Читать книгу Die Diskette - Bernt Danielsson - Страница 8

5
Noch so verrückte Kanaken

Оглавление

Ich schob das Moped den kurzen Abhang zum Fahrradweg hoch, der parallel zum Täbyvägen verlief, und erklärte Schröder, daß er unter gar keinen Umständen mein Piaggio fahren dürfe, sondern auf dem Gepäckträger sitzen müsse.

„Verdammt, geht es nicht schneller?“ war das erste, was er von sich gab, kaum daß ich das Moped angetreten hatte und aufgesprungen war.

„Lauf nicht so schnell, Chandler!“ schrie er dann unter krächzendem Lachen.

„Das ist nicht so gedacht, daß man Leute darauf mitnehmen soll“, brummte ich.

„Ist das überhaupt so gedacht, daß man damit fahren soll, oder wie?“ sagte er kichernd, und ich mußte auch lachen.

Vor der Ampel an der Bushaltestelle fuhr ich beim Zebrastreifen über die Straße, und Chandler kam in langen Sätzen hinterhergesprungen, er schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen in dem Schneematsch.

„Wo fährst du denn überhaupt hin?! Wir wollen doch nach Täby Centrum!“

„Abkürzung“, sagte ich ruhig. „Steig ab.“

„Aha“, sagte er verblüfft, tat aber, was ich sagte.

Ich schob das Piaggio trickreich durch so eine moderne Version eines Drehkreuzes und dann den steilen Abhang hinauf zum Trädgårdsvägen.

„Läuft es nur bergab oder wie?“ fragte Schröder und kicherte.

„Du kannst ja nach Täby laufen“, sagte ich sauer.

„Nein, nein, verdammt!“ sagte er und versuchte, ernst zu bleiben, als er wieder auf den Gepäckträger stieg. „Chandler, schau zu, daß du nachkommst!“

Immer noch segelten große, nasse Schneeflocken herab, und ein Teil der Fahrrad- und Fußwege glänzte weiß unter den Straßenlaternen. Chandler lief nebenher, und der Schnee wirbelte um ihn herum. Ab und zu blieb er stehen und schüttelte sich, daß es nur so spritzte. Wir trafen keine Seele, die Leute blieben alle zu Hause, und das war ja auch verständlich. Hätten wir auch machen sollen, dachte ich. In fast jedem Fenster der Einfamilienhäuser leuchteten kleine Lampen zwischen den Topfpflanzen, und die Fernsehapparate verbreiteten ihren gespenstischen Schein – es sah warm, trocken und gemütlich aus.

„Halt dich fest“, sagte ich, kurz bevor ich über ein Loch fuhr.

„Au, verdammt! Was war das? Bist du über einen Rentner gefahren?“

„Hier werden Kabel verlegt“, sagte ich.

„Kabel?“

„Kabelfernsehen.“

„So ein Scheiß“, brummte er. „Verdammt, man sollte einen Bolzenschneider nehmen und einen Spaten und sie einfach durchschneiden. Sie buddeln sie ja nicht sehr tief ein und markieren sie deutlich mit solchen Pygmäenpissoirs aus Plastik. Da drüben steht so eins.“ Lautes Lachen blubberte aus ihm hervor. „Das werde ich machen! Dann brauchen die armen Teufel nicht mehr diesen ganzen Kabelscheiß zu glotzen und werden nicht noch bescheuerter, als sie eh schon sind!“

Würde mich nicht wundern, dachte ich, und das Moped kletterte langsam den letzten Abhang zum Enstavägen hinauf.

„Das nenne ich Pferdestärke!“ brummte Schröder und schüttelte sich vor Lachen.

Ich gab extra ein bißchen mehr Gas, als es wieder abwärts ging, und merkte, wie er sich festklammerte. „Denk dran, ich bin ein alter Mann“, fauchte er, und ich ließ den Hinterreifen im Schneematsch schliddern.

Dann bremste ich am Turebergsvägen und wollte die Abkürzung über das Gras an der Kreuzung zum Stockholmsvägen nehmen.

„Zum Teufel aber auch!“ keuchte Schröder, schlug mir auf die Schulter und zeigte nach vorn.

„Bogart“, sagte ich verwundert. Chandler hatte uns eingeholt und stieß ein kurzes Bellen aus.

Mitten auf dem Rasenstück stand Schröders verdreckter Dodge Ram zwischen den Bäumen eingekeilt, die Schnauze zeigte in Richtung Täby Centrum. Die Lichtkegel der Scheinwerfer erleuchteten die Schneeflocken und das kleine Waldstück auf der anderen Seite der Straße. Die eine Tür stand offen. Der Motor lief im Leerlauf, das klang natürlich wie drei Fischkutter auf Hochtouren. Das ganze Auto rüttelte und schepperte, als ob es genauso frieren würde wie Rashmal, und es sah auch genauso einsam und verlassen aus.

