wurde Bernd bedeutet, daß ohne Paß mit Lichtbild kein Esel über die Grenze kommen könne. Wieder in Thessaloniki besuchte Bernd die Deutsche Botschaft und erfuhr, daß der Esel zu einem Problem werden würde. Amtliche Unterstützung wurde angeboten und ein Professor an der Universität angerufen, mit dem sich Bernd später traf.

“Esel,” sagte der Professor, ”stehen in Griechenland auf der Liste der schützenswerten Tiere und dürfen nicht von griechischem Territorium exportiert werden.”

“Dieser Esel ist kein Grieche, sondern ein Türke. Ich hab ihn vorgestern von der Türkei nach Griechenland hereingeholt. Importiert. Grenze bei Xanthe. Als Transit kann er ja wohl wieder ausreisen. Dazu benötige ich einen Paß mit Lichtbild für die Jugoslawen.”

“Esel,” sagte der Professor,” griechische Esel sind alle ausgerottet worden, weil die Leute sie aufgefressen haben. Eselbraten ist ein Nationalgericht. Esel, griechische Esel, dürfen nicht exportiert werden.”

“Dieser Esel ist türkischer Esel.”

“Woher wissen sie das? Haben sie Papiere?”

“Woher wissen sie, daß der Hengst kein Türke ist?”

“Wir haben Fachleute an der Universität. Die sollen sich ihn ansehen.”

Bernd war pleite, fuhr zurück zur Botschaft und rief Herrn Weber in Berlin an.

“Herr Weber,” sagte er,” ich brauche dreihundert Mark. Schicken sie die heute abend von der Post am Zoo telegraphisch ab. Adresse Deutsche Botschaft in Thessaloniki.”

„Jawoll sagte Herr Weber, “ Wann kommen sie zurück?”

“Bald.”


“Wenn die Griechen ihnen einen Paß vorenthalten, versuchen sie es mit Bulgarien,” munterte der freundliche Beamte Bernd auf. “Auf jeden Fall lassen sie den Esel nicht zurück. Die Griechen fressen sowas.”

Der Hengst Esek hatte eine gewisse Popularität in der deutschen


Botschaft und viel Sympathie gewonnen.

Nachmittags kam das Geld, das Herr Weber anweisungsgemäß geschickt hatte und Bernd fuhr zu dem Treffen auf dem Unigelände, an dem sechs Herren teilhatten.

“Ein Esel, zweifellos. Ohne Besitzpapiere, ohne Identitätspapiere, ohne Einfuhrpapiere.”

“Wenn wir ihn zum griechischen Esel erklärten,” folgerte der zweite Gelehrte, ”mag es einen Weg geben, nach Klärung der Eigentumsverhältnisse, Identitätspapiere anzufertigen.”

“Dann aber,” folgerte der dritte,” ist der Sache nicht gedient. Griechische Esel dürfen nicht ausgeführt werden.”

“Ganz recht,” stellte der Vierte sachlich fest.

“Am einfachsten”, scherzte der Vierte,” wäre es, Mr. Meyer ließe sich hier nieder. Dann könnte er mit einem griechischen Esel in Griechenland leben. Freilich, der Esel darf nicht geschlachtet und verzehrt werden.”

“Schlachten,” sagte Nummer Fünf,” ist nur zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt.”

“So drehen wir uns im Kreis,” sagte Bernd resignierend. ”Ohne den Esel gehe ich nicht. Und hier bleibe ich auf keinen Fall. Hier hab ich keine Zeitungsbude.”


Die Sache wurde auf den nächsten Nachmittag verschoben und Bernd und Esek fuhren zum Grasen in die Hügel vor der Stadt.

“Das wächst sich zu einem Problem aus,” meinte am nächsten Mittag der Beamte der Deutschen Botschaft, ”So kommen wir nicht weiter.”

“So kommen wir nicht weiter,” sagte der Veterinär Professor auf dem Hof der Universität Thessaloniki nachmittags zu Bernd, ”besser sie versuchen in die Türkei zurückzukommen.

Vielleicht finden sie eine Lösung in Bulgarien.”

“Am anderen Ende von Bulgarien ist wieder Yugoslawien,” stellte Bernd nüchtern fest.

“Schon, aber da ist Serbien von Yugoslawien. Sie waren an der Yugoslawisch Mazedonischen Grenze. Durchaus möglich, daß in Serbien andere Bestimmungen gelten. Versuchen sie es.”

Bernd versuchte es.

Er kaufte zwei ganze Brote und verließ Thessaloniki am nächsten Morgen nach Osten. Hinter Xanthi fuhr er ins Gelände und wartete die Nacht ab. Bevor er weiterfuhr, verfütterte er ein ganzes Brot an Esek, mehr ging nicht hinein. “Du mußt fressen,” sagte er zu ihm, ”damit du in Tiefschlaf versinkst.”

Um drei Uhr früh fuhr er langsam in den Grenzkontrollpunkt ein, stieg aus und deklarierte seine Papiere. Drei Figuren dösten vor sich hin und winkten ihn durch. Aus Griechenland war er raus. Mit Esek. Es galt nun, die türkische Grenze ohne Aufsehen zu passieren.

Die Panzer hatten Stellungswechsel gemacht. Einer stand mitten auf der Straße und mußte vorsichtig umrundet werden. Kein Mensch war zu sehen, alles stockfinster. Kein Laut. Zur linken kam nach einem Kilometer die türkische Grenzstation, die abseits der Straße hinter


einem Parkplatz lag, in Sicht. Bernd parkte möglichst weit von dem Gebäude ab, der Esel war ruhig und döste vor sich hin. Die Formalitäten waren kurz, präzise. Einen Schlagbaum gab es nicht. Bernd fuhr nach Edirne.

An der bulgarischen Grenze sagte der Beamte: “Papiere, Papiere.” Und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. ”Papiere für Esel. Veterinärpapiere für Esel.” “Veterinärpapiere für Esel?” fragte Bernd überrascht. “Veterinärpapiere? Kein Paß?”

“Veterinärpapiere,” wiederholte der Beamte stoisch.

Bernd fuhr nach Edirne zurück und fragte sich nach einem Tierarzt durch. Das lief gegen Gebühr reibungslos ab. Der Veterinär verpasste Esek eine Identität und einen neuen Geburtsort - Edirne. Abends war Bernd wieder an der bulgarischen Grenze, an der es keine Schwierigkeiten mehr gab. Am nächsten Morgen war Serbien erreicht.

“Sie dürfen in Yugoslawien keine Esel im PKW transportieren. Sie müssen den Esel mit Jugosped befördern lassen. Bis zur österreichischen Grenze.” Erläuterte der Beamte hilfreich.

“Wieviel?,” Fragte Bernd. Der Beamte sah in einer Liste nach :”etwa tausendachthundert Dinar,” meinte er, ”zuzüglich Gebühren.” Wieviel immer das in Mark sein mochte, es war mehr als Bernd noch besaß. Man einigte sich dahingehend, daß Bernd in dem nahe gelegenen Ort Dimitrowgrad ein Zimmer nahm und den Kontakt zum örtlichen Büro von Jugosped pflegte. Ohne Jugosped war die Weiterfahrt verboten.


“Ein Zimmer, was zu essen, ein Telefonat und wo finde ich Jugosped?” Der Chef des kleinen, sehr sauberen Hotels sprach leidlich deutsch.

“Herr Weber,” sagte Bernd, “ gleiche Methode, dreihundert Mark, Adresse Dimitrowgrad Post.” “Wird knapp werden,”sagte Herr Weber,” ich hab die Rechnung für morgen früh noch nicht zusammen.”

Nach dem Essen im Hotel ging er mit Esek in die umliegenden Hügel zum Wandern, tollen und Gras rupfen. Morgen würde das Geld da sein, dann würde man hier schon irgendwie wegkommen.


Am folgenden Tag war das Geld noch nicht da. Am vierten Tag zeigte der Hotelwirt erste Anzeichen von Unruhe. “Wenn sie heute nicht zahlen können, ich kann ihnen kein Essen mehr geben.” Am fünften Tag kündigte er vorsorglich das Hotelzimmer und wies darauf hin, daß, wenn Bernd verschwände ohne zu zahlen, er die Polizei rufen würde. “Ich habe gut Beziehungen zu Polizei,” drohte er unverhohlen.

So ein Scheiß auch fluchte Bernd. Die Ernährung hatte nunmehr erste Priorität gewonnen. Für Esek war auf den grünen Hügeln massenhaft Nahrung vorhanden. Der kleine Esel tollte übermütig teils mehrere hundert Meter über den nächsten Hügel, kam außer Sicht, war aber immer pünktlich zur Stelle, wenn es Abmarsch zum Nachtlager hieß. Das Nachtlager war das Auto auf dem Parkplatz des Hotels, das aus Benzinmangel unbeweglich geworden war.

Bernd schlief vorn, Esek hinten auf einer Heuschüttung, die ihm anstelle der Bank bereitet worden war. Zu Essen, für Bernd, hatten sie mehrere Gärten mit mangelder Bewachung gefunden. Über den Zaun,


Blumenkohl, gleich drei, abschneiden und weg in die Büsche. Wasser entnahmen sie einem kleinen murmelnden Bach in einer Talsenke. So ging es den sechsten und den siebten Tag.

“Wenn sie mich nicht telefonieren lassen, kann ich kein Geld heranschaffen.”

“Sie schulden mir Miete, Essensgeld und Telefongeld,” sagte der Hotelchef mürrisch. “Sie müssen bezahlen ihre Rechnung.”

“Schon gut. Ohne Geld kann ich Ihre Rechnung nicht bezahlen.”

“Sie haben kein Geld, ich kann sie nicht telefonieren lassen.”

“Sie werden mich telefonieren lassen müssen, wenn sie ihr Geld haben wollen.”

“Herr Weber,” sagte Bernd, als der Hotelchef ihn endlich zum letzten Mal, dem allerletzten Mal, telefonieren ließ.”Herr Weber, kein Geld da. Ich verhunger hier.”

“Dimitrowgrad liegt in Rußland,” sagte Herr Weber,”sie haben doch aber aus Yugoslawien angerufen. Deswegen habe ich kein Geld geschickt.”

Bernd klärte Herrn Weber auf. Am nächsten Tag war der tägliche Gang zur Post erfolgreich, das Geld war da, aber bereits schon wieder verbraucht. Es wurde Benzin herbeigeschafft, die Hotelrechnung bezahlt, anständig zu Abend gegessen und eine Vereinbarung mit Jugosped getroffen, wonach eine Ausnahme gemacht werden sollte. Bernd durfte Esek mit dem PKW durch Jugoslawien kutschieren, gegen Jugosped Rechnung über siebenhundert Dinar und Jugosped Transport Dokument.


Die österreichische Grenze Wurzenpaß wurde nachmittags erreicht.

“Sie müssen warten, der Amtsveterinär kommt gleich.”

Der Amtsveterinär kam drei Stunden später als es dunkel wurde. Er eilte über den Parkplatz der Grenzstation, hob den Schwanz von Esek, lugte darunter und hatte es eilig.

“Können sie nicht durchkommen, hier.” Sagte er fickrig. “haben sie die Abnahmegenehmigung des bayrischen Freistaats ? Und die Abnahmegenehmigung der Bundesrepublik Deutschland? Nein? Da haben sie aber Pech gehabt.”

“Wird dunkel, muß los. Bin vielbeschäftigt. Sollte gar nicht hier oben in den Bergen sein. Kommen sie morgen wieder, dann untersuche ich das Tier. Kommen sie morgen wieder.” Er entschwand wieder über den

Parkplatz.

“Morgen? Was Morgen. Ich lebe hier nicht. Wann morgen,”rief Bernd ihm wütend nach.

“Morgen, ich bin Morgen wieder hier.” Der Amtsveterinär entschwand mit seinem Auto bergabwärts.

“Hier können sie aber nicht bleiben,”sagte der Grenzbeamte. “Das hier ist Österreich. Hier können sie nur bleiben, wenn sie eingereist sind.”

“Na gut, dann reise ich hiermit ein.”

“Sie können nicht einreisen. Sie haben doch gerade gehört, daß Papiere für ihren Begleiter fehlen.”

“Aber morgen kommt der Amtsveterinär wieder.” Sagte Bernd etwas


hilflos, ”dann kann auch der Begleiter einreisen.”

“Mag sein, aber heute ist der Begleiter noch nicht eingereist. Sie müssen den Begleiter wieder auf die yugoslawische Seite schicken, er darf nicht in Österreich verbleiben, wenn er nicht eingereist ist.”

“Aber der Begleiter hat keinen Reisepaß, die Yugoslawen werden ihn nicht wieder hereinlassen. Nach Yugoslawien.”

“Mag sein, aber hier können sie nicht verweilen. Wenn es sie nach Österreich zieht, müssen sie einreisen und wenn sie eingereist sind, müssen sie uns hier droben verlassen und sich im Tal unten eine Unterkunft suchen. Wir verweigern ihnen aber die Einreise.”

“Sie verweigern mir die Einreise? Ich bin Deutscher.”

“Wir müssen ihnen die Einreise verweigern, weil sie Gepäck zurücklassen, das nicht einreisen kann. Wir dürfen nicht zulassen, daß Teile des Einreisenden zurückgelassen werden.”

Bernd rauchte vor Wut, stieg mit Esek ein, wendete und fuhr wieder auf die yugoslawische Seite zurück. Die Beamten waren kooperativ und machten keine Schwierigkeiten.

Bernd fuhr die Bergstraße herunter, fand einen schmalen Abzweig, der ein paar hundert Meter weit in den pechschwarzen Gebirgswald führte, stellte den Motor ab, machte die Tür weit auf und ließ Esek raus. In einer Minute war er auf dem Fahrersitz eingeschlafen.

