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Espresso Aschico &

Americanos Expressos

„Ach was, die haben das nicht hierher verfolgen können, Kevin. Reg dich ab. Das war bestimmt bloß ein Kontrollanruf von deiner Mami, ob du schon schläfst ...“ Schröder grinste kurz und las weiter und drehte dann das Blatt um. „Aha. Und ich soll auch alles Mögliche erledigen, sehe ich. Ich habe sie so satt, diese Lena!“

„Zeig her“, sagte ich und riss wütend das A4-Blatt an mich.

Doch, er hatte Recht. Auf der Rückseite stand, ich solle den Apparillo Schröder übergeben. Davon hatte Lena nichts gesagt. Aber klar, sie hoffte ja, dass es nicht nötig sein würde, damals, als ich ihn bekam. Aber ich war irgendwie doch enttäuscht, und dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich sah, dass da auch ein Umschlag festgeklebt war, auf dem einfach Für Raymond stand. Ich riss ihn ab und reichte ihn Schröder rüber und sah vermutlich ziemlich verbiestert aus.

„Danke. So freundliche Briefträger trifft man nicht alle Tage.“

Er schaute den Umschlag zerstreut an und steckte ihn dann in die Jackentasche. „Aber was zum Teufel ist nun mit dem Kaffee, habt ihr nichts Trinkbares im Haus?“

Ich schloss die Schranktür, die er aufgemacht hatte, öffnete die daneben und streckte mich nach einem Glas Lavazza Espresso Italiana Schnellkaffee. Warum bin ich bloß so sauer?, dachte ich. Als Schröder das Glas sah, erhellte sich sein Gesicht. Er drehte sich herum, nahm den erstbesten Topf, füllte ihn mit Wasser und machte die Schnellkochplatte an.

„Wie wär’s, wenn du mir jetzt mal etwas genauer erklären würdest, was das Ganze soll.“

„Ich weiß nicht viel mehr, als ich erzählt habe“, sagte ich.

„Unglaublich“, stöhnte er und schälte sich aus seinem alten, langen Mantel, mit den gleichen übertriebenen, windmühlenartigen Bewegungen wie immer. Es gelang ihm wenigstens, nichts runterzufegen. Er knäulte ihn zusammen und warf ihn in Richtung einer der Küchenstühle, auf dem er auch perfekt landete. „Kannst du mal sehen, du alter, abgedankter Handballer.“ Er richtete das braune, einreihige Jackett und bürstete den Aufschlag mit den Hand ab. „Hundert Prozent reine Kaschmirwolle. Schick, nicht wahr? Wie sieht’s aus, spielst du immer noch Handball?“

„Nicht mehr so oft“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

„Das ist gut“, sagte er und setzte sich. „Wenn man was im Kopf hat, dann sieht man irgendwann ein, dass man nicht sein Leben lang mit Bällen herumtollen kann, oder?“ Er steckte die Hand in die Jackentasche und holte seine unvermeidlichen Gitanes heraus. „Dazu ist das Leben viel zu kurz, wir müssen es veredeln, damit es schön und reich wird, um Schopenhauer zu zitieren.“

„Schopenwas?“

„Schopenhauer, der alte Spaßvogel. Hast du nie von ihm gehört? Du kannst mal ein Buch von mir geliehen bekommen, damit du dich ein bisschen bilden kannst. Es wird langsam Zeit, dass du etwas anderes liest als die alten Comics von deinem Vater. Und dann können wir vielleicht grundsätzliche, philosophische Gespräche führen.“

Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel und roch daran, genau wie alte Männer an teuren Zigarren riechen. Außerdem fischte er ein billiges Wegwerffeuerzeug aus der anderen Jackentasche. Ich konnte gerade noch darüber nachdenken, ob ich wieder übers Rauchen meckern sollte, hatte aber einfach keine Lust und holte deshalb eine von Mutters kostbaren Kristallschalen, die er auch das letzte Mal, als er hier gesessen hatte, als Aschenbecher benutzt hatte. Das war ein halbes Jahr her.

