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1. Abschnitt. Vorboten des Krieges.

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Das Schicksalsjahr 1914 begann mit einer Krisis, deren Ernst sich die wenigsten der Zeitgenossen bewusst waren. Die lange geplante und längst angekündigte Entsendung einer neuen deutschen Militärmission nach der Türkei unter General Liman von Sanders hatte große Erregung bei der russischen Regierung hervorgerufen. Diese sah in der Reorganisation des türkischen Heeres eine Gefährdung ihrer Eroberungspläne. Im Jahre 1913 war ein beabsichtigter russischer Angriff auf Armenien infolge deutschen Einspruchs unterblieben. Nun schien auch die Erfüllung des alten Wunsches nach Besetzung Konstantinopels und der Meerengen in unbestimmte Ferne gerückt. In Petersburg wurde erwogen, dieser Gefährdung überlieferter Pläne mit militärischen Zwangsmitteln entgegenzutreten und sogar die Gefahr eines europäischen Krieges zu laufen, wenn die Dreiverbandsgenossen ihre Unterstützung zusagten. Die französische Regierung erteilte carte blanche. Sie erklärte sich ohne Vorbehalt zur Unterstützung Russlands bereit, wie dies Poincare bereits mehrfach während der Balkankrise 1912/13 getan hatte. England jedoch hielt sich zurück. Deutschland fand eine für alle Teile befriedigende Lösung der Liman-Sanders-Angelegenheit und setzte sie in Konstantinopel durch. Die Krisis war beigelegt, die russischen Pläne blieben aber weiterhin in gefährlichen Bahnen. Die Vorbereitung einer Aktion gegen Konstantinopel und die Meerengen wurde eingeleitet und mit der diplomatischen Vorarbeit zu diesem großen Unternehmen begonnen. Der serbische Ministerpräsident kam nach Petersburg. Von allem, was er dort erlebte, ist nur seine Unterredung mit dem friedfertigsten aller Russen, dem Zaren, bekannt. Zwischen Russland und Frankreich fand — amtlich sowohl wie öffentlich — eine lebhafte Auseinandersetzung über die beiderseitigen Maßnahmen zur Verstärkung der Wehrkraft statt. Vor allem aber wurden Mittel gesucht, um die Zurückhaltung Englands gegenüber Konflikten zu beseitigen, die von Russland hervorgerufen würden. Um eine engere Bindung beider Mächte herbeizuführen, ist im April in Paris der Abschluss einer englisch-russischen Marinekonvention nach Muster der englisch-französischen Abkommen angeregt worden. Im Mai wurden in London die Verhandlungen eröffnet, die im August in Petersburg ihren Abschluss finden sollten. Die politische Bedeutung dieser Vorgänge wird durch die Tatsache beleuchtet, dass Russland erst bei dieser Gelegenheit in die englisch-französischen Vereinbarungen eingeweiht worden ist.

Unter dem unerträglichen Druck der wiedereingeführten dreijährigen Dienstzeit erlebte Frankreich eine Reihe innerpolitischer Krisen. Die Militärlast war so groß, dass von verschiedenen Seiten vorausgesehen wurde, die Regierung werde in naher Zukunft den Krieg als Ausweg aus ihren Schwierigkeiten wählen. In der Tat sind eine Reihe außerordentlicher Vorbereitungen Frankreichs für einen nahen Krieg bekannt geworden.

Über die deutsche Außenpolitik dieser Monate wird erst die große Aktenveröffentlichung des Auswärtigen Amts erschöpfende Auskunft geben. Vorläufig sind nur einige ihrer Brennpunkte, nämlich die Kaiserreisen, mit Urkunden hinreichend belegt. Sie verraten eine geringe, vielleicht zu geringe Besorgnis wegen der Zuspitzung der europäischen Lage. Sie beweisen aber unwiderleglich, dass Deutschland nichts ferner lag, als einen europäischen Krieg vom Zaune zu brechen. Für das Feindbunds-Märchen vom deutschen Überfall auf eine friedlich-stille Welt gibt es im ersten Halbjahr 1914 keine Belege.

Januar 1914.

Lloyd George erklärt im Daily Chronicle im Rahmen einer Erörterung der europäischen Rüstungen: Deutschlands Heer ist eine Lebensfrage, nicht nur für den Bestand des Reiches, sondern auch für die Existenz und die Unabhängigkeit des deutschen Volkes, das ja von anderen Nationen umgeben ist, von denen jede einzelne über Armeen verfügt, die den deutschen an Stärke nahezu gleichkommen. Dies Land ist so oft vom Feinde angefallen, überrannt und verwüstet worden, dass es sich in dieser Hinsicht keinen Gefahren aussetzen darf. Wir verlangen zur Sicherheit unserer Küsten eine sechzigprozentige Überlegenheit über Deutschland zur See, vergessen aber leicht, dass Deutschland selbst weit davon entfernt ist, zu Lande eine ähnliche Überlegenheit über Frankreich zu besitzen, von den russischen Kräften an seiner Ostgrenze ganz zu schweigen.

Bericht des russischen Botschafters in Paris (Siebert S. 664). Iswolski erklärt sich vom Standpunkt der russischen Interessen mit dem neuen Kabinett Doumergue zufrieden, das ihm die volle Unterstützung Frankreichs in der Liman-Sanders-Angelegenheit versprochen habe.