Eine Stunde später drückte ihm jemand den Lauf einer Maschinenpistole in den Bauch und hielt ihm eine Taschenlampe vor das Auge. Man sprach deutsch.

“Sie befinden sich hier in der militärischen Sperrzone der Republik Yugoslawien. Das ist ein Strafvergehen. Was betreiben sie hier?”

“Ich werde wohl eingeschlafen sein,” entgegnete Bernd lahm.

“Sie dürfen hier nicht bleiben, sie müssen das Gebiet räumen. Hier wird scharf geschossen,” fügte er drohend an. Sein Kollege, der jetzt sichtbar wurde, nickte bestätigend mit dem Kopf.

“Okay,”sagte Bernd gereizt,”ich geh ja schon. Ich sammle nur meine Familie ein,” und rief Esek in den pechschwarzen Wald hinein. Die beiden Wachen mochten eine Finte vermuten, sie hoben die Mündung ihrer MPs.

“Esek ist mein Esel,”erklärte Bernd vorsorglich,”kleiner Eselhengst.” Esek kam von talwärts hoch, man konnte den einen und anderen Ast knacken hören, stieg wortlos ein und nahm hinten Platz.

Zehn Kilometer weiter talwärts gab es Platz und Ruhe. Morgends wurde in einer Pfütze, es hatte nachts noch geregnet, gewaschen und rasiert; dann fuhren sie wieder bergauf, die Österreichische Grenze zu besuchen.

“Sie müssen warten,” sagte ein anderer Grenzbeamter, ”der Amtsveterinär wird kommen.”

Der Amtsveterinär kam um vierzehn Uhr und war nervös wie tags zuvor.

“Ja, da sind sie ja wieder. Haben sie meine Brille gesehen?,” er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und es schien Bernd, als ob er ihm gleich in die Hosentasche fassen würde, seine Brille zu suchen.

“Brille? Ich habe keine Brille.”

“Meine Brille, haben sie meine Brille gesehen? Sie waren doch gestern


hier, sie müssen doch meine Brille gesehen haben.”

Aber Bernd hatte seine Brille nicht gesehen.

“Was machen wir jetzt mit dem Esel?” Fragte er, die Hektik des Doktors unterbrechend.

„Was können wir schon mit ihrem Esel machen. Ich muß ihn untersuchen. Wegen Viren. Einhufer haben auch Viren. Wir wollen uns keine Viren leisten. Nicht war? Wenn wir nicht müssen.” Er hob sachkundig den Schwanz von Esek hoch und gab sich Mühe, darunter auch ohne Augengläser etwas zu erkennen.

”Die Pest hat er nicht,” stellte er fest, ”aber man kann nie wissen. Das kann man nie wissen. Geben sie mal die Papiere.”

Bernd gab ihm die Papiere aus Edirne, die in türkisch waren und die noch niemand bisher zu lesen vermochte.

“Stempel sehen gut aus,” stellte der Doktor zufrieden fest, ”wird schon stimmen. Kompliziert die Sache aber erheblich. Macht die Sache aussichtslos.”

“Wieso? Das sind doch gute Papiere, die Stempel sind doch hübsch.”

“Sicher, das macht den Esel zu einem türkischen Esel. Wenn sie mir das gestern gesagt hätten, hätte ich mir die Bergfahrt ersparen können.”

“Was ist verkehrt an einem türkischen Esel?”

“Alles. Ein türkischer Einhufer ist ein Einhufer der in das zivilisierte Europa nicht eingeführt werden darf. Weil die Türkei in Asien liegt. Und der Esel somit Asiate ist. Sie hätten sich einen yugoslawischen Esel kaufen sollen. Sie haben ihn doch gekauft?” Er sah Bernd forschend an. ”Ist ihnen der Begriff Maul und Klauenseuche geläufig?”

“Und nun?”

“Nun haben sie sich etwas ans Bein gebunden. Ich darf ihnen noch nicht einmal erlauben ihn hier an Ort und Stelle zu schlachten. Weil er nicht eingereist ist.”

“Schlachten? Was reden sie da. Schlachten? Eher lasse ich mir den linken Arm bis zur Biege amputieren. Ich gäbe den Blattern den Vorzug. Esek ist Familienmitglied, Kumpel.” Bernd war wütend geworden und machte einen Schritt auf den Doktor zu.

“Ja, ja, schon gut, war nur so eine Idee. Wollte ihnen nur einen Weg aufzeigen die unausbleiblichen Konsequenzen zu vermeiden.”

“Wie werden die Konsequenzen aussehen?” Fragte Bernd, Hoffnung schöpfend.

“Schauderhaft, wenn sie Pessimist sind.”

“Werden sie sie mir in optimistischem Umriß schildern?”

“Freilich. Der Esel muß in einer yugoslawischen Universität, Abteilung Veterinärwesen, in eine Quarantäne. Vier Monate lang. Kriegt er in der Zeit keine Pickel oder sonst was, müssen sie mit den dann auszustellenden Papieren die Abnahmeverpflichtung des bayrischen Agrarministeriums beantragen. Parallel dazu müssen sie mit einer Kopie die Abnahmegenehmigung des Agraministers der Bundesrepublik Deutschland einleiten. Sie wollen doch sicherlich einen jungen Esel. Nicht wahr? Zu hause, wenn es so weit geworden sein sollte.”


“Allerhand. Meinen sie das im Ernst?”

“Toternst. Wie das mit Berlin ist, weiß ich nicht. Da müssen sie ja durch die Ostzone. Keine Ahnung was den Russen an Schikane einfallen wird. Die sind ja nicht gerade bekannt für humoristische Anwandlungen.”

“Wo sollte ich nach einer yugoslawischen Veterinäruniversität suchen?”

“Nirgendwo.”

“Nirgendwo?”

“Richtig. Ich gebe ihnen die Adresse meines slowenischen Kollegen in Ljubljana. Dr. Kasic. Er spricht deutsch und ist Deutscher. Fahren sie dahin und suchen sie irgendwo einen Bauern, der das Tier für vier Monate aufnimmt. Erspart dem Esel auch die medizinischen Versuche die in jeder Universität unvermeidbar sind. Wo sie so an dem Hengst hängen.”


“Sie schon wieder?” schnappte der Posten auf der yugoslawischen Seite.

Auf der Strecke nach Ljubljana, in der Ebene, fand Bernd so etwas, was wie ein Bauernhof aussah und pochte an die Tür. Ein mißtrauischer Mann öffnete und verstand kein Wort. Mit fuchteln, schwätzen und gestikulieren konnte der Durchbruch zum Verstehen eingeleitet werden. Ein paar Dinarscheine und ein paar Zahlen auf einem schmutzigen Blatt Papier sorgten für Verständnis, Interesse und die Bereitschaft Esek aufzunehmen.


“Ich bin Deutscher. Österreichischer Deutscher. Wird Zeit, daß ihr in Deutschland uns hier endlich raushaut. Das hier ist Laibach und nicht Ljubel was. Hier gibts keinen Jubel. Wir, wir Deutschen leben hier mit dem Pöbel des Sterns.”

“Wie wird das ablaufen?” Fragte Bernd. ”Vier Monate? Lange Zeit. Ich bekomme dann von Ihnen die Bescheinigung betreffend die Quarantäne?”

Kasic wird auch Geld brauchen können. Insbesondere Devisen. Dachte Bernd und fuhr das Gebirge zum Wurzenpass hoch.

“Sie schon wieder?” Sagte der Posten auf der österreichischen Seite. ”Werden sie heute einreisen?” Und nach Durchsicht des Passes, ”Werden sie uns jetzt verlassen?”


In Berlin hatte alles wie erwartet seinen Lauf genommen. Die Umsätze waren nicht berauschend. Insbesondere die Nachtschicht brachte kein akzeptables Ergebnis mehr. Die laufenden Warenrechnungen waren bezahlt worden. Aber am anderen Ende stapelten sich die Forderungen. Pacht für die Bude, Strom, Umsatzsteuer, Pacht für das Grundstück, Strom, Wassergeld, Müllabfuhr, Telefon, nochmal Telefon, Anzeigenrechnung für die Autovermietung, Versicherungen, Kraftfahrzeugsteuern, die ganze Palette. Es mußte sortiert werden in wichtig, weniger wichtig, gar nicht wichtig. Unwichtig.

“Kannst du nicht einen Kredit aufnehmen? Du bist doch im Angestelltenverhältnis mit dem Krankenhaus.” Sagte Bernd zu


Jacqueline als sie im Bett nebeneinander lagen und sich nicht sehr angeregt zu unterhalten begonnen hatten.

“Ich ? Kriegst du keinen Kredit mehr?”

“Bei der Bank gewiß nicht. Da sind noch ein paar tausend von dem Schaumstoffladen offen und die letzten zwei Raten sind nicht bezahlt. Ich habe die Kredittilgung auf unwichtig wichtig gestellt.”

“Was soll das heißen?”

“Wie es sich anhört. Das heißt, daß die Raten von jetzt ab vernachlässigbar sind. Ich zahl sie erst mal nicht mehr und schieb das Ganze in die Fernerliefentonne.” Bernd fuhr fort :”Wenn ich eh keinen Kredit mehr bekomme, hol ich ihn mir halt auf dem Umweg über eingesparte Raten.”

Jacqueline holte viertausend Mark Kredit und Herr Weber konnte seinen Restlohn erhalten.

Eine gute Frau.


Pinkeln konnte man in der gegenüberliegenden Weinstube, so die Tür geöffnet war. Frau Ilske, die Reinigungskraft, kam stets am Nachmittag, den Boden zu saugen und die Tische abzuwischen. Frau Ilske trug im Sommer ein kurzes Röckchen, das kräftige, gesunde Oberschenkel zur Schau stellte und Bernd zu philosophischen Gedankenspielen verführte. Wie kamen die oben wo zusammen und wie konnte sie hier immer ankommen, wo sie doch quer durch die Stadt reisen musste. Auch überall sonst war Frau Ilske, deren Vornamen Bernd paradoxerweise nie erfuhr, auch nie erfragte, mit den urtümlichsten Proportionen der ewigen Weiblichkeit reich gesegnet. Sie war so um die vierzig, reif und extrem aufgeilend.

“Hallo Frau Ilske, Tag, toller Tag, heute mal wieder, wie gehts und stehts?”So ging das für mehr als zwei Monate, immer wenn Bernd pinkeln gehen mußte und grübelte, wie es wohl unter ihrer Bluse aussehen mochte. Das führte nirgendwo hin, bis auf den Tag, an dem Frau Ilske geknickt erschien und nach Trost Ausschau hielt.

“Nicht so gut, Herr Meyer, heute sicherlich nicht sehr gut.”

“Wie kann das angehen, wo das Wetter doch auch heute strahlt und alles vorangeht.”

“Nicht so sehr für mich. Ich muß argwöhnen, daß mein Mann fremd geht.”

“Ihr Mann? Werden sie da nicht einer Täuschung erlegen sein? Bei ihrer Figur?” Bernd vibrierte vor Geilheit ob solch anzüglichem Gespräch und bekam eine Entenpelle,” wie können sie Zweifel hegen?”

“Danke. Aber ich denke, ich habe Gewißheit.” Sie sah sehr traurig aus und lehnte sich etwas vorwärts, so daß beide sich berührten.

“Na so was,”flüsterte Bernd und küßte ihr den Mund.

“Warten sie bis achtzehn Uhr, dann kommt Herr Weber mich ablösen und ich fahre sie nach Hause,” sagte Bernd mit rauher Stimme und verließ sie, seine Zeitungsbude zu hüten.


Frau Ilske wartete und stieg in den zwischenzeitlich restaurierten Daimler. Bernd fuhr den Wagen zur SBahnstation Ruhleben, den sie als


Fahrtzielwunsch angegeben hatte und parkte diesem gegenüber ein Stück von der Strasse abgesetzt.

“Und sie lassen sich nicht bis nach hause in Spandau fahren?” Fragte er, ”wir könnten noch etwas trinken gehen.”

“Besser nicht,” sagte sie, “mein Mann oder meine Kinder könnten uns sehen und falsche Schlüsse ziehen.”

“Welche falschen Schlüsse?” flüsterte Bernd und rutschte ein paar Zentimeter zu ihr hin, legte seinen Arm um sie und küsste ihr zärtlich die Nase.

“Eben diese, sie könnten der Meinung sein, sie könnten das mißverstehen.”

“Aber hier sieht uns niemand.” Bernd fasste ihr an die Bluse und wölbte seine Hand um ihren prallen Busen.

“Bitte nicht,” flüsterte sie mit einem Anflug von Atemlosigkeit. “Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt.”

“Ein bißchen? Warum nicht jetzt?” Bernd zog seine Hand von ihrem Busen zurück.

“Bitte heute nicht, ”Ihre Stimme war eindringlich und flehentlich, ”ich muß mich erst wieder finden. Und sammeln. Ich bin jetzt ganz verwirrt.”

“Morgen? Wollen wir morgen zu mir gehen und etwas trinken und uns unterhalten?” Bernd räusperte sich, ”abends? Ich hol dich ab oder gleich von der Zeitungsbude um achtzehn Uhr aus?”

“Laß uns das morgen in der Weinstube besprechen. Ich muß sehen, wann ich abends kann.”

“Gut. Gehts dir jetzt wieder gut?”

“Ja, jetzt geht es mir wieder gut.” Sie lächelte, ”Vielleicht habe ich etwas übertrieben, vorhin in der Weinstube. Aber wahrscheinlich geht mein Mann fremd.”

“Geh fremd mit mir,” sagte Bernd heiser, ”jetzt hast du die Berechtigung. Wo dein Mann fremd geht.”

“Ich weiß aber garnicht, ob er wirklich fremd geht. Ich bin auch nicht rachsüchtig. Ich meine, Beweise habe ich eigentlich nicht. Er benimmt sich nur so merkwürdig. In letzter Zeit.”

