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Inhaltsverzeichnis

Der Tag war nicht ganz klar gewesen; eine Unruhe war in der Luft, die Wolken jagten in anderer Richtung als der leichte Südwind. Es war mild und taute wieder. Die Wege waren jämmerlich, voll Schneeschlamm und Schmutz, besonders hier, in der Nähe der Stadt, war alles zu einem Brei zusammengetrampelt und -getreten.

Der Junge war noch nicht zehn Minuten unterwegs, als seine etwas dünnen Stiefel auch schon von Wasser vollgesogen waren. Na, das machte nichts! Schlimmer war es mit der letzten Brezel; denn satt war er nicht, nicht im entferntesten! Aber auch das machte nichts. Er würde Ole schon bald einholen; er war schneller zu Fuß, war beweglicher, und er legte ganz gehörig los. Wenn er ihn nur erst eingeholt hatte — in Ordnung bringen würde er die Sache schon, daran zweifelte er keinen Augenblick. Ole war verträglich, und er, Edvard, würde bei den Jungens für ihn eintreten; das zum mindesten war er ihm schuldig. Und ihm selber machte es überdies Spaß; er würde schon noch ein paar von den andern auf seine Seite bringen, und dann sollte es eine Schlacht setzen!

Doch als er eine ganze Viertelmeile gegangen war, ohne in diesem Matsch auch nur eine Spur von Oles Stiefeln, geschweige denn von ihm selber zu entdecken, als er sich gar eine halbe Meile vorwärts geschleppt hatte, durch die scheußlichste Unwegsamkeit, mit patschnassen Füßen, abwechselnd schweißtriefend und eiskalt, dann wieder halbtrocken und wieder schweißtriefend — dazu drohte Regen und Sturm, und die Landschaft war schauerlich einsam mit ihren langen öden Bergrücken und den dazwischenliegenden Wäldern — da sank sein Mut bedeutend.

Und dann — sonderbar! Nach der ersten Viertelmeile begegnete er keiner Menschenseele mehr. Spuren sah er genug auf dem Wege, von Pferden und Menschen und Hunden; alle liefen sie in derselben Richtung wie er, und die meisten waren frisch. Aber keine Menschenseele war zu erblicken, nicht einmal in den Gehöften; keinen Hund hörte er bellen, keinen Schornstein sah er rauchen; wie ausgestorben war alles. Eine leere Bucht nach der andern; vorspringende Bergrücken, durch Geröll oder Erdrutsche gebildet, trennten sie; immer wieder eine Bucht, und an jeder Bucht ein Gehöft oder mehrere, und ein Fluß oder ein Bach; aber nirgends ein Mensch. Ach, wie oft war der Junge schon einen kahlen Hang hinangeklettert und oben weitergewandert, bis er die nächste Senkung überschauen konnte, ohne Ole auf der Landstraße zu erblicken, ohne überhaupt eine Menschenseele zu erblicken! Er merkte wohl, er würde, ausgehungert und müde, bis hinaus nach Store-Tuft traben müssen. Das war fast eine Meile. Dann blieb er zu lange aus, der Vater würde es erfahren, es setzte dann doch Hausarrest und Verhör und Schelte und Schläge, vielleicht kam's auch gar noch vor den Rektor, und die ganze Geschichte ging noch einmal von vorn los ... Er war dem Weinen nahe. Dieser verdammte Anders Hegge mit seinen lüsternen Fischaugen und seinem fetten Lächeln bei allem, was ihm behagte! Und die lauernde Freundlichkeit, das kitzliche Lachen, das Geklatsche — o pfui! So ein Scheusal! Und dafür mußte er hier mit schmerzenden Füßen, müde und verzweifelt, durch den Schmutz stapfen! Das also hatte seine entsetzliche Angst gestern abend bedeutet! Das war's gewesen!

Ach was, zum Teufel mit dem Geflenne und der Kopfhängerei! Einmal mußt du ja hinkommen, und Schläge hast du schon mehr als einmal gekriegt! Trallalla! Und er fing an, ein lustiges spanisches Lied zu singen, sang Vers für Vers — kam außer Atem — mußte langsam gehen, und erschrak doch, als er seine eigene Stimme nicht mehr hörte. Also ein neues Lied — und wieder einmal hinauf — den ganzen langen Steinhang.