Schröder sprang vom Gepäckträger und lief mit flatternden Trenchcoatschößen über die Straße, dicht gefolgt von Chandler. „Paß auf!“ rief ich hinterher, gab Gas und fuhr ihm nach.

Schröder riß die hinteren Türen sperrangelweit auf. Gerade als ich dazukam, knallte er sie wieder zu. „Hat er aber Glück gehabt, daß er nicht da drinnen liegt und schläft!“ murmelte er. Ich stellte den Motor aus, klappte den Ständer runter und stieg ab. „Was hat der sich nur für eine Stelle als Parkplatz für Bogart ausgesucht!“ sagte er, und es klang beinahe beleidigt.

Chandler lief in vollem Galopp los und sprang auf den Vordersitz. Schröder und ich kamen hinterher.

„Rutsch mal, Dicker“, sagte Schröder und schubste Chandler auf den Beifahrersitz. „Der elende Türke hat seine Wichtelmütze dagelassen!“ sagte er verächtlich und hob die rote Pudelmütze mit spitzen Fingern hoch. Gleichzeitig inspizierte er mit gerunzelten Augenbrauen das Fahrerhäuschen, das noch genauso versifft war wie vor ein paar Monaten.

„Es war ein Inder“, sagte ich.

„Woher zum Teufel willst du das wissen?“ Er warf die Pudelmütze achtlos hinter sich, und sie landete hinter der Rückenlehne auf seiner alten Taxifahrermütze. „Et kann doch genausogut Pakistani gewesen sein, oder nicht?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Auf jeden Fall war es kein Türke.“

„Egal“, sagte er abschließend. „Der Indianer hat auf jeden Fall Glück gehabt, daß er Bogarts Fahrerkabine nicht verwüstet hat.“

Fahrerkabine, dachte ich und stöhnte. „Meinst du, daß er noch in der Nähe ist?“ fragte ich und spähte unruhig in den dunklen Schneeregen hinaus.

„Ist mir scheißegal. Wenn der sich noch mal traut, seine Hauer zu zeigen, dann mache ich Rindercurry mit Tomatenchutney aus dem Kerl. Komm, wir fahren.“

„Ich habe doch mein Moped“, sagte ich und sah eine Chance, nach Hause fahren zu können. Abgesehen davon, daß ich durch und durch naß war und mich auch ziemlich wackelig fühlte, wurde ich allmählich richtig müde. Hunger hatte ich auch, und zu Hause in der Tiefkühltruhe gab es Hackebällchen, Hamburger und Pommes, worauf ich viel mehr Lust hatte als auf irgendwelche japanischen Merkwürdigkeiten.

Schröder sprang nach draußen, und ehe ich überhaupt reagieren konnte, hatte er schon die hinteren Türen aufgemacht.

„Nein, warte!“ schrie ich, als mir klar wurde, was er vorhatte.

Aber das war natürlich witzlos. Er hatte das Moped schon hochgehoben und war immerhin so sorgsam, es nicht einfach hineinzuwerfen.

„No problemas, bello!“ Er grinste und lehnte das Moped übertrieben vorsichtig an die eine Wand. Er las, was auf dem Schutzblech stand.

„Heißt es wirklich Ciao? Er tätschelte den Sattel. „Ciao, ciao, Bambino. Da steht dein kleines Minestronemoped molto perfetto. Rein mit dir“, kommandierte er dann und machte die Türen zu, lief nach vorne und setzte sich hinters Steuer. „Avanti, avanti!“

Ich ging um die gedrungene Schnauze des Dodge herum, machte die Tür auf und setzte mich, nachdem Schröder Chandler zu sich gezogen hatte, der sich mit hängender Zunge von seinem Lauf erholte. Er versuchte, es sich zwischen uns so bequem wie möglich zu machen. Schröder fischte ein löchriges Küchenhandtuch hinter dem Sitz hervor und trocknete Chandlers nasses Fell damit ab.

Obwohl Bogarts Tür im Schneeregen offengestanden hatte, stank es noch genauso widerlich wie beim letzten Mal. Und ich glaube, es waren auch noch die gleichen Coca-Cola-Dosen auf der Ablage. In der einen Ecke lag eine zusammengeknüllte, weiße Papiertüte, und es hätte mich nicht gewundert, wenn da mal Pommes dringewesen wären. Das schwarze Fernglas thronte auf dem Telefonbuch, daneben lagen drei schwarzfleckige Bananen, bestimmt schon ein paar Wochen alt.

