Читать книгу Das Pfannen-Deckel-Prinzip - Bianca Nias - Страница 6

Kapitel 2

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Tobias

Die Wohnungstür wird mit einem leisen Klicken ins Schloss gezogen, doch ich stehe noch immer wie festgewachsen an derselben Stelle und kann mich nicht rühren.

Probehalber wackele ich zunächst mit dem Kopf, dann kreise ich die Schultern und schüttele die Arme aus, um diese altbekannte und äußerst lästige Starre loszuwerden. Dabei wiederhole ich in Gedanken unser Gespräch, von der Begrüßung bis zum letzten Satz.

Unglaublich!

Ich habe tatsächlich ein halbwegs normales Gespräch mit einem völlig fremden Menschen geführt! Und ihm dabei sogar direkt in die Augen geschaut!

Sicherlich hat es damit zu tun, dass ich Luíz in meinen vier Wänden empfangen habe. Im vertrauten Umfeld meiner Küche ist es mir plötzlich leichtgefallen ihn anzusehen, zu antworten und sogar ganz normal mit ihm zu lachen. Vielleicht hat mir aber auch seine direkte Art geholfen, nicht wie üblich ins Stottern zu geraten und mich dann völlig zu verschließen. Solange sich andere Menschen konkret ausdrücken, habe ich kaum Probleme mit Kommunikation.

Oh Mann, Jasmin wird stolz auf mich sein. Das muss ich ihr später erzählen. Nein, eher jetzt sofort. Ein Blick auf die Küchenuhr verrät mir, dass es auf achtzehn Uhr zugeht. Ihre Schicht im Rathauscafé endet um sieben, also muss ich auf der Stelle los.

Duchesse schlendert mit hoch erhobenem Haupt in die Küche, schaut sich um und maunzt enttäuscht.

»Nein, er ist schon wieder weg«, brumme ich zur Antwort. »Aber er kommt morgen wieder.«

»Mau-mauuuuu«, klagt sie, setzt sich neben ihren Napf und starrt mich herausfordernd an.

»Abendessen gibt es erst um neunzehn Uhr«, erinnere ich sie wie so oft. »Ich gehe noch mal weg, bin aber gleich wieder da. Sei schön lieb.«

Schnell schütte ich den Kaffee aus meiner Tasse in die Spüle, lasse Wasser nachlaufen und trockne das Becken mit dem Handtuch wieder aus, bevor ich das Geschirr in die Spülmaschine stelle. Ich weiß, es ist eine seltsame Eigenart von mir, dass ich mir immer selbst einen Kaffee zubereite, obwohl ich ihn sowieso nicht trinke. Ich mag den Geschmack nicht, will aber auch nicht, dass mein Besuch denkt, es wäre unangemessen, mich um eine Tasse zu bitten. Das mache ich sogar, wenn Mama oder Jasmin zu Besuch kommen, obwohl sie anfangs versucht haben, mich davon abzuhalten.

Jetzt muss ich mich aber wirklich beeilen. Vollkommen euphorisch renne ich in den Flur, hole meine Schuhe aus dem Schränkchen, schlüpfe in den einen, angele mit dem Fuß nach dem anderen – und falle dabei um wie ein nasser Sack.

Aua!

Zum Glück krache ich bloß mit der Schulter gegen die Wand, nicht mit dem Kopf. Trotzdem gehe ich nahezu ungebremst zu Boden und lande auf dem Allerwertesten. Ich stöhne, rolle mich auf die Seite, krümme mich zusammen und warte, bis der Schmerz nachlässt und ich wieder einigermaßen normal atmen kann.

Verdammter Mist. Das ist mir nicht zum ersten Mal passiert und ich ermahne mich selbst, zukünftig besser aufzupassen und mich beim Schuhe anziehen hinzusetzen. Um meine motorischen Fähigkeiten ist es nicht so gut bestellt, als dass ich auf einem Bein stehen könnte. Wie konnte ich das vergessen! Offenbar bin ich noch immer vollkommen durcheinander.

Entschlossen mahne ich mich zu mehr Ruhe, rappele mich wieder hoch und ziehe den anderen Schuh im Sitzen an. Anschließend greife ich nach meiner Jacke und vergewissere mich, dass ich alles dabei habe.

Schlüssel, Brieftasche, Handy. Die Waschmaschine ist mit dem Kurzprogramm zwischenzeitlich fertig und hat abgepumpt, daher gehe ich noch ins Bad und drehe den Hahn wieder zu. Gut, dann kann es ja losgehen.

Ich verlasse das Haus und wende mich nach links, in Richtung Altstadtviertel. Es regnet ziemlich stark, doch das schmälert meine gute Laune nicht. Bis zum Rathauscafé sind es zu Fuß nur fünf Minuten und ich bin ziemlich durchnässt, als ich dort ankomme. Die getönten Fensterscheiben des historischen Gebäudes sind hell erleuchtet, der warme Lichtschein wirkt richtig einladend. Ich betrete das kleine Café und sauge den altbekannten, vertrauten Geruch in mich ein. Hier duftet es immer gleich, nämlich nach Kaffee, frisch gebackenen Kuchen und den gebohnerten Dielen. Über allem liegt der spezielle Geruch des alten Gemäuers, dem die Geschichte des denkmalgeschützten Hauses anhaftet.

Bei dem Wetter und um diese Uhrzeit sind keine Gäste mehr hier, doch ich entdecke Jasmin sofort, die die ruhige Stunde nutzt, um die Tische neu einzudecken und für den nächsten Tag vorzubereiten.

»Jassy!« Noch während ich die Tür hinter mir schließe, rufe ich nach ihr und winke ihr quer durch den Gastraum aufgeregt zu.

Verblüfft richtet sie sich auf und lässt sofort den Stapel Stoffservietten, den sie in der Hand hat, auf die nächstgelegene Tischplatte fallen.

»Tobi! Ist was passiert?« Sie eilt auf mich zu, bleibt vor mir stehen und packt mich an den Oberarmen, um mich eingehend zu betrachten.