5. Januar.

Telegramm des russischen Botschafters in Paris, Nr. 617 {Siebert S. 668). Präsident Poincare bestätigt Iswolski, dass Frankreich fest entschlossen sei, in der Liman-Sanders-Angelegenheit zusammen mit Russland zu handeln. Der Botschafter findet, ,,dass trotz der aufrichtigen Friedensliebe Frankreichs in diesen Worten mit vollem Vorbedacht die ruhige Entschlossenheit ausgesprochen wird, sich unter den obwaltenden Verhältnissen nicht den Verpflichtungen zu entziehen, die das Bündnis mit Russland auferlege“.

7. Januar.

Memorandum Sasonows an den Zaren (Deutsches Weißbuch 1919, Anlage IX). Der Minister des Äußeren setzt dem Zaren auseinander, im Prinzip könne sich Russland einer deutschen Militärmission in der Türkei nicht widersetzen, ein deutsches Kommando in Konstantinopel müsse aber verhindert werden. Hierzu schlage er vor, sich der Unterstützung Frankreichs und Englands zu versichern und eine ernste militärische Aktion vorzubereiten, wenn auch damit zu rechnen sei, dass Deutschland die Türkei aktiv unterstütze. In diesem Falle würde die Entscheidung aus der Türkei an die Westgrenze verlegt werden mit allen Folgen eines großen Krieges.

10. Januar.

Beilegung der Liman-Sanders-Angelegenheit. Der General wird seines aktiven Kommandos im Wege der Beförderung enthoben.

12. Januar.

Als Nachfolger Delcassés wird der Direktor für politische und Handelsangelegenheiten im Ministerium des Äußeren Maurice Paleologue zum französischen Botschafter in Petersburg ernannt.

13. Januar.

Ministerkonferenz in Petersburg (Pokrowski, Drei Konferenzen, S. 32). Es werden Zwangsmaßnahmen gegen die Türkei in der Liman-Sanders-Angelegenheit erwogen.

Der Außenminister erklärt das Zusammenwirken der Mächte des Dreiverbandes als Voraussetzung. Wieweit England zu energischem Handeln bereit sei, erscheine ungewiss. Russland könne aber auf Frankreichs tatkräftige Unterstützung bis zum Äußersten rechnen.

Der französische Botschafter, Delcassé, habe im Namen seiner Regierung erklärt, Frankreich werde so weit gehen, wie Russland es wünsche. — Durch energisches, aber vorsichtiges und einmütiges Handeln der drei Mächte lasse sich ein Erfolg erzielen, der nicht unbedingt einen Krieg mit Deutschland zur Folge haben müsse.

Frankreich und Russland allein vermöchten wohl Deutschland keinen tödlichen Schlag zu versetzen, dieses sei sich aber der Gefahren eines englischen Eingreifens voll bewusst. — Der Kriegsminister und der Generalstabschef erklären kategorisch, dass Russland durchaus imstande sei, den Kampf mit Deutschland aufzunehmen. — Schließlich wird jedoch beschlossen, die Gefahr eines Krieges mit Deutschland nur dann auf sich zu nehmen, wenn die aktive Beteiligung Frankreichs und Englands sicher sei.

14. Januar.

Stadtverordnetensitzung in Paris (Die Deutsche Nation, III, S. 359, Mai 1921). Die Stadtverwaltung beschließt, mit Hilfe namhafter Aufwendungen, in die sie sich mit den Militärbehörden teilt, die Mehlvorräte von Paris so weit zu erhöhen, dass die Stadt während der Verkehrssperre einer Mobilmachung keinen Mangel zu leiden brauche. Der Militärgouverneur von Paris, General Michel, erklärt anlässlich dieser Beratung: „Die Zeit drängt. Dieses Jahr ist ein ganz besonderes Jahr. Wir wissen nicht, was es uns bringen wird. Wir wissen nicht, ob wir nicht die Mobilmachung im März oder April haben werden.“

16. Januar.

Bericht des russischen Botschafters in Berlin (Siebert S. 671). Swerbejew ,,kann nicht umhin, zu erklären, dass das Berliner Kabinett in der Tat alles ihm Mögliche getan hat, um unsere berechtigten Wünsche (in der Liman-Sanders-Angelegenheit) zu erfüllen und dass ihm dies wegen der gegen die Regierung gerichteten Zeitungskampagne nicht leicht gewesen ist“.

Bericht des belgischen Gesandten in Paris, Nr. 158 (Belgische Aktenstücke 1905-1914, S. 127; Schwertfeger, Zur europäischen Politik, IV, S. 173). Guillaume erörtert die innerpolitischen Verhältnisse Frankreichs. ,,Ich hatte schon die Ehre, Ihnen zu berichten, dass es die Herren Poincare, Delcassé, Millerand und ihre Freunde gewesen sind, die die nationalistische, militaristische und chauvinistische Politik erfunden und befolgt haben, deren Wiedererstehen wir feststellen mussten. Sie bildet eine Gefahr für Europa — und für Belgien. Darin erblicke ich die größte Gefahr, die heute den Frieden Europas bedroht, nicht als ob ich zu der Annahme berechtigt wäre, dass die französische Regierung vorsätzlich den Frieden stören will — ich glaube eher das Gegenteil — , sondern weil die Haltung des Kabinetts Barthou meiner Ansicht nach das Anschwellen militaristischer Neigungen in Deutschland hervorgerufen hat. Die Kriegsgelüste der Türkei und das Gesetz über die dreijährige Dienstzeit (in Frankreich) scheinen mir die einzigen Gefahren zu bilden, die den Frieden Europas bedrohen.“ Der Gesandte legt dann die Gefahren dar, die das französische Heeresgesetz in sich birgt.