“Du würdest mit mir aus Rachsucht ins Bett gehen? Aus Lust an der Rache?”

“Oh nein, das hast du falsch verstanden. Das würde ich niemals tun. Das würden die Kinder auch nicht verstehen.”

“Die Kinder? Warum sollten die Kinder etwas verstehen sollen, von dem sie garnichts wissen können. Und sollten?”


Bernd drückte sie an sich und küßte ihren Mund. Dann das ganze Gesicht. Er hätte wahnsinnig gerne ihre Bluse aufgeknöpft und unter ihrem Büstenhalter nach den steifen Dingern getastet. Das war ein Vollweib hier. Im Gegensatz zur schlanken Mädchenfigur Jacquelines eine saftige Wiese mit Mittelgebirgszug. Eine besondere Leistung der Evolution. Wie konnte ein solch vollkommener Körper dem Zugriff nur eines Mannes, eines Ehemannes, so lange Zeit vorbehalten bleiben. Welch ein Unrecht.


“Du weißt wie sie sind. Die Kinder, die merken so was.”

Bernd wußte nicht wie die Kinder so waren, ”Wir werden über die Kinder in einer ruhigeren Stunde sprechen. Wie merkwürdig benimmt er sich?”

“Er schenkt mir weniger Beachtung. Und er hat ständig was zu tun. Wir schlafen kaum noch zusammen.”

“Schlaf mit mir dafür mehr,” sagte er mit belegter Stimme, ”ich liebe dich.”

“Und Jacqueline?” Fragte sie direkt. Natürlich kannte sie Jacqueline und hatte sich mehrmals mit ihr unterhalten, wenn Jacky Bernd im Kiosk besuchte und auch mal in der Weinstube pinkeln ging. Sie mochte meinen, daß Jacqueline eine gute Freundin war. “Schläfst du mit ihr?”

“Ja, sie ist eine alte, gute Freundin. Sie hätte nichts einzuwenden.”

Sie ordnete ihren schwarzen Haarschopf. “Ich muß jetzt gehen,” sagte sie. Sie winkte als sie die Strasse überquerte und Bernd überlegte, ob die Kinder, von denen sie zwei im teenie Alter hegte und der Ehemann sie jetzt sehen konnten. Wo sie doch nicht weit entfernt wohnten und sicher auch die Bahn nutzten.

Jacky würde spät von ihrer Krankenhausschicht nach hause kommen und so blieb Zeit, ein Bordell aufzusuchen.

“Willst du mir die Titten aussaugen? Bist du in der Brunft?” Fragte die Nutte irritiert.

“Mache ich ein Balztänzchen? Warum bist du so geizig mit Milch? Sind nicht alle in der Brunft die kommen?”

“Gott bewahre. Ich würde abgenutzt werden. Bist du pervers?”

“Sicher, ich würde dir gern deine Brustwarzen lang ziehen.” Bernd zupfte an den Nippeln.

“Darin übst du dich ja gerade. Wenn du sie ganz lang ziehen willst, ist das aber Sado Maso.”

“Laß uns ficken. Leg dich hin. Nein du bist oben. Dann muß ich das Spiel an deinen Titten nicht unterbrechen.”

Es war eine schöne Nummer. “Gehst du fremd?” fragte Bernd beim Abschied. “Jederzeit,” sagte sie, ”komm bald wieder.”


“Gehst du fremd?” Fragte Bernd Jacqueline, als diese spät abends nach hause kam, ”ich meine sexuell.”

“Ja,” sagte Jacqueline, ”gern.”

“Du meinst du gehst fremd und gern? Einfach so?” Bernd war erstaunt über diese Offenheit.

“Nicht wie du denkst. Nur so mit meiner Busenfreundin.”

“Mit Elke? Ihr macht es im Bett? Auch in diesem Bett? Kann ich mal zuschaun? Du machst es mit Frauen? Was macht ihr im Bett? Ich muß mir das anschaun.”

“Was hast du gegen Frauen. Du machst es ja auch mit Frauen.”

“Das ist was anderes. Ich habe einen Pieker und pieke ihn in Frauen rein. Du nicht.”

“Das kann ich auch. Es gibt Dildos mit zwei Schwänzen. Die sind manchmal nützlich. Aber so machen wir es nicht.”


“Wie macht ihr es? Erzähl schon. Kommst du jetzt zur Sache.”

“Nun, streicheln und so.”

“Streicheln und so? Läßt du dir deine Vagina von ihr lecken? Ist sie meine Leckschwägerin?”

“Frauen machen das mit Frauen anders. Viel zärtlicher. Und gründlicher.”

“Du meinst so leicht darüber fahren mit der Zunge? Wie kannst du nur. Machst du es auch bei ihr?”

“Nicht einfach leicht darüber lecken. Du verstehst das nicht. Das muß gefühlvoll gemacht werden. Das muß man können.”

“Gefühlvoll?”

“Du lernst schnell.”

“Was meinst du mit gefühlvoll. Man muß doch was in der Hand, zwischen den Fingern haben und auf der Zunge spüren. Wenn man leckt.”

“Frauen können das besser.”

“Besser als ich? Dein Verlobter? Kann Elke das besser? Hat Elke geile Titten?”

“Allemal. Sie ist viel talentierter als du. Die Befriedigung ist ungleich tiefer. Vollständiger.”

“Vollständiger. Gut, Abgang ist nicht gleich Abgang. Aber..”

“Das hängt mit der Zuneigung zusammen. Mit der zärtlich innigen Zuneigung, die dir fremd ist. Der Verschmelzung von Geist und Körper.”

“Scheiße Jacqueline, es geht ums ficken, nicht um akademische Haarspalterei. Abgang ist das Ziel, das es zu erreichen gilt. Oder?” Bernd trumpfte auf.

“Du verstehst nicht,” sagte Jacqueline mit belegter Stimme, ”ihr versteht alle nicht. Abgang ist weder gleich Abgang, noch ist ein Abgang wesentlich. Und er ist auch nicht immer erwünscht.”

“Das Weib mit sieben Siegeln der ausschweifenden Literatur. Seh ich Titten, Nippel, die Geschlechtsritze, die Schenkel, krieg ich einen hoch und gehe den Gesetzen der Natur nach, die von mir einen vollbrachten Abgang fordern.”

“Es kommt nicht auf die Länge des Schwanzes an,” stellte Jacqueline weise fest und irritierte Bernd nachhaltig.

“Was redest du da Frau. Ist dir mein Schwanz zu kurz?”

“Zu lang. Er stößt gegen den Muttermund.”

“Komm mal zu dem Onkel,” sagte Bernd finster. “Du kommst jetzt zu dem Onkel auf das Bett von dem Onkel. Und das ist eine Order!”

“Wird das eine Order sein?” fragte Jacky interessiert, wissend, daß sie alle Orders immer zu befolgen hatte, weil ein gewisses Maß an militärischer Disziplin unverzichtbar sein mußte, wie Bernd ihr vor langer Zeit eindrücklich verdeutlicht hatte, ”eine strikte Order Herr Oberst?”

Sie setzte sich neben Bernd auf das Bett und ließ sich an ihn ziehen. Drohend flüsterte Bernd ihr ins Ohr: ”Du weißt, daß ich dich eines Tages an die Ringe fesseln und züchtigen werde. Wenn du mich immer veralberst.”


Er biß ihr zärtlich in die Nase und schleckte ihr anschließend über Augen und Wangen. Wie ein Hund.

“Ganz nackt. Und ich werde an deinen Nippeln und Schamlippen zupfen und zerren.”

“Heute?” Fragte Jacqueline aufsässig.

Bernd drückte seine Lippen auf die ihren und begann mit einer Hand ihre Bluse aufzuknöpfen. So fängt das immer an, dachte er bei sich. Erst immer die Titten. Freilegen. Teuflische Wesen sind das, die Weiber. Immer locken und verführen sie einen. Immer und immer setzen sie ihren Willen durch und behalten die Oberhand. All der Quatsch des männlichen Gehabes. Wie hilflos man ihnen verfällt.

Während der Kopulation verhielt Bernd schwer atmend in der eternalen Bewegung und fragte :”Wußtest du, daß die Schweiz größer ist als die Niederlande?”

“Oh ja,” flüsterte sie, „wie könnte ich das nicht wissen.”

“Und wußtest du, das die Schweiz kleiner ist als Dänemark?”

“Wirst du es mir sagen?”

Bernd fickte sie heftiger weiter, um ihr die renitenten Flausen auszutreiben. Der Samen ergoß sich in ihre Scheide, der Widerstand der Scheidenwände nahm ab, wie Bernd feststellte. Er mußte an Uta, ihre Mutter denken, die nach vier Kindern nicht mehr so eng war. Man mußte sie mal wieder anrufen und eine Verabredung mit ihr machen. Der Samen tropfte heraus auf den Hodensack und begann die Geschlechtshaare zu verkleben. Und er zog weiter auf die Wolldecke, die als Bettlaken diente, weil Bernd Bettlaken seit dem Tode seines Opa Achtzehn, der hieß tatsächlich so, den sie zwischen zwei flackernden Kerzen auf einem schneeweißen Bettlaken hatten sterben lassen, verabscheute und nicht mehr haben wollte.

Jacqueline begann, ihm ins Gesicht zu pusten, bis er irritiert innehielt und abstieg.

“Was machst du da?”

“Ich puste dir ins Gesicht um dich aufzuwecken. Die Nummer ist beendet.” Sie lachte auf und schlang ihre Arme um seinen Hals, ihn herabzuziehen und ihm ins Ohr zu flüstern:” Es tropft schon auf die Decke und verklebt die Haare. Du großer Fickmeister.”

“Du tropfst auf die Decke.” “Vielleicht?” Immer das Selbe dachte Bernd zu sich. Warum tue ich mir das alles an.

“Wie ist das eigentlich,” fragte Bernd, nachdem neben ihr liegend, Erholung eingetreten war. “Mit dem weiblichen Abgang? Kommt da was raus?” Wohl wissend, daß da was raus kam.

“Ja,” sagte sie schlicht.


Ja, ist auch so ein Wort mit dem man, das heißt mit dem Mann, über die Klinge zu springen beginnt. Das klare, simple weibliche Ja in der weiblichen Stimmlage. Diese unscheinbare Äußerung, Bestätigung, einer selbst fern aller Hintergründigkeit und Lüsternheit geäußerten Willensbekundung, war überaus geeignet, die Sexualbegierde auf Betriebsbereitschaft schnellen zu lassen und die Abhängigkeit, die faktische Unterwerfung, ins Unerträgliche zu steigern. Aber Ja hatte


Macht nur im deutschen. Im Englischen war es platt und machtlos.

“Ich hab mich mal mit einer Bedienung in einer Kneipe zu später Stunde über den weiblichen Orgasmus unterhalten. Sie hat Stein und Bein geschworen, daß sie allemal über den Tisch spritzen könne. Sie hat auch behauptet, daß sie ebensoweit pissen könne wie ich, wenn sie die gleiche Anzahl an Biergläsern geleert hätte, nachdem ich ihr erklärt hatte, daß die Weiber ewig zweitrangig nach den Männern eingestuft werden würden, weil sie beim Pinkeln sich hinhocken müssen.”

“Du wirst recht betrunken gewesen sein. Du willst mich necken.”

“Necken? Das nennst du necken? Ein solches Thema? Nennst du necken? Wie verdorben du doch bist. Ich hab mit fünfzehn noch nicht einmal gewußt, was ein Kitzler ist. Und du hast schon einen.”

“Siehst du? Das hab ich gemeint. In unserem Vorgespräch.”

“Was hast du gemeint im Vorgespräch? Ich vermag dir nicht so recht zu folgen.”

“Daß Männer nur begrenzte Ahnung von dem weiblichen Körper und der weiblichen Psyche haben. Das habe ich gemeint.”

“Ich weiß wo ich anfassen, zupfen und zerren sollte. Und schieben.”

“Mit Elke dauert das Vorspiel zwei Stunden; mit dir eine halbe. So du dich anstrengst. Und geht dann in das Endspiel nahtlos über, das auch zwei Stunden dauert. Mit streicheln, nicht nur an den geilen Teilen und schon garnicht unentwegt direkt an den erogenen Punkten, sondern um sie herum. Küssen des ganzen Körpers und erst kurz vor dem Höhepunkt das Einführen von Dingen in die Scheide um die Scheidenwände zu stimmulieren. Immer nur über den Kitzler zu lecken und die Brustwarzen zu drücken bringt nicht so viel.”

“Laß uns dieses endlose Thema in einer ruhigeren Stunde fortsetzen,” sagte Bernd und dachte an Frau Ilske. Die Weiber waren alle gleich und waren immer auch nach dem Verkehr an neuem Verkehr interessiert. Sie leben für ihre Geschlechtsteile, dachte Bernd insgeheim.

„Weiber sind Geschlechtsteile,“ sagte er laut.


“Hallo, ich bringe die Tagesration an Tabakwaren,” sagte die rassig rothaarige mit den grünen Augen, als sie durch die Hintertür hereinkam. “Können wir heute zahlen?”

“Ich weiß nicht recht,” sagte Bernd und zog die Kasse auf. ”Ich hatte sie später erwartet. Ich bezweifle, daß schon genug hereingekommen ist.”

“Soll ich dalassen und später zum Kassieren kommen?”

“Würden sie das tun? Wird es noch mal gehen?”

“Ja, aber es muß unbedingt klappen. Frau Schallbecher schmeißt mich raus. Wenn ich das Geld nicht bringe.”

“Es wird klappen. Notfalls gebe ich ihnen ein paar Stangen zurück.”

Auf Frau Dronte, das war ihr Name, den Bernd mühevoll aus ihrer Unterschrift entziffert hatte, war Verlaß. Sie mochte ihn und er war verrückt nach ihr.