Ich mag Berührungen im Allgemeinen nicht sehr gern, nur die von Jasmin und Mama bilden eine Ausnahme. Schließlich ist Jassy meine kleine Schwester und ich kenne sie von Geburt an.

»Ich hab mit einem Mann gesprochen«, platzt es stolz aus mir heraus.

»Puh. Dann ist ja gut.« Sie schnauft, lässt mich wieder los und streicht sich eine Strähne ihres blonden Haars, das sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hat, hinters Ohr zurück. Als sie sich mir wieder zuwendet, erhellt ein breites Grinsen ihr Gesicht. »Ein Mann? Oh, das sind ja tolle Neuigkeiten. Los, erzähl mir davon!«

»Musst du nicht erst noch fertig eindecken?«, frage ich und deute auf die Tische, an denen sie gerade beschäftigt gewesen ist.

Sie winkt jedoch ab. »Kann ich später noch machen. Komm, setz dich.«

Die Tür zur Küche öffnet sich und Wilhelm, der Inhaber des Rathauscafés, kommt mit einem Tablett voller Blumenvasen in den Gastraum, das er schnaufend auf dem Tresen abstellt.

»Hallo, Tobias«, grüßt er mich. »Willst du Jasmin abholen? Ihr könnt auch schon nach Hause gehen, den Rest schaffe ich heute allein. Ist ja sowieso nix mehr los, da kommt jetzt bestimmt keiner mehr.«

»Nein, ich helfe euch noch«, wehre ich ab.

Tische eindecken gehört neben dem Einräumen der Spülmaschine zu meinen liebsten Tätigkeiten, wenn ich ab und zu meiner Schwester helfen darf. Was sie zu meinem Bedauern allerdings viel zu selten zulässt, weil ich ihr dabei zu langsam bin. Jetzt aber nimmt sie meine Hand, zieht mich zu den halbfertigen Tischen hinüber und drückt mir den Stapel Servietten in die Hand.

»Nun gut, du darfst ausnahmsweise die Servietten übernehmen. Aber nur, wenn du mir dabei alles erzählst. Ich will jede Kleinigkeit hören!«

Während ich die Stoffservietten ordentlich falte und sie auf den Tischen verteile, berichte ich ihr ausführlich vom Besuch meines neuen Agenten. Wie immer lässt mich Jassy zunächst ausreden, dann erst unterbricht sie ihre Arbeit und wendet sich mir wieder zu.

»Hey, das klingt doch super. Du scheinst ihn zu mögen«, stellt sie fest.

»Weiß nicht«, brumme ich abwehrend, während meine Hände die vielfach trainierten Bewegungen ausführen, um die starren Stoffservietten in die gewünschte Form zu bringen. Mich gleichzeitig dabei zu unterhalten, hat viel Übung gebraucht und gelingt mir auch nur in einem ganz bestimmten Umfeld, wenn ich entspannt bin und mich wohlfühle.

»Und er hat dir nicht verraten, was er von dir will?«, fragt Jasmin nach.

Ich schüttele den Kopf. »Noch nicht. Vermutlich aber genau das, womit Irina mich schon seit Wochen belabert.«

»Die wollen noch immer, dass du mit einem Bühnenprogramm auftrittst?« Meine Schwester schnaubt, während ich ungehalten seufze.

»Ja, ich schätze, genau das.«

»Du musst diesem neuen Agenten die Wahrheit sagen«, ermahnt Jasmin mich nun, doch ich schüttele sofort wieder heftig den Kopf, weil ich genau weiß, was sie meint. Schließlich hat sie mir das oft genug gesagt.

»Nein. Das geht niemanden etwas an.«

»Okay. Es ist allein deine Entscheidung.« Sie breitet eine blütenweiße und saubere Decke über den Tisch, den sie gerade mit einem nassen Lappen abgewischt hat, und zupft sie zurecht. »Ich denke trotzdem, dass deine Agentur darüber Bescheid wissen muss«, fährt sie dann allerdings fort. »Tobi, du bist ein toller Mann und ein noch besserer Bruder. Ich liebe dich genau so wie du bist, aber ich will nicht, dass du missverstanden und dann falsch behandelt wirst, nur weil die Leute es nicht wissen.«

»Und ich will nicht als behindert abgestempelt werden«, knurre ich ungehalten.

Diese Diskussion haben wir zu meinem Leidwesen schon oft geführt, dennoch vertreten wir dabei jedes Mal einen gegensätzlichen Standpunkt. Ich komme gut zurecht, habe jahrelang geübt und das Verhalten meiner Mitmenschen studiert. Meine Psychologen haben mir geholfen, eine Taktik zu entwickeln, wie ich den Situationen aus dem Weg gehen kann, die mich überfordern oder von denen ich weiß, dass ich sie nicht bewältigen kann.

Reflexion, Selbsteinschätzung und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung sind Dinge, die mir niemand zugetraut hat und die ich mir Stück für Stück hart erarbeitet habe, indem ich mich ständig hinterfragt, analysiert und kritisiert habe. Wenn aber andere Leute mitbekommen, dass ich ein Asperger bin, behandeln sie mich wie ein Kleinkind. Das kann ich weiß Gott nicht ertragen.

»Du bist auch nicht behindert«, meint Jasmin, kommt zu mir herüber und tätschelt mir über den Rücken. »Du bist der intelligenteste Mensch, den ich kenne. Bei manchen Sachen reagierst du einfach anders, das ist alles.«

»Bei ziemlich vielen Sachen«, korrigiere ich sie selbstkritisch. Ich schaue mich im Gastraum um. Die Tische sind fertig. »Kann ich noch die Spülmaschine einräumen?«, frage ich hoffnungsvoll, aber auch, um endlich das Thema zu wechseln.

Jasmin kichert. Warum auch immer. Habe ich gerade etwas Lustiges gesagt?

