Читать книгу Halbtier - Böhlau Helene - Страница 3
3
ОглавлениеDie beiden Mädchen sitzen ihrem Vater gegenüber in Mrs. Wendlands Landauer, Kutscher und Diener in vornehmer Livree.
Das leichte Gefährt rollt die Landstraße am Starnbergersee entlang.
„Bamsen, ich sag’ euch, daß ihr mir keine Schande macht. Schaut net so, als wär euch die Butter vom Brot gefallen.“
Der Dichter trägt einen hellgrauen Sommeranzug, graue Kniehosen und schwarze Strümpfe mit Halbschuhen.
Er ist vollkommen der elegante Tourist. Seine mächtige blonde Persönlichkeit nimmt sich vortrefflich aus.
Die Kinder konnten sich nicht erinnern, jemals mit ihrem Vater einen Ausflug gemacht zu haben, und wußten sich jetzt nicht recht in ihre Lage zu schicken.
Er liebte Familiensimpelei nicht und war als Ehemann Junggeselle geblieben. Als Schriftsteller brauchte er unendlich viel Anregung, auf die die Seinigen keinen Anspruch machen konnten. So war es gekommen, daß er in gewisser Weise ein Leben für sich führte und zwar ein Leben, das sich um eine Kaste höher abspielte.
Die beiden Mädchen sitzen wortlos. Aus der dumpfen Stadt in die schöne, reiche Sommernatur gekommen zu sein, thut ihnen weh und wohl, der weiche Seewind, die mächtigen Massen tiefdunkeln Laubes, das die Luft einzuengen scheint und der Duft nach blühendem Gras – wie bedrängt sie das alles! Das sollte man immer haben können! Arme junge Menschen, denen die Natur fremd bleiben muß.
Sie biegen jetzt in einen vortrefflich gehaltenen Kiesweg ein, der durch dichten Buchenwald eine Anhöhe hinanführt und kommen bald an ein schönes weitgeöffnetes Gitterthor aus kunstvoll geschmiedetem Eisen.
Da fährt der Wagen ein, im großen Bogen um einen köstlichen Rasenplatz, auf dessen saftigem Grün Centifolienrosenbüsche wuchern. Sie stehen jetzt in voller Blüte. Tausende von Rosenblüten, alle dasselbe zarte Rosa, und ein so süßer Duft, daß einem Stadtkinde die Thränen in die Augen kommen konnten. So etwas heimlich Ländliches; paradisisch Zartes liegt in den kunstlos, kunstvoll zerstreuten rosenbedeckten Büschen.
Ein Springbrunnen plätschert in einer stillen grünen Ecke, keine Paradefontaine im Centrum des Cirkels – nein, abseits wie ein verträumter Geigenspieler, der sich selbst zu eigner Lust in einer verlorenen Ecke ein Ständchen bringt.
Den beiden Mädchen schlägt das Herz. Wie eine breite laue Welle süß duftender Vornehmheit geht es über sie hin.
Der Wagen hält vor der Villa, der Diener öffnete den Schlag. Alles, worauf ihr Auge auch fällt, ist wie in einer andern Welt, alles sagt ihnen etwas von einem geheimnisvollen Leben, das sie nicht kennen.
Ihr Vater hilft ihnen aus dem Wagen – ja, war denn das ihr Vater? Er hat einen Ausdruck, den sie an ihm nicht für möglich gehalten hätten, so gentlemanlike, eine so ritterliche Bewegung des Arms, die ihnen gilt! Sie wurden unbeschreiblich verlegen.
Der Diener führte sie eine breite, steinerne Treppe hinan. Vorsaal und Treppenhaus ganz in Weiß und Gold gehalten.
Eine große Schale vor einem hohen Spiegel mit Centifolien und Reseda, die den Raum mit ihrem Sommerduft erfüllen.
Marie und Isolde wünschten sich weit fort.
Es war ihnen die Atmosphäre so kühl, als schlüge im Hause kein Herz!