29. Januar.

Unterredung des Zaren mit dem französischen Botschafter (Bericht an den französischen Senat, 704/1919, S. 69, 103). Der Zar erklärt Delcassé: ,,Die Anstrengungen, die Deutschland macht, um seinen Einfluss in der Türkei geltend zu machen und zu befestigen, werden zu einem vielleicht unvermeidlichen Zusammenstoß zwischen den deutschen Bestrebungen und den russischen Interessen führen. Wir werden in Berlin vorstellig werden und werden uns nicht auf die Füße treten lassen.“ — ,,Wir brauchen das offene Meer, wenigstens im Süden. . . . Ich weiß, dass der Weg über Wien, entgegen dem Anschein, nicht der nächste Weg nach dem Balkan ist. Dieser führt über Berlin.“

2. Februar.

Unterredung des Zaren mit dem serbischen Ministerpräsidenten (Deutsches Weißbuch 1919, Anlage VI, 26). Im Laufe der Erörterung der russischen und der serbischen Politik werden auch die großserbischen Bestrebungen besprochen, die der Zar billigt. Paschitsch spricht hierbei von der Möglichkeit, Bulgarien Gebiet abzutreten, wenn es Serbien zum Erwerb der kroatischen und slowenischen Teile Österreich-Ungarns helfe. Er bittet, dem serbischen Thronfolger eine Tochter des Zaren zur Frau zu geben, die Zarin des serbisch-kroatischen Volkes werden könne. Der Zar hört diesen Wunsch „mit sichtlicher Freude“ an und verspricht zum Schluss, für Serbien werde Russland alles tun.

5. Februar.

Erlass des Ministers des Äußeren in Petersburg an den russischen Geschäftsträger in Cettinje, Nr. 61 (siehe Boghitschewitsch, Kriegsursachen, S. 122). Das russische Kriegsministerium hat 4 000 000 Rubel für den Unterhalt des montenegrinischen Heeres, 500 000 Rubel für Instrukteure und 15 000 000 Rubel für die Versorgung der montenegrinischen Truppen mit Artillerie und Kriegsmaterial bewilligt.

12. Februar.

Telegramm des Ministers des Äußeren in Petersburg an die russischen Botschafter in London und Paris, Nr. 252 (Siebert S. 805). Sasonow regt einen engeren Zusammenschluss des Dreiverbandes an.

Zu diesem Zwecke sollen der russische und französische Vertreter in London, in Fortsetzung der vorjährigen (allgemeinen) Botschafterkonferenz, gemeinsame Beratungen mit dem englischen Staatssekretär des Äußeren pflegen.

18. Februar.

Telegramm des russischen Botschafters in London, Nr. 39 (Siebert S. 806). Benckendorff berichtet, sein französischer Kollege und er hätten Grey den russischen Vorschlag gemeinsamer Beratungen mit der Begründung vorgeschlagen, dass nur hierdurch die Geschlossenheit des Dreibundes aufgewogen werden könne. Grey erklärt sich mit diesem Vorgehen einverstanden und setzt die erste Beratung auf den folgenden Tag an.

20. Februar.

Bericht des belgischen Gesandten in Berlin (Belgische Aktenstücke 1905—1914, S. 128). Beyens hat den französischen Botschafter gefragt, ob das deutsch-französische Einvernehmen in Kleinasien (Abkommen vom 15. Februar) die Beziehungen beider Länder verbessern werde. Jules Cambon verneint dies. „Wir haben seit der Dreyfusaffäre auch in Frankreich eine militaristische und nationalistische Partei, die um keinen Preis etwas von einer Annäherung an Deutschland wissen will, und die einen großen Teil der Zeitungen in ihrem aggressivem Ton bestärkt.

Die Regierung müsste mit ihnen und mit der Partei, deren Sprachrohr sie sind, rechnen, falls sich, wiederum ein ernster Zwischenfall zwischen den beiden Völkern ereignen sollte.

Unbestreitbar wünscht die Mehrzahl der Deutschen und Franzosen in Frieden zu leben. Aber in beiden Ländern träumt eine mächtige Minorität nur von Schlachten und Eroberungs- oder Revanchekämpfen.

Darin liegt die Gefahr, neben der man wie neben einem Pulverfass leben muss, dessen Explosion durch eine Unvorsichtigkeit hervorgerufen werden könnte.“

21. Februar.

Außerordentliche Ministerkonferenz in Petersburg (Pokrowski, Drei Konferenzen, S. 46). Es werden Maßnahmen zur Eroberung der Dardanellen „in nicht ferner Zukunft“ erwogen, die allerdings nur im Rahmen eines europäischen Krieges möglich sei. Eine Reihe militärischer Vorkehrungen wird beschlossen.

