Читать книгу Das Nachtvolk - Бернхард Хеннен - Страница 11
3. KAPITEL
Оглавлениеm Morgen war Jean zu ihrem Lager heraufgestiegen. Der alte Bauer hatte ihnen ein prächtiges Frühstück gebracht. Frisch gebackenes Brot, drei Hühnereier, einen gebratenen Fisch und etwas Pflaumenmus vom Vorjahr. Der Dorfälteste wollte ihnen sogar zehn Silberstücke anbieten, wenn sie nur wieder die Ruinen verließen und sich auf die Reise zurück nach Worms begaben. Er war der festen Überzeugung, daß sie der kleinen Siedlung Unglück bringen würden, wenn sie noch länger verweilten. Volker hatte das Silber in der Rechten abgewogen … Er war sich sicher, daß dies nicht die gesamten Ersparnisse des Dorfes waren. So arm sahen die Leute nicht aus. Er hatte den kleinen Lederbeutel genommen, zusätzlich noch Proviant für drei Reisetage verlangt, und so waren sie sich handelseinig geworden.
Länger an diesem Ort zu verweilen machte ohnehin keinen Sinn. Mit jeder Stunde, die sie noch blieben, vergrößerte sich nur der Abstand zu den Räubern. Vermutlich waren die Plünderer auf dem Weg zur Küste, um dort die Gefangenen an einen maurischen Sklavenhändler zu verkaufen.
Volker hatte Jean nach dem kürzesten Weg zur Küste gefragt, und der Bauer gab ihm eine sehr ausführliche Beschreibung. Der Spielmann fluchte leise. Wie hatte er diesem durchtriebenen Alten nur glauben können? Der Tag war grau und nebelig gewesen. Schon um die dritte Stunde hatte es begonnen zu regnen. Das Wasser rings um sie herum begann zu steigen. Den ganzen Morgen über hatte Golo auf seine griesgrämige Art geschwiegen. Der Knecht war dagegen gewesen, in den Sumpf zu reiten. Er hatte der trügerischen Sicherheit des Knüppeldamms nicht getraut.
Volker hob den Arm und gab Golo ein Zeichen anzuhalten, dann sprang er vom Pferd und spähte über das dunkle Wasser. Kurz vor ihnen senkte sich der Damm ein wenig und verschwand dann in den dunklen Fluten. Hier weiterzureiten wäre Selbstmord. Volker ballte wütend die Fäuste. Er war sich immer sicher gewesen, in einer Schlacht sein Ende zu finden … Einen Heldentod an der Seite seines Königs oder wenigstens umgeben von treuen Waffenbrüdern. Aber von einem Sumpfloch verschluckt zu werden … Nein, das konnte nicht das Ende sein! »Wir müssen zurück. Der Weg ist hier überflutet. Es geht nicht weiter.«
»Hinter uns ist es auch nicht besser. Wir sitzen hier fest. Am besten ist wahrscheinlich, wenn wir uns nicht von der Stelle bewegen.«
»Du meinst, wir sollen hier im Regen stehen und zusehen, wie das Wasser langsam steigt?«
»Habt Ihr einen besseren Vorschlag, Herr? Ich fürchte, das wird nur eine kurze Suche.« Golos Wallach schnaubte unruhig. »Hat Euch dieser Bauer nicht eine Flasche Branntwein mitgegeben? Vielleicht sollten wir das gute Tröpfchen vernichten. Ich meine, es macht doch keinen Sinn, wenn wir mit einer Feldflasche voller Schnaps versinken …«
»Wenn dir das Sterben betrunken leichter fällt …« Volker löste die strohumwickelte Tonflasche von seinem Sattelgurt und warf sie dem Knecht zu. Er konnte nicht begreifen, wie man in dieser Lage daran denken konnte, sich zu betrinken. Es mußte einen Ausweg geben! Der Spielmann schirmte die Augen mit der Hand gegen den Regen ab und spähte über die grauschwarze Wasserfläche. Doch es gab nichts außer ein paar Schilfinseln und einigen flachen Erhebungen, auf denen Weiden und niedrige Büsche wuchsen.