Gleich nachdem Frau Dronte gegangen war und Bernd die Stapel Zigaretten eingeordnet hatte, sah er, daß in der Weinstube gegenüber


dem Bürgersteig die Tür offen stand. Frau Ilske war gekommen und Bernd ging in einer Kundenflaute rasch hinüber. Es war Donnerstag und der Laden brummte.

“Na? Bist du gut nach hause gekommen?” Fragte er sie eher einfallslos.

“Wie geht es dir?” Sagte sie fröhlich mit intimem Unterton in der Stimme.

“So gut wie dir,” entgegnete Bernd, ”hast du Nachrichten für heute oder morgen abend?”

“Hast du Freitag abend Zeit?”

“Natürlich, ich habe immer Zeit für dich. Bei mir? Ich hol dich an der SBahnstation Ruhleben ab?”

“Ja, neunzehn Uhr? Mein Mann geht Freitag abend immer zu seinem Fußball oder was Verein und kommt spät zurück. Wir hätten dann Zeit.”

Bernd drückte sie und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Freitag passte gut. Jacqueline hatte das ganze Wochenende Nachtschicht. Bliebe noch der Sonnabend zu belegen.


“Lassen sie sich zu Sonnabend abend von mir einladen?” Fragte Bernd forsch Frau Dronte als diese erneut zum Inkasso kam, ”wir könnten bei mir zuhause einen drauf machen und so richtig mal umherbalgen.” Bernd hätte sich die Zunge abbeißen mögen.

Frau Dronte sah ihn erstaunt und unsicher an. Damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. Nicht so dreist und direkt jedenfalls.

“Eine Schachtel Juno, eine FAZ und diesen Schokoriegel,” platzte ein Kunde in die entstandene, peinliche Stille.

“Na also,” sagte die rassige Frau Dronte und grinste, ”schon sind meine Zigaretten verkauft.”

Es war eine Chance vertan.


So lief das alle Tage in der Zeitungsbude, dem Schwerpunkt und Nukleus des verbliebenen kleinen Imperiums. Verblieben waren noch fünf Mietwagen und der private Daimler, die gerade noch ihre Kosten aufbrachten. In dem Zeitungskiosk selbst lief es wie bei einem Hürdenlauf ab.

Zwischen acht und zehn kamen die Zeitungslieferanten und nahmen das Geld, das zwischen fünfzehn und vierundzwanzig Uhr am Vortag hereingekommen sein musste.

Zwischen dreizehn und vierzehn Uhr kam Frau Dronte mit der großen Tabakrechnung um den Umsatz von sieben bis dreizehn Uhr an sich zu reissen. Für all die anderen Rechnungen, Weine, Bier, Süßwaren, Pornos, Abendzeitungen, Schnaps, blieb der Zeitraum zwischen drei- zehn und fünfzehn Uhr, der auch für den Lohn des Herrn Weber, einzig verbliebener Angestellter, herhalten mußte. Und ebenso für die Zinsen der Köwenick Anleihe, von der längst ein großer Teil in andere, als die beabsichtigten Bereiche geflossen sein musste. Eine Rückzahlung war undenkbar geworden.

“Du raubst mich aus,” sagte Bernd zu Köwenick, als dieser wie stets am Freitag um achtzehn Uhr in der Bude auftauchte und seine Zinsen in


Empfang nahm.

“Du raubst mir den Schlaf,” antwortete er, ”davon ist nur die Hälfte mein Geld. Die andere Hälfte kommt von Schecke. Der löchert mich ständig mit der Rückzahlung.”

“Wie lange machst du Vorspiel?”

“Was?”

“Vorspiel. Wie lange machst du Vorspiel?”

“Immer. Du weißt doch daß ich impotent bin. Ich brauch Stunden das Ding mit dem Daumen reinzudrücken. Und dann darf ich mich nicht bewegen weil das Ding sofort wieder rausrutscht. ”


Frau Ilske war pünktlich am Freitag Abend. Sie gab sich entspannt und ruhig. Während der Fahrt in Bernds Daimler nach Norden kamen nur kurze Verlegenheitsgespräche zustande. Bernd zeigte ihr das nunmehr annähernd fertiggestellte Haus, das ihr Gefallen fand und schloß die Haustür ab. Sie machten es sich im Kaminzimmer bequem und öffneten die bereitgestellte Flasche Wein.

“Eine Couch wäre zweckmässig, ”begann er ein Gespräch, ”aber eine Couch habe ich nicht, wie du siehst.” Also stand er auf und setzte sich auf die Lehne ihres Sessels, das fehlende Gesprächsthema mit der Tat auszugleichen.

Es bedurfte nur eines Kusses auf den Mund und aus Frau Ilske loderte ein Vulkan auf, der Bernd in seiner Intensität völlig überraschte und vollkommen überrollte. Um die Wette rissen sie sich geradezu die Kleider von den Leibern und fielen, als sie beide völlig nackt waren, wild über einander her. Sie hatten Mühe, das Bett im Dachgeschoß rechtzeitig zu erreichen. Ohne Vorspiel fickten sie wild in einer Art, in der jeder sich von dem anderen zu holen trachtete, was ihm behagte. Bereits nach kürzester Zeit kamen sie in Konvulsionen gemeinsam und lagen dann erschöpft nebeneinander.

“Donnerwetter, du bist aber richtig wild.” Flüsterte Bernd ihr mit heiserer Stimme ins Ohr, “du bist ja ein richtiger Vulkan. Du Vollblutweib.”

“Danke,” sagte sie, ”ich war in einer Notlage. War ich dir zu stürmisch? Hast du blaue Flecken abgekriegt? Sollte ich mich mäßigen?”

“Ein bißchen schon. Wir hatten gar keine Gelegenheit zum Vorspiel.”

“Das hättest du mir sagen müßen, daß du Gelegenheit zum Vorspiel haben wolltest. Hätten wir es gebraucht?”

“Ist das nicht Tradition?”

“Von wem? Von wem ist das Tradition? Vom Trachtenverein?”

“Sagt man nicht immer, daß Frauen das Vorspiel brauchen?”

“Das sagen nur Frauen, die Mühe haben, einen Orgasmus zu bekommen.”

“Laß uns runtergehen und Wein trinken. Laß uns ein Bad im Betonteich nehmen. Das Wasser ist warm. “


Sie tranken einen Schoppen und stürzten dann wild kichernd, sich gegenseitig haschend wie Jungverliebte, vor die Haustür, um ausgiebig in dem Teich aus Beton, der einmeterdreißig tief war, zu plantschen.


Ihre festen, großen Brüste wippten bei jeder Gelegenheit auf und nieder und auch nach rechts und links und faszinierten Bernd übermäßig, so daß er seine Augen nicht abzuwenden in der Lage war. Ihre Brustwarzen waren zum Bersten geschwollen.

“Das ist immens geil,” sagte Bernd, ”deine Brüste so wippen zu sehen. Wird mich umbringen. Laß uns in die Regentonne steigen, die ist noch wärmer.”

Eine Nachbarin, aufgeschreckt durch das Gekichere und Geplantsche schaute über den Zaun und trat erschrocken ein Stück zurück, das Geschehen aus der relativen Sicherheit zwischen den Büschen ausgiebig weiter zu verfolgen.

“Eine Frau schaut uns zu,” sagte Frau Ilske.

“Egal,” sagte Bernd, ”laß sie. Sie wird sich an deinen Brüsten erregen und sich aufgeilen.“

“Oder an deinem steifen Schwanz.”

Nachdem sie sich im Garten vor der Haustür, der auch von dem Zufahrtsweg eingesehen werden konnte, ausgiebig ausgetobt hatten, zogen sie sich wieder ins Haus zurück und frönten erneut dem Geschlechtsverkehr. Diesmal mit ausgiebigem Vorspiel, in das Bernd die Erkenntnisse Jacquelines einzubringen sich bemüht zeigte.

“Das machst du wirklich gut,” meinte Frau Ilske anerkennend. ”Da wirst du aber lange geübt haben. Bei Jacqueline?”

“Sie war eine Hilfe, aber die Ausdauer verdanke ich meiner Potenz.” Frau Ilske lachte. Sie hatten unbeschwerten, langsamen Sex, der wohltuend zu beiderseits tiefem Orgasmus führte.


“Du hast hier eine Frau gehabt,” sagte Jacqueline am nächsten Tag.” Ihr seid nackt im Garten herumgetollt und habt in der Regentonne geplantscht.”

“Du hörst zuviel auf die Nachbarin. Du weißt doch, daß sie ihr Leben mit Tratsch verbringt.”

“Welche Schlampe war das? Kenn ich die?”

“Sicher, es war Frau Ilske. Von der Weinstube. Sie hat geile Titten, die dich interessieren würden. Stehst du auf geilen Titten?”

“Frau Ilske? Wie kommst du auf die? Die schien mir doch immer so schüchtern.”

“Nicht wenn es um praktizierten Sex geht. Die ist ein stilles Wässerchen, das sich zum Vulkan austobt. Die braucht kein Vorspiel. Sie sagt, Vorspiel ist nur was für Frauen die schwer kommen.”

“Wenn du noch einmal mit ihr zusammenkommst, werde ich gehen.”

“Für lange?”

“Für immer.”

“Wie lange ist das? Du weißt daß du nicht gehen kannst. Das wäre Fahnenflucht und unsittlich.” Bernd fügte hinzu: ”Ich bums sie nur gelegentlich. Ich kann sie nicht nach gestern abend einfach ignorieren. Dann denkt sie, daß sie nicht gut war. Das kann ich ihr nicht antun. Das verstehst du doch?”

“Nein, sie weiß, daß wir zusammen sind und zusammen wohnen. Sie hat mich betrogen.”


“In wiefern? Das bißchen Samen, das sie genommen hat, war ich bereits in der Lage zu ersetzen. Soll ich dich überzeugen? Gleich sofort jetzt? Nudelmaus?”

Nudelmaus nannte Bernd Jacqueline nur in sehr seltenen Anwandlungen von tiefgreifender Zärtlichkeit. Jacqueline hasste diesen Kosenamen, weil er mit Nudel eine gewisse Körperfülle unterstellte, die nicht berechtigt war.

“Wenn du mich noch einmal Nudel nennst, gehe ich.” Sie schmollte und Bernd schmatzte und drückte sie. “Ich werde dir nie erlauben können zu gehen,” flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr und stellte den Hausfrieden wieder her.


Ohne jemals eine diesbezügliche Absprache getätigt zu haben, hielten sie sich beide an ihre vormals gewohnten Freiheiten. Bernd kannte keinerlei Eifersucht. Jacqueline konnte sich unbeschadet mit ihrer Freundin vergnügen und, so sie wollte, auch mal mit einer männlichen Bekanntschaft, so diese sexueller Natur blieb.” Männer zog sie geradezu magnetisch an. “Beschaff dir Umstandskleidung und kleb dir ein Kissen auf den Bauch; dann werden sie dich in Ruhe lassen,” sagte er einmal zu ihr, als sie in der Stadt einkaufen waren. “Würde es dir gefallen, wenn ich mir einen Sack über den Kopf stülpen würde?” “Ja, sehr, wenn er auch deine Brüste überhüllt.”


Bernd ging auch gelegentlich in Bordelle. Denn Bernd war immer in Bordelle gegangen und mochte die alten Zeiten nicht missen. Erbe der Traditionen aus seiner Seefahrtszeit. Nutten genossen immer seine besondere Sympathie.

Jacqueline und Bernd waren wie Romeo und Julia aus dem Buch. Sie fanden immer wieder zusammen. Jahrelang. Auch später als Jacqueline geheiratet und einen Sohn bekommen hatte. Und auch Jahre später, als Jacqueline dann geschieden war.


Bernd hatte an Dr. Kasic in Laibach geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Zwar war Bernd im Besitz einer Telefonnummer, aber am anderen Ende hob nie jemand ab und die Durchwahl war langwierig und beschwerlich. Vielleicht kamen die Anrufe nie durch. Die vier Monate Quarantäne neigten sich dem Ende zu. Bernd hatte auch dem yugoslawischen Bauern wie vereinbart Geld geschickt.

Das bayerische Landwirtschaftsministerium hatte die Abnahme - Zusage erteilt, wenn belegt werden konnte, daß der Esel Yugoslawe sei. Die Antwort des Bundeslandwirtschaftsministeriums lautete identisch. Was fehlte, war der Quarantäne Bericht des Dr. Kasic in Laibach und das Gutachten, daß Esek als yugoslawischer Einhufer passieren könne.

“Kommst du mit nach Yugoslawien?” Fragte Bernd Karl Hannes, als dieser zu Besuch in die Bude kam. “Den Esel abholen?”

“Klar, wann fahren wir? Freitag.?”

“Ja, aber Freitag früh, daß wir noch am Freitag während der Arbeitszeit in Laibach ankommen. Könnte ja sein, daß der Wichser Kasic Wochenendurlaub nimmt. Oder am Wochenende nicht an irgendeinen


erforderlichen Stempel kommt.”

“Dann muß ich mich am Donnerstag krankmelden. Freitag früh? Mit dem Daimler? Ist die Kiste auch zuverlässig?”

“Ja ja, der läuft wie eine Nähmaschine. Ich nehme die Rückbank raus. Freitag um sieben bei dir. Gewaschen und rasiert.”


Jacqueline übernahm am Freitag die gesamte Schicht in der Zeitungsbude. Sie hatte ihren Arbeitsplatz in dem Krankenhaus, das eine Ablage für Sterbende war, vor einer Woche gekündigt und war mithin arbeitslos mit Bezügen vom Arbeitsamt.

“Ich kann das einfach nicht mehr ertragen. Ich werde trübsinnig und abgestumpft. Das sind Verhältnisse, die du dir nicht ausmalen kannst.”

“Doch, kann ich,” sagte Bernd, ”du hast genug darüber erzählt. Kündige bevor du deinen Humor verlierst. Du kannst in der Zeitungsbude die Tagesschicht übernehmen, dann kann ich endlich weiter am Haus bauen.”