Der Diener öffnete die Thürflügel. Isolden ist dieser Diener merkwürdiger als alles. Er war, kam es ihr vor, da und zugleich nicht da. So wesenlos ist ihr noch nie ein Mensch erschienen. Alles Menschliche hatte er, Gott weiß wo, gelassen.
Auf seinem Gesicht lag die Vornehmheit des Hauses versteinert.
Sie gingen durch ein hohes helles Vorzimmer und schauten nicht recht um sich. Die Thür nach einem andern Raum stand geöffnet. Sie traten ein und befanden sich einer Gesellschaft von verschiedenen Personen gegenüber.
Der Theetisch war gedeckt, Gäste waren um ihn versammelt. Ein leichtes Aroma von Cigaretten und Rosen. Es schienen den beiden Mädchen auf den ersten Blick viel mehr Personen gegenwärtig zu sein, als es in Wirklichkeit waren.
Eine Dame hob sich ein wenig aus ihrem Lehnsessel, beugte sich vor, streckte den Arm aus. Gelblich indische Seide floß faltig schlank an ihr herab. Ein liebenswürdiges Lächeln ging über das schmale, von glatt anliegendem schwarzen Haar eingerahmte Gesicht.
„Wie gut, daß Sie sind gekommen, lieber Dichter,“ sagte die Dame. „Nun, und Ihre jungen Mädchen – wir wollen sehn.“
Sie gab jedem der Mädchen die Hand.
Tiefe schwarze, feuchte Sammtaugen fühlten sie auf sich gerichtet, kühl, vornehm, freundlich.
„Kommen Sie, nehmen Sie Platz, lieber Dichter.“
Isolde sah weltenweit von sich entfernt Henry Mengersen im weißen Flanellanzug.
Sie empfand, wie er hier heimisch war.
Ein tödlicher Schreck, ein banges Schamgefühl überwältigte sie, als sie an den Schädel daheim dachte. Die süße mystische Liebeswonne, die bräutlich nonnenhafte Seligkeit, wie erschien ihr das alles jetzt! Den Schädel hatte sie geliebkost ja! Die beiden Stirnen hatten dieselbe Form – gewiß. Sie hatte vor ihm wie im Gebet versunken gelegen. Es war ihr so natürlich erschienen. So ein thörichtes Geschöpf wie sie war! —
Henry Mengersen wurde den beiden Mädchen vorgestellt. Er erinnerte sich Isoldens. Sie hatten sich in einer Gesellschaft bei Freyschen Freunden getroffen. Er reichte ihr die Hand und begrüßte sie als alte Bekannte.
Außerdem war ein ältlicher, norddeutscher Baron da, ein jovialer Herr und eine noch junge schlanke Frau mit kleinem Kopf und kräftig voller Gestalt, einem etwas ernsten Kindergesicht, großen Augen, kleiner Nase, hübsch geformtem Mund. Sie schien eine angenehme Person zu sein. Ihr weiches, braunes Haar trug sie in einem nicht geschickt arrangierten Knoten.
Zuguterletzt rekelte sich ein, zweifelsohne, hochmoderner Schriftsteller in seinem Stuhl. Er rekelte sich, weil das seiner Lebensanschauung wahrscheinlich entsprach.
„Grüß Gott, Übermensch!“ sagte er und schüttelte Doktor Frey kollegialisch, aber auf eine etwas schlottrige Weise die Hand.
Ein tadelloser, aber ein wenig zu weiter Salonanzug bedeckte seine gelenke, feingliederige, mit zartem Fett ausgepolsterte Gestalt. Die breite, gestärkte Hemdenbrust stand in weitem Bogen aus der tief ausgeschnittenen Weste heraus. Es war alles nicht so recht niet- und nagelfest an ihm.
Doktor Frey aber schien mit allen, die am Tisch saßen, bekannt und vertraut. Er hatte etwas so leicht-beweglich Mächtiges, wie eine gut geschmierte große Maschine.