Und wenn ich ehrlich sein soll, fand ich auch nicht mehr, dass es so schlecht roch, wenn er rauchte. Ich hatte mich wohl daran gewöhnt. Genau wie ich mich an Schröder gewöhnt hatte. Vielleicht hatte mir sogar der Zigarettengeruch und Schröder im letzten halben Jahr gefehlt, aber es war vor allem Lena. Oder nicht? Vermutlich war es so, dass der Geruch von Gitanes und Schröder mich an Lena erinnerten, und nach der sehnte ich mich wirklich. Wie sollte man sich auch nach Schröder sehnen?

„Willst du den Brief nicht lesen?“, fragte ich.

„Brief? Welchen Brief? Hast du mir geschrieben?“

„Den von Lena natürlich.“

„Ach so. Klar, du hast Recht.“ Er steckte die Zigarette in den Mundwinkel, holte den Umschlag aus der Jackentasche und riss ihn auf. Er zog ein Blatt Papier heraus und fing an zu lesen. Erst sah er noch so verwirrt und zerstreut aus wie immer, aber dann versteifte sich sein ganzer Körper. Das sah sehr merkwürdig aus. Er nahm gewissermaßen Haltung an, strich sich über die kurz geschnittenen Haare, streckte den Rücken und schien sehr konzentriert.

„Was ist denn?“

Er hörte mich nicht und las weiter.

„Du musst aschen“, sagte ich.

Er schaute hoch und sah erstaunt fragend aus.

„Aschen“, sagte ich und zeigte auf die Zigarette. „Die Kippe.“

Er führte die rechte Hand zur Zigarette im Mundwinkel, aber gerade, als er sie nehmen wollte, fiel die Aschesäule runter und landete auf seinem Schoß. Er zuckte zusammen, ließ den Brief fallen, stand mit einem Ruck auf, so dass der Stuhl mit einem Poltern nach hinten umfiel, was ihn erschreckte. „Verdammt!“ Er bürstete wie ein Wahnsinniger seine Hose ab, aber der Aschefleck wurde natürlich immer größer.

„Jetzt bist du über-ascht worden, was“, sagte ich und versuchte, richtig cool zu klingen, bückte mich, hob den Brief und legte ihn auf den Tisch.

„Meine neuen Marlboro“, murmelte er bekümmert und rieb immer noch den Hosenstoff. Er hatte mich natürlich nicht gehört.

„Ich dachte, das sind Gitanes“, sagte ich.

„Ha! Jetzt warst du aber witzig. Zweimal sogar! Bist du vielleicht Groucho Marx?“ Er stellte den Stuhl wieder hin und setzte sich.

Das Wasser kochte, ich holte einen Becher aus dem Regal und stellte ihn zusammen mit dem Lavazzaglas und einem Löffel auf den Tisch. Schröder schaufelte drei gehäufte Löffel in den Becher und nickte zufrieden. „Right Kevin, her mit la acqua, per favore!“

„Was schreibt sie?“, fragte ich und goss Wasser in den Becher.

Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, verkeilte sie ganz unten zwischen Zeige- und Mittelfinger und rührte mit dem Löffel im Becher.

„Das wüsstest du wohl gerne, du liebeskranker pickeliger Pubertätsschlingel?“

„Na klar.“ Ich seufzte und spürte, dass ich dummerweise heiße Wangen bekam und dass ich ebenso dummerweise ganz tief innen unglaublich getroffen war. Ich stellte den Topf wieder auf den Herd und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.

„Na klar“, sagte er und äffte mich auf seine übertriebene Art nach, die eines Tages einen richtigen Wutausbruch bei mir auslösen könnte. Er führte den Becher zum Mund ohne den Blick vom Brief zu nehmen. Instinktiv wollte ich ihn warnen, konnte es aber gerade noch bleiben lassen.

Natürlich war der Kaffee kein bisschen abgekühlt, er war bestimmt noch kochend heiß. Ein halb unterdrückter Schrei explodierte förmlich aus ihm heraus und er spritzte eine Kaskade heißen Kaffees über den Blumenstrauß auf dem Tisch. Ich konnte mich gerade noch zur Seite bücken und bekam keinen Tropfen ab.

