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Der Judas in Dir
ОглавлениеMein lieber Freund, meine liebe Freundin, das Ego, also der Teilaspekt von Dir, der an Trennung glaubt und daher der Angst fähig ist, ist ständig auf der Hut. Es fürchtet sich vor Verletzung und in aller Regel muss es denn auch nicht lange danach suchen und wird rasch fündig.
Der Mensch fürchtet sich vor Angriff und Ablehnung, eben einfach vor allem, was er mit Liebesentzug gleichsetzt. Er wähnt sich gut in einer ihm oftmals feindlich gesonnenen Außenwelt. Ist es erst einmal zu einer Verletzung gekommen, dann flüchtet er sich in die Opferrolle. Hier kennt er sich aus, hier fühlt er sich sicher. Und vor allem muss er sich hier keine unbequemen Fragen stellen. In dieser Rolle richtet er sich häuslich ein, wälzt sich in Selbstmitleid und muss sich nicht fragen, warum ihm dieses oder jenes widerfährt.
Viele Menschen verharren ihr ganzes Leben lang in dieser inneren Haltung und vereiteln so jedes persönliche Wachstum und jedes innere Voranschreiten. Die Opferrolle mag tröstlich erscheinen, doch ist sie nicht, was sie scheint. Hinter der Maske des vermeintlichen Freundes verbirgt sich der Judas und sein Verrat ist ein sehr grundsätzlicher. Das Verharren in der Opferhaltung schützt nicht etwa Dich, sondern vielmehr das Problem. Es schützt das Problem vor Deinem Zugriff, da es dorthin verlagert wird, wo es nicht ist und niemals sein kann, nämlich ins Außen.
Die Trostfunktion der Opferrolle ist eine Ausweichfunktion, eine Vermeidungsstrategie. Sie ist ein tückischer Schachzug des Ego. In der Opferrolle leckt das Ego seine Wunden wie ein waidwundes Tier. Die angeschlagene Integrität des eigenen Wesens bleibt erhalten und steht sie auch auf noch so wackeligen Beinen. Wer im Außen nach Gründen sucht, dem bleibt die innere Ursachenforschung erspart und so kann die Opferhaltung niemals wirklich Heilung bringen.
Wer mutig und behutsam die Verantwortung für die Geschehnisse seines Lebens übernimmt, der erobert sich die Souveränität über sein Leben zurück und eröffnet sich neue Handlungsspielräume. Den eigenen Schatten leugnen zu wollen, kommt dem Tun eines Kindes gleich, das die Augen verschließt in dem irrigen Glauben, es wäre für niemanden mehr zu sehen. Nur allzu oft vergesst Ihr, dass Ihr dem Bösen die Erkenntnis des Guten verdankt. In diesem Bewusstsein ist es Euch möglich, die eigenen Schattenseiten mutig zu erkunden und zu erforschen, so, wie Ihr es mit unbekannten und fernen Ländern tut. Hier kann es niemals um Verurteilung gehen, sondern vielmehr um neugieriges Beobachten, Erkennen, Verstehen. Was braucht es denn, um Dunkelheit zu erhellen? Es muss Licht ins Dunkel, da nur Licht dies bewirken kann.
Ehrlichkeit gepaart mit liebevoller Akzeptanz führt immer und ausnahmslos zum Ziel. Wenn eine Eigenschaft, ein vermeintlicher Makel, erst einmal ans Licht Deiner Selbstwahrnehmung gekommen ist, dann kann sie nie wieder den gleichen Schaden anrichten, wie wenn sie im Verborgenen wütet. Was in Liebe aufgelöst wird, das ist wahrhaft erlöst. Nichts schützt die Dinge so sehr wie das Nicht-wahrhaben-Wollen. So Du den Mut hast, dem Tiger aus nächster Nähe ins Auge zu sehen, wirst Du Dich selbst darin spiegeln. Du wirst Deine Angst erkennen, die sich nur dann in Luft auflösen kann und darf, wenn Du sie klar erkannt hast als das, was sie ist: eben einfach nur Angst!
Meine lieben Freunde, Ihr lebt in einer dualen Wahrnehmungszone. Dies bedeutet, dass Ihr Euch in einer beliebigen Situation entweder als Opfer oder aber als Täter wahrnehmt und fühlt. Es mag Euch auf den ersten Blick vielleicht wundern, dass die Täterrolle nicht weniger Trug und Täuschungen im Gepäck hat als die Opferrolle. Sie ist nicht minder verräterisch.
Wenn Ihr Euch als Täter fühlt, überschüttet Ihr Euch in der Regel mit Eurem eigenen Hohn und Spott und zermürbt Euch in beißenden Schuldgefühlen. Wo sich das Opfer in Selbstmitleid wälzt, da ergeht sich der Täter in Selbstverachtung. Die eigene Lichtseite wird vollkommen verleugnet. Doch das eine hat so wenig mit der Wirklichkeit der Dinge zu tun wie das andere. Wer seiner Täterrolle bis auf den Bodengrund seiner Motivation nachspürt, der wird immer und ausnahmslos Angst entdecken und nichts als Angst. So ist der Täter wie auch das Opfer zutiefst in dieselbe Problematik verstrickt. Doch die Wirklichkeit der Dinge, die Wirklichkeit hinter der Fassade der äußeren Erscheinungen, ist eine andere: Ihr seid immer Täter und seid es doch auch nie und Ihr seid immer Opfer und seid es doch auch nie.
Der Mensch neigt immer zum Entweder-oder und übersieht dabei das Sowohl-als-auch in allem. Ihr seid Schöpfer! Ihr ›spielt‹ mit den unterschiedlichen Rollen zum Zwecke der Selbsterkenntnis. Dabei mögt Ihr die eine oder andere Rolle bevorzugen, je nach persönlicher Disposition und eigenem Erfahrungshintergrund. Wie sonst könntet Ihr das Licht erforschen, wenn nicht durch die Erforschung seiner An- und Abwesenheit. Dadurch definieren sich Euer tapferes Menschsein und Eure zauberhafte Menschlichkeit und Ihr seid wahrlich geehrt, die Ihr den Mut und die Weisheit habt, diesen Weg der Erkenntnis zu gehen.
Sowohl in der Täter- als auch in der Opferrolle spaltet Ihr Euch auf, Ihr verankert Euch in der Dualität, weil Ihr nur ein Fragment der Wirklichkeit seht, nur eine Seite der Medaille. Nehmt Ihr Euch jedoch als Schöpfer wahr, Schöpfer des einen wie auch des anderen, dann verbindet Ihr scheinbare Gegensätze, überführt sie der Heilung und überwindet Dualität. Wir erinnern uns: Geistig erhebst Du Dich über die Dualität, wenn Du nicht wertest. Emotional erhebst Du Dich über die Dualität, wenn Du liebst. Liebe Dich selbst in all Deinen Rollen als ihr ureigener Schöpfer und Du hast viel für Deine Heilung getan und damit auch für die Heilung der Welt.
»Das leichteste Opfer für einen Betrug
ist man selbst.«
Edward G. Earle Lord Bulwer-Lytton