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KAPITEL FÜNF

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Im Cedars-Sinai Medical Center ging Keri so schnell den Gang hinunter, wie ihre schmerzenden Knochen es zuließen. Becky Smapsons Haus war nicht weit vom Krankenhaus entfernt, daher hatte Keri kein allzu schlechtes Gewissen, dass sie einen kurzen Besuch bei Ray einlegte.

Sowie sie sich seinem Zimmer näherte, machte sich wieder die Nervosität in ihr breit. Wie sollte es zwischen ihnen je wieder normal werden, wenn diese unausgesprochenen Gefühle zwischen ihnen lagen? Als sie bei seinem Zimmer ankam, beschloss sie, sich zusammen zu nehmen.

Die Tür stand einen spaltbreit offen und Keri konnte sehen, dass Ray schlief. Außer ihm war niemand im Zimmer. Verwundete Polizisten bekamen, soweit verfügbar, immer ein eigenes Zimmer. Mit einem Blick auf die Hügel von Hollywood und einem großen Fernseher hatte er es gut getroffen. Der Fernseher zeigte einen alten Sylvester Stallone Streifen, der Ton war abgeschaltet.

Kein Wunder, dass er dabei eingeschlafen ist.

Keri ging zu ihm und sah sich ihren Partner genauer an. In diesem Krankenhausbett mit dem lockeren Nachthemd wirkte er plötzlich viel gebrechlicher als sonst. Eigentlich war er ein ziemlich großer und einschüchternder Bursche, Afroamerikaner, Glatze, über zwei Meter groß. Seinen Spitznamen „Big“ hat er mehr als verdient.

Da seine Augen geschlossen waren, konnte man ihm nicht ansehen, dass sein rechtes Auge aus Glas war. Er hatte es vor ein paar Jahren bei einem Boxkampf verloren. Man würde nicht vermuten, dass dieser Mann, der neben seinem orangefarbenen Wackelpudding hier gerade im Krankenhausbett schlief, damals Ray „der Sandmann“ Sands war, olympischer Boxer und ungeschlagenes Schwergewicht, dem eine brillante Karriere prophezeit worden war. Seine Karriere war jedoch vor einem unerwarteten linken Haken seines Gegners, der sein Auge brutal zerstört hatte, mit nur achtundzwanzig Jahren vorzeitig beendet worden.

Nachdem er in ein tiefes Loch gefallen war, hatte Ray seine Berufung als Polizist entdeckt, und hatte sich seitdem zu einem der angesehensten Ermittler der Einheit für Vermisste Personen hochgearbeitet. Da Brody bald in Rente gehen würde, wartete auf Ray eine leitende Position in der Einheit für Raubüberfälle und Mord.

Keri ließ ihren Blick aus dem Fenster und über die Hügel schweifen. Sie fragte sich, wie ihr Verhältnis in sechs Monaten aussehen würde, wenn sie nicht mehr zusammen arbeiteten. Der Gedanke beängstigte sie. Seit man ihr Evie genommen hatte, war er die einzige stabile Person in ihrem Leben gewesen, und sie hatte gerne jeden einzelnen Tag mit ihm zusammen verbracht.

Sie drehte sich wieder zu ihm und stellte fest, dass er sie schweigend ansah.

„Wie geht’s, Schlumpfinchen?“, fragte er grinsend. Sie machten ständig Witze über ihren gewaltigen Größenunterschied.

„Wie geht es dir, Shrek?“

„Ehrlich gesagt bin ich ganz schön müde. Ich habe heute schon Extremsport gemacht. Man hat mich den ganzen langen Gang einmal herunter und wieder herauf gejagt. Nimm dich in Acht, LeBron James, ich bin dir dicht auf den Fersen.”

„Weißt du schon, wann sie dich wieder frei lassen?“, fragte Keri.

„Wenn ich weiterhin gute Fortschritte mache, darf ich vielleicht schon Ende der Woche gehen. Dann sind aber noch zwei Wochen Bettruhe angesagt, bevor ich wieder an den Schreibtisch darf – vorausgesetzt ich habe mich bis dahin nicht vor lauter Langeweile selbst erschossen.“

Keri saß eine Weile still da. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Eigentlich wollte sie ihm sagen, dass er sich Zeit nehmen sollte, dass seine Gesundheit wichtiger war, als die Arbeit. Andererseits wäre das ziemlich lachhaft, da sie selbst sich auch nicht daran hielt, und das würde er ihr auch unter die Nase reiben.