Als er sich niedersetzte, sagte er, jovial und wie im Prophetenton, eine seiner Sentenzen: „Wir müssen alle wahr sein, wahr bis zum Äußersten – wahr und lebensfreudig – dann wird die Welt bald ein anderes Gesicht bekommen.“
Jede seiner Bewegungen zeugte davon, daß er sich hier sicher und wohl fühlte, daß er sich seines Werts bewußt, daß er ein berühmter Mann war.
Als Marie und Isolde in den eigentümlichen englischen Stühlen Platz nahmen, empfanden sie ein lebendiges Behagen, wie sich das glatte zarte Holz an den Körper schmiegte. Unwillkürlich strich Isolde wie liebkosend über die Armlehne auf der ihre Hand ruhte. Sie fühlte sich so geborgen.
Wie robust lebte es sich daheim, wie häßlich und grob.
Ihren Vater ließ sie nicht aus den Augen. Er war hier wie ein anderer Mensch. Wie zu einem Heiligen neigte sich die schöne Frau zu ihm und fragte ihn, ob er Rum oder Citrone in den Thee wünsche. Eigenhändig reichte sie ihm das Gewünschte und er schaute wie ein Halbgott um sich.
Isolden war etwas wie Weinen und Lachen nah. Ein erschrecklich verquicktes Ding von einem Gefühl. Sie dachte an die Mutter daheim. Der Thee war so duftend, die Tassen so zart, alles Gerät auf dem Tisch als stammte es aus einer vollkommeneren Welt.
Die Mädchen saßen ganz still in ihren hellgrauen Lodenkostümen, wie zwei graugefiederte Tauben.
Sie dachten beide an ihre Kleider, die sie im Köfferchen mitgebracht hatten und fühlten eine wahre Sehnsucht danach.
Mrs. Wendland fuhr im leichten Plaudern fort, in dem sie, durch das Eintreten der neuen Gäste, unterbrochen worden war. „Lu,“ wendete sie sich an die junge Frau, „man hat mich gefragt, was ich habe an dir? Was hast du an ihr? Ich habe gesagt: das, was du hast an mir, hab’ ich an ihr. Ich bin wärmer als du, sie ist wärmer als ich. Es ist immer die Wärme.
Und weißt du, wer hat gefragt?
Dieser Öfling!“ Mrs. Wendland blickte auf den kleinen dicken Baron.
Die junge Frau sah groß auf und lachte.
„Ja,“ sagte sie, „ich stehe nicht in Gnaden bei dem Baron.“
„Verehrteste!“ der kleine dicke Baron machte eine wahrhaft entsetzte Bewegung und steckte seinen goldnen Kneifer auf die Nase. „Verzeihung, gnädigste Frau, da muß ich allerdings einen absolut anderen Zusammenhang …“
„Mußt dich nicht bemühen, lieber Freund.“
Mrs. Wendland stand vor dem Kamin, ihre hohe schlanke Gestalt nachlässig hingelehnt.
Sie schaute mit unergründlichen Augen auf die Gesellschaft. Über ihr lag eine eigentümliche Ruhe, wie sie gewöhnlichen Menschen nicht eigen ist. „Merkwürdigerweise,“ fuhr sie fort, „sagte Lu dasselbe von dir, lieber Baron: Wie kannst du verkehren mit diesen dummen Baron?“
„Mary!“ rief die junge Frau ganz entsetzt.
Mrs. Wendland aber erzählte ruhig weiter: „Ich habe gesagt: Es ist ein alter Liebhaber von mich und ich frag’ ihn: Wo kaufst du das beste Kaiseröl und ob er seine Leute auch Werktags Wein giebt – solche Dinge – aber das ist das Gemütliche nicht wahr, Baron?“
„Du bist heut ja wieder von fabelhafter Freimütigkeit!“
Die junge Frau war tief errötet und etwas nervös geworden.