»Sorry, das habe ich vorhin schon erledigt, du kommst zu spät«, erwidert sie jedoch nur. »Aber du kannst mich gerne nach Hause begleiten und mir auf dem Weg erzählen, welches Thema du für den Podcast morgen vorbereitet hast.«

Wir verabschieden uns von Wilhelm und ich bringe Jassy noch bis zu ihrer Wohnungstür. Sie wohnt ebenfalls nur ein paar Straßen vom Rathauscafé entfernt, in dem sie seit drei Jahren als Kellnerin arbeitet. Dabei hat sie einen guten Schulabschluss und hätte einen weitaus besser bezahlten Beruf erlernen können, aber sie wollte weder Bankangestellte, Arzthelferin noch Kindergärtnerin werden. Ihr gefällt es, den ganzen Tag herumzurennen, die Leute zu bedienen und es tagtäglich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun zu haben.

Wie kann man so etwas nur mögen?

Das ist allerdings nicht das Einzige, was ich an meiner Schwester nie begreifen werde.

Luíz

Guter Dinge mache ich mich am nächsten Nachmittag wieder auf den Weg in die Goldbachstraße, wo Kämmerer wohnt. Das Viertel wirkt dank der sonntäglichen Ruhe wie ausgestorben, aber da die meisten Menschen bei diesem Mistwetter zu Hause geblieben sind, muss ich ziemlich lang nach einem Parkplatz suchen.

Mit viel Glück entdecke ich am Ende der Straße eine Parklücke, in die ich meinen BMW gerade so hineinquetschen kann, ohne den Vordermann zu sehr einzuparken. Ich grummele ungehalten. Vor meinem Umzug in diese Stadt habe ich wohlweislich nach einem Appartement gesucht und auch eines gefunden, zu dem ein Tiefgaragenstellplatz gehört. Mein heiß geliebtes Auto ist nämlich für die hiesigen Verhältnisse zu groß, aber ich habe es größtenteils finanziert und zahle es noch immer ab. Daher wäre es blöd, jetzt auf ein kleineres Modell zu wechseln, bloß weil es für den Stadtverkehr praktischer ist.

Pünktlich stehe ich vor Kämmerers Wohnungstür, die mir dieses Mal auch sofort nach dem ersten Klingeln aufgemacht wird.

»Hallo«, sagt Kämmerer zurückhaltend, wobei er meine zur Begrüßung dargereichte Hand ignoriert und einem direkten Blickkontakt ausweicht. Stattdessen fixiert er einen Punkt irgendwo neben meinem rechten Schuh.

Oh Mann, der Typ ist wirklich mehr als nur schüchtern! Das habe ich von ihm als Comedian nicht erwartet.

»Hallo, Tobias.« Möglichst unauffällig ziehe ich meine Hand zurück und betrachte ihn nachdenklich. Er hat Schuhe und Jacke an, als würde er gerade das Haus verlassen wollen. »Bin ich zu spät?«

Mit einem Stirnrunzeln zieht er sein Handy aus der Jackentasche hervor und entsperrt das Display.

»Nein, zu früh«, stellt er dann fest. »Wir hatten siebzehn Uhr gesagt und es ist jetzt sechzehn Uhr vierundfünfzig.«

»Ich kann auch in sechs Minuten noch mal wiederkommen«, witzele ich entspannt.

Entgegen meiner Erwartung bringt das Kämmerer allerdings nicht zum Lachen. Nicht einmal ein winziges Lächeln taucht in seinem Gesicht auf, stattdessen presst er für einen kurzen Moment die Lippen aufeinander und mustert mich aufmerksam.

»Das wäre doch viel zu umständlich«, erwidert er, ohne eine Miene zu verziehen. »In der Zeit können Sie bloß einmal die Treppe runter, kurz vor die Haustür und dann wieder hoch laufen.«

Jetzt muss ich lachen. Kämmerers Humor ist nach meinem Geschmack, vor allem weil er das eben total trocken und todernst rausgehauen hat. Doch anstatt mit mir zu lachen, schaut er mich plötzlich aus großen Augen und sichtlich verwirrt an. Ich bremse mich wieder, schiebe die Hände in die Hosentaschen und nicke ihm freundlich zu.

»Wollten Sie gerade weggehen?«, frage ich, weil er in voller Montur vor mir steht.

»Ja. Sie wollten doch sehen, was ich arbeite. Dazu müssen Sie aber mitkommen.« Er dreht sich um und greift nach einer Laptoptasche, die neben der Tür steht. »Handy, Schlüssel, Brieftasche, Laptop«, höre ich ihn vor sich hin murmeln, dann tritt er zu mir in den Hausflur und zieht die Wohnungstür hinter sich zu.

Überrascht folge ich ihm die Treppe hinunter und aus dem Haus. Er will jetzt an seine Arbeitsstelle? An einem Sonntag? Okay, vielleicht ist er nicht nur mit seinem Podcast freiberuflich tätig, sondern hat ein eigenes Büro.

»Wie lief denn die Aufnahme vom Podcast heute?«, frage ich interessiert, während wir die Straße hinablaufen. Fröstelnd ziehe ich die Schultern hoch. Verdammt, mein Jackett ist viel zu dünn, aber ich habe den Mantel im Wagen gelassen, da ich nicht damit gerechnet habe, bei dem Wetter durch die Stadt laufen zu müssen. Es nieselt zwar nur, aber die klamme Kälte zieht mir sofort in die Klamotten, die die Nässe geradezu aufsaugen.

Kämmerer antwortet mir jedoch nicht, sondern schaut stur auf den Boden und setzt einen Fuß vor den anderen. Seinem Gesichtsausdruck nach ist er mit seinen Gedanken meilenweit fort. Ich mustere ihn neugierig von der Seite, was er ebenfalls nicht zu bemerken scheint. Keine Frage, er ist ein merkwürdiger Typ. Eigentlich dachte ich, dass er gestern ein wenig aufgetaut wäre und ich nun nahtlos an unser Gespräch anknüpfen könnte, aber es sieht ganz danach aus, als müsse ich von vorn anfangen.

Gerade, als ich ihn erneut ansprechen und fragen möchte, wohin wir nun gehen, erreichen wir den Marktplatz, der inmitten der historischen Altstadt in einem verkehrsberuhigten Bereich liegt. Kämmerer steuert nun das ehemalige Rathaus der Stadt an, daher verkneife ich mir meine Frage zunächst. In dem imposanten Fachwerkbau befindet sich heute ein Café und ich bin erstaunt, dass Tobias tatsächlich dessen schwere, hölzerne Tür aufzieht und hineingeht.