“Das wird nie fertig,”sagte sie.


Freitag, am frühen Nachmittag, kamen sie am Wurzelpass an der österreichisch yugoslawischen Grenze an, nachdem sie auf der Autobahn in der Ostzone wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgeraubt worden waren. Zu einem Besuch bei dem Bauern reichte die Zeit nicht. Sie fuhren nach Laibach und suchten die Wohnadresse des Dr. Kasic auf, der jedoch nicht anwesend war. Von einem Hausbewohner bekamen sie eine neue Adresse auf dem Lande.

“Oh Scheiß, ”Bernd trat die Bremse durch und fand keinen Widerstand am Pedal, ”die Kiste bremst nicht mehr.” Er bremste mit der Handbremse. Der Fehler war rasch gefunden. Am linken Vorderrad zischte es, als Karl Hannes sich damit beschäftigte, die Bremse zu pumpen. Loch im Bremsschlauch.

“Wo kriegen wir hier einen Bremsschlauch her?” Grübelte Karl Hannes.” Hier in Yugoslawien?”

“Überhaupt nicht. Selbst wenn wir einen fänden, müssten wir ihn montieren, entlüften und Bremsflüssigkeit besorgen. In ein paar Stunden wird es finster. Wir müssen aus dem Arsch kommen und dieses Arschloch Kasic auftreiben.”

“Wird auch mit der Handbremse gehen. Sind ja nur tausend Kilometer zurück. Oder so.”

“In den Bergen nutzen wir die Motorbremse im ersten Gang.”

“Wird alles heiß laufen und qualmen.” Schloß Karl Hannes die Diskussion ab.

Sie fragten sich nach der Adresse auf dem Lande durch und fanden eine Abdeckerei. Berge stinkender Felle aller möglichen Tiere waren hier gestapelt. Ein wahres Horrorscenario.


Grauenhaft, dachte Bernd, kann es sein, daß Esek darunter ist?

“Kann es sein, daß der Esel darunter ist?” Fragte Karl Hannes verzagt.

“Ich hoffe nicht, aber zutrauen würde ich es diesen Bastarden. Laß uns aussteigen und nach Kasic fragen.”


“Mein Gott, stinkt das. Wie nach Verwesung.”

Kasic war bekannt, aber nicht anwesend. Zu dieser Zeit wäre er sicherlich zu hause, sagte ein schmieriger Arbeiter mit Gummischürze. Also fuhren sie vorsichtig, wegen der Bremse, nach Laibach zurück und fanden Kasic in seiner Wohnung.

“Herr Dr. Kasic,” sagte Bernd, grübelnd, was ein Veterinär in einer Abdeckerei wohl so für Aufgaben nachgehen mochte,” wir sind gekommen, den Esel abzuholen.”

“Na so was,” entgegnete Kasic, in der Wohnungstür stehend, ”daß ihnen so an einem Esel gelegen sein kann. Da kommen sie aus Berlin hierher, um einen Esel abzuholen.”

“Vier Monate,” Bernd überging die Einwendung,” vier Monate Quarantäne sind gestern abgelaufen. Sie sagten, sie stellen dann die entsprechenden Papiere aus.”

“Ja, richtig. Ich muß das Tier aber noch untersuchen. Sind die Vier Monate schon um? Tatsächlich? Wie die Zeit doch rinnt. Ich muß sehen, ob er Anzeichen von Krankheit und Pest aufweist. Der Esel. Wo war der doch noch untergebracht? An der Chaussee zum Wurzen- pass?”

“Waren sie nicht dort?” Fragte Bernd befremdet. ”Haben sie die Papiere noch nicht fertig? Wir müssen noch heute Nacht zurück nach Berlin.”

“Ich hab noch keine Zeit gefunden. Wir haben hier viel zu tun. Ich fahr gleich morgen hin und seh ihn mir an. Allerdings ist morgen Sonnabend. Das ist unüblich. Sonnabend zu arbeiten.” “Kommen sie Montag wieder, Montag Abend, dann ist alles fertig.” Fügte er nach kurzer Pause hinzu.

“Herr Kasic, wir müssen das heute abschließen,” sagte Bernd eindringlich und begann zu fühlen, wie die Wut in ihm hochstieg und die Stimme an Lautstärke gewann. “Heute, nicht morgen. Das Tier muß heute nach Deutschland.”

“Schon gut, schon gut. Sie brauchen nicht zu brüllen. Ich kann hören. Haben sie ein Auto?”

“Ja sicher haben wir ein Auto, dachten sie wir sind mit der Bahn hier?”

“Und sie wissen wo der Esel steht?”

“Gewiß, wollen wir gleich hinfahren? Wir müssen uns beeilen. Wir können nur langsam fahren, weil die Bremse kaputt gegangen ist.”

“Sie haben ein Auto ohne Bremse? Wollen sie meine Gesundheit riskieren?”

“Unsinn, das geht schon,” warf Karl Hannes, der bisher geschwiegen hatte ein, ”der wird mit der Handbremse gestoppt.” Kasic sah ihn überrascht an, als zweifelte er an seinem Verstand.

“Ein Auto ohne Bremse? Das gibts noch nicht mal hier in Yugoslawien. Das wird vermutlich verboten sein. Wie sieht es mit den Gebühren aus. Ich hatte Unkosten.” Er sah Bernd erwartungsvoll an.

“Deutsche Mark,” sagte Bernd ,“Devisen. Wenn es jetzt rasch über die Bühne geht einhundert. In Zwanzigern. Was immer das hier wert sein mag.”

“Bar?” “Natürlich, in Zwanzigern, sofort.” “Erschien der Esel ihnen gesund? Sie haben ihn doch schon aufgesucht?” “Sicher,” log Bernd,


”wir waren soeben dort, er ist kerngesund und tobt auf der Wiese umher.”

“Na dann können wir die Sache abkürzen, wenn er gesund ist, wäre es überflüssig ihn sich erneut anzusehen. Gehen wir in mein Büro. Wegen der Stempel und Formulare.” Sagte er unternehmungslustig. ”Das sind ein paar Minuten zu Fuß.”


Zwei Stunden später war es Nacht geworden und sie mußten den Bauern, bei dem Esek vier Monate gelebt hatte, aus dem Bett pochen. Mißtrauisch öffnete der die Tür, erkannte Bernd und den fünfzig Markschein den ihm dieser unter die Nase hielt, holte seine Petroleumlampe und bedeutete ihnen ein wenig zu warten.

Nach einer Weile kam er mit dem kleinen Esel, dem er einen Strick um den Hals gebunden hatte wieder und übergab ihn. Das Fell war völlig verdreckt. Rund um den Hals gab es eine große kahle Stelle. Aber gut genährt schien er zu sein. Die Wampe war rund.


“Der Amtsveterinär kommt morgen wieder,” sagte der Posten an der österreichischen Grenze.

“Oh scheiße auch, wie konnte ich das nur vergessen. ”brüllte Bernd wütend, ”der Amtsveterinär arbeitet ja nur am Tag. Wie konnte ich das nur vergessen. Wann wird er kommen? Morgen?”

“So ab zehn ist er für gewöhnlich im Grenzpunkt,” sagte der Grenzwächter korrekt. ”Wir haben hier nur selten tierische Passagiere.”

“Wir warten,” sagte Bernd mürrisch.

“Sie müssen das Benzin deklarieren,” sagte der Grenzbeamte.

“Welches Benzin?” Fragte Bernd irritiert.

“Das Benzin, das sie in Yugoslawien getankt haben. Folgen sie mir bitte in die Grenzstation.”

“Benzin, daß sie von Yugoslawien in Österreich einführen ist steuerpflichtig,” sagte der Beamte hinter dem Tresen in der Grenzstation und nahm eine Liste in die Hand. ”Wir werden feststellen müssen, wieviel Benzin sie importieren wollen.”

“Ich will kein Benzin nach Österreich importieren,” sagte Bernd, ”ich habe nur das getankt, was ich brauche um weiter zu kommen.”

“Sehen sie? sagte der Beamte, ”sie haben Benzin getankt. Das ist steuerpflichtig. Wieviel Benzin paßt in diesen Wagen? Achtzig Liter, nicht wahr. Davon haben sie fünfundsiebzig Liter in Yugoslawien getankt.” Der Beamte blätterte in seiner Liste und nahm den auf dem Tresen liegenden Taschenrechner in die Hand. “Achtzig mal ..”Murmelte er und gab dann das Ergebnis seiner Bemühung bekannt.

“Das macht dreihundertundzwanzig Schilling. Darauf kommt noch die Steuer.”

“Was?” Entfuhr es Bernd, ”was? Dreihundertzwanzig Schilling? Und darauf kommt die Steuer?”

“Ganz recht, darauf kommt die Mehrwertsteuer,” sagte der Beamte hilfreich. ”dann können sie unverzüglich weiterreisen.”

“Dann kann er nicht unverzüglich weiterreisen,” sagte der erste Beamte. ”Er kann nicht einreisen.”


“Er kann nicht einreisen?” Der zweite Beamte blickte erstaunt.

“Ganz recht,” sagte der erste Beamte und fügte erklärend hinzu, ”er hat einen kleinen fetten Esel im Auto und kann nicht einreisen.”

“Er hat einen kleinen fetten Esel im Fahrzeug?” Der zweite Beamte trat unwillkürlich einen Schritt zurück und musterte Bernd argwöhnisch und mißtrauisch über die Theke, ”einen fetten Esel?”

“Ganz recht,” gab der erste Beamte zu, ”er kann, er darf nicht einreisen, bis der Amtsveterinär kommt. Und er darf nicht einreisen, wenn der Amtsveterinär kommt und es nicht will.”

“Ja dann, ”sagte der zweite Beamte, ”dann ist die Lage geklärt. Sie schulden, ”er schaute auf seinen Rechner, ”dem Österreichischen Fiskus dreihundertvierundachtzig Schilling an unterschlagenen Steuern. Wir nehmen auch Deutsche Mark.”

“Was,” meinte Bernd sprachlos, ”dreihundertvierundachtzig Schilling für was? Und Steuern auf Steuern? Wo gibts sowas.”

“Hier,” sagte der zweite Beamte. ”Wenn sie nicht zahlen, dürfen wir sie nicht einreisen lassen.”

“Aber sie lassen mich doch sowieso nicht einreisen,” Bernd zeigte auf den ersten Beamten.

“Ganz recht,” sagte der, ”sie dürfen nicht einreisen.”

Bernd gab auf: ”Dann fahren wir wieder nach Yugoslawien zurück. Ich kenn da ja noch eine Schlafstelle im Gebirge wo man mit der Maschinenpistole aufgeweckt wird.”

“Wir dürfen sie nicht nach Yugoslawien ausreisen lassen, bevor sie nicht die säumigen Steuern bezahlt haben.” Stellte der zweite Beamte sachlich fest.

Bernd staunte: ”Und wenn ich die bezahle, nach Yugoslawien fahre und morgen wiederkomme, was ist dann?”

“Dann müssen sie das Benzin bezahlen, das sie nach Österreich importieren. Sie kennen die Bestimmungen ja bereits.”

“Aber wo ich übernachte, im Wald am Berghang gibt es gar keine Tankstelle.”

“Darauf können wir keine Rücksicht nehmen,” unterstützte der erste Beamte den zweiten Beamten.

“Unsere Erfahrungswerte sagen uns,” setzte der zweite Beamte hinter seinem Tresen zu einer umfassenden Erklärung an, ”dass Touristen die heute nach Yugoslawien fahren und heute aus Yugoslawien zurückkommen Schieber sind. Daran halten wir uns.” Nach kurzer Pause setzte er hinzu: ”Weshalb sonst sollte jemand dem Wunsch verfallen, in solch ein Land einzureisen.”

“Irrenhaus, irgendwie wie im Irrenhaus, bild ich mir das nur ein?” Murmelte Karl Hannes kaum hörbar.

“Was machen wir,” fragte Bernd ihn, ”wenn wir zahlen und nach Yugoslawien fahren müssen, zum Schlafen, haben wir morgen das gleiche Problem. Ich bin beinahe pleite. Wir werden kaum noch zurückkommen. Und todmüde bin ich auch. Steuern auf Steuern? Die Steuer auf die Steuer zahl ich in keinem Falle. Bleiben wir hier auf dem Parkplatz und schlafen erst mal.”

“Sie können hier nicht auf dem Parkplatz bleiben und schlafen. Sie sind


nicht eingereist,” gab der erste Beamte zu verstehen.

“Wir parken nur um uns zu einer Entscheidung durchzuringen,” entgegnete Bernd und rutschte auf dem Fahrersitz zusammen, als der erste Beamte zu dem zweiten Beamten in das Gebäude ging um mit diesem zu einer eigenen Entscheidung zu gelangen.

“Ein Irrenhaus.” Hörte er Karl Hannes noch sagen, ”wir sind in einem Irrenhaus,” dann war er fest eingeschlafen. Es war mittlerweile Zweiuhrdreissig geworden. Der Esel lag auf seiner Decke und bewegte sich nicht.


Die Beifahrertür wurde aufgerissen, Karl Hannes im Schlaf aus dem Wagen gezerrt und über den Parkplatz zu dem Gebäude geschleift. Bernd war aufgewacht und sah, daß der erste Beamte und der zweite Beamte Verstärkung erhalten hatten. Er sah auf die Uhr; dreiuhr- dreißig und schlief sofort wieder ein.

Ein Hilferuf weckte ihn eine halbe Stunde später. Jemand schrie mit der Stimme Karl Hannes Hilfe, Hilfe, und noch einmal Hilfe, über den nächtlichen, verwaisten Parkplatz. Bernd mußte lachen. Werden ihn wohl piesacken dachte er sich und versank erneut, grinsend, in Tiefschlaf.