„Und schließlich, ist denn diese Freimütigkeit so notwendig?“
„Meine liebe Lu, Freimütigkeit ist nie unnötig. Denke, was für ein schönes Wort: Frei! – Mutig! – Zum Beispiel: Ich habe das Unglück, unter deutschen Frauen zu leben. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe. Die, mit denen ich muß leben, die werd’ ich nicht in ihrem Dunkel sitzen lassen. Alle deutsche Frauen sind Kühen,“ sagte sie aufseufzend.
„Das gehört eigentlich wieder unter vier Augen,“ meinte Frau Lu.
„Mit deinen, ‚unter vier Augen‘!“ Mrs. Wendland lächelte.
„Was man unter vier Augen sagt, ist so gut, als ob man gar nichts sagt – außer in Liebesdingen – ja dann – natürlich. Aber alles andre ist gut, wenn man aller Welt es sagt. Es wird bekannt. Ich sage alles, was ich denke.“
Der moderne Schriftsteller hatte eine zarte Applaudierbewegung mit den Spitzen seiner Finger gemacht, als Mrs. Wendland die eigentümliche Bemerkung über die deutschen Frauen vorbrachte. Mrs. Wendland hatte dies bemerkt.
„Und was soll ich von den deutschen Männern sagen, wenn ich muß sehen so etwas?“
Sie umgab den Schriftsteller wahrhaft mit der ruhigen Macht ihres Blickes. „Wenn ich sage, die deutschen Frauen sind Kühen, so ist das etwas Trauriges und ein schlechtes Zeichen für den deutschen Mann.
Wenn ich bin freimütig und sage, was Frau Lu von meinem guten Baron gesagt hat, so will ich, daß sie nicht soll erschrecken. Sie soll ganz ihr selbst bleiben – ganz ruhig in ihre Seele, nicht aus der Contenance kommen. Eine Frau, die gethan und gelebt hat, wie Frau Lu, die so gehandelt hat, muß souverain sein. Lu hat nie zu die Kühen gehört – nie. Lu nie.“
Das sagte Mrs. Wendland sehr bestimmt.
„Sie ist Ausnahme, first class.
Wenn ich denke an Lu, denke ich, daß sie genagelt ist an ein Kreuz mit tausend Rosen überdeckt, so ganz überdeckt von Rosen – ein Golgatha, ganz in Rosen.
Niemand sieht, daß sie genagelt ist – aber sie ist’s, mit Händen und Füßen, weil sie eine so glückliche Ehe hat, so ein Wunder von einer Ehe. Eine wirklich glückliche Ehe! – Nicht, was man so nennt glückliche Ehe, das ist eine Futterehe, was man im allgemeinen nennt „glücklich“.Aber Lus Ehe ist in Wahrheit glücklich – und das ist ein großes Unglück.“Mrs. Wendland ging auf ihre Freundin zu, strich ihr über das Haar. „Arme Lu!“Frau Lu schlang die Arme um sie und sagte: „Aber wie viel besser es ihm jetzt geht! – Und er arbeitet! Wenn Gott nur einmal ein bissel neutral bleibt.“„Übrigens, mir fällt ein,“ sagte Mrs. Wendland – „etwas ganz anders: Gestern geh’ ich meinen Spaziergang außerhalb meinem Park und begegne einer deutschen Familie – zwei Männern, Kindern und eine Frau.
Aber Lus Ehe ist in Wahrheit glücklich – und das ist ein großes Unglück.“
Mrs. Wendland ging auf ihre Freundin zu, strich ihr über das Haar. „Arme Lu!“
Frau Lu schlang die Arme um sie und sagte: „Aber wie viel besser es ihm jetzt geht! – Und er arbeitet! Wenn Gott nur einmal ein bissel neutral bleibt.“
„Übrigens, mir fällt ein,“ sagte Mrs. Wendland – „etwas ganz anders: Gestern geh’ ich meinen Spaziergang außerhalb meinem Park und begegne einer deutschen Familie – zwei Männern, Kindern und eine Frau.