Das Wasser reichte ihm jetzt halb zur Wade hinauf. Seine Füße fühlten sich an wie zwei Eisklumpen. Vielleicht sollte er das nächste Mal auf Golo hören … Der Knecht lehnte an seinem Pferd und trank mit gierigen Schlucken aus der Flasche. Als er bemerkte, daß Volker ihn anstarrte, setzte er die Flasche ab. »Auch ’nen Schluck? Schmeckt teuflisch gut, Herr. Bei allem, was recht ist, Schnaps brennen können die Fischköpfe aus dem Dorf.«
Der Spielmann nickte und nahm dankbar die Flasche in Empfang. Wie flüssiges Feuer rann der klare Branntwein die Kehle hinab, und eine wohlige Wärme begann sich in seinem Bauch auszubreiten. Er nahm noch einen zweiten Schluck, verschloß die Flasche und hängte sie wieder an seinen Sattel.
»Ich könnte noch was vertragen«, maulte Golo.
»Wir werden jetzt weitergehen. Schnall meine Lanze von dem Packpferd. Ich werde sie nutzen, um nach festem Grund zu tasten. Halt dich ein paar Schritt hinter mir. Falls mir was passieren sollte, bleibst du am besten einfach stehen und betest, daß der Regen aufhört.«
»Worauf Ihr Euch verlassen könnt, Herr. Aber sagt, warum bleiben wir nicht gleich hier stehen?«
»Wie fühlen sich deine Füße an?«
»Eiskalt und naß. Warum fragt Ihr?«
Volker lächelte freudlos. »Wir werden hier nicht ertrinken, so hoch wird das Wasser nicht steigen, doch wenn wir still stehen bleiben, wird uns die Kälte umbringen. Verstehst du … Wir werden nicht erfrieren, doch unsere Kräfte zehren mehr und mehr aus. Wir werden Krämpfe in den Beinen bekommen. Der Kampf kann sich über ein bis zwei Tage hinziehen. Irgendwann brichst du erschöpft zusammen. Dann erst wirst du ertrinken. Noch habe ich die Freiheit, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ich werde mich mit Hilfe der Lanze vorwärtstasten. Vielleicht haben wir Glück und schaffen es bis zu einer der flachen Inseln. Wenn wir dort ein Feuer entfachen können, sind wir gerettet. Gib mir jetzt die Lanze!«
Golo konnte sich nicht erinnern, daß ihm jemals zuvor in seinem Leben so kalt gewesen war. Seine Hände waren ganz steif, und klappernd schlugen seine Zähne aufeinander. Noch immer tastete Volker sich mit der Lanze vorwärts. Bislang war es ihnen ganz gut geglückt, auf dem Weg zu bleiben. Ein bißchen bewunderte Golo sogar den Mut und die Ausdauer des Spielmanns. Nicht einmal hatte er über die Kälte geklagt!
Aber jetzt wurde es dunkel, und ein eisiger Wind wehte von Westen her über die Sumpflandschaft. Mit jedem Herzschlag schien es kälter zu werden. Es war sinnlos, sich noch etwas vorzumachen. Es gab keinen Ausweg. Sie würden den Sonnenaufgang nicht mehr erleben!
»He, bleib nicht zurück!« Volker hatte sich umgedreht und winkte ihm, mit den Pferden zu folgen. »Du darfst nicht lange an einer Stelle stehenbleiben und dich deinen Gedanken hingeben. Das ist nicht gut! Die Kälte wird dich dann schneller besiegen.«
»Ist es nicht egal, ob ich jetzt oder in ein paar Stunden sterbe?«
»Sag so etwas nicht. Dort hinten habe ich eine Insel gesehen, die etwas größer ist. Dort ist ein Licht. Wenn wir es bis dahin schaffen, sind wir gerettet. Dort muß ein Feuer sein!«
Golo kniff die Augen zusammen und spähte in die Finsternis. »Ich kann nichts sehen! Ihr macht mir etwas vor!«
»Bei meiner Ehre als Ritter, ich lüge nicht! Es war eine Tür, die für einen Moment lang geöffnet wurde. Deshalb sehen wir es jetzt nicht mehr.«
Der Knecht dachte an die Geschichten, die er über die Feen gehört hatte. Angeblich lebten sie nicht in dieser Welt. Man mußte geheimnisvolle Pforten passieren, um in ihre Königreiche zu gelangen. Ob es eines dieser Tore war, das Volker gesehen hatte? Golo rieb sich die Arme. Gleichgültig, wohin dieses Tor auch führen mochte. Es war dort sicher angenehmer als hier draußen im Schlamm. Angeblich feierten die Feen jede Nacht Feste, und ihre Tafeln bogen sich unter der Fülle erlesenster Speisen. Bestimmt führte die Pforte sie in einen Feenpalast! Welcher Mensch wäre schon so verrückt, hier mitten im Sumpf zu leben?