So gegen fünf Uhr wurde die Beifahrertür erneut aufgerissen und Bernd aufgeweckt. Karl Hannes war zurück. “Sie haben mich nackend ausgezogen,” gab er mit zitternder Stimme von sich, ”sie sagten, sie ziehen Schmuggler immer nackend aus.”

“Schlaf endlich,” murmelte Bernd, ”wir werden einen langen Tag vor uns haben.”

“Was haben sie heut Nacht mit dir gemacht?” Fragte Bernd grinsend als sie etwa um neun Uhr aufwachten.

“Sie haben mich nackend ausgezogen,” sagte Karl Hannes mit vor Empörung vibrierender Stimme.

“Und da hast du Hilfe geschrien? Du hast mich aufgeweckt. Du hättest Elvis wecken können.”

“Ich dachte sie würden mich jetzt vertrimmen. Sie machten Anstalten. Sie sagten, daß sie mich windelweich prügeln würden. Sie drohten, die Scheiße aus mir herauszuquetschen.”

Bernd lachte, ”na und? So wird das immer gemacht mit Schmugglern. An den Grenzen. Du bist ein Glückspilz. Sie hätten einen Besenstiel finden können.”

“Einen Besenstiel?”

“Wie kannst du nur so pingelig sein.”


“Sie kenn ich, sie hab ich schon mal gesehen,” rief der Amtsveterinär schon aus der Ferne und schritt rasch näher.” Sie kenn ich.” Er reckte den Arm und zeigte auf Bernd.

“Du scheinst vielen bekannt zu sein,” gab Karl Hannes von sich,” dich kennt man überall.”

“Hab schon gehört,” sagte der Amtsveterinär geschäftig, ”sie haben diesen Esel im Auto. Fett soll er sein.”

“Welche Papiere wollen sie sehen, damit man uns hier durchlässt?”


“Hab auch schon gehört, daß sie Schmuggler sind, die man auf frischer Tat erwischt hat. Sie schmuggeln Benzin über die Grenze? Haben sie das nötig? Bei dem Wagen?” Er schaute genauer auf den Wagen und sagte ;”Zweiter Gedanke, ja, sie haben das nötig. Er soll aussteigen.” Esek stieg aus und der Amtsveterinär stellte mit Kennerblick fest, ”dreckiger habe ich noch nie einen Esel gesehen. Sie müssen ihn waschen. Er wird sonst krank, wenn er noch nicht krank ist.” Er hob den Schwanz Eseks und lugte auf das Arschloch. Alle hoben offenbar den Schwanz von Esek und lugten auf sein Arschloch.

“Haben sie ihn bezahlt? Starrt vor Dreck, aber keine Pickel am Arsch,” sagte er.” Wird uns Genüge tun, so sie alle Papiere haben.”

Bernd gab ihm die Papiere, die Bescheinigung aus Edirne und die Bescheinigung, daß die Quarantäne negativ abgeschlossen war, die Bescheinigung, daß der Esel jetzt als Yugoslawe galt, die Bescheinigung des bayrischen Agrarministers und die Bescheinigung des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

“Ist das alles?” fragte der Amtsveterinär und arbeitete Zweifel in seine Stimme, ”das ist alles?”

Bernd rutschte das Herz in die Hose. Das hier wollte kein Ende nehmen.

“Haben sie ihre Brille gefunden?”

“Sehen sie das nicht? Ich habe sie auf der Nase.”

“Ich dachte es wäre vielleicht eine neue Brille.”

“Und ich dachte, sie hätten sie mir gestohlen. Nun weit weg war das ja nicht, wie sich jetzt herausstellt. Bei einem Benzindieb.”

“Nicht Dieb,” korrigierte Bernd,” nicht Dieb, wir sind Schmuggler.”

“Macht nicht viel Unterschied. Oder? Man wird ein Portrait von ihnen anfertigen und es in der Wache an die Wand heften.” Bernd mußte lachen. Der Amtsveterinär war ein Komiker, ein Kasper.

“Ich muß mich setzen,” sagte der und ging auf das Gebäude zu. Drinnen grinsten neue Beamte von Ohr zu Ohr als Bernd und Karl Hannes die Wachstube betraten.

“Das ist der, der beinahe meine Brille gestohlen hätte,” sagte der Amtsveterinär zu dem neuen Beamten hinter der Theke,” macht ein Portrait und heftet es an die Wand.” Der Beamte grinste.

“Und jetzt,” sagte der Amtsveterinär geschäftig und legte eine Sprechpause ein, ”jetzt sehe ich, daß sie sich Mühe gegeben haben. Die Papiere sind in Ordnung, aber erklären sie den Sachverhalt der Beschaffung. Ein türkisches Kaufpapier für einen yugoslawischen Esel, der nie in der Türkei gewesen sein durfte, wollte er unsere Gebirgsgrenze hier überqueren.”

“Das Papier von Edirne betrifft einen anderen Esel, den ich dort gekauft und zurückgelassen habe.”

“Machen sie das oft?”

“Pardon? Was mache ich oft?”

“Oh sie sprechen französisch? Schmuggeln sie auch in Frankreich?”

“Oh nein.”

“Dann schmuggeln sie also vorwiegend in Österreich,” stellte der Amtsveterinär mit Befriedigung fest. ”Sie können passieren. Kommen sie nicht so bald wieder. Sie kosten mich Nerven.”


“Sie können nicht passieren,” sagte der Beamte hinter dem Tresen, der neu war. ”Sie müssen die Steuern bezahlen.”

Bernd zahlte entnervt und sie stiegen ins Auto, langsam zu dem ersten Beamten vorrollend, um die Quittung über bezahlte Steuern vorzuweisen.

“Sehen sie,” sagte der, ”Querulantentum lohnt sich bei uns einfach nicht. Hätten sie gestern bezahlt, hätten sie auch wieder nach Yugoslawien ausreisen dürfen. Das hätte ihnen niemand verwehrt.”

“Wir wollen nach Deutschland, nicht nach Yugoslawien. Wenn wir dann heute morgen wieder zurückgekommen wären, hätten wir erneut Steuern auf Benzin zahlen müssen und Steuern auf die Steuern.”

“Natürlich.” Sagte der erste neue Beamte, ”Schmuggler müssen eine Strafsteuer zahlen. Mangelt es ihnen an Rechtsempfinden?”

“Los jetzt,” sagte Karl Hannes wutentbrannt, ”du wirst dich um unseren Kopf schwätzen.”


Die erste Herausforderung bestand in der Abfahrt vom Wurzelpass, die einer der steilsten in ganz Europa und ziemlich lang ist.

“Müßte eigentlich auch bremsen, wenn wir den Motor abstellen, geht aber nicht bei Automatic.”

Möglichst sachte fuhren sie steil bergab, im ersten Gang und mit halbdurchgetretenem Handbremsenpedal.

“Wir müssen endlich etwas zu fressen kriegen,” sagte Karl Hannes, ”mir ist schon ganz schwindelig.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” sagte Bernd nachdenklich und konzentrierte sich auf die Abfahrt und die engen Kurven, ”wir werden anhalten und nach- schauen, ob die Hinterräder heiß werden. Nicht daß sie Feuer fangen. Oder die Bremsbeläge so stark abgenutzt werden, daß wir auf der Autobahn nichts mehr haben. Zum Bremsen.”

“So einen Scheiß hab ich auch noch nicht erlebt,” sagte Karl Hannes. ”Laß uns was zu fressen besorgen.”

Bernd hielt auf einem Stückchen Randstreifen der Strasse und sie stiegen aus, sich die Hände an den Felgen der Hinterreifen zu verbrennen.

“Mein lieber Schwan, ”zuckte Karl Hannes zurück, ”noch einen Kilometer und das fackelt alles ab. Bist du versichert?”

“Scheiß auf Versicherung. Der Esel muß nach Hause.”

“Wie weit geht das noch so steil runter? Die Kühlwassertemperatur ist auch auf rot.”

“Ich denke wir haben mehr als die Hälfte. Wir müssen das abkühlen lassen. Sowas dauert.”

Sie rupften Gras für Esek, der das Kraut gierig hinunterkaute und rauchten. Einige Autos keuchten hoch, andere kamen herunter. “Laß fühlen,” Bernd stieg aus. Die Felgen waren immer noch heiß, aber nicht so heiß, daß man sich noch die Finger verbrennen konnte.

“Fahren wir langsam weiter,” schlug Karl Hannes vor.

“Wir fahren die ganze Zeit langsam,” berichtigte Bernd ihn, ”wir sollten etwas schneller fahren, dann sind wir eher unten.”

“Denk daran, daß wir einen irre langen Bremsweg haben.”


Ein weiterer Halt wurde erforderlich. Eine weitere Stunde Wartens verging. Als sie die Talsohle erreichten, wurde es bereits düster.

“Wir müssen was zu fressen finden,” sagte Karl Hannes. ”Ich krepiere.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” erinnerte ihn Bernd, ”laß uns aus diesem Land verschwinden. Fressen wir in ein paar Stunden wenn wir in Bayern sind.”


Weit nach Mitternacht erreichten sie die DDR Grenze bei Hof. Der Übergang Österreich Bayern war zügig und ohne Komplikationen verlaufen.

“Wird es Schwierigkeiten an der DDR Grenze geben?” Fragte Karl Hannes, aus tiefem Schlaf erwachend.

“Nach meinen Informationen nicht,” sagte Bernd, ”das Bundesagrarministerium sagte am Telephon, daß die Abnahme Verfügung Berlins ausreicht. Die hab ich.”

“Was für ein Aufwand. Der Esel muß ja mittlerweile ein paar tausender gekostet haben.”

Als die Autoschlange kurz geworden war und sie an der Reihe waren, stellten sich die Kommunisten von ihrer besten Seite vor. Ein Esel, toll, nach Westberlin, toll. Sie brachten Wasser und ein paar Scheiben Brot. Sie machten die Bahn frei und dirigierten den Wagen zu einem Gebäude abseits der Passkontrolle, in dem das Veterinäramt stationiert war. Alles ging zügig und fix über die Bühne. Bahn frei, der Esel musste aus dem Auto raus. In Westberlin.

“Hätte ich nie gedacht, daß die so freundlich sein können.” Stellte Karl Hannes fest, als sie wieder auf der Autobahn waren.

”Richtige Tierfreunde,” sagte Bernd.

In der Frühe erreichten sie Westberlin und Bernd fuhr Karl Hannes vor dessen Haustür. Zuhause angelangt wuschen er und Jacqueline, die anschließend mit dem Bus loszog, die Bude zu öffnen, den Esel, oder versuchten es jedenfalls.

“Das wird Wochen dauern,” sagte sie mit der urweiblichen Kenntnis über Hygienie, ”das ist total verfilzt und muß hundertemal gestriegelt werden.”

Bernd wusch Esek fertig, der sich der Prozedur zu entziehen trachtete und ging zu Bett. Hundemüde, völlig übermüdet, konnte er jedoch nicht einschlafen und horchte auf den Rabatz, den Esek unten im Wohnzimmer veranstaltete. Da das Fell bereits einigermaßen getrocknet war, machte er die Haustür auf und entließ den kleinen Racker in den Garten.


Mittags, als Bernd aufwachte, war Esek nirgendwo zu sehen und zu finden. Da Sonntag war, konnte die Sache nicht geklärt werden. Am Montag Vormittag rief Bernd das Tierheim Lankwitz an und erfuhr, daß der Eselhengst, umherstreunend, von der Polizei aufgegriffen und im Tierheim abgegeben worden war. Im Tierheim am Dienstag wurde Bernd von einer weiblichen Person mit strenger Blickgewohnheit empfangen.

“Wir werden den Esel nicht herausrücken und ihn hier behalten. Wir


überlegen, eine Anzeige wegen Tierquälerei und Tiermißhandlung gegen sie zu erstatten,” sagte sie, nachdem sie sorgsam Bernds Personalien aufgenommen und mit seinem Paß verifiziert hatte.

“Was reden sie da Frau,” sagte Bernd ungehalten. “Wo ist er, ich will ihn sehen.”

“Der Hengst ist auf unserer Intensivstation. Sie haben ihn verhungern und unglaublich verdrecken lassen. Sie müssen ihn monatelang an einer kurzen Kette gehalten haben.”

“Ich? Verhungert? Ich hab ihn grad geholt.” Sagte Bernd hilflos.

“Der ganze Hals ist wund und die Hufe zweigen Rehhuf Symptome. Ich sollte mich garnicht mit ihnen unterhalten.”

“Jetzt halten sie mal die Luft an.” Sagte Bernd und fühlte die aufsteigende Wut, zumal noch Pflegepersonal hinzugetreten war und ihn feindselig betrachtete. ”Ich habe den Esel vorgestern aus Yugoslawien abgeholt. Da war er noch rund und gut genährt. Daß mit dem Fell stimmt natürlich. Aber das ist nicht mein Verschulden. Er stand vier Monate in Quarantäne bei einem Bauern auf dem Lande.”

Die weibliche Person mit dem strengen Blick sah ihn mißtrauisch an, ”Entschuldigungen werden immer vorgebracht. Sie glauben garnicht wie erfinderisch die Leute sein können. Wir kennen das.”

“Es macht keine Mühe, sie von dem Gegenteil zu überzeugen. Ich werde ihnen die Einfuhrpapiere bringen. Da steht das Datum drauf. Jetzt bestehe ich darauf, meinen Esel zu sehen.”

Er wurde auf den Hof hinter dem Gebäude geführt, wo Esek, offensichtlich fidel und guter Laune in einem klinisch sauberen Stallgebäude in einem rundum gefliesten Zimmer auf Lagen von Stroh stand und damit beschäftigt war, andere Lagen von Heu zu verzehren.

“Hallo Esek,” sagte er, ”was machst du für Sachen.”