Die Kinder liefen voraus und die Frau war zurückgeblieben. Sie hatte ’was an die Füße und war so eine dicke Bürgerin.
‚Schau,‘ sagt die eine Mann zu seinem Begleiter, ‚wie deine Alte nachhatscht.‘ —
‚Na, alter Kachelofen,‘ ruft ihr der Ehemann zu, ‚mach voran!‘
Und die Frau schaut auf mich und lacht so gutmütig und sagt:
‚So san die Mannersleut!‘
So sind sie alle, da liegt das ganze „Deutsch“ darin.
Lieber will ich ein Pferd sein, als eine deutsche Frau!“
„Nun, ich dächte, eine schöne Frau darf doch auch in Deutschland reden, wie es ihr gefällt,“ sagt der moderne Schriftsteller, und um seine Lippen spielte ein Lächeln, wie er es in der Gewohnheit hatte, wenn er eine Frau über irgend einen Gegenstand sprechen hörte, auch wenn dieser Gegenstand ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Geschlecht gewesen wäre, – ein so nachsichtiges, gnädiges Lächeln.
„O ja, eine schöne Frau kann auch in Deutschland manches thun; aber das liegt auf einem ganz anderen Gebiet.
Ich bewundere die deutsche Frau, daß ihr nicht die Geduld ausging.
Ich würde eine Bombe nehmen und auf die Schlafrock von meinem Mann werfen und auf die Schlafrock von alle Männer, die schreiben und philosophieren und sprechen von die Frau.
Mitten in ihr Dunkel würde ich werfen.“
„Oho! Hochverehrte,“ rief Doktor Frey mächtig. „Deutsche Liebe! Deutsches Weib! Minnesang! Sie thun uns bitter unrecht!“
„Da kommen Sie mit die Mittelalter! – Natürlich, das thun alle deutschen Männer, wenn sie von die Frau reden. Ein deutscher Mann sieht die Frau immer im Mittelalter, auch in solch einem Kostüm. Ich glaube, wenn er von die deutsche Frau spricht, denkt er an eine aus Holz geschnitzte, nie an die lebendige, so wie auf den Titeln von allen deutschen Familienzeitungen zu sehn ist, so kinderlich. Das Naivste, was es in dieser Beziehung giebt, ist der deutsche Mann.
Deutsche Liebe! Ich mache zwei Kreuze davor, damit man sich in acht nimmt.
Ich will eine lange Geschichte erzählen: ich liebe sehr Geschichten zu erzählen,“ sagte sie träumerisch.
„Es hat sich eine Ausländerin verheiratet. Sie hat einen deutschen Baron geheiratet.“
Mrs. Wendland sah mit ihren tiefen ruhigen Augen, geradaus über die Gesellschaft hinweg.
Wie vornehm kühl stand sie da als wenn alles auf der Welt sie nichts anginge; auch das Alter nichts. Denn sie war nicht mehr jung.
Wie floß aber die gelbe indische Seide an ihrer schlanken Gestalt herab.
Diese Frau hatte sich in Nichts nachgegeben, das sah man.
Sie hatte ihr Leben mit sich selbst durchdrungen.
„Und dieser Baron ist so ein deutscher Lebemann,“ fuhr sie fort. „Er hatte gelebt und geliebt, wie man sagt.
Er war ein schöner Mann und hatte ein Schloß und Wald und Jagd und war ein große Jäger. Er hatte genug von die Frauen und deshalb heiratete er.
Und wie ich sagte: Er heiratete eine junge Ausländerin – schön – klug und sie hatte nicht gelebt und geliebt, wie man sagt, und liebte ihren Mann mit solch einer schönen jungen Liebe und solch einem Verlangen nach Liebe. Und er hatte nicht ein Verlangen nach Liebe und kümmerte sich wenig um sie.
Sie aber war traurig darüber und er ging alle Morgen auf die Jagd.
Im Winter, vor Sonnenaufgang stand er leise auf und ließ sie in Thränen verliebt allein. Da sann sie, wie sie ihn halten könne.