23. Februar.

Bericht des russischen Geschäftsträgers in Cettinje, Nr. 5 (Boghitschewitsch S. 122). Der Geschäftsträger findet die vom russischen Kriegsministerium für die montenegrinische Armee ausgeworfenen Beträge übertrieben hoch. — Er ist beunruhigt durch die Haltung Serbiens, das sich um Unterbringung von Instrukteuren im montenegrinischen Heer bemüht und das anscheinend Russlands „machtvolle Unterstützung in dem unvermeidlichen und gewiss (jetzt) vorzeitigen Kampfe Serbiens gegen die österreichische Monarchie auszunutzen gedenke“.

3. März.

Aufzeichnung der politischen Abteilung des Ministeriums des Äußeren in Brüssel (Direction P, Nr. D II 4). Der Militärattaché in Paris habe Abänderungen des französischen Kriegsplanes von solcher Wichtigkeit gemeldet, dass hierüber ein Meinungsaustausch zwischen Ministerium des Äußeren und Kriegsministerium stattfinden müsste, um entsprechende Maßnahmen zu veranlassen. „Das Wesentlichste an dieser Meldung ist, dass der französische Kriegsplan nicht mehr die Verletzung belgischen Gebiets im Falle eines Krieges mit Deutschland vorsieht.“

5. März.

Bericht des russischen Ministers des Äußeren an den Zaren (Deutsches Weißbuch 1919, Anlage X, 1). Sasonow unterbreitet die Beschlüsse der außerordentlichen Ministerkonferenz vom 21. Februar, die „ein umfangreiches Aktionsprogramm“ darstellen, um Russland „eine günstige Lösung der Meerengenfrage in dem Falle zu sichern, dass die Ereignisse es zwingen sollten, seine Interessen am Bosporus und an den Dardanellen zu schützen“. — Die Beschlüsse werden vom Zaren genehmigt.

10. März.

Bericht des belgischen Gesandten in Paris (Belgische Aktenstücke 1905-1914, S. 130). Guillaume erörtert die Rolle des Präsidenten Poincare und den Sturz des Kabinetts Barthou (am 2. Dezember 1913). „Es ist für niemand ein Geheimnis, dass der Sturz des Kabinetts Barthou dem Präsidenten der Republik sehr peinlich war. . . . Er sah darin einen Misserfolg seiner militaristischen und nationalistischen Politik, die er systematisch schon seit dem Tage verfolgt, an dem er als Ministerpräsident an die Spitze der Regierung gestellt worden war. Zusammen mit den Herren Delcassé. Millerand und einigen anderen predigte er unablässig die politische und militärische Wiederaufrichtung Frankreichs im Verein mit der Schaffung engerer und vertrauensvollerer Beziehungen zu Russland. Er ging als Ministerpräsident nach Petersburg; in einigen Monaten wird er als Präsident der Republik dorthin zurückkehren. Er schickte kürzlich Herrn Delcassé dorthin, den er mit der Mission beauftragt hatte, mit allen Mitteln die Wohltaten der französisch-russischen Allianz zu unterstreichen und das große Kaiserreich zu einer Vergrößerung seiner militärischen Vorbereitungen zu veranlassen.“

12. März.

Bericht des russischen Botschafters in Berlin (Siebert S. 713). Swerbejew hat in Erfahrung gebracht, dass . .die wachsende militärische Kraft Russlands in Berlin immer ernstere Befürchtungen auslöse“. Die Erörterung der deutsch-russischen Beziehungen stehe ganz im Zeichen der Furcht vor Russland. Die Petersburger Börsenzeitung veröffentlicht einen vom Kriegsminister Suchomlinow veranlassten. aufsehenerregenden Artikel: „Russland ist kriegsbereit“. Die russische Armee sei nunmehr in der Lage, im Kriegsfalle einen offensiven Operationsplan auszuführen. Sie sei mit allem ausgerüstet und in letzter Zeit um ein Drittel vermehrt worden. .,Es ist wichtig, dass die russische öffentliche Meinung sich dessen bewusst ist, dass das Vaterland auf jede Möglichkeit gefasst ist“ (Deutsches Weißbuch 1919, Anlage X, 2).

18. März.

Bericht des russischen Botschafters in Paris. Iswolki regt an, zur Herstellung engerer Beziehungen zwischen Russland und England die günstigen Gelegenheiten auszunutzen, die der bevorstehende Besuch des englischen Königs in Paris bieten würde, um zu politischen und militärischen Abmachungen zu gelangen, wie sie zwischen England und Frankreich bestünden.

23. bis 25. März.

Kaiser Wilhelm besucht den Kaiser Franz Joseph in Wien, den Erzherzog-Thronfolger in Miramar und den König von Italien in Venedig. — Der deutsche und der österreichische Kaiser stimmen überein in ihren Besorgnissen wegen der unsicheren Haltung Rumäniens und wegen der militärischen Rüstungen Russlands. Kaiser Wilhelm nimmt jedoch nicht an, dass die letzteren kriegerischen Absichten gegen Deutschland oder Österreich-Ungarn entsprängen, sondern führt sie auf Frankreichs Forderungen bei der Bewilligung von Anleihen zurück und auf den Wunsch nach ausreichender Rückendeckung bei einem möglichen Vorgehen gegen die Türkei. Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza spricht sich für eine gemeinsame Balkanpolitik des Dreibundes aus, entsprechend dem Vorgehen des Dreiverbandes, der jetzt gerade auf dem Balkan besonders tatkräftig und geschickt zusammenarbeite. — Der Erzherzog-Thronfolger wünscht die Beteiligung Griechenlands und Rumäniens an der Abwehr der panslawistischen Bestrebungen. Kaiser Wilhelm befürwortet ein Entgegenkommen Ungarns gegen Rumänien. (Berichte des Gesandten v. Treutier vom 23. und 28. März sowie des Botschafters v. Tschirschky vom 10. Mai 1914, Deutsche Politik, V, 24, vom 11. Juni 1920).