Ich sagte nichts, setzte mich nur hin und sah ihn an. Er schaute mich mit fragendem Gesichtsausdruck an. „Was glotzt du denn?“, fragte er. „So macht man es immer in Italien mit dem ersten Schluck Express-Espresso, hast du das nicht gewusst? So vermeidet man die Nebenwirkungen der Gefriertrocknung.“

Ich versuchte nicht zu lachen, es gelang jedoch nicht.

Da lächelte er, schien fast den Tränen nahe und sagte: „Jetzt erkenne ich dich endlich wieder. Obwohl das Pflaster ein bisschen groß ist für dein kleines Kinn. Du hast es übrigens genau über den anderen Pickel geklebt, du wirst ihn wahrscheinlich aufreißen, wenn du das Pflaster abmachst. Was meinst du, wie heißen Pickel wohl in Spanien?“

„Mixed Pickles?“, schlug ich vor.

„Verdammt, jetzt warst du schon wieder witzig. Wie soll das nur enden. Junge, Junge. Hast du nicht auch so ein Déjà-vu-Gefühl?“

„Was?“

„Déjà-vu. Das ist Französisch. Es bedeutet ,Das war damals‘.“

„Tsss ...“

„Doch, ganz bestimmt. Déjà bedeutet ,das war‘ und vu bedeutet ,damals‘. Aber sag, hast du es nicht?“

„Was denn?“, fragte ich, stand auf und holte Haushaltspapier, um den Tisch abzuwischen.

„Das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben?“ Ich wischte die Blumenvase ab und schaute die Blumen an. „Die mussten gegossen werden“, sagte er zufrieden. „Und Koffein belebt sie, die Farben werden kräftiger ... Genau jetzt, hast du nicht auch das Gefühl, das alles irgendwie schon einmal erlebt zu haben. Ich meine, genau jetzt, wie wir hier sitzen, du und ich? Oder, um genau zu sein, ich sitze hier und du wischst den Löwenzahn ab.“

„Die Nelken.“

„Nelken sind doch rot.“

„Es gibt sie in allen Farben.“

„Wirklich? ,Gelbe Nelken‘ klingt aber nicht so gut ...“

„Schon gar nicht in der Übersetzung“, sagte ich mit einem Grinsen.

„Was?“

„Yellow Pimpernell.“

„Das klingt doch nicht so dumm.“

„Yellow? Weißt du nicht, dass das auch feige bedeutet?“

„Natürlich weiß ich das, du blöder Oberlehrer, aber ich fand es nicht wahnsinnig witzig. Und gelb oder rot, kommt wohl nicht drauf an. Blumen sind Blumen. Ist egal, welche Sorte, Hauptsache sie schmücken und erfüllen ihre Aufgabe. Und verwelken müssen sie am Ende doch alle, genau wie alles andere hier auf der Welt. Das Leben, zum Beispiel ... Ach ja“, seufzte er und schaute gedankenverloren zur Decke, bevor er kräftig an seiner Zigarette zog. „Aber trotz allem: Déjà-vu, mon ami. Und Lena, die natürlich mal wieder abwesend, aber dennoch gegenwärtig ist und beginnt, an uns zu ziehen. Als ob wir ihre Marionetten wären ... Nicht wahr?“ Er dachte eine Weile nach, dann verfinsterte sich sein Blick, er schaute auf den Brief, las noch einige Zeilen, zog dann die Augenbrauen zusammen und brüllte aus vollem Hals:

„Und schon wieder diese verfluchte verdammte stinkende alte Scheiße! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

Er donnerte die Faust auf den Tisch, eine weitere Aschesäule löste sich von der Zigarette. Dieses Mal machte sie einen großen Bogen durch die Luft unter der Lampe durch und fiel genau in seinen Kaffeebecher. Das brachte ihn aus dem Konzept, er starrte erstaunt in den Becher und bewegte den Blick dann langsam zu seiner Hand, die ganz ruhig auf dem Tisch lag. Und dann schaute er mich mit einem breiten Grinsen an.