Schröder warf mir das Handtuch zu und legte den Gang ein. Der Motor wechselte vom Fischkutter wieder zum Bagger und schüttelte sich und dröhnte. „Armes, kleines Bogartkerlchen“, sagte Schröder mit spitzem Mund und streichelte das Steuer mit übertriebener Zärtlichkeit. Er streckte sich und angelte die Zigaretten hervor. „Von bösen Negern gekidnappt ...“ Er wühlte in dem Chaos auf der Ablage und fand schließlich ein weißes Feuerzeug.

„Manchmal klingst du wie ein richtiger Rassist“, sagte ich und rieb Chandlers Kopf trocken.

„Ich?“ rief er erstaunt aus und machte seine Zigarette an. „Ich und Nazist?“

„Rassist habe ich gesagt.“ Unter Chandlers lautem Protest beendete ich das Abtrocknen, legte das Handtuch zusammen und drückte es zwischen die Sitze.

„Pah, sei doch nicht so gräßlich schwedisch. Nimm lieber eine Banane!“ Er fand das offenbar ausgesprochen witzig, denn er stieß ein heiseres Gelächter aus. „Oder hier, entspann dich, und nimm ein Kaugummi.“ Er deutete auf ein blau-weißes Päckchen oberhalb des Handschuhfachs. Es sah aus, als ob es schon seit zehn Jahren da läge.

Ich schüttelte den Kopf und drehte demonstrativ das Fenster runter.

Schröder fuhr wie ein Wilder Slalom zwischen den Bäumen und raste den Abhang hinauf. Mit einem Schaudern hörte ich, daß das Piaggio hinten umfiel. Ich schaute ihn böse an, bekam aber nur ein Grinsen und ein Achselzucken zur Antwort.

„Gott sei Lob und Dank!“ seufzte er. „Der Kanake hat nicht die Brille geklaut!“

Er nahm seine Ray-Ban-Sonnenbrille an sich, drehte sie in der Luft, so daß die Bügel sich öffneten und setzt sie auf. „Yeah! Viel besser!“ Er nickte und paffte hingebungsvoll an seiner Zigarette. „Jetzt zeigen wir bloß noch die Bullenschweine an, und dann fahren wir nach Hause und futtern.“

An der Kreuzung, wo man nach links zur Brücke über die schmalspurigen Gleise der Roslagsbahn abbiegen muß, wenn man nach Täby Centrum will, war rot. Bogart blieb mit einem gellenden Kreischen stehen.

„Verdammt, ich muß endlich mal die Bremsen machen“, brummte Schröder, nahm die Zigarette aus dem Mund und plazierte sie mit einer eingeübten Bewegung ganz unten zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand. Er schaute über die verlassene Kreuzung und in den Schnee, der immer dichter durch das Dunkel fiel. „Was für ein Sauwetter. Und nicht ein Auto zu sehen.“ Er kraulte Chandler im Nacken, beugte sich vor und trommelte ungeduldig aufs Steuerrad. „Es ist doch lächerlich, hier die ganze Nacht herumzuhängen.“ Er steckte die Zigarette wieder in den Mund und richtete sich auf, als ob er losfahren wollte, obwohl es noch nicht grün war.

„Nein, warte!“ sagte ich und zeigte nach rechts, wo ein weißer Toyota Celica plötzlich mit hoher Geschwindigkeit aus der Seitenstraße kam.

„Das ist verflucht noch mal eine Einbahnstraße!“

Ohne auch nur im geringsten zu verlangsamen, schoß der Toyota auf die Kreuzung, machte dann allerdings eine Vollbremsung. Der Fahrer winkte uns aufgeregt zu. Neben ihm konnte ich jemanden erkennen, der die Tür an der anderen Seite aufriß, und im nächsten Moment tauchte sein Kopf über dem Dach auf, und er starrte uns mit offenem Mund an. Der Mann hinter dem Steuer machte auch seine Tür auf, wühlte energisch in der Innentasche einer hellgelben Windjacke und rief etwas.

„Noch so verrückte Kanaken!“ stöhnte Schröder.

„Das sind bestimmt Inder“, sagte ich atemlos, und dann rief ich:

„Los, weg von hier, Schröder!“

„Was?“

„Fahr, los! Schnell!!“

„Aber mein Junge, was ...“ Er verstummte plötzlich, und ich begriff, daß er auch den Fahrer des Toyota anstarrte, der jetzt mit breit gespreizten Beinen auf der Straße stand und mit einem schwarzen Gegenstand, den er ausgestreckt mir beiden Händen hielt, auf uns zeigte. Ich habe das schon so oft in allen möglichen Krimis und Actionfilmen gesehen und hatte absolut den Eindruck, daß er einen Revolver hielt.

Die Diskette

Подняться наверх