2. April.

Erlass des Ministers des Äußeren in Petersburg an den russischen Botschafter in Paris, Nr. 23 (Siebert S. 806). Sasonow ist mit dem Vorschlag Iswolskis vom 18. März einverstanden. Der Ausbau des Dreiverbandes zu einem Dreibunde sei die Aufgabe der Gegenwart. Der Botschafter möge beim Präsidenten Poincare und dem Ministerpräsidenten Doumergue anregen, dem englischen König und seinen Ministern bei ihrem bevorstehenden Besuche zu verstehen zu geben, ,,dass ein engeres Abkommen zwischen Russland und England auch in Frankreich als ein freudiges Ereignis begrüßt werden würde, welches für alle drei Teilhaber der gegenwärtigen Triple-Entente gleichermaßen erwünscht sei“. Die Pariser Regierung möge auch Grey vorschlagen, die Petersburger Regierung in die englisch-französischen Abmachungen einzuweihen.

4. April.

Bericht des belgischen Gesandten in Berlin, Nr. 369 (Schwertfeger, Zur europäischen Politik, IV, S. 188). Beyens erörtert die Unwahrscheinlichkeit eines deutsch-russisch-französischen Bündnisses. „Die japanische Militärmission, die jetzt nach Deutschland gekommen ist, nachdem sie sich einige Zeit in Russland aufgehalten hat, war betroffen von den deutschfeindlichen Gefühlen, von denen heute die russischen Offiziere beseelt sind. In den Offizierskasinos haben die Offiziere offen von einem nahe bevorstehenden Kriege gegen Österreich-Ungarn und Deutschland sprechen hören. Man sagte dort, die Armee sei bereit, ins Feld zu ziehen, und der Augenblick sei ebenso günstig für die Russen wie für ihre Verbündeten, die Franzosen.“ Der Bericht schließt mit der Betrachtung: ,,Die Feindseligkeit, die sich in Russland gegen Deutschland kundtut, könnte für die Erhaltung des Friedens gefährlich werden, wenn sie in der Umgebung des Zaren einen einflussreichen Wortführer fände.“

9. April.

Bericht des russischen Botschafters in Berlin (Siebert S. 714). Swerbejew stellt fest, dass die Besserung der deutsch-russischen Beziehungen seit Beilegung der Liman-Sanders-Angelegenheit nur eine scheinbare sei. In Wirklichkeit bestehe eine starke Beunruhigung wegen der militärischen Maßnahmen Russlands fort, und es gäbe Kreise, die einen Präventivkrieg für angezeigt hielten. Trotzdem sei er gewiss, „dass das Berliner Kabinett den Standpunkt der kriegerischen Elemente Deutschlands nicht teilt, . . . sondern es vorzieht, ehe es den entscheidenden Schritt tut, alle friedlichen Mittel zu versuchen, um eine Versöhnung der beiderseitigen Interessen zu erzielen“. Bericht des russischen Botschafters in Paris (Siebert S. 808). Iswolski hat den Ministerpräsidenten Doumergue bereitgefunden. Verhandlungen über eine russisch-englische Annäherung herbeiführen. „Er meint, dass es ihm sehr leicht sein werde, überzeugende Argumente zugunsten dieses Gedankens anzuführen, weil es ganz augenscheinlich ist, dass da Frankreich besondere militär-maritime Vereinbarungen mit Russland und England habe dieses System durch entstehende Vereinbarungen zwischen Russland und England koordiniert und ergänzt werden müsse. Domergue glaubt, dass das russisch-englische Abkommen die Form einer Marinekonvention annehmen müsste und dass dabei vielleicht technische Beratung zwischen den drei Admiralstäben erforderlich sein würden.“

18. April.

Telegramm des französischen Botschafters in Petersburg Nr. 154, 105 (Prawda Nr. 6 vom 2. März 1919). Paléologue berichtet, die letzte Unterredung des Zaren mit dem Minister des Äußeren vor der Abreise nach der Krim sei der Frage eines englisch-russischen Bündnisses gewidmet gewesen. „Bei der Beratung über die mehr „der weniger nahe Bedrohung durch einen Zusammenstoß zwischen Russland und Deutschland fasste der Zar auch die Möglichkeit der Erneuerung von Feindseligkeiten zwischen Griechenland und der Türkei ins Auge.“

Dann würden die Meerengen geschlossen werden, und Russland müsse sie sich mit Gewalt öffnen.

Der Zar hoffe auf den schnellen Abschluss eines Abkommens mit England, um Deutschland zu verhindern, der Türkei im Falle eines russischen Vorgehens zu helfen. Paléologue erinnert daran, dass der Zar Poincare habe bitten lassen, selbst bei dem König von England eine russisch-englische Annäherung zu befürworten. Er regt an, dass Poincare dem Zaren persönlich über das Ergebnis dieser Unterredung berichte.