Volker blieb plötzlich stehen. Er stocherte mit der Lanze im Wasser herum und schüttelte schließlich den Kopf. »Wenn wir weiter dem Knüppeldamm folgen, entfernen wir uns von der Stelle, an der ich das Licht gesehen habe. Abseits des Dammes werden wir aber keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben. Was sollen wir tun?«
Golo fuhr sich über sein stoppeliges Kinn. »Wenn wir auf die Insel zugehen, haben wir wenigstens ein Ziel. Dieser Damm scheint mir ins Nichts zu führen. Versuchen wir das Stück durch den Sumpf zu kommen !«
»Und was ist, wenn wir in der Finsternis die Richtung verlieren?«
»Ihr denkt zuviel, Herr. So viele Möglichkeiten haben wir letzten Endes nicht. Entweder bleiben wir auf dem Damm und frieren uns die Seele aus dem Leib, oder wir wagen uns über das unsichere Wegstück. Wir werden entweder versinken oder aber in einer Stunde vor einem warmen Feuer sitzen. Vielleicht solltet Ihr ein Signal mit Eurem Horn geben. Egal, wer dort hinten auch haust, wenn er ein Herz im Leib hat, wird er uns ein Zeichen geben, damit wir die Richtung halten können.«
»Wie du meinst! « Der Spielmann schnallte das Horn von seinem Sattel und setzte es an die Lippen. Dreimal stieß er hinein, dann machte er eine kurze Pause und wiederholte das Signal. Hinter ihnen platschte etwas ins Wasser und entfernte sich rasch. Golo schluckte.
»Sicher nur eine Ratte oder ein Biber.«
Der Knecht nickte. »Bestimmt habt Ihr recht, Herr.« Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, solchen Lärm zu machen. Golo dachte an die Worte des alten Bauern. Indem sie die Köpfe der Normannen bestatteten, hatten sie angeblich den Zorn der Feenkönigin erweckt. Vielleicht streiften ihre Ritter oder irgendwelche unheimlichen Geschöpfe, die in ihren Diensten standen, durch den Sumpf und waren jetzt auf sie aufmerksam geworden. Wären sie nur niemals in dieses verfluchte Land gekommen! Im Geiste malte sich Golo schon aus, wie auch sein Kopf auf einem Pfahl steckte. Ihn würde bestimmt niemand erretten. Die Raben würden kommen und ihm das Fleisch vom Schädel picken.
»Wir sind sicher noch zu weit weg«, murmelte der Spielmann halblaut. »Wir müssen näher an die Insel kommen. Dann versuche ich es noch einmal.« Erneut stocherte er mit der Lanze im dunklen Wasser herum, dann verließ er den Weg.
Golo zögerte. Leise betete er zur Jungfrau Maria und folgte dem Ritter.
Volker wußte mittlerweile nicht mehr, in welche Richtung sie gingen. Ein Dutzend Mal oder noch öfter hatten sie Umwege machen müssen, um Schlammlöchern auszuweichen. Eine Orientierung war unmöglich. Der Himmel war von dunklen Wolken verhangen, und nicht einmal der Mond war noch zu sehen. Sie bewegten sich durch absolute Finsternis! Der Spielmann war sich inzwischen sicher, daß sie innerhalb der nächsten Stunden den Tod finden würden. Es gab kein Entkommen aus dieser Falle, in die sie Jean geschickt hatte. Er hätte den Bauern besser behandeln sollen!
Fast wie Hände griff der weiche Schlamm nach Volkers Füßen. Er stand knietief im Wasser, und mit jedem Schritt fiel es ihm schwerer, sich der kalten Umklammerung des Moors zu erwehren.
Noch einmal setzte er das Horn an die Lippen und blies sein Signal, doch glaubte er nicht mehr daran, daß sie gerettet würden. Vielleicht hatte er sich das Licht auf der Insel auch nur eingebildet, oder sie gingen längst in eine falsche Richtung und entfernten sich mit jedem Schritt weiter von sicherem Grund.