Er arbeitet in dem Café? Nun gut, immerhin kommen wir aus diesem ekligen Nieselregen heraus. Die Wärme des Hauses und ein unwiderstehlicher Duft nach Kaffee und Kuchen empfängt mich, als ich hinter Kämmerer das Café betrete. Ich seufze angetan und schaue mich interessiert um. Die urige Kaffeestube besteht aus einem großen Gastraum mit einem Tresen und die Bestuhlung ist einfach, wirkt aber sehr gemütlich. Die Tische haben teilweise Bänke, die an der Wand entlang aufgestellt und mit dicken, samtüberzogenen roten Kissen gepolstert sind.

Das Lokal ist gut besucht, vorwiegend von Rentnern, die in kleinen Grüppchen zusammensitzen und sich ganz den Sahnetorten und anderem Gebäck widmen. Kämmerer durchquert den Raum und geht schnurstracks auf einen Tisch zu, der direkt neben einem alten Kachelofen steht. Es ist genau der Platz, den ich mir auch ausgesucht hätte, da er als einziger Tisch in einer kleinen Nische steht, genau zwischen dem Ofen und einem hölzernen Stützpfeiler. Ein kleines Schildchen zeigt an, dass der Platz reserviert ist, aber das scheint Kämmerer nicht zu kümmern. Oder er hat reservieren lassen, da er sich nun genau an diesem Tisch auf die Bank an der Wand setzt.

Ich folge ihm und ziehe mir den gegenüberliegenden Stuhl heran. Damit habe ich zwar den Gastraum im Rücken, aber das stört mich nicht.

»Was kann ich Ihnen bringen?«, ertönt nahezu sofort eine helle Frauenstimme an meiner Seite. Ich schaue zu ihr auf, um festzustellen, wen von uns beiden die Bedienung zuerst angesprochen hat. Kämmerer ist noch damit beschäftigt, sich aus seiner Jacke zu schälen, aber der Blick der blonden Kellnerin ruht momentan auch ausschließlich auf mir.

»Eine Tasse Kaffee, bitte«, erwidere ich höflich.

»Möchten Sie ein Stück Kuchen dazu?«, fragt sie geschäftig. Ihr Tonfall ist zwar nett, aber ich kann trotzdem eine Spur Anspannung aus ihr heraushören. Wahrscheinlich ist die arme Frau hier allein im Service und damit auch ziemlich ausgelastet.

»Was empfehlen Sie mir denn?« Ich lächele ihr freundlich zu. Während meines Studiums habe ich auch als Kellner gejobbt, daher weiß ich, dass der Beruf nicht nur total unterbezahlt ist, sondern auch tierisch anstrengend sein kann.

»Wir haben heute Torten mit Erdbeeren, Vanille-, Schoko- und Marzipancreme. Aber wenn Sie die Spezialität des Hauses probieren wollen, dann empfehle ich Ihnen den gedeckten Apfelkuchen mit Schlagsahne«, erwidert sie, allerdings nun hörbar gelassener.

»Da bekomme ich schon beim Zuhören Hunger«, versichere ich ihr ernsthaft. »Ich nehme gerne den Apfelkuchen, aber bitte ohne Sahne.«

»Kommt sofort.«

Die Bedienung dreht sich um und ist schneller wieder weg, als ich sie aufhalten kann. Vollkommen perplex wende ich mich Kämmerer wieder zu.

»Jetzt hat sie gar nicht gefragt, was Sie haben möchten«, stelle ich verständnislos fest, doch mein Gegenüber schüttelt lediglich den Kopf.

»Das muss ich nie sagen. Jasmin weiß das«, sagt er, ohne mich dabei anzusehen. Mittlerweile hat er sich seiner Jacke entledigt und einen Laptop aus der Tasche hervorgeholt, den er mitten auf den Tisch gestellt hat.

So langsam fange ich an zu verstehen.

»Sie kommen oft hierher, um zu arbeiten?«, frage ich erstaunt.

Kämmerer nickt und schaut kurz zu mir auf. In aller Seelenruhe schaltet er den Laptop an, doch meine nächsten Fragen nach dem Wieso, Weshalb und Warum stelle ich zurück, da die Bedienung in diesem Moment meinen Kaffee und den Kuchen bringt. Klasse Service, das war wirklich sofort. Ich fange an, den Laden zu mögen.

»Danke.« Ich lehne mich höflich zurück und warte, bis sie die Tasse Kaffee und einen Teller mit einem Stück Apfelkuchen vor mir aufgetragen hat. Neben Kämmerers Notebook stellt sie ungefragt ein Glas Wasser, lächelt mir noch reserviert zu und verschwindet wieder.

Da mein Klient noch mit seinem Laptop beschäftigt ist, widme ich mich der Vernichtung meines Kuchens. Schon bei der ersten Gabel schließe ich genießerisch die Augen und unterdrücke ein wohliges Seufzen. Der schmeckt nicht nur gut, sondern himmlisch! Innen ist der lockere und saftige Kuchen noch ofenwarm, genau so, wie ihn meine Oma auch immer gemacht hat.

»Der ist echt verdammt lecker«, murmele ich zwischen zwei Bissen.

Kämmerer schaut zwar kurz auf, sagt aber nichts dazu.

»Was arbeiten Sie hier denn nun?«, frage ich gespannt.

»Das sage ich Ihnen, nachdem Sie mir Ihren dritten Funfact verraten haben«, erinnert mich Kämmerer jedoch gewissenhaft.

»Stimmt.« Ich halte kurz inne und deute mit meiner Gabel auf das Kuchenstück vor mir. Oder zumindest auf das, was davon noch übrig ist. »Hm, ich weiß nicht, ob das ein Funfact ist, aber ich esse für mein Leben gerne. Daher war ich früher ziemlich dick, aber meine Oma hat auch immer zu mir gesagt: Iss, Junge, sonst bekommst du Falten.«

»Warum Falten?«, hakt Kämmerer verständnislos nach.