21. bis 24. April.

Besuch des englischen Königs und des Staatssekretärs des Äußeren Grey in Paris.

29. April.

Bericht des russischen Botschafters in Paris (Prawda Nr. 6 vom 2. März 1919). Iswolski fasst die Ergebnisse der englisch-französischen Besprechungen zusammen.

Es habe Übereinstimmung darüber geherrscht, dass die bestehenden Abmachungen zwischen England und Frankreich keiner Ergänzung bedürften.

Ferner wurde anerkannt, dass diese enge politische Gemeinschaft beider Länder auf Russland auszudehnen sei. Grey habe erklärt, er sei durchaus bereit, eine Marinekonvention mit Russland nach Art der englisch-französischen zu schließen, und er gedenke auch den Widerstand einiger Kabinettsmitglieder gegen eine weitere Annäherung an Russland zu überwinden.

Die notwendigen Vorbereitungen werde er sogleich treffen. — Die französischen Teilnehmer der Besprechungen drücken Iswolski ihre Verwunderung aus über ,,die von Sir E. Grey klar ausgesprochene und bestimmte Bereitwilligkeit, den Weg einer engeren Annäherung an Russland zu beschreiten“.

Anfang Mai.

Der französische Botschafter Beau in Bern leitet Verhandlungen mit der Schweiz ein betreffend die Sicherung ihrer Getreidezufuhr über französische Bahnen im Kriegsfalle. Der Militärattaché Major Pageot erklärte im Laufe dieser Verhandlungen, eine deutsch-französische Auseinandersetzung sei unabwendbar, da Deutschland in eine Neuregelung der elsass-lothringischen Frage nicht einwilligen wolle. Frankreich könne auf die Mitwirkung Russlands und Englands rechnen. Italien werde sich wohl ruhig verhalten. Deutschland würden alle Zufuhren gesperrt werden, so dass die Schweiz für ihre Versorgung ganz auf Frankreich angewiesen sei. Letzteres wolle sich verpflichten, für die Bedürfnisse der Eidgenossenschaft zu sorgen und sogar das nötige rollende Material zur Verfügung stellen, wenn es der schweizerischen Neutralität sicher sei und Gewähr geleistet würde, dass das durch Frankreich eingeführte Getreide im Lande verbleibe (Botschafter v. Schoen im Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 646, vom 21. Dezember 1918).

8. Mai.

Bericht des belgischen Gesandten in Paris, Nr. 1544 (Belgische Aktenstücke 1905 — 1914, S. 134; Schwertfeger, Zur europäischen Politik, IV, S. 193). Guillaume spricht, an den Besuch des Königs von England in Paris anknüpfend, über Kriegsmöglichkeiten. „Unstreitig ist die französische Nation in diesen letzten Monaten chauvinistischer und selbstbewusster geworden. Dieselben berufenen und sachverständigen Persönlichkeiten, die vor zwei Jahren sehr lebhafte Befürchtungen bei der bloßen Erwähnung von möglichen Schwierigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland äußerten, stimmen jetzt einen anderen Ton an; sie behaupten, des Sieges gewiss zu sein, machen viel Aufhebens von den übrigens wirklich vorhandenen Fortschritten, die die französische Armee gemacht hat, und behaupten, sicher zu sein, das deutsche Heer zum mindesten lange genug in Schach halten zu können, um Russland Zeit zu lassen, mobil zu machen, Truppen zusammenzuziehen und sich auf seinen westlichen Nachbarn zu stürzen.“ — ,,Ein erfahrener und hochgestellter Diplomat sagte neulich: „Wenn sich jetzt plötzlich eines Tages ein ernster Zwischenfall zwischen. Deutschland und Frankreich ereignet, so werden die Staatsmänner beider Länder sich bemühen müssen, ihm innerhalb der nächsten drei Tage eine friedliche Lösung zu geben, oder es gibt Krieg.“ — Eines der gefährlichsten Momente in der augenblicklichen Lage ist die Rückkehr Frankreichs zum Gesetz der dreijährigen Dienstzeit. Sie wurde von der Militärpartei leichtfertig durchgesetzt, aber das Land kann sie nicht ertragen. Innerhalb von zwei Jahren wird man auf sie verzichten oder Krieg führen müssen.“

22. Mai.

Unterredung Grey - P. Cambon-Benckendorff (Bericht des russischen Botschafters in London vom 23. Mai, Siebert S. 814). Der englische Staatssekretär erklärt dem französischen und russischen Botschafter, der Ministerrat habe den Abschluss einer englisch-russischen Konvention nach Art der englisch-französischen gebilligt.

Er und Cambon geben Benckendorff die politischen Abmachungen zwischen England und Frankreich vom 22./23. November 1912 bekannt. Sie verabreden, dass die Verhandlungen über eine englisch –russische Marinekonvention zunächst durch den russischen Marineattaché in London geführt werden sollen.

26. Mai.

Beratung des russischen Admiralstabs über den Inhalt der englisch-russischen Marinekonvention (Siebert S. 818). Russlands Interesse erfordere, dass England einen möglichst großen Teil der deutschen Flotte in der Nordsee festhalte und Transportschiffe in die Ostsee entsende, um eine russische Landung in Pommern zu ermöglichen. Im Mittelmeer komme es darauf an, einen österreichisch-italienischen Angriff auf das Schwarze Meer zu verhindern und den russischen Schiffen die englischen Flottenstützpunkte zur Verfügung zu stellen.