Und einmal war es auch, da wußte sie schon, daß er wieder gehen würde. Draußen lag leichter Schnee über der Welt und der Mond schien helle.
Da war sie es, die aufstand, viel, viel leiser als er, so zart, wie eine Hauch und sie legte ihre Nachtkleider ab und schlüpfte nur in eine weiche Pelz – dann schlich sie fort – und zum Schloß hinaus.
Und unter einer einsamen Linde warf sie ihre Pelz ab und stand in ihre große Schönheit im Mondschein.
Da legte sie sich in den weißen, unberührten Schnee und der Schnee trug die Linien von ihre zarte Gestalt. Dann hob sie sich wieder und schlüpfte in ihr Pelz und eilte schnell in das Schloß zurück, in ihr Schlafzimmer – leise – wie ein Hauch.
Und als der Baron erwachte und sie wollte verlassen, um zur Jagd zu gehen – da sagte sie: ‚O denke, es ist ein edles Wild bis nah vors Schloß gewesen, ich habe seine Spur gesehen unter der Linde.‘
Da lachte er und glaubte nicht.
‚O geh, sagte sie, du wirst es sehn, daß ich wahr sagte.‘
Und er ging.
Und als er wiederkam? Da verließ er ihr, denke ich, nicht mehr.
Und meine Geschichte heißt: Die Wildspur.
Das ist was ich nenn ‚Frau‘ und ‚Liebe‘, so süß und klug. O, es gehört mehr Weisheit und Seele – und Geist dazu, als zu eine Eisenbahn baun.“
„Eine Geschichte für junge Damen,“ sagte der moderne Schriftsteller lächelnd und verbeugte sich leicht, zu Marie und Isolde gewendet.
„Gewiß für junge Damen,“ sagte die schöne Frau. „Oder meinen Sie für alte?“
Die kleine Geschichte hatte sie mit solch einer freimütigen Schönheit erzählt, daß es über alle wie ein Hauch von Poesie ging.
Doktor Frey erhob sich, goß ein zierliches Kristallglas voll Wein, ließ sich vor Mrs. Wendland auf ein Knie nieder und sagte indem er das Glas an die Lippen führte: „Dem wundervollsten Weib!“
„O, Sie sind ein deutscher Dichter! Sie sind ein Freiheitsmensch, ich weiß.
Es ist sehr nötig hier.“
Die beiden jungen Männer, der Schriftsteller und Henry Mengersen verhielten sich bisher passiv. Der Schriftsteller hatte den Blick selten von Mrs. Wendland gekehrt.
„Kann so bleiben,“ murmelte er ein paarmal vor sich hin, „kann so bleiben.“
Henry Mengersen war, wie es schien, ein wenig verstimmt.
Mrs. Wendland hatte Doktor Frey und seine beiden Mädchen veranlaßt, mit ihr auf den Balkon hinauszutreten.
„Alles angeweiblicht – für Weiber!“ – sagte Henry Mengersen zum Baron gewendet. „Jawohl, Eisenbahnen bauen! O teure Mistreß, versuchen Sie’s mal.“
„Na,“ meinte der Baron, „Sie Tiger, das sagt man doch bloß. Und übrigens, ich habe nichts gegen das Ewig-Weibliche hier um diesen Tisch. Reizende Kerlchen – was?“
Er zwinkerte und deutete mit diesem Zwinkern auf die verlassenen Plätze der beiden Mädchen.
„Nicht übel, die eine ist mir schon bekannt, ein sonderbares Huhn.“
*
Zum Souper kleideten sich die beiden Mädchen in ihre duftigen langen Gewänder und es fiel ihnen wie ein Stein vom Herzen, als sie sich so schön sahen. Die Vornehmheit bedrückte sie nun nicht mehr.
*
Spät am Abend sprach Mrs. Wendland den Wunsch aus, daß Henry Mengersen sie alle miteinander in sein Atelier führen möchte.
Auf eine kühle Art zeigte er sich bereit dazu.