„Was für ein Volltreffer! Hast du das gesehen?! Gibt ein ausgezeichnetes Aroma, verstehst du ... Espresso Aschico ... Ähm, was wollte ich sagen. Das ist doch genau das Gefühl wie schon einmal? Aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt. Nein, ich weiß wirklich nicht, ob ich Lust habe mich schon wieder um Lenas verfluchte, schmutzige Wäsche zu kümmern, außerdem bin ich im Moment vollauf beschäftigt. Vollauf damit beschäftigt, es mir gut gehen zu lassen.“

„Gut gehen zu lassen?“

„Ja, genau. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung. Ein ständiger Kampf. Besonders, wenn man solche Leute wie Lena kennt, die nichts anderes im Sinn haben, als das Leben kompliziert zu machen – und nicht nur ihr eigenes, nein, sie reißen alle mit, die in ihrer Nähe sind. Wie Lawinen. Ist doch wahr, da hat man endlich ein bisschen Ruhe, Zeit zum Nachdenken, kann gut essen und Siesta halten, trinkt jeden Abend seinen Wein und pusselt ein bisschen herum, die Gedichtsammlung ist fast fertig und ...“

„Die wird doch sowieso nicht angenommen, hast du gesagt.“

„Natürlich wird sie nicht angenommen, aber das hat doch damit nichts zu tun. Von solchen Petitessen kann man sich doch nicht den Weg zur Genialität verbauen lassen. Und eigentlich ist das ein Beweis dafür, wie gut sie ist.“

„Wenn sie abgelehnt wird?“

„Natürlich. Hast du nicht gewusst, dass Beckett von sämtlichen Verlagen, sowohl in England als auch im Amerika abgelehnt wurde?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste kaum, wer Beckett war, aber ich glaube, er schrieb Theaterstücke. „Schrieb er nicht Theaterstücke?“

Schröder starrte mich an. „Du lieber Gott. Junge! Was zum Teufel macht ihr denn heutzutage in der Schule? Im Internet herumalbern?“

„Aber stimmt es denn nicht?“

„Doch, aber er hat auch Romane geschrieben, weißt du das nicht? Die besten Romane, die je geschrieben wurden, abgesehen von meinen eigenen. Und am Anfang wurden sie von allen Verlagen abgelehnt! Doch. Alle. Und das sag ich doch immer – um Genialität zu bemerken, muss man ziemlich begabt sein, und das sind nicht viele, hier auf dieser Welt und ...“

„Aber was schreibt sie denn?“, unterbrach ich ihn.

„Was? Den gleichen Scheiß wie immer. Letztes Mal war es eine verdammte Diskette und jetzt ist es so ein verfluchtes Anrufbeantworterfax. Wie soll das denn weitergehen? Ist es das nächste Mal eine ganze Computeranlage? Muss mir wohl bald einen Umzugswagen mieten. Warum sollen wir immer ihre verfluchten Probleme lösen. Und keinen Pfennig haben wir gesehen. Hast du mal darüber nachgedacht? Ich meine, was haben wir nicht für einen Einsatz geliefert, du und ich. Leib und Leben riskiert, sind misshandelt und verprügelt worden, von Indianern, Kanaken, dem Teufel und seinen Cousins gejagt worden. Und was haben wir dafür bekommen? Nicht einen Furz. Nee, nee, diesmal muss sie verdammt noch mal allein zurechtkommen. Genau!“

„Dann muss ich es wohl für sie erledigen ...“

„Du? Ganz allein? Wie soll das denn gehen? Mach dich nicht lächerlich, Junge. So was kann man nicht mit Pickeln auf dem Kinn erledigen, ist doch wohl klar.“

Er rührte mit dem Löffel im Becher und las schweigend weiter. Ich warf das Haushaltspapier weg, nahm ein Glas aus dem Abtropfgestell und goss mir einen Orangen-Aprikosensaft ein.