»Nun ja – ihrer Meinung nach war das beste Mittel gegen Falten, viel zu essen. Denn wenn man dick ist, hat man kaum welche. Das Fett polstert die Haut auf.«

Ich seufze betrübt. Herrje, in diesen Apfelkuchen könnte ich mich reinsetzen! Den würde ich am liebsten jeden Tag essen, aber das wäre angesichts des Kaloriengehalts bestimmt nicht ratsam. Seitdem ich die dreißig überschritten habe, kann ich meine Figur nur durch jede Menge Sport halten und sehe zu, dass ich mich zumindest die Woche über gesund ernähre, um mir dann ab und zu etwas Leckeres gönnen zu können.

»Fett oder Falten«, murmelt Kämmerer nun. Seine Finger huschen über die Tastatur des Laptops und ich lehne mich neugierig ein Stück nach rechts, um einen Blick auf den Monitor erhaschen zu können.

»Oh, Sie schreiben das auf?«, entwischt es mir, als ich erkenne, dass er tatsächlich das Programm mit den Notizzetteln geöffnet hat.

»Ja«, bestätigt er lapidar, rückt dann aber den Laptop an den Rand unseres Tisches und widmet mir wieder seine Aufmerksamkeit. »Fett oder Falten. Das ist zwar nicht unbedingt ein Funfact im herkömmlichen Sinne, aber aufgrund der Phonetik nicht uninteressant für eine Podcastfolge.«

»Also verdienen Sie Ihr Geld ausschließlich mit dem Podcast?«, frage ich erstaunt, doch er schüttelt sofort den Kopf.

»Nein. Ich arbeite für verschiedene Auftraggeber und Firmen. Meistens hier in diesem Café, weil ich dann nebenbei Menschen beobachten kann und Input für den Podcast bekomme.«

Ich runzele verblüfft die Stirn. »An was genau arbeiten Sie denn? Für welche Firmen?«

Von so einem Job träumen sicherlich viele Leute. Einfach gemütlich im Café sitzen und nebenbei beim Kaffeetrinken Geld verdienen. So leicht, wie sich das anhört, ist es sicherlich nicht.

Wortlos stellt Kämmerer den Laptop so, dass ich problemlos auf den Bildschirm schauen kann.

»Ich arbeite mit Sprache«, erklärt er dann verhalten und klickt auf eine Datei, die wiederum eine lange Liste von Unterordnern enthält. »Als freiberuflicher Lektor und Korrektor.«

Beeindruckt lese ich die Überschriften der Unterordner. Erst jetzt erkenne ich, dass dies Buchtitel sind. Jede Menge bekannte Werke, darunter viele Bestseller von namhaften Krimiautoren, aber auch Liebesromane, Ratgeber, Sachbücher und sogar Titel, die ich der wissenschaftlichen Fachliteratur zuordnen kann.

»Wow.« Mir entfährt ein respektvoller Pfiff.

Wahnsinn, er hat sogar Die Sternenschatten von Marvin Trost lektoriert und mit ihm zusammengearbeitet? Das Buch ist seit Veröffentlichung nicht von den Bestsellerlisten heruntergekommen. Natürlich habe ich es gelesen, wie Millionen anderer in allen Ländern dieser Welt auch. Die Dystopie ist umwerfend, der Autor hat einen tollen, sehr eingängigen Stil und wird als der neue Franz Kafka gehandelt.

»Nicht wahr? Ich bin auch mächtig stolz auf Tobias«, mischt sich plötzlich eine helle Stimme ein. Ich schaue verwundert auf. Die junge Bedienung steht mit einem Mal neben unserem Tisch. Sie lächelt mir zu, setzt sich neben Kämmerer auf die Bank und legt liebevoll eine Hand über seine, die auf der Tischplatte liegt. »In Grammatik und Zeichensetzung sind viele Leute sehr gut«, fährt sie fort. »Aber Tobias hat darüber hinaus ein einzigartiges Verständnis für Sprache, die ihn als Lektor und Korrektor so erfolgreich macht. Er weiß, wie ein einzelner Satz dort stehen muss, damit er gut und flüssig lesbar ist, ohne dass der Stil des Autors verändert wird.«

Ich nicke zustimmend. Das ist unbestritten ein hoch angesehener Beruf und die Liste der Romane, die er bearbeitet hat, zeigt mir auch, dass vor allem große und bekannte Verlage zu seinen Auftraggebern gehören. Tobias Kämmerer steigt damit in meiner Hochachtung wie eine Boje bei einer Springflut. Trotzdem bekomme ich das plötzlich nicht mehr mit seinem Podcast zusammen, weil dies eine ganz andere Art der Unterhaltung ist. Zwar auch sprachlich auf hohem Niveau, mit spitzfindigen, sehr gut aufgebauten Pointen, aber eher für den normalen Konsumenten, für die Leute von nebenan gedacht. Oder schließen sich Lektor und Comedian gar nicht gegenseitig aus?

»Kennen Sie sich eigentlich schon lange?«, frage ich nun und wende mich damit an die junge Frau. Keine Frage, die beiden wirken sehr vertraut miteinander.

Sie lacht glockenhell auf. »Seit etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren«, erklärt sie frei heraus. »Ich bin Jasmin Kämmerer. Tobi ist mein großer Bruder.«

»Okay, jetzt, wo Sie es sagen, fällt mir Ihre Ähnlichkeit auch auf«, gebe ich zu und stimme in ihr fröhliches Lachen ein. Beide haben blondes Haar und eine ähnliche Gesichtsform. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Kämmerer.« Ich reiche ihr über die Tischplatte hinweg meine Hand, die sie auch sofort ergreift.

»Sie können Jasmin zu mir sagen, wie alle anderen auch«, bietet sie mir an.

»Sehr gerne. Ich bin Luíz da Silva, Tobias' neuer Agent. Für Sie dann Luíz, bitte.«

Tobias Kämmerer verzieht schon die ganze Zeit über keine Miene, doch sein Blick wandert aufmerksam zwischen uns beiden hin und her.