Isolden schlug das Herz.
Und während die anderen im Salon noch eifrig plauderten, stand sie allein draußen auf der Terrasse und sah in die Sommernacht hinaus.
*
Zwei Jahre mochten es her sein, da hatte sie in einer Münchener Kunstausstellung, kaum fünfzehnjährig, vor einer Reihe Radierungen gestanden – und das Kind hatte geschaut und geschaut, die Zeit war ihr vergangen, ohne daß sie es empfand.
Die Leute hatten über das kleine weltvergessene Mädchen gelächelt.
Sie aber hatte eine neue Welt gesehen und gefühlt.
Da war eine Landstraße gewesen, eine langgestreckte Landstraße, links und rechts mit jungen Obstbäumen besetzt und diese Straße führte geraden Wegs hinein in einen dunkeln, drohenden schweren Gewitterhimmel.
Niemand ging diese Straße. Sie aber ging sie. Sie ging im Geist auf dieser Straße.
Eine große tote Stille – kein Blatt rührt sich – kein Laut – und auch die ungeheure Wolkenmasse stand unbeweglich, ein großes, düstres Geheimnis.
Und diesem drohenden, düsteren Unbekannten lief sie entgegen. Sie ging nicht, sie lief.
Sie war ganz entrückt.
Und dann ein andres Blatt:
Auf hohen Gebirgsgipfeln mitten in der Gletscherwelt, im ewigen Schnee, kämpften zwei Titanen unter schwerem Himmel. Der ewige Schnee stiebt um sie her. Eisklötze fliegen. Der Grund ist zerwühlt, zerstampft, zerklüftet und zerrissen von der Gewalt der Hufe.
Um was kämpfen sie? Um ein armes Häschen, das tot und winzig im Schnee liegt, das der eine erbeutet hat und der andere ihm nicht gönnt.
Da mußte das Kind lachen.
Und weiter:
Auf einem Bild sah sie ein Liebespaar. Rosen und Nacht. Es war alles so verstohlen.
Sie begriff.
Es war da ein Duft von Jasmin in der Luft – und das Geheimnis, das große Geheimnis.
In der Schule steckten sie die Köpfe immer zusammen, das Eine, nur das Eine ließ ihnen keine Ruh; es sprühte ihnen im Blute, es stieg ihnen zu Kopfe, es nahm ihnen den Atem. Und dann war es so widerwärtig – die anderen konnte man darum hassen, daß sie davon tuschelten. Und im Umsehen waren sie wieder dabei – sie mit.
Eine zeigte eine Stelle im Religionsbuche, ohne ein Wort zu sagen.
Eine errötete. Und alle schauten und machten lange Hälse und wollten es sehen – lesen – genießen – davor erschauern – sie mit.
Wie unanständige Kobolde, ganz elementar, ganz naiv. —
Ja, und dieses Bild! da war das Geheimnis.
Sie war aber wie reingespült davon.
Eine süße, ungeheure Melodie hörte sie. Sie fühlte etwas so Großes, so Einziges, etwas zum Hinsterben. Von dem Tuscheln, Schauern, dem naiv frechen Treiben der unanständigen Kobolde, die die Leute Backfische nennen, war sie von jener Stunde an getrennt.
Auf dem nächsten Bild dasselbe Liebespaar.
Ja, sie erkannte sie beide wieder. Ein Kind war geboren. Das Weib lag langgestreckt und tot. Es stand da eine Wasserschale und Tücher lagen da. Sie sah das Weib mit Schauern. Es war eben geschehen.
Der Mann kniete und hielt den Kopf des toten Weibes in seinen Händen und seinen Kopf hatte er ganz vergraben.
Hinter beiden aber stand der Tod, riesig wie eine mächtige Wand, wie ein Fels und auf seinem Arm lag das eben geborene tote Kind, gleich einer welken Blüte, die zufällig ein Sturmstoß auf den Arm des Todes geweht hat, so hing es formlos zusammengefallen.