Auch da kein Mensch, bloß Wagenspuren und Fußspuren von Erwachsenen und Kindern und Pferden und Hunden aus den Gehöften drunten. Alle vorwärts laufend. Was war denn los? Eine Feuersbrunst? Auktion? Dazu hätten sie nicht das Fuhrwerk mitgenommen. Vielleicht irgendwo ein Bergsturz? Oder ein großes Schiffsunglück gestern? Ach, ihm konnte das eigentlich gleich sein! Gerade, als er über den nächsten Bergrücken klettern wollte, der eine lange Nase in den Fjord hinausstreckte, sah er zum erstenmal Oles Spuren; da war er am Wegrand entlang gegangen; er kannte die eisenbeschlagenen Absätze, ebenso die Holzflecken unter jedem Fuß. Die Spuren waren ganz frisch; jetzt konnte Ole nicht mehr weit sein! Das gab ihm neue Kraft. Er lief wacker drauflos.

Ein hoher Tannenwald umfing ihn; alles war still. Als er beim Steigen mit Singen aufhören mußte, wurde ihm ganz unheimlich zumute. Je höher er kam, desto dichter wurde der Wald; der Schnee lag fester, Steine und Heidekrautbüschel guckten neugierig daraus hervor wie Tiere. Und dann raschelte es hier und knisterte es dort, und irgendwo schrie es; ein großer aufgescheuchter Vogel flog mit entsetzlichem Flügelschlag auf; der Junge suchte schweißtriefend nach Oles Fußtapfen, um sie nicht zu verlieren; die Angst von gestern war plötzlich wieder über ihm. Wenn er's doch über sich brachte, recht draufloszurennen! Wenn der Wald doch ein Ende nehmen wollte! Während der unverantwortlich langen Stille nach dem Auffliegen des Vogels hatte er schließlich das Gefühl: wenn jetzt bloß noch das winzigste Bißchen dazu komme, so würde er verrückt! Und der Hohlweg, durch den er mußte! Schon ganz von weitem starrte er hinein, zwischen die hohen, schwarzen Wände; als ob sie über ihm zusammenklappen wollten — sahen sie aus; von oben hingen ein paar unheimliche Bäume darüber und spähten lauernd hernieder. Als er endlich drin war, kam er sich wie die allerwinzigste kleine Ameise im Walde vor: wenn sie bloß stillständen, bis er vorüber war — wenn bloß keiner sich auf einmal von oben herunterbeugte und ihn beim Kragen packte, oder dicht vor ihm oder dicht hinter ihm sich fallen ließ — oder ihn anwehte ... Er ging mit starren Augen — wie ein Nachtwandler; die Kiefernwurzeln zogen sich krumm und verwittert über den lehmigen Pfad hin ... und alle lebten sie ... Aber nein ... Er tat, als merke er nichts ...

Ganz fern, hoch oben in der Luft, flog ein Vogel nach der Stadt, aus der er kam ... Ach! Wer auf seinem Rücken säße! So deutlich sah er die Stadt, die Schiffe im Hafen, hörte die frohen Weisen, das helle Ankerrasseln ... das Dröhnen an den Brücken ... den herzensfrohen Lärm und Spektakel ... die Kommandorufe ... Nanu ... da hörte er ja wirklich Kommandorufe ... Und eine Schiffspfeife ... und noch eine ... eine ganz derbe ... Und Stimmen! ... Jawohl ... Stimmen ... und dazu Pferdegewieher! Und Hundegekläff! Und wieder Stimmen und Stimmen! Er war aus dem Hohlweg heraus, — ganz kurz war der gewesen! — und zwischen den Bäumen hindurch schimmerte die See ... und Schiffe ... Was war denn das? War er denn wieder in der Stadt? War er im Ring herumgelaufen? Er war doch immer am Strand entlang gegangen! Er fing an zu rennen, in Sätzen — — Freilich, jetzt kannte er sich wieder aus! Ja, wahrhaftig, er war immer nur geradaus gelaufen! Und da öffnete sich der Wald ... und die Bucht ... die hatte er doch schon einmal gesehen? Und auch die Inseln erkannte er wieder ... Er war auf dem richtigen Weg ... nun war's nicht mehr weit bis Store-Tuft! ... Aber was taten denn diese Boote da? Was bedeutete dies gleichmäßige, ununterbrochene Gelärm? Ein Fischzug! Hurra! Ein Fischzug! Mitten in einen Fischzug war er hineingeraten! Hurra! Hurra! Vorbei aller Hunger, alle Müdigkeit, alle Furcht! In langen Sprüngen setzte der Junge den Hügel hinunter.

Auf Gottes Wegen

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