»Ist denn Ihr Beruf als Lektor der Grund dafür, dass Sie einen Liveauftritt bislang abgelehnt haben?«, frage ich ihn neugierig. »Gibt es irgendwelche vertraglichen Vereinbarungen mit den Verlagen, von denen ich wissen sollte?«

»Nein.« Seltsamerweise ist es seine Schwester, die sofort antwortet, dafür jedoch in einem sehr strikten Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt. Zudem zieht sie sofort ihre Stirn in Falten und funkelt mich böse an. »Tobias kann sich seine Auftraggeber selbst aussuchen, deshalb hat er auch die Lektoratstätigkeit aus dem Vertrag mit Irkko herausgehalten. Er möchte nicht auf eine Bühne und damit sollte sich das Thema auch erledigt haben.«

Umgehend verändert sich die Stimmung am Tisch, wird fühlbar frostiger. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und hebe beschwichtigend beide Hände.

»Immer mit der Ruhe.« Ich lächele entwaffnend. »Alles, was die Agentur für Ihren Bruder tun kann, ist es, Vorschläge auszuarbeiten und zu unterbreiten«, erkläre ich ihr. »Ob er diese annimmt, bleibt ihm überlassen.«

»Dann ist es ja gut.« Jasmin sieht mich noch immer scharf an, als würde eine unbedachte Bewegung von mir ausreichen, dass sie über mich herfällt und wie eine Löwin ihr Junges verteidigt. Mein Blick fällt auf Tobias, der die ganze Zeit über geschwiegen hat und es auch jetzt nicht für nötig hält, einzugreifen und seine jüngere Schwester zu beruhigen. Mit einem eher neutralen, aber interessiert wirkenden Gesichtsausdruck verfolgt er unseren kleinen Schlagabtausch.

Plötzlich seufzt Jasmin, tätschelt nochmals den Handrücken ihres Bruders und steht auf. »Ich muss zurück an die Arbeit«, sagt sie und nimmt meinen leeren Kuchenteller. »Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt. Der Kaffee und der Apfelkuchen gehen aufs Haus. Betrachten Sie sich als eingeladen.«

»Vielen Dank, der Kuchen war wirklich hervorragend«, lobe ich aufrichtig.

Sie nickt mir noch mal höflich zu und verschwindet hinter dem Tresen, der zum Glück weit genug entfernt ist, damit ich mein Gespräch mit Tobias ungestört fortsetzen kann. Seine Schwester mag ja eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen – aber schließlich ist er ein erwachsener Mann und kann selbstständig Entscheidungen treffen.

Vor allem diejenigen, die seine Karriere als Podcaster betreffen.

Tobias

Luíz trinkt seinen Kaffee aus, obwohl dieser sicherlich mittlerweile kalt geworden ist. Mit einem Mal würde ich gerne schnell nach Hause gehen, weil ich weiß, dass Jasmin mich anrufen wird, sobald sie mit ihrer Schicht fertig ist.

Ich bin gespannt, was sie von ihm hält. Es ist immer wieder faszinierend für mich, welche Eindrücke meine Schwester selbst bei solch einem kurzen Kennenlernen bekommt. Vielleicht ist es auch ihrer Berufserfahrung als Kellnerin geschuldet, dass sie andere Leute auf Anhieb einschätzen kann. Um diese Fähigkeit habe ich sie seit jeher beneidet. Ich muss jemanden schon sehr lange und gut kennen, um seine Gesten, Mimik oder Reaktionen richtig interpretieren zu können.

Verlegen nippe ich an meinem Wasser. Neue Leute zu treffen, ist für mich immer wieder spannend und faszinierend, aber wenn diese von meinem Asperger etwas mitbekommen, ändert sich ihr Verhalten mir gegenüber oft schlagartig. Dann behandeln sie mich meistens so, als wäre ich nicht ganz dicht. Wie aufregend dagegen wäre es, einen Mann kennenzulernen, der nichts davon weiß? Der ganz unvoreingenommen mit mir umgehen kann? Vielleicht habe ich jetzt tatsächlich die Chance dazu.

»Ich bin wirklich beeindruckt von Ihrem Hauptberuf«, räumt Luíz nun ein. »Dann ist der Podcast für Sie also nur ein netter Zeitvertreib?«

Ich schüttele den Kopf.

»Nein, er ist viel mehr als das«, gebe ich zu, stocke dann jedoch und suche automatisch zuerst nach den richtigen Worten. »Ein Skript zu korrigieren, ist nichts anderes als eine technische Prüfung. Das Lektorat ist anspruchsvoller, doch dort übernehme ich lediglich die Stimme und die Denkweise des Autors. Der Podcast dagegen ist... nur von mir.«

Bestimmt wirke ich für ihn total konfus, aber ich begebe mich gerade auf ein völlig neues Gebiet, indem ich versuche, Gedanken und Gefühle möglichst unreflektiert in Worte zu packen. Luíz mag die ideale Testperson sein, ob mein Training der vergangenen Jahre im Umgang mit anderen Menschen etwas gebracht hat. Zu meiner Überraschung nickt er, als hätte er mich verstanden.

»Er ist Ausdruck Ihrer Kreativität und Persönlichkeit«, meint er sogar.

»Soweit würde ich nicht gehen«, wehre ich ab. »Mir macht es Spaß, den Humor der Leute zu studieren, zu analysieren und auszuprobieren, was als witzig empfunden wird und was nicht. Humor ist etwas, das jedem in die Wiege gelegt wird, mit dem wir geboren werden. Als Kind ist man noch völlig frei und unbeeinflusst, egal, wo auf der Welt oder unter welchen Umständen man aufwächst. Erst im Laufe der Zeit verändern die persönlichen Erlebnisse, das Umfeld und die eigenen Erfahrungen auch den Sinn für Humor.«

»Also ist Humor für Sie so etwas wie ein Forschungsgebiet?«, fragt Luíz.

»Ja, so kann man es nennen. Wenn das jemals Studienfach an einer Universität wird, bewerbe ich mich um den Posten als Fachbereichsleiter«, erwidere ich unbekümmert – und bekomme von Luíz ein Lachen zur Antwort. Oh, war das etwa lustig? Interessant.