„Hmm, immerhin“, murmelte er. „Doch, die Schraube hat gefasst.“

„Schraube?“

„Oder der Nagel, wenn dir das lieber ist.“

„Wovon redest du?“

„Also, ich habe doch angerufen und mich beschwert, dass ich nie einen Ersatz für meine Mountaineer-Schuhe bekommen habe, die Rashmal gemopst hat. Und deswegen hat sie sich auch nicht bei mir gemeldet, als sie hier war. Aber dieses Mal hat sie sich gebessert.“

„Wie, sich gebessert?“

Er streckte sich nach dem Umschlag, schaute hinein und zog eine Kreditkarte heraus und wedelte energisch damit.

„Americanos Expressos. Das ist was. Auf meinen Namen ausgestellt, mind you.“

„Aber sie hat den Brief doch geschrieben, als sie hier war.“

„Was?“

„Den Brief. Der war doch schon geschrieben, als ich den Apparillo bekam.“

„Meinst du?“

„Er lag doch in der Schachtel.“

„Ähm ... Stimmt. Da hast du Recht. Aber sie haben meinen Namen falsch geschrieben, verdammt! Schau mal!“

Auf der Karte stand Schroeder Raymond. „Die ist in England ausgestellt, da haben die keine Ös“, sagte ich und zeigte ganz unten in die rechte Ecke, wo die Adresse des American-Express-Büros stand, das die Karte ausgestellt hatte.

„Ha! Das kann doch nicht so verdammt schwer sein, da zwei Tüpfelchen hin zu machen? Mit dem heutigen IT-Scheiß und Computern und Ödem und allem.“

„Modem.“

„Ja, ja, gib mir einen Stift, damit ich meine unsterbliche Unterschrift darunter setzen kann.“

„Aber warum?“, fragte ich und holte einen Filzschreiber aus der großen Keramikschale auf der Ablage. Das ist so eine Kramschale, in der es alles gab, Stifte, Gummis, Pastillenschachteln, Rabattmarkenheftchen, Ansichtskarten mit Kirchen auf Gotland, die Mama nach Hause geschickt hatte, als wir im Mai eine Woche dort waren, Büroklammern und Sicherheitsnadeln, Bleistifte und Kulis und ganz unten Pencemünzen von der letzten Reise nach England.

„Sonst kann man sie doch nicht verwenden, du Knallkopp.“ Er nahm ärgerlich den Stift und schaute ihn an. „Habt ihr keinen Füllfederhalter“, fragte er mit übertrieben arroganter Aussprache.

Ich schüttelte den Kopf.

„Das hier ist so ein Wasserfarbenstift aus dem Kindergarten, verdammt. Damit kann man doch keine Kreditkarte unterschreiben, das siehst du doch ein.“

„Es ist ein Filzstift. Außerdem waterproof. Steht drauf.“

Er hielt den Stift unter die Küchenlampe und blinzelte. „Japanisch! Wasserfestival!“

„Was?“

„Da steht ,Wasserfest‘, das bedeutet im Leben nicht waterproof. Das haben die kleinen Gelben falsch verstanden. Sie haben ein bisschen Probleme mit Fremdsprachen, die Ärmsten, aber das kann man ja verstehen.“

„Wie verstehen?“

„Na, wenn man sie reden hört. Das muss natürlich wasserbeständig heißen. Wie kriegt man die Kappe ab?“

„Was?“

„Die Kappe. Muss man bloß ziehen, oder was?“

„Ich nehme es an“, sagte ich und versuchte ein Lachen zurückzuhalten. Hatte er noch nie einen Filzstift gesehen?

Mit misstrauischem Blick und herausgestreckter Zungenspitze zog er den Stift auseinander und machte ein Gesicht, als ob er ein Knallbonbon oder so was erwarten würde.

Ich wollte natürlich wissen, warum sie eine Karte für ihn besorgt hatte und setzte mich.

„Für die Reisekosten, verstehst du.“ Er zielte genau und schrieb dann in einer Art Anfall seinen Namen. „So, ja! Meine allererste carto plastico! Aber was zum Teufel ... Schau mal. Was habt ihr bloß für Stifte?“

Er hielt die Karte hoch und zeigte sie mir. Ich wusste nicht wohin, mein ganzer Bauch verkrampfte sich bei dem prustenden Lachanfall. Es war ihm gelungen, seinen Namen so zu schreiben, das er fast die ganze Rückseite der Karte bedeckte, weit über den dafür vorgesehenen Streifen hinaus, die Buchstaben reichten sogar in das schwarze Magnetfeld.

