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Einleitung

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Als ich Mitte der Neunzigerjahre auf einer Klassenfahrt auf dem Münchner Marienplatz bei den Punk-Kids saß, da hätte ich dieses Buch gut gebrauchen können. Ich hatte mich mit einem der Mädchen unterhalten, die sehr anders waren als die Mädchen in meiner Klasse, und irgendwann fragen merkwürdigerweise auch Punk-Kids, was man denn mal werden will. Ich hatte zwar vorher schon mal behauptet, dass ich irgendwas werden wolle, aber richtig ernst genommen hatte ich das selbst nicht. Und den Leuten, die jetzt um mich rum saßen, konnte ich ja sowieso schlecht von meinen früheren Ambitionen zum Sportreporter erzählen. So was wollte ich mal werden! Dabei ahnte ich wahrscheinlich einfach nur, dass es zum Fußballprofi wohl nicht reichen würde. Aber hier bei diesen interessanten Leuten, an diesem aufregenden Ort, hab ich vielleicht zum ersten Mal bewusst kapiert, dass es wirklich mal auf so etwas hinauslaufen könnte: etwas werden. Und als Kind der Provinz bekommt man beim ersten Besuch in der großen Stadt auch leicht ein Gefühl dafür, dass da so einiges möglich sein könnte. Ich hatte – ich weiß gar nicht mehr, wie ich darauf gekommen war – in den Wochen zuvor in den Sachen von Sartre und vor allem Camus herumgelesen. Und noch nicht mal die Hälfte verstanden. Aber dieses existentialistische Zeug war irgendwie neu und aufregend. Und vielleicht weil ich so high war von der Stadt und ihren Punks und den Möglichkeiten im Leben und den beeindruckenden französischen Gedanken, habe ich einfach mal so gesagt, dass ich Philosoph werden will. Und dann bin ich das geworden. Wahre Geschichte.

Dieses Buch hätte ich damals auf dem Marienplatz gut gebrauchen können, weil ich im Grunde so gut wie keine Vorstellung davon hatte, was das ist, »dieses Philosophie«. Und die vagen Ideen, die ab und zu darüber in meinem Kopf auftauchten, sollten sich im Laufe der Jahre als mehr oder weniger falsch erweisen. Jedenfalls hatte mein Philosophiestudium, das ich ein paar Jahre später in Berlin begann, dann nicht mehr viel mit dem zu tun, was meine grandiose Behauptung motiviert hatte. Ich hatte nie ein Seminar über Camus oder Sartre (gab es zwar, aber hatte ich irgendwie hinter mir, fand ich) und die Arbeit an der Philosophie hatte eigentlich auch mehr mit trockener Disziplin am Schreibtisch und weniger mit genialischen Unterhaltungen im Kaffeehaus zu tun, wie ich es mir in meinen aufgeregten Münchner Vorstellungen ausgemalt hatte. Statt über die Bedingungen der menschlichen Existenz in der Moderne zu sinnieren, hatte ich erst mal genug damit zu tun, die Bedingung der Existenz von überhaupt irgendwas auch nur im Ansatz zu begreifen. Damit war ich vom französischen Existentialismus ziemlich direkt zur Logik gewechselt. Und der Unterschied hätte größer nicht sein können. Ungefähr so wie der zwischen Café de Flore und Mathestunde. Am Ende arbeitete ich an der metaphysischen Kategorie des Modalen. Noch abstrakter. Ich wollte verstehen, nicht was es heißt, dass etwas existiert, sondern was es bedeutet, dass etwas im allerweitesten Sinne bloß möglich oder aber notwendig ist.

Sowohl davon, was die inhaltlichen Themen sein würden als auch wie das Studium aussehen würde, hatte ich damals in München eigentlich keinen Schimmer. Und trotzdem kam es noch mal anders als erwartet. Genau aus diesem Grund hätte ich ein Buch wie dieses damals brauchen können. Ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt noch Lust auf ein Philosophiestudium gehabt hätte. Wenn ich mir mein damaliges Ich vorstelle, vermute ich: vielleicht nicht. Es ist zwar bei mir alles gut gegangen, aber das hatte, da mache ich mir nichts vor, auch viel mit Glück zu tun. Denn am besten fällt man seine Entscheidungen auf der Basis aller zur Verfügung stehenden Informationen. Diese Informationen, die ich damals nicht hatte, werde ich versuchen, Dir in den nächsten Kapiteln mit auf den Weg zu geben.