Er war angeschossen worden, weil er ihr das Leben gerettet hatte. Sie fühlte sich dafür verantwortlich und sie fühlte noch andere Dinge, über die sie jetzt nicht nachdenken wollte.

Schließlich beschloss sie, dass jetzt eher Ablenkung angebracht war als ein Vortrag über Gesundheit.

„Ich wollte dich nach deiner Meinung zu meinem neuen Fall fragen. Hast du Lust auf ein bisschen Psychoanalyse mit Wackelpudding?“, fragte sie.

„Gratuliere, dann bist du also wieder offiziell einsatzbereit. Lass uns doch den Wackelpudding überspringen und direkt ans Eingemachte gehen.“

„Okay. Folgendes: Kendra Burlingame, Hausfrau eines berühmten Schönheitschirurgen in Beverly Hills, ist seit gestern früh spurlos verschwunden.“

„Welcher Tag war gestern nochmal?“, unterbrach Ray. „Sorry, aber die ewige Bettruhe, gemischt mit starken Medikamenten, hat mein Zeitgefühl vollkommen durcheinander gebracht.“

„Gestern war Montag, Sherlock“, neckte Keri ihn. „Ihr ehrenwerter Gatte sagt, dass er sie gegen sechs Uhr fünfundvierzig zum letzten Mal gesehen hat, bevor er für eine OP nach San Diego gefahren ist. Das heißt, dass sie seit etwa zweiunddreißig Stunden vermisst wird.“

„Vorausgesetzt, er sagt die Wahrheit. Du weißt genauso gut wie ich, dass der Ehemann immer der erste Verdächtige ist.“

Keri war etwas genervt davon, dass jeder, einschließlich ihres scharfsinnigen Partners, sie darauf hinwies. Als sie antwortete, konnte sie einen gewissen Unterton nicht unterdrücken.

„Ach wirklich, Ray? Hast du sonst noch eine wunderbare Weisheit parat, großes Orakel? Vielleicht, dass die Sonne heiß ist, oder dass Grünkohl wie Alufolie schmeckt?“

„Ich meine ja nur…“

„Glaub mir, Ray. Das weiß ich selbst. Er ist unser Hauptverdächtiger. Und vielleicht ist sie einfach abgehauen. Aber als professionelle Gesetzeshüter sollten wir vielleicht nach weiteren Spuren suchen, findest du nicht?“

„Doch, sicher. Dann hast du noch ein zweites Standbein, wenn du ihn verhaftest.“

„Wunderbar.  Ganz die alte Spürnase, bloß keine unbegründeten Schlüsse ziehen“, neckte sie ihn weiter und bemühte sich, dabei ernst zu bleiben.

„So bin ich eben. Was hast du noch?“

„Ich treffe gleich Kendras beste Freundin, sie wohnt hier ganz in der Nähe. Ihr Mann sagte, dass Kendra seit einem Klassentreffen merkwürdig drauf war.“

„Hast du jemanden nach San Diego geschickt um seine Story zu überprüfen?“

„Brody ist in dieser Sekunde unterwegs.“

„Frank Brody ist dein neuer Partner?“, sagte Ray. Jetzt musste er sich bemühen, nicht zu lachen. „Kein Wunder, dass du lieber im Krankenhaus herumhängst. Wie klappt es mit euch beiden?“

„Warum glaubst du, dass ich nichts dagegen hatte, als er angeboten hat, nach San Diego zu fahren? Die Kollegen vor Ort hätten sich genauso gut um die Zeugen kümmern können, aber er wollte unbedingt selbst fahren, und ich halte alles für eine gute Idee, was ihn und sein Ungeheuer von Auto weit weg von mir beschäftigt,. Übrigens würde ich die Gesellschaft eines abgehalfterten, schlappen, bettlägerigen Sackes wie dir Brody jederzeit vorziehen.“

Das scherzhafte Geplänkel hatte Keri so sehr entspannt, dass sie jetzt zu spät bemerkte, wie dieser letzte Kommentar sie wieder auf diese verkorkste emotionale Ebene befördert hatte, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Ray sagte zuerst gar nichts, aber als er den Mund öffnete, um etwas zu entgegnen, kam Keri ihm zuvor.

„Ich muss los, sonst komme ich zu spät zu dem Treffen mit Kendras Freundin. Ich melde mich später wieder. Übertreib es nicht mit deinem Sport. Versprochen?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ sie das Zimmer. Als sie den Gang hinunter eilte um den Fahrstuhl zu erwischen, ging ihr ein Wort nicht mehr aus dem Kopf.

Idiot. Idiot. Idiot.

Eine Spur von Mord

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