Er starrte mich sauer an. „Du bist schuld. So einen breiten Stift hab ich im Leben noch nie gesehen. Und mit dem Tintendruck stimmt auch etwas nicht.“ Er setzte die Kappe wieder drauf und knallte den Stift auf den Tisch. „Mit dem ganzen Stift stimmt was nicht, ihr solltet ihn zurückgeben. Wasserfestivalstift! Pah!“ Er zuckte mit den Schultern und lehnte die Karte gegen die Blumenvase. „Wann kommen deine Eltern zurück?“

„Am Montag.“

„Right, Kiddo. Pack the bags. We is going places!“

„We are“, korrigierte ich ihn automatisch und bekam ein höhnisches Grinsen als Antwort. „Was sabbelst du da?“, fügte ich deshalb schnell hinzu.

„Willst du mich damit vielleicht hochnäsigerweise darauf aufmerksam machen, dass deine Mutter Engländerin ist? Machst du doch sonst immer? Und das deine Englischkenntnisse deshalb ... nachgerade verblüffend sind. Was? Dann hätten wir das hinter uns, gewissermaßen? Nein? Dann eben nicht. Also, wenn dieser Apparillo ,bleep!‘ macht, fahren wir aux Londres, mon ami!“

„Ich fahr überhaupt nirgendwohin.“

„Und ob du fahren wirst.“

Ich dachte natürlich, er macht Spaß, aber ich hätte wissen müssen, dass dem nicht so war. Lena hatte zwar geschrieben, dass er nach London fahren solle, „aber zum Teufel, man braucht schließlich einen Dolmetscher und Lakai, wenn man in die große weite Welt hinausfährt, mein allereigenster Passepartout Karlsson. Wenn du überhaupt weißt, wer Passepartout ist.“

„Na klar weiß ich, wer das ist, Monsieur Raymond Fogg“, sagte ich und Schröder hob die eine Augenbraue und machte eine kleine Grimasse.

„Zum Teufel auch. Richtig belesen, der Junge.“

Ich sagte natürlich nicht, dass ich „Reise um die Welt in achtzig Tagen“ nur als Fernsehserie gesehen hatte und nie Jules Vernes gleichnamiges Buch gelesen hatte.

Ich war darauf eingestellt, mit Schröder absolut nirgendwohin zu fahren – und schon gar nicht nach London. Was für ein Gedanke. Außerdem war ich enttäuscht und sauer auf Lena, die mich in dem Brief nicht einmal erwähnt hatte. Nicht das kleinste Dankeschön für meine Hilfe. Und noch saurer wurde ich, als mir klar wurde, dass sie von vornherein nicht vorhatte, dass ich das mit dem Apparillo machen sollte, sie hatte mich erst angerufen, als es „Probleme gab“, wie sie sich ausdrückte. Als allerletzten Ausweg gewissermaßen. Und dann hatte sie schnell meinen Namen auf den Zettel geschrieben, ehe sie die Schachtel zuklebte. Das gefiel mir überhaupt nicht. Ich fühlte mich ganz einfach angeschmiert – ich war monatelang mit dem Gefühl herumgelaufen, dass sie speziell mich ausgewählt hatte, weil sie ... weil sie mich mochte und mir vertraute und so ...

Und dann war es doch wieder wie immer: Schröder überredete mich.

Es war nicht mal schwer.

El Apparillo sollte offenbar einem Professor übergeben werden, der Henri Robinson hieß. Schröder sprach den Vornamen französisch aus.