“Ist das der Besitzer?” fragte mit abschätzigem Ton eine hinzutretende Pflegerin im Overall.

Milder gestimmt und mit weniger stechendem Blick sagte die Empfangsdame, die seine Personalien aufgenommen hatte :”Sollte es sich um ein Mißverständnis gehandelt haben, sind wir dennoch nicht befugt, ihnen das Tier auszuhändigen.”

“Inwiefern?” Erkundigte Bernd sich.

“Das, was ich ihnen zuvor sagte, war keine Übertreibung. Der Hengst ist stark unterernährt und leidet an Kreislaufschwäche. Er muß unter ärztlicher Aufsicht zu seinem normalen Gewicht aufgefüttert werden. Die Hufe haben wir schon geschnitten. Eine Kreislaufstabilisierende Injektion hat er auch schon bekommen, deshalb geht es ihm gerade relativ gut.

Der Hals muß behandelt werden. Und natürlich das Fell. Der Bauch ist ein Wasserbauch. Praktisch ein Hungerödem.”

Bernd fühlte seine eigenen Felle davonschwimmen. Der Esel lebte eindeutig über Bernds Verhältnisse.

“Wie lange wird das dauern?”

“Er ist ein junger Esel. Er wird sich rasch regenerieren. Wenn keine Komplikationen eintreten. Drei Wochen, mindestens.”


“Lassen sie mich die Unterlagen einsehen,” rief sie ihm nach, als er sich verabschiedet hatte und ging.


“Was macht Esek?” Karl Hannes kam zu Besuch in die Zeitungsbude, ”alles wohlauf? Hat er sich schon eingelebt?”

“Dazu hatte er keine Zeit. Er ist verschwunden.” Bernd klärte Karl Hannes über die eingetretenen Entwicklungen auf.

“Verhungert? Bei dem Bauch?”

“Alles Wasser, oder so. Wie die farbigen Kinder auf den Plakaten der Schnorrer. Ich kann mir das alles nicht mehr leisten. Ich werde unter der Brücke in einem Pappkarton enden.”

“Du lebst über deine Verhältnisse.”

“Du lebst über meine Verhältnisse,” sagte Bernd nachts zu Jacqueline.

“Ich?” fragte sie verblüfft über die unerwartete Feststellung, ”ich? Du lebst über meine Verhältnisse. Was ist mit dem Kredit. Du wirst doch die Rate bezahlen?”

“Nur ein Scherz, Nudelmaus, nur ein Scherz. Ja, die Rate für deinen Kredit ist in der Rubrik sehr wichtig.”

“Du sollst mich nicht Nudel nennen. Wenn du mich noch einmal Nudel nennst, geh ich.”

“Für lange?”

“Ich komm dann nie wieder,” drohte sie und Bernd überlegte, wie er die Rate für ihren Kredit zusammenbekommen könnte.


“Wir müssen mal wieder was mit der Versicherung machen,” sagte er zu Köwenick den anderen Tag. ”Ich muß die Rate für den Kredit von Jacky zahlen.”

“Fahr mir in die Taxe. Hol eine Schüssel von Ostendorf.”

Bernd nahm eines der letzten Autos aus seiner Autovermietung, fuhr Köwenick in die Taxe und bezahlte die Monatsrate von Jacquelines Kredit.

Die verbliebenden Fahrzeuge übergab er gegen geringes Entgeld an neue Besitzer und sparte somit die Versicherungsraten ein, die gerade wieder fällig wurden und die unter der Rubrik gar nicht wichtig landeten.

Den Daimler, dem Hark mittlerweile wieder zu Bremsvermögen verholfen hatte, versah er mit einem neuen TÜV, der mittels einer Rasierklinge und einer Kartoffel zustande kam. Die Rasierklinge wurde gebraucht, um vorsichtig und sorgsam die Plakette von einem parkenden Auto in der Nacht zu trennen und die Kartoffel gab einen verwischten, aber schön anzuschauenden Stempel im Kraftfahrzeugschein ab. Für den Wagen zahlte ihm ein persischer Teppichhändler, der auch Autos schacherte, einen Tausender und stand drei Tage später mit seinen drei Brüdern vor dem Tor, als Bernd zu später Stunde nach hause kam.


“Sie haben mich betrogen. Das Auto kann nicht zugelassen werden.”

“Ein schönes Auto, sie haben mich schlecht entlohnt. Neuer TÜV. Sie sind reich beschenkt worden.”


“Ich will mein Geld zurück.” “Wir wollen unser Geld zurück,” wurde er von einem seiner Brüder bekräftigt.

“Ich hab kein Geld,” sagte Bernd, ”sie haben ein schönes Auto. Hübsch anzusehen.” Bernd war müde und ließ sich nicht auf lange Debatten ein. “Verkauft ist verkauft.”

“Das Auto hat keinen neuen TÜV. Das Kraftverkehrsamt sagt, daß das kein TÜV ist. Sie haben uns betrogen.”

“Ist mir egal,” sagte Bernd wütend, ging ins Haus und schloß die Tür.

Die Autovermietung Appel & Ei war Geschichte. Bernd hatte noch den Corvair, ein schönes Amiauto mit der Macke, daß er ansprang wenn er nicht fuhr und nicht ansprang wenn er fuhr. Nach jedem Start mußte der Verteiler neu verstellt werden. Und vor jedem Start mußte der Verteiler erneut verstellt werden. Aber es war ein schönes Auto um daß ihn mancher beneiden mochte.


Die Zeitungsbude war verblieben. Auf sie war jetzt die gesamte Energie zu konzentrieren. Es könnte noch gehen.

Den anderen Tag kam Jakomeit vorbei. “Ich bin an deiner Bude interessiert, willst du verkaufen?” Bernd kannte Jakomeit aus dem Zeitungsfachverband. Jakomeit besaß einen Zeitungsladen an der Bundesallee, der einfach nicht laufen wollte. Hübsch anzusehen und sauber, aber einfach kein Umsatz zu erzielen. “Ich hab noch die Möglichkeit, die Bude am Leniner Platz zu kaufen. Überleg dir das nicht zu lange.”

“Du nibbelst ab,” sagte Köwenick, ”du hast immer weniger Warenbestand. Laß mich nicht hängen. Zieh mich nicht in deinen Untergang.”


Oinky war der kleinen Familie aus Jacqueline und Bernd und Esek recht überraschend beigetreten. Oinky lauerte in der Wassergrube, als Bernd in diese hinabsprang, um nach dem Rechten zu schauen. Bernd sprang sofort wieder hinaus und rief nach Jacqueline, die nach der immer lukrativen Sonntagsschicht, gerade nach hause kam.

“Was ist das,” sagte er erregt. ”Da lauert was in der Wassergrube.” Jacqueline, tapfer wie sie war, lugte vorsichtig über den Rand und prallte zurück. “Das ist ein Marder,” sagte sie. ”Das wird ein Marder sein.” “Der ist da reingefallen und kommt nicht mehr raus,” sagte Bernd.

“Wir müssen ihn retten.” “Wer weiß, wie lange er da schon unten ist,” sagte Jacqueline, die sehr tierfreundlich war, besorgt. ”Du mußt ihn rausholen.”


Bernd zog sich eine Jacke mit Reisverschluß an. “Du mußt vorsichtig sein,” instruierte sie ihn, “Marder sind sehr bissig, sie springen dir an die Kehle.” Bernd wickelte sich einen langen Schal um den Hals und suchte die Arbeitshandschuhe aus Leder. “Sie sollen auch die Hosenbeine hochrennen und beißen.” Ergänzte Jacqueline. Bernd zog sich Gummistiefel an, in die man die Hose stecken konnte. “Du mußt dein Gesicht und deinen Kopf schützen.”


Bernd stülpte sich eine Pudelmütze über den Kopf und zog sie bis zu den Augenbrauen runter. “So wird es gehen,” stellte Jacqueline zufrieden fest und gab ihm eine alte Tasche.

“Tu ihn da rein.”

Vorsichtig wagte Bernd den Abstieg in die Grube und bemerkte, daß der Schal sich abzuwickeln begann. Dann rutschte die Mütze in die Augen. “Sei vorsichtig,” sagte Jacqueline besorgt und lugte tapfer über den Rand. “Ich kann nicht sehen,” sagte Bernd und riß die Mütze vom Kopf und entledigte sich des Schals, über den zu stolpern er Gefahr lief. “Was machst du, was machst du.” Fragte Jacqueline vom Rand her. Der Marder saß ruhig in der Ecke der Wassergrube. Fauchen Marder? Dachte Bernd zu sich und hielt ihm die geöffnete Tasche einladend vor die Schnauze. Der Marder schnüffelte in die Taschenöffnung und beherzt griff Bernd mit der behandschuhten Hand zu, schob ihn rein und versuchte den Reißverschluß zuzuziehen. Das mißlang mit dem starren Handschuh. Also riß er sich die Handschuhe herunter und schloß die Tasche ab. “Ich hab ihn,” sagte er triumphierend zu Jacqueline. “ich hab ihn jetzt.“


Oinky stellte sich als waldfarbener Iltis vor, biß wenig, aber glich das aus mit Kratzen. Oinky kratzte für sein Leben gern. Mit den Vorderpfoten. Jacqueline und Bernd pflegten sich unter lautem Kichern unter den Bettdecken zu winden und zu verbergen und Oinky strollte über sie hinweg und suchte nach Schwachstellen in der Abdeckung. Er fand immer welche, kroch zu ihnen unter die Decken und mischte sie auf. Es war ein Höllengaudi. Beinahe jeden Tag. Egal, wie zerkratzt sie schließlich waren. Sie liebten sich alle drei inniglich, einen Tag nach der Errettung des Iltis Oinky. Oinky wurde hinfort das Bindeglied, das das Verhältnis beständig erneuerte.


“Können sie mir einen Gefallen machen?”, fragte der Schnapsvertreter, nachdem Bernd ihm gerade einige Schachteln mit Flachmännern, die gut liefen, abgenommen hatte. ”Ich muß was transportieren. Und den Firmenwagen muß ich immer abgeben.” Nachdem Bernd an Jacqueline, sie wechselten nun ständig die Schichten, abgegeben hatte, fuhren sie mit dem Corvair nach Spandau, wo der Vertreter ein nagelneues, schönes Einfamilienhaus besaß.

“Das ist mein Haus,” sagte der Schnapsvertreter stolz, ”muß ich nur noch abzahlen. Wir müssen da was rausholen. Wir leben in Scheidung.”


Bevor er zu klingeln vermochte, wurde die Tür von innen aufgerissen und eine attraktive, aber sehr erregte Dame trat auf das Podest vor.

”Wie kannst du es wagen, auf meine Schwelle zu treten. Ich will dich nicht mehr sehen du Lump.”

“Ich komme nur, meine Sachen zu holen Irene,” sagte der Schnapsvertreter tapfer. ”Nur meine Sachen. Was mir gehört. Nur das.”

“Dir gehört? Was dir gehört? Dir gehört nichts, hörst du? Dir gehört gar nichts. Das ist alles meins. Alles.”


Sie wurde schriller und Bernd begann zu erkennen, daß er wider Willen in einen Ehestreit mörderischen Ausmaßes verwickelt werden würde.

”Aber,” versuchte er zu schlichten, ”aber.”

“Sie halten sich da raus. Ich kenne sie garnicht. Sie halten sich da raus.”

Sie kreischte mittlerweile und hatte Farbe angenommen.

“Das ist alles meins,” sagte der Schnapsvertreter mickrig,”das ist alles meins. Ich habe alles gebaut. Alles bauen lassen. Sie nimmt mir alles fort. Alles.” “Ich habe alles bezahlt,”ergänzte er.

“Du Wicht wirst alles bezahlen,” ihre Stimme war schrill, Bernd befürchtete, daß die Nachbarn vor die Tür treten würden. “Du wirst zahlen. Mein Anwalt sagt, du wirst alles bezahlen.”

“Nun, nun,” versuchte Bernd zu beschwichtigen.

“Es ist alles meins,” sagte der Schnapsvertreter hinter ihm, ”lassen sie sich nicht einschüchtern. Gehen sie vor.”

“Ich bin doch aber nur der Fuhrmann,” sagte Bernd, sich zu dem Schnapsvertreter umwendend.

“Sie meint es nicht so,” sagte der, ”sie schreit immer.”

“Ich schrei immer? Du Lump. Du kommst näher und ich reiß dir die Eier aus dem Laib.” Sie war offensichtlich zornig und Bernd begann die Gefahrenlage abzuwägen.

“Was jetzt, du Arsch,” sagte er zu dem Schnapsvertreter wütend,” was ist jetzt. In was ziehst du mich hier rein. Meine Zeit ist kostbar. Laß uns zur Sache kommen.”

“Das ist alles meins,” sagte er mickrig, ”ich will nur meine privaten Sachen holen.” Er nahm all seinen Mut zusammen und drängelte sich durch die Haustür.

“Aber sie kommen nicht in mein Haus,” schrie die Frau böse Bernd an. “Es ist mein Haus,” belehrte sie der Vertreter.


“Das kommt mir nicht aus dem Haus,” kreischte sie und hielt am anderen Ende der kleinen Truhe, die der Vertreter von oben, dem Dachgeschoß gerade herunterschleppte, krampfhaft fest.

Bernd unterstützte und zog am vorderen Ende die Truhe vor die Haustür. Sie wird noch über die Strasse brüllen, sie werde beraubt, dachte er sich.

Nachdem sich allmählich ein kleines Häuflein an privaten Gegenständen vor dem Haus angesammelt hatte, darunter auch ein Seil, auf das der Vertreter zu verzichten nicht überredet werden konnte, verluden sie das Zeug ins Auto und machten, daß sie davonkamen.

“Mein lieber Schwan,” sagte Bernd während der Fahrt, ”das ist ja ein Drachen. Wohin?”