»Einen Master in Humorwissenschaften würde ich auch gerne ablegen«, stimmt er mir sogar zu. »Ich glaube, der Studiengang wäre an jeder Uni gnadenlos überlaufen.«

»Wobei die Durchfallquote ähnlich hoch sein dürfte wie bei einer Epidemie des Norovirus«, spinne ich den Gedanken weiter. »Das Spektrum ist äußerst breit gefächert. Im Studium müsste man einen Schein in der Geschichte des Humors machen, dazu noch welche in Sarkasmus, Ironie, Slapstick, Parodie und Stand-up-Comedy.«

»Nicht zu vergessen den Magister in schwarzem Humor«, ergänzt Luíz. »Das sind dann die dunklen Künste. Wie bei Harry Potter.«

»Na, klasse. Jetzt habe ich Professor Snape im Kopf, wie er sich drohend vor Harry Potter aufbaut«, knüpfe ich spontan daran an. »Mr. Potter, haben Sie Ihre Hausaufgaben über die Satire im Mittelalter nicht gemacht?«, ahme ich den strengen Lehrer aus den Potter-Filmen nach.

Wir lachen gemeinsam laut los. Die anderen Besucher des Cafés drehen uns die Köpfe zu, selbst Jasmin hält mitten im Abkassieren eines Gastes inne und schaut zu mir hinüber.

Ich erwidere ihren Blick und muss unfreiwillig grinsen. Hey, es gelingt mir immer besser, mich in diesem Gespräch zurechtzufinden. Mir fällt zudem auf, dass ich relativ entspannt bleibe, was keine alltägliche Erscheinung ist.

Luíz schnaubt nun belustigt und presst die Lippen aufeinander. Anscheinend verkneift er sich nur mühsam ein weiteres lautes Lachen, um die anderen Gäste nicht über Gebühr zu stören. Fasziniert beobachte ich, wie sich sein Gesicht dabei verändert. Seine Augen werden schmal, doch sie glänzen, als hätte sich dort zu viel Tränenflüssigkeit angesammelt. Oh Mann, seine Augen sind für mich wie Ankerpunkte, an denen ich mühelos meinen Blick festmache. Dieser direkte Blickkontakt ist aufregend, vor allem, weil er selbst nach mehreren Minuten nicht unangenehm wird. Ich könnte stundenlang hier sitzen und mich zwanglos mit ihm unterhalten, was für mich zwar ungewohnt ist, sich aber ganz und gar nicht so anfühlt. Eher vertraut.

»Was ist mit der Biologie des Humors?«, fährt Luíz nun fort. »Ich finde, die körperliche Seite sollte man auch nicht unbeachtet lassen.«

»Sie meinen, welche Auswirkungen ein guter Witz hat und wie der menschliche Körper darauf reagiert?« Ich grinse amüsiert. Mit der Frage habe ich mich tatsächlich auch schon auseinandergesetzt. »Interessantes Thema. Sogar für einen Podcast.«

Mit einem Tastenklick aktiviere ich den Laptop, der schon wieder in den Stand-by-Modus gegangen ist. Sehr schön, mein Notizzettel mit Ideen für neue Folgen füllt sich dank Luíz' Mithilfe mühelos.

»Kann es sein, dass alle Menschen das Gleiche fühlen, wenn sie über einen Witz lachen? Dass die körperlichen Reaktionen immer dieselben sind, egal, welche Art von Humor wir bevorzugen?«, fragt Luíz.

Ich beiße mir nachdenklich auf die Unterlippe. Seine letzte Frage hat mich davon abgehalten, den Gedanken, den ich eben noch aufschreiben wollte, auf dem Laptop einzugeben. Meine Finger schweben über der Tastatur.

»Ich bin zwar kein Mediziner, aber sicherlich wird die Reaktion des menschlichen Körpers durch einen Anstieg des Hormonspiegels beeinflusst«, versuche ich, diese ernsthaft zu beantworten.

»Bestimmt sind es genau die Hormone, die wir auch bei anderen Gelegenheiten ausschütten. Über einen Witz lachen fühlt sich doch ähnlich an wie glücklich zu sein.« Luíz schiebt die Kaffeetasse in die Tischmitte, verschränkt die Arme auf der Tischplatte und lehnt sich mir ein Stück entgegen, um meine Notizen auf dem Laptop mitzulesen. Dabei bekomme ich eine Breitseite seines Geruchs in meine Nase. Herrje, das Aftershave, das er benutzt, riecht fantastisch. Herb, männlich, würzig, mit einer frischen Kopfnote, die mich an irgendwelche Kräuter erinnert. Oder ist das Bergamotte?

»Hm.« Ich brumme abgelenkt, besinne mich dann wieder und schreibe den Ansatz einer Idee auf, um die Gedanken festzuhalten und in die richtige Reihenfolge zu bekommen.

Humor → Biologie → Gefühl = Spaß.

Spaß → Lachen → Glückshormone?

»Jetzt nimmt die Sache langsam philosophische Züge an«, kommentiert Luíz. »Sie nehmen solche Themen gerne derart auseinander, nicht wahr?«

»Ich versuche, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie empirisch aufzuarbeiten«, weiche ich verlegen aus.

»Genau das merkt man Ihrem Podcast an«, meint Luíz. Er zuckt mit den Schultern, hebt aber den Kopf, legt diesen schief und sieht mir genau in die Augen. »Er ist einzigartig, gerade weil er an der Wurzel von ganz normalen Alltagsdingen ansetzt, diese aber von einer völlig anderen Seite, aus einer ungewohnten Perspektive heraus, betrachtet.«

Urplötzlich breitet sich Wärme in meiner Brust aus, geht nahtlos in ein Brennen über und sackt in meinen Magen hinunter, als hätte ich mir gerade einen hochprozentigen Schnaps hinter die Binde gekippt. Instinktiv atme ich tief ein und ganz langsam wieder aus, um diesem Tumult in meinem Inneren Einhalt zu gebieten. Keine Chance. Mein Körper scheint ein Eigenleben zu entwickeln und zu allem Überfluss rutscht das warme Gefühl unaufhörlich tiefer. Ein Prickeln kriecht zeitgleich meine Wirbelsäule hinab, trifft dort auf einen höchst empfindsamen Bereich und geht zusammen mit dieser komischen Hitze in ein Ziehen über. Unruhig verlagere ich mein Gewicht und rutsche auf der gepolsterten Bank herum.