„Was ist das denn für ein Professor?“

„Keine Ahnung. Sehr merkwürdiger Name.“

„Henri Robinson?“

„Genau.“

„Das ist doch nicht besonders merkwürdig.“

Er schaute von seiner Lektüre auf. „Nee, nee, ja, ja. Dann eben nicht, du elender Besserwisser.“ Er las weiter, ich beugte mich vor, um auch sehen zu können, was da stand. Da zog er den Brief weg und richtete sich auf. „Dieser Brief ist an mich, du neugieriges kleines Hundebaby!“ Ich hob entschuldigend die Arme und lehnte mich zurück. Schröder las weiter. „Er ist auf jeden Fall irgendein verdammter Importante-Typ und soll dafür sorgen, dass der Apparillo in die richtigen Hände kommt. Und bla bla bla ... ja, ja. Du weißt schon. Blaha, blaho. Same old, same old, gewissermaßen. Von wegen déjà-vu! Aber – okay.“ Er schlug mit den Handflächen auf den Tisch. „Dann hauen wir also ab nach London. Los!“

Ganz so einfach, wie Schröder es sich vorstellte, war es natürlich nicht. (Wie könnte es auch?) Ich meine, man kann nicht einfach zum Flughafen rausfahren und mitten in der Nacht in ein Flugzeug steigen.

„Und warum nicht?“

Vor allem, weil nachts keine Flugzeuge nach London fliegen.

„Meinst du nicht? Da gehen keine night-flights?! Da müssen welche gehen. Her mit El Telefonobookos!“

Der Apparillo gab einen Laut von sich, der der Schröderschen Bleep-Imitation erstaunlich ähnlich war. Ich zog ihn raus und stöpselte unser Telefon wieder ein, während Schröder die Telefonnummer von British Airways suchte.

Da war natürlich nur ein automatischer Anrufbeantworter dran.

„Bürozeiten! Was ist das bloß für eine Dritte-Welt-Kloake?! Wir versuchen’s dann eben beim Arlanda International Airport. Bei einem solchen Namen muss doch rund um die Uhr das Leben pulsieren.“

Schröder wählte wieder. Auch da war natürlich bloß ein Anrufbeantworter. „Man kann wahrscheinlich froh sein, wenn wenigstens die Anrufbeantworter keine Bürozeiten haben. Aber! Warte...“

Er fand die Nummer von einem Büro in London und von dort wurde das Gespräch direkt nach New York weiterverbunden. Das machte ihn etwas fröhlicher. „Was für international connections! New York!“ Er holte tief Luft, wedelte mit den Armen und grölte eine Melodie, die ich zu kennen glaubte: „And if I make it there, I’ll make it any …“

Er unterbrach sich erschrocken. „Ähm ... Hallo?“

Mit seinem merkwürdigen spanischen Akzent versuchte Schröder zu erklären, was er wollte. „Viertel vor acht am Morgen? Gibt es keine zivilisiertere Fluggesellschaft, die – Entschuldigung? ja, ja, – Si, comprende. Aber wann geht das letzte noches-Flugzeug? Viertel nach sechs?! Am Nachmittag? Inkredibel. Ja, ja.“

Schließlich beruhigte er sich, buchte zwei Plätze für den Morgenflug, es gab natürlich nur welche im Club Europe, das war bei der British Airways die Entsprechung zur Euro Class. „Pfui Diabolo! Wie viel ist das in Swedish Piasters, können Sie das sehen? Okay, okay. Reinste Erpressung. Gib den Plastikexpress her, Kevin!“ Ich gab ihm die Karte und er las langsam die lange Nummer vor. „Que? Right, right.“

Er wedelte mit den Armen und machte ein paar übertriebene Gesten, die bedeuten sollten, dass er etwas zum Schreiben brauchte. Ich holte den kleinen Spiralblock aus der Schale und nahm sicherheitshalber einen anderen Stift, es war ein Kuli, auf dem „Eigentum der Finanzverwaltung“ stand.

Schröder kritzelte Flugnummer und Abflugzeit auf dem Block.

„Japp. Tank you. Tank you.“

Er verbeugte sich tief und legte auf.