2. Juni.

Rücktritt des französischen Kabinetts Doumergue.

4. Juni.

Viviani übernimmt die Neubildung des französischen Kabinetts.

6. Juni.

Der am Tage zuvor in Paris eingetroffene französische Botschafter in Petersburg, Paléologue, erklärt Briand, er werde zurücktreten, wenn das neue Kabinett die dreijährige Dienstpflicht nicht beibehielte, und bittet ihn, dies Viviani mitzuteilen. Der Krieg stehe nahe bevor (Paleologue S. 228). Viviani gibt seine Bemühungen um eine Kabinettsbildung auf, da die beiden Radikalen, die er aufnehmen wollte, auf Rückkehr zur zweijährigen Dienstpflicht bestehen.

9. Juni.

Ein französisches Kabinett wird unter Ribot gebildet. Bericht des belgischen Gesandten in Paris (Belgische Aktenstücke 1905-1914, S. 136). Guillaume schildert die Schwierigkeiten der Kabinettsbildung, die nunmehr überwunden schienen. „Die Pressekampagne zugunsten der dreijährigen Dienstzeit war in den letzten Tagen außerordentlich heftig. Man griff zu allen Mitteln, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, und wollte dabei selbst die Person des Generals Joffre kompromittieren. Auch den französischen Botschafter in Petersburg haben wir — gegen alle Gewohnheit — eine für die Zukunft Frankreichs recht gefährliche Initiative ergreifen sehen. Ist es wahr, dass das Petersburger Kabinett das Land zur Annahme des Gesetzes über die dreijährige Dienstzeit gedrängt hat und heute seine Aufrechterhaltung mit seinem ganzen Gewicht verlangt? Es ist mir nicht gelungen, über diesen heiklen Punkt Aufklärung zu erhalten, aber er wäre von umso ernsterer Bedeutung, als die Männer, die die Geschicke des Zarenreiches lenken, wissen müssen, dass die dem französischen Volke zugemutete Anstrengung zu groß ist und nicht lange andauern kann. Sollte sich daher vielleicht die Haltung des Petersburger Kabinetts auf die Überzeugung gründen, dass die Ereignisse nahe genug bevorstehen, um sich des Werkzeugs bedienen zu können, das es seinem Verbündeten in die Hand geben will?“

11. Juni.

Der Staatssekretär des Äußeren antwortet im englischen Unterhause verneinend auf die Anfrage des Abgeordneten King, ob zwischen England und Russland kürzlich irgendein Marineabkommen abgeschlossen worden sei, und ob irgendwelche Verhandlungen über diesen Gegenstand kürzlich stattgefunden hätten oder noch stattfänden. „Keine derartigen Verhandlungen sind im Gange, und es werden, soweit ich das beurteilen kann, voraussichtlich keine eingeleitet werden.“ Bericht des belgischen Gesandten in London (Belgische Aktenstücke 1905-1914, S. 137). Lalaing stellt fest, die Bildung des französischen Kabinetts Ribot werde „mit großer Genugtuung aufgenommen, denn man ist der Ansicht, dass nur die Anwendung des Gesetzes über die dreijährige Dienstzeit die Republik in die Lage versetzten kann, den Verpflichtungen, die sie an ihren Verbündeten Russland oder an ihren Freund England binden, zu genügen“.

11. bis 14. Juni.

Besuch Kaiser Wilhelms beim Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand in Konopischt. — Angesichts der Gefahr eines griechisch-türkischen Konfliktes wird beschlossen, mit Rumänien wegen der Sicherung des Bukarester Friedens in Verbindung zu treten. Bei der Erörterung der Annäherungsversuche Bulgariens wird beiderseits eine persönliche Abneigung gegen den König Ferdinand festgestellt. Der Erzherzog-Thronfolger beklagt sich über die unfreundliche Haltung Italiens zu Österreich-Ungarn. Kaiser Wilhelm versucht das Misstrauen Franz Ferdinands gegen König Victor Emanuel zu zerstreuen. Ferner beklagt sich der Erzherzog-Thronfolger über Tiszas ungarische Politik. Kaiser Wilhelm nimmt zwar die Person des Ministerpräsidenten in Schutz, befürwortet aber Entgegenkommen gegen Rumänien (Bericht des Gesandten v. Treutier vom 14. Juni und des Botschafters v. Tschirschky Vom 19. Juni 1914. Deutsche Politik, V, 20, vom 14. Mai 1920).