“Keine Ahnung, ich wohne in einer Pension am Stutti. Aber die werden mir kaum erlauben, all das in der Stube zu stapeln.”

“Wie konntest du sowas nur heiraten, so eine Sirene. Wohin mit dem Zeug.”

“Sie war zunächst wie alle anderen. Schmeißen wir das Zeug irgendwo hinter die Büsche.”

Bernd nahm das Zeug mit nach hause. Einiges war durchaus


brauchbar, das Haus auszugestalten.

“Da hat man dich aber reich beschenkt.” sagte Jacqueline und besah sich die Utensilien, ”Schmeißen wir es hinter die Büsche.” “Nicht hinter unsere Büsche.”


Die wirtschaftliche Lage verfiel zusehends mehr. Auch wenn die Personalkosten mit Jackys Einstieg als Verkäuferin erträglicher geworden waren, es reichte einfach nicht mehr, alle Rechnungen auch nur ansatzweise pünktlich zu bezahlen. Da auf das Zeitungsgeschäft keinesfalls verzichtet werden konnte, machte sich der Mangel zunächst erneut bei den Tabakwaren bemerkbar. Die Anzahl der feilgebotenen Marken und die Vorratshaltung der verbliebenen Marken wurden eingeschränkt. Der Kreditvertrag war notleidend geworden. Jackys Kreditvertrag begann Anzeichen der Notleidigkeit aufzuweisen. Bei VV und BPV, den wesentlichen Lieferanten von Presseartikeln baute sich ein Schuldkonto auf, das beharrliche Verhandlungskunst erforderte. ”Etwas schwach derzeit mit den Finanzen. Wird sich ändern.”

“Sie sind schon lange schwach mit den Finanzen. Es muß sich etwas ändern. Sie müssen regulieren. Wir müssen die Lieferungen einstellen.” Drohscenarien dieser Art häuften sich und wurden zu alltäglichem Ärgernis. Süßwaren und Flachmänner wurden reduziert.

“Was ist mit meinem Geld,” meinte Köwenick besorgt. “Mein Geld.”


Der Herr Jakumeit kam wieder. “Der VV Fahrer sagt mir, daß du knapp bei Kasse bist.”

“Er wird sich irren. Sieht das so aus, als ob ich knapp bei Kasse bin?” “Ja,” sagte er, ”Es sieht so aus, als ob du knapp bei Kasse bist. Wieviel willst du für den Kiosk haben?”

“Siebzig, aber ich habe keine Intention zu verkaufen.”

“Kann sich ändern,” meinte Herr Jakumeit,” wir könnten einen Optionsvertrag schließen.”

“Jetzt?”

“Warum nicht jetzt.”

Sie schlossen einen Optionsvertrag über siebzigtausend Mark und Bernd hatte ein Papier, es Köwenick unter die Nase zu schieben.

“Du fürchtest um dein Investment?”

“Ich habe kein Investment. Ich habe einen Kreditvertrag.”

“Ist das was anderes?”

“Ja.”


Der Vertreter des Landesveterinäramtes kam und unterbreitete Bernd seine Vorstellungen.

“Ein Esel,” sagte er, damit man wusste worum es ging, ”ein Esel braucht Licht, Wasser, Unterkunft und Unterhaltung. Ich sehe hier Licht, Wasser von oben, aber keine Unterkunft und keine Unterhaltung. Ich war schon einmal da und habe sie nicht angetroffen,” setzte er erklärend hinzu und lehnte sich behaglich zurück, die Wirkung seiner Worte studierend.

“Der Esel ist ein Hengst und der Hengst weilt im Tierheim,“ klärte Bernd


den Beamten auf.

“Ich weiß,” sagte der, ”man hat uns benachrichtigt.”

“Wenn er kommt, voraussichtlich in zwei Wochen, richte ich ihm die Wohnung in dem kleinen Keller ein. Ein Stück rechts neben und hinter dem Haus wird als Gehege abgezäunt.”

“Sehr schön,” sagte der Beamte zufrieden, ”dann fehlt noch Licht und Unterhaltung. Wir Landesveterinäre überwachen die ordnungsgemäße Unterbringung der Tiere.”

“Licht?” Fragte Bernd interessiert, ”was verstehen sie unter Licht?”

“Ein Stall mit ein bis zwei Fenstern, hell und luftig. Würden sie in einem Keller leben wollen? Und gesicherte Betreuung. Das heißt es muß eine Person anwesend sein. Morgens, Mittags, Abends.”


“Karl Hannes,” sagte Bernd am Telefon, ”du als der Patenonkel hast die Verpflichtung, die Sache mit dem Hengst zu einem vorläufigen Ende zu bringen. Hilf mir einen Schuppen bauen. Mit zwei Fenstern.”

“Du und ich,” erklärte Bernd des nachts Jacqueline, ”müssen jetzt weniger essen. Wir müssen einen Anbau erstellen. Einen Stall.”

“Noch weniger essen? Ich werde Uta häufiger besuchen müssen. Was mag so ein Stall kosten?”

“Ich hab keine Ahnung, drei, viertausend Mark an Material.”

“Und wie willst du die auftreiben?”

“Weiß ich nicht. Muß irgendwie auch noch gehen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Esel kostet jeden Tag im Tierheim. Ich denke das wird jetzt schon so sechs, siebenhundert Mark ausmachen. Vielleicht kommen noch Arztkosten dazu.”

“Was ist wenn VV und BPV nicht mehr liefern?”

“Dann ist alles zu Ende. Aber deinen Kredit können wir mit dem Verkauf der Bude begleichen.”


“Die Steine kriegen wir vom Senatslager. Große Holblocksteine, Stück eine Mark bei Selbstabholung.” Karl Hannes hatte sich erkundigt. ”Was brauchen wir noch?”

“Kies, Zement, Kalk, Zement, Balken, Latten, Paneele, Kabel, Bretter, zwei Fenster, stabile Tür, Zarge, und das komplette Satteldach. Farbe und weiteres Zeug. Dann eine Menge Zaun.”

“Paneele?”

“Kann nicht viel teurer kommen. Dann ist es aber hübsch.”

Der Bau wuchs rasch und nahm Gestalt an. Die Größe bemaß sich an einer Geländevertiefung, die in eine Geländestufe ragte. Der Boden der Streifenfundamente war gewachsener Lehm, so daß auf eine Betonierung verzichtet werden konnte. Bernd schleppte die schweren Steine heran und reichte sie Karl Hannes durch den Buschsaum herunter. Drei Kellen Mörtel, wapp den Stein drauf, das Gleiche erneut.

“Sieht alles krumm und schief aus von hier oben,” mäkelte Bernd.

“Sieht man alles nicht mehr wenn die Paneele dran sind,” rechtfertigte sich Karl Hannes.

“Wir haben eine Wasserwaage,” sagte Bernd.

“Sieht alles gerade aus von hier unten,” sagte Karl Hannes, ”wird ein


schöner Stall.”

“Kommt ein Satteldach drauf,” keuchte Bernd, ”im Giebel dann Platz für eine kleine Sauna. Wollte ich schon seit der Grundschule haben.”


“Wir müssen ihnen den Bezug unserer Tageszeitungen versagen,” sagte die Tante von VV wenige Tage später durch den Telefonapparat,” sie können aber ihre Ware direkt bei uns in der Kurfürstenstrasse abholen. Gegen Barzahlung.”

“Wir werden Ihnen den Bezug unserer Magazine versagen müssen,” sagte die Tante von BPV, “wenn sie von jetzt ab nicht immer die Rechnung unseres Fahrers bezahlen.”

“Ich muß die Ware wieder einpacken,” sagte der Fahrer von BPV, ”wenn du die Rechnung nicht voll bezahlst.”

“Das Telefon ist abgestellt,” sagte Bernd zu Jacqueline. „Ganz plötzlich.“

“Hast du nichts mehr zu rauchen in der Bude?” Fragte Köwenick. “Wie könnte ich Nachtruhe finden, wenn du den Kaufvertrag nicht hättest.”

“Das Spiel läuft noch,” überlegte Bernd; ”ich muß den verdammten Stall fertigstellen, Esek holen und die Sache mit VV regeln.”


“Ein sehr schöner Stall,” sagte der Amtsveterinär bei der Abnahme, auf der er bestanden hatte. ”Ein sehr schöner Stall. Wann decken sie das Dach?”

“Vor dem Monsoon. Ich decke das Dach, wenn ich den Estrich eingebracht habe.”

“Fein, dann komme ich also wieder.”

„Ich ziehe heute noch eine Plane drüber, dann ist alles trocken.

”Fein, dann komme ich also nicht wieder.” Sie schüttelten sich die Hände und verloren sich aus den Augen.


Eine Front weniger, dachte er, es kann noch werden.

Esek wurde gegen siebenhundertfünfzig Mark in bar ausgelöst und zog ein, nachdem Bernd aus billigen Baustahlmatten und auf dem Grundstück anfallenden Stöckern eine Umfriedung hergestellt hatte, an die der Hengst sich nur gelegentlich hielt. Der Boden des Stalles wurde mit Lehm, der sich reichlich fand, geebnet.


Jacqueline hatte es immer mehr in die Nähe ihrer Mutter gezogen, die näher wohnte und warmes Essen herstellen konnte. Sie begann die bisher vage Beziehung zu ihrem leiblichen Vater, der erneut geheiratet hatte, zu pflegen und sich mit dessen derzeitigen Frau anzufreunden.

Bernd fütterte Oinky, der von seiner Wildheit nichts verloren hatte und Esek, der an Wildheit rasch zulegte und jeden Tag wuchs.

Die morgendlich täglichen Fahrten zu VV, die bar zu bezahlenden Warenpakete abzuholen, erlaubten eine Öffnung der Bude erst um neun Uhr, was sich drastisch im Umsatz niederschlug und die Kunden verunsicherte. “Gehen sie pleite?”

BPV lief noch, aber wiederum auf Kosten der Tabakwaren. Köwenick kam häufiger, sich zu vergewissern, ob Bernd noch in der Stadt weilte.


Schließlich stellte der Abendverlag seine Lieferungen ein. Naschwerk konnte nicht mehr angeboten werden. Mit Wein war Schluß. Es ging halt nicht mehr. “Verkauf endlich,” drängte Köwenick, der seit anderthalb Monaten keine Zinsen mehr gesehen hatte, ”bevor sie dir noch den Strom abstellen.”


Um zehn Uhr morgens an einem Dienstag trafen sie sich in einem kleinen Cafe in der Kantstraße. Bernd war mit der Bahn gekommen, da der Corvair den Geist aufgegeben hatte und nicht mehr anspringen wollte. Die Zeitungsbude war geräumt, die Remissionen hatten einen Warenwert von noch elftausend Mark erbracht, die unverzüglich mit den Außenständen verrechnet wurden, der Käufer war als neuer Pächter vom Tiefbauamt akzeptiert worden. Der Käufer wollte bar bezahlen und hatte das Geld bei sich., wie er eingangs behauptete.

Man einigte sich dahingehend, zunächst einen Kaffee zu bestellen und zu trinken.


“Laß machen,” sagte Bernd, nachdem er die Tasse geleert hatte, ”du hast die siebzigtausend bei dir?”

“Nein,” sagte Jakumeit. ”ich habe fünfunddreißigtausend bei mir.”

“Wie wäre das zu verstehen?” Fragte Bernd leicht irritiert. “Was ist mit dem Rest?”

“Was ist mit dem Rest?” Fragte Köwenick mit alarmierter Stimme.

“Nachdem du nunmehr die Kunden so lange mit zu geringem Warenbestand verprellt hast, bin ich nur noch bereit, die Hälfte zu bezahlen.” Jakumeit war sich seiner Sache sicher.

“Wir haben einen Vertrag,” sagte Bernd. ”Und da steht siebzigtausend drin. Und nichts von den Kunden.”

“Genau,” sagte Köwenick überflüssigerweise. ”Ihr habt einen Kaufvertrag.”

“Ich habe unter Vorbehalt unterschrieben, ”sagte Jakumeit, ”unter Vorbehalt.”

Bernd nahm den Vertrag aus der Tasche und faltete ihn auseinander, ”hier steht nichts von Vorbehalt. Den Text habe ich aufgestellt, du hast nur unterschrieben.”

“Aber mit Vorbehalt.”

“Wo.”

“U V Jakumeit,” sagte Jakumeit, ”das heißt unter Vorbehalt Jakumeit.” “Für mich ist das Ulrich Virgendwas Jakumeit. ”Sagte Bernd.

“Laß mich machen,” mischte sich Köwenick in den Wortwechsel, ”ich ruf meinen Vater in Düsseldorf an. Der ist Rechtsberater des Kruppkonzerns.”

Er telefonierte vom Tresen aus und schüttelte dann den Kopf. ”Er sagt das wäre rechtens,” flüsterte er, als Bernd herangetreten war. ”Was willst du jetzt machen?”

“Was bleibt mir schon übrig,” sagte Bernd, ”ich hab keine Ware mehr, der Ofen ist aus. Weg damit. Für fünfunddreissig. Was kriegst du?”

“Fünfunddreissig.”

“OK, vierunddreissigfünf und Schwamm drüber. Ich brauch was zu


fressen. Mir ist übel.”


Köwenick fuhr Bernd in seiner Taxe nach hause.

“Was willst du jetzt machen?” Fragte er, nachdem Bernd ihm an einer Ampel die vierunddreissigtausendfünfhundert Mark hingeschoben hatte.

“Brot und Fett kaufen, ich hab die letzten anderthalb Tage nichts zu fressen gehabt,” gutgelaunt fuhr Bernd fort, eine Woche Urlaub, dann was Neues. Mir gehts ja jetzt gut. Ich hab fünfhundert Mark.”

“Du kannst vom Arbeitsamt was kriegen.”

“Glaub ich nicht, bin immer selbständig gewesen.”

Der Sinn des Unsinns

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