Meine Situation vor dem Studium scheint exemplarisch für die Erfahrung vieler junger Leute zu sein, die sich für die Philosophie interessieren. Sie ist das Fach mit der mit Abstand höchsten Abbrecherquote. Ungefähr dreißig Prozent aller Studienanfänger1 aller Fächer brechen vor dem Abschluss ab. In der Philosophie sind es konstant um die neunzig Prozent!2 Von zehn Leuten, die zu Beginn des Studiums in einem Tutorium sitzen, bleibt am Ende also im Durchschnitt einer (!) übrig und macht seinen Abschluss in Philosophie. Was geht da schief?

Meiner Erfahrung nach schmeißen die meisten zwar nicht, wie es vielleicht vernünftiger wäre, gleich im ersten oder zweiten Semester, aber doch ziemlich früh das Handtuch. Ich befürchte, dass viele einfach nicht wirklich wissen, was es mit der Philosophie auf sich hat. Sie wissen nicht, was sie erwartet, und werden dann von der Realität eines Philosophiestudiums sehr schnell desillusioniert. Deshalb vermute ich, dass der Hauptgrund für die unfassbare Abbrecherquote in der Philosophie eine Mischung aus fehlenden Informationen und falschen Vorstellungen über das Studium und das Fach der Philosophie ist. Da ich Dir mit diesem Buch ein bisschen dabei helfen möchte, diese Erfahrung zu vermeiden, hat es bewusst einen ganz bestimmten Fokus: Den meisten Raum des Buches werde ich im ersten Teil darauf verwenden, Dir einen Eindruck davon zu vermitteln, was Philosophie heutzutage im akademischen Betrieb überhaupt ist. Darüber herrschen wahrscheinlich die größten Missverständnisse. Zunächst werde ich Dir einige allgemeine Überlegungen dazu vorstellen, was Philosophie heutzutage bedeutet (und was nicht) und Dir dann einen knappen Überblick über die wichtigsten Themengebiete, die momentan in der Philosophie behandelt werden, geben. Da die Philosophie das wahrscheinlich am breitesten aufgestellte Fach ist, das es an der Universität gibt, wird dieser Überblick, obwohl ich extrem komprimiere, nicht gerade kurz.

Im zweiten Teil wende ich mich dann eher praktischen Aspekten des Studiums zu. Was solltest Du vorher machen, wie sieht das Bachelorsystem aus, wo kommt das Geld her, wie sind Deine zukünftigen Kommilitonen so drauf? Zum Schluss gehe ich dann auf die sehr wichtige Frage ein, welche Berufsaussichten man nach so einem Philosophiestudium hat. Denn wenn man, gegen alle Wahrscheinlichkeit, sein Studium abschließt, dann muss man damit auch irgendwie die Brötchen auf den Tisch bringen.

Ich werde bei der Vorstellung der Philosophie systematisch, das heißt themenbezogen und problemorientiert vorgehen. Meiner Ansicht nach besteht die Philosophie nicht in erster Linie darin, berühmte Philosophen zu interpretieren. Bei der Vorstellung der einzelnen Themen werde ich immer mal wieder an der Oberfläche eines philosophischen Arguments kratzen. Das ist ein guter Test für Dich. Wenn Dich die Überlegungen dazu motivieren, mehr über das Problem zu erfahren, wenn es Dich reizt und Du eigentlich gleich mehr darüber nachdenken und diskutieren möchtest, dann könnte die Philosophie etwas für Dich sein. Leider kann ich hier nicht mehr als sehr oberflächliche Darstellungen anbieten, aber ich werde Dir für jeden Bereich einen Tipp geben, wo Du einen guten und detaillierteren Einstieg in die entsprechenden Themen finden kannst.

Ich hoffe, dass Du nach der Lektüre dieses Buches eine gut begründete Entscheidung darüber treffen kannst, ob die Philosophie etwas für Dich ist oder nicht. Mit Philosophie wird man nicht reich und wahrscheinlich auch nicht berühmt. In den seltensten Fällen erlangt man durch sie besondere Anerkennung. Blöderweise haftet ihr oftmals – ich finde allerdings zu Unrecht – der Ruch des Mysteriösen an. Der einzige und beste Grund, warum man Philosophie studieren sollte, ist, weil sie einem total gut gefällt. Weil einen ihre fundamentalen Fragen bewegen und weil man etwas zu ihrer Beantwortung beitragen will. Wenn das bei Dir so ist, dann solltest Du es wagen: Sie ist ein tolles Fach und ihr Studium bietet Dir – trotz des gegenteiligen Klischees – sehr gute Berufsaussichten; sowohl innerhalb der akademischen Philosophie wie außerhalb. Wenn die Philosophie also wirklich etwas für Dich ist, dann gibt es keinen Grund, vor einem Philosophiestudium zurückzuscheuen.

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