„Es heißt thank you.“

„Ich habe es auf Irisch gesagt, hast du das noch nicht gehört?“

„Gälisch, meinst du?“

„Sei kein solcher Bessermeister, Kevin. Glaub bloß nicht, dass du alles weißt. Sei nicht so wie die stupiden Popgrößen, die man ständig im Fernsehen sieht. Es war irisches Englisch, ganz einfach.“

„Tsss.“

„Doch, das stimmt. Es kommt oft vor, dass die Probleme mit dem th-Laut haben, weißt du? Nicht alle Iren natürlich, aber viele.“

„Tsss.“

„Wollen wir schon wieder damit anfangen? Ich meine, diesen Dialog schon mal gehört zu haben. Wenn du dich so elegant ausdrückst. Na, auch egal.“ Er schaute den Kuli an. „Diebesgut. So so.“

„Pah.“

„Was heißt hier ,pah‘? Den hat bestimmt dein Alter geklaut. Aber ich wette drauf, er richtet sich zu seiner ganzen Länge auf und haut mit der Faust auf die Schwelle, wenn er in der Zeitung liest, dass Politiker ihre Kreditkarten missbrauchen. Und selbst ist er um kein Jota besser.“

„Das kann man doch nicht vergleichen ...“

„Und ob man das kann. Heute ein Kuli, morgen eine Reise nach Hawaii.“

Er holte seinen Mantel und zog ihn mit seinen fuchtelnden, windmühlenartigen Bewegungen an. „Dass es doch noch geklappt hat, was?“ Er hüpfte ein paar Mal mit beiden Beinen, während er die Arme vom Körper wegstreckte. „So, jetzt sitzt er gut.“ Er ging in die Diele und zog seine Cowboystiefel an. „Man ist schon ziemlich unglaublich ... Ich bin von Tag zu Tag mehr beeindruckt. Ich muss jetzt zu Hause vorbei. Ich nehme El Apparillo mit und verpacke ihn ordentlich. Und dann rufe ich Americanos Expressos an und frage, was die Karte für einen Kreditrahmen hat. Da gibt es doch eine Grenze, nicht wahr. Und da Lena meistens geizig ist, ist der Kredit bestimmt schon finito. Ticketpreise haben die! Du kannst noch ...“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „... genau drei Stunden und dreiundzwanzig Minuten schlafen. Buenas noches, amigo!“

Ich schlief tatsächlich fast noch zwei Stunden.

Immerhin.

Als Schröder gegangen war, erwartete ich, Bogarts dröhnendes Motorengeräusch zu hören, aber es kam nicht. Ich schaute hinaus. Es war noch sehr dunkel, aber ich sah immerhin, dass das Gartentor geschlossen und die Straße leer war. Er ist wohl gegangen, dachte ich und beschloss zu packen, ehe ich mich hinlegte.

Während ich das tat, fragte ich mich wieder, wie es eigentlich um mich bestellt war und warum es immer lief, wie es lief, sobald ich Schröder traf. Ich hatte schon öfter Veranlassung gehabt, darüber nachzudenken, war aber nie zu einem Ergebnis gekommen. Einmal, vor langer Zeit (es kam mir vor, als sei es fünfzig Jahre her, mindestens), hatte ich begriffen, dass man bei Schröder einsehen musste, nichts machen zu können und sich deshalb von ihm fernzuhalten hatte.

Und doch, kaum tauchte er auf, war es, als ob ich gleichzeitig größer und kleiner wurde, wenn ihr versteht, was ich meine. Wenn ich ehrlich sein soll, ich bin selbst nicht so sicher. Was ich meine? Also: Ich sage erst Nein und mache dann doch, was er sagt, und gleichzeitig war da so ein Gefühl, dass er mich irgendwie brauchte, dass ich mich quasi um ihn kümmern müsste. Das war vielleicht ein bisschen überheblich von mir, aber so ein Gefühl hatte ich.

Gerade als ich einschlafen wollte, fiel mir wieder ein, dass Schröder den Hörer abgenommen hatte. War es möglich, den Anschluss zurückzuverfolgen? In so kurzer Zeit? Im Kino brauchen sie meistens viel Zeit auf den Polizeistationen, wenn sie Gespräche zurückverfolgten. Es kann also gar nicht funktionieren, beruhigte ich mich und wanderte in den Schlaf.

Sehr lange konnte ich dort nicht umherspazieren.

In irrer Mission

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