Hinter ihm ertönte ein Schrei. Erschrocken fuhr er herum. Golo steckte bis weit über die Hüften im Schlamm. Mit rudernden Bewegungen versuchte er sich zu befreien. Volker schien es, als würde der Knecht mit jedem Atemzug ein Stück weiter versinken.
»Halt dich fest.« Er reichte ihm das stumpfe Ende der Lanze. »Ich zieh’ dich heraus. Keine Sorge!«
Ein breiter Streifen goldenen Lichts fiel auf das Wasser. »Geh zwei Schritt zur Seite, Ritter. Auch du stehst nicht auf sicherem Grund. Und sag deinem Freund, er soll sich ganz still verhalten, sonst wird er nur um so schneller versinken.« Volker blickte über seine Schulter. Keine zehn Schritt hinter ihm stand eine hochgewachsene, schlanke Frau vor einer Tür aus verwittertem, grauen Stein.
Der Ritter tat wie ihm geheißen, und tatsächlich war der Boden, auf dem er nun stand, so fest wie gewachsener Fels. »Hast du gehört, Golo? Zapple nicht wie ein Fisch auf dem Trockenen!«
»Ihr habt gut reden!« fluchte der Knecht. »Ich möchte Euch einmal sehen, wenn Ihr das Gefühl habt, tausend kleine Teufel ziehen an Euren Füßen. «
»Nur mit der Ruhe, gleich bist du da heraus.« Der Ritter zog nach Leibeskräften an der Lanze, doch schien sich Golo keinen Zoll bewegt zu haben. Die steifgefrorenen Finger des Knechtes fanden keinen richtigen Halt am glatten Schaft der Lanze.
»Ich werde ein Seil holen«, rief die Frau auf der Insel und verschwand in der Finsternis.
»Bei allen Heiligen, ich schwöre, daß ich nie wieder fluchen oder einen Schluck Branntwein anrühren werde. Ich will auch nicht mehr lügen und …«
»Hör endlich auf, so herumzustrampeln, du Trottel!« fluchte Volker. »Dann werden die Heiligen dich vielleicht auch erhören!«
»Das Seil, Herr Ritter.« Wie ein Geist stand die Frau vom Ufer plötzlich hinter Volker. Einen Atemzug lang starrte er sie wie gebannt an. Sie war nicht sehr groß und ungewöhnlich blaß. Langes braunes Haar fiel ihr in Locken bis zu den Schultern hinab. »Macht es am Sattel Eures Hengstes fest. Nur er wird die Kraft haben, Euren Diener aus dem Sumpf zu holen.«
Der Krieger nickte stumm. Er knüpfte eine Schlinge in das Seil und warf es Golo zu. »Schling dir das um den Leib! Dann kannst du weiterbeten.«
Der Spielmann ging zu seinem Schlachtroß und strich dem Tier beruhigend über die Nüstern. »Nur ein kleines Stück noch, Lanzenbrecher, dann sind wir wieder auf festem Boden, und ich werde dich trockenreiben. Leg dich ins Zeug, mein Starker. Ich weiß, daß du es schaffen wirst.« Volker schlang das Seil um das Sattelhorn und nahm die Zügel des Pferdes. »Komm jetzt!«
Die Muskeln des großen Hengstes spannten sich. Leise knirschte das Sattelzeug. Wasser perlte vom gestrafften Seil. Der Knecht stöhnte. »Das Seil drückt mir die Luft ab.«
»Komm schon, Lanzenbrecher!« Volker griff jetzt auch nach dem Seil und zog nach Leibeskräften.
Golo stieß einen schrillen Schrei aus. »Etwas hat nach meinem Fuß gegriffen! Eine Klauenhand! Heilige Jungfrau Maria, hilf. Die Teufel sind gekommen, um mich in das Reich Luzifers zu zerren.«
»Vorwärts, Lanzenbrecher!« Volker gab dem Hengst einen Klaps auf die Hinterhand. Wiehernd bäumte er sich auf. Seine Hufe ließen das faulige Wasser aufspritzen. Es gab einen Ruck im Seil, und Golo war frei.