12. Juni.

Bericht des belgischen Gesandten in Berlin, Nr. 645 (Belgische Aktenstücke 1905—1914, S. 138; Schwertfeger, Zur europäischen Politik, IV, S. 202). Beyens erörtert die französische Kabinettskrisis und die dreijährige Dienstzeit. „Man muss sich doch fragen, ob nicht das Kabinett Barthou und der Präsident der Republik übereilt gehandelt haben; ob sie nicht Von den wahren Absichten der kaiserlichen (deutschen) Regierung, als sie letztes Jahr ihre Gesetzesvorlage über die Heeres-Vermehrung einbrachte, schlecht unterrichtet waren, und ob sie recht daran taten, Zug um Zug mit dem Gesetz über die dreijährige Dienstzeit zu antworten, anstatt sich zu vergewissern, ob die Verstärkung der deutschen Effektivbestände tatsächlich eine gegen Frankreich gerichtete Waffe bedeutete. Ich komme zu dem Schluss, dass, wie es Herr von Bethmann-Hollweg auf der Tribüne des Reichstags sagte, die Gefahr eines Balkanbundes, der später einen großen Teil der österreichischen Kräfte lahmlegen könnte, der Hauptgrund für das deutsche Gesetz von 1913 gewesen ist. Einige Wochen nach der Einbringung dieses Gesetzes hatte der Balkanbund aufgehört zu bestehen. Aber die kaiserliche Regierung befand sich einer neuen, von ihr nicht vorhergesehenen Gefahr gegenüber: die Einbringung eines Gesetzes über die Erhöhung der Präsenzstärke der französischen Armee, an die sich eine heftige Kampagne von Reden und Zeitungsartikeln gegen Deutschland anschloss.“ Der Gesandte bemängelt die französische Haltung Deutschland gegenüber. „Die Mehrheit des französischen Volkes will gewiss keinen Krieg, und Deutschland braucht diesen Krieg nicht. In wenigen Jahren wird ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen ihm und seinem Nachbarn nicht mehr möglich sein. Deutschland braucht sich nur zu gedulden, braucht nur im Frieden seine wirtschaftliche und finanzielle Macht weiter zu steigern, braucht nur die Wirkung seines Geburtenüberschusses abzuwarten, um ohne Widerspruch und ohne Kampf in ganz Zentraleuropa zu herrschen. Die Herren Barthou und Poincare hätten daher vielleicht besser daran getan, die Frage mit größerer Kaltblütigkeit zu prüfen, ob es kein besseres Mittel zur Wahrung des Friedens zwischen Frankreich und Deutschland gab, als diesen Wettbewerb der Rüstungen und die Erhöhung der Präsenzstärke, deren Lasten ersteres nicht so lange zu ertragen fähig ist als letzteres. Was man den Anhängern der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich ferner vorwerfen kann, ist das ständige Einbeziehen Russlands in die Debatte über diese innere Frage, Russlands, dessen politische Ziele undurchsichtig bleiben, das den Zweibund zu seinem ausschließlichen Vorteil leitet und das ebenfalls, ohne von Deutschland bedroht zu werden, seine Rüstungen in beängstigendem Maße vermehrt!“

Rücktritt des französischen Kabinetts Ribot.

13. Juni.

Ein französisches Kabinett wird unter Viviani gebildet.

Die Petersburger Börsenzeitung veröffentlicht einen zweiten, vom Kriegsminister Suchomlinow veranlassten Artikel: „Russland ist bereit, Frankreich muss es auch sein.“ Russland könne gegenüber dem Streit der französischen Parteien nicht gleichgültig bleiben, da es sich um die rein politische Frage der dreijährigen Dienstzeit handele. Es müsse erwarten, dass Frankreich seine Bündnispflichten erfülle, ebenso wie es selbst die größten Anstrengungen gemacht habe (Deutsche Dokumente Nr. 1, 2).

14. Juni.

Zusammenkunft des Zaren und des russischen Ministers des Äußeren mit dem Könige von Rumänien in Constanza.

15. Juni.

Paraphierung der deutsch-englischen Abkommen über Kleinasien und über die portugiesischen Kolonien.

18. Juni.

Der in Paris weilende französische Botschafter in Petersburg erklärt Viviani, er glaube, dass der Krieg nahe bevorstehe und dass man sich darauf vorbereiten müsse. Das Bündnissystem müsse nach Möglichkeit verstärkt werden, wobei er besonders auf England hinweist. Paléologue fragt, ob er in Petersburg versichern könne, dass die dreijährige Dienstzeit beibehalten würde. Viviani sagt ihm dies zu (Paléologue, S. 230).

26. Juni.

Bericht des belgischen Gesandten in Paris, Nr. 2156 (Schwertfeger, Zur europäischen Politik, IV, S. 205). „Frankreich und Russland spielen fürwahr in diesem Augenblick ein sehr gefährliches Spiel. Sie treiben sich gegenseitig zu übertriebenen Rüstungen an und geben sich, besonders Russland, einer Täuschung hin, die die verhängnisvollsten Folgen haben könnte.“ Guillaume erörtert die russischen Rüstungen und fährt dann fort: „Herr Poincare hat als Ministerpräsident eine Reise nach Petersburg gemacht. Niemand zweifelt an den Anstrengungen, die er gemacht hat, um Russland zu äußersten Rüstungen anzutreiben; zu diesem Zweck entsandte er Herrn Delcassé; er selbst wird sich in einigen Wochen wieder dorthin begeben.“ Die Gefahr der russischen und französischen Rüstungen müssten Deutschland beunruhigen und dort chauvinistische Gefühle erwecken. Denn auch das französische Heer habe große Fortschritte gemacht. Die Aussichten im Kriegsfalle würden in französischen Militärkreisen eifrig erörtert und Maßnahmen erwogen, um sie zu verbessern.

Die ersten Stundenschläge des Weltkrieges

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