Verdammte Hacke, Luíz macht mir ein simples Kompliment zu meinem Podcast und ich werde hart?

Luíz

Kämmerer antwortet mir nicht, aber seine Gesichtsfarbe vertieft sich und ein Hauch Röte überzieht seine blassen Wangen. Plötzlich weicht er jedoch meinem Blick wieder aus, nimmt die Hände vom Tisch und versteckt sie unterhalb der Tischplatte.

Verdammt. Ich hatte gehofft, unser Gespräch bald wieder auf das Bühnenprogramm zu lenken, doch just in dem Moment, wo ich den Eindruck hatte, wir würden so etwas wie einen Draht zueinander entwickeln, setzt er diese abweisende Miene auf. Dabei habe ich keine Ahnung, was seinen Stimmungsumschwung hervorgerufen haben könnte. Eben haben wir uns noch ungezwungen und sehr nett miteinander unterhalten, jetzt aber fährt er urplötzlich irgendwelche Mauern hoch.

»Wie ist die Aufnahme der Podcastfolge heute eigentlich gelaufen?« Ich versuche, mit dieser Frage zumindest beim selben Thema zu bleiben.

»Gut.« Kämmerer wirkt, als wäre er mit den Gedanken meilenweit von mir entfernt.

»Ich habe gehört, Sie schneiden die Folgen auch selbst, bevor Sie diese hochladen?« Verzweifelt suche ich nach einem neuen Anknüpfungspunkt, um die vorige Lockerheit in unserer Unterhaltung wiederherzustellen, doch er nickt lediglich und schweigt erneut.

»Okay, ich werde die Folge morgen ja zu hören bekommen.« Ich atme durch und versuche, zumindest äußerlich gelassen zu wirken, obwohl mich sein Verhalten zunehmend frustriert. Vielleicht muss ich einfach am Ball bleiben und darf mich nicht so schnell von ihm abschrecken lassen.

»Jetzt habe ich von Ihnen erfahren, womit Sie hauptberuflich Ihre Brötchen verdienen. Danke, dass Sie mir das gezeigt haben.« Ich mache eine kleine, wohlüberlegte Pause und mustere ihn abwartend, doch er rührt sich nicht und schaut auch nicht auf. »Im Gegenzug haben Sie drei Funfacts zu meiner Person bekommen. Die waren allerdings reichlich jämmerlich, das muss ich zugeben. Es tut mir leid, dass ich nicht mit allzu vielen lustigen Tatsachen über mich glänzen kann, ich bin wohl eher ziemlich gewöhnlich. Aber vielleicht kann ich mich revanchieren, indem ich Ihnen zeige, wo und wie ich arbeite?«

Endlich scheine ich sein Interesse geweckt zu haben. Kämmerer hebt den Blick zu meinen Augen, doch er zögert sichtlich.

»Wenn Sie mir jetzt noch ein paar Minuten Ihrer Zeit erübrigen können, heißt das«, schränke ich das Angebot höflich ein. In Windeseile habe ich mir einen Plan zurechtgelegt. Nun darf ich nichts überstürzen, aber auch keine Gelegenheit auslassen, Tobias Kämmerer in die richtige Richtung zu schubsen.

»Jetzt? Heute Abend?«, fragt er wie gewünscht, allerdings mit sehr dünner Stimme, nach.

Betont wichtigtuerisch schaue ich auf meine Armbanduhr. Es ist nicht einmal achtzehn Uhr. Gut, das passt prima.

»Ich habe doch gesagt, ich bin rund um die Uhr für meine Klienten da«, erinnere ich ihn ernst. »Irgendein Witzbold hat mal gemeint, mein Beruf würde deshalb Agent genannt werden, weil es keine geregelten Arbeitszeiten gibt. Wie Geheimagenten sind wir praktisch immer im Dienst. Was ist? Kommen Sie mit? Es dauert auch nicht lange. Ich will Ihnen bloß etwas zeigen.«

Ich stehe auf und stelle erleichtert fest, dass er den Laptop verstaut und seine Jacke anzieht.

»In Ordnung, ich komme mit.« Er nickt mit einem Mal kräftig, als müsse er sich selbst von diesem Entschluss überzeugen.

Kurz zögere ich, ob ich seiner Schwester wenigstens ein Trinkgeld dalassen soll oder ob das irgendwie unhöflich rüberkommen würde, doch in diesem Augenblick taucht Jasmin an unserer Seite auf und reicht mir zum Abschied die Hand.

»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Luíz«, sagt sie freundlich, obwohl ich meine, schon wieder einen scharfen Unterton in ihrer Stimme wahrnehmen zu können.

»Ganz meinerseits«, erwidere ich artig, doch sie hat sich bereits ihrem Bruder zugewendet und küsst ihn zur Verabschiedung auf die Wange.

»Tschüss, Tobi. Ruf mich an, wenn du zu Hause bist«, mahnt sie liebevoll.

»Okay.« Kämmerer macht sich hastig von ihr los, was umgehend ein Stirnrunzeln bei Jasmin hervorruft.

Ich beobachte die beiden aufmerksam. Anscheinend finde nicht nur ich es unpassend, dass die jüngere Schwester sich wie die Oberglucke aufführt; auch Kämmerer muss das unangenehm sein.

Nun ja. So ist das manchmal in einer Familie. Meine beiden älteren Brüder haben mich oft geärgert oder sich über mich lustig gemacht – aber wenn es darauf ankam, haben sie mich beschützt und bis aufs Blut verteidigt. Daher kann ich Jasmin sogar halbwegs verstehen, obwohl es für sie keinen Grund gibt, sich vor ihren Bruder zu stellen.

Schließlich will ich nur sein Bestes.

Das Pfannen-Deckel-Prinzip

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