»Die Hand! Sieh nur her! Er hat die Hand abgerissen!« schrie der Knecht hysterisch und deutete auf seinen rechten Fuß. Etwas Dunkles, Armlanges hing daran.
Volker schlug ein Kreuz und kniete nieder. Dann lachte er laut auf. »Deine Hand ist nichts weiter als eine vermoderte Astgabel, an der du hängengeblieben bist.«
Golo starrte ungläubig auf das schwarze Holz. »Das kann nicht sein. Ich habe genau gefühlt, wie es zugegriffen hat. Das ist Zauberwerk der Feen! Ich bin mir sicher, daß es eine Hand war. Es hat sich in dem Augenblick verwandelt, in dem Ihr danach gegriffen habt, Herr.«
Volker lachte. »Hol dein Pferd und das Packtier. Wir sind gerettet.« Der Spielmann erhob sich und strich sich etwas verlegen über seine schmutzige Hose. In bester höfischer Manier verbeugte er sich vor seiner Retterin. Sie trug ein schlichtes, graues Leinenkleid, das am Saum mit zwei grünen Flicken ausgebessert war. »Meine Dame, ich weiß nicht, wie ich Euch danken kann. Ohne Eure Hilfe wären mein Knecht und ich sicherlich im Sumpf zugrunde gegangen. Ich schulde Euch mein Leben.«
Die Frau nickte. »Was Eure Schuld angeht, Herr Ritter, so wüßte ich sehr wohl, wie Ihr sie abtragen könntet. Überlaßt mir das Packpferd.«
Der Spielmann schluckte. Mit derart unbescheidener Gier hätte er nicht gerechnet. Er musterte die Frau. Ihr Gesicht war schmal, die Lippen zusammengepreßt. Sie hielt seinem Blick stand. Ihre großen, graugrünen Augen wirkten freundlich. Ihre ganze Erscheinung stand in krassem Gegensatz zu dieser maßlosen Forderung. Volker hatte gehofft, seine Schuld mit ein wenig charmanter Plauderei und ein paar Liedern vorm Kaminfeuer begleichen zu können.
»Wir haben den Geistern der Sümpfe ein Leben gestohlen«, erklärte sie leise. »Wir müssen ihnen dafür ein anderes zurückgeben, oder sie werden beim nächsten Mal die Schuld doppelt und dreifach eintreiben.«
»Was sagt Euer Pfaffe zu solch Götzendienst?«
»Ich beuge mein Haupt nicht vor den Priestern des Zimmermannssohns. Über ihn gibt es nur Worte. Die alten Götter aber kann ich spüren. Sie sind um mich herum, in den Bäumen und im Wind. Einmal bin ich im Sumpf sogar der Morrigan begegnet. Diese Götter sind mehr als nur Geschwätz. Genauso wie die Geister des Sumpfes.«
»Wohlan denn, meine Dame. Ich bin Ritter, und ich stehe zu meinem Wort. Ihr mögt das Packpferd haben. Wieviel haben wir zu zahlen, wenn Ihr uns für eine Nacht Unterschlupf gewährt? Wir müssen unsere Kleider trocknen und …«
»Ihr habt nichts begriffen! Ich will das Pferd nicht für mich. Der Sumpf fordert es! Die Gesetze der Gastfreundschaft verbieten mir, für ein Nachtquartier eine Belohnung zu verlangen, und Euer Angebot beleidigt mich, Edelmann!«
»Könnten wir darüber vielleicht vor dem Feuer in Eurer Hütte weiterreden«, mischte sich Golo ein und rieb sich zitternd die Arme. »Ich bin naß wie ein Fisch und obendrein halb verhungert.«
Die junge Frau deutete zur Tür. »Entschuldigt, es war unhöflich, Euch nicht hereinzubitten.«
»Ich werde erst die Pferde absatteln und trockenreiben. Dann mögt Ihr den Lohn für Eure freundliche Hilfe erhalten«, entgegnete Volker kühl.
»Habt Dank, Herr Ritter, aber es ist Eure Aufgabe, das Pferd in den Sumpf zu treiben. Nicht ich bin in Gefahr, sondern Ihr. Behaltet das Tier und fordert Euer Schicksal heraus. Mir ist gleich, was Ihr tut.« Ihre Retterin drehte sich um und verschwand durch die niedrige Tür.